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Philipp Galen

Der Erbe von Betty's Ruh.
Vierter Theil

Leipzig

1866

Verlag von Ch. E. Kollmann

Erstes Kapitel.
Im Mausoleum

Daß Paul diesmal seinen meilenweiten Weg nicht langsam zurücklegte, bedarf wohl kaum einer Erwähnung, und eben so wenig, daß er ihn nicht lang und ermüdend fand. Nein, jetzt gab es für ihn keine Ermüdung mehr; mit immer neu sich entwickelnder Spannkraft schritt er voll Muth und Lust dahin und seinen Gedanken fehlte es wahrlich dabei nicht an Stoff, ihm die Zeit zu verkürzen und ihn gerade heute auf die angenehmste Weise zu beschäftigen. O ja, er hatte heute viel zu bedenken und zu überlegen, und nach dieser ihm schon leichter werdenden Arbeit gab er sich ganz den ihn erwartenden Genüssen hin. Denn wenn er jetzt nach Hause kam, dann stand ihm ein herrlicher Nachmittag bevor: Betty, seine treue Freundin Betty kam ja mit ihrer Mutter nach Betty's Ruh und er hatte nicht nur die namenlose Freude, sie in seiner Nähe, in seines Onkels Hause zu sehen, sondern er mußte auch, wie früher schon so oft, Ernstes mit ihr berathen, da sie ja nur allein von allen seinen Unternehmungen in Kenntniß gesetzt werden durfte, die dem Professor, der ja doch keinen persönlichen Antheil daran genommen oder zu große Sorge darüber empfunden hätte, verborgen bleiben mußten, bis irgend ein wichtiges Resultat erreicht war, das ihm nicht länger vorenthalten werden konnte.

Als der so rüstig fortschreitende Wanderer, ohne besonders auf seinen Weg zu achten oder die zunehmende Wärme zu spüren, welche die Mittagssonne vom wolkenlosen Himmel herab so freigebig über ihn ausgoß, mit allen ihn zur Zeit beschäftigenden Gedanken so ziemlich zu Stande gekommen war, hob er die Augen auf und sah zu seiner Verwunderung, daß die Bäume des Parks von Betty's Ruh schon dicht vor ihm lagen. Freudiger und schneller schritt er nun vorwärts, um noch einige Minuten vor ein Uhr zu Hause anzufangen, was auch in seiner Absicht gelegen hatte. Aber da sollte er gleich, bevor er noch in das Schloß eintrat, eine freudige Ueberraschung haben. Als er nämlich eben der Halle ansichtig wurde, sah er Friedrich, den früheren Diener Betty's, davor stehen, der ihn schon einige Zeit voll froher Spannung erwartete, um sich ihm zur Verfügung zu stellen und zu melden, daß er einige Stunden vor den Damen mit den beiden Pferden von Wollkendorf eingetroffen sei.

»Mit den beiden Pferden?« fragte Paul, nachdem er seinen Gruß angehört und erwidert hatte. »Wie meinen Sie das?«

»Ja wohl, die schöne Fuchsstute, welche die Baronin selbst bisweilen ritt, hat sie für Sie gesandt, Herr van der Bosch, und der große Rappe ist für mich, damit ich Sie auf Ihren Ritten begleiten kann,« erwiderte der schmucke Diener, der in seinem blauen kurzen Rock mit einfachen silbernen Schnüren am Kragen eine stattliche Erscheinung bot. Paul fand sogleich keine Worte darauf und so schwieg er, aber die Großmuth und Güte Betty's leuchtete ihm nur zu klar auch aus dieser Anordnung und Verdoppelung der verheißenen Gabe hervor.

»Lassen Sie uns gleich einmal die Pferde besichtigen,« sagte er nach einer Weile, und alsbald schlug er den Weg nach dem nahen Stall ein, der so groß war, daß er für zwanzig Pferde Raum bot und bis jetzt öde und leer ausgesehen, da nur die beiden Grauschimmel, die der Professor für sich behalten, darin ihr Unterkommen gefunden hatten. Da stand er denn und betrachtete mit sichtbarem Vergnügen die beiden edlen Thiere, die es sich in der neuen, ihnen bereits bekannten Heimat schon wohl sein ließen und eben den schweren Hafer zermalmten, den ihnen Louis, der Gebieter des Stalles, mit schmunzelndem Lächeln zugewiesen hatte. Der Goldfuchs war ein großes, geschmeidiges Thier von englischem Blut, mit zartem Gliederbau, flink und vortrefflich geritten, wie Friedrich erklärte. Lang und glatt wallte die seidenweiche Mähne herab und den prächtigen Schweif trug er selbst im Stall stolz gebogen. Der Rappe aber war noch größer und mächtiger und entstammte einem Holsteiner Gestüt, welches von jeher dauerhafte und starke Pferde gezogen. Zur Seite der bei ihrem Eintritt muthig wiehernden Thiere hingen auf dem Gerüst der Ständer englische Sättel und Zaumzeug von schöner Arbeit, und die dazu gehörigen Decken und sonstigen Utensilien lagen schon sauber geordnet an dem dazu bestimmten Ort.

Paul besichtigte die Pferde und das Uebrige mit wohlgefälliger Miene und sagte dann zudem ihn nach dem Schloß zurückbegleitenden Diener, der ihm sogleich seine persönlichen Dienste anbot:

»Ich nehme Sie gern in unserm Hause auf, Friedrich. Sie sind mir von einer zu edlen Herrin empfohlen, als daß ich Ihnen nicht gleich von Anfang an mein Vertrauen schenken sollte. Sie werden es gut bei mir haben und hoffentlich in Betty's Ruh sich eben so wohl befinden, wie in Wollkendorf, obgleich die Verhältnisse anders und bis jetzt hier etwas weniger geordnet find, als dort. Doch das wird sich mit der Zeit schon finden, ich bin selbst erst kurze Zeit hier und habe mich einstweilen auch in die Umstände fügen müssen.«

»O, ich kenne die Verhältnisse hier schon so ziemlich,« erwiderte der Diener bescheiden. »Die Frau Baronin hat mich im Voraus mit dem Nothwendigsten bekannt gemacht.«

»Das ist mir lieb, ich habe es nicht anders erwartet. Morgen Nachmittag um fünf Uhr werde ich meinen ersten Ritt antreten und Sie werden mich auf demselben begleiten. Niemand aber darf wissen, wohin Sie mich gebracht haben, wenn Sie allein zurückkehren, Niemand, sage ich, auch Louis nicht, wie überhaupt kein Diener des Schlosses oder der Pachtung. Ueberhaupt ist Verschwiegenheit die erste Bedingung, die ich Ihnen stelle, bis ich Ihnen selbst sagen werde, daß Sie über alle meine Schritte und Handlungen reden können.«

»Ich hoffe, Sie werden mit mir zufrieden sein, Herr van der Bosch. Ich bin in einer ernsten Schule gewesen und weiß, was die Pflicht von mir erheischt.«

»Ich hoffe es auch. Sind Sie ein guter Reiter?«

Friedrich lächelte zuversichtlich. »Ich habe vier Jahre bei der Cavallerie gedient und die starrsinnigsten Schwadronspferde zureiten müssen, da ich von Kindesbeinen an mit Pferden beschäftigt gewesen bin.«

»So. Nun, dann können Sie auch mich in die Schule nehmen, ich glaube selbst, daß ich noch nicht recht sattelfest bin.«

»Sie werden es bald ganz sein, denn das Reiten lernt ein muthiger Mann mit gesunden Gliedern leicht. Was ich dazu beitragen kann, werde ich von Herzen gern thun.«

»So danke ich Ihnen im Voraus. Für jetzt bedarf ich Ihrer nicht, Sie können in Ihr Zimmer gehen. Sie hören doch die Saalglocke darin?«

Friedrich lächelte wieder. »Ja wohl, Frau Dralling hat mich schon mit Allem bekannt gemacht.«

»Aha! Sind Sie mit Ihrer Stube zufrieden?«

»Ich wohne besser als in Wollkendorf, viel besser, und habe meinen alten Bekannten Louis zum Nachbar.«

»So ist es gut. Bis nachher. Adieu!« –

Als Paul in den Saal trat, wo Frau Dralling schon ihre Vorbereitungen zum Essen getroffen hatte, wurde er vom Professor mit großer Freude empfangen, der noch vor seinem Schreibtisch saß, aber jetzt sogleich aufsprang. »Da bist Du ja wieder,« rief er ihm mit heiterem Gesicht entgegen, »und das ist mir sehr lieb. Ich fürchtete schon, Du würdest über die Zeit ausbleiben und mir würde die Aufgabe allein zufallen, die beiden Damen zu unterhalten. Das ist schwierig, mein Junge! Eine nehme ich schon auf mich, aber für zwei ist mein Mundwerk doch etwas zu schwach gerathen.«

»Das brauchtest Du nicht zu befürchten,« entgegnete Paul lächelnd, »da Du ja meine Pünctlichkeit kennst, und heute mußte ich es wohl doppelt sein –, eben in Betreff der zwei Damen. – Hast Du den Diener der Baronin schon gesprochen?«

»Gewiß, und er hat Dir zwei hübsche Pferde mitgebracht, was ein ganz angenehmer Besitz für einen Mann ist, der ihnen Futter geben kann.«

»Das Futter bringe ich heute mit,« erwiderte Paul, in seiner guten Laune zum Scherz aufgelegt.

»Dann hast Du wohl eine große Tasche bei Dir gehabt?« vergalt ihm der Professor in gleicher Weise.

»O ja, sie war groß genug, um dies Papier zu bergen, lieber Onkel. Lies und erkenne daraus, was ich heute geleistet habe.«

Der Professor nahm das ihm dargereichte Blatt und las den zwischen Paul und Whistrup vereinbarten Pachtentwurf. »Was,« rief er erstaunt, »also wirklich? Fünftausend Thaler für das erste Jahr und dann sechstausend? Junge, ja, dann kannst Du Dir immer zwei Pferde und einen Bedienten halten. Du bist wahrhaftig ein Hexenmeister und segelst mit schnellem Winde.«

»Ich habe an der See etwas gelernt, lieber Onkel. Ich benutze auch die günstige Fluth, und die sendet ja stets Gott, wie Du weißt.«

»Ja, ja, Du hast Recht – doch da Du gerade von der Fluth sprichst,« fuhr er fort, als Frau Dralling eben neugierig in den Saal schaute und Paul einen Gruß zunickte, »was trinken wir denn heute nach Deiner Meinung? Denn der Spaziergang nach der Kugelbaake hat Dir doch gewiß Durst gemacht?«

»Natürlich und einen recht großen. Aber was können wir heute, wo wir einen so glücklichen Tag begehen, anders trinken, als das Beste, was im Keller ist? Champagner, Onkel, nichts als Champagner!«

Der Professor machte große Augen; der Luxus seines Neffen schien ihm auch mit rascher Fluth zu steigen. »Champagner?« fragte er. »Schon jetzt, ehe die Damen da sind? Ich dachte, wir würden ihnen heute Nachmittag zur Vesperstunde eine Flasche davon vorsetzen!«

»Natürlich, auch dann, Onkel; aber auch jetzt schon, denn heute ist ein großer Feiertag – Du erwartest ja Deine künftige Gemahlin.«

»Aha!« sagte der Professor mit einem seltsamen Lächeln und nickte verstohlen der bei Seite horchenden Dralling zu. »Ja freilich, und ich merke es nun, Du bist bei Laune, der neue Pächter hat Dir gewaltige Courage gemacht. Aber gut, ich gehe darauf ein – und nun, Dralling, gehen Sie in den Keller und holen Sie ein paar Flaschen von der Sorte, der man so seltsam den Hals mit goldenem Papier verklebt hat. Sie wissen schon. Wir haben uns ja schon Beide einmal darüber satt gelacht, wie die Menschen so närrisch sind und mit dem Goldflitter um ihren eigenen Hals nicht genug haben, so daß sie ihn sogar den Flaschen aufbinden. Haha! Ja, die Welt ist total närrisch in jeder Beziehung, und wenn es so fortgeht mit der Cultur, wird die Wissenschaft sich noch einmal für Geld sehen lassen können so selten wird sie.«

»Das wird wohl noch eine gute Weile dauern,« erwiderte die Dralling, die heute eine ganz neue Haube mit gelben Bändern trug und dadurch nicht wenig angefeuert schien, »bis jetzt giebt man ihr – ich meine die Wissenschaft – wenig genug. Aber was den Wein im Goldkragen betrifft, Herr Professor, so soll er sehr gut schmecken, habe ich mir sagen lassen, obgleich ich es freilich noch nicht aus eigener Erfahrung bestätigen kann.«

»Ich auch nicht, Alte. Na, heute wird man uns klug machen. Also vorwärts jetzt. Meine künftige Gemahlin kommt, hat der Junge gesagt, und der hat immer Recht, und so wollen wir uns auch einmal im höchsten Glanz zeigen.«

»Es kostet Ihnen ja auch nichts!« brummte die Dralling und verfügte sich in den Keller, nachdem sie die Schlüssel dazu aus ihres Herrn Kasten genommen hatte. Paul dagegen war in den Alkoven gegangen, um sich umzukleiden, und dann kam er erfrischt zu Tisch, wo er zur Verwunderung der Frau Dralling sogleich einen Pfropfen an die Decke springen ließ, so daß sie erschrak, da sie dergleichen Kunststücke, wie sie es nannte, noch nie im Leben gesehen. Als sie nun aber im Verlauf des Essens ihrer Herrschaft auch ein paar Gläser von dem schäumenden Nectar erhielt, staunte sie ernstlich, fixirte den Professor scharf mit ihren grellen Augen und rief:

»Die Welt ist doch nicht so ganz närrisch, Herr Professor, daß sie solchen Trank in Gold fassen läßt. Er verdient es wahrhaftig, und meiner Ansicht nach hat man hier einmal einen Würdigen decorirt, was nicht alle Tage vorkommt, sonst müßten Sie längst schon zehn Orden haben, nicht wahr?«

»Ich zehn Orden, Alte, seid Ihr verrückt geworden?« sprudelte der Professor in heiterster Weinlaune. »Wofür denn, was habe ich denn gethan? Habe ich etwa gefaullenzt oder zehntausend Menschen todtgeschlagen, daß man mich so zu belohnen trachten sollte? Nein, bei Gott, Euch ist der Wein in den Kopf gestiegen. Paul, gieb ihr nichts mehr, sonst fällt sie um, wenn sie den Damen den Kaffee präsentirt, und meine künftige Gemahlin bekommt einen schlechten Begriff von ihrer ersten Haushälterin und wird sie am Ende doch pensioniren müssen.«

»Nein, Herr Professor,« erwiderte die Dralling stolz und sich gerade wie ein wirklicher Dragoner aufrichtend, » die Schmach soll Ihnen in Ihrem Hause nicht vorbehalten sein. Ich werde stehen wie ein Fels, wenn die Damen kommen, und niemals soll Jemand den Kaffee graziöser präsentirt haben.«

»Kaffee mit Grazie!« lachte der Professor, gegen Paul hin gewendet. »Merkst Du was? Bei Gott,« schließe die Flasche, Junge, sonst macht sie aus sich selbst noch eine Grazie und wir müssen ihr am Ende noch einen Altar errichten und ein goldenes Kalb opfern. Haha! Aber da sehen Sie die Teufelei der Welt, Thusnelde, das Alles steckt in der vergoldeten Flasche und nun sind auch wir so närrisch gewesen und haben uns von der weltlichen Narrheit verführen lassen.«

»Nun, wenn die Narrheit immer so beschaffen wäre, Herr Professor,« erwiderte die gesprächig gewordene Frau, »so wollte ich sie mir schon alle Tage gefallen lassen.«

»Still!« rief der Professor mit olympischer Miene. »Alle Tage ist kein Feiertag wie heute. Und nun räumen Sie ab, Frau Grazie, denn – Sie wissen ja, bald wird meine zukünftige Gemahlin und Hochdero Frau Mutter hier sein.«

Die Haushälterin erfüllte die Befehle ihres Herrn mit einem wahren Feuereifer, und als der schöne Saal, der heute überaus blank und sauber aussah, von den Speisegeräthschaften geräumt war, ließ sie die frische Frühlingsluft von allen Seiten hereinströmen, um ihn wieder recht kühl und behaglich zu machen. Unterdessen kleidete sich auch der Professor besuchsmäßig, und als er damit fertig war, schloß er sich Paul an, der keine Ruhe mehr im Hause hatte und ohne Säumen in den Park trat, diesmal aber nicht die gewöhnliche Richtung nach dem Mausoleum, sondern die entgegengesetzte, nach dem Parkthor führende einschlug, durch welches die sehnlich erwarteten Gäste ja nur ihren Einzug halten konnten.

»Ja,« sagte der Professor seufzend zu dem schweigenden Neffen, als Beide zum zweiten Mal dem Parkthor den Rücken kehrten und langsam wieder dem Schlosse zugingen, »da vertändelt man nun die schöne Zeit mit lässiger Promenade, die man doch wahrhaftig besser mit einem wichtigen Studium ausfüllen könnte. Das hätte mir einmal früher einfallen sollen! Aber ach! ich bin durch das Schlaraffenleben leider schon ein ganz anderer Mensch geworden.«

»Früher,« erwiderte Paul lachend, »bist Du auch nicht der Erbe von Betty's Ruh, sondern nur ein armer Professor gewesen.«

»Der Erbe von Betty's Ruh bin ich auch jetzt nicht, mein Lieber, denn ich bin ja bereits im factischen Besitz davon. Du mußt Dich hübsch logisch ausdrücken, wenn Du mich an meine Professorzeit mahnst. Der Erbe von Betty's Ruh bist Du jetzt, mein Junge, und Du – sollst es bleiben, mag ich nun noch Kinder bekommen oder nicht, wie die Dralling sich schon schmeichelt; darüber, wie über den Umfang meines Nachlasses werde ich mich bestimmter ausdrücken als mein Bruder, verlaß Dich darauf.«

Paul konnte das Gesicht seines Onkels hierbei nicht beobachten, da er es bei Seite gewandt hatte. Als er aber eben eine Antwort darauf geben wollte, hörte man einen Wagen hinter sich rollen und nun galt es sich zu beeilen, um nach der Halle zu gelangen und die willkommenen Gäste daselbst zu empfangen. Frau von Hayden hatte diesmal wirklich ihre Tochter begleitet, aber sie war schon jetzt über die äußere Gestaltung des Schlosses so erstaunt, daß sie mehr ihre Augen als ihre Ohren und ihre Stimme bei der Begrüßung der beiden Herren in Thätigkeit setzte. Um so herzlicher und lebhafter legte Betty ihre Freude gegen Oheim und Neffen an den Tag und sie tauschte mit ihnen die freundlichsten Worte aus.

Nachdem dies geschehen, trat man in das Haus, der Professor Frau von Hayden, und Paul Betty führend. Jedoch kamen sie hier nur sehr langsam vorwärts. Betty's Mutter, deren Sinn von jeher an äußerem Glanz und Luxus gehangen, hatte viel zu betrachten, zu bewundern, zu fragen, denn so schön, so groß und prachtvoll hatte sie sich das ihr so oft beschriebene Schloß auf Betty's Ruh in Wahrheit nicht gedacht. Als sie nun aber endlich in den Saal trat, wo der Kaffeetisch von Frau Dralling schon in Ordnung gebracht war, da fing die nervenschwache Dame zu weinen an, denn der Anblick des lichten, hochgewölbten und umfangreichen Raumes überwältigte sie vollständig. Nachdem sie aber mit diesem unwillkürlichen Thränenerguß dem Geschmack und Kunstsinn des Erbauers ihr erstes Opfer gebracht, erholte sie sich allmälig und ließ sich nun von den Uebrigen umherführen, betrachtete jedes Einzelne mit neuem Erstaunen und auch dabei sah man ihr noch an, wie tief bewegt und wie ergriffen sie von dem Glück war, welches ganz gegen ihre Erwartung dem einst so armen Studenten mit dieser Erbschaft zugefallen war.

»Nicht wahr, Mütterchen,« fragte Betty, sie liebevoll umfassend, »so hast Du es Dir nicht gedacht?«

»Wer konnte sich so etwas denken, mein Kind! Ach, wenn Charlotte und Ebeling es sähen, auch sie würden staunen, und was würden sie sagen!«

»Sie werden es bald sehen!« rief Betty entzückt, »denn nun wird auch Herr van der Bosch an sie schreiben und sie zu sich einladen, nicht wahr, mein lieber Freund?«

»Das ist bereits geschehen,« erwiderte Paul, mit Bedeutung lächelnd, »und hoffentlich haben sie meinen Brief schon empfangen und alle meine Wünsche und Bitten gelesen und beherzigt.«

»Erlauben Sie mir, meine Damen,« nahm jetzt der Professor das Wort, »Sie darauf aufmerksam zu machen, daß dort in der Mitte an dem großen runden Tisch eine Grazie wartet, die vor Begierde brennt, Ihnen den Kaffee auf eine noch nie dagewesene Weise zu präsentiren.«

Alle wandten sich der bezeichneten Stelle zu, wo Frau Dralling, die ihres Herrn Worte gehört, mit glühendem Kopfe stand, aber fest und aufrecht, als wolle sie zeigen, was sie vermöge, selbst nachdem sie so eben die Narrheit der Welt getheilt. Als die Damen nun aber dem Tische näher geführt wurden, knixte und grüßte sie auf ihre Weise sehr verbindlich und hörte mit Vergnügen den heute so neckischen Professor die ernsten Worte sagen:

»Das ist meine gute Haushälterin, Frau Dralling, von der Sie gewiß auch schon gehört haben.«

Die fremde Dame richtete einige freundliche Worte an die Haushälterin und diese erwiderte sie mit ihrer gewöhnlichen Redefertigkeit. Dann aber präsentirte sie nach Vorschrift Kaffee und Kuchen und bald saß man heiter plaudernd bei einander, während Frau von Hayden's Augen immer noch im Kreise herum flogen und sich gar nicht sättigen zu können schienen.

»O,« sagte sie nach einer Weile, als Paul ihr die Construction der sie sehr interessirenden Glaskuppeln beschrieben hatte, »es ist ganz über alle Begriffe schön hier, Herr Baumeister, und ich glaube nicht, daß ich mich schon heute daran satt sehen kann.«

»Dann kannst Du alle Tage hierher fahren, liebe Mutter,« nahm Betty das Wort, »und Du wirst immer so willkommen sein wie heute. Ich kenne die Gastfreundschaft des Herrn Professors. Ich aber habe mir vorgenommen, nicht lange im Hause zu bleiben. Der Mai ist dies Jahr so wunderschön, daß ich jede Stunde bedaure, die mir von seinem Genusse verloren geht. Ich beabsichtige mich bald in den Pakt zu verfügen.«

»Nach Deinem Belieben, mein Kind; ich bleibe hier, und vielleicht ist der Herr Professor so gütig und leistet mir Gesellschaft, während Du mit dem Herrn Baumeister im Grünen schwärmst. Nun kannst Du ja wieder mit ihm bauen, wie früher, Luftschlösser und Steinschlösser, denn das war ja doch stets Eure liebste Unterhaltung.«

»Haben Sie das wirklich gethan?« fragte der Professor schelmisch lächelnd die holdselig erröthende junge Wittwe.

»Ja, das haben wir redlich gethan, lieber Freund,« erwiderte sie ruhig und sah Paul mit ihren leuchtenden Augen fest und freudig an.

»O, Sie glauben gar nicht,« fuhr Frau von Hayden halb im Scherz halb im Ernst fort, »was die Beiden zusammen für Pläne geschmiedet haben. Sie konnten nie damit fertig werden und wenn alle Entwürfe ausgeführt werden sollten, die sie aus den Wolken gezaubert, so würde es nicht Steine genug auf der Welt geben, sie unter Dach zu bringen.«

Betty erröthete noch lebhafter und nickte freundlich dem sie gespannt anblickenden Professor zu.

»Ja, meine Mutter hat Recht,« sagte sie, »wir haben viel entworfen und gebaut – in Gedanken. Aber jetzt ist Ruhe darin eingetreten und unser Hauptplan ist ohne unser Zuthun fertig geworden. Das schönste Schloß, welches unsere Phantasie einst schuf, haben wir hier vollendet vorgefunden, es bestand also nicht aus Luft, wie meine Mutter so eben scherzte, sondern wirklich aus Stein, Metall, Holz und Glas. Das Beste und Erfreulichste aber dabei ist, daß ein Gebieter in demselben weilt, der uns so willkommen darin heißt, wie Sie es immer thun, mein lieber Freund, und wenn überhaupt eine Zauberei hierbei im Spiele war, so hat sie Gott in Ihr Herz eingeschlossen, von wo aus sie nun ihre Wirkung auf uns Alle übt.«

Sie reichte bei diesen Worten dem Professor die Hand und drückte die seine warm und herzlich. Dieser aber sah sie ernst und freudig an, dann nickte er geheimnißvoll und blinzelte nur verstohlen nach Paul hinüber, der eben seine Tasse auf den Tisch stellte und so die Augen von ihm abgewandt hielt. Wenige Minuten später erhob sich Betty, nahm Hut und Schirm und sagte:

»Jetzt verlasse ich Sie. Ich muß Frühlingsluft athmen. Zeigen Sie doch meiner Mutter Ihre schönen Gemälde, Herr Professor, sie ist eine große Freundin davon.« Und freundlich sich verneigend, schritt sie langsam über den weichen Teppich der Thür zu, von Paul gefolgt, nachdem er sich ihrer Mutter mit einigen Worten empfohlen hatte.

Beide waren bald in der Halle angekommen. Hier blieb Paul stehen. »Wohin gehen wir zuerst?« fragte er.

»Es ist mir einerlei,« antwortete sie leiser als sie gewöhnlich sprach. »Führen Sie mich, wohin Sie wollen und wo Sie selbst am liebsten sind.«

Er bot ihr den Arm und so schritten sie langsam vom Schlosse fort, um den Weg nach dem Mausoleum und dessen Umgebung einzuschlagen. Kaum aber waren sie einige Schritte gegangen, so nahm der ernst gewordene Paul das Wort und sagte:

»Ehe wir eine andere Unterhaltung beginnen, erlauben Sie mir wohl, daß ich mich meines Dankes entledige. Sie haben Wort gehalten und mir Friedrich gesandt. Ich nehme ihn dankbar an und er wird mir hier, wo ich so wenige hülfreiche Hände habe, von großem Nutzen sein. Aber was soll ich zu dem schönen Pferde sagen, das sich seit gestern sogar verdoppelt hat?« fügte er lächelnd hinzu.

Betty lachte mit ihrer silbernen Stimme leise auf, dann sagte sie: »Nichts sollen Sie sagen, nur das gern Gebotene freundlich annehmen. Wenn Sie wüßten, wie ich mich im Stillen auf diese meine erste Gabe gefreut, die ich jemals einem Freunde habe darbringen können, Sie würden die Gabe selbst gewiß nicht zu hoch anschlagen. O mein Gott, das Geben ist so wunderbar schön, wenn man geben kann! Leider kann man nicht immer und nicht Alles geben, was man geben möchte, diesmal aber machte es mir der Zufall leicht. Nun müssen Sie die Pferde aber recht fleißig benutzen, damit auch wir einmal bald einen tüchtigen Ritt unternehmen können.«

»Sie reiten also gern?«

»O, sehr gern. Die Welt sieht ganz anders aus, wenn man im Sattel sitzt. Sie werden sich selbst davon überzeugen.«

»Ich werde es schon morgen thun und mich von Friedrich nach der Kugelbaake bringen lassen.« Und nun erzählte er ihr ausführlich, was er am Morgen ausgerichtet und was Alles in dem kleinen Hause bei Whistrup vorgefallen war.

»Das ist ja sehr interessant,« sagte Betty ernst. »Die Kugelbaake muß ich auch nächstens sehen und die hübsche Friede erst recht. Sie und ihr Vater müssen ein paar prächtige Leute sein.«

»Ja, das sind sie und ich freue mich auch, daß ich ihnen heute Morgen eine so große Freude bereiten konnte.«

»Nun sehen Sie, da haben Sie ja auch gleich die Freude des Gebens erfahren. Das ist hübsch. Aber wie? Sie werden morgen Nacht auf dem Feuerschiff schlafen? Ist das nicht gefährlich?«

»Zehn Menschen schlafen das ganze Jahr hindurch jede Nacht darauf.«

»Aber dann können Sie ja morgen und übermorgen nicht nach Wollkendorf kommen, wie ich bereits gehofft hatte.«

»Nein, leider nicht – aber vielleicht doch,« fügte er nach einigem Besinnen hinzu. »Wenn ich übermorgen um ein Uhr nach Cuxhafen komme, kann ich mich von Friedrich daselbst mit den Pferden erwarten lassen und gleich nach Wollkendorf reiten, um Ihnen Meldung zu bringen, was ich auf Neuwerk ausgerichtet.«

Betty lächelte und schüttelte den Kopf. »Nein, ich weiß etwas Besseres,« sagte sie. »Der Ritt von Cuxhafen nach Wollkendorf ist für Sie, der Sie das Reiten noch nicht gewohnt sind, zu weit, und ich möchte Sie nicht gern ermüdet bei mir haben. Ich werde Ihnen also einen Wagen nach Cuxhafen senden und vier Pferde vorlegen lassen, dann kommen Sie um so schneller nach Wollkendorf. Ich bin neugierig auf Ihre Erlebnisse an Bord des Schiffes und auf Neuwerk, so daß ich in Gedanken gewiß jede Stunde bei Ihnen sein und im Geiste mit anhören werde, was Sie mit Laurentius Selkirk verhandeln. Die Sache mit ihm scheint mir jeden Augenblick wichtiger zu werden.«

Paul nickte bejahend, aber er war über Alles, was sie ihm bisher gesagt, so entzückt, daß er fast kein Wort mehr sprechen konnte und von Minute zu Minute schweigsamer wurde. –

Während des bisherigen Gesprächs hatten sie sich allmälig dem Mausoleum genähert und da Betty die Gedanken, die ihren Geist augenblicklich am meisten beschäftigten, ausgesprochen, so schwieg auch sie, wie ihr Begleiter, mochte sie fühlen, daß die sie umgebende Natur auch eine Berechtigung zur Mittheilung habe, und deren beredten Stimmen lauscht ja das dafür empfängliche Ohr so gern, zumal, wenn außer ihm zugleich auch dem Auge erfreuliche Gegenstände geboten werden.

Es war ein herrlicher Frühlingstag, der, wie die Menschen, die in ihm wandelten, sein Festkleid angelegt zu haben und eine Art stiller Seelenfeier zu begehen schien. Die Sonne glänzte mild und warm vom blaßblauen Himmelsgewölbe hernieder, an dem nur ganz in der Ferne sich kleine, weiße, leicht schwebende Wölkchen zeigten, und der maigrüne Rasen leuchtete wie funkelnder Smaragd unter ihren freundlichen Strahlen. Dabei hauchten die von Barker so sorgsam gepflegten Blumenbeete ihre würzigen Düfte aus und aus den benachbarten Gebüschen tönte von allen Seiten süß und wohllautend der weithinschmetternde Schlag der Nachtigallen herüber. Sonst war Alles still und friedlich ringsum, kein Lüftchen bewegte die feinen Blätter der Bäume, auf den fernen Waldhöhen aber flimmerte ein bläulicher Duft, als zittre die ganze Atmosphäre vor Luft und Wonne, daß der Frühling endlich seinen schweren Sieg errungen und die stürmischen Winde mit ihrem eisigen Hauche vertrieben habe.

Als aber diese friedliche Stille rings um sie her, der Duft der Blumen und der Gesang der Vögel auf die Gemüther der beiden Menschen zu wirken begann, da gaben auch ihre Seelen sich längere Zeit der Betrachtung ihrer Umgebung hin und erst nach einer Weile unterbrach Betty das Schweigen, indem sie mit ihrer sanften Stimme leise zu Paul sagte:

»Es ist lieblich, an dieser Stelle zu weilen, und ich wundere mich nicht, daß ihr Onkel Quentin sich hier für die Ewigkeit gebettet hat. Das ist kein Friedhof im gewöhnlichen Style, das ist eine mit Schönheiten reich geschmückte Natur und in ihrem Schooße muß es sich süß und friedlich ruhen. Sehen Sie doch, wie die Sonne sich so golden in dem blauen Wasser spiegelt und wie die Schwäne so sinnig und bedächtig darauf herumrudern, als empfänden auch sie den Frieden, der hier des Menschen Herz bewegt.«

»Ja, es ist schön,« erwiderte Paul gedankenvoll, »und ich bewege mich hier gern auf und ab.«

»Auch die Psyche da drüben scheint unsere Empfindungen zu theilen,« fuhr Betty, nach dem Grabhügel deutend, fort, »sie hat schon lange ihre Flügel entfaltet, um zum Himmel aufzuschweben, aber sie kommt von der Erde nicht fort, diese fesselt sie unwiderstehlich an sich. O, ich verdenke ihr nicht, daß sie hier bleibt.«

Ueber Paul's Gesicht flog ein träumerisches Lächeln, als er diese Worte hörte: »Die Psyche dort hat ihre Schuldigkeit längst gethan,« sagte er, »die Seele hat sie hinweggetragen zu lichteren Höhen, dann aber ist sie wieder zurückgekehrt und bewacht nun die erkaltete Hülle, in der die weggetragene Seele einst gewohnt und gewirkt hat. Aber der Bildhauer hat ein hübsches Werk damit geliefert, nicht wahr?«

»Ein sehr hübsches Werk, ja! – Sind Sie schon einmal in dem Gewölbe drüben gewesen?« fuhr Betty nach einer Weile, zu ihrem Gefährten fragend aufblickend, fort.

»Nein, noch nicht. Ich wollte immer hinüber, aber ich habe eigentlich bisher noch keine Zeit dazu gefunden. Fühlen Sie aber die Neigung, dasselbe einmal zu betrachten, so bin ich sogleich bereit dazu.«

»O ja,« erwiderte Betty, »ich möchte wohl wissen, wie die Stätte innen aussieht, die Ihr Onkel sich hier bereitet und die er schon von außen so lieblich geschmückt hat.«

In diesem Augenblick kam Barker vom Schlosse her, mit zwei Gießkannen beladen, um seine Blumen in der Nähe des Grabhügels zu erfrischen. Er begrüßte seinen jungen Herrn und auch die schöne Dame, und Beide begrüßten ihn wieder mit freundlichem Auge und Wort.

»Guten Tag, Barker,« redete Paul ihn an, »Sie kommen wie gerufen. Wir möchten einmal das Mausoleum besuchen. Gehen Sie doch zu Frau Dralling in's Schloß und lassen Sie sich den Schlüssel dazu geben.«

»Das soll sogleich geschehen,« erwiderte der alte Gärtner, setzte seine Gießkannen in den nahebei ankernden Kahn und ging etwas rascher als gewöhnlich nach dem Schlosse, um den ihm gegebenen Auftrag auszurichten.

»Soll ich Sie unterdeß ein wenig auf dem Teiche herumrudern?« fragte Paul seine Gefährtin. »Sehen Sie doch den niedlichen Kahn, er ist so hübsch grün und weiß angestrichen, und sichtlich für's Leben bestimmt, im Gegensatz zu der schwarzen Fähre da, die man die Todtenfähre nennt, weil auf ihr die beiden Särge nach dem Gewölbe gefahren worden sind.«

»Also dazu hat sie gedient?« fragte Betty. »Ich habe mich schon oft gewundert, warum sie hier so lässig liegt, aber nun wundere ich mich nicht mehr.«

»Glücklicherweise hat sie nicht viel zu thun und hoffentlich wird sie noch viele Jahre in Lässigkeit liegen bleiben.«

Bei diesen Worten waren Beide in den kleinen Nachen gestiegen, Paul hatte das darin liegende Ruder ergriffen und fuhr nun Betty langsam und sicher auf dem Teiche herum, den Schwänen folgend, die sich in ihrer stillen Naturbetrachtung nicht durch die Menschen stören ließen.

»Das ist reizend,« sagte Betty, nach allen Seiten sich umschauend. »O, wie sanft und behaglich ist diese Bewegung! Das Vergnügen sollte man sich öfter machen.«

»O ja, es wird mit leichter Mühe vollbracht, und doch genießt der Mensch so selten, was er am häufigsten genießen kann.«

Beide schwiegen wieder. Paul ruderte den Kahn mehrere Male um die grüne Insel, bis er Barker vom Schlosse herkommen sah und nun wieder zum Landungsplatz zurücklenkte.

»Ich werde mit hinüberfahren,« sagte der alte Gärtner, »Sie verstehen das Gewölbe doch nicht zu öffnen. Es gehört ein besonderer Griff und Pfiff dazu. Sehen Sie einmal den Schlüssel an.«

Barker war in den Kahn gestiegen und hatte das Ruder ergriffen, während Paul und Betty den Schlüssel betrachteten. Er war groß und von polirtem Stahl, sechsfach am untern Ende gezähnt und dabei so kunstvoll gearbeitet, wie die Schlüssel zu eisernen Geldschränken es zu sein pflegen.

»Man darf ihn nur halb hineinstecken,« erläuterte Barker, »und erst während man ihn umdreht, muß man ihn tiefer hineinbohren.

Mit ein paar Ruderschlägen war der Kahn an's jenseitige Ufer gerade vor die Thür des Gewölbes gebracht. Der kurze Weg vom Ufer dahin war mit fußgroßen, schrägliegenden Quadratsteinen von schwarzem und weißem Marmor gepflastert, und die goldenen Buchstaben über der Thür glänzten in den Strahlen der Sonne heute so lebhaft, als wollten sie den Besuchenden den Sinn ihrer Worte: ›Friede ihrer Asche‹ recht nachdrücklich an's Herz legen.

Barker begab sich sogleich daran, das Schloß zu öffnen, und zeigte Paul dabei, wie es gemacht werden müsse. Der eine Flügel der Thür sprang auf und der Gärtner öffnete sogleich auch den zweiten, indem er die Herrschaft bat, noch eine Weile draußen zu bleiben und erst die warme Luft hineinströmen zu lassen, da es stets sehr kühl im Innern sei.

So standen denn Beide neugierig vor der Thür und schauten in das ihren Augen zum ersten Mal erschlossene Gewölbe hinein. Es war ziemlich geräumig, hoch und tief und mit festen Bruchsteinen ausgemauert, deren Wölbung in der Mitte in spitzen Bogen strahlenförmig zusammenlief. Den Mittelpunct dieser Strahlen bildete eine vergoldete Rose und von ihr hing an drei vergoldeten Ketten eine Bronceampel herab, die nur zweimal bisher und zwar an den Beisetzungstagen der darin Begrabenen gebrannt hatte.

An der dem Eingange gegenüberliegenden Wand standen auf schwarzen und weißen Marmortafeln, wie wir sie vor der Thür gesehen, die beiden gewaltigen zinnernen Särge, mit schönen Goldverzierungen bedeckt, das Kopfende der Wand, das Fußende dem Eingange zugekehrt. Auf dem links stehenden las man in großen goldenen Buchstaben den einfachen Namen ›Betty‹, auf dem rechts stehenden ›Quentin‹. Fünf oder sechs Schritte von diesem Fußende entfernt, also zunächst der Thür, standen zwei hochlehnige aus Eichenholz geschnitzte Stühle dicht neben einander, alterthümlichen Chorstühlen ähnlich und eben so schwer beweglich; sonst war weiter nichts in dem Gewölbe enthalten.

Betty und Paul waren tief ernst geworden, als die Thürflügel geöffnet und die beiden Särge dadurch plötzlich so dicht vor ihre Augen gerückt wurden. Erst nach einer Weile, als Barker sich schon wieder entfernt und zu seinen Blumen begeben hatte, traten sie in das Gewölbe ein, betrachteten in feierlichem Schweigen die Särge von allen Seiten und nahmen dann, da sie die Luft durchaus nicht kalt, vielmehr nur angenehm kühl fanden, auf den beiden Stühlen Platz, auf welchen Paul's Onkel Quentin so oft allein oder mit einem seiner Vertrauten gesessen, seine Andacht verrichtet und der einzig geliebten Freundin seiner Seele mit tiefer Rührung gedacht hatte.

Paul saß unbeweglich auf seinem Stuhle und überließ sich im Stillen seinen Gedanken, indem auch er des Geschiedenen, den er nie mit Augen gesehen, mit Wehmuth gedachte und in seinem Geiste das seltsame Geschick erwog, welches demselben das ganze Leben verbittert hatte. Da wurde seine Aufmerksamkeit von dem Gegenstande seiner Betrachtung ab auf Betty geleitet, die, von einer unwillkürlichen Gemüthsbewegung hingerissen, ihr Tuch zu den Augen führte und leise zu weinen begann. Paul wandte theilnahmvoll den Blick auf sie hin und betrachtete sie eine Weile forschend von der Seite. Bald darauf faßte sich Betty wieder, nahm das Tuch von den Augen und sagte leise:

»Verzeihen Sie, daß ich Ihnen diese Stunde durch meine Thränen vielleicht noch herber mache, als sie an sich schon ist. Aber es geht mir immer so, wenn ich vor einem Sarge stehe und an den darin schlummernden Todten denke, der auch einst lebte und fühlte, wie ich. Seltsam, wie ergreifend das Gefühl dabei auch sein und wie das Herz sich dabei in Demuth krümmen und fast überbürdet fühlen mag, so wirkt doch nichts so versöhnend, beruhigend und erhebend auf uns, als der so nahe vor unsern Augen liegende Tod. Möge der da Schlummernde uns auch noch so wehgethan haben, wir vergießen doch theilnehmende Thränen, vielleicht weil wir ahnen, daß auch wir einst so liegen und in Frieden schlummern werden, und nicht wissen, ob eine theilnehmende Seele auch auf unser Grab eine warme Thräne fallen läßt!«

»Darüber können Sie außer Sorge sein,« nahm Paul mit wachsender Wehmuth das Wort. »Auch Sie sind ja eine Betty und werden wenigstens eine Seele auf Erden gefunden haben, die Thränen der Liebe und des Schmerzes, Sie verloren zu haben, auf Ihr Grab fallen läßt. Oder zweifeln Sie daran, daß es eine solche Seele für Sie giebt?«

»Ach nein, aber wer mögen sie sein, die einst an meinem Sarge trauern?«

»Ohne Zweifel Menschen, die Sie lieben, wie einst Quentin diese seine Betty liebte – vielleicht auch solche, denen Sie so grausam entzogen wurden, wie Diese Jenem.«

Sie sah ihn mit ihren großen lichten Augen fest und liebevoll an und nickte ihm mit schmerzlich lächelnder Miene zu. »Ich danke Ihnen für diesen Trost,« sagte sie ganz leise, »er thut wohl.«

»O ja, aber der Gedanke ist bitter, daß Quentin seine Betty nie besitzen konnte, ja sie nicht einmal im Leben wiedergesehen hat. Meinen Sie nicht auch?«

»Gewiß ist er bitter – aber warum sehen Sie mich so seltsam fragend und ohne Unterlaß an?«

»Wer weiß, ob das, was Jenem begegnet, das Bitterste ist, was einem Menschen im Leben begegnen kann,« erwiderte er ausweichend und mit tiefer Traurigkeit.

»Was könnte es denn noch Bittereres geben?« fragte Betty langsam und nachdenklich.

»Ich weiß es nicht, aber es will mich bedünken, daß es nicht weniger bitter ist, einem Glück nahe zu sein, es dicht vor seinen Augen zu haben und es doch nicht an sich reißen zu dürfen. O, das ist der furchtbare Hunger, wie ihn Tantalus fühlte, als er eine Fülle köstlicher Speisen vor sich, das ist sein Durst, als er den goldenen Wein, das crystallene Wasser perlen sah und doch seine lechzenden Lippen nicht damit benetzen durfte. Nicht wahr?«

Sie nickte stumm und reichte ihm die rechte Hand. Er faßte sie erst mit einer, dann mit beiden Händen und behielt sie so lange darin, als sie vor den Todten saßen, wobei er ihre schönen Finger bisweilen betrachtete und sich über ihre reizende Form, ihre lebensvolle Wärme und ihre weiche, elastische Frische zu freuen schien.

»O,« sagte er mit einem Male nach längerem Schweigen, »ich sehe und fühle, es kann auch ein Glück gewähren, bei den Todten zu sitzen und, wenn nicht mit den Augen, doch im Herzen Thränen dabei zu vergießen.«

»Welches Glück meinen Sie?« fragte Betty mit raschem Ausblick in sein jetzt so bleiches und trauriges Gesicht.

»Ich meine das Glück: im Angesicht der Todten, in Gedanken an sie und ihre vergangene, gestorbene Liebe eine warme, lebendige, menschliche Hand in der seinen zu halten, die –«

»Nun was?« fragte sie, da er stockte. »Sprechen Sie Ihren Gedanken redlich aus.«

»Die dennoch ihre Wärme, ihr Leben in sich verschließen muß und es ihrem – Nächsten nicht mittheilen darf.«

»Das darf ihr Niemand verwehren, verbieten,« rief sie etwas lauter als vorher und mit entschiedener Festigkeit aus. »Sie theilt diese Wärme sogar gern Jedem mit, der sie zu empfangen verdient.«

»Ich danke Ihnen,« erwiderte er lächelnd, »Sie haben mich mit diesen Worten wirklich erwärmt, aber – diese Wärme ist nicht dauernd, sie verfliegt rasch.«

»Es ist nicht immer Frühling oder Sommer, lieber Freund, es giebt auch einen Herbst und einen Winter – «

»Ja, und die bringen Kälte und Stürme und – ach, sehr traurige und öde Nächte. Und deren habe ich recht viele gehabt.«

»Wer hätte sie nicht gehabt! Ich etwa nicht?«

Er nickte und sagte: »Ich glaube es nicht allein, ich weiß es.«

»Nun, wenn Sie es wissen, so können Sie sich nicht beklagen, daß Sie der einzige Leidende auf Erden gewesen sind – ja, auch ich habe gelitten. Ach, und ich fühle fast den Muth, hier, an diesem Orte über meine Leiden zu sprechen.«

»Sprechen Sie nicht darüber – ich habe genug Leid in mir.«

»Auch jetzt noch?« fragte sie lächelnd und drückte seine Hand fest mit der ihren.

Er achtete nicht auf diesen Druck, weil die Gedanken, denen er unwillkürlich folgte, ihn mit sich fortzureißen begannen. »Auch jetzt noch,« sagte er traurig, »und ich sehe die Zeit nicht ab, wo es anders werden könnte.«

Sie lächelte ihn milde an und nickte ihm wieder zu. »Haben Sie Geduld,« sagte sie ganz leise, fast flüsternd. »Die Winter, so viele ihrer auch sein mögen, gehen doch einmal vorüber und es kommt dann ein neuer, ein warmer, ein hoffnungsvoller Frühling.«

Er sah sie fragend an, sein dunkles Auge flammte gegen sie auf und er wollte eben ein Wort sprechen, das er auf dem übervollen Herzen nicht zurückhalten zu können glaubte, als eine unerwartete Störung ihn auch aus diesem hoffnungsvollen Frühling riß.

Ueber die so ungestört mit einander Redenden, deren Gespräch eine so bedeutungsvolle Wendung zu nehmen und in deren Gemüth so eben ein wohlthuendes Licht zu leuchten begann, fiel plötzlich vom Eingang des Gewölbes herein tiefer und breiter Schatten. Er rührte von einem Menschen her, den Paul am wenigsten in diesem Augenblick und an diesem Orte zu begegnen erwartet hatte. Denn als er, von dem langsam hereinfallenden Schatten und zugleich einem knirschenden Geräusch, als träte Jemand auf die Steinplatten vor der Thür, aufmerksam gemacht, sich umdrehte, erkannte er den Rentmeister, der ganz im Stillen auf der am jenseitigen Ufer angeketteten Todtenfähre über das Wasser gefahren war und sich, so leise wie möglich auftretend, der Gewölbethür genähert hatte.

Als Paul dieses Mannes ansichtig wurde und durch ihn aus einer vielleicht nie wiederkehrenden Stimmung gerissen wurde, strömte ihm all' sein Herzblut nach dem Kopf und ein heftig aufwallendes Gefühl ergriff und übermannte ihn fast. In einem so ungeeigneten Moment hatte ihn noch Niemand gestört, und nun war es gar der Rentmeister Uscan Hummer, der es zu thun wagte. Aber wie eben nichts Freundschaftliches in Paul's Miene und Geberde sich aussprach, so lag auch nichts Wohlwollendes auf dem Gesicht des so leise Heranschleichenden. Noch niemals hatte Paul das Auge desselben von einem so unheimlichen, fast dämonischen Feuer blitzen gesehen und – mochte er sich nun in seiner jetzigen aufgeregten Stimmung täuschen oder nicht – er glaubte sogar etwas Feindseliges, etwas unbestimmt Drohendes um die aufgeworfenen, zuckenden Lippen des Mannes wahrzunehmen. Aber das Alles dauerte nur einen Moment, einen Augenblick darauf nahm die Miene des Rentmeisters wieder ihren gewöhnlichen unterwürfigen Ausdruck an, er lächelte gleißnerisch süß und sagte mit seiner scharfen, nur durch die größte Selbstüberwindung gemäßigten Stimme.

»Sie verzeihen, meine Herrschaften, daß ich Sie so unberufen störe. Aber ich halte es für meine Pflicht, Ihnen eine wohlgemeinte Warnung zukommen zu lassen. Sie kennen die ungesunde Luft in diesem Gewölbe nicht und haben sich schon viel zu lange darin aufgehalten. O, folgen Sie meinem Rathe und verlassen Sie Ihre Plätze, damit Ihnen nichts Unheilvolles geschehe. Es wäre nicht das erste Mal, daß Jemand bei den Todten sich selber den Tod geholt hat.«

Betty und Paul waren natürlich, sobald sie einen Fremden herantreten sahen, von ihren Sitzen aufgestanden und hatten sich dem Eingange der Gruft genähert. Der Rentmeister verneigte sich ehrerbietig vor der Baronin, die er schon früher flüchtig im Schlosse gesehen hatte, aber diese maß ihn nur mit einem ihr sonst nicht eigenen stolzen und kurzen Blick, ohne seine Verbeugung im Geringsten zu erwidern. Paul dagegen berührte oberflächlich seinen Hut und entgegnete auf die Worte des Rentmeisters:

»Ich weiß schon lange, daß die Luft in Grabgewölben der Gesundheit nicht zuträglich ist und Sie sind sehr gütig, daß Sie sich die Mühe machen, mit der schweren Todtenfähre herüberzukommen, um uns zu warnen. Ich danke Ihnen. Frau Baronin, wenn es Ihnen gefällig, verlassen wir den Ort. Sie sind wirklich bleich geworden – frieren Sie?«

»Nicht im Geringsten, es ist ja so warm hier draußen.«

»Barker!« rief Paul dem in der Nähe grabenden Gärtner zu, »schließen Sie die Thür wieder und bringen Sie den Schlüssel nachher nach dem Schloß. – Leben Sie wohl, Herr Rentmeister!«

Bei diesen Worten half er schon Betty in den Nachen steigen und ruderte langsam mit ihr fort, während der Rentmeister noch einige Minuten vor den Särgen der Todten stehen blieb und mit gefalteten Händen ein stilles Gebet zu sprechen schien. Dann kam der Gärtner herbei und schloß die Thür. Der Rentmeister trat in die Todtenfähre und schob sie mühsam mit einer Stange über das Wasser.

»Wie kommen Sie denn aber hinüber, Barker?« fragte er, als er schon einige Schritte vom Ufer entfernt war.

»Fahren Sie nur getrost, Herr Rentmeister,« erwiderte der Gärtner, ihm leichthin mit der Hand winkend, »ich kenne eine seichte Stelle, die ich im Nothfall mit meinen Wasserstiefeln durchwaten kann, wenn Niemand kommen und mir den Kahn bringen sollte. Ich bin hier noch lange nicht fertig und um mich brauchen Sie sich nicht zu ängstigen.«

Der Rentmeister war schon wieder am jenseitigen Ufer, kettete die Fähre an und ging langsam und nachdenklich seinem Hause zu, nachdem er noch einen spähenden Blick den beiden jungen Personen nachgeworfen hatte, die ruhig nach dem Schlosse zurückkehrten, von dem sie ziemlich lange entfernt gewesen waren.

 

Wie die Stunden – und die glücklichsten immer am raschesten – alle Tage vergehen, so vergingen sie auch an diesem Tage. Frau von Hayden und ihre Tochter hatten in Gesellschaft von Onkel und Neffen ihr Vesperbrod eingenommen und dabei auch von dem herrlichen ›Wein der Narrheit‹ einige Gläser getrunken und waren dann, von dem gehabten Genuß entzückt, gegen Abend nach Hause gefahren. Paul hatte den Wagen noch eine Strecke begleitet, der Professor aber war, nachdem er den Abfahrenden lange nachgeblickt, in den Saal zurückgekehrt. Schon einige Minuten vor ihm war auch Frau Dralling in denselben getreten, um den Tisch abzuräumen, denn sie liebte vor allen Dingen die Ordnung in ihrem Haushalt und ruhte nicht eher, als bis sie dieselbe nach einem solchen Besuch in allen Einzelnheiten wieder hergestellt hatte. Die gute Frau sah sehr erhitzt aus, als sie an ihr Geschäft ging, und sprach dabei in ihrer gewöhnlichen Weise laut vor sich hin.

»Das war ein hübscher Tag,« sagte sie, »das muß ich gestehen. Aber daß der Professor den Herrn Paul so lange mit der Baronin allein gehen läßt, das wundert mich eigentlich. Hm! Sie haben sich heute redlich geübt, einst als Tante und Neffe mit einander zu verkehren. Es ist freilich eine junge Tante und der Neffe ist fast zu hübsch für sie, um ihr nicht gefährlich zu werden. Aber Du lieber Gott, es kann ja doch nicht anders sein. Der selige Baron hat seiner armen Frau einen goldenen Riegel vor ihren Willen gelegt, das muß man sagen. Und was für den Einen ein Uebel ist, das ist für den Andern ein Segen. So geht es ja immer in der Welt. Mein guter alter Herr weiß ein Lied davon zu singen und er kann sich freuen. Gerade für ihn, als hätte er von ihm eine Vorahnung gehabt, hat der Baron von Wollkendorf sein Testament gemacht, und dies Testament wird ihm reichere Zinsen als das seines Bruders tragen. O ja, der Baron hat es gut mit dem Professor gemeint –«

»Wer hat es gut mit dem Professor gemeint?« fragte die Stimme des Letzteren, der leise hinter der ämsig beschäftigten Haushälterin in den Saal getreten war.

Frau Dralling erschrak und drehte sich hastig um. Aber sie faßte sich schnell, da sie den Professor nur allein vor sich sah. »O, ich meine nur,« sagte sie, »der Herr Baron von Wollkendorf habe es gut mit Ihnen gemeint, weil er ein so curioses Testament machte, in Folge dessen seine Wittwe nur einen Mann heirathen darf, der über sechszig Jahre alt ist. Das fiel mir just so ein, als ich heute Nachmittag die Frau Baronin und den Herrn Paul so freundschaftlich Arm in Arm durch den Garten gehen sah und – und – aber mein Gott, Herr Professor, was habe ich denn, gesagt oder wie haben Sie es verstanden – Sie sehen mich ja so erstaunlich merkwürdig an? Sie sind doch wohl nicht – doch wohl nicht gar eifersüchtig auf – Herrn Paul?«

Der Professor wäre beinahe in ein lautes Gelächter ausgebrochen, als er die seltsame Miene der Dralling sah und ihre Worte hörte, aber er bezwang sich männiglich und gab sich die größte Mühe, ein ›furchtbar böses‹ Gesicht zu machen. »Eifersüchtig?« fragte er, unwirsch mit den Händen hin und her fahrend, »was ist das?«

»Haha!« lachte die Dralling. »Nun sehe ich klar, Herr Professor. Eifersüchtig ist das – was Sie jetzt sind – denn es steht Ihnen auf beiden Mundwinkeln geschrieben. Herr Gott, wer hätte gedacht, daß ein Mann von Ihren Jahren noch in ein solches Laster verfallen könnte!«

»Dralling!« rief der Professor mit leidenschaftlich anschwellender Stimme. »Was reden Sie da? Unsinn! Hat der Wein, den Sie heute Mittag getrunken, noch nicht ausgetobt? Da sehen Sie, wie tief und fest die Narrheit der Welt sich einnistet, wo sie fruchtbaren Boden findet – und Sie scheinen mir gerade dafür cultivirt zu sein.« »Herr Professor!« sagte die Alte schmeichelnd und streichelte, ihrem Herrn näher tretend, seinen Arm. »Verstellen Sie sich nur nicht auch gegen mich. Ich kenne Sie jetzt. Mich hat die Narrheit der Welt nicht gepackt, darauf verlassen Sie sich, aber –«

»Nun, was denn?«

»Ach mein Gott, schreien Sie doch nicht so. Wenn der Herr Paul oder gar der neue Bediente jetzt herein käme und das hörte, sie müßten ja glauben, Sie zankten mit Ihrer guten alten Dralling, wie Sie mich heute so freundlich genannt haben. Aber – wollte ich sagen,« fuhr sie, ihn wieder streichelnd fort, »Sie sind wahrhaftig eifersüchtig und es zwickt und zwackt da ein recht hübscher tigerartiger Sturm –«

»Sie sind verrückt!« polterte der Professor auf. »Ha – und da kommt der Junge gerade zur rechten Zeit. Paul!« rief er dem ruhig Eintretenden entgegen, »komm her, Junge, und gieb mir einen Kuß. So. Das war ein göttlicher Tag, nicht wahr? Und denke Dir, die Alte – die hier – hat noch immer etwas hier hinter der Stirn sitzen, denn sie hat mir eben zugeraunt und mich damit gegen Dich aufhetzen wollen, Du seiest in Deine zukünftige Tante verliebt – und das ist doch gewiß nicht wahr, wie?«

»Herr Professor!« schrie die Dralling mit laut aufschluchzender Stimme, »das ist – o, das ist grausam und kannibalisch von Ihnen! O mein Gott, Herr Paul, glauben Sie ihm doch kein Wort – ich habe ihm nichts zugeraunt, ihn nicht aufhetzen wollen – aus ihm spricht – ja, ja, es muß einmal gesagt sein – die schrecklichste, tigerhafteste Eifersucht!«

Paul sah bald den Professor, bald die Dralling an; er konnte anfangs aus Beiden nicht klug werden. Endlich aber verstand er sie und nun lachte er herzlich mit dem Professor, während die Dralling, flammend vor Zorn, Schaam und Aerger, zur Thür hinaus lief und sich verschwor, keinem Menschen mehr zu trauen, da auch der gute Professor, auf den sie Felsen gebaut, ihr so eben eine Lüge in den Mund gelegt, die ihr Herrn Paul auf ewig abwendig machen konnte. Denn daß sie sich lieber die Zunge abgebissen als ihm gesagt hätte: der Baumeister sei in die Baronin verliebt, das war doch gewiß wahr, und so mußte ihr wohl jene Anklage als eine Lüge erscheinen, wie sie sie noch nie aus dem Munde des wahrheitsliebenden alten Mannes gehört hatte.


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