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Sein Name war Lux. Man sollte diesen Namen mit lateinischen Lettern schreiben: LUX – das Licht. Er trug diesen Namen mit Recht. Denn er leuchtete wie der Tag. Nein, wie die Morgenröte! So feuerfarben!
Wahrhaftig, er hatte ein brandrotes Fell. Und war ein Dackel.
Ein junger.
Das blieb er auch. Alt ist er nicht geworden.
Sein Schicksal war ihm vorherbestimmt. Er hat es erfüllt. Nach zwei vergeblichen Versuchen gelang es ihm. Und das kam so, weil er auf die Welt eine Marotte mitgebracht hatte, keinem Ding des Lebens aus dem Wege zu gehen. An einem Menschen nennt man es Mut und Unerschrockenheit – besonders, wenn dieser Mensch das Glück hat, daß die harten Dinge des Lebens ihm aus dem Wege gehen. Doch an dem kleinen Luxerl mußte man dieses wunderliche Beharrungsvermögen als Dummheit bezeichnen. Unleugbar war es auch eine.
Als wir ihn bekamen, war er noch kaum ein Vierteljährchen alt. Und so klein! Meine hohle Hand diente ihm häufig als bequemer Fauteuil. Aber ich hütete mich stets, dieses Kunststück übermäßig lange auszudehnen. Und da wäre nun gleich eine passende Gelegenheit, um zu registrieren, daß er sich die Stubenreinheit niemals völlig aneignete. Nicht aus angeborener Liebe zum Unsauberen. Er wurde nur leider für dieses Erziehungsresultat nicht alt genug. Nun ist er bereits seit fünfundzwanzig Jahren tot, und man könnte ihn vergessen haben, ohne den Vorwurf der Pietätlosigkeit befürchten zu müssen. Doch immer noch, so oft ich den alten Smyrnateppich meiner Arbeitsstube sinnend betrachte, muß ich an den Luxerl denken. Das hat seine Gründe. Sie sind gelblich.
Diese Farbe erinnert mich wieder an sein Fell. In frühester Jugend war es zart und lind wie Samt. Drum streichelte man den Luxerl so gern. Er gewann die Menschen nicht etwa durch Seele oder tiefere Geistesgaben, sondern durch den Flaum seiner Epidermis. In diesem Punkte hatte er etwas Weibliches, obwohl er ganz ausgesprochen ein Männchen war. Er verführte und wirkte durch den Zauber seiner Haut. So etwas wie Seele hab ich nie an ihm entdeckt. Und bestechende Geistesgaben besaß er wahrhaftig nicht. Oder es müßte sein, daß sie noch nicht entwickelt waren, als er in der Blüte seiner Jugend die Augen schloß.
Er wurde im Februar geboren. Seine Wiege, die ein Korb war, stand in Wien. Kurz vor Weihnachten begruben wir ihn. Wir? Nein. Ich weiß nicht, wer es tat.
Es gibt Zoologen, welche behaupten, daß die Minderwertigkeit eines Sinnes bei Tieren die außergewöhnliche Entwicklung eines anderen Sinnes bedinge. Tiere mit schlechten Augen haben eine vorzügliche Nase, Tiere mit mangelhaftem Witterungsvermögen sehen ungemein scharf. Etwas Ahnliches war bei Luxerl auf intellektuellem Gebiete zu beobachten. Er war wirklich kein Genie, war wesentlich dümmer, als gemeinhin die jungen Hunde zu sein pflegen. Dafür besaß er aber einen frühreifen, außerordentlich entwickelten, unbewußten Humor. Man liebt zu sagen, Humor wäre eine Quintessenz des sublimsten Verstandes. Vielleicht ist das bei den Menschen so. Bei den Dackeln stimmt es nicht. Luxerl bewies es.
Wenn er in seiner brandroten Kleinheit so dastand, mit den dummglotzenden Augen, mit den hängenden Ohrlappen, mit den verdrehten Beinchen, die X- und O- förmig zugleich waren – dann brauchte er an dem starr gestreckten Schwänzlein nur die Spitze ein bißchen krumm zu biegen, und man konnte Tränen lachen.
In Wahrheit ist nichts von ihm zu erzählen. Aber dieses Nichts war immer so komisch – so komisch, daß sich über den Luxerl die Redensart zu bilden begann: ›Das ist doch ein ganz unglaubliches Vieh!‹
Neben seinem Humor besaß er noch eine zweite rühmenswerte Eigenschaft: eine Gutmütigkeit, die keine Grenzen kannte. Ob man Ball mit ihm spielte, ob man ihn auf dem beschädigten Smyrnateppich als Rollwalze in Aktion brachte, ob ihn unser kleines, blondes Mädel an einem Ohrlappen, an einer harmonikaförmigen Hautfalte, am Schwanz oder an einem der vier ungleichen Beinchen in die Höhe hob und herumschleppte – alles ließ er sich gefallen, ohne zu mucksen. Ein Denker behauptete, Luxerl wäre so dumm, daß er, obwohl er täglich alles Eßbare kurz und klein zernagte, seine Zähne noch immer nicht entdeckt hätte.
Im Juni, als Luxerl vier Monate alt war, übersiedelten wir mit ihm zur Sommerfrische an den Königssee. Und wie das kleine rote Kerlchen da die großen grünen Berge anbellte – das war eines von den sieghaften Lustspielen des Lebens.
Am Königssee gab's immer vom Morgen bis zum Abend einen lebhaften Wagenverkehr. Und da entwickelte sich Luxerl zu einem chronischen Kommunikationshindernis. Er sperrte die Einfahrt zur Schiffslände, stellte sich, so oft ein Wagen heranrollte, mitten auf die Straße hin, blieb da unerschrocken stehen und bellte sehr heftig. Nach jeder Bellstrophe schüttelte er energisch die Ohren, als wären diese hohen Zanklaute seinem eigenen Trommelfell nicht angenehm. Die Pferde waren immer klüger als der Luxerl und blieben barmherzig vor dem brandroten Kläffer stehen. Der Rosselenker schmunzelte, die Leute im Wagen standen auf und lachten, und dann umfuhr die große Kutsche in vorsichtigem Bogen den Luxerl, der das Feld behauptete, sich nur umdrehte und weiter zankte.
Beim nächsten Wagen, der gefahren kam, war's wieder so. Alle Lohnkutscher von Salzburg, Reichenhall und Berchtesgaden wurden mit dem kleinen, roten Komiker vertraut, huldigten seiner Unerschrockenheit und behandelten ihn nach dem berühmten Rezept vom vergeblichen Kampf der Götter.
Einmal aber kam einer, der keinen Sinn für Humor hatte. Ein Metzger von Unterstein. Und ehe Luxerl nach der ersten Bellprobe die Ohren schütteln konnte, waren schon die zwei Räder über ihn weggegangen. Ein Glück, daß der humorlose Metzger nur ein leichtes Berner Wägelchen hatte, dem auch die zarten Knochen eines erst halbjährigen Dackels zu widerstehen vermochten! Luxerl überkollerte sich hinter dem Wagen noch ein paarmal, rannte hurtig und mit eingekniffenem Schwänzlein davon, schüttelte den weißen Staub aus dem roten Fell, ließ sich auf seine Schattenseite nieder und guckte stumm, neugierig und verwundert dieser unbegreiflichen Sache nach, die da über sein junges Leben hinweggerattert war.