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Buchschmuck

Viertes Kapitel.
Am Fenster und unter dem Apfelbaum.

Franz Marssen begleitete seinen Besuch, der rasch den Weingang hinabschritt, höflich bis an die kleine Pforte und verabschiedete sich dann mit stummen Verbeugungen, da auch von seiten der Damen kein Wort mehr gesprochen wurde. Aber mit sinnend auf die Brust niedergebeugtem Kopfe betrat er sein Malerzimmer wieder, und es dauerte etwas lange, ehe er ihn wieder erhob und seine Augen auf die Arbeit richtete, die soeben eine so seltsame Unterhaltung hervorgerufen hatte.

»Da haben wir ja den zweiten Namen,« sagte er endlich zu sich, »und fürwahr, einen hübschen und vielbedeutenden obendrein. – Miß Edda! Aha! Ist der guten Miß Rosy dieser Name nur unwillkürlich über die Lippe geschlüpft, oder hat sie ihn mir mit Bedacht verraten? O nein, welchen Grund sollte sie dazu haben? Also nehmen wir das Erste an. Gut. Jetzt kann ich mein Bild doch mit einem Namen benennen. Edda! welch schöner, klangvoller, gewichtiger Name! Mutter der Erde, Schöpferin alles Guten und Schönen auf Erden, außerdem Inbegriff aller Vernunft und Poesie, in welcher Gestalt oder Form sie des Menschen Herz erfreuen mag – nun das lasse ich gelten, aber im übrigen hat diese Edda mir heute gerade nicht lauter Gutes und Schönes geboten, sie hat mich vielmehr recht bitter und herbe angeblickt, und auch ihre Worte waren oft recht kalt und schneidend zugespitzt. Welch seltsames Wesen im Gegensatz zu der unnachahmlich schönen Erscheinung: welcher Widerspruch von Augenblick zu Augenblick! Als ich sie heute morgen zum ersten Male sah, als sie die dunklen Augen zu mir erhob, war sie so mild und sanft, wie nie; sie sah mich fast bittend oder mitleidig an, als hätte sie in mir ein armes, unter menschlicher Leidenschaft blutendes Opfer vor sich, und plötzlich erfaßt sie wieder ihr herrischer Trotz, ihre Stirn zeigt eine gebieterische Hoheit, und aus ihren Augen sprühen verzehrende Blitze, als wollte sie mein Innerstes versengen! O ja, das mag zwar alles recht interessant und unterhaltend für den sein, der Gefallen an solchem Widerspruch findet, aber für mich ist es eben nicht erfreulich, es läßt mich zu keinem behaglichen Empfinden kommen und fast – fast beängstigt es mich. So, nun wollen wir unsere Reflexionen beendigt haben und wieder an die Arbeit gehen. Jetzt aber kommt das Porträt an die Reihe, denn ich habe dem prächtigen Gesicht trotz alledem wieder ein paar hübsche Züge abgelauscht.«

Bald darauf lag das stille Malerzimmer in seinem früheren Halbdunkel da, und Franz Marssen, nachdem er sich nur flüchtig überzeugt, daß niemand mehr im benachbarten Garten sei, saß wieder vor der Staffelei und gab sich ungestört seiner Arbeit hin. Ob mit der früheren Unbefangenheit und geistigen Sicherheit, wollen wir dahingestellt sein lassen, denn einen kleinen Nachhall hatten die Worte, die vorher gesprochen waren, gewiß in seinem Innern zurückgelassen, und je häufiger er sich jedes derselben wiederholte und die damit verbundenen Blicke sich vergegenwärtigte, um so befangener wurde er, und die vorher schon eingestandene Beängstigung wuchs zu einer unbestimmten, ihm bisher ganz fremden Besorgnis an. Wohl mochte er sich fragen, wenn er den Grund dieser seltsamen Empfindungen erforschen wollte, warum er beängstigt und besorgt sei, aber er fand keine genügende Antwort darauf, und höchstens schien ein instinktartiges inneres Vorgefühl in ihm zu walten, das ihm wie eine unbekannte, nie vernommene Stimme eine Art von Warnung zuflüsterte. Wovor aber wollte ihn diese Stimme warnen? Auch das wußte er nicht, aber am Ende schien es doch dieses dämonisch funkelnde, schwarze Auge zu sein, das ihn jetzt wieder aus seinem eigenen Bilde auf eine so geheimnisvolle, bedeutsame Weise anschaute, denn in diesem Auge lag ein Blick, wie er noch nie einen ähnlichen im Leben gesehen. War es ihm doch bisweilen, als ob aus diesem strahlenden Lichtmeer ein Pfeil hervorschießen könne, der, aller Riegel und Schranken seines Willens spottend, mit unaufhaltsamer Gewalt sich Bahn bis zu der Stelle bräche, in welcher die Empfindungen des Menschen ihre Wohnung haben.

Während er sich aber im stillen diese Bemerkungen vorsprach oder dachte, wie man bisweilen halb im Traume zu denken pflegt, wenn man mit etwas ganz anderem beschäftigt ist, malte er fleißig weiter, und erst als es halb ein Uhr war, legte er seine Gerätschaften zusammen, schloß die Tür des Zimmers und begab sich nach dem Vorderhause, um mit Tante Karoline allein das Essen einzunehmen.

Das erste, was diese ihm erzählte, war, daß sie am Morgen einen Boten von Doktor Marssen erhalten habe, der ihnen von Kandersteg aus angezeigt, daß er wahrscheinlich einige Tage länger ausbleiben werde, als ursprünglich in seiner Absicht gelegen. Er habe seine Reisetour geändert und wolle der »Weißen Frau« einen Besuch abstatten, wenn Michel, den er erwarte, ihm nicht einen anderen Vorschlag zu machen habe. Er sei ganz munter und wünsche ihnen dasselbe.

»Daran tut er recht,« sagte Franz, als die Tante ihren Bericht abgestattet hatte, »und ich begreife es wohl, daß man, wenn man einmal unterwegs ist, von seinem Wege abschweift. Es liegt eine magnetische Gewalt in diesen Bergen, und ist man erst einmal darin, so kann man sich ihnen so leicht nicht wieder entziehen. Ich wünschte, du machtest einmal eine weitere Partie mit uns, es würde dir das recht wohltun, Tante, und du würdest doch auch die geheimen Mächte der Berge kennen lernen.«

»Mein lieber Junge,« erwiderte sie, »ich habe die geheimen Mächte der Ebene genügend kennen gelernt und trage nach denen der Berge, wenn sie noch schlimmer sind, wie du meinst, nicht das geringste Verlangen. Dehnt Ihr Eure Partien so weit aus, wie Ihr wollt, ich aber will mich hier mit meinen kleinen begnügen. Ihr habt Kräfte und Lust, da draußen umherzuschwärmen und die Berge zu ersteigen, ich brauche die meinen für das Haus und meine Pflichten darin, und weiter zieht mich meine Neigung nicht.«

»Aber heute abend reiten wir doch?« fragte der Neffe.

»Ich habe es dir ja versprochen, und hast du mich je mein Wort zurücknehmen sehen, mein Junge? – Doch nun sage mir einmal, du bist ja heute morgen sehr fleißig gewesen und bist wohl sehr weit mit der schönen Reiterin vorgerückt, da du nichts von dir hast sehen oder hören lassen?«

Franz lächelte und machte dabei ein Gesicht, als trage er ein gewaltiges Geheimnis in sich, eine Maske, die, wie er wußte, stets einen großen Eindruck auf die gute Tante übte. Sie sah ihn auch sogleich fragend an, und in ihren sanften Zügen drückte sich eine unverhohlene Neugierde aus.

»Wenn du heute nichts von mir gesehen oder gehört hast,« sagte er mit ernsterer Miene, »so hast du sicher weder die Augen noch die Ohren recht aufgemacht, denn gerade heute hätten beide viel neues bei mir wahrnehmen können.«

»Was denn? O, so sprich doch nicht in Rätseln und laß mich so lange warten; denn daß dir etwas Ernstliches begegnet ist, habe ich dir – um aufrichtig zu sein – angemerkt, sobald du vorher in meine Nähe tratest.«

»So. Was du schlau bist! Nun ja, ich habe heute morgen einen sehr interessanten Besuch gehabt.«

»Besuch? Wer war denn da?«

»Zwei Damen, liebe Tante.«

»Zwei Damen? Bei dir? Du scherzest!«

»Nein, ich rede im vollsten Ernst. Doch, du wunderst dich mit recht, und ich habe es auch getan. Mit einem Wort: in der benachbarten Pension drüben ist eine Familie eingekehrt, die mir bekannt ist, und zwei Damen aus dieser Familie sahen mich am offenen Fenster malen, und so wurden sie begierig, meine Bilder zu sehen, und ich zeigte sie ihnen. Das ist das Ganze.«

»So, so!« sagte die Tante sinnend. »Aber wer war es denn? Ich irre mich wohl, wenn ich glaube, daß dir die schöne Reisegefährtin wieder begegnet ist?«

»Nein, darin irrst du nicht, denn sie und die Gesellschafterin ihrer Mutter, eine Engländerin, Miß Rosy genannt, waren es selbst, die mich besuchten.«

Die Tante schwieg eine Weile, dann sagte sie mit bedächtiger Miene: »Das ist eigentlich seltsam, Franz, nimm es mir nicht übel, ich meine, daß dich ein paar so junge Damen im Atelier besuchen. –«

»Nein, Tante, seltsam ist es nicht, und gerade daß sie mich im Atelier besuchen, ist das Natürliche dabei, denn sie kamen ja nicht zu mir, dem Mann, sondern zu mir, dem Künstler, und das sagte die schöne Schottin auch.«

»Freilich, wenn man es so nimmt, hast du recht. O, was Ihr Künstler Euch doch für interessante Vorrechte herausnehmt! Das sollte einmal einem anderen jungen Manne begegnen, was würde die Welt da schreien, und wenn er auch noch so unschuldig und rein wäre! Aber du wirst mir ja ganz rot, mein Junge? O, beunruhige dich nicht über meine altjüngferliche Ansicht. Ich bin die letzte, die dir diesen gewiß angenehmen Besuch mißgönnen könnte. War die junge Dame denn recht freundlich gegen dich oder kehrte sie wieder ihre vornehme Miene heraus?«

Franz fiel bei diesen Worten plötzlich die »Exzellenz« ein, und er starrte eine Weile gedankenvoll vor sich hin. »Nun,« sagte er langsam, »im ganzen trug sie ihr gewöhnliches Benehmen zur Schau. Freundlich, was man so nennt, ist sie eigentlich nie, aber bei ihrem eigentümlich abspringenden Wesen – ich kann es nicht anders bezeichnen – ist es schon viel, wenn sie nicht immer sprudelt wie ein tosender Wasserfall. Ich wünschte wohl, du möchtest sie sehen und mir dann dein Urteil über sie sagen. Ja. Jedenfalls ist es eine ungewöhnliche Erscheinung, und man findet einen endlosen Stoff zu Studien an ihr.«

»Das glaube ich auch,« sagte die Tante gedankenvoll, »obgleich ich sie noch nicht gesehen habe. Wenn dein Bild so weit fertig ist, daß man ihre Züge erkennen kann, so laß es mich wissen. Hörst du?«

»Ich höre, Tante, o ja!« sagte der ebenfalls in Gedanken dasitzende Neffe. – »Aber sprich, ist es dir recht, wenn wir um sechs Uhr reiten? Und wohin zieht dich dein Verlangen?«

»Mir ist alles recht, was dir recht ist. Um sechs Uhr also. Gut, ich werde die Pferde bestellen. Und wohin? Nun, über Felsenegg hinaus nach dem Turmberg und dann nach Ringenberg und Schadenburg. Ich möchte einmal wieder den Brienzer See von oben herab überschauen.« –

Dieser anmutige und nicht zu angreifende Ritt wurde, wie es verabredet, auf den vortrefflich geschulten Pferden ausgeführt, und beide hatten das größte Vergnügen daran. Als sie aber in der Abenddämmerung zurückkehrten, mußten sie eine Zeitlang vor der Zollbrücke halten, denn viele Wagen und Fußgänger bewegten sich über dieselbe nach Interlaken hin, da der schöne Abend alle Welt auf die Straßen gelockt hatte. Bei dieser Gelegenheit wurden die beiden Reiter, ohne es zu wissen, sehr aufmerksam aus einem Wagen betrachtet, in dem vier Damen saßen, und wenn Franz Marssen seine guten Augen wie gewöhnlich zur Hand gehabt, hätte er seiner Tante die schöne Schottin zeigen können, die eine der vier Damen war, und zwar gerade die, welche die im einfachen schwarzen Reitkleide erscheinende Tante Karoline mit Blicken musterte, wie sie wohl selten ein schönes Auge neugieriger und forschender ausgestrahlt haben mag.

*

Wieder war der neue Tag unter einem leicht bewölkten Himmel aufgewacht, um hoffentlich, wie der vorige, gegen mittag die Wolken schwinden und die Sonne strahlend durchdringen zu sehen. Als Franz Marssen nach einem kurzen Morgenspaziergange bei der Tante zum Frühstück erschien, fand er sie eifrig mit Nähen beschäftigt, und als er sie fragte, wie es komme, daß sie schon so früh ihre Nadel in Bewegung setze, sagte sie:

»Ich muß mich heute frisch daranhalten, mein Junge. Die Resi wäscht, und mir liegt die Sorge für Haus und Küche allein ob. Doch warum erkundigst du dich so angelegentlich nach meinen Geschäften? Du hast ja doch sonst für dergleichen Dinge keine Augen?«

»O doch, liebe Tante, und heute sogar mehr als sonst. Ich hätte es nämlich gern gesehen, wenn du etwa um zehn Uhr zu mir ins Atelier gekommen wärst, deine Arbeit mitgebracht und mit mir ein wenig, während ich arbeitete, geplaudert hättest.«

Die Tante hob verwundert ihr sanftes blaues Auge auf und sah den Redenden lächelnd an. »Warum denn das?« fragte sie.

»Ich habe dir ja schon gestern gesagt, daß ich wünschte, du möchtest die Bekanntschaft der – der schönen Nachbarin machen, und dazu böte sich vielleicht heute morgen die beste Gelegenheit.«

Nun blickte Karoline erst recht verwundert auf, und mit einer Spannung, die aus allen ihren Zügen sprach, fragte sie: »Erwartest du denn etwa heute nochmals ihren Besuch?«

»Ganz gewiß nicht, denn jetzt läge ja kein Grund mehr vor, mein Atelier zu besuchen, da sie sich bereits mit seinem Inhalt bekannt gemacht hat. Aber in den Garten kommt sie gewiß, und dann könntest du sie ja bequem sehen.«

»Ach so, Franz! Ja, nun verstehe ich dich. Doch heute muß ich leider diesem Vergnügen entsagen, die Wirtschaft erfordert notwendig meine Anwesenheit im Hause. Ein andermal vielleicht, und dann will ich sehr gern deinem Wunsche Folge leisten.« –

Franz hatte sein Frühstück beendigt und verließ mit freundlichem Kopfnicken die Veranda, um sich nach dem Malzimmer zu begeben. Als er aber diesmal, nachdem er das Fenster geöffnet, den Vögeln ihr Futter zuwarf, ließ er sein Auge, aufmerksamer als am vorigen Tage, über den benachbarten Garten schweifen, allein so tief er auch in das vor ihm liegende Grün eindrang, er nahm keinen Menschen darin wahr, obwohl der Tisch mit den beiden Stühlen noch immer auf der alten Stelle unter dem Apfelbaum in der Nähe des Fensters stand.

»Ah,« sagte er zu sich, »es ist niemand da bis jetzt, aber die Neigung wiederzukommen, scheint vorhanden, sonst hätte man wohl den Tisch und die Stühle wegnehmen lassen. Nun, heute soll mich nicht erst das Geknatter einer englischen Zeitung auf die Anwesenheit eines Fremden aufmerksam machen, ich werde mein Auge offen halten, und so leicht soll mir keine Dame entschlüpfen, mag sie nun ein schwarzes oder ein gelbes Kleid tragen.«

Und in der Tat, obwohl er fleißig bei der Arbeit war, sein Auge hielt er offen und von Zeit zu Zeit blickte er forschend über den Garten hin, der jedoch einsam und verlassen blieb und sich mit seiner Morgenfrische, seiner warmen Luft und den noch immer sichtbaren Perlen des Nachttaus umsonst geschmückt zu haben schien.

Endlich, etwa um zehn Uhr, wurde dieser Einsamkeit ein Ende bereitet, denn nachdem erst einige helle Stimmen in der Ferne hörbar geworden, trat von dem Hause her, auf dem einzigen Kieswege, der den Garten durchschnitt, eine weibliche Gestalt heran, die wieder ein hellgelbes Kleid trug und keine andere als die Zeitungsleserin von gestern sein konnte.

Franz Marssen hatte sein Auge also nicht vergeblich offen gehalten; er sah die junge Dame heranschreiten, und obwohl er noch vor der Staffelei saß, hatte er jeden ihrer Schritte verfolgt, bis sie endlich, langsam gehend, den Tisch erreichte, sich auf einen Stuhl daran niederließ und, ohne einen Blick nach dem offenen Fenster zu werfen, abermals eine Zeitung aus der Tasche zog und wieder zu lesen begann.

Franz, an das eigentümliche Wesen der geheimnisvollen Miß Edda schon gewöhnt, und entschlossen, ihr keinen Schritt entgegen zu tun, rührte sich nicht. Er malte so eifrig wie je und nur ganz verstohlen blickte er bisweilen seitwärts, ohne irgend eine Veränderung in der Stellung oder Aufmerksamkeit der Lesenden wahrzunehmen.

Diese kleine Szene mochte etwa eine Viertelstunde gedauert haben, als die Dame die Zeitung auf den Tisch legte, ihren Kopf nach dem Fenster umwandte und, da sie den stillen Künstler bemerkte, aufstand und sich seinem Fenster näherte.

Jetzt erhob sich auch Franz, der alles bemerkt hatte, stellte sich aufrecht ans Fenster hin und rief der Nahenden einen höflichen: »Guten Morgen!« entgegen.

»Guten Morgen, Herr Maler!« rief sie mit ihrer hellen Stimme zurück und winkte vertraulich herauf, wobei Franz zu seiner Freude bemerkte, daß sie wieder mild und freundlich aussah, wie gestern am Anfang ihrer Unterhaltung, so daß er ganz die Tochter der »Exzellenz« in ihr vergaß und sie nur für das nahm, was sie ganz gewiß am meisten war: für ein junges und dabei recht schönes und seltenes Weib.

»Nun,« fuhr sie gleich nach dem Morgengruß fort, »ich bin eigentlich nur hierher gekommen, um mich zu überzeugen, ob Sie fleißig sind. Sind Sie weit vorgerückt seit gestern?«

»Leidlich, mein Fräulein, und heute hoffe ich noch weiter vorzurücken, wenn Sie mir vielleicht die Ehre erweisen, mir einige Minuten zu Ihrem Porträt zu sitzen, womit ich soeben beschäftigt bin.«

Sie hob, gerade nicht unwillig, aber doch auch nicht freundlich das Gesicht zu ihm auf und sagte mit ihrer alten abweisenden Miene: »Ich hoffe, das wird nicht gerade unerläßlich sein. Ein guter Maler, wie Sie ja doch sein wollen und wirklich sind, muß jedes Gesicht, das ihm der Aufbewahrung wert erscheint, zeichnen, malen und treffen können, wie man es nennt, ohne daß eine Modellsitzung nötig wäre. Auch haben Sie mich ja jetzt oft genug gesehen und müssen meiner Gesichtszüge gewiß sein.«

»Ich bin ihrer auch gewiß, o ja, aber einzelne feine Linien und Striche malt man doch gern nach der Natur, um das Ganze vollendet erscheinen zu lassen, und wenn man eine gute Gelegenheit dazu hat, läßt man sie sich so leicht nicht entschlüpfen. Ich denke, Sie werden das ganz natürlich finden?«

»Mag sein. Nur das Wort: gute Gelegenheit gefällt mir nicht. Was wollen Sie eigentlich damit sagen?«

»Ich preise im stillen ganz einfach damit den Zufall, der Sie hier so ganz unerwartet in meine Nähe geführt hat.«

»Aha, ja; sehen Sie wohl, der Zufall hat es in dieser Beziehung ganz gut mit Ihnen gemeint, und er hat uns wirklich, wie ich Ihnen an den Reichenbachfällen sagte, noch einmal zusammengeführt.«

»Viele Menschen glauben an keinen Zufall,« bemerkte Franz Marssen ernst, »sondern nennen es Bestimmung.«

Miß Edda wurde bei diesen Worten ungewöhnlich ernst und senkte einen Augenblick den Kopf; als sie ihn aber bald wieder erhob, sagte sie lächelnd: »Ich gehöre nicht zu den Menschen, die es so nennen. Die Vorsehung, denn sie allein könnte doch nur die bestimmende Macht sein, müßte viel zu tun haben, wenn sie sich um alle kleinen Begegnisse der Menschen bekümmern und sie veranlassen oder verhindern wollte. Zu welcher Klasse von Menschen gehören Sie denn, halten Sie es mit dem Zufall oder mit der Bestimmung?«

»Das wage ich doch nicht so rasch zu entscheiden. Es gibt Tatsachen im Leben, die für beides sprechen. In diesem Falle aber,« fügte er lächelnd hinzu, »bin ich geneigt, es für einen reinen Zufall zu halten und stimme also einmal mit Ihnen vollkommen überein.«

»Wie, sind wir denn so sehr in unsern Ansichten verschieden? Wollten Sie das andeuten?«

Franz lächelte und nickte dabei. »Es mag wohl so sein,« sagte er, »wenigstens betrachten Sie viele Dinge und Verhältnisse in der Welt, wahrscheinlich auch die Menschen, aus einem ganz anderen Gesichtspunkte als ich.«

»Das tun wohl die meisten Menschen, und ich – ich bin durchaus nichts Absonderliches, und Sie wahrscheinlich auch nicht. Doch nun hat unser Morgengruß lange genug gedauert, und ich darf Sie nicht länger von Ihrer Arbeit abhalten. Malen Sie ruhig weiter, ich werde mich unter diesen schönen Apfelbaum setzen. Dann können wir uns unterhalten, ohne schreien zu müssen und – und wenn sie ein geschickter Dieb sind, wozu Sie doch einmal in meinen Augen Anlage haben, so können Sie die gute Gelegenheit benutzen, die Ihnen jetzt – freiwillig geboten wird, was anzuerkennen Sie hoffentlich großmütig genug sein werden.«

Und ohne auf seine Antwort zu warten, die jedenfalls einen Dank eingeschlossen haben würde, trat sie mit ihrem stolzen sicheren Schritt an den Tisch zurück, holte sich selbst einen Stuhl herbei und setzte sich auf den Rasen unter dem Apfelbaum, der dem Fenster des Ateliers am nächsten stand. Alsdann zog sie eine feine Näharbeit aus der Tasche und fing mit leicht vorgebeugtem Kopfe sogleich zu arbeiten an. Der Maler dagegen ließ sich diese freiwillig gebotene Gelegenheit nicht entschlüpfen, er rückte seine Staffelei dicht an das Fenster, schraubte das darauf stehende Bild höher und schickte sich nun an, seine Arbeit stehend fortzusetzen.

Nach einiger Zeit aber, während welcher er sich vergebens bemüht hatte, sein gemaltes Gesicht mit dem natürlichen zu vergleichen, das bei der vornübergebeugten Haltung unter dem kleinen Hute verschwand, sagte er: »Sie verzeihen, mein Fräulein, aber ich wollte nicht Ihren niedlichen Hut malen; Sie sind so gütig gewesen, mir Ihr Gesicht darzubieten und nun verstecken Sie es schon.«

Die junge Dame erwiderte nichts hierauf, lächelte nur still vor sich hin und nahm den Hut ab, den sie neben sich auf den Rasen legte. Darauf zog sie eine kleine Bürste aus der Tasche, strich sich ungeniert damit ein paarmal durch das dichte braune Haar und sah dann erst schalkhaft zu dem Künstler empor.

»Sind Sie Unersättlicher nun endlich zufrieden?« fragte sie.

»So sehr, daß ich nicht weiß, wie ich Ihnen meinen Dank aussprechen soll.«

»O, o, Sie wissen ja, ich liebe den in Worten bestehenden Dank nicht. Bedanken Sie sich damit, daß Sie mein Gesicht nicht schlechter darstellen als es ist.«

»Ich werde mir die größte Mühe damit geben. Doch, ich wollte mir zuerst eine Frage erlauben: wie befindet sich Ihre Frau Mutter?«

Über Miß Eddas bisher heiteres Gesicht flog ein trüber Schatten. »Ach,« sagte sie, »sie befindet sich nicht sonderlich. Ich fürchte, diese Reise wird auf ihre angegriffene Gesundheit nicht heilsam wirken. Sie leidet an einer ganz ungewöhnlichen Abgespanntheit, Erschlaffung und, fast möchte ich sagen Fühllosigkeit. Der Arzt hat ihr gesagt, sie müsse die ungestörte Ruhe genießen, sich von allen lärmvollen Zerstreuungen fernhalten und im Herbst nach einem südlicheren Klima gehen.«

»Was für einen Arzt hat Ihr Herr Vater angenommen?«

»Ich kenne seinen Namen nicht, doch traue ich ihm nach seinem Aussehen keine große Weisheit zu. Sollte dieser Mann ihr aber nicht helfen können, so werde ich« – setzte sie mit bedeutsamem Nachdruck und langsamer sprechend hinzu – »meinem Vater den Rat geben, zu einem berühmten Arzte seine Zuflucht zu nehmen, von dem ich zufällig gestern habe reden hören.«

»Soll denn dieser berühmte Arzt in Interlaken wohnen?« fragte Franz Marssen, nicht ohne Spannung die nun folgende Antwort erwartend.

»Ja. Eine Dame, deren Mann vor einiger Zeit bei einer Exkursion in die Berge Schaden genommen, hat ihn einer Bekannten, mit der ich gestern zusammentraf, außerordentlich gerühmt.«

Franz hielt im Malen inne, sah zum Fenster hinaus und fragte mit leicht errötetem, doch freudigem Gesicht: »Wissen Sie vielleicht den Namen dieses Mannes?«

Miß Edda errötete gleichfalls, als sie des Malers gespanntes Gesicht wahrnahm, und schaute zuerst vor sich nieder, als besinne sie sich auf den Namen. Dann aber erhob sie schnell den Kopf, senkte ihre klaren Augen fest entschlossen in die ihr begegnenden und sagte mit auffallend lauter, wie mit Mühe hervorgestoßener Stimme: »Ich glaube, die Dame nannte ihn Doktor Marssen.«

Franz lächelte freudig und nickte ihr in seiner natürlichen, vertraulichen Weise zu. »Das ist mein Vater, mein Fräulein,« sagte er ruhig.

»Ihr Vater?« rief sie erstaunt zurück. »O, das ist ja seltsam. Da haben wir wieder einen hübschen Zufall, nicht wahr?«

»Oder eine Bestimmung?« erwiderte Franz lächelnd. »Ja, Doktor Marssen ist mein Vater, und so haben Sie richtig meinen Namen entdeckt, wie ich den Ihrigen.«

»Wie?« rief sie. »Sie wüßten meinen Namen? Woher denn?«

»Miß Rosy nannte ihn gestern – ich glaube auch zufällig, denn hier kann ja keine Bestimmung obwalten.«

Miß Eddas Gesicht verfinsterte sich. »Scherzen Sie nicht. Was für einen Namen nannte sie Ihnen?« fragte sie fast streng und überaus hastig.

»Mir hat sie ihn gar nicht genannt, mein Fräulein; sie redete Sie nur damit an glaube ich.«

»Das ist mir entgangen. O! Und wie lautete der Name?«

»Miß Edda, wenn ich recht gehört habe.«

»O, was das betrifft, so haben Sie gute Ohren, ich weiß es. Also nun haben Sie es endlich herausgebracht! Das ist ein großer, wichtiger Fund, nicht wahr?«

»Nein,« versetzte Franz, den Kopf schüttelnd, »nicht gerade groß und wichtig, aber angenehm; ich weiß wenigstens gern, wie der Mensch sich nennt, mit dem ich mich beschäftige.«

»Das ist mir ganz gleichgültig,« rief sie mit einer Miene, die offenbar verriet, daß sie in diesem Augenblick nicht die Wahrheit sprach. »Aber daß Ihr Vater ein Arzt ist, wußte ich bisher noch nicht,« fügte sie nach einer Pause hinzu.

»Eigentlich ist er es hier nicht,« nahm nun Franz das Wort auf und erklärte ihr die Stellung seines Vaters in Interlaken.

»Er würde also wohl nicht meine Mutter besuchen, wenn die Not uns dazu veranlassen sollte?« fragte die Dame.

»Ohne Zweifel doch, und wenn ich ihn darum bitte, wird er Ihre Frau Mutter sogleich besuchen.«

Die junge Dame sprang von ihrem Stuhl auf, wie von einer unsichtbaren Feder emporgeschnellt, aber fast augenblicklich setzte sie sich wieder, und wenn auch ein Kampf in ihrem Innern vorging, er ging so rasch vorüber, daß nicht einmal mehr die Spur davon auf ihrem sprechenden Gesicht wahrnehmbar war. Dieses Gesicht aber nahm plötzlich einen ungemein weichen, fast bittenden Ausdruck an.

»Herr Marssen,« sagte sie, »nein, tun Sie das nicht, ich bitte Sie darum. Mein Vater ist ein seltsamer Mann, Sie kennen ihn ja. Er will nur, daß die Menschen tun, was er von ihnen verlangt, und handelt man ihm entgegen, oder kommt man ihm unerwartet zuvor, so nimmt er es übel. Erführe er, daß auf mein Geheiß oder auf meinen Wunsch ein fremder Arzt in unser Haus käme, er würde mir grollen, und das – das werden Sie doch gewiß nicht wünschen.«

»Ganz gewiß nicht, und Sie können überzeugt sein, daß ich kein Wort mit meinem Vater über Ihre Frau Mutter reden werde.«

»Kann ich Ihnen fest darin vertrauen,« fragte sie noch einmal.

»Wie in allem, mein Fräulein, ich gebe Ihnen mein Wort.«

»So danke ich Ihnen, und diese Sache ist abgetan. Nun zu etwas anderem. Wer war die schwarzgekleidete Dame, mit der Sie gestern abend über die Aarbrücke ritten?«

»Ah, haben Sie uns gesehen? Ich habe keine Ahnung davon, daß Sie uns begegnet sind.«

»Das weiß ich wohl, denn Sie waren mit Ihrer interessanten Reiterin vollauf beschäftigt.«

Franz hob seinen Kopf in die Höhe und zeigte dabei ein überaus freundliches Gesicht. »O ja,« versetzte er, »ich war vollauf mit ihr beschäftigt, und das bin ich immer, wenn ich bei der guten Seele bin, die mir überhaupt nur selten das Vergnügen macht, mit mir auszureiten. Es war meine Tante Karoline, mein Fräulein, die Sie gesehen haben.«

»Nur ihre Gestalt habe ich gesehen, und die war stattlich genug. Sie ist nicht verheiratet, nicht wahr?«

»Ach nein,« erwiderte Franz mit einem stillen Seufzer.

»Ist sie jung oder alt?« fuhr die unermüdliche Fragerin fort.

»Sie ist fünf Jahre jünger als mein Vater, und der zählt fünfundfünfzig Jahre. Ehemals soll sie ein sehr schönes Mädchen gewesen sein, und ich finde sie noch immer hübsch. Vor allen Dingen aber ist sie sehr gut.«

»Hübsch!« sagte die junge Dame, als hätte sie die letzten Worte überhört. »O ja, das mag wohl sein, wenigstens versprach ihre Figur und Haltung das. Sieht sie Ihnen ähnlich?«

»Wohl kaum. Sie ist blond, ich bin dunkelhaarig, wie mein Vater. Sie hat sanfte, weiche, fast wehmütige Züge, und ich –«

»Nun,« fuhr Miß Edda fort, als er im Reden inne hielt – »und Sie, was haben Sie Ihrer Meinung nach für Züge? Ich dächte, sehr strenge, unbändig und übermännlich sehen Sie auch nicht aus?«

»Übermännlich? Wie verstehen Sie das?«

»Nun, entsetzen Sie sich nur nicht, ich meine es nicht so schlimm, vielleicht habe ich auch einen unrichtigen Ausdruck gebraucht. Sie wissen ja, daß ich eine Ausländerin bin. Im ganzen sehen Sie aus wie ein Mann, und das ist die Hauptsache für Sie, denke ich. Doch nun zu Ihrer Tante zurück. Hat sie etwas vom Wesen einer alten, vertrockneten und erkalteten Jungfer?«

»Nicht das geringste, mein Fräulein, sie ist im Gegenteil das freundlichste, gefälligste, gutmütigste Wesen, was man sich denken kann, das den wärmsten Anteil an anderen Menschen nimmt und stets an sich zuletzt denkt, wenn von den Vorteilen aller die Rede ist.«

»Nun, Sie tragen da glänzende Farben auf. Doch still – da kommt die plauderhafte Miß Rosy, und nach ihrem Gesicht zu urteilen, bringt sie eine Botschaft. – Was gibt es?« rief sie der Engländerin entgegen, die etwas eilig vom Hause herangeschritten kam und es ganz natürlich zu finden schien, daß Miß Edda so nahe bei dem Maler unter dem Apfelbaum saß.

Nachdem sie Franz Marssen einen Gruß mit der Hand zugewinkt, meldete sie, daß soeben Besuch im Hause eingetroffen sei und daß man Miß Edda zu sprechen wünsche.

» Miß Edda,« – sie betonte das Wort stark – »wird auf Befehl erscheinen, meine Liebe, aber wer hat es denn so eilig, daß er schon vor elf Uhr Besuch macht?«

»Es ist die holländische Familie, die mit Ihnen über die bewußte Partie Verabredung treffen will.«

»Ah, ist es das? Das ist gut. Ich komme sogleich. Und Sie, Herr – Herr Marssen, ach ja, ich muß mir den Namen merken – malen Sie noch weiter?«

»Bis halb ein Uhr werde ich fleißig sein, mein Fräulein.«

»Gut, so treffe ich Sie noch, sobald der Besuch fort ist. Ich habe noch mehr mit Ihnen zu sprechen. Guten Morgen!«

Franz sah die beiden Damen nicht ganz gleichgültig von seinem Atelier fortgehen, das gestand er sich auch selbst ein. »Jedenfalls,« sagte er zu sich, »ist diese Miß Edda ein eigentümliches Wesen und, bei Gott! nicht uninteressant. O wie schade, daß eine so weite Kluft zwischen ihrem und meinem Kreise liegt – sie ist ja die Tochter einer Exzellenz – sonst hätte ich im ganzen eine recht hübsche Bekanntschaft gemacht. Merkwürdig, wie sie sich so genau nach allem erkundigt – das ist in Wahrheit eine englische oder vielmehr schottische Neugierde. Aber daß sie mir nun doch trotz ihrem kleinen Trotzkopf gesessen hat, ist vortrefflich. Jetzt sehe ich erst, was ich vollbracht habe, obgleich meine Gedanken stets bei ihrer Plauderei waren. Doch ich will mich ein wenig ruhen – es ist warm heute – ja, jetzt merke ich es erst.« –

Es war noch keine halbe Stunde vergangen, so sah unser Freund, der schon wieder bei der Arbeit war, die Dame im gelben Morgenkleide herankommen. Als sie sich ihrem alten Platze näherte, trat er einen Augenblick ans Fenster, sie aber richtete keinen Blick auf ihn, sondern setzte sich sogleich auf den Stuhl nieder und nahm die beiseite gelegte Arbeit wieder vor.

»Ist Ihr Besuch schon so früh fortgegangen?« erlaubte sich der Maler zu fragen, der ruhig an seine Staffelei zurückgetreten war.

»Natürlich, sonst wäre ich ja nicht hier, um mich abermals von Ihnen – berauben zu lassen. Jetzt malen Sie ruhig weiter, und ich werde das Gespräch fortsetzen, welches vorher abgebrochen wurde. Ich muß noch einmal von Ihrer Tante sprechen, denn ich fühle mich ihr sehr verpflichtet.«

»Sie? Meiner Tante verpflichtet?« rief Franz verwundert und hielt schon wieder im Malen inne.

»Bitte, soll ich Sie noch einmal ersuchen, in Ihrer Arbeit fortzufahren? Unterbrechen Sie sich nicht zu oft, die guten Gelegenheiten finden sich nicht so häufig, wie gerade heute, wo mein Vater außerhalb beschäftigt ist und meine Mutter sich mit Miß Rosy begnügt. Also weiter und sehen Sie mich dabei nicht häufiger an, als durchaus nötig ist. Ja – ich fühle mich Ihrer Tante verpflichtet, das heißt im Namen meiner Mutter, der sie ihr ruhiges Pferd geliehen hat.«

»O, ja, das geschah auf meine Bitte. –«

»Ach so! Sie meinen, eigentlich wären wir allein Ihnen verpflichtet?«

Franz Marssen lächelte. »Ich erhebe keine Ansprüche, mein Fräulein, das wissen Sie ja,« sagte er dann.

»Ich weiß es, und Sie wissen es auch von mir, daß ich meine gefühlten Verpflichtungen nicht gern in Worte kleide. Bei Ihrer Tante ist das etwas anderes – ihr werde ich meinen herzlichen Dank aussprechen, sobald ich sie einmal sehe, und das geschieht vielleicht bald.«

Franz schaute wieder verwundert auf. »Das würde eine große Freude für meine Tante sein,« sagte er warm.

»Und für mich auch. Ist Ihre Tante heute und morgen im Vorderhause beschäftigt?«

»Den ganzen Tag fast ist sie tätig, und morgens ist sie fast immer unter der Veranda zu finden. Soll ich sie vielleicht rufen?«

»O nein, das würde sich nicht ziemen. Ich werde sie schon einmal sehen. Bleiben Sie bestimmt bis halb ein Uhr hier?« fragte sie mit ihrem alten herrischen Blick.

»Ja, ich habe es gesagt, und ich halte mein Wort.«

»O, Ihr Wort verlange ich darauf nicht. Ich glaube Ihrer einfachen Versicherung. Nun aber noch rasch eine Frage, und dann muß ich Sie verlassen. Haben Sie Lust, eine Gesellschaft von Damen und Herren, in der auch ich mich befinde, in den nächsten Tagen auf einem Ausflug in die Berge zu begleiten? Wir beabsichtigen, über die Wengernalp nach Grindelwald zu gehen, Ihre wunderbaren Gipfel zu besteigen, so weit und hoch wir kommen können. Also entscheiden Sie sich – rasch!«

»Das geht so rasch nicht, mein Fräulein,« antwortete Franz und trat mit dem Pinsel und der Palette in den Händen an das Fenster. »Erst möchte ich mir zu fragen erlauben, aus welchen Personen die Gesellschaft besteht?«

»Das kann Ihnen einerlei sein. Ich bin dabei. Sie haben also wenigstens eine Bekannte, und außerdem wird noch ein Herr uns begleiten, der Sie schätzt und stets mit Achtung von Ihnen spricht. Wenn ich ihm nicht absichtlich Ihr stilles Asyl verschwiegen hätte, würde er Sie heute schon besucht und also gestört haben, und ich weiß, daß die Künstler sich nicht gern in ihren Arbeiten unterbrechen lassen. Das danken Sie mir, und ich bitte, es nicht zu vergessen. Doch nun lassen Sie mich auf die Bergreise zurückkommen. Mein Vater und meine Mutter bleiben von der Partie zurück. Ersterer hat unendlich viele und lästige Geschäfte, und meine Mutter ist zu leidend, um sich bewegen zu können. Auch haben sie beide an der Furca und der Grimsel genug fürs erste. Ich aber bin ein Nimmersatt im Bergsteigen. Ich muß mehr, ich muß alles sehen.«

»Schon wieder alles? O, beschränken Sie sich doch. Sehen Sie nur einiges gut, dann sehen Sie mehr, als wenn Sie alles oberflächlich sehen.«

»Ich liebe es nicht, daß Sie mich belehren wollen. Sie wissen es ja. Doch Sie haben meine Frage umgangen – Sie wollen also nicht mit?«

Da sie die letzten Worte wieder mit dem ihr eigenen herausfordernden Trotze sprach, so faßte sich der Maler ein Herz ihr auf ähnliche Weise zu begegnen. »Nein,« erwiderte er kurz, »wenigstens nicht eher werde ich mich entschließen, als bis ich weiß, aus welchen Mitgliedern die Gesellschaft besteht. Gesellschaften, in die ich nicht gehöre, liebe und suche ich nicht.«

Miß Edda machte große Augen, und von jetzt an sprach sie ruhiger, sanfter und fast überredender. »Sie suchen sie ja nicht,« sagte sie, »man hat sie Ihnen ja angetragen. Seien Sie doch nicht so starrköpfig. Warum sollte die Gesellschaft Ihnen nicht passen? Sind Sie so anspruchsvoll?«

»Ich nicht, aber die Gesellschaft könnte es sein.«

»Das ist meine Sache. Mit einem Wort: wollen Sie oder nicht?« rief sie mit einem Male wieder trotziger denn je.

»Wenn Sie so kategorisch sprechen, muß ich mich wohl rasch entschließen, will ich nicht unhöflich erscheinen. Also denn – wenn Ihnen meine Gesellschaft genehm ist – ja, dann will ich mit.«

»Nun, das befriedigt mich, und mehr verlange ich nicht. Die Sache ist abgemacht. Den Tag und die Stunde werde ich Ihnen noch bestimmen. Aber wie? Noch eins. Sie sind ja hier bekannt. Wollen Sie für gute Führer den Gletscher hinauf und auch für Pferde sorgen?«

»Für Ihr Pferd ist gesorgt, Sie sollen wieder den Schimmel reiten.«

»Das werde ich diesmal nicht tun. Sie sollen nicht wieder zu Fuß gehen und neben mir her keuchen und sich so übermäßig anstrengen. Das hat mir neulich leid genug getan. Nein, Sie sollen reiten, wie wir alle.«

»Nun gut, dann sollen Sie meiner Tante Fuchs reiten!«

»Auch dafür danke ich, wenn Sie ihn mir verschaffen wollen. Ich will Ihnen nicht noch einmal verpflichtet sein. Sie erheben zu große Ansprüche an meine Dankbarkeit. Daß ich hier wie gefesselt sitzen muß, ist ein Beweis davon.«

»Wenn ich sie nicht bei diesen Worten lächeln sähe, könnten Sie mich kränken. Aber ich verstehe, Sie wollen sich selbst den Fuchs von meiner Tante erbitten, wie?«

»Sie sind fast zu klug für einen Menschen und haben meine Absicht wirklich erraten. Doch still, das übrige wird sich finden. Sie werden also für Führer und Pferde sorgen?«

»Die anderen Herrschaften werden Pferde genug in Lauterbrunnen und Grindelwald finden, und für Führer nach dem Gletscher, wenn er durchaus bestiegen werden soll, werde ich sorgen, ja.«

»Gut. So wünsche ich Ihnen einen guten Morgen, und wenn Sie in Ihrer Arbeit nicht weitergekommen sind, so ist es nicht meine Schuld. Warum sind Sie so streitsüchtig!«

Dabei winkte sie ihm mit der Hand, nickte vornehm-vertraulich und ging so – rasch fort, daß dem Nachschauenden keine Zeit blieb, auch nur ein Wort zu sprechen. So verfolgte er sie denn nur mit den Augen, und wenn er dabei auch den Kopf über das seltsame Wesen schüttelte, welches sie an den Tag gelegt, so konnte er doch nicht umhin, sich einzugestehen, daß sie unter allen Umständen eine interessante Persönlichkeit sei, deren schönen Körper zu malen eine ebenso angenehme Arbeit war, wie ihrer geistreichen Plauderei zuzuhören, wenn diese auch oft von Stacheln und Spitzen strotzte und bisweilen tiefer eindrang, als es sonst Worte aus dem Munde eines so schönen Wesens zu tun pflegen.


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