Ludwig Fulda
Der Sohn des Kalifen
Ludwig Fulda

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dritter Aufzug.

Dieselbe Scenerie wie im ersten Aufzug. Nur der Baldachin ist beseitigt.

Erster Auftritt.

(Vor Tagesanbruch. Eine Anzahl von) Leuten aus dem Volk (kommt unsicher umherspähend, aus dem Hintergrund. Darunter) Hassan, Jussuf, Ibrahim.

Hassan. Die Pforten sind offen, der Zugang frei . . .

Jussuf. Die Neugier hat mich aufgeweckt
Noch früher als meines Gockels Schrei.

Hassan. Seht! Auch die Morgenröte reckt
Schon zeitig das Rosengesicht empor,
Als ob sie wüßte: Hier geht etwas vor;
Hier wird dem Volke was Großes verkündigt.

Jussuf. Was mag es wohl geben? 89

Ibrahim (älterer, wohlbeleibter Mann). Mir einerlei;
Nur bin ich gern bei allem dabei.

Hassan. Man munkelt, der Prinz wird heut entmündigt,
Weil er verrückt ist.

Jussuf.                         Nein, nein, der Alte
Will heute verzichten auf Thron und Reich
Zu Gunsten des Sohnes.

Ibrahim.                             Mir völlig gleich.

Hassan. Ich hörte versichern, Prinz Assad halte
Sich selbst für toll.

Ibrahim.                     Das wird sich erweisen.

Jussuf (in wichtigem Flüsterton).
Mir sagte jemand, der tiefer guckt,
Und dem die Nachricht brühwarm und frisch
Ward zugetragen aus höheren Kreisen,
Der Prinz hab' eine Gräte verschluckt
Und glaube seitdem, er sei ein Fisch.

Hassan. Vor Spannung wird der Atem mir knapp.
Was mögen die nächsten Stunden uns bringen? 90

Ibrahim. Mein Vorschlag ist: wir warten es ab.

Jussuf. Wird uns der rasende Fisch verschlingen?

Hassan. Wer wird zum Herren uns eingesetzt?

Ibrahim. Ein Trost schlägt alle Besorgnis nieder:
Es kann nicht ärger werden als jetzt,
Und käm' auch Mamun leibhaftig wieder.
Der ließ nichts Schlechtes durch andere thun;
Er that's gleich selber. Wir Esel riefen
Damals nach einem guten Kalifen . . .

Hassan. Nach einem kräftigen rufen wir nun.

Jussuf. Und wär's ein verrückter?

Ibrahim.                                     Mir einerlei;
Nur bin ich gern bei allem dabei.

Zweiter Auftritt.

Vorige. Kairam.

Kairam (von rechts vorn).
Wer da? Was wollt ihr? 91

Hassan.                             Mit Verlaub, es ward
Durch des Kalifen Herold austrompetet,
Daß hier gewicht'ge Botschaft auf uns harrt
Am heut'gen Morgen.

Kairam.                           Noch ist's halbe Nacht!

Jussuf. Ganz recht. Nur haben wir gedacht,
Verfrüht sei besser als verspätet.

Kairam. Nichts da! Kommt wieder aufs gegebene Zeichen!

Ibrahim (zu Kairam, einen kleinen Geldbeutel hervorziehend).
Darf ich dies Beutelchen dir überreichen?

Kairam. Wagst du mich zu bestechen?

Ibrahim.                                             Gott behüte!
Ich möchte nur, daß deine Güte
Nachher uns einen günst'gen Platz verleihe.
        (Kairam steckt den Beutel ein. Ibrahim zu den andern im Abgehen.)
Die Sache geht mir zwar durchaus nicht nah;
Indessen – bin ich einmal da,
Dann stell' ich gern mich in die erste Reihe.

(Alle außer Kairam ab Hintergrund.) 92

Dritter Auftritt.

Kairam. (Dann) Daruma (und eine andre Sklavin).

Kairam (nach dem Kiosk hingewendet).
Mein Haus noch still? Mein Edelwild im Schlaf?
Verwünschter Zufall, daß mich gestern grade
Die Schwerenot des nächt'gen Dienstes traf!
Sie unter meinem Dach, und ich . . . 's ist ewig schade!
Noch aber läßt ein Stündlein gut sich nutzen.
        (Er pocht an die Thür des Kiosks.)
He, schließt mir auf!

(Daruma und eine zweite Sklavin öffnen, zunächst noch unsichtbar.)

Kairam (hineinrufend).
                                Ihr Mädchen, haltet stand!
        (Die beiden treten aus der Thür.)
Sagt, wie verwahrtet ihr das schöne Pfand,
Das eurer Obhut gestern ich vertraute?
Hat siegreich eure Munterkeit ihr Trutzen
Hinweggespült?

Daruma.                 Herr, alles ward vollbracht,
Wie du befahlst. Wir sangen ihr zur Laute
Und schmückten sie mit festlich heitrer Tracht;
Der Kerzen Schimmerflut vereinte blendend
Sich mit dem goldnen Glanz erlesner Früchte.
Doch sie blieb reglos, nur die Augen weit
Geöffnet und den Blick ins Leere sendend,
Als ob ihr Geist nach fernen Ufern flüchte,
Vom Körper abgeschieden und befreit.
So, Schlaf nicht suchend, bis die Nacht zu Ende, 93
Verharrte sie, kaum leichter zu bewegen
Von unsern Bitten als ein Bild von Stein.

Kairam. Ich will das Bild beleben. Geht hinein
Und meldet ihr den Herrn! Ich folg' euch.

Daruma (nach links blickend).                           Wende
Dein Antlitz nur! Sie selbst kam dir entgegen.

(Morgiane ist auf der Schwelle des Kioskes sichtbar geworden und thut wie schlafwandelnd einige Schritte. Daruma und die Sklavin ziehen sich auf Kairams Wink zurück.)

Vierter Auftritt.

Kairam. Morgiane.

Kairam. So früh schon rüstig? Hat auf weichem Pfühl
Dich Ungeduld entrissen deinen Träumen?
Doch sei getrost! Mein unfreiwillig Säumen
Erhöht uns beiden dieser Stunde Wert.
Folg mir! Der junge Tag ist allzukühl,
Und Morgentau kann deinem Reize schaden.

Morgiane. Wär's möglich, daß die Sonne wiederkehrt?
Starb sie nicht gestern?

Kairam.                             Auf entwölkten Pfaden
Schwebt sie empor und lächelt. Sei ihr gleich!
Sie strahlt in roter Glut, und du bist bleich: 94
Willst du nicht lächeln? Willst du nicht erglühn? – –
Hat nicht dein Los zum Bessern sich gewandelt?
Ich bin ein Mann, der Frauen zart behandelt,
Und kann mich werbend um ein Kleinod mühn,
Auch wenn es mir geschenkt ward.

Morgiane. Dir geschenkt;
Doch niemals dein! –

Kairam.                           Glaub mir, verschwenderisch
Werd' ich das Brot der Knechtschaft dir verzuckern;
Denn nicht alltäglich fällt uns armen Schluckern
Solch eine Gabe von des Herren Tisch!
Nichts wirst du missen, was dem höchsten Rang
Der Schönheit zukommt; steter Müßiggang
Verberge dir der Zeiten Wechsellauf;
Nie präge diesen weichen weißen Fingern
Webstuhl und Spindel herbe Spuren auf.
Nur mußt du meine Großmut nicht verringern
Durch Eigensinn, mußt nicht die Spröde spielen,
Wenn dein Gebieter deine Locken streichelt . . .

Morgiane. Berühr' mich nicht!

Kairam.                                 Hab' ich umsonst geschmeichelt,
Umsonst gehofft, mein Püppchen, dir gefielen
Zartheit und Rücksicht besser als Gewalt?
Hegst du den Wahn, du könnest deiner Pflicht
Entflattern, meinem Arme widerstreben, 95
Wenn er die sinnbethörende Gestalt
Kräftig umfassen will?

Morgiane.                         Berühr' mich nicht!

Kairam. Und thu' ich's doch?

Morgiane.                             Du wirst's nicht überleben!

Kairam. Du drohst mir?

Morgiane.                     Ja, ich drohe. Still und nächtig
Gelobt' ich mir's mit feierlichem Eid:
Ist nicht mein Elend einer Sprache mächtig,
Die mich vorm Anhauch deiner Lüste feit,
So stirbst du. Jeden Becher, eh du trinkst,
Ich such' ihn tödlich dir zu würzen;
Nach Waffen ruft mein brünstiges Gebet,
Und wenn du müd aufs Lager niedersinkst,
Dann wisse, daß, bereit hervorzustürzen,
Der Mord an deines Schlummers Schwelle steht.

Kairam. Mit solcher Münze zahlst du mir? Dich ehrte
Der Prinz fürwahr mit allzuhoher Gnade,
Als er sein lästig Liebchen mir bescherte!
Dünkt für den reichen Schmaus, den ich dir bot,
Sich dein verwöhnter Gaum zu schade, 96
So magst du hungernd durch die Gassen laufen
Und für ein armes Stückchen Brot
Dem ersten besten deine Gunst verkaufen.
Vielleicht auch findest du mit gutem Glück,
Wenn du aus deinem Hochmutstraum erwachtest,
Den Weg zu meiner Thür zurück,
Um zu erbetteln, was du jetzt verachtest.
        (Er ruft hinein.)
Ihr Mädchen, hört! – Macht hurtig! Kommt heraus!
        (Daruma und die zweite Sklavin treten wieder aus der Thür.)
Warum in ihrem Dienst wart ihr so lässig?

Daruma. Wir? . . .

Kairam.                 Fragt sie doch nur selber! Ihr mißfiel
Der Strahl der Kerzen und das Lautenspiel;
Zum Kerker ward ihr mein geschmücktes Haus,
Und dieses Festkleid stimmte sie gehässig.
Ihr müßt, soll sie den Fehler euch verzeihn,
Vom aufgedrungnen Staat sie flugs befrei'n.
Sie zieht es vor, in Lumpen eingehüllt,
Geziert mit kümmerlichen Fetzen
Des Pöbels nebenbuhlerischem Zank
Die Zauber ihrer Schönheit auszusetzen;
Drum ohne Säumen werd' ihr Wunsch erfüllt!

Morgiane. Verhungern ist das schlimmste nicht. Hab Dank!

(Sie läßt sich von den Mädchen ins Haus geleiten. Kairam folgt.) 97

Fünfter Auftritt.

Amine. Mustapha.

Amine (von rechts vorn, trägt mit der linken Hand ein großes Bündel über der Schulter und zieht mit der rechten Mustapha an einem Seil, durch welches seine Hände auf den Rücken gebunden sind, hinter sich drein. Anfangs ist sie allein sichtbar; sie sieht sich sorgfältig um und ruft dann zurück).
Das Feld ist frei – kein Mensch zu gewahren.
Marsch, vorwärts, vorwärts, du träger Geselle!

Mustapha (erst jetzt am Ende des Seils erscheinend).
Das wär' eine Kunst. Bei diesem Verfahren
Komm' ich nur rückwärts von der Stelle.
Laß endlich los!

Amine.                     Nicht, eh du gerettet,
Geflohen, geborgen und sicher gebettet!
Ich wittre, dir thut der Handel schon leid;
Du möchtest mir deine Rettung erschweren
Und wärest am Ende so niederträchtig,
Ins blanke Verderben zurückzukehren;
Mit einem Worte, du bist mir verdächtig;
Es mangelt dir an Entschlossenheit.
Drum ist es nötig, daß ich sie ergänze.
        (Sie zieht das Seil an.)

Mustapha. Laß doch nur los!

Amine.                                   Ich denke nicht dran. (Wie oben.) 98

Mustapha. Mein Täubchen, alles hat seine Grenze!
Ich bin ein geduldig gefügiger Mann,
Und wenn auch leider unzweifelhaft
Die weibliche Schlauheit und Zungenkraft
Bedenklich über den Kopf mir wuchsen,
So hab' ich das Recht, mich einmal zu mucksen.

Amine. Ei, muckse dich nur; doch bleibe nicht stehn!
Die Sonne steigt höher, und wenn sie uns finden,
So ist es fraglos um dich geschehn.

Mustapha. Gutwillig ließ ich von dir im Nu
All meine Habe zusammenbinden
Und obendrein mich selber dazu,
Gehorsam und stumm
Mich wie ein Schlachttier am Seile ziehn;
Doch soll ich im Ernste dem Tod entfliehn,
So muß ich zuvörderst wissen, warum,
Und wenn des Geschickes bedrohliche Wandlung
Von Herd und Heimat mich jählings entführt,
Dann fordr' ich zum mindesten bess're Behandlung.

Amine. Viel bess're, du Heuchler, als dir gebührt!
Auch wenn du äußerlich flötest und girrst,
In deines verstockten Herzens Grund
Verbirgst du den schändlichsten aller Tyrannen.
Ich muß die Zügel noch straffer spannen, 99
Damit du nicht übermütig wirst.
Marsch! (Wie oben.)

Mustapha.     Donner und Hagel, nun wird mir's zu bunt!
Du könntest der Engel Geduld erschöpfen.
Such einen andern,
Der thöricht genug ist, mit dir zu wandern!
Ich lasse mich lieber zu Hause köpfen;
Ich geh' nicht mit!

Amine (erschrocken).
Was sagst du?

Mustapha.           Meine Dummheit war sündlich!
Denn was ich Aermster täglich und stündlich
Von dir erlitt,
Seitdem ich zu meinem Vergnügen dich raubte,
Das übersteigt schon alles Erlaubte!
O möchte doch nur mit spitzigen Krallen
Der Fluch des Prinzen auch dich befallen,
Damit du voll Zagen
Das Böse, das du mir angethan,
Empfinden müßtest im eigenen Blute!

Amine. Du schnöder Bengel, du Grobian,
Vor allem empfänd' ich dann das Gute!

Mustapha. Das Gute – wieso?

Amine (weinerlich).                 Das kannst du noch fragen,
Du Undankbarer?! Mein bißchen Schelten, 100
Das lässest du mich unseliges Weib
So grausam entgelten?
Schalt ich denn jemals zum Zeitvertreib,
Aus Lust an Hader und Streit und Zerwürfnis?
Ich that es aus tiefstem Gemütsbedürfnis,
Und wärest du nicht so blind und so plump,
Dann hättest du daraus grade geschlossen,
Wie schauderhaft gern ich dich hatte, du Lump!

Mustapha. Amine!

Amine.                   Dir das zu bekennen ist hart! –
Und warst du nicht selber trotz all deiner Possen
Bis über die Ohren in mich vernarrt?
Hat nicht, wenn ich das Haus dir verwaltet
Und fleißig an deinem Herde geschaltet,
Mein Anblick dich gelabt und gestärkt?
Und wenn du mir finster die Stirne gerunzelt,
Meinst du, ich hätt' es nicht deutlich bemerkt,
Daß insgeheim du behaglich geschmunzelt?
Der Fluch des Prinzen, auch wenn er mir naht,
Mich wird er nicht schrecken, mich wird er nicht schmerzen.
Empfinden dann werd' ich's im eigenen Herzen,
Wie wohl ich dir that!

Mustapha (außer sich vor Freude).
Schnell, binde mich frei!

Amine.                                 Weshalb denn? 101

Mustapha.                                                   Du Böse,
Du Gute, du Liebste, du Einzige, löse
Mir ohne Besinnen die Hände vom Knebel!

Amine. Weswegen?

Mustapha.               Damit sie den Hals dir umschlingen,
Damit sie dich zwingen
In toller Umarmung und süßem Geschnäbel!

Amine. Nichts da! So wurde schon manche geprellt.
Erst schwöre, daß du mit mir entfliehst!

Mustapha. Wenn's not thut, bis ans Ende der Welt.
Doch wenn du selber erkennst und siehst,
Daß nun uns vergönnt ist, in herrlichen Freuden
Daheim zu prassen, statt auf der Flucht
Die wenigen Heller geschwind zu vergeuden,
Und daß auf den Kopf, den ich halb schon verscherzte,
Wird regnen der Ehren und Gnaden Wucht?

Amine. Geflunker! (Neugierig einlenkend.)
                      Wär's möglich?

Mustapha.                                     Erst brich mir die Fessel!

Amine. Pah, meinetwegen! (Sie befreit ihn von dem Strick.) 102

Mustapha (sie umarmend).   Du stachlige Nessel!
Das Mittel, das keiner der Weisen und Aerzte
Zu finden verstand,
Du hast's mit geläufiger Zunge genannt.

Amine. Das Mittel?

Mustapha.             Das Mittel, den Prinzen zu heilen,
Falls nicht mein jubelnder Glaube mich trügt.
O laß uns eilen!
Noch hat er in seinem ganzen Leben
Nichts Gutes anderen zugefügt,
Und schließt der Erleuchtung sein Auge sich zu,
Dann könnte das löblichste Beispiel ihm geben
Selbst eine so böse Frau wie du.

Amine. Ha, siehst du das ein?
        (Sie gehen nach rechts; plötzlich hält sie ihn zurück.)
Still, still, dort naht er!

Mustapha.                       Am frühesten Morgen?
Und ganz allein?

Amine. Geängstigt schleichen hinter ihm drein
Die Großen des Hofes. – Erst spähe verborgen,
Was hier sich begibt,
Und ob dein Wagnis nicht allzu gefährlich!
        (Sie zieht ihn auf den Altan.)

Mustapha. Sei's drum. 103

Amine.                         O Himmel, wie ist es erklärlich,
Daß man sich in solch ein Untier verliebt!

(Sie faßt ihn beim Kopf, gibt ihm einen herzhaften Kuß und zieht ihn dann derb und ruckweise nach rechts mit sich fort, so daß sie auf dem Altan unsichtbar werden.)

Sechster Auftritt.

Assad. (Dann) Schehriar, Selmira (und) Höflinge.

Assad (in einfachem Gewande, mit Schwert und Dolch bewaffnet, von rechts; allein).
Zerbrochen hab' ich hinter mir die Brücken.
Hier, wo noch jüngst mit hohem Siegespreis
Ich einzog und mit stolzen Beutestücken,
Hier nehm' ich Abschied von der Menschen Kreis.
Du armer Vater wirst mich nicht mehr sehn;
Indes du hoffst, mein Scheiden zu verhindern,
Trägt mich der rasche Fuß schon in die Weite.
Dir muß ein großer Schmerz durch mich geschehn,
Der letzte, den ich dir bereite,
Und ew'ger Schlaf wird bald ihn kühlend lindern;
Doch deinem ärmern Sohn bleibt nicht erspart
Zum Frieden eine lange Pilgerfahrt.

(Eine Anzahl von Höflingen, darunter Schehriar, treten zögernd auf vorn rechts. Ihnen folgt Selmira.)

Seid ihr schon allesamt gerüstet und vereint?
Recht so! Noch eh' mein Vater selbst erscheint,
Will ich zum Volke sprechen.

(Schehriar verneigt sich zustimmend und geht mit den übrigen nach links. Von links hinten hört man Stimmengeräusch.) 104

                                              Was geht vor?
Was gibt es dort?

Schehriar (von links hinten zurückkommend).
                            Nichts, was der Rede wert.
Nur ein zerlumptes Weib ward aus dem Thor
Von Kairams Haus gestoßen. Eingekehrt
War sie dort wohl zum Betteln oder Stehlen.
Täglich nimmt solch Gesindel überhand,
Mutwillig trotzend unsern Strafbefehlen;
Schon liegt kein Gold mehr sicher in der Truhe! . . .

Assad (halb für sich).
Glücklicher Kairam! Was dies Weib empfand,
Als er sie fortstieß, raubt ihm nicht die Ruhe.
        (Er wendet sich zu Selmira, welche aus der Schar hervorgetreten ist.)
Auch dich, Selmira, hat mein Ruf bemüht?
Und hast mir keinen Abschiedskranz gewunden?
Sind unsre Rosen über Nacht verblüht?

Selmira. Noch glaub' ich nicht, daß des Kalifen Sohn
Den Streich, den er im Aberwitz erfunden,
Vollenden wird, sich und der Welt zum Hohn.

Assad. Im Aberwitz? – Diesmal weiß ich nur einen,
Den ich betrübe; welk ist er und schwach.
        (Auf die Höflinge deutend.)
Doch unter jenem Troß, dem tausendfach
Ich Unbill sonst verursacht, gibt es keinen, 105
Der heut um meinetwillen Gram verspürt.
Nur weil sich's nach der Vorschrift so gebührt,
Zwängt ihre Miene sich in Trauerfalten;
Ihr Herz ahnt nichts davon – und du sogar,
Der ich noch gestern Held und Vorbild war,
Die mich umschmeichelte mit Truggestalten
Von Glück und von Vergessen – unbewegt
Blickst du mich an, und deine Seele hegt
Kein schmerzliches Gefühl am Trennungstage.

Selmira. Wenn ich das Weib nicht bin, dich festzuhalten,
So bist du nicht der Mann, um den ich klage.

Assad. Ich kann, ich darf nicht unter Menschen weilen!

Selmira. Thu, was du mußt!

Assad.                                 Du nanntest dich bereit,
Alles auf dieser Welt mit mir zu teilen.

Selmira. Ja, Macht und Größe!

Assad.                                     Teile nun mein Leid!
Verurteilt bin ich zu der bittren Schmach,
In mir die Qualen aller zu vereinen,
Und niemand fühlt, niemand versteht die meinen.
Ich muß hinweg; doch folge du mir nach, 106
Du ganz allein! Laß uns entrinnen
Zur Wildnis unwegsamer Felsenzinnen,
Ich deine Stütze, du mein Trost!
Dort wo der Bergwind unsre Stirn umkost,
Wo Sonn' und Mond als nahe Freunde grüßen,
Die Brust sich dehnt, das Blut nicht träge stockt,
Dort leg' ich wahrhaft dir die Welt zu Füßen,
Von uns beherrscht, weil sie uns nicht mehr lockt. –
Willst du? – Was seh' ich? Spöttisch Lächeln spricht
Die Antwort aus . . .

Selmira.                         Verzeih, mich reizt es nicht,
Auf diesem wilden Weg dich zu begleiten.

Assad. Nicht?! . . .

Selmira.                 Stolzerfüllt bekenn' ich dir: ich bin
Des einstigen Assad Schülerin!
Wie hätte der gelächelt, wenn vor Zeiten
Ich ihn zu solcher Erdenflucht ermahnt,
Als unzermürbt noch von Empfindsamkeiten
Er seinen Pfad mit eisenstarker Faust
Mitten durchs Menschendickicht froh gebahnt!
Doch wenn du deinen Thron auf Wolken baust,
Wenn du dein Reich, dein Erbe kannst verlassen,
Ich halte stand und will nach Ruhm und Ehren,
Nach allem, was dir nichtig ward und hohl,
Mit beiden Händen gierig fassen.
Viel Glück auf deine Wanderschaft; fahr wohl!

(Sie wendet sich nach dem Hintergrund, wo sie mit Schehriar und den Höflingen verschwindet.) 107

Assad (ihr nachstarrend).
Und du – du wolltest mich vergessen lehren! –
        (Nach einer kleinen Pause, sich aufraffend.)
Wohlan denn . . .

Siebenter Auftritt

Assad. Mustapha.

Mustapha (war schon während der letzten Worte auf dem Altan sichtbar geworden, mit Amine gestikulierend. Während diese sich gleich wieder zurückzieht, steigt er herunter).
                          Höre mich, mein Prinz! Das Mittel . . .

Assad. Bist du's? – Wo hast seit gestern du gesteckt?
Gab ich dir Urlaub?

Mustapha.                     Wie man's eben nimmt.
Erst strichst du meinen Rücken mit dem Knittel;
Dann kündigtest du mir ergrimmt
Mein Todesurteil an und warfst mich schließlich
Hinaus. Dies hat den Anschein mir erweckt,
Als wär' dir meine Gegenwart verdrießlich.

Assad. Du hast den Tod verdient.

Mustapha.                                   Ich mußt' es glauben
Und hätt' ihn gern erduldet. Schade nur,
Daß meine böse Frau davon erfuhr: 108
Die wollt' es mir um keinen Preis erlauben.
Nichts half mein Widerspruch: sie wurde grob,
Sie wurde wild, sie ließ mir keine Wahl,
Und eben wollt' ich ohne viel Getöse
Mit ihr entweichen über Berg und Thal.

Assad. Mit ihr? Sie wäre dir gefolgt?

Mustapha.                                       Und ob!
Die läuft mit mir, wohin ich irgend mag.

Assad. Und dennoch nanntest du sie böse?

Mustapha. Sie zankt und schilt den lieben langen Tag.

Assad. Und spräch' ich nun zu dir: Sei mein Begleiter,
Und nähm' auf meine eigne Flucht dich mit?

Mustapha. Hm, teurer Prinz, das ginge nur zu dritt.

Assad. Wie?!

Mustapha.     Denn zum ersten läßt sie mich nicht weiter
Aus ihren Augen als auf sieben Schritt,
Und zweitens – zweitens lass' ich selbst sie nimmer.

Assad. Doch mich, Verräter, gibst du willig drein! 109

Mustapha. Ja, Herr, ist sie auch schlimm, du bist noch schlimmer.
Erretten wollte sie den Kopf, den du
So hart bedroht.

Assad (die Hand zornig erhebend).
                          Verwegner, ich . . .

Mustapha.                                               Schlag zu!

Assad (läßt die Hand sinken).
Wär' ich erst fort! – Ich bin schon jetzt allein. –

Mustapha. Indes, bevor du gehst, was läge dran,
Wenn du noch einen letzten Heilversuch . . .

Assad.                                                               Umsonst!

Mustapha. Vielleicht entlastet dich vom Fluch
Dasselbe Mittel, das mich ihr gewann.

Assad (ungeduldig).
So sprich!

Mustapha.       Es hieß doch, daß nach jedem deiner Werke
Du fühlen mußt in gleicher Stärke,
Was immer du den andern thatest . . .

Assad (drängend).                                       Nun? . . .

Mustapha. Versuch' einmal, den andern wohlzuthun. 110
Vielleicht sodann empfindest du etwas
Von ihrem Glück, wie jetzt von ihren Plagen.

Assad. Den andern wohlzuthun? – Wie macht man das?

Mustapha. Nichts in der Welt ist leichter zu erfragen.
Doch weil zufällig niemand sonst zugegen,
Fang an bei mir!

Assad.                     Sag endlich, was ich soll!

Mustapha. Zum Beispiel, streichle mich!

Assad.                                                   Du bist wohl toll?

Mustapha. Ausschließlich des Versuchs wegen!

Assad. Ich einen unverschämten Diener streicheln!

Mustapha. Nur dir zulieb.

Assad.                             Wenn . . .

(Er streicht, halb widerwillig, mit sanfter Hand über Mustaphas Wange.)

Mustapha.                                         Ah, wie angenehm! –
Dir auch? 111

Assad (betroffen und andeutend, daß er es mitfühlt).
                Seltsam – es ist wie Schmeicheln
Von Kinderhand.

Mustapha.                 Und ebenso bequem
Für dich, als Hiebe.

Assad. (wütend, aber gleichzeitig ihn streichelnd).
                              Still! – – Bei Gott, es wird
Mein Herz erleichtert, meine Pein geringer . . .

Mustapha. Siehst du's? Ich habe nicht geirrt!

Assad. Nur weiter . . .!

Mustapha.                   Weiter? Mit Vergnügen! Gib
Zum Beispiel mir von deinem Finger
Den schönen Reif.

Assad (wieder aufbrausend).
                            Ich soll . . .!

Mustapha.                                     Nur dir zulieb.

Assad. Da hast du ihn.

Mustapha (strahlend).   Den wünscht' ich mir schon lang.

Assad (dessen Züge sich immer mehr erhellen, gibt ihm den mit Edelsteinen verzierten Dolch).
Nimm auch noch dies! 112

Mustapha.                         O Glück!

Assad (gibt ihm sein Schwert).               Und das! –
        (Sich untersuchend.)                                 Ich trage
Sonst nichts bei mir.

Mustapha.                     Noch Bess'res weiß ich.

Assad.                                                                 Sage
Mir alles!

Mustapha.     Gern! – Erhöhe meinen Rang!

Assad. Es sei.

Mustapha.     O Lust! – Was ich im Jahr verdiene,
Verdopple mir!

Assad.                   Verdreifacht sei's.

Mustapha.                                       Hurra!
Und gönne mir das arge Weib Amine
Zur ehelichen Frau!

Assad.                           Sie werd' es heute.

Mustapha. Juche! Fühlst du denn meine Freude? 113

Assad.                                                               Ja –
Das Wohlthun thut mir wohl. Ich will noch viel,
Viel mehr davon. Schnell, schaffe mir noch Leute,
Denen ich wohlthun könnte!

Mustapha.                                 Kinderspiel!
Von solchen schaff' ich dir genug herbei.
Erstlich die Kriegsgefangnen; leicht zu stillen
Sind ihre Folterqualen; gib sie frei!

Assad. Was?! Diese Hunde? . . .

Mustapha.                                 Nur um deinetwillen!
Sodann das ganze, ganze Volk . . .

Assad (nach dem Hintergrund rufend).       Ihr dort,
Kommt, um zu hören, was ich euch bescheide! –
        (Einige Höflinge sind sichtbar geworden und treten vor.)
Laßt der Gefangnen Kerkerthür sofort
Erschließen, und die Tonne voll Geschmeide,
Die ich im Krieg erbeutet, bringt zur Stelle!

(Die Höflinge ab links vorn.)

Mustapha. Vorzüglich! Du begreifst mit Blitzesschnelle,
Und paß nur auf, wie gut es dir bekommt!

Assad. Wär' so unendlich einfach, was mir frommt?
Und aus der Schmerzensfluten Sturmgetos 114
Trüg' eine neue Lebenswelle
Zum Ufer mich so leicht, so mühelos?
        (Er schüttelt Mustapha.)
Du Schurk', warum hast du nicht früher schon
Dies Mittel mir genannt?

Mustapha.                           Ein Rückfall . . .!

Assad (ihn wieder streichelnd).                             Wisse,
Du Trefflicher, ich will dich nicht bedrohn,
Nein, wenn ich jede meiner Kümmernisse
In Freuden könnte wandeln – Mustapha!
        (Er umarmt ihn.)
Glaubst du, daß Wohlthun allen solch Entzücken
Verschafft wie dir?

Mustapha.                   Das glaub' ich unbedingt,
Und um so leichter kannst du sie beglücken,
Je öfter ihnen Leid von dir geschah.

Assad. Lauf hin zu meinem Vater! Ihn durchdringt
Die Angst um mich; ihn kränkt' ich alle Tage,
Und gestern that ich ihm das schlimmste Leid;
Bitt' ihn hierher, damit ich gleich ihn frage,
Wie ich ihm wohlthun kann!

Mustapha.                                 Mein Prinz, ich fliege!
        (Im Abgehen, jubelnd.)
Was wohl Amine sagt zu solchem Siege?
Auszanken wird sie mich vor Seligkeit! (Ab vorn rechts.) 115

Achter Auftritt

Assad. Gefangene. (Dann) Schehriar, Höflinge, Hassan, Jussuf, Ibrahim (und) Volk.

(Die Gefangenen, bleich, abgezehrt und mit Ketten beladen, werden von den Höflingen links vorn hereingeführt. Ihnen folgen Sklaven, welche die Tonne tragen und vor dem Altan niedersetzen.)

Assad (zu den Gefangenen, welche angstvoll in einiger Entfernung von ihm stehen geblieben sind).
Euch wurde lebenslange Frohn verhängt
Nach Kriegesrecht. Ein Wink von mir hat gnädig
Den Riegel eures Zwingers aufgesprengt.
Die Freiheit geb' ich euch; der Ketten ledig
Zieht hin zu euren heimischen Gefilden!

(Die Gefangenen fallen ihm in sprachloser Rührung zu Füßen. Er atmet tief, die Hand aufs Herz legend; für sich.)

Wie das erquickt! – Dergleichen hab' ich nie
Zuvor gespürt . . . (Zu den Gefangenen.)
                            Was wollt ihr? Danken? Wie?!
Seid ihr etwa so dreist, euch einzubilden,
Euch zu Gefallen hätt' ich das vollbracht?
Ich that es, weil's mir selber Freude macht.
Hinweg!

(Die Gefangenen links hinten ab. Ganz im Hintergrund ist die Gruppe der Leute aus dem Volk wieder aufgetaucht, von den Höflingen noch zurückgehalten.)

Schehriar (kommt nach vorn; zu Assad).
              Willst du, daß nun der Haufe naht,
Den du entboten?

Assad.                       Nur heran mit allen! 116

Schehriar. Viel Pack ist drunter.

Assad.                                       So? Das brauch' ich grad'!

(Auf Schehriars Wink drängt das Volk sich vor; zuvorderst Hassan, Jussuf, Ibrahim.)

Hassan. Von Furcht und Spannung wird mein Herz gepreßt.

Jussuf. Und meines ist mir in die Schuh' gefallen.

Hassan. Ach, wenn er uns nur ungerupft entläßt!

Jussuf (seine leeren Taschen zeigend).
Um mich zu rupfen, wird er schlauer Finten
Bedürfen; ich bin jetzt schon blank und kahl.

Ibrahim. Mir gleich. – Ihr Lümmel, drängt nicht so da hinten!

Assad (ist auf den Altan getreten; Schehriar und Höflinge hinter ihm).
Du Bettelvolk, du wüster Menschenknäuel,
Dich haßt' ich stets; dich quält' ich manches Mal
Mit ausgesuchten Plagen und Beschwerden
Und war hinwieder euch ein Schreck und Gräuel . . .

Hassan (zitternd).
Recht hübsch, der Anfang!

Jussuf.                     r                Das kann furchtbar werden! 117

Schehriar (halblaut zu den Höflingen).
Dies Scheidelied mißfällt den Einfaltspinseln.

Assad. Und weil mir höchst unleidlich euer Winseln,
Ließ ich euch rufen, um . . . um zu befehlen,
Daß ihr euch endlich einmal freuen sollt!

Schehriar (zu den Höflingen).
Das thun sie schon von selber, wenn er geht.

Assad. Schaut hier die Tonne; was an eitel Gold
Sie birgt, an Perlen und Juwelen,
Sei unter euch verteilt und ausgesät!

Jussuf. Wie?

Hassan.         Was?

Schehriar.               Unglaublich!

Assad (zu den Höflingen).               Habt ihr nicht verstanden?
        (Er greift selbst in die Tonne und schleudert Kostbarkeiten unter die Menge.)
Fahrt fort! Hinein ins dichteste Gewühl
Werft alles, alles, was vorhanden!

(Die Höflinge gehorchen und verstreuen mit vollen Händen. – Die Menge stand einige Augenblicke starr vor Verblüffung. Nun bricht sie in ein gellendes Jubelgeschrei aus und rauft sich um die einzelnen Stücke.)

Assad (vom Altan zuschauend, für sich).
O das ist Wollust! Das ist Machtgefühl
Von neuer Art! 118

Hassan (Jussuf seine Schätze zeigend).
                        Sieh nur! – Vor Jubel dreht
Die Welt sich mir im Kreise wie verschwommen.

Jussuf (ebenso).
Sieh das! Bis an mein Lebensende drückt
Mich keine Arbeit mehr.

Ibrahim (ebenfalls beladen).       Seit Bagdad steht,
Ist so was noch nicht vorgekommen.

Hassan. Sagt' ich es euch nicht gleich: er ist verrückt!
        (Laut rufend.)
Hoch, hoch, Prinz Assad!

Volk (tumultuarisch).                 Hoch!

(Die Tonne wird nach dem Hintergrunde zu fortgetragen.)

Assad (macht eine stolz abweisende Gebärde; für sich).
                                                    Wächst das Verlangen
Mit jeder Sättigung? Rings will ich suchen gehn
Nach Not und Armut, die noch nichts empfangen.
        (Er blickt umher.)
Dort . . . 119

Neunter Auftritt

Vorige. Morgiane.

Morgiane (von links hinten, in dürftige Lumpen gekleidet, das Gesicht mit einem groben Schleier krampfhaft verhüllend, von einem Trupp junger Bursche aus dem Volk mit Gelächter und rohen Zudringlichkeiten verfolgt, flieht wie ein gehetztes Wild in den Vordergrund.)

Erster Bursch.   Zeig mir dein Gesicht, du saubres Schätzchen.

Zweiter. Sie scheint ihr Handwerk wenig zu verstehn.

Erster. Sag doch, wieviel du forderst für ein Schmätzchen!

(Gelächter.)

Assad (ist zwischen sie und ihre Verfolger getreten, gebieterisch).
Laßt sie!

Morgiane (macht, wie sie Assad erblickt, eine heftige Bewegung des Schreckens, will nach vorn rechts entfliehen, bricht aber kraftlos an den Stufen des Altans zusammen).

Schehriar.     Das ist die freche Diebin wieder . . .
Ergreifen muß man sie!

Assad.                                 Hier soll sie ruhn;
Rührt sie nicht an! Ich will ihr Gutes thun.
        (Zu Morgiane.) 120
Hast du gehört? – Warum durch deine Glieder
Rinnt solch ein Schauder? Niemand soll dich kränken,
Noch dich verfolgen. Ich bin mächtig hier,
Und was dich irgend freut, ich will's dir schenken. – –
Birgst du dein Angesicht vor mir
Aus Furcht vor einer Strafe? Wer du bist,
Und was du thatest, will ich ja nicht wissen;
Ich sehe nur, daß dein Gewand zerrissen,
Dein Elend groß, dein Jammer ehrlich ist,
Und will dir Gutes thun – und mir zugleich . . .
        (Zu den Höflingen.)
Gebt ihr Juwelen!

Morgiane (streckt abwehrend die Hand aus).

Assad (mit aufsteigendem Unwillen).
                              Wie? Bist du so reich,
Daß ich dir eine Wohlthat aufzuzwingen
Nicht fähig wäre? – Was bis jetzt ich leicht
Mit einem Hauch, mit einem Wink erreicht,
Soll das zum erstenmal mir nicht gelingen
Beim ärmsten Bettelweib?

Schehriar (nach rechts deutend).   Prinz, der Kalif . . .

Assad (lebhaft).
Willkommen heiß' ich ihn! Sein Herz erfreuen,
Ihm Glück und Hoffnung morgenlich erneuen
Kann ich mit einem einz'gen Wort!

(Er eilt dem Kalifen entgegen.) 121

Zehnter Auftritt

Vorige. Kalif. Selim.

(Der Kalif kommt von rechts vorn, geführt und gestützt von zwei Dienern. Er macht nunmehr den Eindruck eines völlig gebrochenen Greises, mühsam sich fortschleppend, gänzlich teilnahmlos, mit stumpfen Zügen und kindisch lallender Stimme. – Ihm folgt Selim. Schehriar und die Höflinge auf dem Altan, wie auch das Volk, ziehen sich ehrerbietig ganz in den Hintergrund zurück und verschwinden dort; nur Morgiane verharrt, wie ohnmächtig, in ihrer Lage.)

Assad.                                                 Willkommen,
Mein Vater, ich . . .

Kalif.                             Haha – der Kuckuck rief –
Haha, der Kuckuck – kuckuck –

Assad (entsetzt).                                 Was ist dies? –

Selim. Sei standhaft, edler Prinz! Traurig beklommen
Geleitet' ich den Fürsten zu dir her.
Dein nahes Scheiden ängstigt ihn nicht mehr;
Denn über Nacht an seinem Geist erwies
Der Jahre Last ihr schonungsloses Wuchten.
Wohl kann der Aerzte Kunst und Sorgfalt fruchten,
Sein Atmen zu verlängern; doch das Licht,
Das göttliche, das wir Vernunft benennen,
Erlosch für immer.

Assad.                         Nein, dir glaub' ich nicht,
Noch deiner Kunst! – Mein Vater, sieh mich an! 122
Dein Sohn, der neu zu leben heut begann . . .
Ich bin dein Sohn! Willst du mich nicht erkennen?

Kalif (macht mit zitteriger Hand Schreibbewegungen).
Haha – das muß ich – alles – unterschreiben.
Das muß ich –

Assad.                   Vater, ich will bei dir bleiben
Und will dir wohlthun! Was ich gestern sprach,
Und was dich je geschmerzt, sei nie gewesen;
Ich will dir jeden Wunsch vom Auge lesen;
Das Band, das ich im Fieberwahn zerbrach,
Soll fest, soll unauflöslich uns umschließen.
Nur zeige, zeige mir, daß du's empfindest,
Und laß mich deine Freude mitgenießen!

Kalif. Der Wein . . .

Assad.                     O Vater!

Kalif.                                     Ja, der Wein ist gut. –

Selim. Mein Prinz, ob du mit höchstem Opfermut
Ihm beistehst, ob auf ewig ihm entschwindest,
Für ihn ist's gleich; er kann's nicht unterscheiden.

Assad. Er soll! Er muß!

Selim.                           Wer noch vermag zu leiden,
Kann sich auch freu'n; er aber fühlt nicht mehr.

(Er tritt auf den Altan und geht zu den Höflingen.) 123

Assad (verzweifelt).
Vater! – Ist Wohlthun plötzlich gar so schwer?
Und gestern, gestern hätt' er's noch empfunden! –
Führt ihn zur Ruhe! – Kaum gekühlt,
Wie brennen doppelt heftig meine Wunden!

Kalif (von den Dienern fortgeführt, im Abgehen).
Der Kuckuck – kuckuck –

Elfter Auftritt.

Vorige (ohne) Kalif.

Assad.                                       Nur wer Schmerzen fühlt,
Der kann auch Wohlthat fühlen, Luft und Wonne;
Gefühl allein ist Leben, Wärme, Sonne!
O Morgiane – Morgiane!

(Er schwankt und stützt sich, um nicht zusammenzubrechen, auf das Geländer des Altans. Morgiane hat ihr nunmehr unverhülltes Gesicht ein wenig erhoben, so daß unwillkürlich ihre Blicke sich begegnen. Er schreit auf.)

                                      Nein!
Blendwerk von bösen Geistern – leerer Schein . . .
Du . . .!

Morgiane (mit schwacher Stimme, sich halb aufrichtend).
              Ja, ich bin es.

Assad.                                 Du!

Morgiane.                                   Warum entfacht 124
Mein Anblick dir so namenloses Grauen?
Besinne dich: das hast du selbst aus mir gemacht.

Assad. O Morgiane! (Er verbirgt schluchzend sein Haupt in ihrem Schoß.)

Morgiane.               So hast du's gewollt.
Einst war ich stattlicher wohl anzuschauen,
Und was ich dir von meinem Reichtum gönnte –
Begreifst du jetzt, daß all dein rotes Gold
Der Bettlerin es nicht vergüten könnte?

Assad. Vergüten will ich!

Morgiane.                       Wie der Sturm vergütet
Dem welken Zweig, den er vom Stamm gesplittert!

Assad. Nein, wie ein Mensch, den deine Qual durchzittert,
In dessen Seele gleicher Sturm gewütet!
Gewaltsam strömte deiner Seufzer Glut
In meine Brust, als ob dein heißes Blut
Ich dir von wunden Lippen küßte.
Weil ich die Tiefe maß, aus deren Grund
Dein Leiden quillt, drum ward mir strahlend kund,
Wie himmelhoch dein Glück beglücken müßte.

Morgiane. Mein Glück! –

Assad.                             Ja, glücklich sollst du werden – und durch mich! 125
Nur einmal, einmal nur möcht' ich
Im Wohlsein schwelgen, das ich dir gespendet!

Morgiane. Einst hättest du's vermocht. Ein sanfter Blick,
Ein mildes Wort, nachlässig hingestreut,
Noch gestern hätten sie mein Herz gewendet,
Und still gepriesen hätt' ich mein Geschick.

Assad. Noch gestern? Immer gestern! Gibt's kein Heut,
Kein Morgen mehr?

Morgiane (langsam den Kopf schüttelnd).
                                Mir hast du's fortgenommen.

Assad. Du bist so jung, begannest kaum zu blühn.
Wenn meines Vaters Lebensstern verglommen,
Der deine soll nun erst erglühn!

Morgiane. Ein Stern, der aus der Bahn herabgeschmettert,
Ist ausgelöscht, und rettungslos verdorrt
Die Blüte, die der Winterfrost entblättert.
Sag erst zu der Erinnrung: Fliege fort!
Sag zum Vergangnen erst: Sei ungeschehn!
Wie willst zuvor du aus dem Abgrund heben
Die Trümmer meines gramzerstückten Sinns?

Assad. Durch grenzenloses Wohlthun! 126

Morgiane.                                         Armer Prinz!
Nicht Wohlthun, sondern Liebe war mein Flehn,
Und du hast deinem Knecht mich hingegeben.

Assad. So geb' ich nun mich dir! Nimm mich dahin!

Morgiane. Und fragst du nicht, ob ich noch würdig bin?
Ob ich nicht ward, wozu du mich verdammtest?

Assad. Ich frage nicht. Und wärst du, was du scheinst,
Wärst du der Hefe dieses Volks entsprungen,
Ja, wenn aus Schmach und Sünden du entstammtest,
Ich frage nicht; ich bettle nur, bis einst
Ich dir ein frohes Lächeln abgerungen.

Morgiane. Vergeblich Mühn!

Assad.                                   Wie du da bist, gehüllt
In Dürftigkeit, soll deines Auges Funkeln,
Wenn sich's mit hellen Freudenthränen füllt,
Mir alle Herrlichkeit der Welt verdunkeln.
Wie du da bist, so notbedrängt und bleich,
Seist du erhöht vor meinem ganzen Reich!
Komm! – Auf dem Sitz, den die Kalifenkrone
Verziert, dem Platz des Herrschers, halte Rast.
Weil mehr als alle du gelitten hast,
        (mit erhobener Stimme und mit einer Bewegung, welche das Volk zurückrufen soll). 127
Drum sollen alle knien vor deinem Throne.
Komm! (Er zieht sie empor.)

Morgiane (sich kaum aufrecht haltend).
              Was beginnst du?

Assad (sie sanft zum Thronsessel hinauf geleitend).
                                          Komm! – Dich stützt mein Arm.

Morgiane (sinkt kraftlos in den Sessel).
O Gott!

(Das Volk ist allmählich wieder erschienen.)

Assad (mit erhobener Stimme nach dem Hintergrund zu sprechend).
              Hör' mich, du bunter Schwarm!
        (Die Volksmenge drängt, ihre Schätze tragend, neugierig und dienstfertig wieder nach vorn.)
Ihr werdet nicht zu Zeugen meines Scheidens!
Das Heil, das euch durch meine That gedieh,
Aus Schmerzen ist's entkeimt. Beugt euer Knie
Und huldiget der Majestät des Leidens!
        (Die Menge gehorcht. Auch Assad kniet auf den Stufen vor Morgiane.)
Hier lieg' auch ich.

Morgiane (mit schwachem Lächeln).
                              Assad . . .

Assad.                                           O Himmelslicht.
Du lächeltest! Ein erster Freudenschimmer,
Von mir entlockt und mich erlösend, bricht
Durch das Gewölk mit ungetrübtem Gleißen. 128
O führe mich an meiner Sehnsucht Ziel;
Beflügelt hebe mich zum goldnen Flimmer
Des Paradieses, das du mir verheißen!

Morgiane (sich mit Anstrengung erhebend).
Assad . . .

Assad.             Komm an mein Herz!

Morgiane.                                         Es war zu viel.
        (Sie stürzt leblos zu Boden.)

Assad. Steh auf! Was ist geschehn? Dein Blick erstarrt . . .
Die Wangen kalt . . . Zu Hilfe!

Selim (eilt herbei und beugt sich über sie). Prinz, hier ward
Die Hilfe machtlos.

Assad.                           Deine Kunst . . .

Selim.                                                     Sie schafft
Kein Wunder.

Assad.                   Höchste Wunder wirkt die Not.
Erwecke sie!

Selim.                 O Herr, ermahne
Mich nicht, zu thun, was über Menschenkraft.

Assad. So will ich selbst sie wecken! – Morgiane,
Ich liebe dich! Erwache! 129

Selim.                                 Sie ist tot.

Assad. Tot! – – – Kampf dem Tode! Seiner Grabesnacht
Entreißen muß ich sie. Jetzt brauch' ich Macht,
Göttliche Macht, damit mein eigen werde,
Was schon im Vorgefühl den Himmel beut.
Und kostet's alle Reiche dieser Erde,
Ich muß noch einmal sehn, wie sie sich freut. 130


 << zurück weiter >>