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(Saal im Palast. Rechts und links im Hintergrund führen offene Thürbogen in Galerien. Im Vordergrund links eine kleinere, geschlossene Thür.)
Die vier Bewaffneten, (welche im dritten Aufzug Omar und Rita fortgeführt haben, stehen als Wache vor der Thür links). Stefano (kommt vom Hintergrund).
Stefano. Das war ein schlimmer Festtag, Höll' und Mord!
Der König ist auf seinem schnellsten Pferd
Hierher ins Schloß zurückgekehrt;
Jedoch der Aufruhr flackert fort.
Indessen Berengar das äußre Thor
Der Stadt beschirmen soll, ist uns beschieden,
Aufrecht zu halten dieses Schlosses Frieden. –
Nun führt zunächst mir die Gefangnen vor.
(Ein Bewaffneter schließt die Thür vorn links auf und holt Omar und Rita heraus.)
Vorige. Omar, Rita (beide gefesselt).
Stefano. Ihr Staatsverbrecher, seid von mir verständigt:
Der Fürst hat, eh' man euch den Garaus macht, 122
Ein allerletzt Verhör euch zugedacht.
Ich rate nur, daß ihr die Zunge bändigt!
Wem noch das kleinste Lästerwort entschlüpft,
Durch Marter würde dessen Pön verschärft;
Doch wenn ihr euch bußfertig unterwerft,
Dann werdet ihr ganz friedlich aufgeknüpft.
Seid ihr gefaßt? Seid ihr gesammelt?
(Zustimmende Bewegung von Omar und Rita.)
Gut.
Ich geh' und meld' es eurem höchsten Richter.
(Zu den Bewaffneten.)
Besetzt die Gänge dort; seid auf der Hut!
Das sind zwei abgefeimte Bösewichter.
(Er geht rechts hinten ab. Die Bewaffneten verteilen sich paarweise in die beiden Galerien, wo sie verschwinden; nur ab und zu wird im Verlauf der nächsten Scene einer oder der andere von ihnen sichtbar.)
Omar. Rita.
Omar. Ja, Kind, nun heißt es vom Leben scheiden. –
Rita. Ja, fremder Mann, es muß wohl sein.
Omar. Wie freudig wollt' ich den Tod erleiden,
Stürb' ich allein;
Nur daß er auch dich umklammern will,
Das schneidet ins Herz wie ein glühendes Messer!
Und du so gefaßt, so mutig und still . . .
Rita. Vom Zähneklappern wird's auch nicht besser. 123
Omar. Weißt du, was Sterben ist? Vermag
Dein junges Herz den starren Sinn zu fassen?
Rita. Ich weiß: Wir müssen den traulichen Tag,
Der dort so gütig und golden blinkt,
Wir müssen die funkelnde Nacht verlassen.
Wenn heute die Sonne hinuntersinkt
Ins liebe Meer,
Wir schauen nimmer die Wiederkehr.
Tausend Sterne werden sprühn,
Die uns entrissen;
Tausend Blumen werden erblühn;
Wir aber werden's nicht wissen.
Omar. So ist es, Rita – und doch, und doch –
Du selber hast es dahingegeben,
Das helle, das warme, das festliche Leben,
Auch du eine knospende Blüte noch.
Das Morgen, das dir in Frühlingspracht
Verheißend gelacht,
Du willst es vertauschen mit ewigem Gestern,
Und die es zu bräutlichem Schmucke dir gab,
Die werden nun welken auf deinem Grab,
Die Rosen, deine trauernden Schwestern. –
Rita (ihn voll ansehend).
Und du? –
Omar. Mir bleibt ein hehrer Trost gespendet:
Was ich erstrebt, ich hab' es erreicht;
Mein Tagewerk, ich hab' es vollendet;
Am Ziele der Wandrung stirbt sich's leicht. 124
Auch war ich in der Welt allein,
Und wenn ich scheide, wird niemand klagen.
Rita (plötzlich von Schmerz überwältigt).
Der Vater! Der Vater! Er wird's nicht ertragen!
Omar. Ach, Rita, warum vergaßest du sein,
Als dir der Zorn des Königs drohte?
Warum, als Furcht die Stärksten umfing,
Als bebend sie standen und scheu beklommen,
Hast du allein dem strengen Gebote
Getrotzt, an dem das Leben hing?
Rita. Ich selber weiß nicht, wie's gekommen,
Weiß nicht, wie mir das Wort entfloh;
Ich sah nur, daß ihm die Kleider fehlen,
Und als er mich fragte, wie konnt' ich's verhehlen?
Es war doch so. –
Omar. Und würd' er dich jetzt noch einmal fragen?
Rita (nach kurzem Besinnen).
Ich glaub', ich müßt' es ihm wieder sagen,
Möcht's ihn auch noch so sehr verdrießen.
Ich bin so geschaffen; ich kann nichts dafür:
Vor meinem Mund ist keine Thür,
Um die Gedanken einzuschließen,
Und weil ich's nimmermehr verstünde,
Wie man sie tief im Herzen versenkt,
Deshalb geschieht mir wohl mein Recht;
Ich bin für diese Welt zu schlecht;
Denn nicht wahr, es ist eine schreckliche Sünde,
Immer zu sagen, was man denkt? 125
Omar. Das ist nicht Sünde – ist Himmelslicht!
Jedoch die Menschen ertragen es nicht,
Und strahlt es in ihr finsteres Haus,
Sie zu beschämen, sie zu blenden,
Dann kommen sie mit plumpen Händen
Und löschen es aus. –
Rita. Seltsam, mir ist es wie ein Traum.
Du fremder Mann, ich kenne dich kaum,
Und dennoch – deiner Worte Laut
Klingt mir vertraut,
Als wären wir immer bekannt gewesen.
Omar (mit steigender Wärme).
So ging es auch mir in gleicher Frist:
Ich hab' in deinen Augen gelesen
Und hab' es empfunden, wer du bist.
Ein Fremdling war ich auf Erden hier,
Ein wirbelndes Blatt, ein Spiel der Winde;
Nie hofft' ich, daß ich die Heimat finde,
Und hab' sie gefunden bei dir – bei dir!
Das üppige Glück, die strotzende Macht,
Wie waren sie ängstlich darauf bedacht,
Daß man die gleißenden Flitter nicht stehle;
Dich aber im Bettler- und Grafenkleid,
Dich schmückte mit prangender Herrlichkeit
Der Reichtum deiner kindlichen Seele.
Nun, da mein Erdendasein endet,
Neigt sich mein Herz in Dankgebet
Vor jener höchsten Majestät,
Die dich als Botin mir gesendet. – (Pause.)
Rita. Ach nein, du irrst. Im Himmel dort
Werden dich bessere Boten grüßen; 126
Du willst mir nur mit Schmeichelwort
Das Abschiednehmen versüßen.
Omar. Denkst du, ich wolle die letzte Stunde,
Die uns auf dieser Erde blieb,
Entweihen mit unwahrhaftigem Munde?
Rita. Nein; doch ich denke: du hast mich zu lieb.
Omar. Ja, Rita, ja, ich habe dich lieb,
So lieb, daß keine Worte es künden,
Daß keine Gedanken es ergründen!
Und du – und du – o sprich, o sprich:
Liebst du mich?
Rita (schweigt, erschrocken, mit zu Boden geschlagenen Augen).
Omar. Rita, du bist verstummt; du schenkst
Mir keines Blickes Strahl?
Willst du nur dieses eine Mal
Nicht sagen, was du denkst? –
Rita (bleibt unbeweglich).
Omar. Sprachst du mit unerschrockenem Mut
Vorm König und vorm Antlitz derer,
Die seine Befehle besiegeln mit Blut,
Und kannst nicht sagen: Ich bin dir gut!
Rita (ganz leise).
Das ist viel schwerer.
Omar (leidenschaftlich).
Rita! 127
Rita (sich ihm zuwendend).
Ich bin dir gut.
Omar. O Seligkeit!
Rita. Ich war es dir in all der Zeit;
Nur dacht' ich, es ist solch thörichtes Ding
Für dich zu gering.
Drum wollt' ich auf immer es schweigend bewahren;
Doch weil wir morgen im Grabe ruhn,
Darfst du's erfahren.
Omar (jubelnd).
So ward mir nun
Der letzte Tag der schönste von allen!
Mir ist die Sonne ins Herz gefallen.
Ich halte die Braut umschlungen im Tod,
Und wenn ich nun auch zehnmal sterben müßt',
Ich habe gelebt!
(Feurige Umarmung.)
Stefano (von den zwei Bewaffneten gefolgt, ist rechts hinten erschienen).
Schockschwerenot!
Die Bösewichter haben sich geküßt. –
Vorige. Stefano. (Gleich darauf) der König; (hinter ihm) Panfilio, Niccola. Bewaffnete (im Hintergrund).
Stefano (kommt nach vorn).
Heda, verschiebt die Zärtlichkeit bis später!
Im Jenseits habt ihr Zeit genug dazu.
Der König naht. 128
König (kommt langsam, in Gedanken versunken, von rechts hinten. Er ist wieder vollständig bekleidet, trägt den goldenen Kronreif, sieht blaß und verstört aus. In seinem ganzen Wesen zeigt sich der Eindruck des Geschehenen; sein Blick ist scheu, seine Stimme und seine Bewegungen unsicher, auch die Aeußerungen seines Zornes ohne die frühere Kraft).
Stefano (zum König). Erhabner, möchtest du
Sie nun verhören?
König (geht an ihm vorüber, ohne ihn zu beachten).
Stefano (ihm unterwürfig folgend).
Die zwei Missethäter
Stehn hier . . .
König (im Gehen für sich).
So unerhört, so schändlich hintergangen!
In eines Schelmen lockrem Netz gefangen –
Ich, ich! –
(Im Vordergrund rechts angelangt, wendet er sich jäh zu Panfilio und Niccola um.)
Ihr saht zuallererst das Kleid.
Ihr saht es doch?
Niccola. Gewiß!
Panfilio. Bei unsrem Eid!
König. Elende, so vergaßt ihr eure Pflicht! 129
Panfilio (starr).
Wir, Herr?
König. Ihr logt mich an. Es war nichts da.
Panfilio (pathetisch).
Ein Schurke, wer dir sagt: Ich sah es nicht.
König. Ein Schurke, wer mir jetzt noch lügt: Ich sah.
(Panfilio und Niccola sehen sich ratlos an.)
Panfilio (nach einer kurzen Pause, stotternd).
Kränkt beides dich, was soll man . . .
Stefano (auf Omar und Rita deutend). Herr, die zwei . . .
Panfilio (zu Niccola im Hinausschleichen).
Mit unsern guten Tagen ist's vorbei.
(Beide ab.)
König (sieht Stefano verächtlich an).
Auch du . . . (In anderem Ton, hastig.)
Ist Berengar zurückgekehrt?
Stefano. Noch nicht.
König. Und keine Botschaft, daß die Meute
Gebändigt ward?
Stefano. Noch keine. 130
König. Will dem Schwert,
Das starker Feinde Kriegesmacht zerstreute,
Ein Pöbelhaufe widerstehn?
(Ein Bewaffneter kommt von links, spricht leise mit Stefano, geht wieder ab. Zugleich hört man entfernten dumpfen Lärm.)
König. Was gibt's?
Stefano. Kaum wag' ich, Herr . . .
König. Was ist geschehn?
Stefano. Der Aufstand wächst. Der wildgewordne Troß
Dringt vor, als wär' die Hölle losgelassen,
Und neues Volk strömt zu aus allen Gassen,
Schmährufe sendend nach dem Schloß.
König. Ohnmächt'ge Thoren. – Schicke Berengar
Verstärkung, die verzehnfacht seine Schar!
Und keine Schonung . . . schnell!
(Stefano ab. Der König wendet sich zu Omar und Rita.)
Habt ihr gehört?
Mein Volk war treu; ihr habt es aufgewiegelt.
Es glaubte mir; sein Glaube ward zerstört
Durch euch. Wär' euer Los noch nicht besiegelt,
Euch würden jetzt das Todesurteil sprechen
Die Folgen eurer That.
Omar. Wir sind bereit.
(Erneuter Lärm, etwas näher.) 131
Stefano (kommt eilig zurück; vorn rechts).
O Herr, die Wut erstickt mich fast. Die Frechen!
Die Unverschämten!
König. Wie?
Stefano (gedämpft). Vielhundertstimmig
Verspotten sie den König ohne Kleid . . .
König. Verspottet – ich!
Stefano. Und fordern laut und grimmig,
Daß man die beiden Frevler dort befreit.
Omar und Rita hoch! so gellt ihr Ruf.
König (halblaut).
Omar und Rita hoch! Und ich verhöhnt,
Vergessen alles, was ich that und schuf . . .!
Stefano. Befiehlst du, daß sie sterben?
König. Ruhmgekrönt
Wird dann ihr Name leben, mir zum Raube.
Gewalt ist nichts, und alles ist der Glaube.
Ein Mittel nur . . . Laß uns allein!
Stefano. Was thun?
König. Sagt' ich dir's nicht?
(Stefano kopfschüttelnd ab.) 132
König. Omar. Rita.
König (hastig und eindringlich). Noch einmal leg' ich nun
In eure Hände euer Los. Zu sterben
Habt ihr verdient; doch Leben, Freiheit, Glück
Sollt ihr behalten, sollt ihr neu erwerben;
Nur gebt, was ihr gestohlen, gebt es wieder;
Gebt mir's, und eure Ketten fallen nieder:
Gebt mir den Glauben meines Volks zurück.
Omar. Wie sollen wir . . .
König (zu Omar). Ich will dich jetzt nicht fragen,
Warum du mich betrogst, will dir verzeihn
Und ihr, will Glanz und Ehren euch verleihn:
Nur sagt dem Volk, daß ich ein Kleid getragen,
Ein Kleid, von dir gewebt! . . .
Omar. Und wenn wir lügen,
Kann dir ein Glaube, der auf leeren Schein
Gegründet, kann dir eine Macht genügen,
Die so erworben?
König. Herrscher will ich sein!
Dies Volk ist zu erbärmlich, ist zu klein,
Mit geist'gem Auge meinen Wert zu schauen;
Nur wenn sie wieder meinem Kleid vertrauen,
Vertraun sie mir. Mit einem einz'gen Wort
Vermögt ihr euch zu retten. – Mädchen, sprich! 133
Du bist so jung; das Leben liebte dich,
Verhieß dir seiner Gaben goldnen Hort;
Hör' seinen Ruf, und in befreiten Flügen
Steigst du aus Grabesnacht empor zum Licht.
Rita. Das möcht' ich gerne.
Omar. Rita, willst du lügen?
Rita (ihn liebevoll ansehend).
Wenn du's verlangst.
Omar. Nein, ich verlang' es nicht.
Das Opfer wär' umsonst; denn solch ein Leben
Wär' neuer Tod, und dir, o König, kann
Nur eins des Volkes Glauben wiedergeben,
Das ich besitze.
König. Was?
Omar. Mein Talisman.
König. Willst du mich wieder täuschen?
Omar. Hör' und wisse:
Dich täuscht' ich nur, um dir genugzuthun;
Du sprachest: »Gib mir, was ich noch vermisse,
Gib, was mir mangelt«, und du hast es nun.
Die du im Kleid allein gesucht, die Kraft,
Die echt von unecht unterscheidet,
Sie hab' ich redlich dir verschafft,
Und nur des Irrtums hab' ich dich entkleidet. 134
Du wähntest dir Allwissenheit beschert
Und sahst, wie schnell der Trug auch dich bemeistert;
Du wähntest, daß dein Volk dich göttlich ehrt,
Und schon ein fehlend Kleid hat sie entgeistert;
Du wähntest, daß du Menschenwert erkennst,
Daß du erforscht des Herzens tiefste Falten,
Und nicht ein Einziger hat Stich gehalten
Von allen, allen, die du Freunde nennst.
König. Ja, nun durchschau' ich deinen Anschlag ganz!
Dir war es nicht genug, der Krone Glanz
Vor meinem Volk zu trüben und zu bleichen,
Das Gift des Argwohns wolltest du mir reichen,
Um mir die letzte Stütze zu entwenden,
Das Zutraun, das auf ihre Liebe schwört.
Dein Zauber konnte sie verwirren, blenden;
Doch ihre Treue hast du nicht zerstört.
Sie ist der Talisman, den ich mir schuf,
Und während ihr im Tode werdet büßen,
Wird Berengar heimkehren mit dem Ruf:
Dein Volk, dein Reich, es liegt dir neu zu Füßen!
(Er wendet sich, als wolle er einen Befehl erteilen. Stimmengewirr hinter der Scene.)
Vorige. Stefano. Mehrere Höflinge (und) Krieger.
König. Was bringst du?
Stefano. Höll' und Mord, mein graues Haar
Steht mir zu Berge . . . 135
König (ungeduldig). Sprich doch!
Stefano. Eine Kunde,
Unheimlich, grausig, fliegt von Mund zu Munde . . .
König. Wie lautet sie?
Stefano. Dein Feldherr Berengar
Ist tot! –
König (aufschreiend).
Nein, nein! Die Säule meiner Macht,
Die stärkste, die erprobteste von allen,
Mein Schwert, mein Arm . . .
Stefano. Doch nicht im Kampf gefallen,
Tückisch erstochen, meuchlings umgebracht
Von Morderhänden.
König. Rasest du?
Stefano. Mir dienen
Als Zeugen jene, die's mit Augen sah'n.
König (sich umblickend).
Wahr also – wahr? In euren starren Mienen
Les' ich Bestätigung. – Wer hat's gethan?
Wo sind die Mörder?
Stefano. Herr, sie sind entsprungen
Im Wirrwarr, der bei seinem Fall entstand; 136
Jedoch sie boten ihre Hand
Zum Werkzeug nur: Ein Weib hat sie gedungen.
König. Ein Weib?!
Stefano. Sie selber hat es laut bekannt,
Sich rühmend . . .
König. Ihren Namen auszusprechen
Ist euch erspart. Ich kenne – kenne sie! – –
(Bitter und schmerzvoll.)
Geringer konnte sich ihr Stolz nicht rächen.
Sie war zu groß, um müßig nur zu grollen.
Er mußte sterben, dem ich Freundschaft lieh,
Der für mich kämpfte, mir die Treue hielt;
Mein Herz hat sie in seinem treffen wollen,
Und dieser Streich war gut gezielt. –
(Sich aufrichtend, mit steigender Leidenschaftlichkeit.)
Doch ob verwundet auch, noch fühl' ich Kraft.
Hört alle: Wer die Frevlerin mir findet,
Wer sie ergreift, wer sie mir lebend bringt,
Sie hier zu meinen Füßen niederzwingt,
Daß sie zerschmettert sich im Staube windet,
Wer diesen einzigen Triumph mir schafft,
Des ich bedarf, die Fieberglut zu kühlen,
Mich wieder Herr, mich wieder Gott zu fühlen,
Den will ich groß, den will ich glücklich machen,
Ihn Freund, ihn Bruder nennen. Hörtet ihr?
Stefano. Müßt' ich sie holen aus dem Höllenrachen,
Kreuzelement, ich bring' sie dir!
(Schnell ab rechts mit den Kriegern und Höflingen.) 137
Vorige (ohne) Stefano. (Gleich darauf) Diomed.
König (zu Omar).
Gesteh: dein letzter Kunstgriff ist verdorben!
Nennst du mich noch von blindem Wahn verwirrt?
Dem ich vertraut, er ist für mich gestorben:
In Lieb' und Haß hab' ich mich nie geirrt.
Nun soll . . .
Diomed (von links, mit einem Schwert, gefolgt von einigen Kriegern).
Mein Fürst! . . .
König. Du hier?! Kannst du es wagen . . .!
Ist eure Rache noch nicht satt?
Wie deine Tochter mir den Freund erschlagen,
So willst nun du . . .
Diomed. Nicht gegen dich erheben
Will ich dies Schwert; ich will dir's übergeben
Als dein Gefangner.
König. Wie?
Diomed. Und wenn du fragst
Warum, ihr dank' es, welche du verklagst,
Ihr danke, daß mich vor den Richter zieht
Mein schuldig Herz; ihr danke Reich und Leben:
Denn ein Verräter war's, den sie verriet.
König. Du lügst! Du lügst! 138
Diomed. Gelogen hat nur er.
Ja, während du ihn deinen Freund geheißen,
Hat zur Empörung er dein Volk entfacht,
Hat er seit Monden aufgewühlt dein Heer,
Dich zu entthronen, deine Herrschermacht
Mit Räuberhand dir zu entreißen . . .
König (sich gewaltsam beherrschend).
Du lügst . . .
Diomed. Als du gewähnt, er kämpft für dich,
Ließ er den Kriegsruf gegen dich erschallen;
Der Würfel der Entscheidung war gefallen,
Und neben ihm gerüstet stand auch ich,
Taub ihrem Flehn, die flammend mich beschworen,
Den heil'gen Eid zu wahren. Doch erfüllt
Von Qual und Angst hat sie den Weg erkoren,
Den die vollbrachte That enthüllt.
Indessen Berengar schon siegestrunken
Zum Kampfe rief, hat ihr Verzweiflungsmut
In Kriegerherzen die erstorbnen Funken
Der Treue angeschürt zu wilder Glut.
Dein Schloß zu stürmen gab er noch das Zeichen;
Da fällt er unter deren Streichen,
Die er zu deinem Sturze hat vereint,
Und während er den letzten Seufzer haucht,
Sehn wir wie aus dem Boden aufgetaucht
Mein Kind. Sie hebt die Hände mit Frohlocken
Zum Himmel auf, und ihre Stimme scheint
Sich Kraft zu borgen von dem Erz der Glocken
Im Ruf: So ende meines Königs Feind.
König. (immer mehr zusammenbrechend, halblaut).
Weh' mir! – 139
Diomed. Er fiel, und deinem Banner schmiegt
Sich neu des Volkes Schwarm: du hast gesiegt.
König (tonlos, für sich).
Und hab' verloren. –
Diomed. Mir jedoch verblieb
Nur dieser Weg, mein Schicksal zu erfüllen.
Ich mag nicht fliehn, nicht meine That verhüllen.
Das Unrecht, das mich zur Vergeltung trieb,
Du kennst es. Ihrer, die du schwer verletzt,
Gedenkend, hab' ich meinen Fehl begangen,
Und ihrer denkend komm' ich jetzt,
Aus deiner Hand das Urteil zu empfangen.
König (außer sich).
Das Urteil! Hier – hier ist mein Herz: stoß zu!
Ich wehr' mich nicht. – Warum noch zauderst du?
Die Sühne biet' ich dir! So nah und leicht
Winkt dir das Ziel, das jenem unerreicht;
Ihm nahm ich nichts, dir alles.
Diomed (erschüttert). Deine Macht
Gab dir das Recht dazu.
König. So fluch' ich ihr! –
Zum Opfer hab' ich ihr mich selbst gebracht,
Mich und mein Glück; sie ließ mir nur das Grab. –
(Nach einer Pause, mit erhobenen Händen.)
Du ew'ge Weisheit, die den Thron mir gab,
Warum nicht gabst du auch Erleuchtung mir?
Dich, dich verklag' ich – dich allein! 140
Warum in diese Hand die Kraft zu richten?
Warum auf diese Schultern tausend Pflichten?
Wenn ich der Last erlag, die Schuld ist dein!
Blind war ich, blind; von dir war ich betrogen,
Als ich zu sehn geglaubt.
Omar. Nicht sie verklag'!
Verklage jene, die dir schmeichelnd logen,
Du seist das Sonnenlicht, du seist der Tag,
Die deinen Blick verschleiert und verdunkelt,
Bis du die Sonne selbst nicht mehr erkannt
Und nicht ihr Bild, das ohne Truggewand
Aus Menschenherzen wiederfunkelt.
Vorige. Stefano, Maddalena, Bewaffnete (von rechts).
Stefano. Holla, das wär' geglückt! Hier ist sie, hier,
Die Missethäterin. (Zu Maddalena.) Jetzt in den Staub mit dir
Und ihm zu Füßen . . .
König. Ihr zu Füßen ich!
Ich in den Staub! Du Nacken, beuge dich!
Beugt euch, ihr Knie! Herab mit dir, du Krone!
Denn der hier liegt, ist nicht der König mehr,
Ist nur ein Bettler. –
(Er ist, den Kronreif sich vom Haupte reißend, vor ihr niedergefallen.)
Maddalena (nach einer Pause, kalt und unbeweglich).
Unberührt und hehr
Blieb dieser Reif. Dein Platz ist auf dem Throne,
Nicht hier. 141
König. Du irrst. Wenn auch der Feind zerstreut,
Den schlimmsten Feind, der gegen mich verschworen,
In meiner eignen Brust fand ich ihn heut.
Den Glauben meines Volks hab' ich verloren,
Und stellt' ich ihn aus Trümmern wieder her,
Was hilft's? Ich selber glaube mir nicht mehr.
Der Richter wollt' ich sein und ward gerichtet;
Nur eines ist, was noch zu thun mir blieb:
Vor der, die mich gerettet und vernichtet,
Mich anzuklagen und zu flehn: Vergib!
Maddalena (steht schweigend da).
König (sich langsam erhebend).
Umsonst! Ich fühl' es. Deine That bekannte
Dem Thron die Treue; mich verachtest du.
Kein Recht des Dankes fiel mir zu,
Und als ich meine Retterin dich nannte,
Noch einmal kränkt' ich dich, das Werk mißdeutend,
Das du vollbracht. Doch diese Krone hier,
Die so erhaben schien, so heilig dir,
Die du aus Räuberhand zurückerbeutend
Vor Schmach bewahrt, nimm sie von mir dahin;
Denn dir gebührt sie.
Maddalena (wirft sich Diomed an die Brust).
Vater!
Diomed (zum König, mit abweisender Gebärde).
Nicht verschenken
Darfst du, was nach der Allmacht hohem Sinn
Dein eigen ward. 142
König. Doch darf ich ihm entsagen.
Dem Blinden ziemt es nicht, ein Volk zu lenken,
Und Flitter ist die Krone, wenn kein Strahl
Von oben des Gekrönten Blick verklärte.
Omar. Nie war dein Haupt so würdig, sie zu tragen,
Als jetzt, da sich zum erstenmal
Die Kraft des Talismans an dir bewährte.
König (betroffen).
Des Talismans, der echt von unecht scheidet . . .
(Er sieht Omar verwundert an.)
Wer bist du?
Omar. Einer, der den Tod erleidet;
Was sonst? Mit ihr zugleich verdammt
Und wartend, bis sie uns zum Galgen schleifen.
König. Du hörtest, ich verlor mein Richteramt.
Omar. Dann laß die Fesseln uns herunterstreifen;
Und darf ich erst die Arme wieder regen,
Daß ich die Sündrin da umhalsen kann,
So schenk' ich dir den Talisman.
(Auf einen Wink des Königs werden Omar und Rita die Fesseln abgenommen. Stefano und die Bewaffneten ab.)
Omar. Frei, Rita, frei!
Rita (verklärt). Ich wehr' mich nicht dagegen. – 143
König. Wer bist du, Wundersamer, sprich!
Du, der um so viel mächtiger als ich?
Wie hast du mich verlockt und überwunden?
Besaßest du die Kunst der Zauberei?
Omar. Nie waren Geister mir verbunden,
Und doch – ein mächt'ger Zauber stand mir bei;
Er war's, der mir den schweren Sieg gewann
Und mich dem Tode freudig trotzen hieß:
Der Mut der Wahrheit ist der Talisman,
Den mir mein Vater sterbend hinterließ,
Und ich, zum Mann gereift an fernem Strande,
Als Fremdling heimgekehrt zum Vaterlande,
Ich bin ein andrer, als ich dir erschien,
Bin dessen Sohn, der treu sich selbst geblieben
Und dennoch niemals dir die Treue brach,
Den du aus eines Heuchlers Rat vertrieben,
Den du verbannt, weil er die Wahrheit sprach.
König. Du bist . . .
Omar. Der Sohn des Feldherrn Gandolin.
König. So zeugen auch die Toten wider mich!
Omar. Sein letzter Wunsch hat deinem Heil gegolten;
Denn als er fühlte, daß für immer sich
Die matten Lider schließen wollten,
Sprach er: »Gelobe mir, wenn ich entseelt,
Kein ander Ziel zu schaun auf dieser Erde, 144
Als daß ihm einst der Mut der Wahrheit werde,
Die einz'ge Königsgabe, die ihm fehlt.«
Ich hab's gelobt; doch als ich dir genaht,
Fand ich zu diesem Ziel nur einen Pfad;
Denn weil auch Wahrheit eine Majestät,
Der niemand glaubt, der niemand ist gewogen,
Solang sie unbekleidet geht,
Drum hab' ich ihr ein Kleidchen angezogen;
So schlich sie ungefährdet durch das Thor
Des Schlosses bis zu deinem Thron empor.
Und willst du jetzt, da deinen Wahn besiegt
Wahrheit und Treue, schwesterlich verwoben,
Da Falsch und Echt entschleiert vor dir liegt,
Nicht einmal noch zu deines Volkes Glück
Die Wunderkraft des Talismans erproben?
König (in tiefer Erschütterung).
Gibt er des Volkes Glauben mir zurück?
Omar. Zu schönerem Besitz wird er dir taugen.
Sag deinem Volk: Verteilt ist Gottes Licht;
Was unsichtbar, auch ich gewahr' es nicht;
Drum laßt mich euer aller Augen
Zu Hilfe rufen, um mein Land
Zum Heil zu führen und vor Not zu hüten –
Und was dir heut von ihrem Glauben schwand,
Wird ihre Liebe reichlich dir vergüten.
(Pause.)
König (langsam und leise).
Ich bin ein Mensch, ein schwacher Mensch wie ihr.
(Er wendet sich zu Maddalena.)
Versage du nicht deinen Beistand mir,
Wenn ich dem Preis, den ich mir selbst entrückt,
Fortan in Demut will entgegeneilen! 145
Und wenn der Krone Last zu schwer bedrückt
Mein sterblich Haupt, willst du sie mit mir teilen?
Maddalena (schweigt in innerem Kampf).
König (mit höchster Leidenschaft).
Nur du vermagst mich wiederum zu krönen,
Nur du mit meiner Pflicht mich zu versöhnen!
O sprich das Wort, das einzig mir verleiht,
Wonach ich irrend suchte; hab Erbarmen
Mit meiner tiefen Einsamkeit;
Erlöse mich aus winterlichem Bann;
Laß dies erstarrte Herz erwarmen,
Damit es andern Wärme spenden kann! –
Willst du?
Maddalena (überwältigt).
Ich will.
König. Du meine Königin,
Und ich erst jetzt ein König! –
Habakuk (lärmend, links hinter der Scene).
Macht auf! Macht auf! Laßt endlich mich hinein!
Rita. Mein Väterchen!
Habakuk (polternd und schreiend).
Die Thüre brech' ich ein! 146
Vorige. Habakuk.
Habakuk (mit Helm und gezücktem Schwert, eilt aus der Thüre links vorn heraus und auf den König zu, ohne Rita zu bemerken).
Tyrann, mein Kind gib wieder her!
Ja, zittre nur! Denn ich bin ein Empörer,
Bin ein wutschnaubender Verschwörer;
Vor Blutdurst kenn' ich selber mich nicht mehr.
Rita (ihm entgegen).
Ach, Väterchen, das glaubt dir keiner doch.
Habakuk (in rasender Freude).
O meiner Seel', sie ist lebendig noch!
Da ist ihr Kopf, ihr Aug', ihr Mund, ihr Ohr,
Und alles unbeschädigt wie zuvor.
(Zum König, zwischen Lachen und Weinen.)
Das war dein Glück! Hätt'st du gewagt, sie zu ermorden,
Glaub mir, ich wäre fürchterlich geworden. –
(Rita nimmt ihm besänftigend das Schwert ab und legt es beiseite.)
König (lächelnd, zu Omar).
Und welchen königlichen Lohn
Geb' ich nun dir, der so mein Auge klärte?
Sei du mein Freund, sei du mein Weggefährte,
Der Nächste neben meinem Thron.
Omar. Verzeih, o Herr; doch dankend sprech' ich Nein.
Auch ich bin stolz, und statt des Lebens Pfade
Zu wandeln in dem Schatten deiner Gnade,
Will ich mein eigner König sein. 147
König. So mögen Schätze meinen Dank bekunden:
Die Hälfte meines Reichtums werde dein!
Omar. Der reichste Mann, soweit die Sonne loht,
Ich bin es schon; denn heut hab ich gefunden
Ein Menschenherz, das wahrhaft bis zum Tod. –
Mit dieser da und mit dem wackren Alten
Geh' ich, um in der Hütte Hof zu halten
Und schaffend mir das Leben selbst zu schmücken.
König. Und wenn ich deines Rats bedürftig bin?
Omar. Dann komm aus deinem Schloß zur Hütte hin.
Dort schau' ein Weilchen unser Treiben,
Und Rat zu finden wird gar leicht dir glücken,
Wenn du an deines Volkes Herd geruht.
Habakuk. Und willst du gleich zum Frühstück bei uns bleiben,
Dann sei versichert: Einfach, aber gut.
Mein Schwälbchen kocht ganz wunderbar;
Dein Hofkoch kann dagegen sich ertränken. –
(Er schreitet mit Omar und Rita langsam dem Ausgang zu.)
König. Ich bin zu arm, sie zu beschenken,
Und doch unendlich reicher, als ich war.
(Ende.)