Ludwig Fulda
Der Talisman
Ludwig Fulda

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Zweiter Aufzug.

(Ein Saal im Palast. Thüren rechts und links. Im Hintergrund ein Gemach, das durch einen breiten Vorhang verdeckt ist.)

Erster Auftritt.

Berengar. Ferrante.

Berengar (tritt von links ein, geht zur Thür rechts und spricht hinein).
Hier komm herein; hier wird uns niemand stören.

Ferrante (von rechts, blickt sich vorsichtig um).
Gut; aber könnt' uns nicht der Schneider hören,
Der dort sein Handwerk treibt?

Berengar.                                     Der ist beschäftigt
Mit seiner Hexerei.

Ferrante (stets in gedämpftem Ton, ängstlich, führt Berengar ganz in den Vordergrund).
                            Doch fürcht' ich ihn.
Ich weiß, daß er auch dir gefährlich schien,
Und jetzt . . . 47

Berengar.             Hab' ich den König selbst bekräftigt
In Glaubensseligkeit.

Ferrante.                       Zu welchem Ziel?

Berengar. Du Schlaukopf, kann uns was erwünschter kommen,
Als daß der König, hingenommen
Von einem plumpen Gaukelspiel,
Für unser Thun mit Blindheit ist geschlagen?

Ferrante. Doch wenn uns Omar aus des Königs Gunst
Verdrängt?

Berengar.         Ein Gauner, der in wenig Tagen
Sich selbst entlarvt!

Ferrante.                       Und wenn die Kunst,
Die zu besitzen er sich rühmt, ihm eigen?

Berengar. Ei, was verschlägt es uns? Dann wird sich zeigen,
Wer dumm und schlecht ist; aber unsre Macht
Und unser Ansehn geht nicht aus den Fugen;
Denn wir – wir sind die Guten und die Klugen.

Ferrante. Ja freilich – ja – das hab' ich nicht bedacht.

Berengar. Wer könnte Beßres, Klügeres erstreben?
Wir wollen dies bedrängte Land 48
Erlösen aus Tyrannenhand,
Ihm die geraubte Freiheit wiedergeben . . .

Ferrante. Ganz wunderschön!

Berengar.                             Mit einem Jubelschrei
Wird uns das Volk entgegeneilen . . .

Ferrante. Ganz herrlich! – Und es bleibt dabei,
Daß dann wir zwei uns in die Herrschaft teilen?

Berengar. Gewiß.

Ferrante.             Ganz prächtig. Aber die Gefahr
Ist groß . . .

Berengar.
                  Du fürchtest dich?

Ferrante.                                       I Gott bewahr'.
Doch wenn's mißglückt . . .

Berengar.                                 Kleinmütiger, erstaune,
Wenn ich dir sage: Schon in blanker Wehr
Steht hinter uns ein kampfbereites Heer;
Und mehrt nicht täglich neue Willkürlaune
Der Unsern Zahl? Ja, hab' ich selber nicht
Mit jahrelang erlognen Huldigungen
Ein Fangnetz, unzerreißbar dicht,
Dem König um den Fuß geschlungen?
In Selbstanbetung steht er nun versteinert;
Ich nannt' ihn groß und hab' ihn so verkleinert; 49
Ich nannt' ihn sehend, und nun folgt er blind
Dem Rat, der ihm Verderben spinnt.
Ich nannt' ihn gnädig, und mit festen Gittern
Von Lieb' und Treue wähnt er sich umzäunt;
Ich nannt' ihn stark, und für der Knechte Zittern
Verstieß er seinen letzten Freund.

Ferrante. Das läßt sich hören.

Berengar.                             Diomed allein
War noch zu fürchten. Jetzt, nach seinem Falle,
Sorg' ich dafür, er wird der Unsre sein.

Ferrante. Jedoch Panfilio und die andern alle?

Berengar. Die drehen ihren Mantel nach dem Wind.
Wer oben steht, wird ihren Bückling haben,
Und wer hinabfiel, ist für sie begraben.

Ferrante. Wann aber willst du, daß der Kampf beginnt?

Berengar. In kurzem jährt sich wiederum der Tag
Der Krönung, und der Hof wird ihn begehn
Mit feierlichem Zug und Festgelag . . .

Ferrante. Der Krönungstag?

Berengar.                           Ihn hab' ich ausersehn:
Wenn Freudenfackeln überall erglimmen, 50
Wenn Stadt und Land im Festestaumel schwimmen,
Dann wird's vollendet, dann wird Cypern frei!

Ferrante. Und an die Herrschaft kommen dann wir zwei!

Berengar. Unwiderruflich!

Ferrante.                         Topp, so stimm' ich ein.
Für Cyperns Freiheit ist kein Preis zu teuer. – (Ab rechts.)

Berengar (allein, ihm nachsehend).
Du Tropf, holt mir dein Ehrgeiz aus dem Feuer
Die Krone – tragen kann ich sie allein. (Ab links.)

Zweiter Auftritt.

Niccola r(öffnet ehrerbietig die Thür rechts). Habakuk r(mit übertriebener Pracht gekleidet, tritt ein, gefolgt von) zwei Pagen.

Habakuk (mit Grandezza zu den Pagen).
Ist gut; wir haben Staatsgeschäfte hier. –
        (Die Pagen gehen ihm respektvoll nach.)
Die beiden Kerlchen folgen uns beständig!
        (Er dreht sich um und schüttelt ihnen die Hände.)
Lebt herzlich wohl. – Schickt meine Tochter mir;
Ich will sie sprechen – ich, höchsteigenhändig!
        (Die Pagen ab rechts.)
Möcht' wissen, was die beiden haben.
Wie kann der Mensch sich denn verschnaufen,
Wenn ihm zwei wohlerzog'ne Knaben
Fortwährend um die Beine laufen! 51

Niccola. Sie sind zu deinem Dienst bestellt.

Habakuk. Sie sind mir lästig.

Niccola.                               Wenn's dir nun gefällt,
In unsrer Uebung gnädigst fortzufahren . . .

Habakuk. Schon wieder?

Niccola.                         Ja, noch mangelt dir's am Schliffe,
Noch fehlen dir die höheren Begriffe;
Und wenn du deine Stellung willst bewahren,
So ist es Zeit . . .

Habakuk.                 Mein Leben lang
Hab' ich nicht so geschwitzt.

Niccola.                                     Da ist zunächst dein Gang . . .

Habakuk. Mein Gang? – Je nun, ich gehe mit den Beinen.

Niccola. Indes du gehst nicht würdevoll genug;
Auch deine Schritte müssen adlig scheinen.
        (Macht es ihm vor.)
So!

Habakuk (nachahmend).
      So?

Niccola.       Schon besser. – Dann der breite Zug
Um deinen Mund . . . 52

Habakuk.                         Ei, denkst du, mein Gesicht
Hätt' ich mir ausgewählt?

Niccola.                               Doch die Gebärde
Läßt sich verfeinern.

Habakuk.                       Gut. Nur glaub' ich nicht,
Daß ich dadurch bedeutend schöner werde.
Ja, in der Jugend war ich flott und schmuck,
Und meine Frau sprach immer: Habakuk,
Du bist ein Prinz! – Das war 'ne Frau, mein Lieber!
Gesund und kräftig, bis das böse Fieber
Sie weggerafft; zwei Arme wie ein Held;
Die warf dir jeden von euch bleichen Städtern
Im Ringkampf hin; als Rita schon zur Welt,
Da konnte sie noch auf die Bäume klettern . . .

Niccola. Pst! Pst!

Habakuk.             Warum?

Niccola.                             Spricht so ein Graf
Bon seiner Frau Gemahlin?

Habakuk.                                 Ei, Gott straf!
Wie sonst?

Niccola.           Du mußt dir überlegen
Vor jedem Worte, wer du jetzo bist. 53

Habakuk (wischt sich die Stirn).
Puh, wie das Vornehmsein verwickelt ist!
Das Körbeflechten war ein Spaß dagegen.

Dritter Auftritt.

Vorige. Rita (von rechts, in vornehmem Kleid. Zuletzt) Omar.

Niccola. Da kommt das Fräulein.

Rita (lebhaft, übermütig).               Vater, Gott grüß'!

Habakuk. Schwälbchen, was läßt du so lange mich warten?

Rita. Bin herumgeflattert im Garten.
        (Sie hält ihm einen schon angegessenen Apfel an den Mund.)
Beiß einmal ab; der ist süß!

Habakuk. Himmlisch! (Er ißt weiter.)

Niccola (mißbilligend).   O! –

Rita.                                   Ganz wunderbar. –
Wie noch alles im Schlummer war,
Bin ich schon aus dem Bette gehüpft,
In die dummen Kleider geschlüpft
Und hinaus in die Morgenluft,
Trank den Tau und trank den Duft,
Fuhr herum wie ein Eichkätzlein
Unter den Bäumen, zwischen den Beeten, 54
Und beim Sprung in die Hecken hinein
Hab' ich die Schleppe mir abgetreten,
Die mir hinten am Kleide hing;
Mochte mir so wie so nicht passen.
        (Sie zieht das abgerissene Stück aus der Tasche und wirft Niccola zu.)
Haushofmeister, dir schenk' ich das Ding:
Kannst dir ein Schnupftuch draus machen lassen.

Habakuk. Ganz ihre Mutter!

Niccola (entsetzt).                 Ich muß doch bitten,
Zu erwägen, daß dero Herr Vater . . .

Rita. Was denn? Was denn, mürrischer Kater?

Niccola. Hier am Hofe gibt's Regeln und Sitten . . .

Rita. Ist das Vergnügtsein bei euch verwehrt?

Niccola. Wie ich das Fräulein des öftern belehrt,
Macht es die Würde durchaus zur Pflicht . . .

Rita. Würde! Würde! Väterchen, sag,
Weißt du, was Würde bedeuten mag?

Habakuk. Eigentlich klar ist mir's noch nicht.

Niccola. Paßt nur auf, wie die andern es machen. 55

Rita. Nein, das lern' ich im Leben nimmer,
Dies Gewisper und dies Gewimmer,
Nicht laut reden, nicht laut lachen,
Vor einander sich bergen und ducken,
Keinem Menschen ins Antlitz schauen,
Wenn man trinkt, nicht herzhaft schlucken
Und das Essen nicht ordentlich kauen,
Immer nur auf den Zehen wandern
Wie ein Gespenst,
Grad als ob sich einer vorm andern
Fürchtete, frisch drauf los zu schalten:
Wenn du das die Würde nennst,
Magst du sie lieber für dich behalten.

Niccola (achselzuckend).
Was ich vermocht, ich hab' es nun gethan. –
Vernehmt nur noch den heut'gen Stundenplan:
        (Er entfaltet einen langen Zettel.)
Um zwölf Uhr müßt ihr in den Kronsaal kommen,
Halb ein Uhr wird das Frühstück eingenommen,
Um zwei Uhr wechselt ihr das Kleid
Und macht zum Hofdienst euch bereit;
Von drei bis fünf ist festlicher Empfang,
Dann große Ausfahrt eine Stunde lang;
Um sieben Uhr seid ihr gebeten,
Im Galakleid zur Tafel anzutreten;
Um neun befiehlt ein allerhöchst Gebot
Dem Hofstaat, an Musik sich zu erlaben . . .

Habakuk. Um zehn Uhr sind wir mausetot,
Und Schlag halb elfe werden wir begraben.
        (Er setzt sich erschöpft vorn rechts.)

Niccola. Mich ruft mein Amt. Doch merkt euch alle beide: 56
Des Königs Gnade steht auf Messers Schneide;
Drum bändigt eure ungezähmten Geister . . .

Rita. Zu drollig siehst du aus, wenn du so knurrst.

Niccola (tiefgekränkt).
Ich drollig, Fräulein?! Ich, der Haushofmeister? –
Lebt wohl!

(Er wendet sich und geht nach links.)

Rita (bei ihrem Vater rechts stehend, dreht Niccola hinter seinem Rücken eine Nase).
                Leb wohl, du würdiger Hanswurst!

Omar (hinter dem Vorhang in der Mitte hervortretend, noch ohne Rita und Habakuk zu bemerken, zu Niccola, der in der Thür links steht).
Gehst du zum König?

Niccola.                           Ja.

Omar.                                 So meld' ihm, fertig
Sei mein Gewebe. Will er sich bequemen,
Nun Farb' und Stoff in Augenschein zu nehmen,
So wiss' er, daß ich sein gewärtig.

(Niccola ab links.)

Vierter Auftritt.

Habakuk. Rita. Omar.

Rita (Omar bemerkend).
Ach Vater, sieh doch – unser Mittagsgast! 57

Habakuk (aufspringend).
Potztausend!

Omar.                 Ja, ein Wunder muß man's nennen:
Im Schwalbenneste lernten wir uns kennen
Und sehn uns wieder im Palast.

Habakuk. Ich bin gerührt; aus meinen Augen preßt
Sich eine Thräne. Komm in meine Arme!
Endlich ein Mensch, mit dem sich reden läßt!

Omar. Nun ist's vorbei mit deinem bittren Harme.

Habakuk. So weißt du schon, was uns betroffen hat?

Omar. Das weiß ja doch die ganze Stadt.

Habakuk. Und bist auch du zum großen Tier ernannt?

Omar. Noch nicht. Du aber schwelgst im Grafenstand;
Dein Glück ist gar nicht zu ermessen.

Habakuk. Meinst du, man hätte mich vorher gefragt,
Ob mir der Grafenstand behagt?
Meinst du, das Glück besteht im guten Essen?

Omar. Du bist nun reich; du lebst in Glanz und Schimmer,
Von aller Welt beneidet . . . 58

Habakuk.                                 Um so schlimmer!

Omar. Wen soll man glücklich preisen, wenn nicht dich?

Habakuk. Von außen wohl; hingegen innerlich . . .!

Omar. Ein hartes Leben war dir einst beschieden.

Habakuk. Wieso? Das find' ich nicht. Wir lebten gut;
Sag, Rita, ist's nicht so?

Rita.                                   Ich war zufrieden;
Doch du . . .

Habakuk.           Was, ich? War ich nicht froh und munter?
Ich fluchte hie und da, wie man so thut;
Doch wenn ich ausgeflucht, dann war's herunter.
Ich mußte manchmal klares Wasser schlürfen;
Doch hab' ich auch dafür mich ärgern dürfen,
Und saß ich öfters hungrig vor der Thür,
So war ich doch mein freier Herr dafür.

Omar. Allein der schweren Arbeit Uebermaß . . .

Habakuk. Wie? Soll man müßig durch das Leben streifen?
Ach, wenn ich so bei meinen Körben saß
Und alles um mich her vergaß . . .
Wer das nicht kennt, der kann es nicht begreifen. 59
Das ging so leicht, so flott mir von der Hand;
Da wußt' ich schon vorher: es muß gelingen.
Doch seit man mich in dieses Schloß verbannt,
Werd' ich gelangweilt mit verzwickten Dingen;
Man spaltet mir mein altes Hirn entzwei
Mit ellenlanger Litanei,
Mit Würde, Vornehmthun und Staatsgeschäften;
Tagtäglich Feste, Tafeln, Saus und Braus:
Mein lieber Freund, das halt' ein andrer aus!
Sieh mich nur an; schon kam ich ganz von Kräften;
Und noch dazu sich gräflich fein bewegen,
Wenn einem alles schon im Nebel schwimmt!
        (Er setzt sich.)
Ach, wär' ich nicht so fürchterlich verstimmt,
So möcht' ich mich am liebsten schlafen legen. –
        (Er gähnt laut.)
O Jammerleben! – Kinder, gute Nacht! ^

(Er hat sich auf seinem Sessel zurückgelehnt und schläft ein.)

Rita. Sieh, er schläft; ins rechte Gleise
Bringt ihn wieder der freundliche Schlummer;
Fremder Mann, sprich leise, leise . . .

Omar. Rita, bedrängt auch dich das neue Glück?
Sehnst du dich auch ins Schwalbennest zurück?

Rita. Eines nur entbehr' ich mit Kummer:
Daß ich nicht mehr vom frühesten Morgen
Für ihn schaffen darf und sorgen,
Ihm reinlich und nett
Das Stübchen fegen,
Die Blumen ihm pflegen
Am Fensterbrett, 60
Ein Süppchen ihm kochen
Aus kräftigen Linsen
Nach seinem Geschmack
Und für seine Arbeit alle Wochen
Ihm sammeln einen tüchtigen Pack
Von biegsamen Weiden und jungen Binsen. –
Das kommt nicht wieder!
Da waren wir arm; jetzt sind wir reich;
Doch mir ist's gleich.
Die Sonne geht immer noch auf und nieder,
Die Vögel zwitschern die alten Lieder,
Und Himmel und Erde laden mich ein
Zum Lustigsein:
Was kann ich dafür, daß mir die Welt
So unaussprechlich gut gefällt?

Omar. Ich werde dich darum gewiß nicht tadeln;
O wie der König doch so machtlos ist!
Dich, Rita, dich konnt' er nicht adeln,
Weil du schon adelig geboren bist.

Rita. Ach nein. Doch wenn ich König wär',
Ich würde fröhlicher sein als er;
Ich hätte mich längst vom Hof entfernt,
Um einmal tüchtig mich auszutollen;
Ich glaub', er hat das Lachen verlernt.

Omar. Vielleicht auch hat er's nie lernen wollen.

Rita. Ich denke, wer gut versteht zu lachen –
Auch über sich selber dann und wann –
Der ist gewiß ein glücklicher Mann
Und wird auch andere glücklich machen. 61

Omar. Ich will versuchen, es ihn zu lehren.

Rita. Nein, Fremdling, nein, das lehrst du ihn nimmer;
Das lehrt ihn nur – ein Frauenzimmer.

Omar. Du selbst?

Rita.                   Nein, eine, die er liebt,
Und die er lange muß entbehren.

Omar. Wer ist es, der dir solche Weisheit gibt?

Rita. So? Ist das Weisheit?

Omar.                               Weisheit der Natur!
Kind, bleibe, wie du bist, und glaube nur,
Daß dir nicht bessere Gedanken kämen,
Verständest du das Wie und das Warum.

Rita. Ich weiß recht gut, ich bin entsetzlich dumm.

Omar. Dann müssen sich die Klugen vor dir schämen. –

Rita (sieht, daß ihr Vater sich regt).
Still . . . 62

Habakuk (noch im Schlafe seufzend).
            O! – (Erwachend.) Was habt ihr grad gesagt? –
        (Sucht am Boden.)
Wo ist der Korb denn hingekommen?
Zum Teufel auch, wer hat ihn weggenommen?

Rita. Du schliefst . . .

Habakuk (steht auf).   Mein Seel' – dem Himmel sei's geklagt.
Nichtswürd'ge Fopperei! Es war ein Traum.
Ach, wenn er Wahrheit werden möchte!
Ich träumte, daß ich unterm Feigenbaum
Den Korb für Nachbar Beppo fertig flöchte,
Und . . .

Fünfter Auftritt.

Vorige. Niccola (von links).

Niccola (zu Habakuk und Rita).
Wie? Noch hier? Schnell, eilt zur Tafel hin!
Des Königs Frühstück ist in vollem Gange.

Habakuk (zu Omar).
Da siehst du selbst, wie ich gefoltert bin. –
Die Last des Lebens trag' ich nicht mehr lange:
Ein Frühstück wird vom andern überstürzt,
Und alles viel zu fett und scharf gewürzt.
Weiß Gott, ich habe schon das Zipperlein;
In jeder Schüssel sitzt der Tod und lauert.

Rita. Ja, Väterchen, du leidest arge Pein. 63
        (Leise zu Omar.)
Es schmeckt ihm besser, wenn man ihn bedauert.

Habakuk und Rita ab links.)

Sechster Auftritt.

Omar. Niccola.

Niccola. Der König hat geruht, mich herzusenden,
Damit ich . . . hörst du?

Omar (hat Rita gedankenvoll nachgeschaut).
                                    Ja – mit ganzem Ohr.
Der König hat geruht, dich herzusenden,
Damit du . . .

Niccola (ungeduldig).
                    Laß mich nur vollenden
Den allerhöchsten Auftrag!

Omar.                                     Bring' ihn vor.

Niccola. Der König hat geruht, mich herzusenden,
Damit, bevor er selbst bei dir erscheine,
Zuvörderst ich dein Werk genau bekrittle
Und ihm mein Urteil übermittle;
Denn mein Geschmack ist immer auch der seine.

Omar. Und umgekehrt. – Sein Wunsch ist leicht erfüllt:
Nur dieser Vorhang hier verhüllt
Das farbenprächtige Gewebe, 64
Das ich mit kunstgeübter Hand,
Damit es sich in schönen Falten gebe,
Auf ein Gerüst von Ebenholz gespannt.
Ich will sogleich den Vorhang . . .

Niccola.                                           Halte noch!
Soviel ich höre, rühmtest du dich doch,
Es sei die Eigenschaft des Zauberkleides,
Für jeden gänzlich unsichtbar zu sein,
Der dumm ist oder schlecht.

Omar.                                       Vielleicht auch beides.

Niccola. Vielleicht auch beides. – Und du willst auch heute
Behaupten, daß die so beschaffnen Leute
Das Kleid nicht sehen?

Omar.                               Keinen blassen Schein.

Niccola. Auch nicht einmal die Farben?

Omar.                                                 Keinen Dunst.

Niccola (etwas ängstlich).
Merkwürdig! – Nur vermag ich nicht zu denken,
Wie du beweisen wolltest . . .

Omar.                                         Ohne Kunst.
Sobald ein Dummkopf oder Bösewicht
Die Kleider sehen will und sieht sie nicht,
Dann mein' ich, wird man mir wohl Glauben schenken. 65

Niccola (immer ängstlicher werdend).
Hm, hm! –

Omar (macht einige Schritte auf den Vorhang zu).
                Ich will dir jetzt . . .

Niccola (schnell).                             Nein, laß noch zu!
Es gibt da triftige Bedenklichkeiten;
Denn eines anerkennst gewiß auch du:
Was dumm, was schlecht, darüber läßt sich streiten,
Und vor Verkennung ist kein Mensch geschützt.

Omar. Dies grade zeigt, wieviel mein Kunstwerk nützt.
Zu Ehren bringt es wieder die Verkannten;
Doch allen Schurken, die sich ehrlich nannten,
Und allen Heuchlern, die verführend gleißen,
Und jedem Tropfe, der zu laut gekräht,
Und jeder Null, die frech sich aufgebläht,
Wird's vom Gesicht die Larve reißen.
Wohlan . . .

Niccola.             Ein Augenblickchen noch! – Der Welt
Sind manchmal auch die Narren unentbehrlich,
Und wenn ein Mensch auf seinen Vorteil hält,
So ist er drum noch lange kein Verräter
Und bleibt im Grunde seines Herzens ehrlich.
Erwäge nur, es gibt Familienväter,
Die . . .

Omar.           Willst du, daß beschränkte Laffen
Die höchsten Aemter sich erraffen?
Willst du, daß man die Gauner schonen möge? 66

Niccola.
Man würde viele so mit Unrecht nennen,
Die nur . . .

Omar.               Drum soll der Fürst die Wahrheit kennen.
Wie könnt' er herrschen, wenn man ihn betröge?

Niccola. Das allerdings . . .

Omar.                               Willst endlich du das Kleid
Nun sehn?

Niccola (kleinlaut).
                Mir ward's befohlen.

Omar.                                           Und ich hoffe,
Du wirst entzückt sein von dem reichen Stoffe.

Niccola (mit allen Zeichen höchster Angst).
In Gottes Namen denn – ich bin bereit.

Omar (zieht den Vorhang zurück. Man blickt in ein völlig kahles Gemach, in welches von einem rechts anzunehmenden Fenster heller Sonnenschein hereinfällt. Ganz vorn steht ein [rollbares] schwarzes, gänzlich leeres Holzgestell, wie es zum Aufhängen und Drapieren eines Kleiderstoffes sich eignen würde).
                                                            Hier ist es.

Niccola (entsetzt ins Leere schauend).
Wo?

Omar.     Hier – grad vor deinen Augen,
Beglänzt von mittaglichem Sonnenstrahl. 67
Nun, traf ich recht des Farbenmusters Wahl?
Wird dies Gewand für einen König taugen?
Befriedigt's deinen strengen Kunstgeschmack?

Niccola (fast sprachlos).
Ich . . . ich . . .

Omar.                   Du brauchst dich nicht zu übereilen.

Niccola (sich die Augen reibend, für sich).
Ist dies ein Höllenschabernack? –

Omar. Bevor du deinem Eindruck Worte leihst,
Sollst du mein Werk in allen seinen Teilen
Genauest prüfen.

Niccola.                   Aber . . .

Omar (macht sich scheinbar an dem nicht vorhandenen Kleid zu schaffen).
                                        Du verzeihst,
Wenn ich noch einen freiern Wurf der Falten
Ihm geben will. So ist's schon besser, nicht?

Niccola. Ich zweifle stark . . .

Omar.                                   Du zweifelst ohne Frage,
Daß dies Geweb' den Zauber in sich trage;
Nun, das begreif' ich. Da im Sonnenlicht
Der Stoff dir in die Augen flammt und flirrt,
Kannst du's nicht fassen, nicht für möglich halten,
Daß er von Schelmen nicht gesehen wird.
Das wolltest du doch sagen? Wie? 68

Niccola.                                             Ich wollte . . .
Was wollt' ich denn? . . . (Für sich.) O Himmel, Fassung jetzt!
Mein Amt, mein Leben ist aufs Spiel gesetzt,
Wenn's andre sehn, und ich's nicht sehen sollte.
        (Laut.)
Ich wollte sagen, daß . . . daß ich zunächst . . .
Noch gar nichts sagen kann.

Omar.                                       Die Farbenpracht des Kleids
Betäubt dich; du gehörst nicht zu den Leuten,
Für die das Urteil auf den Bäumen wächst.

Niccola. Ja, einerseits . . . und wieder andrerseits . . .
        (Für sich.)
Allmächtiger, mir schwindelt. Was beginnen? –

Omar. Dein Stammeln darf ich mir wohl günstig deuten.
Nur Großes bringt Verwirrung unsren Sinnen.
        (Er thut, als ob er die einzelnen Teile erkläre.)
Des Mantels Purpur bracht' ich vom Gestad
Des Tigris mit; aus Babylonien stammt
Des Rockes reichgestickter Goldbrokat
Und aus Byzanz der Hosen roter Samt;
Die werden noch mit einer breiten Borte
Verziert und an dem Saum mit Gold umrändert.
Ich bitte, sage mir in offnem Worte,
Was dir mißfällt; es wird sogleich geändert.
Doch laß dein Urteil endlich nun erschallen.

Niccola. Ich . . . 69

Siebenter Auftritt.

Vorige. Panfilio (von links).

Panfilio (im Vordergrund).
                    Niccola, der König schickt mich her,
Zu forschen, wo du bleibst; denn ungeduldig
Erharrt er deine Wiederkehr
Und wüßte gern, wie dir das Kleid gefallen.

Omar. Ich bin Herrn Niccola das Zeugnis schuldig,
Daß er mein Werk mit Gründlichkeit besah.

Panfilio (zu Niccola).
Du hast das Zauberkleid gesehen?

Niccola, (der in seinem Kampf, ob er die Wahrheit gestehen oder lügen soll, nun zu einem festen Entschluß gekommen ist, mit großer Entschiedenheit).
                                                    Ja! –

Panfilio (für sich).
Für alle Fälle gut! Wenn solch ein Gauch
Das Kleid gesehen hat, dann seh' ich's auch.
        (Laut zu Niccola.)
Sprich, wie gefällt es dir?

Omar.                                   Ja, sprich!

Niccola.                                                 Recht gut.
Recht anerkennenswert. – Mich hindert
Am vollen Lobe nur die Farbenglut; 70
Ich wünschte sie gedämpft und abgemindert.
        (Zu Panfilio.)
Urteile selber: Wirkt sie nicht zu grell?

Panfilio (suchend).
Wo ist das Kleid?

Niccola (mit möglichster Harmlosigkeit).
                          Hier – auf dem Holzgestell.

Panfilio (steht mit offenem Munde, wie erstarrt, während Niccola ihn scharf beobachtet).

Omar. Mit Absicht wandt' ich solche Farben an:
Je augenfälliger sie prunken,
Desto beschämender erweist sich dran
Die Blindheit aller Heuchler und Halunken,
Und einem König ziemt der höchste Glanz.

Niccola (ist dem Gestell nahe getreten).
Ich muß bekennen, niemals in der That
Begegnet' ich zuvor so tadellosen
Geweben wie den roten Sammethosen
Aus Babylon.

Omar.                 Vergebung, aus Byzanz.

Niccola. Byzanz, ja richtig. Und der Goldbrokat
Des Rockes mit der reichen Stickerei,
Des Mantels Purpur – alles fehlerfrei. 71

Omar. Dein Beifall ist mir wahre Herzenslabe.

Panfilio (für sich).
Weiß Gott, der Tölpel sieht etwas. Verdammt!
Schon lange schielt der Lump nach meinem Amt.
Ein Glück, daß ich im Lügen Uebung habe.

Niccola (zu Panfilio).
Was meinst denn du?

Omar.                             Auch mich verlangt zu wissen . . .

Panfilio. Ich bin entzückt, begeistert, hingerissen.

Nichts find' ich, was ich nicht bewundern müßte.

Niccola (für sich).
Er sieht's wahrhaftig! Alles wäre hin,
Wenn der etwas von meiner Dummheit wüßte.

Panfilio. Ein Wonnerausch für meinen Farbensinn!

Achter Auftritt.

Vorige. Stefano (von rechts. Hinter ihm nach und nach) mehrere Höflinge.

Stefano (ist schon während der letzten Worte eingetreten und hat erstaunt zugehört).
Was treibt ihr da, Kam'raden? 72

Panfilio.                                     Uns bestrickt
Ein seltnes Schauspiel.

Niccola.                           Komm und sieh ein Wunder!

Panfilio. Sag, hast du solchen Purpur schon erblickt?

Niccola. Und solchen Samt?

Stefano (ohne hinzusehen).       Von eurem Kleiderplunder
Versteh' ich nichts. Mein Handwerk sind die Waffen.
Mit Zwirn und Nadel hab' ich nichts zu schaffen.

Panfilio. Doch könntest du das Zauberkleid nicht sehn,
Du müßtest deine Waffen niederlegen.

Stefano (auffahrend).
Was?! Ich?

Niccola.             Dann wär's um deinen Ruf geschehn.

Panfilio. Dann trüge bald ein andrer deinen Degen.

Stefano. Ein andrer meinen Degen? Höll' und Mord!
Sagt mir geschwind, wo ist der Fetzen?

Omar, Panfilio, Niccola.                           Dort! 73

Stefano (hat eine große Brille aufgesetzt).
Kreuzelement, mir zuckt's durch alle Glieder.

Erster Höfling (leise zu Stefano).
Siehst du denn etwas überhaupt?

Stefano. Schockschwerenot, ich seh's! Wer mir's nicht glaubt,
Den schlag' ich auf der Stelle nieder.

Erster Höfling (schnell).
Ich seh's ja auch.

Die andern Höflinge (gleichzeitig).
                          Ich auch.

Stefano.                                   Ein wahrer Staat,
Dies Panzerhemd!

Panfilio.                     Das ist ja Goldbrokat.

Stefano. Mir gleich! Ein Meisterstück in jedem Zoll.

Alle (durcheinander).
Ganz unvergleichlich! Göttlich! Wundervoll!

Panfilio (Omar in den Vordergrund ziehend).
Ich war's, der dich dem König gleich empfahl.

Niccola (nachfolgend, zu Omar).
Mich täuschte nie der Zweifler große Zahl. 74

Panfilio. Was ich vermag, dein Ansehn zu begründen . . .

Niccola. Soviel an mir liegt, deinen Ruhm zu künden . . .

Omar. Habt Dank!

Niccola.               Und daß du mich sogleich erprobst,
Drum flieg' ich zu dem König nun, mein Bester . . .

Omar. Ich hoffe, daß du nicht zu eifrig lobst;
Enttäuschung ist des Lobes Zwillingsschwester.

(Niccola ab links.)

Neunter Auftritt.

Vorige (ohne) Niccola. (Gleich darauf) Berengar. (Dann) Ferrante. (Zuletzt) Niccola.

Panfilio (zu Omar).
Ich prophezeie, daß des Königs Gnade
Mit Ehren deinen Scheitel überlade;
An deiner Stellung wird nicht mehr gerüttelt!
Drum, junger Freund, bin ich der erste gern,
Der dir zum Glückwunsch beide Hände schüttelt.

Berengar (kommt von links).

Einige. Der Oberfeldherr!

(Alle verneigen sich.) 75

Berengar.                       Ist ein neuer Stern
Hier aufgegangen? Oder übertrieb
Der Haushofmeister?

Panfilio.                         Berengar, wir alle
Sind ganz berauscht.

Omar.                           Und mich berauscht die Ehre
Nachsicht'gen Lobes. Nimm auch du vorlieb
Mit meinem Willen.

Berengar (mit einem Blick die Situation überschauend, für sich).
                              Ist dies eine Falle?
Die feilen Lügner starren in das Leere
Und jauchzen über Nichts. Armsel'ger Troß!
Noch wurzl' ich fest, und wer in diesem Schloß
Mich stürzen will, der stürzt zuerst.
        (Ruft.)
Omar!

Omar (zu ihm tretend).
          Mein Oberfeldherr, du begehrst?

Berengar (zieht ihn in den Vordergrund).
Dort, sagst du, häng' ein Kleid?

Omar.                                           Dort stellt' ich's aus.

Berengar. Du Thor, ein einzig Wort von mir zertrümmert
Dein ganzes trügerisches Kartenhaus. 76

Omar. Wer sich voll Unschuld weiß, den kümmert
Kein dunkles Drohn.

Berengar.                       Erfahre denn: Mein Wort
Ist für den König schwereren Gewichts
Als das Geschrei des ganzen Schwarmes dort.

Omar. Vor meinem Wort zerflattert es in nichts.

Berengar (unsicher).
Was ist das für ein Wort?

Omar (stark).                         Es heißt: Verrat!

Berengar (zurückprallend).
Beweise mir . . .

Omar.                       Sobald der König naht
Werd' ich's beweisen.

Berengar.                         Wie?

Omar.                                     Durch dies Gewand.
Der König sieht es, und dann dreimal wehe
Dem Einen, den er blind erfand.

Berengar. Wer sagt dir denn, daß ich das Kleid nicht sehe?

Omar (ein Pergament hervorziehend).
Ja freilich – wenn du siehst, was alle andern 77
Gesehn, dann zeigt sich diese Schrift
Als Lügenwerk und muß ins Feuer wandern.

Berengar (atemlos).
Was ist darin enthalten?

Omar.                                 Sie betrifft
Den Weg, auf welchem du zur Macht gediehn.

Berengar. Wer schrieb sie?

Omar.                               Oberfeldherr Gandolin.

Berengar (für sich).
Verwünscht!

Niccola (von links, meldet).
                    Der König wird sogleich erscheinen.

(Allgemeine Bewegung.)

Berengar. Dienst gegen Dienst!

Omar.                                     Ich hab' es ja gewußt:
Du siehst vortrefflich, was du sehen mußt,
Und wen du brauchst, dem wirst du dich vereinen.

Ferrante (ist während des Gesprächs zwischen Berengar und Omar von rechts eingetreten und hat sich zu der Gruppe im Hintergrund gesellt; nun geht er schnell auf Omar zu).
Omar, dein Werk befriedigt mich unendlich.

Omar (verneigt sich dankend, geht dann nach dem Hintergrunde und schließt den Vorhang wieder zu). 78

Berengar (zu Ferrante).
Du siehst es auch, Ferrante?

Ferrante.                                   Selbstverständlich.
Im Anfang sah ich's nur verschwommen;
Doch als ich, von den Uebrigen umdrängt,
Die Augen redlich angestrengt,
Da ist mir's immer klarer vorgekommen,
Bis ich ganz deutlich jedes Fädchen sah.

Berengar (für sich).
Zum Henker, wär' am Ende doch was da?

Zehnter Auftritt.

Vorige. Der König (von links).

König, (bei dessen Eintritt alle sich tief verbeugen).
Omar, ich bin gespannt, neugierig fast,
Endlich zu schau'n, was du gezaubert hast.
Der gute Niccola steht hell in Flammen;
Und hier mein ganzer Hof beisammen –
Selbst du, mein Berengar! Auch du entzückt?
Ich weiß, du bist nicht allzu rasch begeistert.

Berengar. Es ist ein Kleid, das jedes andre meistert
Und königlicher jeden König schmückt.

König. Kurz, Muster, Kron' und Vorbild aller Kleider.
Und alle habt ihr's schon gesehen? 79

Alle Höflinge (eifrig).                           Ja!

König. Und doch kein einz'ger Splitterrichter da?
So viel Erfolg, und nicht ein einz'ger Neider?
Im Loben stimmen alle überein?
Das ist ein Wunder schon für sich allein.
Jedoch viel Größeres versprachst du mir,
Du Tausendkünstler, als ein Kleid zu weben;
Was mir noch mangelt, wolltest du mir geben.

Omar. Was ich versprach, das hielt ich dir.

König. Wie das?

Omar.               Ich wollte dir der Menschen Wesen
Darreichen als ein aufgeschlagen Buch,
Darin du klärlich könnest lesen,
Wer falschgeprägt, wer vollgemünzt und echt.
Des besten Ausgangs freut sich mein Versuch:
Herr, deiner Diener Wert ist unvernichtbar;
Sie alle sahn, was nur Erwählten sichtbar;
An deinem Hof ist niemand dumm und schlecht.
Sie sind erprobt; das Zauberkleid beweist,
Wenn je Verleumdung wagt sie anzuschwärzen:
Du bist umringt von lauter goldnen Herzen,
Von lauter Großmut, Biedersinn und Geist.
Das Glück war selber dir zum Dienst beflissen,
Als dich's umgab mit solcher wack'ren Schar.

König. Bedurft' ich deiner Kunst, um das zu wissen?
Glück nennst du, was des Herrschers Weisheit war.
Daß diese weder treulos noch bethört, 80
Drauf hätt' ich längst auch ohne dich geschworen;
Hab' ich sie nicht aus Tausenden erkoren
Mit Falkenblick, der jeden Schein zerstört?
Nein, Freund, so wohlfeil kommst du mir nicht fort.
Du botest meiner Seherkraft die Spitze:
Was mir noch mangelt, hast mit kühnem Wort
Du mir versprochen, nicht, was ich besitze.
Soll ich nicht glauben, daß du nur gespielt,
Um für dein Kleid erhöhten Lohn zu finden,
Dann zeige mir zuvörderst einen Blinden,
Den ich, der Fürst, jemals für sehend hielt.

Omar. Herr, dies Gebot kann mich nicht schrecken:
Solch einen Blinden wirst du noch entdecken.

König. Laß nun zunächst dein Wunderwerk mich sehn!

Omar. Es wird sogleich vor deinen Augen stehn.
        (Er geht nach hinten, zieht den Vorhang auf und rollt das Gestell in die Mitte des Vordergrundes.)
Dies ist das Zauberkleid, das ich dir wob.

König (sieht auf das Gestell, fassungslos, sprachlos, in immer wachsender Erstarrung).

Panfilio. O schöner Anblick!

Die Höflinge (durcheinander). Süß! Erhaben! Prachtvoll!

Niccola. Aus nächster Nähe wirkt es doppelt machtvoll. 81

Omar (zum König).
Mir klopft das Herz in ungestümen Schlägen.
Wirst du bestät'gen deiner Treuen Lob?
Mit Zittern harr' ich deinem Spruch entgegen;
Dir wollt' ich ja gefallen, dir allein;
Drum laß mich der Erwartung Folterpein
Nicht allzulang erdulden.

Panfilio.                               Unserm Herrn
Ergeht's wie uns: er steht erstaunt, geblendet.
Höchste Bewundrung hält die Sprache fern;
Die Zunge geizt, wenn sich der Blick verschwendet.

Niccola. Mein König, sagt' ich dir zu viel?
Ersahst du je zuvor ein Farbenspiel
So bunt und so harmonisch?

Panfilio.                                   Und so duftig!

Omar. Der reiche Stoff ist dennoch zart und luftig.
        (Er thut, als prüfe er ihn mit den Fingern.)
Läßt man die Falten gleiten durch die Hand,
So fühlt man, was der Blick wohl kaum vermutet:
Nie gab's ein schmiegsam leichteres Gewand.

(Alle Höflinge außer Berengar thun es ihm nach.)

Stefano. Mein Seel', wie Spinngeweb' so fein.

Panfilio. Wie Elfenschleier.

Ferrante.                           Wie Mondenschein. 82

Niccola. Das trägt sich kühl, wenn Sommerhitze glutet.

König (zieht Berengar in krampfhafter Erregung beiseite; mit heiserer Stimme).
Bist du nicht Berengar?

Berengar.                           Mein Fürst, ich bin's.

König. Du bist es, der Vertraute meiner Wahl;
Du bist mein Freund, du schworst mir's tausendmal,
Gabst tausend Proben deines graden Sinns.
Ich überhäufte dich mit Dank und Lohn:
Du führst mein Siegel, wachst ob meinem Haupte,
Du stehst als erster neben meinem Thron;
Dir glaubt' ich stets, wie ich mir selber glaubte.
Bei jedem Rate, den du mir verliehst,
Bei jedem Feuerwort, mit dem du mich
Bewogst, den Pfad, der dir gefiel, zu wandern,
Befehl' ich dir und bitte – bitte dich:
Schau hin und sag mir wahrhaft, was du siehst!

Berengar (begegnet Omars fest auf ihn gerichtetem Blick und sagt schnell).
Ich seh' ein schönes Kleid wie alle andern.

König (verstört und stockend).
Ein Kleid – ganz recht – ein schönes Kleid; ihr seht
Es alle, alle – Laßt mich nun allein;
Laßt mich allein, bis ich euch rufe. – Geht! –

Omar. Soll ich, o Herr . . . 83

König (winkt ihm schweigend, sich gleichfalls zu entfernen).

Panfilio (leise zu Berengar).   Was mag dem König sein?

(Alle außer dem König rechts ab.)

Elfter Auftritt.

König (allein).

König (macht erst einige lebhafte Schritte nach dem Hintergrund zu, als wolle er jemand zurückrufen. Dann besinnt er sich anders. Er tritt wieder zu dem Gestell, geht um dasselbe herum, betrachtet es von allen Seiten. Endlich bricht er aus).
Ich sehe nichts! – Ich sehe nichts. – Hier? – Hier!
Wo sonst? – (Er tastet.) Ich fühle nichts; ich greif' in Luft.
Sie sahen Purpur, Gold und bunte Zier;
Sie konnten sehen, fühlen, was nur mir
Verborgen? – Niemals! – Ein durchtriebner Schuft,
Ein hüb'scher Waghals, aller Ehrfurcht bar,
Hat mich gefoppt; sein Spiel mach' ich zu Schanden:
Ich sehe nichts; drum ist auch nichts vorhanden!
Ich will ihn . . .
        (Er macht einige heftige Schritte und hält plötzlich inne.)
                        Doch dann wäre ja zugleich
Mein ganzer Hof nur eine Schar
Von Lügnern, wär' mein ganzes Königreich
Gestützt von Schurken, ich ein blöder Thor,
Der sich mit blindem Aug' und blindem Geist
Aus allem Volk die Schlechtesten erkor
Zu seinen Freunden. – Mein Gedanke kreist
In dieses Zirkels eng umgrenzter Bahn
Ratlos umher. – Ob Maddalena mir
Den Ausweg zeigen würde? – Welch ein Wahn! 84
Sie hab' ich ja verbannt, weil sie mich haßt.
Könnt' ich erzürnter Rachbegier
Mehr glauben als der oft bewährten Liebe?
Sind jene falsch, dann ist mein Stern verblaßt,
Und was von meiner Macht mir übrig bliebe,
Wär' bettelhaft. – O, schwebt kein Cherub nieder,
Der mich befreit aus diesem Labyrinth?
Wenn jene nichts gesehn, dann war ich blind,
Und sahen sie ein Kleid, dann bin ich's wieder;
Ja, mehr als blind – o Schmach! O Todesqual!
Dumm oder schlecht, das wäre dann die Wahl. –
Dumm – ich, der Fürst? Ich, der Gesalbte, dumm?
Ich, den allein Gesetze nicht beschränken,
Ich, dem als Erbe ward ein Königtum,
Dem obliegt, für ein ganzes Volk zu denken,
Ich, den dies Volk wie einen Gott verehrt,
Ich weniger als meine Knechte wert?
Ich dumm? Nein – nimmermehr! – Doch schlecht vielleicht;
Nicht dumm, doch schlecht – – und hätte mir's verschwiegen?
Und wäre nie bis heut hinabgestiegen
Ins eigne Herz, wohin kein Späher schleicht? – –
Ich hab' im Sturme Frauengunst geraubt,
Mit Kriegsgefangner Blut die Flur gerötet,
Im Zorn gerichtet und im Zorn getötet,
Geschwelgt in Lüsten, alles mir erlaubt.
Doch ist mein Wille nicht Gesetz im Staat?
Das Unrecht wurde Recht, indem ich's that!
Was gelten Menschen, wenn man sie vergleicht
Mit meinen übermenschlichen Entwürfen?
Wer hätte mir etwas verbieten dürfen?
Ich selbst vielleicht – ja, ja, ich selbst vielleicht. – –
Wenn alle lügen, die um mich herum
Mein Ruf geschart, dann wär' ich blind und dumm
Nach eignem Urteil. Hat der Zaubrer recht,
Und sprechen jene wahr, dann bin ich schlecht, 85
Doch nur aus Größe schlecht. Das zieh' ich vor.
Ja, meine Schlechtheit steigert meine Größe,
Solang ich Furcht in ihre Herzen flöße:
Ich bin ein Frevler lieber als ein Thor.
Doch wenn ich's bin, so bin ich's mir allein!
Nicht jenen werd' ich's offenbaren,
Die nur aus Ohnmacht sich vor Sünde wahren,
Zum Uebelthun zu kraftlos und zu klein.
Wenn sie gesehn, was ich nicht sehen kann,
Auch blind vermag ich über sie zu schalten,
Solang sie mich für sehend halten.
Gefaßt ist mein Entschluß.
        (Er geht zur Thüre rechts und ruft.)
                                        Kommt! Hört mich an!

Zwölfter Auftritt.

König. Alle Höflinge (und) Omar (treten wieder ein).

König. Tritt näher, Omar! Nun ich in der Stille
Dein Kleid betrachtet, sei dir laut beschieden:
Ich bin mit deiner Arbeit wohlzufrieden,
Und dieses ist mein königlicher Wille:
Ihr steh' an Wert der goldne Lohn nicht nach.

Omar (abwehrend).
O gnädigster Gebieter, sei gepriesen
Für so viel Huld; jedoch aus deiner Hand
Sie zu empfangen bin ich erst im stand,
Wenn ganz erfüllt ist, was ich dir versprach.
Noch ist des Kleides Zauber nicht erwiesen;
Noch ist, was du befohlen, nicht vollstreckt:
Ein Blinder ist noch nicht entdeckt. 86
Drum bitt' ich sehr, daß du mit gleicher Wage
Wie deinen Hof auch deine Bürger wägst.

König. Wie sollt' ich das?

Omar.                             Indem bei hellem Tage
Du dieses Kleid vor allem Volke trägst.

König (zögernd).
Dies Kleid – vor allem Volk? –

Berengar.                                     Er rät dir klug.
Die prunkend stolze Tracht ist wie geschaffen
Zum Festgewand für deinen Krönungszug.

König (unschlüssig).
Du meinst?

Panfilio.           Da hat die Menge was zu gaffen.

Niccola. Und Spreu wird sich von Weizen reinlich scheiden.

König. Es sei! Mein Siegel ist darauf gedrückt,
Daß mich beim Feste dieser Purpur schmückt.
Du, Omar, wirst mich selbst damit bekleiden,
Und laß, eh' sich der Tag zum Abend neigt,
Mich durch die Kraft des Talismans erkennen,
Ob sich das Volk von Cypern würdig zeigt,
Solch einen Herrscher sein zu nennen.

(Er geht rasch ab links, während alle sich tief verneigen.) 87


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