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Fünftes Kapitel

Pfarrer und Gutsherr

Jene sozialen Bestrebungen, die seit undenklichen Zeiten auf die Erhaltung des Bestehenden gerichtet waren, hatten ihren Höhepunkt in Worsted Skeynes erreicht. Abseits von allem kaufmännischen Wettbewerb – denn das Besitztum brachte jetzt die Haushaltungskosten nicht ein – ,jenseits von jeder Ausdehnungsmöglichkeit, war es ein unangezweifeltes Juwel, in Tradition und Heimatliebe gefaßt, das keiner Echtheitserklärung bedurfte. In ihm waren alle jene althergebrachten Einrichtungen geborgen, auf die das Land besonders stolz war; und Mr. Pendyce sah manchmal im Geiste die Zeit kommen, da er sich für die seiner Partei geleisteten Dienste Lord Worsted nennen und im Oberhause sitzen würde, auch noch nach seinem Tode in der Person seines Sohnes. Aber noch ein anderes Empfinden war im Herzen des Gutsherrn – die Luft und die Wälder und Felder hatten in sein Blut eine tiefe Liebe für dieses sein Heim und das seiner Väter getragen.

Und so ging nach dem Empfang von Jaspar Bellews Mitteilung eine qualvolle Unrast durch die ganze Häuslichkeit. Niemandem war etwas gesagt worden, und doch wußte jeder, daß irgend etwas geschehen war; und jeder einzelne, bis zu den Hunden herab, verriet auf seine eigne Art seine Teilnahme für den Herrn und die Herrin des Hauses.

Tag für Tag gingen die Mädchen auf dem neu angelegten Golfplatz umher, die Bälle ziellos aussendend; das war alles, was sie tun konnten. Selbst Cecil Tharp, der von Bé das unter diesen Verhältnissen begreiflicherweise nur bedingte Jawort erhalten hatte, fühlte sich durch ihre Unruhe angesteckt. Das rechte Vorderbein ihrer grauen Stute wurde nach einem Verfahren, das er kürzlich erfunden hatte, behandelt; und im Stall war es, wo er Bé anvertraute, daß der gute, alte Herr etwas marode zu sein scheine, und daß es richtiger wäre, ihm jetzt nicht mit ihren Angelegenheiten zu kommen. Bé blickte, während sie der Stute den Hals streichelte, langsam und scheu zu ihm auf.

»Es ist was mit George«, meinte sie. »Ich weiß, es ist was mit George! Ach, Cecil! Ich wünschte, ich war' als Junge geboren!«

Tharp stimmte ihr instinktiv bei.

»Ja; ich denk' mir's scheußlich, ein Mädchen zu sein!«

Ein leises Rot färbte Bés Wangen. Es kränkte sie ein bißchen, daß er ihr beistimmte. Aber er merkte es nicht; sacht glitt seine Hand über das Schienbein der Stute.

»Es ist nicht leicht, mit Papa fertig zu werden«, fuhr sie fort. »Ich wünschte, George würde heiraten.«

Cecil Tharp hob seinen runden Kopf; sein offenes, gutmütiges Gesicht war auffallend rot vom Bücken.

»Wieder alles glatt und tadellos, Bé«, sagte er. »Die Stute ist ganz heil. Mir scheint, George amüsiert sich gut.«

Bé wendete das Gesicht ab und murmelte:

»Mir wär's gräßlich, in London zu leben.« Und dann beugte auch sie sich hinunter, um nach dem Schienbein der Stute zu sehen.

Für Mrs. Pendyce gingen in diesen Tagen die Stunden mit unglaublicher Langsamkeit dahin. Seit einigen dreißig Jahren hatte sie zugleich auf alles und auf nichts gewartet; sie besaß gewissermaßen alles, was sie sich wünschen mochte, und doch wiederum – nichts, so daß selbst das Warten schließlich seinen schmerzlichen Reiz verloren hatte. Aber so zu warten, wie jetzt, geradezu in Todesangst, auf etwas ganz Bestimmtes, das war furchtbar. Es gab kaum einen Augenblick, in dem sie nicht an George dachte, den sie einsam und von widerstrebenden Empfindungen zerrissen vor sich sah. Ihr, die durch Worsted Skeynes seit langem wie gelähmt war und die Tatsachen nicht kannte, erschien der Kampf in ihres Sohnes Seele übermenschlich; denn ihr mütterlicher Instinkt gab sich keiner Täuschung hin über die Größe seiner Leidenschaft. Mit wunderlichen, widerstreitenden Empfindungen erwartete sie das Resultat, bald mit der Vorstellung: ›Es ist Wahnsinn, er muß das Versprechen geben – es ist zu schrecklich‹ – und dann wieder: ›Aber wie kann er das, wenn er sie so liebt? Es ist ausgeschlossen; und sie – ach – wie schrecklich das alles ist!‹

Vielleicht war sie, wie Mr. Pendyce gesagt hätte, romantisch; vielleicht quälte sie aber nur der Gedanke an den Schmerz, den ihr Sohn erduldete. Und wie sie ihn in früheren Tagen, wenn ihm ein schmerzender Zahn gezogen werden sollte, in die nahe Stadt gebracht und mit seiner Hand in der ihren dagesessen hatte, indes der Zahnarzt zog, und sie jedesmal den Ruck in ihrem eigenen Mund gespürt hatte, so verlangte es sie jetzt danach, dieses andere so plötzliche, so schmerzhafte Herausreißen mit ihm zu teilen. Nur schien ihr dieser Zahn gar zu groß.

Mrs. Bellew gegenüber empfand sie nur eine Art von unbestimmtem, eifersüchtigem Weh; und das schien selbst ihr sonderbar – aber vielleicht war sie auch hier wieder romantisch.

In diesen Tagen erkannte sie den Wert einer streng eingeteilten Lebensweise. Ihre Zeit war so vollständig in Anspruch genommen, daß jede Angst unter die Oberfläche gedrängt wurde. Die Nächte aber waren um so schlimmer, denn da hatte sie nicht nur ihre eigene Qual zu tragen, sondern wie es sich für eine gute Ehefrau geziemte, auch die Sorgen von Horace Pendyce. Für den armen Gutsherrn war dies die einzige Zeit, in der er von Kummer freier war; absichtlich ging er jetzt viel zeitiger zu Bett. Und indem er sich immer dieselben Vermutungen und Vorstellungen wiederholte, kam er schließlich ein wenig zur Ruhe. Weshalb hatte George nicht geantwortet? Was fiel dem Jungen ein? Und so ging es fort und fort, bis er, durch diese Vorstellungen ermüdet, endlich Schlaf fand. Aber bei seiner Frau währten die Qualen fort, bis lange nachdem die Vögel, die mit verschlafenem Piepsen angefangen, im vollen Morgenchor sangen. Dann endlich drehte sie sich vorsichtig, um ihren Gatten nicht zu wecken, auf die andere Seite und schlief ein.

George hatte noch immer nicht geantwortet.

Bei ihren Vormittag-Besuchen im Dorf fand Mrs. Pendyce, zum erstenmal, seitdem sie diese Gewohnheit angenommen, daß ihr eigener Kummer sie über jene Grenzen scheuen Mißtrauens hinwegtrug, die sie stets von den Herzen ihrer ärmeren Mitmenschen getrennt hatte. Sie war erstaunt über ihren eigenen Mangel an Zartgefühl, darüber, daß sie Fragen stellte, sich in ihre Sorgen drängte, immer von einem geheimen Verlangen nach Ablenkung getrieben; und sie war überrascht, wie bereitwillig die Leute auf alles eingingen, ja, wie willkommen ihnen diese Anteilnahme zu sein schien, gleichsam, als ob sie wüßten, daß sie der Herrin damit etwas Gutes täten. In einem Häuschen, in welchem ihr schon seit einiger Zeit ein sehr blasses, dunkeläugiges Mädchen aufgefallen war, das jedem auszuweichen schien, begegnete sie sogar einem Anliegen. Dieses wurde ihr mit angstvoller Heimlichkeit in einem hinter dem Haus gelegenen Gärtchen, außer Hörweite von Mr. Barter, vorgetragen.

»Ach, gnädige Frau! Helfen Sie mir fort von hier! Ich hab' solche Angst – es dauert nicht mehr lange, und ich weiß nicht, was ich anfangen soll!«

Mrs. Pendyce fröstelte, und während des ganzen Heimweges dachte sie: ›Armes, kleines Ding!‹ und sie zerbrach sich den Kopf, wem sie den Fall anvertrauen, und wen sie um Beistand bitten konnte. Und etwas von der Furcht und Heimlichkeit des bleichen, dunkeläugigen Mädchens übertrug sich auf sie selbst, denn sie konnte niemanden finden – nicht einmal Mrs. Barter schien ihr geeignet, deren Herz, wenn es auch gütig war, doch zum Pfarrer hielt. Dann, wie durch eine Eingebung, kam ihr der Gedanke an Gregory.

›Wie soll ich an ihn schreiben –‹ überlegte sie, ›wo mein Sohn‹ –

Aber sie schrieb dennoch; denn in ihrem tiefsten Innern sagte ihr der Totteridge-Instinkt, daß andere für sie handeln müßten; und es verlangte sie danach, wenn auch noch so unmerklich, auf das hinzudeuten, was ihr Herz bedrückte.

Unter dem Pendyce-Adler und dem Motto: ›Strenuus aureaque penna‹ lautete der Brief:

Lieber Grig! Kannst Du etwas tun für ein armes junges Mädel hier im Dorf, das ›Malheur‹ gehabt hat? Du weißt, was ich meine! Hierzulande gilt das als ein arges Verbrechen, und das arme Ding sieht so verängstigt und jammervoll aus! Sie ist zwanzig Jahre alt. Sie braucht ein Versteck für ihr Mißgeschick und einen Platz, wo sie später bleiben kann. Niemand wird etwas von ihr wissen wollen, meint sie, wo die Leute es erfahren; und ich habe wirklich schon seit längerer Zeit bemerkt, wie blaß und elend sie aussieht mit ihren großen, angstvollen Augen. Ich möchte mich nicht an unsern Pfarrer wenden, denn, wenn er auch in mancher Beziehung gutmütig ist, hat er doch recht strenge Grundsätze, und auch Horace könnte natürlich nichts tun. Ich möchte ihr so gern helfen; und ich würde auch eine kleine Summe dafür zur Verfügung stellen. Aber mir fehlt die Gelegenheit, einen geeigneten Aufenthalt für sie zu suchen, und darin liegt die Schwierigkeit. Sie scheint auch von dem Wahn verfolgt zu werden, daß es, wohin immer sie sich wenden mag, doch an den Tag kommen muß. Ist das nicht schrecklich? Tu Du doch etwas, wenn Du kannst, in der Sache! Ich bin ein wenig in Sorge wegen George. Hoffentlich ist der Junge wohl. Wenn Du dieser Tage in die Nähe seines Klubs kommst, geh vielleicht hinein und erkundige Dich nach ihm, ja? Er ist zeitweise so schreibfaul. Ich wünschte, Du kämst mal hinaus zu uns, mein lieber Grig; es sieht gerade jetzt wundervoll hier auf dem Lande aus – besonders die Eichen; und die Apfelblüte ist noch nicht vorbei. Aber Du bist wohl zu sehr in Anspruch genommen, vermute ich. Wie geht es Helen Bellew? Ist sie in London?

Deine getreue Cousine
Margery Pendyce.

Um vier Uhr am selben Nachmittag kam der zweite Reitknecht zu dem Haushofmeister mit der Nachricht, daß es auf Peacocks Gehöft brenne. Der Haushofmeister eilte sofort ins Bibliothekzimmer. Der Gutsherr, der den ganzen Vormittag im Sattel gewesen, stand, noch in seinem Reitanzug, ermüdet und verstimmt, vor dem Plan von Worsted Skeynes.

»Was wünschen Sie, Brinton?«

»Gnädiger Herr, auf Peacocks Hof brennt es!«

Mr. Pendyce machte große Augen.

»Wie denn?« meinte er. »Feuer bei hellem Tag? Dummes Zeug!«

»Von den Vorderfenstern kann der gnädige Herr die Flammen sehen.«

Der bekümmerte, grämliche Ausdruck verschwand aus Mr. Pendyces Zügen.

»Läuten Sie die Stallglocke!« befahl er. »Lassen Sie alles mit Eimern und Leitern hinlaufen. Schicken Sie Higson auf der Stute nach der Stadt. Holen Sie den Herrn Pfarrer und trommeln Sie das ganze Dorf zusammen! Stehen Sie doch nicht so da – Mensch! Läuten Sie lieber die Stallglocke!« Und Hut und Reitpeitsche nehmend, lief er, gefolgt von seinem Hund, an dem Butler vorbei.

Über den Feldsteg und den Fußpfad entlang, quer durch ein Gerstenfeld, lief er in scharfem Trab; und sein Spaniel, der die Situation noch nicht erfaßt hatte, sprang, einigermaßen verwundert, lustig vor ihm her. Der Gutsherr kam bald außer Atem – es war zwanzig Jahre und mehr noch her, seitdem er eine Viertelmeile im Laufschritt gemacht hatte. Aber er verlangsamte das Tempo nicht. Weit vor ihm lief der zweite Reitknecht; hinter ihm ein Feldarbeiter und ein Lakai. Die Stallglocke auf Worsted Skeynes begann zu läuten. Mr. Pendyce überstieg wieder einen Feldsteg und kam auf einen schmalen Weg, wo er mit dem Pfarrer zusammenstieß, der auch rannte, mit einem Gesicht, rot wie eine reife Tomate. Sie liefen jetzt Seite an Seite.

»Eilen Sie voran!« keuchte Mr. Pendyce schließlich, »und sagen Sie den Leuten, daß ich komme.«

Der Pfarrer blieb stehen – auch er war ganz atemlos – dann begann er schwer atmend von neuem zu laufen. Der Gutsherr ging, die Hand gegen die Seite gepreßt, mühsam weiter; er hatte sich beim Laufen übernommen. Bei einer Wegbiegung sah er plötzlich blaßrote Flammenzungen gegen das Sonnenlicht aufflackern.

»Gott schütz' uns!«, stieß er hervor und begann vor lauter Schreck wieder zu laufen. Jene dräuenden Flammenbüschel zuckten hoch in die Luft über einer großen Scheune, einigen Heuschobern, den Stalldächern und Wirtschaftsgebäuden. Ein halbes Dutzend Menschen goß Eimer voll Wasser in die Flammen. Daß dieses Beginnen eigentlich vergeblich war, kam dem Gutsherrn gar nicht in den Sinn. Zitternd, mit schmerzhaften Stichen in der Lunge, warf er seinen Rock ab, entwand einem riesigen Feldarbeiter den Wassereimer, der ihn verdutzt fahren ließ, und schloß sich der Reihe der Löschenden an. Peacock, der Pächter, kam hinter ihm hergelaufen; sein Gesicht und sein roter, runder Bart glichen der Farbe der Flammen, die zu löschen er bemüht war; Tränen tropften langsam aus seinen Augen und rollten ihm über das feuerrote Gesicht. Seine Frau, ein kleines, dunkles Weibchen mit zusammengekniffenem Mund, arbeitete an der Pumpe wie ein Teufel. Mr. Pendyce rief ihr atemlos zu:

»Das ist furchtbar, Mrs. Peacock – ganz furchtbar!«

Der Pfarrer, der in seinem schwarzen Anzug und den weißen Hemdärmeln von den andern abstach, hieb mit einer Axt auf die Wand eines Kuhstalles ein, dessen Tür bereits in Flammen stand, und mit einer Stimme, die den Lärm übertönte, erteilte er Anweisungen, die von niemandem beachtet wurden.

»Was ist dem Kuhstall?« fragte schwer atmend Mr. Pendyce.

Mit einer Stimme, die ganz rauh klang vor Zorn und Jammer, antwortete Mrs. Peacock:

»Das alte Pferd ist drin und zwei von den Kühen!«

»Gott erbarm dich!« rief der Gutsherr und lief mit seinem Eimer weiter.

Ein paar Dorfbewohner kamen angestürzt, und er schrie ihnen entgegen; aber was es war, das hätten weder sie noch er selbst zu sagen gewußt. Das Brüllen und Wiehern der Pferde und Kühe, das Knistern der Flammen erstickte alle schwächeren Laute. Von menschlichen Stimmen drang nur die des Pfarrers durch, die man zwischen den krachenden Hieben seiner auf das Holzwerk treffenden Axt vernahm.

Plötzlich schwankte Mr. Pendyce; der Eimer entfiel seiner Hand; er stürzte zu Boden und blieb liegen, vor Erschöpfung unfähig, sich zu rühren. Er vernahm aber noch die Axtschläge des Pfarrers und den Ton seiner Befehle. Dann half ihm irgend jemand auf die Beine; er zitterte so, daß er kaum stehen konnte, entriß aber doch einem kräftigen jungen Burschen, der eben gekommen war, die Axt und schlug, sich dem Pfarrer an die Seite stellend, mit schwachen Händen gegen die Bretterwand.

Rauch und Flammen erfüllten jetzt den ganzen Stall und drängten zu der Öffnung heraus, die sie eben mit ihren Äxten schufen. Der Gutsherr und der Pfarrer hielten tapfer aus. Mit einem kraftvollen Schlag schaffte Mr. Barter endlich freie Bahn. Beifallsrufe ertönten hinter ihm, aber kein Tier kam zum Vorschein. Alle drei waren in Rauch und Flammen umgekommen.

Der Gutsherr, der hineinblicken konnte, schleuderte die Axt beiseite und bedeckte die Augen mit der Hand. Der Pfarrer stieß einen Laut aus, der wie eine kräftige Verwünschung klang; und auch er schleuderte die Axt fort. – –

Zwei Stunden später stand der Gutsherr mit zerrissenen, geschwärzten Kleidern vor den Überresten der Scheune. Das Feuer war gelöscht, aber in der Asche schwelte es noch. Verängstigt und keuchend leckte der Spaniel an den Stiefeln seines Herrn, als bäte er um Verzeihung dafür, daß er sich so hatte schrecken lassen und nicht näher gekommen war. Aber etwas in seinem Blick schien doch zu sagen:

›Müssen solche Feuersbrünste wirklich sein, Herr?‹

Eine geschwärzte Hand griff den Gutsherrn beim Arm; eine heisere Stimme sagte:

»Ich werd's nicht vergessen, Gutsherr!«

»Ih was, Peacock!« entgegnete Mr. Pendyce. »Das war doch gar nichts! Ich hoffe, Sie sind versichert?«

»Freilich – ich bin versichert; aber ich denk' jetzt bloß an die armen Viecher!«

»Oh!« sagte der Gutsherr mit einer Bewegung des Grauens.

Das Coupé führte ihn mit dem Pfarrer zusammen heimwärts. Unter ihren Füßen hatten ihre beiden Hunde es sich bequem gemacht, die einander anknurrten. Ein Hochrufen der versammelten Dorfgemeinde begleitete ihre Abfahrt.

Schweigend, todmüde saßen sie da. Plötzlich sagte Mr. Pendyce:

»Ich werde den Anblick der armen Tiere nicht los, Barter!«

Der Pfarrer fuhr sich mit der Hand über die Augen.

»Ich hoffe zu Gott, daß ich nie wieder so etwas mit ansehen muß. Die armen Geschöpfe! Die armen Geschöpfe!«

Und verstohlen nach dem Kopf seines Hundes fassend, hielt er seine Hand gegen dessen warme, weiche, glatte Schnauze, um sich wieder und wieder lecken zu lassen.

In seiner Ecke des Coupés tat Mr. Pendyce ebenso verstohlen ganz dasselbe.

Der Wagen hielt zuerst vor dem Pfarrhaus, wo Mrs. Barter und die Kinder vor der Tür standen. Der Pfarrer steckte den Kopf in den Wagen zurück und sagte:

»Guten Abend, Pendyce. Morgen werden Ihnen alle Glieder steif sein! Ich lasse mich nachher von meiner Frau mit Franzbranntwein einreiben.«

Mr. Pendyce nickte, lüftete den Hut, und der Wagen fuhr weiter. Er lehnte sich zurück und schloß die Augen; eine wohltuende Empfindung beschlich ihn. Na ja, ein wenig steif würde er morgen wohl sein, aber er hatte seine Pflicht getan. Er hatte ihnen allen gezeigt, was Rasse bedeutete; er hatte etwas zur Stärkung jenes Systems getan, das in ihm selbst verkörpert war. Und eine neue, freundlichere Empfindung für Peacock war auch in ihm erwacht. Es gab nichts Besseres als ein wenig Gefahr, um die unteren Klassen einem näher zu bringen; denn dann erst wurden sie sich der Notwendigkeit eines Führers, eines Schutzes bewußt!

Zwischen seinen Knien hob sich des Spaniels Kopf, und der Hund sah zu ihm hinauf.

›Herr‹, schien er zu sagen, ›ich fühle mich alt. Ich weiß, daß es in diesem Leben Dinge über meinen Hundeverstand hinaus gibt; aber du, der du alle Dinge kennst, wirst dafür sorgen, daß wir zwei beisammen bleiben, auch wenn wir sterben.‹

Der Wagen hielt am Eingang der Allee, und die Gedanken des Gutsherrn nahmen eine andere Richtung. Vor zwanzig Jahren hätte er, beim Laufen auf jener Straße, Barter geschlagen. Barter war erst fünfundvierzig Jahre alt. Ihm vierzehn Jahre vorauszuhaben und ihn zu überholen, das war ein bißchen zu viel verlangt. Er empfand eine sonderbare Mißstimmung gegen Barter – der Mensch hatte sich sehr gut benommen! Überall seinen Mann gestanden! Franzbranntwein war zu stark! Flüchtiges Liniment war das richtige. Margery mußte ihn einreiben! Und plötzlich, als gehörte das ganz selbstverständlich zum Namen seiner Frau, mußte Mr. Pendyce an George denken, und mit dem kurzen Ausruhen von seinem Kummer war's vorbei! Aber der Spaniel John, der das Zuhause witterte, begann, weil er hinaus wollte, leise zu winseln und mit dem Schweife aufgeregt gegen seines Herrn Stiefel zu schlagen.

Mit steifen Gliedern, gerunzelter Stirn und bebender Unterlippe stieg der Gutsherr aus dem Wagen und begann mühsam die Treppe zum Zimmer seiner Frau hinaufzusteigen.

 


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