Emil Wilhelm Frommel
Aus der Chronik eines geistlichen Herrn
Emil Wilhelm Frommel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel

Eine Geschichte vom sel. Graßherzog Leopold von Baden, einem Künstler, einem Waisenkind und meinem Vater

»Fern vom Jupiter, ist weit vom Blitz,« das ist ein alt lateinisch Sprichwort, und will dasselbe sagen, was ein König einst, der von der Sache zu reden wußte, auf hebräisch gesagt hat: »Dränge dich nicht in der Könige Häuser.« Denn die so hoch steigen, können auch tief fallen, und der Boden dort ist nicht allein deswegen so glatt, weil die Wichse von der besten Qualität ist.

Aber es ist nicht ein Hof wie der andere; und auch nicht ein Fürst wie der andere, und zudem: wer Amt und Beruf hat an Hof zu gehen, soll's nur wagen und gedenken, daß ein Daniel auch seiner Zeit Page beim Könige Nebukadnezar war und sich samt seinen Freunden untadelich dort gehalten hat. Der Verfasser hat's auch schon erfahren, daß die Leute, je höher hinauf, desto freundlicher werden, und hat's lieber mit dem Fürsten selbst zu thun, als mit seinen Herren Troßbuben im fürstlichen Stalle. Gab's aber einen Fürsten, bei dem's einem wohl ward ob seiner Menschenfreundlichkeit und Güte, so war's der sel. Großherzog Leopold von Baden, und ist dem Verfasser heute noch eine Freude, daß ihn der sel. Herr einmal als Kind auf dem Arm getragen hat, (wiewohl die Sache jetzt schon seit beinahe vierzig Jahren im Prozesse liegt, da der jüngere Bruder steif und fest meint, ihm sei diese Ehre widerfahren). Des Vaters Amt und Beruf führte ihn oft mit dem sel. Herrn zusammen, wenn es galt Bilder zu kaufen, Künstler zu unterstützen und den Kunstsinn des Volkes zu heben. Denn die schöne Kunsthalle zu Karlsruhe, die sich sehen lassen darf neben den besten dieser Art, ist des sel. Großherzogs Werk, wobei ihm der Vater hilfreichen Dienst that.

Da kam denn einst an einem Tag ein großes, schönes Bild an, von einem tüchtigen Meister. Der Großherzog war davon benachrichtigt und wollte sich's ansehen. Er kam und das Bild gefiel ihm über die Maßen und auch der ziemlich hohe Preis war ihm nicht zu hoch, es sollte für die Sammlung angekauft und mit dem Künstler unterhandelt werden, ehe der Kauf abgeschlossen würde. Der Vater schrieb voller Freude über das schöne Bild an den Künstler und wie er glaube, daß wohl nicht viel fehle, daß es angekauft würde, denn dem gnädigsten Herrn habe es sehr wohl gefallen. Da – nach etwa vier Tagen kommt ein Befehl vom Großherzog: »Schicken Sie das Bild an den Meister zurück, ich kann es jetzt nicht brauchen, will aber später an den Maler denken. – Schreiben Sie ihm in Ihrem Namen freundlich, es thue mir leid es ihm abzuschlagen.« Das war ein Schlag für beide, für den Direktor wie für den Maler; und der Brief, den der Vater schrieb, konnte trotz aller Verzuckerung, doch die bittre Pille nicht ganz überzuckern. Und der Maler wurde böse, nicht auf den Großherzog, sondern auf andere Leute, die ganz unschuldig waren, zu denen unter anderen der Vater gehörte. Denn der wußte selbst nicht wie das so gekommen, da kein Grund angegeben war, ließ aber die Sache ruhig auf sich sitzen, und dachte: du thust es ja gerne um deines Fürsten willen, der hat ohnehin genug zu tragen. Der Vater hatte sich aber Kopie genommen von seinem Brief und auch von dem seines Herrn, um bei späterer Zeit wieder an den Maler zu erinnern.

Jahre gingen drüber hin, ohne daß je wieder von dem Bilde die Rede gewesen und ohne daß der Vater erfahren, woher die plötzliche Absage gekommen. Da kam er einmal ins Kloster Lichtenthal, wo im Klosterhof jenes Waisenhaus steht, das der wohlthätige Stulz, der als armer Schneider von Lahr nach England gewandert und als Millionär gestorben ist, gestiftet hat. Er besuchte dort den Waisenvater und ließ sich auch die Kinder zeigen, die just am Essen waren. Da saßen auch zwei Kinder zusammen, Brüderlein und Schwesterlein, die Vater und Mutter verloren, die hielten sich umschlungen. Der Vater sagte: »die haben einander wohl recht lieb,« Der Verwalter lächelte und sagte: »ja, das ist wahr. Die Kleine da hat ihren Bruder losgebettelt.«

»Wie so?« frug der Vater.

»Ja,« sagte der Hausvater, »das ist eine eigene Geschichte, da kann man sehen, was die Liebe thut. Da, dies Mädchen ist, als die Eltern starben, hier im Waisenhaus in die letzte Freistelle aufgenommen worden. Aber für den Bruder hat's nicht mehr gelangt, und so ist er von Gemeindswegen untergebracht worden in seiner Heimat, im Schwarzwald. Aber das Mädchen konnte von dem Bruder nicht lassen und weinte immer und fiel uns ganz vom Fleisch und von der Kraft. Da ist vor ein paar Jahren einmal der Großherzog Leopold vom Ebersteiner Schlößlein herunter gefahren gekommen, und hat auch das Waisenhaus besucht, und wie er in den Saal kommt, wo das kleine, siebenjährige Ding war, und so freundlich mit den Kindern spricht, da kriegt das kleine Ding plötzlich einen Mut und rückt auf den gnädigen Herrn zu und greift ihn an der Hand und sagt: »Ach, wenn du nur machen thätst, daß mein Bruder auch daher kommt!« Der Großherzog fragt, wie sich denn das verhalte und ich sagte ihm, es sei eben kein Geld mehr dagewesen für den Bruder, Raum sei wohl noch da, aber das Geld sei die Hauptsache. Dem gnädigsten Herrn ist's aber zu Herzen gegangen, wie er das Kind so weinen sah und er frug mich, wie viel es denn kostete! »Ja,« sagte ich, »gnädigster Herr, sag ich, das ist halt teuer, das kostet so und so viel.« Der Großherzog sagt: »Ja das ist freilich viel, denn das geht über die Tausend,« und reibt sich dann an der Stirn und dreht sich nach einer Weile um zu dem kleinen Ding und sagt: »mußt nicht weinen, dein Bruder kommt zu dir,« und zu mir sagte er: »Verwalter, schreiben Sie, daß der Bruder kommt, ich werde die Stelle bezahlen.« Und seit der Zeit haben wir die Zwei. Sehen Sie, so ist's gegangen, das ist gar ein guter Herr, der hat's dem Kind nicht abschlagen können.«

Der Vater hatte schon beim letzten Satz nicht mehr recht zugehört, sondern sich erstaunt an die Stirne gegriffen, als er die Zahl hörte; es war ihm, als habe er die schon einmal gehört und that drum wie der Königische bei seinen Knechten über seinem Kinde, und forschte von dem Verwalter Jahr und Tag, an dem der Brief fortgegangen war. Das fand sich auch bald in dem täglichen Hausbuch. Der Vater notierte sich's. Und als er wieder von der Reise kam, verglich er's mit jenem Absagebrief, da stimmte das auf Jahr und Datum und kam der Brief von Eberstein damals herunter, was jetzt dem Vater völlig begreiflich war. Nun wußte er warum das Bild wieder zurück sollte; akkurat so viel kostete die Aufnahme des armen Waisenkindes, und der sel. Großherzog dachte wohl: die zwei Waisengeschwister, wenn die einander wiedersehen und bei einander sitzen, das ist doch ein Bild, wie's kein Maler hinbringt!

Jener Maler aber war doch nicht zu kurz gekommen, denn nach nicht zu langer Zeit wurde ihm ein anderes Bild vom Großherzog abgekauft. Als aber der Vater den Zusammenhang erfuhr, schrieb er dem Maler, und als der das hörte, schrieb er zurück: Nun freue er sich erst recht, daß ihm das erste Bild nicht abgekauft sei, und hinten nach kam auch so was von einer Abbitte von wegen falschem Verdacht. Denn wessen Wege Gott gefallen, mit dem macht er auch seine Feinde zufrieden, und wer ein wenig warten kann in dieser Welt und nicht immer sich selbst verteidigt, den rechtfertigt zuletzt der liebe Gott selber. Und wenn der das thut, giebt's immer ein Stück.

Dem Vater aber war die Geschichte teuer wert, denn er hatte da in seines Fürsten Herz einen Blick gethan, den andere nicht gesehen, und hat's lange bei sich behalten, wie ein liebes Vermächtnis von seinem Großherzog, dem er lange nachgetrauert hat. Kurz aber vor seinem eigenen Tode hat er's dem Verfasser noch erzählt, und der hat's neun Jahre liegen lassen und niemand was davon gesagt, darf's aber jetzt sagen, wo die beiden droben in der Ewigkeit sind, zum Exempel, wie man die linke Hand nicht wissen lassen solle, was die rechte thut, und daß es auch noch Fürsten giebt, die keinen Blitz in der Hand haben in der Höhe, auf der sie stehen, sondern wie die milde Sonne sind, die von der Höhe herunter auch auf ein kleines und verwaistes Blümlein wärmend und tröstend schaut.


 << zurück weiter >>