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Die dichtenden Frauen haben vor den dichtenden oder künstlerisch schaffenden Männern einen Vorzug voraus. Sie schaffen mit größerer Unmittelbarkeit, mit unbefangenerer Hingabe an die Eingebungen ihres Talents und ihres eigensten Gefühls, und während sie die künstlerische Seite ihrer Arbeit oft dem Triebe ihrer rasch erzeugenden Einbildungskraft opfern, strömen sie in ihren Werken, welche so oft den Charakter der Improvisation tragen, desto wärmer und rückhaltloser den vollen Gehalt ihrer Seele aus. Daher liegt auf den Schriften der Frauen zumeist ein Gepräge von Wahrheit und Wärme, sowie sie auch nur da, wo sie ihren Schöpfungen dieses Gepräge verleihen konnten, große Erfolge erreicht haben, während Compositionen im großen Stil, welche das klare Bewußtsein eines echt künstlerischen Genius herausfodern, durch schaffende Frauenhände selten einen befriedigenden Abschluß erhielten.
Mehr aber als jeder andere Künstler tritt der Dichter uns persönlich nahe, sodaß wir hinter den Gebilden seiner schaffenden Phantasie und hinter dem Rahmen der Gedanken, mit denen er sie umgibt, am Ende zumeist doch ihn selber suchen und, wenn er uns theuer werden soll, von seinem Selbst und der Art, wie es sich bietet, angezogen sein wollen. Wie oft ist unsere Lecture nichts Anderes, als eine stille, unbewußt vorgenommene Zergliederung des Schriftstellers, der uns eben beschäftigt! Indem wir beim Lesen auf den Ausdruck eines tiefen Gefühls oder einen glänzenden Gedanken stoßen, rufen wir häufiger aus: »welcher überlegene Geist!« »welcher scharfe Denker!« – als: »welch wahre Behauptung!« »welch zutreffender Ausspruch!« – Und so dienen die Dinge, die ein Autor sagt, findet, glaubt oder erdichtet, als einzelne Züge, aus welchen wir uns das Bild seines persönlichen Charakters zusammenstellen. Der Erfolg, den nur die Schriftsteller feiern, welche sich in einem gewissen Gebiete und in einer gewissen Weise des Auftretens gleichbleiben, während wechselreiche Thätigkeit abstößt – dieser Erfolg steht in gerader Verbindung mit unserer eigenthümlichen Foderung an den Dichter, daß er dem persönlichen Eindrucke, den er uns einmal gemacht, treu bleiben soll. Ein alter Bekannter, ein Freund, soll er nicht neue Charakterseiten hervorkehren, in welche wir die Unbequemlichkeit haben, uns neu finden zu müssen.
Echt weiblich schaffende Frauen haben mithin, wenn ihr Dichten von wahrer Begabung bedingt ward, sich leicht Sympathien erworben, weil es ihnen gegeben, rasch die Fülle ihres Innern darzulegen und so persönlich anzuziehen. In hohem Grade gilt dies von der zu früh geschiedenen Frau, deren reifste und gelungenste Arbeiten wir in diesem Buche zusammengestellt haben. Wol keine Schriftstellerin hat bei ihrem Schaffen ihrem Genius unbefangener und treuer sich hingegeben und deshalb wärmer und wahrer aus der Fülle ihres eigenen Herzens und ihrer Empfindung geschrieben. Und weil dieses Herz groß und edel schlug, diese Empfindung klar und lauter wie Gold, der Ausdruck derselben aber von einer innern Harmonie der Seele und einer großen Anmuth der Auffassung getragen war, mußten ihre Schöpfungen, so anspruchlos und an zerstreuter Stelle auch immer sie geboten wurden, dennoch einen großen Reiz auf die Leser üben. Die Schriften von Louise von Gall sind eben sie selbst, sie sind Gebilde ihres eigensten und persönlichsten Seins; sie sind der Spiegel eines Wesens, in welchem eine Fülle von Wohlwollen ruhte, das eine tiefe Religiosität und Gottesfurcht, der liebenswürdigste Enthusiasmus für das Schöne und eine bewundernswürdige Elasticität des Geistes beseelten, kurz eines reichbegabten Genius voll der Hoheit einer einfachen, starken, vom Schmerze wol berührten und geweihten, aber nicht gebeugten Seele. – Zur Ergänzung des Bildes aber, welches die nachfolgenden Seiten von ihrer Verfasserin geben, senden wir eine kurze Skizze ihrer äußern Erlebnisse voraus.
Johanne Udalrike Louise von Gall wurde am 19. September 1815 zu Darmstadt geboren. Sie gehörte einer alten Freiherrnfamilie an, welche, ursprünglich aus Schwaben stammend, seit mehren Generationen sich in hessischem Dienste, zumeist durch militärische Talente, ausgezeichnet hat. Ihr Großvater hatte ein kurhessisches Corps während des nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieges unter Lord Howe commandirt. Das Andenken an die hervorragenden Leistungen und die Tapferkeit ihres Vaters lebt noch unter den ältern Offizieren des wegen seiner militärischen Tüchtigkeit seit je so geachteten großherzoglich hessischen Truppencorps. Er hatte sich früh dem Soldatenstande gewidmet und rasch die verschiedenen Stufen der militärischen Hierarchie durchlaufen. Als die Streitkräfte seines Kriegsherrn dem französischen Kaiser nach Rußland folgen mußten, nahm er als Oberst des hessen-darmstädtischen Leibregiments an allen Schlachten und allem Elend dieses Feldzugs Theil. Nach der Rückkehr zum General ernannt, aber von seiner stürmischen Kampflust immer vor die Fronte seiner Truppen geführt, hatte er in der Schlacht des 18. und 19. October 1813 sich im Kampfe zu weit hinreißen lassen und war in den Straßen von Leipzig gefangen genommen worden. Bald darauf durch den Uebertritt der hessischen Truppen zu den Alliirten befreit, nahm er in den Reihen des deutschen Heeres an dem Feldzuge des Jahres 1814 in Frankreich Theil. Der Feldmarschall Prinz von Hessen-Homburg hatte ihn dort mit dem Commando der Avantgarde des österreichisch-alliirten Heeres im südlichen Frankreich betraut. Am 20. März jenes Jahres hatte er an der Spitze österreichischer und hessischer Freiwilligen den Schlüssel der Befestigungen von Lyon, das Fort St.-Georges, durch einen Sturmangriff mit dem Bayonnet genommen. Napoleon hatte ihm früher mit eigener Hand das Offizierkreuz der Ehrenlegion auf die Brust geheftet; nach der letzterwähnten Waffenthat überreichte ihm der Prinz von Hessen-Homburg vor der Fronte der dazu ausgerückten Truppen die höchste aller militärischen Auszeichnungen, den österreichischen Maria-Theresia-Orden. Im Begriff, an dem Feldzuge von 1815 Theil zu nehmen und mit jungen feurigen Pferden zu einer Truppeninspection von Darmstadt nach Karlsruhe reisend, ward er bei Bruchsal von seinem flüchtigen Gespann, das Buben mit Steinwürfen erschreckt hatten, aus dem Wagen auf die Chaussée geschleudert. Tödtliche innere Verletzungen waren die Folge. Er wurde nach Bruchsal gebracht, wohin seine Gattin zu seiner Pflege eilte, um an seinem Schmerzenslager noch vierzehn Tage lang zwischen der entsetzlichsten Angst und aufwallenden Hoffnungen zu schwanken. Aber die letztern schwanden – noch erhielt Gall den Besuch des durchreisenden Erzherzogs Karl, der mit feuchtem Auge ihm die Hand zum Abschied drückte – nach wenig Stunden war der tapfere Soldat, der noch in der Blüte seines Lebens stand und eine glänzende Laufbahn vor sich hatte, eine Leiche – getödtet durch einen unseligen Zufall, nachdem er unverletzt aus allen großen Schlachten der Zeit hervorgegangen war und ein solches Glück, ohne Wunden aus den mörderischsten Kämpfen zurückzukehren, gehabt hatte, daß seine mit Begeisterung an ihm hangenden Soldaten sich zuflüsterten, er besitze einen Waffensegen und wedle sich mit dem Taschentuche die Kugeln ab.
Sein einziges Kind wurde nach seinem Tode geboren. Die Katastrophe, welche dem Leben des Vaters ein so trauriges Ende gesetzt hatte, konnte nicht ohne Folgen auf die körperliche Organisation der Tochter geblieben sein. In der That war diese ein zartes Kind von reizbarster Constitution. Aber die treue, unablässig über sie wachende, sich stets selbst vergessende und aufopferungsvolle Hut der Mutter, welche ihre einzige Bestimmung nur noch in der Erziehung ihres Kindes erblickte, erhielt dieses dem Leben. Sie sah es zu ihrer Freude in auffallend rascher Entwickelung zu schönster Bildung heranreifen. Die hohe und volle Gestalt des jungen Mädchens trug das Gepräge der glänzenden und ritterlichen Erscheinung ihres Vaters. Die hohe Stirn, die edeln, schönen, geistig so belebten und sprechenden Züge spiegelten ganz sein Aeußeres wieder.
Noch rascher fast wie ihre körperliche war ihre geistige Entwickelung. Die Natur hatte auf ihr Haupt verschwenderisch eine Fülle von Gaben gelegt. Mit fünf oder sechs Jahren sprach sie geläufig drei Sprachen, Französisch, Englisch, Deutsch. Bald nachher, nachdem der erste Unterricht in der Musik und im Singen darauf hingeführt, war auch Italienisch hinzugekommen. Ein brennender, mit der größten Leichtigkeit der Auffassung verbundener Wissensdurst in ihr bemächtigte sich mehr, als er lernte, der Unterrichtsgegenstände, und erregte die stete Verwunderung der Lehrer. Die Aufgabe der Erziehung bestand nur darin, diesen Lerneifer zu zügeln, um ihn nicht auf Kosten einer nervös so reizbaren Organisation sich befriedigen zu lassen.
Die weitere Entwickelung des jungen Mädchens erfüllte alle Verheißungen, welche das geistige Erwachen des Kindes gegeben hatte. Heiter und rückhaltlos den Vergnügungen, den zerstreuenden Eindrücken und den Interessen eines jungen Mädchenlebens sich hingebend, wurde sie doch nie der angeborenen höhern Richtung ihrer Natur untreu. Sie setzte ämsig ihre Studien fort, sie dichtete, sie begann eine metrische Uebersetzung Lord Byron's – und immer mehr trat dabei eine in großen, genialen Zügen angelegte Natur hervor, an der die Erziehung der Mutter, einer edeln Frau voll seltener Bildung, nichts zurückzudrängen brauchte und nichts verkümmerte; es war eine vom Glück gesegnete Individualität, welche in sich selber, in ihrem eigenen klaren und natürlichen Wesen unbewußt Gesetz und Regel der innern Harmonie trug. Das Andenken aber an das eigenthümlich innige Verhältniß, welches in jener Periode ihres Lebens zwischen Mutter und Tochter herrschte, hat Louise von Gall immer die Feder geführt, wenn sie später mit Vorliebe ähnliche Verhältnisse schilderte. So noch in ihrer letzten vollendeten Arbeit, der Erzählung unsers zweiten Theils: »Der Nebenbuhler im Traum.«
Nachdem die Verstorbene den größten Theil ihrer Jugend in Darmstadt verlebt hatte, führte die Mutter, um sie zu ihrer Ausbildung den Kreisen eines großstädtischen Lebens nahezubringen, ihre Tochter im Jahre 1840 nach Wien. Hier schien sich vor allem ihr musikalisches Talent, welches nun die Förderung eines ausgezeichneten Unterrichts erhielt, als die hervorragendste Seite ihrer Begabung herauszustellen. Mit einer außerordentlich schönen Sopranstimme von seltenem Umfange begabt, trug sie oft mit einer Begeisterung, welche Alles, was von tiefem Gefühl, Schwung und Idealismus in ihrer Seele lag, erweckte und stürmisch aufwogen ließ, die großen Arien Bellini's und Meyerbeer's dem engsten Kreise Bekannter vor – sobald dieser Kreis sich erweiterte, lähmte jedoch unüberwindliche, mädchenhafte Befangenheit, die sie auch später nie überwand, diese schöne und mächtige Stimme. Aber bald darauf nahm ihr Talent eine andere, mit Lebhaftigkeit verfolgte Richtung. Unter den Männern von Auszeichnung, die sich in Wien in das Haus ihrer Mutter einführen ließen, wie Zedlitz, der Astronom Littrow u. s. w., war auch Friedrich Witthauer, der damals die gediegene »Wiener Zeitschrift« redigirte. Er war es, der das dichterische Talent des jungen Mädchens erweckte und sie zu kleinen Erzählungen und Lebensbildern anregte, welche er in seinem Journal veröffentlichte.
An den wiener Aufenthalt knüpfte sich für die Verstorbene ein herber Verlust. Nachdem sie selbst durch eine Gehirnentzündung an den Rand des Grabes geführt worden, verlor sie am 3. August 1841 durch den Typhus ihre treue, nur für sie und in ihr lebende Mutter. Sie stand plötzlich einsam und verwaist inmitten der großen Stadt. Doch ließ ein günstiges Schicksal theilnehmende Freunde der Mutter in Wien anwesend sein, welche Alles aufboten, ihren Schmerz zu lindern. Auch diente eine Reise mit einer befreundeten Familie auf deren Güter in Ungarn dazu, dem elastischen Geiste des jungen Mädchens den Muth zum Leben wiederzugeben. Sie kehrte dann nach Darmstadt zurück, wo sie im Hause des Bruders ihres Vaters eine liebevolle Aufnahme fand.
Zur Zerstreuung von ihrem Schmerz wandte sie hier sich der Fortsetzung jener literarischen Thätigkeit zu, deren erste Versuche wir eben durch den Aufenthalt in Wien angeregt sahen. Das literarische Interesse fand zudem eine neue Anregung, als Louise von Gall im Sommer 1842 ein paar Monate lang um des Gebrauchs der Rheinbäder willen einen Aufenthalt in St.-Goar machte, wo Freiligrath und Simrock, Longfellow und Emanuel Geibel damals wohnten oder als Gäste einkehrten. Sie wagte sich an umfangreichere Compositionen. Größere Novellen, die mit unglaublicher Raschheit von ihr auf das Papier geworfen wurden, theilte das stuttgarter »Morgenblatt« mit; sie ließen einen entschiedenen Beruf erkennen. Es verrieth sich darin eigenthümlicherweise keine Feder, die sich erst auszuschreiben, kein jugendlich gährender Most, der sich erst zu klären hatte; diese so leicht hingeworfenen Improvisationen enthielten in einer klaren und eleganten Form anziehende Lebensbilder aus den Kreisen, welche die Verfasserin Gelegenheit hatte zu beobachten, und deren Spiegelbild ihr Auge in heiterer und edler Auffassung zurückstrahlte. Treffende Bemerkungen und geistreiche Gedanken gaben diesen Novellen doppelten Werth. Sie fanden deshalb einen ungetheilten Beifall, und schon bald nachher, als die Verfasserin sie zu einem Buche: »Frauennovellen von Louise von Gall« (Darmstadt 1845) zusammenstellte, urtheilte Hillebrand in der ersten Auflage seines bekannten Werkes: »Die deutsche Nationalliteratur seit Lessing« (Hamburg 1846) von ihr: »… Diese Genossinnen übertrifft indeß insgesammt Louise von Gall. Sie besitzt überhaupt unter allen romandichtenden Frauen der Gegenwart wol die meiste Eigenthümlichkeit und stellt sich in ihrer Art mit der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff zusammen, die, obgleich ihrerseits im Fache der poetischen Erzählung nicht ohne Talent, doch, wie wir gesehen, besonders in der Lyrik sich vor den meisten ihrer poetischen Schwestern auszeichnet. Louise von Gall zeigt Ursprünglichkeit, tiefe Auffassung, kräftige Ausführung und reines Gepräge des Ausdrucks, wobei freilich Erfindung und compositive Anordnung Manches zu wünschen übrig lassen. Auch in der Stellung der Charaktere vermißt man noch oft das rechte Verhältniß. Wir weisen vornehmlich auf ihre ›Frauennovellen‹ hin, welche indeß keineswegs insgesammt der Gefühlsnovelle angehören, jedoch meistens in dem Kreise des Reinmenschlichen sich ergehen und außerhalb der eigentlichen Gesellschaftssphäre liegen, deren Farbe man freilich im Allgemeinen in der Behandlung wol verspüren kann.«
Während des Aufenthalts in Darmstadt, im Hause ihres Oheims, des Geheimen Raths und Landjägermeisters von Gall, hatte ein gemeinsamer Freund und ein literarisches Interesse eine briefliche Verbindung zwischen Louise von Gall und dem Verfasser dieser Zeilen veranlaßt, der damals als Erzieher des Prinzen Wrede auf den Gütern dieses fürstlichen Hauses in Baiern und in Oesterreich lebte. Diese Verbindung führte bald zu einem warmen und innigen gegenseitigen Interesse, aus dem ein Bund für das Leben wurde, als Jener im Frühjahr 1843 nach Darmstadt kam. Der Sommer wurde von Beiden am Rheine und in Darmstadt verlebt, im October 1843 fand die Trauung statt, und die beiden Gatten wählten Augsburg zu ihrem Aufenthalte, wo ein anregender, zum Theil um die »Allgemeine Zeitung« sich gruppirender, oft durch Fremde von bekanntem Namen, wie Liszt, Lenau, Fallmerayer, Hormayr, Zedlitz u. s. w., erweiterter Kreis treuer Freunde, Gustav Kolb, Friedrich List, Karl Ritter (von Binzer), sie mit großem Wohlwollen aufnahm. Eine Reise in die Schweiz und ein kurzer Aufenthalt in Meersburg am Bodensee (1844) vermittelte die persönliche Bekanntschaft mit der mütterlichen Freundin ihres Mannes, mit Annette von Droste zu Hülshoff, welche dort auf der alten Dagobertsburg, dem an wissenschaftlichen und Kunstschätzen wie an Erinnerungen so reichen und wegen seiner Gastlichkeit berühmten Schlosse ihres Schwagers, des gelehrten und ritterlichen Freiherrn von Laßberg, wohnte. – Im folgenden Jahre wurde eine Reise nach Ostende und ein kürzerer Aufenthalt in Bonn Veranlassung, nach Köln zu ziehen, weil dem Verfasser dort ein Wirkungskreis in der Redaction des Feuilletons der »Kölnischen Zeitung« geboten wurde. Das Jahr 1847 erfüllte dann einen lange gehegten Seelenwunsch der Verstorbenen, es führte sie mit ihrem Gatten und ihren zwei unterdeß geborenen Kindern nach Italien. Die Reise berührte Paris, das südliche Frankreich, Genua, dessen stille elegische Majestät einen unbeschreiblichen Zauber auf sie übte, Livorno, Pisa, Civita-Vecchia. Einem längern Verweilen in Rom folgte ein kürzeres in Neapel. Bei dem weiten Umfange von Kenntnissen und Interessen, welchen ihr elastischer Geist beherrschte, der allen großen Erscheinungen gegenüber so leicht zu einem frohen Enthusiasmus sich hinreißen ließ, mußte sie die tiefsten Eindrücke von diesem römischen Aufenthalt empfangen – mochten dieselben nun durch die Denkmale des classischen, die großen Schöpfungen des christlichen, die Kunst des neuen oder die politischen Hoffnungen des neuesten Roms und den damals vergötterten Ausdruck der letztern, den milden und edlen Pio Nono zunächst erregt werden. Wird ja ohnehin Jedem, welcher den Winter von 1847 auf 1848 in Rom verlebte, diese Zeit unvergeßlich sein. Ein günstiger Zufall führte zudem damals einen Kreis geistreicher und liebenswürdiger Menschen in Rom zusammen, der den Reiz des Aufenthalts um Vieles erhöhte. Wir nennen Wilibald Alexis, Gustav zu Puttlitz, Jerichaus, Bodenstedt u. s. w., wozu sich einheimische Freunde, wie Dr. Emil Braun, Professor Orioli und Andere gesellten. Interessante musikalische Kreise bildeten Abbate Santini und der norwegische Stiftshauptmann von Thyggesen, in deren Salons sich ein bedeutender Bruchtheil Dessen, was Rom von ausgezeichneten Namen besaß, regelmäßig versammelte. Und so waren denn die Eindrücke, welche das tiefe und unbeschreiblich lebhafte Gefühl der Verstorbenen aus Italien mit heimbrachte, welche sie erhalten hatte inmitten einer in sanguinischen Hoffnungen berauschten, südlich-enthusiastischen Nation, ganz unauslöschlich. Gehörte doch ihre eigene Natur mit ihrem sonnig-heitern Idealismus, ihrer seltenen Erregbarkeit und dem vollen warmen Herzen selbst so ganz dem Süden an! Auch blieb ein wahres Heimweh dahin seitdem in ihrer Seele zurück. Wie oft nachher noch traten Rückert's Verse auf ihre Lippen:
O könnten wir wandern allzugleich
Gen Süden aus dem Norden
O daß ein leichtbeschwingter Wind
Uns beide nähm' auf die Flügel,
Und trüge dahin uns frühlingslind
Zur Stadt der Sieben Hügel! – –
Nach der Heimkehr aus Italien, im April 4848, weilte Louise von Gall mit ihrem Manne bis zum Jahre 1853 wieder in Köln. Mit heiterer Unermüdlichkeit unterzog sie sich hier zu gleicher Zeit den Aufgaben der Hausfrau und der sorglichen Pflege ihrer Kinder, den Pflichten der Gastlichkeit und den Anfoderungen der Gesellschaft, folgte allen bedeutenden literarischen Erscheinungen, übte ihr musikalisches Talent, schrieb und dichtete und nahm lebhaften Theil an den literarischen Arbeiten der Freunde – und lebte doch am Ende, wie eine echte deutsche Hausfrau, nur ihrem Gatten! Doch hatte das Leben im vielbewegten Köln zu viel des Zerstreuenden und in Anspruch Nehmenden, dem sie sich seit längerer Zeit zu entziehen wünschte. Darum verließ sie im Herbst 1853 das rebenumsponnene, in einer grünen Gartenwelt liegende Haus neben der schönen Apostelkirche, das Haus, welches sechs Jahre hindurch für sie eine gestalten- und gedankenreiche Welt umschlossen, dessen Schwelle so viele treue und liebe Freunde überschritten hatten – um mit ihrem Manne dessen Besitzung (Sassenberg bei Münster) in Westfalen zu beziehen. Ein Leben auf dem Lande, in völliger Abgeschiedenheit, hatte anfangs große Reize für sie. Aber das Klima sagte ihr weniger zu, während sie zugleich sich mit zu selbstvergessender und rückhaltloser Hingabe ihren mütterlichen Pflichten unterzog, besonders um ein im Herbst 1854 um sechs Wochen zu früh geborenes Kind dem Leben zu erhalten. Stille, aber unabweisbare Todesahnungen kamen über sie. Das Leben des jüngstgeborenen Kindes erlosch im December 1854, leise wie ein verglimmendes Licht. Der Gram und die tiefe Erschütterung darüber vermehrten ihr Unwohlsein. So fand die Krankheit, welcher sie am 16. März 1855 erlag, die Pfade geebnet. Ein heftiges Fieber ging nach vierzehntägigem Leiden in eine Lungenlähmung über, deren Fortschritte sie, während sie bewußtlos schlummerte, der Erde entführten. Wie sie ins Leben getreten, so schied sie daraus um die Stunde des Mittags, auf der Mittagshöhe des Lebens stehend – ein sonniger Geist, dessen Flügelschläge alle dem Tage und dem vollen Lichte zustrebten, in dessen Sphären sie jetzt aufgenommen ist.
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Außer einer Reihe von Novellen und Erzählungen schrieb Louise von Gall – sie behielt diesen Autornamen bei, weil ihr Talent darunter schon vor ihrer Verheirathung bekannt geworden und sich Freunde erworben hatte – während ihres Aufenthalts in Köln zwei Romane: »Gegen den Strom« (Bremen 1851) und »Der neue Kreuzritter« (Berlin 1853). Beide bezeugen einen großen und entschiedenen Fortschritt gegen ihre frühern Arbeiten, sowol durch die tiefere Auffassung des Lebens, als durch die Sorgfalt der Ausführung und die Anlage der Composition. Auch ein anmuthiges Talent für die Bühne entwickelte sich in Köln; ein erstes Lustspiel in zwei Acten: »Ich hab's gewagt«, fand Beifall bei mehren Aufführungen, ebenso ein zweites: »Die gnädige Frau«, und das dritte, »Ein schlechtes Gewissen« hatte den entschiedensten Erfolg auf vielen Bühnen. Eine Anzahl ihrer Novellen ist gesammelt in den »Familiengeschichten von Levin Schücking und Louise von Gall« (4 Bändchen, Prag 1854).
Als gelungenste Schöpfungen ihres Talents betrachtete die Verstorbene jedoch die hier vorliegende Sammlung ausgewählter Arbeiten, welche sie selbst noch vorbereitete. Sie wollte darin ein ganzes und umfassendes Bild von Frauenleben und Frauengemüth bieten. Die einzelnen Bestandtheile der Sammlung sollen einer einzelnen Phase der weiblichen Entwickelung oder einer einzelnen Seite des weiblichen Charakters und Herzens entsprechen. »Eine Leidenschaft« z. B. soll das junge Mädchen mit seinen idealen Träumen, seinem Phantasieleben und seinen Launen, »Der Nebenbuhler im Traum« eine junge Frau, »Die fromme Lüge« eine Mutter, »Frauen-Diplomatie« die kluge, »Eine Gastrolle« die geniale Frau, »Das Armband« die Künstlerin, »Die Gefährlichen« die alte Jungfer zeichnen u. s. w.
Und so bieten wir denn als ein Vermächtniß dieses Werk der Lesewelt, hoffend, daß sie mit uns in diesen Bildern des Lebens einen großen Reichthum an Geist und Anmuth, eine scharf zutreffende und kluge Beobachtung finden werde: eine Intelligenz, welche mit einer genialen Entschiedenheit und Raschheit auf ihr Ziel losgeht und mit fester Hand den zeichnenden Griffel führt; die in eigenthümlicher Weise Sinn und Verständniß für das reale Leben der idealistischen Richtung und dem poetischen Seelenschwunge zu gesellen weiß; die vor allem von einem lebhaften Gerechtigkeitsgefühle beseelt ist, das sich besonders dann ausspricht, wenn es eine Apologie des Charakters und Wirkens der Frauen gibt, wie feindlich fern dasselbe auch jeder Emancipationssucht bleibt … ein Wesen endlich voll echter Weiblichkeit und Klarheit, dessen bestes Symbol jenes Bild eines Schwans sein würde, das die Umschrift führt:
Tangor sed non tingor undis.
L. S.
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