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Drittes Kapitel.

Der Kaiser von Pulitz.

Seit dem zuletzt geschilderten Abend keimte in Waldemars Brust ein tiefes Mitleid für Magnus Brahe auf, viel tiefer, als er es bisher empfunden. Bis jetzt hatte er immer nur des Freundes Verirrung beklagt, seine Neigung auf ein so wertloses Wesen, wie Gylfe es in seinen Augen war, gerichtet zu haben, nun aber bedauerte er ihn innig, denn es war, er wußte nicht wie es kam, eine Art Verständnis für die Gefühle desselben mit der Ahnung in ihm aufgedämmert, wie schmerzlich und demütigend es für einen Mann sein müsse, Liebe für ein Geschöpf gefaßt zu haben, von dem er sich sagen müsse, daß es dieser Liebe nicht wert sei. O, und wie wunderbar war es außerdem, daß, je mehr er Magnus beklagte und je innigeren Anteil er an den Schmerzen seines zerrissenen Herzens nahm, er um so ruhiger, unbekümmerter um seine eigenen Angelegenheiten wurde, denn, war ihm über Nacht ein glückweissagender Stern erschienen, hatte die fröhliche Sonne eine nie gehegte Hoffnung in sein Herz gepflanzt oder war eine unbekannte gütige Fee mit ihren Gaben in dasselbe geschlüpft? – genug, er sah alles um sich her in glänzenderen Farben, sein Mut war zehnfach gewachsen, sein Unternehmungsgeist traute sich fast Unmögliches zu, und in seinem ganzen Verhalten sprach sich ein so zufriedenes, vertrauendes Gemüt aus, daß Adam Sturleson Mutter Talke wiederholt darauf aufmerksam machte, indem er sagte: es scheine, als übe die Luft auf Pulitz eine ganz verschiedene Wirkung auf die beiden Menschen aus. Graf Brahe schleiche von Tage zu Tage trüber, in sich versunkener dahin, Waldemar aber erhebe kühner denn je sein Haupt und spreche bisweilen sogar von dem Kriege, als wäre er schon beendigt, und die Segnungen des Friedens ständen vor der Tür, Land und Meer mit nie endendem Sonnenschein erfüllend und eine vollkommen glückliche Zukunft verheißend.

»Na,« sagte der alte Schwede etwa acht Tage nach obigem Besuche zu seiner Frau, »ich habe es mir wohl so gedacht, wie es gekommen. Mutter, halt' einmal den Kopf in die Höh' und schaue ins Weite – da sehe ich –«

»Na, was siehst du denn schon wieder?«

»Fahre mich doch nicht gleich so an, Alte, wenn ich dir ein Gesicht beschreiben will. Nun bist du schuld daran, daß es fort ist und ich gar nichts mehr sehe.«

»Ich habe auch noch nichts gesehen, doch kann ich mir denken, was du sagen wolltest. Ja, die Hille liebt den Granzow, sie liebt ihn, sage ich dir, wie nur ein Weib einen so undankbaren Mann lieben kann, wie Ihr alle es seid –«

»Oho! Bist du noch nicht fertig mit deinem Gesicht?«

»Nein, noch nicht – und der Waldemar macht sich nicht das geringste aus ihr, denn sonst würde er neulich gleich am Morgen mit ihr in den Wald gelaufen sein und ihr sein Herz ausgeschüttet haben.«

Der alte Schwede machte ein ernstes Gesicht, was ihm selten bei solchen scherzhaften Unterhaltungen begegnete. »Talke,« sagte er ruhig und immer ernster werdend, »diesmal hast du dich verrechnet und einen Mann, einen wahren Mann, für einen Firlefanz gehalten. Der Granzow ist ein Kerl, wie er sein muß – ein Mann von meinem alten, kernigen Schlage. Nimm es nicht übel, daß ich mich lobe, aber was wahr ist, muß wahr bleiben. Er hat das Mädchen lieb, so lieb wie einer sie haben kann, nur weiß er es selber noch nicht, und wenn er es wüßte, würde er vielleicht über dieses Gefühl erschrecken, aber nicht in den Wald mit ihr laufen und sein gebrochenes Herz verraten. Donner und Wetter oder beim Satan! das ist gleich viel, – aber das tut er nicht. Er weiß, daß jetzt nicht Zeit zum Liebeln ist und daß erst mit den Fäusten dreingeschlagen werden muß, bis die lumpigen Franzosen aus dem Lande gejagt sind, dann, erst dann wird er kommen und sagen: –«

»Na, was wird er sagen? Hast du schon wieder ein Gesicht?«

»Ja, ein recht deutliches!« rief der alte Schwede mit donnernder Stimme, so daß die Wände bebten, und sein großes Auge rollte wie ein wilder Brand gegen seine Frau auf. »Ich sehe dich, wie du da sitzest und immer recht haben willst und mir immer die besten Gedanken von den Lippen wegjagst. Mord und Tod! Es ist zum Davonlaufen!«

»Adam! Bist du jetzt wieder im unschuldigen Paradiese, und hast du das Fluchen vielleicht von den Engeln gelernt?«

»Von den Teufeln,« sage lieber, und ich bin im Paradiese, ja, aber die alte Eva hat ein Gelüste, sich auf die Seite des Satans zu werfen, der Widerspruch heißt, und mir die ersten Tränen abzulocken, die Adam je vergossen hat.«

»Armer Adam! Ich trockne sie schon.« Und sie schlüpfte hin zu ihm wie in vergangenen Tagen, setzte sich auf sein Knie, kraute ihm im Bart und küßte seine Stirn, die unter ihrem sanften Hauche ihre Runzeln verlor und wieder glatt wurde, wie sie beinah immer war.

»Du darfst mir nichts mehr über diesen Waldemar zuflüstern,« sagte er schließlich, »ich kenne ihn jetzt durch und durch, und er hat mich wahrhaftig irre gemacht an mir selber. Ich wollte mein Hab' und Gut der Hille vermachen, und nun kommt er mir in die Quere und luchst es mir am Ende noch vor ihr ab.«

»Wenn es weiter nichts ist, Alter, so gräme dich nicht. Vielleicht ist dein Gesicht richtig, und dann hat Hille, was Waldemar hat und umgekehrt.«

»Da hast du ein wahres Wort gesprochen, Alte, so habe ich es gern, und ich sehe, Ihr Weiber könnt schon liebenswürdig sein, wenn Ihr nur immer wolltet!«

*

Beinahe zwei Wochen wohnten die Flüchtlinge nun schon auf Pulitz, und im allgemeinen fühlten sie sich von Tage zu Tage sicherer in dem abgelegenen Hause, und wohler und zufriedener im Verkehr mit dem alten Schweden und seiner guten Frau, wenngleich Magnus Brahes Gemütsstimmung noch vieles zu wünschen übrig ließ. Aber auch hierin hoffte sowohl Waldemar wie sein Ohm von der Zukunft das beste, da die Zeit mit ihrem beruhigenden Balsam dem vertrauenden Menschen so oft die bitterste Wunde heilt. Des jungen Grafen Arm war ganz geheilt, und allmählich kehrte die frühere Kraft des verletzten Gliedes zurück, so daß er schon imstande war, eine Flinte zu behandhaben und damit zu seiner Unterhaltung Vögel zu schießen, die in zahllosen Scharen die Insel umschwärmten, als wäre es ihre Pflicht, Mutter Talkes Küche mit ihrem zarten Fleisch und ihre Bettvorräte mit weichen Daunen zu versorgen.

So war das Ende des Monats Juli gekommen, und noch hatten die Bewohner der Insel nichts von den Vorgängen auf Rügen gehört, als was dann und wann ein Nachbar dem Pächter zutrug oder ein Knecht von einem kurzen Ausfluge mit heim brachte, den er zu irgend einem wirtschaftlichen Zwecke nach außen unternehmen mußte. Auf diese Weise gelangten bisweilen auch einige politische Neuigkeiten nach dem einsamen Gehöft, allein da die Zeit keinen großen Umschwung in den europäischen Verhältnissen hervorbrachte, so gewöhnte man sich allmählich, das einmal Vorhandene als bestehend zu betrachten und in der Sehnsucht nach einer glücklicheren Zeit sich zu sagen, daß der Augenblick noch nicht gekommen sei, wo die notwendigen Umgestaltungen zum besseren eintreten könnten.

Es war am 25. Juli 1809, als die Familie Sturleson mit ihren Gästen das Frühstück einnahm und dabei einige Nachrichten besprach, die am Abend vorher im Pachthause eingelaufen waren. Ein schlauer Knecht war in Jasmund gewesen, hatte Sagard und Sassnitz besucht und einige Bestellungen und Grüße im Kiekhause ausgerichtet. Dort war alles gesund, aber die Franzosen hausten daselbst wie zuvor, und die Nachforschungen nach dem Grafen Brahe und Waldemar Granzow dauerten noch immer fort, obwohl sie eher schläfrig, denn eifrig betrieben wurden, da man mit der Länge der Zeit, und wenn man seine Bemühungen mit keinem Erfolge gekrönt sieht, auch in solchen Beziehungen nachlässig wird.

Für Waldemar hatte der Knecht ein Briefchen mitgebracht, das ihm Hille heimlich zugesteckt, worin jener zu seiner Verwunderung las, wie man erfahren, daß auf Spyker wieder alles im alten Gleise hergehe, daß der Kapitän mit Gylfe Torstenson versöhnt, sowie daß dem Kastellan kein persönlicher Schade aus der Verheimlichung ihrer Anwesenheit erwachsen sei, da Herr von Caillard sich auf andere Weise an dem Besitztum des Grafen entschädige und vor wie nach ein höchst vergnügtes Leben auf dem Schlosse führe, nachdem er von Stralsund aus den leergetrunkenen Keller auf Kosten des Besitzers gefüllt und zur besseren Unterhaltung noch zwanzig Mann mehr von seiner Schwadron in das Schloß beordert habe.

Waldemar wurde durch diese Nachricht nicht gerade traurig gestimmt, da er kaum etwas anderes von den Verhältnissen daselbst erwartet hatte, nur seines Freundes wegen war sie ihm nichts weniger als angenehm. Er teilte ihm daher das in Erfahrung Gebrachte auch nicht mit, denn er hütete sich, das kaum gedämpfte Feuer seiner Eifersucht von neuem zu schüren, da er nur zu genau wußte, daß im Innern des Armen noch zündbarer Stoff genug vorhanden war, um augenblicklich wieder in lichten Brand aufzulodern, wenn der Wind des Zufalls ihn von neuem anfachen sollte.

Gleich nach eingenommenem Frühstück ging Adam Sturleson allein auf seine Felder, um nachzusehen, wann er voraussichtlich mit der Ernte werde beginnen können, die hier in der Regel einige Wochen später als auf dem Festlande stattfindet. Da sah er denn, als er eben dem Strande zuwandelte, zu seinem Erstaunen ein Boot von der Berger Seite her auf die Insel lossteuern, in dem er einige Fremde wahrzunehmen glaubte, die er noch nie gesehen. Aus Vorsicht sandte er daher sogleich einen Boten nach dem Pachthof, um seinen Gästen die Neuigkeit zu verkünden, was selbstverständlich den guten Rat enthielt, sich fürs erste verborgen zu halten, bis er weitere Nachricht bringen würde.

Nachdem er diese Pflicht erfüllt, sah der alte Schwede mit ruhiger Erwartung das Boot näher kommen, und als es gelandet war, stiegen zwei Franzosen heraus, die sich als die Diener des Brigadiers Herrn von Chambertin ankündigten und die Meldung brachten, daß Seine Gnaden beschlossen hätten, endlich ihr neu errungenes Eigentum zu besuchendes in allen Einzelheiten kennen zu lernen und womöglich einige Sommermonate darauf zuzubringen.

Da war denn also das längst Erwartete und Gefürchtete eingetroffen, die bisherige patriarchische Ruhe der Insel war getrübt, und ihre Bewohner gingen den neuen Verwicklungen entgegen, die notwendigerweise aus dieser Besitzergreifung entspringen mußten.

Gleich nachdem die Meldung der Diener vollbracht war, beeilten sie sich, das Boot zu leeren, welches mit Koffern, Schachteln und Behältnissen aller Art dermaßen befrachtet war, daß man schon daraus entnehmen konnte, der neue Besitzer von Pulitz beabsichtige seine unbekannte Herrschaft mit einem langen Aufenthalt zu beehren.

Da die vorhandenen Menschenhände nicht ausreichten, die mitgebrachten Habseligkeiten nach dem etwas entfernt liegenden Wohnhause zu schaffen, so verhieß der Pächter einen Wagen zu senden, worauf er mit dem Kammerdiener des Herrn von Chambertin den Weg nach dem Hofe einschlug, während der andere Diener als Wachtposten bei den Sachen am Strande zurückblieb.

»Jetzt, Herr Pächter,« sagte der erstere, »haben Sie die Güte, mich nach dem Schlosse zu führen: ich muß es in allen seinen Teilen in Augenschein nehmen, um dem gnädigen Herrn die besten Zimmer auszusuchen und sie seiner Gewohnheit gemäß behaglich einzurichten.« Der alte Schwede, obwohl in keiner fröhlichen Stimmung, warf doch bei diesen Worten auf den fein gekleideten und zierlich redenden Franzosen einen lächelnden Blick, der eine ironische Gewährung der Forderung, aber außerdem auch noch eine heimliche Schadenfreude enthielt. »Kommen Sie,« sagte er pfiffig schmunzelnd, »und sehen Sie sich das Schloß an; die drei besten Zimmer, die es enthält, stehen sogleich zu Ihrer Verfügung, denn ich habe sie in Erwartung des Herrn Generals längst von allem Gerümpel freigemacht.«

»Nennen Sie ihn Exzellenz, das wird er lieber hören.«

»Ist er denn Exzellenz?«

»Er ist es nicht, aber er kann es noch werden.«

»So darf ich ihn auch nicht so nennen, denn bei uns ist es ein Hohn, jemanden einen Titel beizulegen, der ihm nicht gebührt.«

»Aber bei uns ist es so Gebrauch, Herr, und wir geben diesmal den Ausschlag in der zivilisierten Welt. Doch wie sagten Sie, nur drei gute Zimmer hätte das Schloß?«

»Ich sage alles so, wie es ist. Lassen Sie uns nicht die Zeit mit Reden verschwenden, sondern kommen und überzeugen Sie sich.«

Man ging schweigend auf dem nächsten Wege durch die Felder dem Pachthause zu, wo sich denn die Scheunen und Ställe, welche die Vorderfront desselben bildeten, und durch die das Eingangsthor führte, zuerst darstellten.

»Was sind das für Baracken?« fragte der moderne Kammerdiener, der einen Teil der zivilisierten französischen Welt repräsentierte.

»Das ist das Pachthaus oder vielmehr die Scheunen und Ställe desselben.«

»Aha, da wohnen Sie?«

»Auch Sie, mein Herr.«

»Auch ich, wieso denn? Glauben Sie, daß ich weit von Sr. Gnaden wohnen darf?«

»Sie werden hier in Sr. Gnaden allernächster Nähe sein, denn dort – da haben wir es schon – ist das Pachthaus selber.«

» Comment? Ich wollte ja nach dem Schloß.«

Das ist alles, was wir hier auf Pulitz haben. Bei uns nennt man es Pachthof, bei Ihnen aber ist es, wie Sie sagen, Sitte, jedermann und jedem Dinge einen höheren Titel beizulegen, und so mögen Sie es denn immerhin Schloß nennen?«

Der enttäuschte Franzose stand still, sperrte Augen und Mund auf und blickte bald den lächelnden Pächter, bald das Schloß an, das in seiner Meinung eher einer Hundehütte als einem kavaliermäßigen Herrenhause glich. »Est cela que Vous nommez le chateau?« fragte er mit beinahe ängstlicher Miene.

»Das ist es, mein Herr. Treten Sie näher und betrachten Sie sein Inneres. Es ist so wohnlich, wie es sein kann, und mir genügt es vollkommen.«

Der Franzose wurde mäuschenstill und verlor allmählig, mehr die Farbe, je näher er dem Gehöft kam. Als er aber auf dem von den umliegenden Gebäuden eingeschlossenen Hofe verschiedene Ackergerätschaften und auch einige Misthaufen aufgeschichtet sah, wurde er ganz bleich, hielt sich die Nase zu und warf einen kläglichen Blick auf seinen herkulischen Begleiter, der ihn ohne weiteres in den sogenannten Herrenflügel führte und ihm die drei erwähnten Zimmer anwies, deren Aussicht gerade auf den herrlichsten Misthaufen ging.

Soweit hatte Adam Sturleson die Artigkeit zu treiben nur für nötig gehalten, hier ließ er den zivilisierten Kammerdiener mit seiner Verwunderung, die fast der Erstarrung glich, allein und begab sich, nachdem er einen Wagen nach dem Strande geschickt seinen Freunden, die Mutter Talke in einem verschlossenen Dachkämmerchen sicher untergebracht hatte.

»Da haben wir's,« sagte der ehrliche Schwede beim Eintreten mit seinem alten Humor, »nun kommt mein neuer Kaiser, um seine Herrschaft in Besitz zu nehmen. Haha! es wird hier bald bunt hergehen, nach dem, was ich soeben erfahren. Na, wenn er es bei uns im Kleinen treibt, wie es sein großer Kaiser da draußen im Großen tut, dann wird es eine schöne Wirtschaft geben. Aber ich bin überzeugt, er wird es nicht lange hier aushalten, Wenn er ein so seiner Mann wie sein Kammerdiener ist, denn daß er sich eine ganz andere Vorstellung von der Herrschaft Pulitz gemacht hat, als sie wirklich ist, habe ich aus den ersten Blick weggehabt. Nun, Talke, gib dem Monsieur drüben zu essen und kehre dich nicht an seine Lamentationen; wir haben die Herren Franzosen nicht gerufen, sie sind aus eigenem Antriebe zu uns gekommen, und so mögen sie mit dem zufrieden sein, was sie finden; ich bin der Mann nicht, mich mit einem solchen Hasenfuß von, Kammerdiener in nähere Verbindung zu setzen. Wir aber, meine Freunde,« und hier wandte er sich zu den beiden jungen Leuten, »werden diesen Abend nach All-Rügen übersiedeln, wo Ihr von jetzt an Euer Quartier aufschlagen müßt, bis der Kaiser von Pulitz wieder abgereist ist, oder Ihr Euch ungefährdet anderswohin begeben könnt. Ihr werdet es nicht so bequem wie hier vorfinden, aber Sicherheit gewährt es, dafür bürge ich.«

*

Der späte Abend dieses unruhigen Tages war gekommen, der Herr Kammerdiener Sr. »künftigen« Exzellenz oder des Kaisers von Pulitz, wie ihn Adam Sturleson scherzweise nannte, hatte sich überzeugt, daß es kein anderes Schloß auf dem Gebiete Sr. Majestät gäbe, und er hatte also aus der Notwendigkeit eine Tugend gemacht und mit einiger Nachhilfe der Pächterin die drei überwiesenen Zimmer so wohnlich wie möglich eingerichtet, dabei aber zahllose Seufzer ausgestoßen, daß sein Herr ihm die Schuld beimessen könne, keine bessere Unterkunft zu finden. Lassen, wir ihn mit seinem Kummer allein und folgen wir den drei Männern, die sich bei Einbruch der Nacht, mit verschiedenen Speisesäcken und Flaschen beladen, nach dem Versteck begaben, welches der alte Schwede für sie zur einstweiligen Benutzung ausersehen hatte.

Ungefähr in der Mitte des schmalen Wassergürtels, der Pulitz von dem Festlande von Rügen trennt, liegt ein kleiner mit Grasung, Buschwerk und Farnkräutern bewachsener Werder, der im Sommer dem Pächter von Pulitz zur Viehweide diente, sonst aber von niemanden betreten wurde und jeder Beachtung entging, da er nur wenig aus dem seichten Wasser hervorragte und durch keinerlei Baumwuchs oder sonst ein Merkmal der Kultur ausgezeichnet war. Dieser kleine Werder hieß und heißt noch heute All-Rügen. Von Pulitz aus führt eine seichte Furt dahin, die man bequem mit guten Wasserstiefeln durchwaten kann, im dürren Sommer oft sogar ganz ausgetrocknet findet; auf der Rügenschen Seite aber ist das Wasser tief und bietet der Schiffahrt kein Hindernis dar, wenn man mit den Sandbänken vertraut ist, die an manchen Stellen ziemlich dicht unter der Oberfläche des Wassers liegen.

Für den alten Schweden jedoch hatte diese kleine Insel einen besonderen Reiz, da sie der Sammelpunkt zahlloser Scharen wilder Enten war, und er die Jagd auf diese mit Leidenschaft liebte und ausübte. Um dieser Liebhaberei mit aller Bequemlichkeit und dem möglichst großen Erfolge obliegen zu können, hatte er mitten auf dem Werder eine besondere Vorrichtung angelegt, und dies war der Versteck, wohin er seine jungen Freunde in dieser Nacht führte.

An der Stelle nämlich, wo die Farnkräuter und das kleine Buschwerk am höchsten ragten, hatte er eine ziemlich geräumige Höhle graben lassen und dieselbe mit Moos höchst bequem und behaglich ausgepolstert.

Es befanden sich darin zwei zum Liegen vollständig ausreichende Lagerstätten und mehrere kleinere Sitzplätze, zwischen denen sogar ein kleiner Tisch von Erde aufgerichtet stand. In diese unterirdische Grotte, die, da der alte Schwede als hochgewachsener Mann das Bücken nicht liebte, ziemlich tief und geräumig war, zog er sich zurück, wenn er es auf einen reichlichen Entenfang abgesehen hatte, und er nannte sie seinen Anstand, wozu alle Einzelheiten in vortrefflichstem Zustande bei der Hand waren. Denn wenn er, den Blicken der in Scharen darüber fliegenden Vögel entzogen, darin versteckt lauerte, brauchte er seine geladenen Flinten bloß aus den weislich offen gehaltenen Schaulöchern zu stecken und abzudrücken, und er war gewiß, nach einiger Zeit, wenn er die Grotte verließ, einen reichlichen Vorrat lahmgeschossener Braten auf dem Werder umhergestreut vorzufinden. Bedeckt war die Grotte mit zwei horizontal liegenden Holztüren, die von außen und innen geöffnet werden konnten und dergestalt unter Moos und Heidekraut versteckt waren, daß sie Weder ein neugieriges Menschenauge wahrnehmen, noch die viel scharfsichtigeren Vögel von dem übrigen Inselgrunde unterscheiden konnten; die Öffnungen für die Schießgewehre selbst aber konnten, wenn es anhaltend regnete, von innen versetzt und so aller Zufluß von außen abgeschnitten werden.

Als der alte Schwede seine Gäste in dieses unterirdische Blockhaus geführt und mit allen seinen Einzelheiten bekannt gemacht hatte, ließ er sich auf einen der Moossitze nieder, zündete ein mitgebrachtes Licht an, schloß die Deckelöffnungen und sah seine Freunde gemütlich lächelnd an. »Nun,« sagte er, »was meint Ihr dazu? Werdet Ihr hier vor den Späheraugen der Franzmänner geborgen sein und nun dem alten Schweden glauben, wenn er sagte, er habe einen Versteck für Euch?«

Sowohl Magnus wie Waldemar nickte befriedigt und schüttelte dem Alten dankend die Hand. »Aber es wird heiß werden, wenn wir alle Löcher schließen,« bemerkte Magnus, »und die Luft hat keinen Zutritt, so daß man ersticken kann.«

»Wer sagt Ihnen, Herr Graf, daß Sie sie alle schließen sollen? Ich habe das nur jetzt des Spaßes halber getan, und um Ihnen zu zeigen, welche Mittel Sie bei etwaigen Gefahren zu Ihrer Sicherung besitzen, wozu noch dieser Balken dient, mit dem Sie die Türen von innen verrammeln können. Sehen Sie, so! – Bei Tage müssen Sie sich freilich still verhalten und können lesen, sprechen und essen, so viel Sie wollen und haben: nachts aber öffnen Sie ein oder zwei Löcher oder auch einen ganzen Türflügel und können dann spazieren gehen, frische Luft schöpfen, ja sogar nach Pulitz hinüberwandern, da Sie nun die Furt kennen und mit guten Stiefeln versehen sind. Ich werde Sie jeden Abend, sobald der Kaiser von Pulitz geruht zu Bett zu gehen, besuchen und Ihnen Kunde bringen, wie es drüben im Reiche steht und geht, und so werden Sie Unterhaltung genug haben, wenn Sie Ihre Lage in Betracht ziehen, die allerdings keine solche ist, wie Sie sie in Spyker hatten, als Sie noch bei Ihrem Vater lebten.«

»Schweigen Sie von Spyker, ich ziehe für jetzt diesen Entenfang vor und bin Ihnen von ganzem Herzen dankbar für Ihren Zufluchtsort.«

»Nun, dann bin ich zufrieden, und da heute nichts weiter zu verabreden ist, so verlasse ich Sie für diese Nacht. Ihre wollenen Decken haben Sie doch mitgebracht, he?«

»Es ist alles vorhanden, was notwendig ist, nur bitten Wir für morgen um frisches Wasser und neue Nahrungsmittel,« sagte Waldemar, der sich ganz behaglich gebettet fand.

»Alles, mein Junge, alles sollt Ihr erhalten, gebranntes und ungebranntes Wasser, Brot und Gebratenes, und ich glaube nicht, daß der Kaiser von Pulitz so gut speisen wird, wie ich Euch bedenken will. Nun gehabt Euch wohl und ruhet von Euren Sorgen aus. Morgen werde ich Euch Bericht abstatten, welchen Eindruck Seine Majestät aus mich gemacht, und welche Befehle er mir erteilt hat. Na, ich sehe schon, das wird eine kuriose Geschichte werden, und vielleicht stimmen wir morgen allesamt ein herzliches Gelächter über seine funkelnagelneue Regierung an. Gute Nacht, Herr Graf, gute Nacht, Waldemar – und vergiß mir die Hille nicht, die dir den guten Rat gegeben hat, dich den Händen des alten Schweden anzuvertrauen – hörst du?«

Waldemar stimmte beifällig in diese Ratschläge ein, die der ehrliche Alte ihm beim Scheiden hinterließ, und bald darauf hatten sich die Einsiedler für ihre erste Nacht eingerichtet, so gut es die Mittel zuließen, die ihnen so freundlich zu Gebote, gestellt waren.

*

Am nächsten Morgen war der Pächter von Pulitz schon früher in Tätigkeit, als die Sonne die Wipfel seiner Bäume färbte, was jedoch weniger in der Absicht geschah, zeitig nach dem Rechten zu sehen, damit der neue Gebieter alles in bester Ordnung finde, als aus unruhiger Neugierde, den Mann kennen zu lernen, der es wagen würde, ihm neue Gesetze vorzuschreiben, ein Unterfangen, welches für den unbeugsamen Naturmenschen ebenso neu und drückend war, wie wenn man seinen der Freiheit gewohnten Nacken unter ein Joch hätte beugen wollen, was ihn vor sich selbst erniedrigte und demütigte. Allein er sollte etwas lange warten, bis ihm der erwartete Anblick zuteil ward, denn Monsieur de Chambertin, der die Aussicht hatte, bald Exzellenz zu werden, war ein ebenso großer Freund von langem, wie sein Pächter von kurzem Schlafe, und selten begrüßte er, seitdem er infolge seiner Verwundungen aus dem aktiven Dienste geschieden war, das Tageslicht vor der elften Morgenstunde.

Diesen Umstand erfuhr Adam Sturleson erst etwas spät aus dem Munde des Kammerdieners, und so hatte er Zeit genug, noch einige Vögel zu schießen und im Vorbeigehen bei seinen jungen Freunden Erkundigung einzuziehen, wie sie in ihren Moosbetten geschlafen hatten, worauf ihm eine befriedigende Antwort zuteil wurden

Um zwölf Uhr mittags aber fand er sich am Strande ein, da er gehört, daß Herr Louis, der Kammerdiener, seinen Herrn um diese Zeit erwartete. Es dauerte auch nicht lange, so sah man ein Boot von Dumsewitz heranrudern, dem ein zweites folgte, das einen bequemen Wagen trug, in dem die zukünftige Exzellenz wahrscheinlich auf seiner neuen Herrschaft spazieren fahren wollte, um die weiten Wege abzukürzen, die ihm bei der Besichtigung derselben bevorständen.

Als das erste Boot anlegte, fand man in der Tat Herrn von Chambertin nebst einem Diener darin, dem eine Frau beigegeben war, die sich rühmte, eine Pariser Köchin zu sein, ohne die nun einmal der Brigadier nicht mehr leben konnte, da sie schon viele Jahre in seinem Dienste stand und nach allen Seiten hin Proben einer geschmackvollen Küchendame abgelegt hatte.

Wie man sich gewöhnlich die Menschen, denen man entgegengeht, um mit ihnen in einen angenehmen oder unangenehmen Verkehr zu treten, anders vorstellt, als sie wirklich sind, so hatte sich auch Adam Sturleson den Kaiser von Pulitz ganz anders gedacht, als er sich jetzt seinen Blicken offenbarte. Denn der ehemalige schwedische Krieger hatte geglaubt, in dem französischen ausgedienten Helden einen Haudegen von sechs Fuß Länge mit wenigstens zehn Schmarren im Gesicht zu finden, im Gegenteil davon aber war er nur ein sehr schmächtiger Mann, der dadurch noch kleiner erschien, als er war, daß er ein gekrümmtes Bein und einen hinkenden Gang hatte, was eine Kugel veranlaßt, die er vor einigen Jahren in einem Gefecht mit den Preußen in die Hüfte bekommen. Ebensowenig wie seine Körpergröße und Haltung bot sein Gesicht etwas Kriegerisches und Heldenmäßiges dar. Sein Kopf war mit einem dünnen und etwas ergrauten Haarwuchs bedeckt, der durch ein künstliches Färbemittel hatte schwarz werden sollen, aber leider stellenweise fuchsig geraten war; der Ausdruck des Gesichts aber wich so weit von der Vorstellung des nüchternen Schweden ab, daß er beim ersten Anblick desselben kaum sein Erstaunen unterdrücken konnte, Monsieur de Chambertin führte nämlich seinen Namen insofern mit vollem Recht, als sein Gesicht ein sogenanntes Burgundergesicht war, das heißt glühend rot und infolge seiner Liebhaberei für gewisse feurige Sorten des edlen Rebensaftes mit einer Legion kleiner kirschroter Aufwüchse bedeckt, die Adam Sturleson später den seltsamen Vergleich ausstellen ließen: es sähe aus wie sein Entenfang, wenn sechs Flüge wilder Enten zu gleicher Zeit darauf säßen, von denen eine die andere von ihrem Platze verdrängen wollte. Aus diesem völlig bartlosen Gesichte nun, welches eine gewisse mit Genußsucht gepaarte Gutmütigkeit sichtbar werden ließ, glitzerten zwei kleine schwarze Augen hervor, die heute mit einer etwas heftigen Begehrlichkeit in die Runde flogen, um sobald wie möglich den Umfang und die Schönheit des Landgebietes einzusaugen, das ihm sein erhabener Monarch und angebeteter Kaiser in überfließender Fülle der Dankbarkeit als erbliches Eigentum für ewige Zeiten übergeben hatte.

Allein schon bevor er noch das Ufer dieses großen Gebietes erreicht, war die herzinnige Freude, endlich seinen eigenen Grund und Boden zu betreten, bedeutend in Abnahme begriffen, denn diese kleine magere Insel, auf der nur hier und da ein Wäldchen austauchte, sollte das kaiserliche Geschenk sein, von dem man in Paris so ungeheuer gefabelt, um das man ihn so heftig beneidet und um dessenwillen er eine so weite Reise unternommen hatte?

Indessen heiterte sein glühendes Gesicht sich allmählich wieder auf, als er von ferne endlich den ansehnlichen Kiefernwald ragen sah, der Pulitz' größte Zierde und eigentlich sein einziger Reichtum war, und er begrüßte mit herablassender Milde den großen Mann, der sich ihm bei seiner Landung als den gegenwärtigen Pächter seines Besitztums vorstellt. Allein auch diese Aufheiterung erlitt wiederum sehr bald eine Dämpfung, als sein Auge plötzlich auf das Gesicht seines Kammerdieners fiel, mit dem er wahrscheinlich in geheimer sympathetischer Verbindung stand, indem dieser ihm schon von weitem durch seine jämmerliche Miene zu verstehen gab, er möge seine Erwartungen von einem fürstlichen Besitz etwas herabspannen, da selbst die Erfüllung der seinigen weit unter Pari geblieben wäre.

So wandelte sich denn sein oberherrlich huldvolles Wesen in eine eigentümliche Verlegenheit um, die er hinter einem klüglich angebrachten Räuspern verbarg, das aus seinem zahnlosen Munde hervorging, sobald die Vorstellung beendigt war.

»Bon jour, mon cher ami!« lautete die erste Anrede des leutseligen Kaisers von Pulitz. »Also Sie sind der Pächter, der bis jetzt diese – diese Herrschaft verwaltet hat? Eh bien! Da wir einmal auf dem Wege sind, so wollen wir gleich durch die schönsten und fruchtbarsten Teile der Insel wandeln, und Sie werden die Güte haben, mich auf alles Bemerkenswerte aufmerksam zu machen und meine Fragen sofort mit der gewissenhaftesten Treue beantworten. Louis, ayez la bonté! Leihe mir deinen Arm. So. En avant, mon ami, führen Sie uns, aber wählen Sie die bequemsten Wege, ich liebe die Spaziergänge auf holperigen Straßen eben nicht.«

»Die Wege auf Pulitz,« erwiderte der Pächter mit seiner gewöhnlichen Gradheit, »sind alle von gleicher Güte. Wie dieser hier, so sind sie überall, Herr General.«

Der General machte etwas große Augen, die jedoch von Minute zu Minute noch etwas größer werden sollten, denn wie Louis es schon seit vierundzwanzig Stunden erfahren, so sollte auch der General sehr bald erkennen lernen, daß des Menschen Gedanken trügerisch sind und daß man sich nicht glücklich oder ein Kaiser zu sein träumen muß, ehe das Ende der Tage gekommen und die Krone wirklich auf dem gesalbten Haupte sitzt.

Man war langsam über die Felder, die Wiesen und durch den Kiefernwald längs der Ostküste der Insel geschritten und das Gespräch hatte zur geringen Erbauung des neuen Besitzers schon eine halbe Stunde gedauert, als Adam Sturleson von weitem auf den Pachthof wies und mit einem gewissen Stolze, aus dem seine bescheidene Zufriedenheit mit dem ihm zuteil gewordenen Erdenlose hervorleuchtete, bemerkte:

»Und das da, Herr General, ist der Pachthof, auf dem Sie nun selbst residieren werden.«

Der Kaiser von Pulitz stand still, um tief Atem zu schöpfen, denn der hohe Herr war auch noch etwas engbrüstig, was er ebenfalls den Siegen Napoleons verdankte. Bei den Worten des Pächters aber schien ihm der Verstand still zu stehen, zumal Louis an seiner Seite eidlich versicherte, der große Mann habe recht, indem er dies winzige klägliche Haus, das, weit davon entfernt, ein herrschaftliches Landhaus von nur bescheidenen Verhältnissen zu sein, nichts als eine einfache Bauernwohnung wäre, als seine künftige Residenz bezeichnete.

»O mon dieu!« wisperte mit einem tiefen Seufzer der General, »ist das das Schloß, das ich mir in meinen Träumen so feenhaft vorgestellt habe?«

»Ja, Exzellenz,« schmeichelte Louis, »das ist es. O, ich habe auch schon eine schlaflose Nacht darüber gehabt.«

Des Generals Augen nahmen einen immer größeren Umfang an, je mehr die geträumte fürstliche Herrschaft zu einer winzigen Bauernwirtschaft zusammenschrumpfte, und seine Burgunderfarbe ging allmählich ins Bläulich-Violette über. Er blieb wiederholt stehen und blickte sich scheu nach allen vier Weltgegenden um.

»Erstreckt sich die Insel da hinüber noch weiter?« fragte er beinahe schauernd den bisherigen Pächter.

Nicht weiter, als Sie sehen. Da drüben das Land, welches Sie jenseit jenes Wassers erblicken, gehört schon zur Insel Rügen selbst.«

»Also das ist alles, was wir bisher gesehen und durchwandert haben?«

»Ja, so ziemlich alles, oder meinen Sie, daß ich Ihnen etwas vorenthalten hätte?«

»Non, non! Mais c'est joli, très joli!« spöttelte der General. »Charmant, bien charmant, mon ami!«

»O ja,« erwiderte der Pächter, »es ist ganz charmant, ich verstehe Sie wohl und sage das auch. Und sehen Sie einmal den prächtigen Himmel hier über uns, wie er sich blau und golden so weit hin wölbt, ist das nicht prächtig?«

»Ganz ungeheuer prächtig, mon ami. Aber ich liebe die große Erde mehr als den größeren Himmel, und was ich hier vor mir sehe, scheint mir nur ein sehr kleines Stück Erdenkloß zu sein.«

»Ja, wenn es zehnmal so groß wäre, wäre es um ein Bedeutendes größer, das ist richtig, aber mir dürfen Sie darüber keine Vorwurfe machen, gnädiger Herr: ich habe es nicht gemacht und noch weniger Ihnen geschenkt, dafür müssen Sie Ihrem Kaiser danken, der hat wenigstens den guten Willen gezeigt, Sie für Ihre Heldentaten echt kaiserlich zu belohnen.«

»Auf den Knien, mon ami, auf den Knien muß man ihm danken, und das will ich tun, sobald ich wieder mein steifes Bein beugen kann. Peste!« Und der General knirschte wild mit den Zähnen, als hätte ein Dieb ihm seinen ganzen Reichtum gestohlen, der diesmal glücklicherweise nur in einem großen Vorrat von – Phantasie bestanden hatte.

»Allons, mon ami!« rief er dann. »Gehen wir nach dem Schlosse – dem Hause, wollt' ich sagen, vielleicht ist es innen besser als außen.«

»Ach nein, Exzellenz,« jammerte Louis an seiner Seite, »au contraire, und es riecht noch dazu sehr übel. Ich habe deshalb hier ein Fläschchen Rosenessenz mitgebracht, damit Sie nicht in Ohnmacht fallen, noch ehe Sie Ihre Salons betreten.«

Der Kaiser von Pulitz griff konvulsivisch nach der vorgehaltenen Essenz und sog schon jetzt ihre Stärkung ein, als röche er bereits in seiner Phantasie die naturgemäßen Düfte, die einem echten Landmann so lieblich dünken, daß er sie überall um sich her verbreiten möchte. Darauf aber setzte sich der Zug wieder in Bewegung und bald war man im Innern des Schlosses angelangt, wo sich der General, fürchterlich ermüdet und schrecklich in seinen Erwartungen getäuscht, auf eine alte Ottomane fallen ließ, die noch von dem Vorfahren Adam Sturlesons herrührte, also einige fünfzig Jahre alt sein mochte und mehr einer feldmäßigen Pritsche, als dem schwelgerischen Ruhebette eines bequemen Invaliden ähnlich sah.

»Lassen Sie uns speisen,« sagte mit kläglichem Tone der neue Besitzer von Pulitz, »und geben Sie das beste, was Sie haben, ich bin erschöpft, geistig und leiblich. Dieu-me soit en aide! Hoffentlich leisten Sie mir heute Gesellschaft, da ich noch keine andere habe, und unterrichten mich dabei von dem Notwendigen. Ach, ich bin nicht allein erschöpft, Louis, ich bin auch – sehr ernüchtert. Hole meinen Flaschenkorb, damit ich meinen Geist zum Leben erwecke!«

*

Mutter Talke hatte an diesem Tage ihr Möglichstes getan, um allen Ansprüchen zu genügen, die ein vornehmer und verwöhnter Mann, wie der Kaiser von Pulitz war, an ihre Küche stellen konnte, eine Pflichterfüllung, die ihr glücklicherweise nicht lange aufgebürdet bleiben sollte, da schon vom nächsten Tage an die Pariser Köchin den Oberbefehl in ihrem Reiche übernahm. Trotz seiner Verwöhnung aber und obgleich die Speisekarte der Pächterin viel einfacher war als die der Kochkünstlerin aus der Hauptstadt der Welt, wie die schwarzäugige Jungfer Gabriele ihre Vaterstadt nannte, fand die künftige Exzellenz die Tafel sehr schmackhaft und erwies er daher alle Ehre. Der alte Schwede, der heute der Gast des neuen Herrn war – da dieser noch keine andere Gesellschaft hatte, wie er ihm gesagt – und gewiß einen gefunden Appetit besaß, war dennoch auf das höchste erstaunt, in dem kleinen Mann einen Esser zu finden, wie ihm noch keiner in seinem langen Leben vorgekommen war. Von den reichlichen und kräftigen Speisen, die der schwedischen Sitte gemäß in langen Reihen auf den Tisch kamen, verschlang der krüppelhafte General ganze Berge, und bewies so am besten, daß sein Magen durch die Siege des großen Napoleon nicht im geringsten gelitten habe. »Wo er es nur lassen mag!« dachte der ehrliche Sturleson wiederholt. »Ich sehe gar nicht, wo es bleibt, und doch kann der ganze kleine Mensch nicht aus lauter Magen bestehen. Und wie er den feurigen Wein verschluckt! Wahrhaftig, solche Züge Wassers könnte ich nicht einmal zu mir nehmen, und meine Eingeweide sind doch gewiß geräumiger als die seinen: in dieser Beziehung aber möchte ich mich für den kleinen und ihn für den allergrößten Bodden halten, den unsere gute Insel aufzuweisen hat. Aber seh nur einer sein Gesicht, das zeigt, was er geleistet hat! Hu, wenn es nur nicht noch in lichterlohe Flammen ausbricht; ich sitze ihm so nahe, daß mich das Feuer zweifelsohne mit ergreift, und jeden Augenblick leuchtet es in hellerem Flackern auf!«

Der kleine Mann war bei der vierten Flasche, während der Pächter noch nicht die erste geleert hatte, und beständig rollten seine flammenden Augen nach dem Kredenztische hinüber, als wollten sie sich eines noch reichlicheren Vorrats versichern. Endlich aber unterlag seine Begierde dem allgemeinen Geschick eines menschlichen Magens, er konnte ihn nicht mehr füllen und war gesättigt – »bis an den Hals und noch drüber hinaus!« sagte Adam Sturleson im stillen zu sich selber.

Als Louis, der immer ein aufmerksames Auge auf seinen Herrn gerichtet hielt, bemerkte, daß es mit seinem Leistungsvermögen zu Ende war, sprang er wie ein Wiesel herbei und band ihm die Serviette ab, die er ihm bis unter das Kinn Wer die ganze Brust gewunden hatte. Der Mann lehnte sich nun in seinen bequemen Stuhl zurück, seufzte schwer, als wäre ihm die Arbeit sehr sauer geworden, und blinzelte mit deutlichem Wohlbehagen den Pächter an, der in beobachtender Muhe ihm gegenübersaß.

»Charmant!« hauchte der lächelnde Kaiser von Pulitz hervor, nachdem er einen kurzen Husten ausgestoßen, »das wäre vollbracht. Schade, daß die schönsten Stunden des Lebens sich nicht zu Tagen ausdehnen und die schrecklichsten Tage sich nicht zu Stunden zusammenpressen lassen! Aber der Mensch ist ein armseliges Wesen, ich habe es schon oft gesagt, und werde es noch oft sagen. Nun aber, mon cher ami, ist mein Plauderstündchen gekommen, und so lassen Sie uns denn zu den Geschäften übergehen, die wir noch abzumachen haben. Wissen Sie, wovor ich mich hier am meisten fürchte?« Mit seiner ganzen behaglichen Ruhe und sah dem besorgten Manne furchtlos in das flammende Antlitz.

»Vor dem ärgsten Feinde, den ein anständiger Mann auf Erden haben kann – vor der Langeweile.«

»Oho!« brach hier Adam Sturleson los, »das hat gute Wege bei uns. Ich wenigstens habe noch niemanden gesehen, der sich auf Pulitz gelangweilt hätte, Sie also, Herr General, wären der erste.«

»Excellent! Das zu hören, macht mir ein großes Vergnügen. Womit beschäftigt man sich denn hier, wenn man gegessen, getrunken und geschlafen hat, da es keinen Menschen totzuschießen gibt?«

Der alte Schwede machte bei diesen Worten ein sehr ernstes Gesicht und hielt sein flammendes Auge wie gebannt auf das fragende seines Gebieters gerichtet. »Ich habe immer sagen gehört,« erwiderte er, »der Mensch liebe die Veränderung, den Wechsel und sehne sich ohne Unterlaß aus dem einen Zustande heraus und in den andern hinein. Ich kann das eben nicht von mir behaupten. Ich könnte ewig, wenigstens so lange mir der Himmel das Leben gibt, hier am Strande sitzen, wenn ich auch keine andre Arbeit zu verrichten hätte, und ich würde mich nie von hier fortsehnen, also auch niemals Langeweile empfinden. Denn sehen Sie, Herr General, habe ich hier nicht Veränderung und Wechsel genug? Ist das Meer nicht alle Tage anders? Brüllt es nicht heute und flüstert es nicht morgen? Und nun beachten Sie einmal den Wind. Bläst er nicht alle Tage aus einer anderen Richtung? Und nun gar die Wolken – ziehen sie nicht in tausend verschiedenen Gestalten und Farben, köstlich sich miteinander mischend, verschmelzend, eine die andere vertreibend, vor meinen Augen vorüber? Haben wir heute nicht lieblichen Sommer, folgt ihm nicht der Herbst mit seinen Früchten, der Winter mit seinem Schnee und der Frühling mit seinen Blüten und Hoffnungen? Bietet das alles nicht Zerstreuung genug, Herr General? Kann man da noch einen Augenblick Langeweile haben?«

Der General hatte bei diesen Worten, wie sie mit so ruhigem Nachdruck und innerer Behaglichkeit gesprochen wurden, von Satz zu Satz ein immer längeres Gesicht gemacht, bis er zuletzt den Redenden, als er ausgesprochen, mit einer vor Verwunderung wahrhaft versteinerten Miene anschaute. Er konnte anfangs gar keine Worte finden, die seine Empfindung vollkommen ausdrückten, daher brachte er sie nur abgerissen, beinahe stoßweise hervor.

»Bah!« fing er an. »Meinen Sie mich? He? Ich, ich soll da am Strande sitzen und die Wolken, den Wind und das Wasser beobachten? Herr! Und alle vier Jahreszeiten hier abwarten? Nennen Sie das etwa Zerstreuung, Vergnügen, Mittel gegen die Langeweile? Que le diable m'emporte! Das nenne ich einen Irrtum, Mann, und Sie scheinen mir ein seltsamer Kauz zu sein, daß Sie glauben, ich sollte Ihrem Beispiele folgen. Donner und Wetter! Sie haben mir ordentlich bange gemacht – ein Glas Wasser, Louis! Nein, mein Herr, ich sehe schon ein, der Herbstwind wird hier über die Stoppeln fahren, aber mich, mich wird er nicht mehr finden, denn dergleichen Genüsse halte ich nicht acht Tage aus.«

»Den Gedanken hat dir Gott eingeblasen!« hätte der alte Schwede beinahe mit seiner Trompetenstimme gerufen, aber er bezwang sich und strich nur den Schnurrbart mit einer Geberde, als wolle er seinen Mut andeuten, die anderen schönen Redensarten, die man nach diesem Eingang erwarten mußte, mit Geduld anzuhören.

»Nein, nein,« fuhr der Kaiser von Pulitz fort, »das war ein sehr fatales Thema, lassen Sie uns gleich von etwas Angenehmerem sprechen. – Wie steht es hier mit der Pacht?«

»Die habe ich von Sr. Majestät dem Könige von Schweden auf Lebenszeit erhalten.«

»Der König von Schweden, Monsieur, hm! – ist tot für Pommern und Rügen, notre Empereur, Napoleon le Grand regiert diesen erbärmlichen Fetzen Land!«

»Ich sehe es, ich sehe es, Herr General, und er hat einen sehr bedeutenden Mann hierher gesandt, um seine Stelle würdig zu vertreten.«

»Haha! Vous êtes un petit flatteur, mon cher. Aber gut, das mag ich leiden, das ist hübsch. Sie sollen die Pacht behalten, wenn Sie mir redlich dienen.«

»Ich hoffe nicht, daß Sie glauben, ich könnte in irgend einer Beziehung unredlich sein?«

» Pas du tout, pas du tout! Gott bewahre mich davor! Aber Sie scheinen etwas empfindlich zu sein, nach Ihrer geschwollenen Stirnader zu schließen?«

»Das bin ich nicht, aber ich vertrage es nicht, wenn ein Mann an mir, dem Manne, zweifelt.«

» Tranquille, mon cher, tranquille! Es war nicht böse gemeint. Lassen Sie uns also von etwas Angenehmerem sprechen. Wieviel Pacht zahlen Sie?«

»Vor zwanzig Jahren zahlte ich jährlich fünfzig Taler und zwei fette Schweine –«

» Comment? Lassen Sie uns zuerst über die Summe Geldes reden – fünfzig Taler? Wieviel ist das in Franks?«

»Zweihundert, Herr General.«

»Was?« schrie der Kaiser von Pulitz entsetzt. »Zweihundert Franks? Das wäre die ganze Pacht von meinem Besitztum!«

Der alte Schwede lächelte, wie nur ein so großer und starker Mann einem so kleinen gegenüber lächeln konnte. »Lassen Sie mich ausreden,« sagte er; »vor zwanzig Jahren, hab' ich gesagt, zahlte ich so viel. Heute gebe ich 80 Taler, das macht 320 Franks und außerdem zwei Schweine und 20 Pfund Schmalz.«

Beinahe wäre der Kaiser von Pulitz unter den Tisch gefallen. Er fuhr sich mit beiden Händen durch den Nest von Haaren und stieß hundert Angstschreie aus, so daß der alte Schwede glaubte, er habe Schmerzen irgendwo, und schon ängstlich nach Louis umherblickte, der längst zur Tür hinausgegangen war.

»Was!« schrie er endlich, als er die Fähigkeit, seine Stimme zu brauchen, wieder erlangt hatte – »das wagen Sie mir zu bieten? Da hätte mir ja mein Kaiser ein sehr unkaiserliches Geschenk gemacht!«

»Das haben Sie mit dem Kaiser selbst auszumachen, ich wasche meine Hände. Aber warum soll ich Ihnen nicht bieten, was ich einem König gegeben habe?«

» C'est trop méchant, mon cher! Wie, 320 Franks! Davon soll ich leben, genießen? Davon soll ich essen und trinken?«

»Haben Sie heute nicht gesehen, Herr General,« erwiderte der Schwede naiv, »daß ich außer mir noch einige andere satt gemacht habe?«

» Silence, mon ami! C'est trop méchant! Was trägt Ihnen das Gut, außer der Pacht?«

»Gerade so viel, daß ich leben, das heißt essen, trinken und mich kleiden kann.«

Der General riß wieder die Augen auf. »Dann leben Sie wohl wie ein Fürst, mon ami?«

»Nein, Herr General, nur wie es mir als armem Landmann geziemt, und das Mahl, das meine Frau heute bereitet, war nur Ihnen zu Ehren so reichlich bestellt. Schließen Sie also nicht daraus auf meine Kasse.«

Der General sprang vom Stuhle auf und hinkte wie ein verletzter Dämon in der Stube herum. Der Schweiß fiel ihm in großen Tropfen von der Stirn, er fühlte sich jetzt noch viel schrecklicher betrogen, als am Morgen, da er zum erstenmal die Insel, sein neues Besitztum sah, denn er hatte wenigstens auf eine Pacht von 10,000 Franks gerechnet.

» Mon ami!« rief er plötzlich und blieb vor dem großen Mann stehen, dem er kaum bis zur Brust reichte. »Wieviel können Sie mir geben, wenn ich die Gnade habe, Ihnen die Pacht zu lassen?«

Der alte Schwede richtete sich kerzengerade in die Höhe und sah den kleinen General mit einer denselben wahrhaft einschüchternden Miene an. »Gnade,« sagte er mit einer Donnerstimme, »verlange ich von niemanden, also auch von Ihnen nicht. Wenn Sie mich nicht als Pächter behalten wollen, so wählen Sie sich einen andern, aber so viel sage ich Ihnen, daß Ihnen kein Mensch auf ganz Rügen mehr geben kann und mehr geben wird, als ich Ihnen biete.«

Der General war bezwungen, trotz seiner vielen früheren Siege. Er gab also klein bei und fragte noch einmal in sanfterem Tone, wieviel Pachtzins ihm der Schwede geben wolle.

»Hundert Taler, das macht vierhundert Franks, sind das Höchste, wozu ich mich verstehe, und bei den Schweinen und dem Schmalze bleibt es.«

»So, so,« sagte der General und faßte sich lächelnd an das Kinn, denn ihm war plötzlich ein guter Gedanke eingefallen. »Mögt Ihr die Pacht denn für hundert Taler behalten, wenn ich keinen anderen Pächter finde, aber dann schlagt mir sogleich den Wald da drüben ab, den brauche ich nicht, obwohl ich das Geld dafür haben muß.«

Jetzt war die Reihe zu erschrecken an den alten Schweden gekommen. »Sie wollen den Wald abhauen?« fragte er mit einer Stimme, die so sanft wie aus eines Kindes Brust klang.

»Ja, mit einem Wort, und in den acht Tagen, die ich höchstens hier zubringe, denn wer kann länger in einem solchen Mistloche leben, muß es geschehen sein. Ich befehle es, au nom de l'empereur et de la loie, und das Gesetz bin diesmal ich!«

Diese, mit Nachdruck gesprochenen Worte verfehlten ihre Wirkung auf den ehrlichen Schweden nicht. Er sah ein, daß der General das Recht und die Macht auf seiner Seite habe, und er schwieg für jetzt, in der Hoffnung, es würden sich Mittel und Wege finden lassen, die Ausführung dieses Befehls hinauszuschieben, denn den Wald fällen zu lassen, den er so liebte, den er täglich mehrmals besuchte, den er »mein lieber Wald« nannte, das ging ihm über sein Begriffsvermögen, das war eine Wunde, mitten in sein Herz gehauen, und er hätte auf der Stelle zehn Jahre seines Lebens geopfert, wenn er den grausamen Befehl ganz ungesprochen hätte machen können. Ach, aber dieser Wunsch sollte ihm leider nicht erfüllt werden. Der Befehl blieb nicht allein gesprochen, er wurde auch ausgeführt. Schon am nächsten Morgen fing man an, den Wald zu lichten, und in wenigen Wochen lag die Zierde von Pulitz auf dem moosigen Boden, und der alte Schwede schritt weinend wie ein Kind darüber hin, betrauerte jede Baumleiche, wie er sie nannte, und sandte dem Kaiser von Pulitz einen Fluch nach, als er schon längst wieder das kaiserliche Geschenk, seine langweilige Insel verlassen hatte.


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