Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.
Die Maske des sichergehenden Mannes fällt

Die Brust von wunderbaren Gefühlen geschwellt, den Kopf voll der widersprechendsten, auf- und abfluthenden Gedanken, saß Paul auf dem Deck des kleinen, flüchtig die Wellen durchschneidenden Fahrzeugs, und zur Verwunderung des redseligen Schiffers und des bedächtigeren Friedrich drang unterwegs kein Wort über seine Lippen. Erst als der Kutter sich der Kugelbaake näherte, kam wieder Leben in ihn, sein Gesicht heiterte sich auf und er nickte dem unablässig ihn betrachtenden Diener einen freundlichen Gruß zu, als bemerke er ihn jetzt zum ersten Male. Dieser kluge Mensch aber, der längst gemerkt, daß etwas Wichtiges in der Luft schwebe, war die Aufmerksamkeit selber gegen seinen jungen Herrn und er hätte wer weiß was gethan, um sich ihm gefällig und hülfreich zu erweisen.

Paul wurde, als er den Kutterführer reichlich belohnt, an der Kugelbaake von Whistrup und dessen Tochter mit lebhafter Freude empfangen, aber auch sie merkten ihm auf der Stelle an, daß etwas Wichtiges, wenn nicht Entscheidendes an Bord des Feuerschiffs vorgefallen sei, und so hielten sie ihre schon vorbereiteten Fragen sorglich zurück.

»Friede,« sagte Paul zu dem frischen jungen Mädchen, das ruhig an seiner Seite dem Hause zuschritt, »ich muß Sie schon wieder bemühen. Sie sehen also, wie ich nicht wenig von Ihnen verlange. Aber ich muß durchaus eine Stunde bei Ihnen rasten, so viel Zeit darf ich mir wohl gönnen. Ich bin dann doch zur Mittagsstunde zu Hause und behalte Zeit genug für meine übrigen Geschäfte. Geben Sie mir also ein gutes Glas Wein zur Stärkung und Etwas zu essen. Ich bedarf der Erholung, denn ich bin, offen gesagt, angegriffen, mehr von innerer Gemüthsbewegung als von äußeren Strapazen.«

Friede hatte genug gehört. Während ihr Vater bei dem jungen Herrn im Zimmer saß, wirthschaftete sie mit der Magd in der Küche herum, um dem werthen Gaste etwas Schmackhaftes darzubieten, was ihr auch vollständig gelang.

»Whistrup,« sagte Paul zu dem bisherigen Laternenwärter, als dieser ihm eine brennende Kerze zum Anzünden einer Cigarre darreichte, »ich freue mich doch sehr, Ihre Bekanntschaft gleich am ersten Tage gemacht zu haben, als ich hier ankam. Sie wissen doch wohl noch?«

»Ach, Herr van der Bosch,« entgegnete der gute Mann lächelnd, »ich habe schon vorher so recht lebhaft daran gedacht. Ich war etwa vor einer Stunde nach den neuen Badehäusern den Deich entlang gegangen, als ein englischer Dampfer von Hamburg die Elbe herunterkam und heute wieder einen Passagier an Land setzte, wie er es damals mit Ihnen that. Da fielen Sie mir auf der Stelle ein und ich sagte zu Friede, als ich eben zurückkam: der Fremde, der heute in Cuxhafen angekommen ist, bringt uns nicht so viel Gutes als Herr van der Bosch uns gebracht hat.«

Paul überhörte Einiges in diesem Bericht und faßte nur die letzten Worte auf. »Sie sind sehr freundlich,« erwiderte er, »aber Sie haben mir wohl noch mehr gebracht als ich Ihnen. Gerade Ihnen und Ihrer Tochter verdanke ich die Aufklärung über meines Onkels Verhältnisse und – was jetzt noch viel wichtiger ist – die Hindeutung auf gewisse Personen, die in diesen Verhältnissen eine bedeutungsvolle Rolle mitgespielt haben.«

»Das hat der Zufall zuwege gebracht, Herr van der Bosch. Das Gespräch kam ja ganz von selbst darauf. Doch – darf ich Sie nun wohl fragen, ob Sie irgend etwas Gewisses über den Rentmeister von Laurentius Selkirk erfahren haben?«

Paul lächelte eigenthümlich bei diesen Worten und blies den Rauch seiner Cigarre mit einem gewissen Behagen weit von sich. »Warten Sie zwei Tage,« versetzte er, »dann sollen Sie mehr hören; aber machen Sie sich bereit – so viel muß ich Ihnen doch wohl sagen – schon am ersten Juni Ihre Pacht anzutreten.«

Eben hatte Friede Wein und Gläser gebracht und dabei die letzten Worte des Sprechenden vernommen. Die Hand zitterte ihr, als sie die Flasche auf den Tisch stellte, und sie sah erst ihren Vater, dann Paul mit einem Blick voller Verwunderung und Staunen an.

»Ja, ja,« fuhr dieser fort, »ich sage es Ihnen schon jetzt, treffen Sie Ihre Vorbereitungen.«

»Aber mein Gott, wie käme denn das?« rief Whistrup, mit einem ganz dunkelrothen Gesicht, so sehr hatte diese unerwartete Nachricht sein Blut in Bewegung gesetzt.

»Still! Fragen Sie mich nicht genauer aus, ich kann Ihnen noch nicht Alles enthüllen, was selbst meinem Onkel heute noch ein Geheimniß bleiben muß. Nur so viel ist gewiß – und auch das sage ich nur Ihnen Beiden allein – länger als höchstens zwei Tage bleibt Hummer nicht mehr in meines Onkels Haus, darauf verlassen Sie sich.

Die Uhr dieses Menschen ist abgelaufen und die Ihrige wird frisch aufgezogen. Das ist Alles und alles Uebrige ist noch mein Geheimniß. – Werden Sie von Ihrem hiesigen Dienst zum Ersten nächsten Monats loskommen können?«

Er hatte dabei ein Glas Wein getrunken und winkte Friede zu, auch ihrem Vater eins anzubieten. Gleich darauf ging sie nach der Küche, um nach dem Essen zu sehen und in zwei Minuten brachte sie eine kräftige Fleischspeise herein, welche die Magd unterdessen bereitet hatte.

»Ei gewiß,« erwiderte Whistrup, nachdem er von dem Wein genippt, »der Herr Amtmann hat mir ja selbst gesagt, daß mein Nachfolger jeden Tag für mich eintreten kann.«

»Wenn das ist, so ist es gut. Mit dem Amtmann werde ich heute noch selbst darüber sprechen, denn ich sehe ihn schon am Nachmittag.«

Mehr sagte er vor der Hand nicht, sondern setzte sich an den Tisch und begann mit Appetit zu essen. In diesem Augenblick rief die Magd ihren Herrn aus dem Zimmer und nach wenigen Minuten kam dieser wieder lachend herein und sagte, sich zu Paul an den Tisch stellend:

»Das ist doch wirklich sonderbar, Herr van der Bosch. Wir haben noch so eben von Ihrer neulichen Ankunft hier gesprochen und jetzt begegnet mir etwas ganz Aehnliches.«

»Was denn? Wollen Sie uns neugierig machen?«

»Ei, der Passagier, der etwa vor anderthalb Stunden in Cuxhafen ausgestiegen ist, kommt so eben an, und wie Ihnen damals, so karrt auch ihm der Hausknecht vom Belvedere seinen Koffer.«

»Das hat wirklich einige Aehnlichkeit mit jenem Tage,« sagte Paul lächelnd und aß ruhig weiter.

»O, es ist noch nicht Alles, Herr, es kommt noch mehr Aehnlichkeit. Der junge Herr will nämlich auch nach Betty's Ruh und fragt mich eben, ob er nicht einen Wagen bekommen könne, um nach dem Gute zu fahren.«

Jetzt wurde der Essende aufmerksam und legte Messer und Gabel hin. »Das ist ja seltsam,« sagte er. »Lassen Sie doch den jungen Herrn hereinkommen, damit wir sehen, wer es ist und was er auf Betty's Ruh will.«

Whistrup ging wieder hinaus, um dieser Aufforderung zu genügen, und bald öffnete er die Thür und herein schritt in sehr modernen neuen Reisekleidern ein junger Mann mit frischem, ausdrucksvollem Gesicht und blonden Haaren, der aber mit einer Art verwunderungsvoller Starrheit auf der Schwelle stehen blieb, als er Paul's ansichtig ward.

Dieser sprang, wie von einer Feder emporgeschnellt, in die Höhe und lief ihm mit offenen Armen entgegen. »Fritz,« rief er, »Fritz Ebeling, Junge, wo kommst Du her?«

Und gleich darauf lagen sich Beide in den Armen und begrüßten sich auf die herzlichste Weise, wie es nur zwei Brüder nach langer Trennung thun können.

Kaum aber hatte Whistrup und seine Tochter gesehen, daß die beiden Herren befreundet seien, so verließen sie bescheiden das Zimmer, und die Freunde konnten sich nun mit vollem Behagen gegenseitig betrachten und ihre lebhafte Umarmung von Neuem beginnen. Nachdem sie nun verschiedene Freudenrufe ausgestoßen und sich Glück gewünscht hatten, so unverhofft einander zu treffen, und als wieder einige Ruhe auf die erste Ueberraschung gefolgt war, sagte Paul, seinem alten Freunde einen Stuhl und ein Glas Wein anbietend:

»Aber nun, Fritz, laß uns ernstlich mit einander reden. Ich bin entzückt, daß Du mich hier und gerade heute triffst, denn der heutige Tag ist einer der wichtigsten und bedeutungsvollsten für mich, den ich bisher in meiner neuen Heimat erlebt habe.«

»Das betrachte ich als ein gutes Omen,« erwiderte der von Freude strahlende junge Kaufmann, »und es stimmt auch mit dem überein, was ich Dir selbst bringe. Ich halte es nämlich für wichtig genug. Aber wie ich hierher komme? Das ist ja ganz einfach, mein Junge. Dein Brief war wahrhaftig danach angethan, uns Alle endlich in Bewegung zu setzen. Mein Vater faßte einen raschen Entschluß und um Dir Hülfe zu bringen, hat er seine eigenen Angelegenheiten im Stich gelassen und sich vier oder sechs Wochen Reiseurlaub bewilligt. Jetzt sitzt er mit meiner Mutter, die uns natürlich begleitet hat, in Hamburg und wird dort mehrere Tage bleiben, da er mit Baring, der ihn nicht unter einer Woche loslassen will, auch Deines Onkels wegen wichtige Besprechungen halten muß. Meine Mutter wird an Betty schreiben, wenn sie kommen, damit diese ihnen einen Wagen nach Cuxhafen sendet. Mich, der ich keine Ruhe mehr in Hamburg hatte, da ich Dir und Betty so nahe war, haben sie als Avantgarde vorangeschickt, und das Geschütz, was ich zu Deiner Hülfe mitbringe, ist wahrhaftig von einem Kaliber, daß Du Deine Freude daran haben wirst.«

Paul lachte freudig auf. »Fritz,« rief er, zog das kleine blaue Buch aus der Brusttasche und reichte es ihm hin – »sieh hier, ist Dein Kaliber wohl eben so schwer, wie dies Bücherchen das mir erst heute Morgen dort auf dem Wasser in die Hände gekommen ist?«

Fritz griff begierig danach und schlug es sogleich auf. »Wie?« rief er verwundert, »ist es das bewußte verlorene Büchelchen? Wahrhaftig, es ist es – ah!« und er konnte sich nicht enthalten, darin zu blättern und endlich auf die letzte beschriebene Seite einen Blick zu werfen, wo in richtiger kaufmännischer Art und Weise eine große Summe in runden Zahlen verzeichnet stand.

Als er aber diese Summe sah und mehrere Male leise aussprach, wurde er blaß und blickte seinen alten Freund, den ehemaligen armen Studenten, mit einem eigenthümlichen Ausdruck von Verlegenheit und Freude an. »Bei Gott,« rief er stammelnd, »hast Du das schon gelesen?«

»Dazu habe ich noch keinen Augenblick Zeit gehabt, mein Lieber, und ich erspare mir diesen Genuß auf einen günstigeren Moment. Die Freude, die mir dies Buch bringen kann, kommt immer noch früh genug, aber erst muß etwas Ernsteres geschehen.«

»Das will ich meinen. Da, steck es nur gleich wieder ein und nun habe ich abermals Gelegenheit, Dir wieder einmal zu gratuliren. Doch nun sprich, was giebt es denn für Dich in diesem Augenblick Wichtigeres, als dieses Buch zu lesen? Du bist und bleibst in Geldangelegenheiten doch ein närrischer Kerl!«

»Du siehst es ja,« sagte Paul mit einem Anflug seiner alten Ruhe, »ich stärke mich erst. Das ist nöthig, mein Junge, denn wenn ich gestärkt bin,« fuhr er mit erhobener Stimme und flammenden Augen fort, »dann geht die Jagd los und noch heute, hoffe ich, werden wir den heimtückischen Wolf, den wir suchen, in unsere Gewalt bekommen.«

»Wirklich? O, das ist prächtig, ich jage mit und bin also wirklich zu rechter Zeit gekommen. Und wer ist der Verräther?«

»Kein Anderer, als ein gewisser Uscan Hummer, den die gute Frau Dralling, der weibliche Polizeisergeant, trotz des übergeworfenen Schafpelzes sogleich gewittert hat.«

Fritz nickte befriedigt. »Na,« sagte er, »da wir einmal bei einem Verbrechen sind, will ich Dir noch ein zweites enthüllen, und das war mit ein Hauptgrund, warum wir Alle so schnell reisten. Du erinnerst Dich doch jenes Tages, kurz vor Deiner fluchtähnlichen Abreise von uns, als ich zu Dir kam, Dir einen Staatsschuldschein zeigte, der auf seiner Rückseite den Namen van der Bosch trug, wie?«

»Gewiß, und was ist damit?«

»Nun, wir haben zu Hause in Erfahrung gebracht, daß dergleichen Scheine, preußische und russische in einer gewissen Quantität« – er sprach diese Worte mit starker Betonung – »in der Residenz von einem und demselben Individuum – eben jenem Baron von Hagen – an jenem Tage verkauft sind. Ist Dir das nicht wichtig? Du lächelst dabei.«

»O ja, aber ich lächele, weil es nichts beweist. Das Individuum, welches sie verkaufte, wenn es – merke wohl auf – unser Wolf ist, was allerdings denkbar, konnte sie als sein Eigenthum verkaufen, da mein Onkel Casimir verschiedene Legate von großem Belang in solchen Papieren ausgezahlt hat.«

»So. Wie groß war denn das größte Legat?«

»Es betrug fünfzigtausend Mark.«

Fritz Ebeling lachte laut auf. »Das ist ja eine wahre Lumperei gegen den Umsatz, den ich vor Augen habe,« sagte er. »In unserer Residenz allein hat er an verschiedenen Orten wenigstens für dreimalhunderttausend umgesetzt, und wer weiß, wie viel er noch in anderen großen Städten verhandelt hat. Ueberall aber hat er – und ich habe nicht eher Ruhe gehabt, als bis ich in allen Wechselhandlungen gewesen, um persönlich Erkundigungen einzuziehen – überall hat er sich englische Banknoten ausgebeten, natürlich um sie auf großen Handelsplätzen leichter zu Geld machen zu können.«

Jetzt machte Paul große Augen. Doch Fritz war noch nicht fertig und er fuhr sogleich mit steigender Lebhaftigkeit fort. »Aber das ist noch nicht genug, mein Junge. Baring hat meinem Vater, sobald dieser ihm einen Theil Deines Briefes mitgetheilt, anvertraut, daß es bei Eurer Erbschaft nicht mit rechten Dingen zugegangen sein müsse, denn sein ehemaliger bester Kunde – eben Dein Onkel Quentin – habe jährlich für ... Thaler – er nannte hier eine ungeheure Summe – »Coupons in baares Geld umgewechselt erhalten, und seit einem Jahre habe dieser Umsatz fast gänzlich bis auf einige tausend Thaler gestockt.«

»So, so,« erwiderte Paul, von diesen schlagenden Beweisen vollkommen niedergedonnert. »Das ist höchst erbaulich und nun kommt Alles mit einem Male an den Tag. Kann ich auf Deine Zeugenschaft vor Gericht rechnen, wenn diese Dinge zur Sprache kommen?«

»Na, das versteht sich von selber, darum bin ich ja hier.«

Paul sann einige Augenblicke nach. »Höre,« sagte er endlich, »laß uns das Alles vor meinem alten Onkel noch geheim halten. Wir wollen dem guten Mann keine Unruhe machen. Erst wenn wir den Wolf fest haben, ist die Zeit gekommen, wo ihm die Augen geöffnet werden müssen, und dann werde ich ihm sagen: Onkel, Du hast mir alle Deine Geschäfte übergeben. Sieh, ob ich sie ganz nach Deinem Wunsch und meiner Pflicht gemäß zu Ende gebracht. Hier hast Du das Resultat und die Beweise obendrein!«

»Gut, ich stimme Dir bei. Das ist recht von Dir, der Alte muß geschont werden. Aber wann gehen wir zu den Gerichten – ich denke, das muß bald geschehen.«

»Heute Nachmittag gleich nach Tisch fahren wir nach Ritzebüttel. Dann ist Alles bald abgemacht und heute Abend schon haben wir den Kerl fest. Jetzt aber laß uns aufbrechen, wir wollen noch zur Essenszeit in Betty's Ruh sein.«

Eine Viertelstunde später hatte Paul von Whistrup und Friede Abschied genommen und saß mit seinem alten Freunde im Wagen, nachdem er Louis den Befehl gegeben, um drei Uhr zu einer neuen Fahrt gerüstet zu sein. Die beiden jungen Männer aber waren noch keine halbe Stunde gefahren, als sie den Wagen schon wieder halten ließen, um hinter ihm her zu Fuß zu gehen. Sie konnten in unmittelbarer Nähe des Kutschers und Friedrichs nicht von den Dingen sprechen, die ihre Herzen belasteten, und so schritten sie langsam dem Gute zu, wobei sie Muße genug fanden, ihre gegenseitigen Mittheilungen zu ergänzen und sich den Standpunct, auf dem sie gegenwärtig standen, vollkommen klar zu machen.

Endlich hatten sie die Stelle auf ihrem Gange erreicht, von wo aus Schloß Betty's Ruh zum ersten Mal in der Ferne sichtbar wird. Unter anderen Umständen würde Fritz Ebeling in dieser Beziehung eine große Neugierde an den Tag gelegt haben, heute jedoch war sein Gemüth von augenblicklich wichtigeren Dingen zu sehr in Anspruch genommen und so begnügte er sich mit wenigen Blicken und Fragen und setzte dann die begonnene Unterhaltung mit Paul ruhig weiter fort. Als sie aber in die Nähe des Parkthores kamen, hatten sie endlich alle ihre Erlebnisse ausgetauscht und eben wollten sie auf dasselbe zuschreiten, als in der Ferne ein Reiter sichtbar ward, der langsam auf seinem weißen Pferde ihnen entgegenkam.

Paul zuckte unwillkürlich zusammen, als er desselben ansichtig ward, aber er faßte sich schnell und sagte rasch zu seinem Freunde:

»Verhalte Dich ruhig, Fritz, was ich Dir jetzt auch sagen werde, und beherrsche Geberde und Miene. Sieh Dir jenen Reiter genau an, der uns dort entgegenkommt. O, wenn dieser Mensch allwissend oder nur allsehend wäre und in die Brusttasche dieses meines Rockes oder gar in unser Herz blicken könnte, was würde er sagen, was für eine Miene annehmen, was thun!«

Fritz hob seine guten Augen vorsichtig in die Höhe und sah nach dem Reiter hin. »Wer ist es denn? Du machst mich neugierig –«

»Wer kann es anders sein als der Rentmeister von Betty's Ruh, Herr Uscan Hummer! Nun sieh ihn Dir an, aber behalte Deine Ruhe – der Mensch ist schlau wie ein Fuchs und raubgierig wie ein Wolf. Geduld, Geduld, lieber Wolf – heute Abend noch haben wir Dich!«

Fritz antwortete nichts mehr, er hatte keine Zeit dazu. Der Rentmeister, als er Paul aus der Ferne erkannte, kam in leichtem Trabe heran und parirte sein schönes Pferd kurz vor den beiden jungen Männern, wobei er zugleich einen raschen Blick auf den ihm völlig unbekannten Fritz Ebeling warf.

»Guten Tag, Herr van der Bosch!« rief er Paul entgegen und lüftete den Hut, wobei sein Gesicht einen Zug widerlicher Freundlichkeit annahm – »Sie haben wohl heute schon einen tüchtigen Marsch gemacht?«

»Ja, ich habe mir einen alten Freund zum Besuch in's Haus geholt,« erwiderte Paul, auf Fritz deutend, ohne jedoch denselben vorzustellen.

Der Rentmeister zog den Hut, Fritz Ebeling rückte den seinen nur wenig, und darauf sagte der Erstere, indem eine merkliche Röthe augenblicklicher Verlegenheit sein Gesicht überflog, was er durch einen Blick nach dem Himmel zu verbergen trachtete: »Wenn es doch Regen geben wollte! Die Wärme hat nun lange genug gedauert und der ewige Sonnenschein macht mich bei der anhaltenden Dürre für meine Felder besorgt.«

»Trübe ist es genug geworden,« entgegnete Paul, sich schon zum Weitergehen anschickend, »ich glaube gewiß, daß es bald Unwetter giebt. Guten Morgen!«

Er wandte sich dem nahen Park zu, der Rentmeister gab seinem Schimmel die Sporen und flog im Galopp davon. Fritz aber blieb auf derselben Stelle stehen, die er während der kurzen Unterhaltung der beiden Anderen eingenommen, nur hatte er sich gewandt und blickte dem so schnell Fortreitenden lange nach.

»Nun,« rief Paul und drehte sich noch einmal nach dem Freunde um, »was siehst Du ihm denn so lange nach? Wie gefällt Dir unser Mann? – Aber mein Gott,« setzte er nach einer Weile hinzu, als er einen Blick auf Fritz Ebeling's Gesicht geworfen – »was hast Du denn? Du siehst ja ganz erstarrt aus?«

»Ich habe auch wohl Ursache dazu,« erwiderte Fritz, der in der That vor Staunen bleich geworden war. »Also das war Dein vortrefflicher Rentmeister? Nun, so wisse denn, daß auch ich einen alten Bekannten in ihm entdeckt habe.«

»Du? Einen alten Bekannten? Wen denn?«

»Niemand anders, als den Herrn Pseudobaron von Hagen, der in der Wechselhandlung von ... in der Residenz neulich jene Papiere verkaufte, von denen ich das eine in Deinem Interesse selbst käuflich an mich brachte und hier in meiner Brieftasche bewahre.«

»Wie?« rief Paul fast erschrocken – »Du meinst wirklich, er wäre es? Irrst Du Dich auch nicht?«

»Es ist gar kein Irrthum möglich, mein Lieber. Ich sah es auf der Stelle, als er den Hut abnahm und sein dicker knochiger Schädel und sein semmelblondes Haar sichtbar wurde. Nur trug er damals modischere und feinere Kleider. O, wie kann ich mich irren, Paul, es sind ja erst wenige Wochen seit jenem Tage verflossen und dieses Gesicht habe ich mir deutlich gemerkt und schon oft genug in die Erinnerung zurückgerufen.«

»Nun,« rief Paul fast fröhlich, »wenn es so ist, und ich glaube Dir, dann sind wir ja über alle Zweifel und Bedenken fort und die ganze Unthat dieses Menschen liegt vom Anfang bis zum Ende klar vor meinen jetzt völlig entschleierten Augen. Dieser Mann hat von dem Augenblick an seinen großen Diebstahl beschlossen, als er als Sendbote seines damals noch lebenden Herrn zu meinem guten Onkel nach ... kam und in demselben einen Mann fand, der bei seiner Harmlosigkeit und Bescheidenheit leichter als jeder Andere zu betrügen war. Haha! Ja – und nun komm, es ist Zeit, daß auch Du diesen harmlosen und so nichtswürdig betrogenen Mann kennen lernst.«

»Ja, ja, mein Lieber, aber ich kann noch immer nicht über das Verhängniß wegkommen, welches in diesem Falle so seltsam seine Rolle gespielt hat. Daß ich auch gerade an jenem Tage in der Wechselhandlung sein mußte –«

Paul faßte ihn unter dem Arm und zog ihn sanft vorwärts. »Ein andermal mehr über dieses Verhängniß, mein Junge. Das ganze Leben des Menschen – mir wird das jeden Tag klarer – ist eine fest zusammenhängende Kette von ähnlichen Verhältnissen. Wer es nur aufmerksam betrachtet und erwägt, der findet es schon heraus. Den Kopf aber darf man sich nicht zerbrechen, diesen Zusammenhang ergründen zu wollen, denn die Motive dazu, die vielleicht dort oben über den Wolken schweben, die findet man doch nicht heraus. Das ist eben unser unlösbares menschliches Räthsel. Wir aber, wir haben jetzt eins derselben glücklich gelöst oder sind doch seiner Lösung nahe. Dieses Bewußtsein, diese Ueberzeugung giebt mir alle meine Ruhe und geistige Spannkraft wieder. So komm denn, zum Philosophiren habe ich heute am wenigsten Lust, mich reißt der unaufhaltsame Drang zum Handeln fort. Sieh, da hast Du das Zauberschloß Quentin's vor Dir und nun laß uns rasch gehen, damit Du auch bald den von jenem Mann ›bezauberten‹ Besitzer desselben kennen lernst.«

Nach wenigen Minuten hatte Paul seinen nun doch verwunderten Gast in den Saal geführt und dem mit Sehnsucht ihn erwartenden Onkel vorgestellt. Die Begrüßung war von beiden Seiten eine ungemein herzliche. Namentlich der Professor freute sich in seiner kindlichen Art laut, den Sohn des Wohlthäters seines Neffen und zugleich den vielbesprochenen Cousin der Baronin von Wollkendorf kennen zu lernen und vernahm mit gleicher Freude die Mittheilung daß in wenigen Tagen auch die Eltern des jungen Mannes in Wollkendorf, also auch in Betty's Ruh eintreffen würden.

»Darum also,« sagte der gute Mann unter Anderm, »bist Du heute so früh aus dem Bett gekrochen, mein Lieber? Ah, nun weiß ich es also, warum ich so schnöde und heimlich verlassen ward! Aber wer hat Dir denn die Meldung der Ankunft Deines Freundes gebracht?«

»Ein dienstbarer Genius, lieber Onkel, den ich im Stillen erworben und instruirt habe. Nun aber wollen wir zu Tisch gehen, wenn es Dir recht ist, denn da kommt Frau Dralling schon, ein zweiter dienstbarer Genius, der uns anzeigen will, daß die Suppe unsers Diners beinahe kalt geworden wäre, nicht wahr?«

Und nun wurden auch Fritz Ebeling und Frau Dralling einander vorgestellt, die sich Beide mit lächelnden Blicken betrachteten, da sie schon von verschiedenen Seiten her vernommen, welche wichtigen Rollen sie in dem Leben der gegenwärtigen Personen gespielt hatten und noch spielten. –

Als man bei Tische saß und Frau Dralling die drei Herren mit einem guten Glase Rheinwein versorgt hatte, sagte Paul zu seinem Onkel: »Du mußt Dich nun nicht wundern, lieber Onkel, wenn wir Beide, ich meine Fritz Ebeling und mich, in den ersten Tagen unsers Beisammenseins häufig für uns bleiben und tüchtig umherschweifen. Ich muß ihm doch Alles zeigen und wir haben uns, wie Du Dir denken kannst, so manches Neue mitzutheilen.«

»Ei, das versteht sich von selber,« versetzte der gute Professor, der keine Ahnung davon hatte, was in den Herzen und Köpfen der beiden jungen Leute vorging. »Legt Euch meinetwegen nicht den geringsten Zwang auf, Kinder, ich weiß mich zu beschäftigen. Wo wollt Ihr denn heute hin?«

»Zuerst,« sagte Paul nach einigem Besinnen, »will mein Freund nach Ritzebüttel, um dem Herrn Amtmann einen Besuch zu machen.«

»Ah – kennen Sie den?« fragte der Professor arglos.

»Ich habe ihm einige Bestellungen von Bedeutung auszurichten,« erwiderte Fritz, auf diese Weise die Frage des Professors umgehend.

»So, so – na, dann wünsche ich viel Vergnügen. Ihr werdet doch fahren?«

»Wenn Du mir noch einmal die Grauschimmel gestatten willst, lieber Onkel –«

»Was für eine Frage, Paul! Du hast über Alles zu gebieten. Aber dann werde ich einmal einen Gang nach der Kugelbaake unternehmen, wo ich so lange nicht gewesen bin. Das Wetter wird sich ja wohl noch halten.«

Paul dachte einen Augenblick nach, dann sagte er: »Ja, thu' das und Du kannst mir gleich eine Gefälligkeit dabei erweisen.«

»Welche denn, mein Junge?«

»Ich werde Dir einige Zeilen an Whistrup mitgeben und bitte Dich, sie gleich nach Deiner Ankunft in seine Hände zu legen. Der Mann wird sehr erfreut sein, Dir für die ihm übertragene Pachtung seinen Dank abstatten zu können, da er Dich ja seitdem noch gar nicht gesehen hat.«

Der Professor nickte freundlich. Nach Tische aber, wobei man heute nicht lange aushielt, machte er sich sogleich reisefertig, die versiegelten Zeilen jedoch, die er an Whistrup mitnahm, enthielten nur die Worte:

»Mein lieber Whistrup! Reden Sie kein Wort mit meinem Onkel über die neuesten Ereignisse. Er darf keine Sylbe davon wissen. Bis jetzt weiß er nur, daß Sie am ersten October die Pachtung von Betty's Ruh

übernehmen und dafür sprechen Sie ihm Ihren Dank aus. Alles Uebrige morgen.

Paul van der Bosch.«

Voll Freude und Hoffnung, nun endlich zum Ziele zu kommen, stiegen Paul und Fritz bald nach drei Uhr in den Wagen und tauschten auf dem Wege nach Ritzebüttel, da Louis und Friedrich wieder in ihrer unmittelbaren Nähe saßen, nur wenige Worte über das vorliegende Unternehmen aus. Indessen sollte ihre sanguinische Hoffnung, daß Alles nun auf glatter und ebener Bahn verlaufen werde, noch nicht so bald erfüllt werden, das gestanden sie sich selber ein, als sie vor dem alten Schloß in Ritzebüttel anlangten und auf die Frage Paul's, ob der Herr Amtmann zu sprechen sei, von dem sie empfangenden Diener die Antwort erhielten: der Herr Amtmann sei verreist und komme diesen Tag gar nicht nach Hause.

»Wo ist er denn und wann kommt er zurück?« fragte Paul, dem diese Nachricht nicht eben angenehm in die Ohren klang.

»Der Herr Amtmann ist zu einer Hochzeit auf ein benachbartes Gut gefahren,« erläuterte der Diener. »Morgen früh gegen zwölf Uhr kommt er zurück, da das Frühstück um Zwölf bestellt ist.«

»Also das ist ganz bestimmt?« fragte der junge Mann noch einmal.

»Ganz bestimmt, Herr. Wen habe ich die Ehre dem Herrn Amtmann zu melden, wenn ich Ihren Besuch berichte?«

Paul nannte seinen Namen, fügte jedoch kein Wort weiter hinzu. Zwei Minuten später hatten sie dem alten Schloß schon den Rücken gekehrt und die Pferde trabten muthig durch den grünen Park dem Städtchen zu.

»Fahren wir nach Hause?« fragte Fritz etwas niedergedrückt.

Da schaute Paul auf und lächelte. »Nein,« sagte er, » ein Ziel haben wir zwar heute verfehlt, dafür soll uns aber das zweite entschädigen. – Louis, schlagen Sie den nächsten Weg nach Wollkendorf ein!«

Fritz fuhr freudig in die Höhe. »Das ist gut,« rief er, »und ich danke Dir für diese Ueberraschung. O, meine gute, liebe, theure Betty! Was wird sie sagen, wie wird sie sich freuen! Aber unmöglich kann sie sich so freuen wie ich. Doch Du bist ja so still geworden – freust Du Dich nicht auch?«

Paul nickte. »Gewiß, erwiderte er, »aber meine Freude ist durch jenen Fehlschlag etwas gedämpft. Indessen ist morgen auch ein Tag und um zwölf Uhr – Hochmittag, das ist die rechte Zeit – geht die Jagd los. Jetzt habe ich das bestimmte Vorgefühl davon und das hat mich noch nie getäuscht.« –

In guten anderthalb Stunden trafen die beiden Freunde in Wollkendorf ein und hier erregte ihr heutiger Besuch eine unsägliche Freude, um so mehr, da Niemand denselben erwartet hatte. Fritz flog aus den Armen Betty's in die seiner Tante und wieder zurück, und Betty, vor Ueberraschung außer sich, weinte so heftig, wie Paul sie noch niemals weinen gesehen. Erst nach geraumer Zeit hatten sich die drei Verwandten so weit beruhigt, daß man zu anderweitigen Mittheilungen übergehen konnte und nun erfuhren auch Frau von Hayden und ihre Tochter, daß sie in wenigen Tagen einen Brief aus Hamburg erwarten könnten, der die Ankunft der Eltern Fritz Ebeling's in Cuxhafen meldete.

Als Paul die harmlose und übersprudelnde Freude gewahrte, welche diese Nachricht in ihrem Gefolge hatte, und als er die Fluth von Fragen und Antworten mit anhörte, die jetzt herüber und hinüber flogen, vergaß er fast die Verkündigung seiner eigenen hochwichtigen Neuigkeiten und gab sich mit den Uebrigen dem Erguß ihrer lebhaften Empfindungen hin. Da aber war es zuerst Betty, die auf Paul's Gesicht den Widerschein einer bisher standhaft verhehlten inneren Erregung wahrzunehmen glaubte, und es wollte sie bedünken, als ob er diesmal nicht mit ganzer Seele bei ihr und der allgemeinen Unterhaltung wäre. Eben wollte sie sich an ihn wenden und ihm eine darauf bezügliche Frage vorlegen, als Fritz mit ernster Miene das Wort nahm und sagte:

»Aber Du fragst ja gar nicht, liebe Betty, wo und wie Paul und ich uns getroffen haben? Bist Du denn gar nicht neugierig darauf?«

Betty erhob ihren Kopf und sah noch einmal längere Zeit beide Männer mit prüfenden Augen an. Da erkannte sie denn deutlicher noch als vorher, daß noch etwas Unbesprochenes, Ernstes und Wichtiges in der Luft schwebe.

»Erzählt es mir,« sagte sie ruhig, »nun will ich Alles hören.«

Da begann denn Paul den Verlauf dieses seltsamen Tages von Anfang an zu erzählen und augenblicklich war das Interesse der beiden Damen in eine neue Richtung gelenkt und wandte sich wieder ungetheilt Betty's Ruh und dessen Bewohnern zu.

Betty sowohl wie ihre Mutter staunten über die unvermuthete Wendung der Dinge, und die nahe bevorstehende Katastrophe erfüllte sie mit sichtbarer Unruhe. Als nun aber Paul's gerettetes Büchelchen zum Vorschein kam und Fritz einige Worte über eine gewisse bedeutungsvolle Summe fallen ließ, da senkte Betty – merkwürdig genug – fast traurig den Kopf; sie wurde plötzlich sehr still und, was sie auch nachher reden oder thun mochte, ihre frühere Munterkeit, ihre harmlose Freude kehrte an diesem Tage nicht wieder zurück.

»Wo mag der schreckliche Mensch denn aber das Geld gelassen haben?« fragte jetzt Frau von Hayden, indem sie bald Paul, bald Fritz einen forschenden Blick zuwarf.

Paul zuckte sichtlich zusammen. Das war eine Frage, die er sich schon lange im Stillen vorgelegt hatte, ohne im Stande zu sein, sie nur einigermaßen genügend zu beantworten.

Alle schwiegen und blickten ihn erwartungsvoll an, als ob er der Einzige wäre, der eine entscheidende Meinung darüber hegen könnte. »Das kann eigentlich für jetzt gleichgültig sein,« sagte er nach längerer Ueberlegung, »denn, haben wir den Mann, so haben wir auch das Geld. Nicht wahr?«

»Wenn er nun aber noch diese Nacht mit seinem Raube auf und davon ginge, wie dann?« warf Betty mit ängstlich gespannter Miene ein.

»Das glaube ich nicht,« erwiderte Paul. »Wenn er es gekonnt hätte, würde er schon längst gegangen sein. Er will nur als ein scheinbar ehrlicher Mann von hier scheiden, »und dazu bedarf er einer schriftlichen Erklärung meines Onkel, die ihm erst für den ersten October verheißen ist. Ginge er also ohne diese Erklärung, so würde er sich am ärgsten schaden. Nein, nein, er zieht immer die sicherste Sicherheit vor, das wissen wir ja von ihm. Uebrigens kann er ja keine Ahnung von dem jetzt über ihm schwebenden Gewitter haben.«

»Wir wollen doch lieber eben so sicher gehen, wie dieser biedere Mann bisher gegangen ist,« fiel Fritz ein, auf den Betty's Einwurf von Einfluß gewesen war, »und ihm bis morgen ein wenig auf die Finger passen. Wo kann er, Deiner Meinung nach, das Geld verborgen haben?« fragte er Paul.

»In seinem Hause oder irgend anderswo!« entgegnete dieser mit leichtem Achselzucken.

Alle lachten. »In seinem Hause hat er's gewiß nicht, oder nur das, was ihm von Rechtswegen zukommt,« fuhr Fritz fort. »Sein Haus bietet ihm nicht die geringste Sicherheit und setzt ihn sogar der größten Gefahr aus, wenn er es zu seiner Schatzkammer macht.«

»Dann hat er es im Mausoleum, wohin er sich in jener Sterbenacht Ihres Onkels so oft begeben hat,« sagte Betty mit Entschiedenheit.

Paul horchte hoch auf. »Wer sagt Ihnen, daß er sich in jener Nacht wirklich im Mausoleum zu schaffen gemacht hat? Laurentius ist darin keine Autorität, er hat ihn nicht außer dem Hause gesehen und nur für den Saal und die Leiche ein Auge gehabt.«

»Und doch kann ich mich von diesem Glauben nicht so leicht frei machen,« erwiderte Betty mit unbeugsamer Hartnäckigkeit. »Es ist dies einmal ein Gedanke von mir, wie der in Bezug auf jenes Büchelchen – denken Sie wohl daran!«

»Ha!« rief Paul und nickte Betty mit herzlichem Einverständniß zu. »Wenn Sie so sprechen, muß ich Ihnen glauben.«

»Dann hätten Sie auch die richtige Erklärung für die bewußten Fußspuren des nächtlichen Gespenstes, nicht wahr?« fuhr Betty mit steigender Lebhaftigkeit fort. »Er hat sich öfter heimlich in das Gewölbe begeben, seinen Schatz untersucht, Papiere herausgenommen, das gewechselte Geld dafür hineingelegt und darum – o, denken Sie doch an unsern Besuch im Gewölbe – war auch neulich die Luft darin so ungesund für uns, daß der gute Mann voller Besorgniß kommen und uns davor warnen mußte.«

»Genug, genug!« rief Paul, Betty voller Befriedigung zunickend. »Sie haben mich vollständig überzeugt. Das Mausoleum wenigstens soll diese Nacht überwacht werden und kein Unberufener soll über das Wasser setzen. Dafür stehe ich Ihnen. Eine Nacht ist kurz und man durchwacht sie bald.«

Betty sah den Sprechenden groß an. »Was haben Sie vor!« rief sie. »Sie wollen doch nicht etwa selbst auf der Wacht stehen? Nein, das kann Ihr Ernst nicht sein und ich widersetze mich diesem Vorhaben. Geben Sie mir Ihre Hand, Ihr Wort, daß Sie nicht selbst diesen Posten übernehmen wollen.«

Betty's liebliches Gesicht war glühend roth geworden und sogar ihre sanften Augen funkelten wie Sterne, als sie diese Worte sprach. Paul reichte ihr auch sogleich in tiefer Bewegung die Hand und sagte:

»Wenn Sie mir so kategorisch meine Selbsthülfe untersagen, so muß und will ich mich fremder Hülfe bedienen. Sprechen wir nicht mehr darüber, die Sache ist abgemacht.«

Bald nach diesem langen Gespräch ging Paul in das Gehöft und suchte Friedrich auf, der bei seinen alten Bekannten im Pferdestalle saß. Er rief ihn ab und begab sich mit ihm in den Park.

»Friedrich,« sagte er, »Sie haben heute einen unruhigen Tag gehabt und sich redlich plagen müssen, und doch kommt Ihre Hauptplage erst.«

Friedrich hob schnell den Kopf in die Höhe und Paul las schon in seinem Auge, daß er zu jedem neuen Unternehmen bereit sei, ja, daß er sich darauf freue. »Ich bin gar nicht in Unruhe gewesen,« erwiderte er, »und ich habe ja nur gesessen. Sie würden mich glücklich machen, Herr van der Bosch, wenn Sie mir eine schwerer zu lösende Aufgabe übertrügen.«

»Sie sollen sie haben. Fürchten Sie sich vor Gespenstern?«

»Ich – vor Gespenstern?« lachte der junge Mann laut auf. »Ich glaube nicht an sie, also fürchte ich sie auch nicht.«

»Gut. Sie sind Soldat gewesen – haben Sie Schildwache stehen gelernt?«

»Ja, aus dem Grunde, Herr, und das ist unter Umständen ein ganz artiges Vergnügen.«

»Sie können es sich heute Nacht machen, auf Betty's Ruh.« Und nun theilte er ihm vollständig seine Wünsche und schließlich die Bitte mit, gegen Niemand darüber zu sprechen.

»Seien Sie außer Sorge,« sagte der gute Mensch, »ich spreche niemals über einen mir insgeheim gegebenen Auftrag und werde gewissenhaft wachen. Es soll sich Niemand dem Mausoleum nähern, ohne daß ich ihn ergreife und halte. Ich werde mich mit den nöthigen Hülfsmitteln versehen. Ich weiß mit einem guten Strick umzugehen und ihn einem Diebe vortrefflich um den Hals zu werfen.«

»Gut. Mit Dunkelwerden beginnt Ihre Wache, wir werden dann schon längst zu Hause sein. Morgen haben wir noch einen aufregenden Tag und dann dürfen wir uns hoffentlich einer völligen Ruhe hingeben. Jetzt gehen Sie zu Louis und lassen Sie ihn die Pferde anschirren. In einer Viertelstunde fahren wir.«

Paul und Fritz fuhren überglücklich nach Hause, hatten sie doch wenigstens einige Stunden in der Nähe ihrer alten Sonne zugebracht. Während aber Paul's Glück sich nur durch ein träumendes Brüten kund that, sprudelte Fritz von lauter Lust über.

»Höre, mein Junge,« sagte er, »ich finde sie schöner denn je. Sie ist voller, reifer geworden und hat dabei nichts von ihrer Jugend eingebüßt. Ach, und das liebe süße Gesicht hat sie noch immer und an dem stillen Himmel leuchten die hellen Augen wie funkelnde Abendsterne. O, was wird unser guter Mond zu seiner lieben Betty sagen!«

Paul nickte und über sein ernststolzes Gesicht flog ein strahlendes Lächeln, als er an das Wiedersehen dieser von ihm so sehr geliebten Frau dachte. Plötzlich fuhr Louis sehr rasch. »Was giebt es?« fragte Paul, da die Pferde im Galopp« vorwärtsflogen.

»Es giebt einen starken Regen, Herr, und wir haben nur das halbe Deck aus dem Wagen. Sehen Sie doch da – der Wind ist ganz nach Westen herumgegangen und da kommen schon thurmhohe Wolken herauf.«

Er sollte nur halb Recht haben. Wolken und Wind zogen freilich herauf, aber der Regen blieb aus und man kam völlig trocken in der Abenddämmerung nach Hause. Im Schlosse empfing sie der Professor mit froher Miene, er war auch eben erst von seinem Spaziergange zurückgekommen und hatte sich nicht so lange wie sonst an der Kugelbaake aufgehalten, – weil er so liebenswürdigen Besuch im Hause habe, sagte er, sich dabei schmunzelnd an Fritz Ebeling wendend. »Nun, haben Sie den Amtmann gesprochen?« fragte er dann.

»Er war verreist,« erwiderte Paul, »und morgen früh werden wir ihn wieder besuchen. Wir sind deshalb nach Wollkendorf gefahren und haben Fritz Ebeling's Cousine unsere Aufwartung gemacht.«

»Ach so!« sagte der Professor, leise erstaunt. »Nun, was macht die liebe kleine Frau? Hat sie mir denn keinen Gruß bestellt?«

»So viele,« rief Paul, »daß wir sie kaum fortbringen konnten.«

»Gut, gut, bei mir haben sie alle Platz. An Raum fehlt es in Betty's Ruh nicht.« –

Man speiste ganz gemüthlich zusammen und eine Stunde später führte Paul seinen Freund, von der mit zwei Kerzen voranschreitenden Frau Dralling geleitet, in das obere Stockwerk, wo ihm ein schönes Zimmer zur Wohnung angewiesen war. Daneben sollte auch sein Vater wohnen, wenn er nach Betty's Ruh käme, denn so hatte man es auf Wollkendorf beschlossen, wo nur Frau Ebeling bei den Damen bleiben sollte. So konnte man sich alle Tage bald hier, bald da zusammenfinden und Alle fanden ihre Rechnung bei dieser Einrichtung. Als Paul wieder in den Saal trat, fand er seinen Onkel am Schreibtisch, mit einer schnell begonnenen mathematischen Arbeit beschäftigt. Als sein Neffe aber dicht an ihn herantrat, legte er die Feder fort und sagte aufstehend:

»Dein Freund ist ein hübscher feiner Junge; er gefällt mir, schon weil er einige Aehnlichkeit mit seiner schönen Cousine – meiner zukünftigen Gemahlin hat, Haha! Nun, es freut mich, daß Du Gesellschaft hast, ich gönne sie Dir. Recht, recht, Kinder, genießt das Leben und freut Euch. – Aber was giebt's denn? Du nimmst ja schon wieder Hut und Stock? Willst Du noch einmal ausgehen?«

»Ja, Onkel, ich will noch einmal durch den Park laufen, ich habe den ganzen Tag gesessen.«

»Gut, mein Junge, aber mich findest Du schon zu Bett, wenn Du wiederkomme der Gang zu Whistrup hat mich müde gemacht. Ah, ja – der Mann war ganz außer sich vor Glück und Deinen Brief habe ich ihm gegeben. Er läßt grüßen und wird Deinen Auftrag besorgen.«

»Ich danke Dir und nun wünsche ich Dir eine gute Nacht!« –

Nach dieser Unterhaltung trat Paul in den Park und schlug den Weg von der Halle links um die Stallgebäude herum nach der Pächterwohnung ein. Die Vorhänge vor den Fenstern des Zimmers, in welchem der Rentmeister wohnte, waren niedergelassen, aber es brannte Licht darin. Langsam und vorsichtig schritt er denselben Weg zurück und schlug dann die Richtung nach dem Mausoleum ein. Die Nacht war dunkel und der zunehmende Mond hinter schweren Wetterwolken versteckt. Kein Stern war am ganzen Himmel zu sehen. Dabei wehte der Wind mächtig in einzelnen Stößen aus Westen, aber kein Tropfen Regen fiel auf die Erde.

Als Paul in die Nähe des Mausoleums kam und sein Schritt auf dem feinen Kiessande hörbar ward, tauchte eine dunkle Gestalt vorsichtig aus dem nächsten Gebüsch vor ihm auf. Es war Friedrich, der seinen Posten schon lange bezogen hatte und seinen Herrn augenblicklich erkannte, als dieser leise seinen Namen aussprach.

»Von jener Seite,« flüsterte ihm Paul, auf die südliche Waldecke deutend, zu, »pflegte sonst das Gespenst heranzuwandeln und in der Regel trug es Holzschuhe. Ich glaube kaum, daß Sie es heute zu erwarten haben. Harren Sie aber aus, bis der Tag anbricht. Sie leisten mir damit einen sehr großen Dienst und ich werde ihn zu belohnen wissen. Nun gute Nacht – begeben Sie sich wieder in Ihr Versteck!«

Friedrich nickte und verschwand, und Paul schlug beruhigt den Weg nach dem Schlosse ein. Als er sich aber eine Viertelstunde später in sein Bett legte, um wo möglich nach einem so anstrengenden und aufregungsvollen Tage süß zu schlummern, ahnte er nicht, daß er einen noch viel beschwerlicheren und bedeutungsvolleren Tag vor sich habe, als der eben beschlossene gewesen war. Wenn er es aber auch geahnt oder gar gewußt hätte, er wäre ihm doch freudig und kühn entgegengegangen, seit der gestrigen Entdeckung war sein Muth zehnfach gewachsen und in seiner Brust fühlte er Kraft genug, den Gefahren der Welt zu trotzen, mochten sie bestehen, worin sie wollten, denn zwei lichte Sterne, glanzvoller und lieblicher als die schönsten am reich besäeten Firmament, leuchteten ihm aus der Ferne herüber und verklärten ihm die ganze irdische Welt, wie sie früher nur seine jugendlichen Träume verklärt und erleuchtet hatten.


 << zurück weiter >>