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Verrechnet!

Erzählung.


Sonntag Morgen um 11 Uhr war es. Auf dem Exerzierplatze der kleinen Garnisonstadt war die ganze Besatzung aufmarschirt; ungefähr zweihundert Mann mochten es sein. Sie standen zwei Mann hoch in langer, schnurgerader Reihe, das Gewehr bei Fuß. Ihre blank gewichsten Stiefel glänzten in untadelhafter Weise, und mit den Augen blinzelten die Meisten, denn sie sahen der Sonne gerade in das Angesicht, und die schien an diesem Morgen besonders freundlich und heiß. An jedem Ende der langen Reihen stand ein Unteroffizier, der jeden Augenblick den Blick visirend an der Fronte hinuntergleiten ließ, damit die »Kerle,« nämlich die Soldaten, auch nicht um eines Zolles Breite aus der Richtung wichen.

In der den Platz rings umgebenden, schattigen Lindenallee gingen der Major, der Hauptmann und der Premierlieutenant langsam auf und ab, und vor der Front, mitten auf dem Platze, standen die übrigen Lieutenants, der brennenden Sonne den Rücken zugewandt.

Alle warteten auf den Platzkommandanten, der jeden Sonntag um 11 Uhr die Parade abnahm, aber auch jeden Sonntag in voller Hast und mit gerötheten Wangen erst um drei Viertel auf Zwölf aus dem nahe gelegenen Weinkeller kam, und sich ebenso regelmäßig wunderte, daß es schon 11 Uhr sei. Er murmelte dann einige Flüche über die ewige Verschiedenheit der Uhren und ließ antreten.

Dafür war die Parade indeß um so kürzer. Er theilte die Parole aus, ließ bis mitten auf den Platz vorbeimarschiren und dann in Colonnen rechts abschwenken. Damit war es vorbei, und so war es jeden Sonntag. Dann blieb er noch wenige Minuten bei dem Major und dem Hauptmann stehen, klagte über die Beschwerlichkeiten des Dienstes und forderte sie auf, mit ihm in dem Weinkeller ein kühles Glas zu trinken.

An diesem Morgen ließ der Platzkommandant ungewöhnlich lange auf sich warten. Schon schlug es 12 Uhr und er war noch nicht da. Den Soldaten lief der Schweiß über die gerötheten Wangen, und den Lieutenants brannte die Sonne in den Nacken.

»Eine verdammte Existenz hier!« rief der Lieutenant v. Saldern, eine mittelgroße, jugendliche Gestalt, dessen Gesicht trotz des zierlich gedrehten und stark gefärbten Schnurrbartes einen mädchenhaften Eindruck machte. »Auf Ehre, Kameraden, eine verdammte Hitze! Der Kukuk mag wissen, wann der Alte heute wieder angehumpelt kommt! Der vergißt Gott und Parade, wenn er einmal im Weinkeller sitzt!«

»Still, Saldern! Sie raisonniren sich wieder Stubenarrest an den Hals!« warnte ihn einer seiner Kameraden. »Der Alte kann jede Anspielung auf seine defekten Gehwerkzeuge nicht vertragen! Haha! Er hat erst vor wenigen Tagen geschworen, daß er uns sämmtlich zu Schanden marschiren werde, wenn es darauf ankomme. Nehmen Sie sich in Acht, daß er Sie nicht zu einem Wettlauf auffordert!«

Saldern lachte laut auf.

»Ein famoser Spaß, Kamerad, auf Ehre! Das hat der Alte wirklich geschworen? Haha! Der schwört auf Alles! Hat er uns doch allen Ernstes versichert, sein Podagra sei die Folge früherer Strapazen! Eine fürchterliche Lüge, denn der Wirth des Weinkellers hat mir das Faß gezeigt, aus dem sein ganzes Podagra geflossen ist. Nummer 169, Bordeauxwein, ein superber Tropfen! Der Alte trinkt nichts Schlechtes!«

In diesem Augenblicke kam der große Federbusch des Platzkommandanten um die Ecke, die Offiziere schoben die Degenkoppel herab, um die Taille zu verlängern, die Unteroffiziere schrieen den Soldaten ein Donnerwetter zu, damit sie still ständen und das verdammte Blinzeln ließen, und der Major und der Hauptmann eilten dem Platzkommandanten entgegen, der hastig und humpelnd über den Platz daherkam!

»Guten Morgen, meine Herren!« erwiderte er ihren Gruß. »Alles fertig, wie ich sehe. Schon Elf geschlagen? Verdammte Uhren, – gehen nie richtig, – nie!« Er fügte noch etwas hinzu, was indeß Niemand verstehen konnte.

Kurz, flüchtig grüßte er die Lieutenants, theilte dann Parole aus und nahm ebenso flüchtig die Parade ab. Die Sonne schien auch ihm nicht besonders zu behagen. Ohne Aufenthalt begab er sich nach dem Weinkeller zurück.

Auch die Lieutenants waren soeben, im Begriff, fortzugehen, da rief der Major laut: »Lieutenant v. Saldern!«

Leicht und doch mit einer gewissen Nachlässigkeit trat der Gerufene vor. Mit ernstem, mürrischem Gesichte winkte ihn der Major einige Schritt bei Seite.

»Lieutenant v. Saldern,« sprach er mit etwas leiserer Stimme, aber immer noch laut genug, daß die übrigen Lieutenants es hören konnten, »der Rentier Treumann ist heute morgen bei mir gewesen und hat sich über Sie beschwert!«

Der Lieutenant setzte der finstern Miene des Majors ein völlig unschuldiges Gesicht entgegen. Nur in seinen etwas herabgezogenen Mundwinkeln machte sich ein leichtes, spöttisches Lächeln bemerkbar.

»Sie sind mit Ihrem Pferde über die Garteneinfassung des Rentiers gesetzt,« fuhr der Major fort. »Nun, was haben Sie darauf zu erwidern?«

»Das Thier ging mit mir durch,« entgegnete Saldern verlegen stotternd. »Hat niederträchtige Launen, springt gern.«

»Sagen Sie lieber, daß Ihr eigener Kopf, Ihre eigenen Launen mit Ihnen durchgegangen sind,« unterbrach ihn der Major. »Lieutenant v. Saldern, ich wünsche, daß Sie künftighin Ihr Pferd und Ihre Launen etwas mehr im Zügel halten! Merken Sie sich das!«

Kurz, unwillig wandte er sich ab und schritt fort.

Einen Augenblick blieb der Lieutenant noch stehen und zog den Kopf zwischen die Schultern, dann trat er zu seinen Kameraden.

»Was hat es denn gesetzt, Saldern?« wurde er von mehreren Seiten gefragt.

»Pah! Der verdammte Rentier hat geklatscht!« erwiderte der Gefragte, indem er die Degenkoppel um ein Loch weiter schnallte. »Philisterseele, – erbärmliche Kreatur! Berührt mich übrigens nicht weiter.«

Er wollte ruhig scheinen, vermochte indeß seinen Aerger über den Wischer nicht zu verbergen. Mit leichtem Gruße verließ er seine Kameraden und schritt seiner Wohnung zu.

Auf seinem Zimmer angekommen, warf er ärgerlich Degen und Mütze auf den Tisch und sich selbst auf das Sopha.

Sein Bursche, ein rothbackiger Kerl mit hellblondem Haar, sah ihn erstaunt an und beeilte sich dann, ein Paar gestickte Hausschuhe aus der Kammer zu holen und damit vor ihn hinzutreten.

»Fort, Mensch!« rief ihm der Lieutenant unwillig zu.

Der Bursche blieb stehen.

»Aber der Herr Lieutenant haben befohlen, daß ich Ihnen jedesmal die Hausschuhe bringen soll, wenn Sie nach Hause kommen,« warf er schüchtern ein.

»Das sollst Du auch!« rief Saldern. »Wenn Du indeß nicht solch kolossaler Einfaltspinsel wärest, so hättest Du gemerkt, daß ich heute meine Stiefel nicht ausziehen werde.«

Geduldig trug der Bursche die Schuhe wieder in die Kammer.

»Befehlen der Herr Lieutenant ein Glas Wasser?« fragte er, als er wieder in das Zimmer getreten war.

»Wasser, Mensch!« rief Saldern aufgebracht und warf ihm die waschledernen Handschuhe, welche er langsam ausgezogen hatte, an den Kopf. »Erbärmlicher Pinsel Du! Ich soll auf diesen niederträchtigen Aerger Wasser trinken, damit ich mir den Magen obendrein verderbe! Alberner Schwachkopf, Du!«

Der Bursche hatte die Stimmung seines Herrn begriffen. Er hob die Handschuhe von der Erde auf, legte sie auf den Tisch und wollte schweigend das Zimmer verlassen.

»Fuchs!« rief ihn der Lieutenant, als er bereits in der Thür stand.

Der Bursche trat mit ängstlichem Blick wieder in das Zimmer.

»Hierher Mensch! Hierher stell' Dich! Dicht heran!« fuhr Saldern fort, indem er beide Beine auf das Sopha zog und sich eine ernste Miene zu geben suchte. »Du heißest Fuchs? – Nun, antworte, Mensch! Nicht wahr, Du heißest Fuchs?«

»Zu Befehl, Herr Lieutenant,« antwortete der Bursche.

»Sieh', der Fuchs ist ein Thier, welches ein Thier ist, das nicht dumm ist,« setzte der Lieutenant seine Rede mit Pathos fort. »Du bist aber ein Mensch, der ein Mensch ist, welcher sehr dumm ist. Der Fuchs ist ferner schlau, das bist Du nicht; er ist listig und Du bist schon mehr ein Rhinoceros. Ich wußte, daß Du dumm warest, als ich Dich zu meinem Burschen wählte, aber ich habe nicht geglaubt, daß Du so dumm seiest. Höre zu Mensch und sieh' mich nicht so starr an! Du sollst es mir Dank wissen, daß ich mir Mühe mit Dir gebe. Jedes meiner Worte sollst Du Dir merken, Du kannst sie Dir meinetwegen auch aufschreiben. Wenn ich also nach Hause komme und mich geärgert habe, so trinke ich nie Wasser, ich müßte sonst sehr durstig sein. Und wenn ich mich nicht geärgert habe, so – trinke ich auch keines, weil ich überhaupt keines trinke!«

Er wurde hier durch ein lautes Lachen unterbrochen.

»Eine köstliche Rede, eine prachtvolle Instruktion!« rief ein junger Mann, der unbemerkt in die Thür getreten war, unter fortwährendem Lachen.

»Befehlen der Herr Lieutenant noch etwas?« fragte der Bursche schnell, dem dies der richtige Augenblick zu sein schien, um sich glücklich zu entfernen. –

»Nichts, nichts, als daß Du Dich zum Kukuk scheerst!« rief der Lieutenant ärgerlich.

Der Bursche eilte fort.

Der Eingetretene hatte fortwährend laut gelacht. Er trat jetzt dicht vor den auf dem Sopha liegenden Lieutenant, stützte beide Hände auf einen leichten, feinen Stock, den er trug, und lachte noch lauter.

»Saldern,« sagte er, »wenn Du mir täglich eine Stunde lang solche Instruktionen ertheilen willst, wie Deinem Burschen soeben, so zahle ich Dir für jede Stunde einen Louisd'or; aber ich muß sie auch aufschreiben dürfen! Haha! Köstliche Instruktion!«

Der Lieutenant drehte nachlässig seinen gefärbten Bart. »Sie sind immer noch besser als Deine schlechten Witze, Doktor,« entgegnete er mit gleichgültiger Miene, obschon ihn die Störung und das Lachen ärgerte. »Uebrigens berühren Sie mich nicht weiter, und wenn Du nur gekommen bist, um nach meinem Befinden zu fragen, – ich fühle mich sehr wohl!«

»Das heißt so viel, als: dort ist die Thür und Du kannst gehen,« lachte der Doktor, indem er einen Stuhl herbeizog und sich gemächlich niederließ. »Du giebst Dir mit dem Burschen unendlich viel Mühe, Deine besten Gedanken verschwendest Du an ihm; der Kerl begreift sie nur nicht. Saldern, ich will Dir einen guten Rath geben. Schaff' Dir einen Hund an, einen sehr großen. Solch ein Thier ist gelehriger, als Dein Bursche, und wenn Du ihn allzu sehr quälst, so beißt er zum wenigsten.«

Der Lieutenant blickte den Doktor prüfend an. Er wußte nicht, ob seine Worte Ernst oder Spott waren.

Das ernste, ruhige Gesicht desselben täuschte ihn aber.

»Auf Ehre, Du hast Recht, Doktor!« rief er endlich, indem er lebhaft aufsprang. »Ich werde mir einen großen Hund anschaffen, entweder eine Dogge oder einen Newfoundländer. Und was das Beißen anbetrifft, sei ohne Sorge, dagegen gibt es Respekt und Maulkörbe. Ich lasse mich überhaupt nie beißen, nicht einmal von dem Major.«

Er zündete sich eine Cigarre an, setzte Cigarren und Licht neben den Doktor und warf sich wieder auf das Sopha.

Auch der Doktor zündete eine Cigarre an, um das Lachen zu verbergen, das er nicht mehr zurückzuhalten vermochte.

»Was hast Du denn wieder mit dem Major?« fragte er. Er hatte den Vorfall bereits durch Saldern's Kameraden erfahren.

»Pah! Nichts habe ich mit ihm, aber der Mensch mischt sich in alle Sachen,« erwiderte der Lieutenant.

»Kümmere ich mich doch nicht darum, daß er seine Töchter in abgewaschenen Kleidern gehen läßt und die Hälfte seiner Gage vertrinkt. Kommt er mir noch einmal so, so werde ich ihm den Standpunkt klären. Auf Ehre, ich thue es!«

»Was hast Du denn mit ihm!« wiederholte der Doktor noch einmal.

»Kennst Du die kleine Treumann?« fragte Saldern. »Ich meine die Tochter des Rentiers dort, – dort hinten an der Straßenecke.«

»Ich kenne sie, aber für ihre achtzehn Jahre ist sie vollkommen groß genug. Sie ist so groß als Du.«

»Mensch, so widersprich doch nicht immer!« rief Saldern, der sich einmal in einer gereizten Stimmung befand. »Ich weiß, daß Du klüger bist, als ich, weil Du Medizin studirt hast, allein von Pferden und Mädchen verstehst Du nichts. Klein nenne ich jede Person, die hübsch ist, ob sie nun nebenbei groß ist, ist ganz Nebensache.«

»Nur weiter,« warf der Doktor ein.

»Ich habe es auf diese kleine Treumännin abgesehen,« fuhr der Lieutenant fort. »Noch ist es mir nicht gelungen, an sie zu kommen, denn der Alte bewacht sie wie ein Drache. Ich wollte ihre Aufmerksamkeit auf mich lenken, sie sollte einmal sehen, wie famos meine Stute springt. Als ich gestern spazieren ritt, saß sie am offenen Fenster. Sie sah mich. Ohne Zögern gab ich der Stute die Sporen und setzte über das niedrige Stacket weg. Sie schrie laut auf. Ich grüßte hinauf, warf das Pferd herum und setzte wieder zurück. Es ging superb. Die Liese ist seit einem Jahre nicht so wundervoll gesprungen, hat aber auch eine Ration Hafer mehr bekommen. In dem Garten hat sie indeß einige Blumen, welche der alberne Rentier gerade an dieser Stelle gepflanzt hatte, zertreten, und nun ist er zum Major gelaufen und hat geklatscht. Der hat sich nun nach der Parade ein schreckliches Dienstgesicht vorgeschnallt, rief mich zur Seite, zupfte an seinen drei langen Schnauzbarthaaren und brachte so etwas wie eine Art Zurechtweisung vor. Das hat mich geärgert von dem Menschen, und nun will ich es gerade auf die kleine Treumännin absehen, – ihm und dem Alten zum Trotz!« –

»Du bist ein Tollkopf!« rief der Doktor lachend.

»Was willst Du denn nun beginnen?

»Was, – was?« rief der Lieutenant. »Du hast immer so verfängliche Fragen. Aber irgend etwas will ich thun, so wahr ich Saldern heiße. Du kennst also die kleine Treumann? Nicht wahr, ein feines Kind? Superbe!«

»Ich hatte Dir wirklich kaum einen so guten Geschmack zugetraut,« entgegnete der Doktor lächelnd.

»Ich habe immer einen guten Geschmack, – aus Grundsatz,« fuhr Saldern fort. »Es würde mir auch nicht schwer werden, die kleine Bürgerliche für mich zu gewinnen, wenn nicht – wenn nicht, – Doktor, so hör' doch zu!«

Der Genannte blies den Dampf der feinen Cigarre langsam von sich und sah zu, wie derselbe emporwirbelte, sich kräuselte und Ringe bildete.

»Nur weiter – ich höre alles. Du würdest die kleine Bürgerliche für Dich gewinnen, wenn nicht nicht – – Nun heraus mit der Sache!«

»Ja, sieh', das ist wieder eine besondere Geschichte. Kennst Du den Lieutenant v. Lüttich?«

»Ich kenne ihn; nur weiter; in zehn Minuten muß ich fort,« erwiderte der Doktor.

»Die Sache ist so,« fuhr Saldern fort. »Lüttich versteht von Pferden sehr wenig, nicht mehr als ich vom Griechischen – –«

»Dann sage dreist, er versteht nichts davon!« warf der Doktor lachend ein.

»Unterbrich mich nicht. Er versteht auch nichts davon. Der Rentier Treumann hat nun einen Gaul, groß, mager und steif in den Hinterbeinen, und da sie sich, nämlich Treumann und Lüttich, auf dem Casino kennen gelernt haben, hat Lüttich dem Rentier das schauderhafte Thier abgekauft. Seitdem sind sie nun Freunde, und Lüttich hat, glaube ich, die Kleine in seinen Netzen. Er besucht sie fast täglich!«

»Nun?« bemerkte der Doktor fragend.

»Doktor!« rief der Lieutenant unwillig, »Du bist zu Zeiten schrecklich schwer von Begriffen. Ich denke deutlich genug gesprochen zu haben. Natürlich will ich Lüttich bei der Kleinen ausstechen. Das muß gelingen, denn Lüttich ist der Klügste nicht, nur weiß ich noch nicht, wie ich es beginnen soll. Doktorchen, Du mußt mir helfen. Einen Geniestreich müssen wir ausführen. Du weißt schon ungefähr, was ich meine, so einen einen Streich. – Nun, gib mir einen guten Rath.«

Der Doktor nahm die Cigarre aus dem Munde und preßte nachsinnend den Stockknopf an die Lippen.

»Das ginge,« sprach er halblaut vor sich hin.

»Nun, – sprich doch,« drängte Saldern ungeduldig. –

»Sieh',« erwiderte der Doktor mit ernsthafter Miene, »wenn die Kleine, wie Du sie nennst, eine gute Meinung für Dein Pferd bekommen hat, weil es über das Stacket hinweggesetzt ist, so wird sie eine noch viel bessere Meinung von Dir bekommen, wenn Du selbst, ich meine mit Deinen eigenen Beinen, darüber springst!«

Der Lieutenant sprang auf.

»Doktor, Du bist verrückt!« rief er. »Ich, – ich selbst – –! Doch ich weiß schon, Du willst mich wieder da zum Besten haben.«

»Gewiß nicht,« erwiderte der Doktor, »wenn Dir nämlich das Stacket nicht zu hoch ist.«

»Ich kenne Deine schlechten Witze schon,« warf Saldern ein. »Etwas Ernstes läßt sich nie mit Dir berathen.«

»Ich weiß keinen bessern Rath,« entgegnete der Doktor achselzuckend. »Einen genialen Streich willst Du durchaus ausführen, – also –«

»Geh' nur, – geh' nur!« fiel Saldern ein, »Deine zehn Minuten sind längst abgelaufen.«

»Du hast Recht!«

Der junge Arzt erhob sich. Er reichte dem Lieutenant die Hand, die dieser, unwillig, nicht annehmen wollte.

»Nun, schlag' nur ein, Saldern,« sprach er lächelnd. »Vielleicht fällt mir noch etwas Besseres ein. Willst Du denn die Kleine durchaus heirathen?«

»Das weiß ich noch nicht, heirathen! Dazu habe ich wirklich noch keine Lust, aber Lüttich soll sie nicht haben.«

»Gut, – gut. Wir wollen zusammen einen Operationsplan entwerfen. Nur übereile nichts!«

Der Doktor verließ das Zimmer und Saldern warf sich wieder auf das Sopha, da die Zeit, zu Tisch zu gehen, noch nicht gekommen war, und auf der Promenade spazieren zu gehen bei der Hitze, – puh! – Der Lieutenant stieß wirklich diesen Ton bei dem Gedanken an einen Spaziergang aus.

 

Es war ein eigenthümliches Verhältniß zwischen Saldern und dem kaum zwei Jahr älteren Doktor Julius Bauer. Saldern's Vater war Gutsbesitzer und Bauer's Vater Prediger in demselben Dorfe. Beide waren Jugendgespielen und Jugendfreunde und hatten zusammen die Schule besucht. Auch späterhin, als Julius die Universität bezogen hatte und Saldern in das Militär getreten war, waren sie in derselben Stadt wieder zusammengekommen, und ihr Freundschaftsbund ward fester und fester geknüpft.

Die Verschiedenheit ihrer Charaktere und ihrer Fähigkeiten schien dies freundschaftliche Verhältniß nur zu begünstigen. Bauer hatte die glücklichsten Anlagen und für seine Wissenschaft einen wirklich begeisterten Sinn neben ausdauerndem Fleiße. Saldern dagegen fehlten solche Anlagen, und Fleiß hatte er von Jugend auf nicht gekannt. Sein Vater war reich, er selbst hatte früh den Entschluß gefaßt, Offizier zu werden, und deßhalb für überflüssig erachtet, sich den Kopf mit vielen Kenntnissen zu beschweren.

Auf der Schule hatte ihn Julius ins Schlepptau genommen und mit Mühe über die untern Klassen hinausgebracht, und das spätere Lieutenants-Examen hatte er ihm mit wirklich eiserner Ausdauer eingepaukt, so daß er es glücklich, wenn auch ziemlich dicht vor dem Durchfallen, bestanden hatte.

Das vergaß er ihm nie und gestand auch offen ein, daß er ohne seine Hülfe es nie über den Kadetten hinaus gebracht haben würde. Ueberhaupt erkannte Saldern des Doktors geistiges Uebergewicht vollkommen an und hatte vor dessen Kenntnissen den größten Respekt; er ertrug sogar den Spott desselben, wenn er sich auch oft noch so sehr darüber ärgerte.

Ein Berührungspunkt fand indeß zwischen ihren Charakteren statt, trotz der großen Verschiedenheit derselben. Beide waren gutmüthig, wenn auch des Lieutenants Herz in oft bedenklicher Weise sich zum Leichtsinn hinneigte, und Beide hatten einen unbefangenen, heitern Sinn. Die Erinnerung an die lustig durchlebten Knabenjahre war noch lebendig in ihnen, und Julius brauchte nur irgend eine lustige, tolle Idee anzuregen, so führte der Lieutenant sie sicherlich aus.

So war der Doktor auch jetzt im Stillen damit einverstanden, dem Lieutenant v. Lüttich, einer langen Gestalt mit erstaunlich dünnen Beinen, der mit Stolz bei jeder Gelegenheit erwähnte, daß sein Großvater General und seine Mutter Hofdame gewesen war, der durch die Nase sprach und behauptete, am besten zu walzen, die junge, frische Tochter des Rentiers wegzukapern.

Dies konnte ihm unmöglich schwer werden, denn Lüttich war in der That ein äußerst beschränkter Kopf, welcher all seinen Kameraden zum Stichblatt ihres Witzes diente und namentlich mit einer Geschichte unaufhörlich geneckt wurde. Ein ihm befreundeter Gutsbesitzer hatte ihn eingeladen, auf seinem Gute eine Sonnenfinsterniß mit anzusehen, und er hatte wirklich den zwei Stunden weiten Weg in der ärgsten Sonnenhitze zurückgelegt, um die Sonnenfinsterniß zu betrachten, die er aus seinem Fenster ebenso gut hätte sehen können. Die Geschichte hatte ihm schon vielen Aerger bereitet, und er verwünschte alle Astronomen, welche nach seiner Ueberzeugung die Ursache der Sonnenfinsterniß waren.


Einige Tage waren verflossen.

Saldern hatte sich diesmal selbst einen Plan ersonnen, um die kleine Treumännin zu erobern, und war von der Unfehlbarkeit desselben so fest überzeugt, daß er seine Gage und den ganzen väterlichen Zuschuß für ein Jahr darauf verwettet hätte.

Durch einen ihm befreundeten Mann hatte er Julius dem Rentier Treumann als Hausarzt dringend empfehlen lassen, und der Freund sollte nun für ihn das Terrain, nämlich das Herz der Kleinen recognosciren, um ihm anzugeben, auf welche Weise dasselbe am leichtesten zu erobern sei.

Voll Freude war er zu Julius geeilt und hatte ihm dies mitgetheilt.

»Doktor,« hatte er zu ihm gesprochen, »durch einen glaubwürdigen Mann habe ich dem Rentier weismachen lassen, Du seiest der gescheiteste Arzt im ganzen Lande. Haha! Er glaubt es und will Dich zum Hausarzt annehmen! Das hast Du mir zu verdanken, Mensch! So ein Rentier bezahlt gut, und Du hast wenig Arbeit dafür. Jeden zweiten Tag gehst Du zu ihm – natürlich gegen Mittag – trinkst ein Glas Wein und rauchst eine feine Cigarre bei ihm, erzählst dem Alten einige Geschichtchen, die nicht wahr sind, und verschreibst ihm ein Brausepulver, wenn er Abends zuvor zu viel getrunken hat. Doch der Alte ist außer beim Bezahlen ganz Nebensache. Du verstehst mich doch, Doktor? Auf die Kleine sollst Du Dein ganzes Augenmerk richten. Ich gäbe viel darum, wenn ich an Deiner Stelle wäre. Jeden Tag kannst Du ihren Puls fühlen, dabei recognoscirst Du ihr Herz. Du verstehst mich doch – ich meine, Du sollst den – Lüttich mit Anstand aus dem Hause beißen und die Kleine für mich gewinnen. Du kennst mich ja – meine Eigenschaften, ich meine meine Vorzüge, Du wirfst hin, daß ich das beste Pferd in der ganzen Stadt habe, die Liese, daß mein Alter Moos hat – Du brauchst ihr aber nicht zu sagen, daß er über meine Schulden räsonnirt; Du erwähnst ferner, daß ich doch eigentlich ein hübscher Kerl bin – lache nicht, Doktor, ich bin es wahrhaftig – und schwörst ihr, daß ich jedes Mädchen glücklich machen würde; das zieht, verlaß Dich darauf, ich kenne die Frauen!«

Der Doktor hatte auf seine Rede nur mit lautem Lachen geantwortet. Er kannte seine kühnen Ideen, wußte aber auch, wie oft ihn dieselben im Stiche ließen, wenn es zur Ausführung kam; um so mehr überraschte es ihn, daß er noch an demselben Tage von dem Rentier einen Brief erhielt, in dem dieser bat, ihn zu besuchen, da er seine Hülfe als Arzt in Anspruch zu nehmen wünsche.

Saldern jubelte laut auf, als er dies erfuhr.

»Siehst Du, Doktor, Du alter Junge,« rief er, ihn auf die Schulter schlagend, »das verdankst Du mir, meinen Verbindungen! Nun sei aber auch dankbar, Mensch!«

 

Die Kleine, wie Saldern Hedwig, des Rentiers Tochter, nannte, saß am Fenster in dem Empfangszimmer ihres Vaters. Ein Buch lag vor ihr aufgeschlagen, sie las indeß nicht mit voller Aufmerksamkeit darin, denn von Zeit zu Zeit richtete sie ihren Blick durch das Fenster auf die Straße und sah dieselbe hinab, als suche sie einen bestimmten Gegenstand; sie erwartete Bauer.

Um diese Stunde wollte er kommen, und ihr Vater war verhindert, ihn zu empfangen. Sie erwartete ihn nicht ganz ruhig und unbefangen. Auf einem Balle hatte sie ihn früher kennen gelernt, und er hatte ihr damals mehr Aufmerksamkeit als andern Damen erwiesen.

Sie wußte, wie warm und dringend er jetzt ihrem Vater empfohlen war. Ging das von ihm selbst aus? Nicht das Verlangen nach größerer Praxis konnte ihn dann dazu bewogen haben, denn er war noch jung und lebenslustig; und bereits in viele der besten Familien als Arzt eingeführt. Sollte ein anderes Interesse ihn hierher ziehen?

Sinnend saß sie da, eine reizende Erscheinung. Den Namen »Kleine« verdiente sie in der That nicht, denn sie war hoch und schlank gewachsen. Ihr Gesicht war schön, dunkles, volles Haar fiel in Locken bis in den Nacken. In ihrem großen, gleichfalls dunklen Auge lag ein eigenthümlicher Ausdruck. Man hätte ihn Stolz nennen können, es war indeß nur ein fester, entschiedener Sinn, der aus ihm sprach.

Ihre Hand lag auf dem Buche. Längst hatte sie die beiden aufgeschlagenen Seiten durchlesen. Sie vergaß umzublättern. Ein träumender Ausdruck lag in ihrem Auge. Da ertönte die Klingel des Corridors. Hastig fuhr sie empor und strich mit der Hand die Haare aus der Stirn. Eine flüchtige Röthe bedeckte ihre Wange.

Unwillkürlich schlug ihr Herz schneller, als sie den festen Schritt eines Mannes vernahm. Sie wußte selbst nicht, weßhalb sie so aufgeregt war. Da wurde die Thür geöffnet und der Lieutenant v. Lüttich trat ein.

Enttäuscht wandte sich ihr Blick von der Thür, auf welche er gerichtet war, ab. Sie konnte nicht verbergen, wie ungelegen ihr des Lieutenants Besuch war.

»Ah, Sie sind es, Herr Lieutenant,« sprach sie, sich langsam erhebend.

»Ja, ich bin es,« rief Lüttich, auf sie zueilend und ihr die Hand küssend. »Ich konnte meiner Sehnsucht, Sie zu sehen, nicht länger widerstehen.«

Hedwig forderte ihn mit einer Handbewegung auf, sich niederzulassen. Auch sie setzte sich wieder. Sie mußte sich Mühe geben, ihre unwillige Stimmung zu verbergen.

»Ich war gestern vergebens hier,« fuhr Lüttich fort. »Sie waren nicht zu Hause, gnädiges Fräulein.«

»Vergebens?« erwiderte Hedwig. »Ich verstehe Sie nicht, Sie haben doch meinen Vater getroffen.«

»Ganz recht – ganz recht. Ein prächtiger Mann, Ihr Vater!« rief Lüttich. »So viel Gemüth und Witz – ich liebe ihn. Wirklich ein superber Mann aber – aber – …« Er stockte. Es war eine seiner größten Schwächen, daß ihm meist in den besten Augenblicken die Worte fehlten.

»Aber!« wiederholte Hedwig.

»Ganz recht,« rief Lüttich, der sich besonnen hatte, »aber ich war doch nur hergekommen, um Sie zu sehen, mein Fräulein!«

Er verzog das Gesicht zu einem verliebten, zärtlichen Lächeln.

»Sie sind zum wenigsten offen, Herr v. Lüttich,« erwiderte Hedwig kalt.

Wieder ertönte draußen die Klingel an der Corridorthür, und wieder flog eine leichte Röthe über Hedwigs Gesicht. Diesmal war es Bauer, der in das Zimmer trat.

Etwas befangen ging ihm Hedwig entgegen und empfing ihn. Sie entschuldigte ihren Vater wegen seiner Abwesenheit und stellte ihn dann dem Lieutenant vor.

»Ich habe bereits das Vergnügen, Herrn v. Lüttich zu kennen,« erwiderte Bauer.

Dem Lieutenant war es nicht entgangen, daß Hedwig den Doktor viel zuvorkommender als ihn empfing. Es ärgerte ihn. Noch mehr war er über Bauer unwillig, weil er durch ihn in seinem Gespräche mit Hedwig, welches nach seiner Meinung im besten Zuge war, gestört wurde.

»Ja,« sprach er langsam, halb wegwerfend, indem er die Handschuhe glatt strich, »ich erinnere mich – ich glaube Sie schon einmal gesehen zu haben.«

»Oefter, Herr Lieutenant,« warf Bauer lächelnd ein. – –

Lüttich schwieg. Er ließ sich auf den Stuhl Hedwigs am Fenster nieder, blickte auf die Straße und trommelte mit den Fingern leise an der Fensterscheibe einen Walzer.

Bauer und Hedwig bemerkten es nicht einmal. Sie waren bald in tiefem Gespräche. Bauer erinnerte sich seines Freundes und bat in dessen Namen Hedwig um Entschuldigung, weil er ihr solchen Schrecken eingejagt habe.

»Es war eine tolle Idee,« entgegnete Hedwig lächelnd. »Saldern scheint ein kühner Reiter zu sein.«

»Das ist er,« versicherte Bauer. »Er ist oft nur zu kühn. Ich habe ihm prophezeit, daß er sich den Hals brechen wird.«

»Gnädiges Fräulein,« warf hier Lüttich ein, dem keines der Worte entgangen war, »ich habe nur Ihre schönen Blumen bedauert. Und wenn mein Leben davon abgehangen hätte, so würde ich es doch nicht über das Herz gebracht haben, Ihnen eine solche Freude zu zerstören. Auf Ehre, ich hätte es nicht gethan.«

»Bedauern Sie das nicht,« entgegnete Hedwig nicht ohne leichten Spott. »Sie wissen freilich, daß Ihr Leben und meine Blumen nie in Zusammenhang kommen werden. Der Schaden ist längst ausgebessert.«

»Ich begreife Saldern nicht,« fuhr Lüttich fort. »Sie haben indeß Genugthuung erhalten, denn der Major hat ihm deßwegen einen Verweis gegeben.«

»Der Major?« fragte Hedwig erstaunt, da sie doch nichts davon wußte. »Durch wen hat derselbe es erfahren?«

»Ihr Herr Vater hat sich bei ihm über Saldern's Streich beschwert,« gab Lüttich zur Antwort.

Eine dunkle Röthe überflog Hedwigs Wangen.

»Ist dem wirklich so, Herr v. Lüttich?«

»Ich versichere Ihnen – auf Ehre!«

»Dann hat irgend ein Unberufener meinen Vater dazu gedrängt und ihm einen schlechten Dienst damit erwiesen,« entgegnete Hedwig. »Es waren meine Blumen, die zertreten wurden, und doch habe ich den übermüthigen Streich seiner Kühnheit wegen verziehen. Wissen Sie nicht, wer meinem Vater den Rath gegeben hat?«

Lüttich kämpfte sichtbar mit der größten Verlegenheit. »Ich weiß es nicht, Fräulein,« entgegnete er. »Ich glaube kaum – ich zweifle sogar …« – Er stockte, fügte dann noch einige Worte hinzu und empfahl sich gleich darauf mit unverkennbarer Eile.

Hedwig mußte unwillkürlich lachen, als er das Zimmer verlassen hatte.

»Wissen Sie wirklich nicht, wer Ihrem Vater den Rath gegeben hat, sich an den Major zu wenden?« fragte Bauer.

»Doch – jetzt weiß ich es,« antwortete Hedwig.

»Ich darf also Saldern sagen, daß Sie ihm verziehen haben?« fragte der Doktor weiter.

»Sagen Sie es ihm lieber nicht,« sprach sie endlich. »Ich glaube, er würde darin nur eine Ermuthigung finden, und das würde mir doch nicht angenehm sein. Es wird schon über den ersten Streich viel in der Stadt gesprochen.«

»Ich werde ihn ermahnen, daß er es nicht wieder thut,« erwiderte Bauer. »Ertheilen Sie ihm nur Absolution.« Er hatte diese Worte mit leichtem Lächeln gesprochen.

Hedwig drohte ihm mit dem Finger. »Ihre Ermahnung würde nicht zu ernst ausfallen, Herr Doktor, denn …« sie vollendete ihre Worte nicht.

»Denn?« wiederholte Bauer fragend. »Sie wollten noch etwas hinzufügen, Fräulein.«

»Ja, denn ich glaube, Sie wären selbst eines solchen Streiches fähig!«

Der Doktor mußte laut auflachen. »Ich bin immer stolz auf mein ehrbares Aussehen gewesen,« erwiderte er scherzend. »Sie nehmen mir diesen Stolz.«

»Beruhigen Sie sich, Herr Doktor,« entgegnete Hedwig. »Ich will Sie durchaus nicht aufmuntern, Saldern nachzuahmen, allein so lange man jung ist, darf man auch seinen lustigen Launen etwas die Zügel schießen lassen. Lieber einen tollen Streich zu viel als gar keinen. Ich kann die strengen, pedantischen Menschen nicht leiden – denn sie sind langweilig.«

Sagte Hedwig dies mit Bezug auf Lüttich, dessen Anblick in der That schon Langeweile erregte?

Bauer glaubte das Letztere und schied in heiterster Laune von ihr.

 

Monate waren verflossen, seitdem er Hedwig auf einem Balle kennen gelernt hatte, und er hatte in der That wenig an sie gedacht. Jetzt wurde er ihr Bild nicht los. Ihr heiteres Wesen hatte einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht. Er wollte es sich selbst nicht gestehen, und doch vermied er es, mit Saldern an diesem Tage zusammenzutreffen, der ihn mit Ungeduld erwartete. Er wußte, daß dieser ihn mit Fragen bestürmen würde, daß er ihm jedes Wort, welches Hedwig gesprochen, wiederholen mußte, und hierzu fühlte er sich selbst nicht ruhig genug.

Erst am folgenden Morgen ging er zu ihm.

Saldern lag, wie gewöhnlich, so lang er war, auf dem Sopha. Hastig sprang er auf, sobald er den Doktor in die Thür treten sah.

»Doktor, Mensch, wo bleibst Du denn?« rief er. »Gestern habe ich Dich den ganzen Tag erwartet, und heute Morgen habe ich mich krank melden lassen, nur um zu Hause bleiben zu können, weil ich dachte, Du würdest früh kommen! Nun sprich, wo bist Du gestern gewesen?«

Ruhig nahm Bauer sein Notizbuch aus der Tasche und begann ihm eine Anzahl Namen vorzulesen, bei denen er am Tage zuvor ärztliche Besuche gemacht hatte.

»Doktor,« unterbrach ihn Saldern ungeduldig, »habe mich nicht zum Besten. Das magst Du wirklich jeden andern Tag thun, nur heute nicht!«

»Bist Du wirklich unwohl? Zeige Deinen Puls,« erwiderte Bauer, mit Mühe seine ernste Miene behauptend.

Saldern stampfte ärgerlich mit dem Fuße auf die Erde. »Wenn Du einmal Deinen verrückten Tag hast, so ist nichts mit Dir anzufangen!« rief er, fügte aber sogleich halb beruhigend und halb bittend hinzu: »Doktor, sei doch vernünftig. Bist Du gestern bei der Kleinen gewesen?«

»Natürlich.«

»Warst Du allein mit ihr?«

»Lüttich war bei ihr.«

Wieder stampfte Saldern ärgerlich mit dem Fuße.

»Dieser langweilige Mensch!« rief er. »Doktor, wenn er nicht bald ein Bein bricht, so daß er zum wenigsten einige Wochen nicht aus dem Hause gehen kann, so werde ich mich mit ihm schlagen.«

»Thue das,« erwiderte Bauer ruhig, »denn der ist viel zu vorsichtig, um sich ein Bein zu brechen.«

»Wie ist denn die Kleine gegen ihn?« fragte Saldern.

»Nun – artig.«

»Mensch, so sprich doch!« rief der Lieutenant ungeduldig. »Wenn Du schweigen sollst, sprichst Du in einem fort, und heute muß ich Dir jedes Wort abzwingen. Sprich – erzähle, Doktor.«

Bauer hatte den Freund zum Scherze lange genug gepeinigt, und erzählte ihm nun, wie er von Hedwig auf das freundschaftlichste empfangen sei, und wie sie ihm, Saldern, Verzeihung für seinen tollen Streich zugesichert habe. Auch das verhehlte er ihm nicht, daß sie Lüttich durchaus nicht zu lieben scheine und sogar angedeutet habe, daß er entsetzlich langweilig für sie sei.

Saldern jubelte laut auf. Er rief seinen Burschen und befahl ihm, einige Flaschen Wein zu holen. Er glaubte seinem Ziele schon nahe zu sein.

»Siehst Du, Doktor,« rief er, »das ist meine Idee, daß Du in das Haus der kleinen Treumännin gekommen bist! Hast Du mich denn auch ein wenig herausgestrichen?«

»Wie meinst Du das?« fragte Bauer, sich stellend, als ob er ihn nicht recht verstehe.

»Nun, ob Du ihr gesagt hast, ich sei eigentlich ein famoser Kerl, hübsch, gutmüthig und treu in der Liebe …«

Der Doktor unterbrach ihn mit lautem Lachen.

»Das wäre eine kolossale Lüge!« rief er. »Saldern, Du treu in der Liebe! Du hast mindestens schon ein Schock Mädchen geliebt!«

»Das hast Du doch der Kleinen nicht gesagt?« fiel der Lieutenant hastig ein.

»Ich hätte es eigentlich thun sollen,« fuhr Bauer fort. »So mußte ich Dich schon etwas herausreißen, weil sie weiß, daß Du mein Freund bist und sich unmöglich vorstellen kann, daß ich einen so leichtsinnigen Menschen, wie Du wirklich bist, Freund nenne.« –

»Doktorchen, Du bist ein Narr, wie sehr oft!« rief Saldern in heiterster Laune, indem er die Gläser, welche sein Diener gebracht hatte, füllte. »Sieh', Du bist immer stolz auf Deine Ideen, jetzt sollst Du eine neue Idee von mir hören. Famos sage ich Dir! Und obenein ist sie schon ausgeführt und zwar ohne Dich! Haha!«

»Nun, dann wird auch wohl wieder irgend eine Thorheit zum Vorschein kommen,« warf Bauer ein.

»Nein, keine Thorheit,« fuhr der Lieutenant, über sich selbst erfreut, fort. »Es ist eine feine Idee, auf Ehre, und sie ist gelungen. Höre zu! Ich wußte, daß gestern Morgen, als Du zum Rentier gehen wolltest, derselbe nicht zu Hause war. Ich dachte so: Wenn der Alte nicht zu Hause ist, wird die Tochter ihn empfangen, und wenn er einmal bei ihr ist, wird er sie auch unterhalten, erzählen, denn er hat zuweilen ganz glückliche Augenblicke. Hierauf hatte ich meinen Plan gebaut. Ich habe einen Photographen bestochen, der mußte gestern während der Zeit, als Du bei der Kleinen warst, sich in den Garten schleichen. Ich hatte ihn genau instruirt. In dem kleinen Gartenhause, welches gerade den Fenstern der Kleinen gegenüber ist, sollte er sein Instrument aufstellen und mir die Fenster, wenn die Kleine daran säße, abnehmen.«

»Saldern, bist Du toll?« unterbrach ihn Bauer.

»Im Gegentheil,« versicherte der Lieutenant. »Der Photograph ist ein Mensch, der sich gebrauchen läßt. Er hat meine Instruktion befolgt – ich habe gestern Nachmittag zu ihm geschickt – »alles vortrefflich gelungen,« hatte er mir sagen lassen. Mensch – Doktor – was sagst Du nun?«

»Ich begreife es noch immer nicht,« entgegnete Bauer. »Was hast Du von dem Bilde?«

»Da sieht man wieder, daß Du ein ganz leidlicher Mediziner bist, aber von Allem, was zur Liebe gehört, nichts verstehst. Ich habe mir vorläufig von dem Bilde zwei Dutzend Abzüge bestellt, die hänge ich alle dort an der Wand auf, alle vierundzwanzig, später noch mehr. Das wird Lüttich zur Verzweiflung bringen, wenn er es sieht, und wenn es die Kleine erfährt, wird es ihr Herz rühren. Verlaß Dich darauf, ich kenne die Mädchen besser als Du. Zugleich habe ich dem Photographen gesagt, daß er ein Bild an seinem Fenster aushängen, aber um keinen Preis verkaufen solle. Ich habe den Menschen anständig bezahlt, und er wird es nicht thun. – Nun, was meinst Du?«

Bauer mußte über die tolle Idee lachen.

»Und das hast Du wirklich allein ausgesonnen?« fragte er.

»Auf Ehre! Ganz allein!« versicherte Saldern. »Kein Mensch außer dem Photographen weiß darum. Ich will damit überraschen. Mein ganzes Zimmer will ich mit den Bildern tapezieren lassen. Jeden Augenblick muß ich die ersten beiden Dutzend erhalten. Die Kleine soll von all' den Bildern den ganzen Tag auf mich sehen!«

»Gieb Acht, Saldern, der alte Rentier wird sich auf's neue beim Major beschweren,« warf der Doktor ein. –

»Was geht mich der Alte sammt dem Major an!

Ich habe die Bilder, und die Kleine wird sich geschmeichelt fühlen und wird lachen.«

In dem Augenblick trat der Photograph in das Zimmer. Saldern sprang auf. »Haben Sie die Bilder?« fragte er.

»Zwei Dutzend. Sie sind vortrefflich gelungen. Klar bis in das kleinste Detail,« versicherte ihm der Photograph.

Mit Hast nahm ihm Saldern die Bilder ab. Kaum hatte er indeß einen Blick darauf geworfen, so rief er: »Was – was – ist das?«

»Was meinen Sie, Herr von Saldern?« fragte der Photograh unruhig.

»Was ich meine!« rief Saldern, indem Zorn sein Gesicht röthete. »Mensch – Photograph! Ich frage, was das hier ist? hier – wie der Mensch hierher kommt?«

»Ich verstehe Sie wirklich nicht, Herr Lieutenant,« erwiderte der Photograph.

»Sie verstehen mich nicht, Mensch! Sie haben mich zum Besten! – Ich bringe Sie um – auf Ehre, ich thue es! Hier – hier – dieser Mensch hier auf diesem Bilde! Sprechen Sie! Schnell – oder …!«

»Saldern, was hast Du denn?« rief Bauer, der noch nichts ahnte, und sprang auf.

Ein Blick auf das Bild erklärte ihm alles. Eine Sekunde lang blickte er Saldern an, der wie vernichtet dastand, dann brach er in ein lautes, schallendes Gelächter aus.

»Haha! eine unbezahlbare Idee! Köstlich!« rief er. »Saldern, Du willst wirklich alle diese Bilder an der Wand aufhängen? Köstlich! Ich werde Dir dabei helfen!« Er konnte vor Lachen nicht weiter sprechen. – Die trefflich gelungene, große Photographie zeigte die Wohnung des Rentiers, man erkannte sie auf den ersten Blick; aber am Fenster saß nicht Hedwig, sondern – der Lieutenant v. Lüttich.

Plötzlich fuhr Saldern auf den Photographen los, der in größter Verlegenheit dastand, weil er noch immer nicht begriff, welches Vergehen er begangen hatte.

»Mensch, verdammter Photograph!« rief er, indem er ihn an die Brust faßte. »Wollen Sie nun sprechen, wie der – der Mensch auf das Bild kommt! Ich morde Sie, wenn Sie den Mund nicht aufthun!«

»Ich kenne den Herrn gar nicht – er saß am Fenster,« erwiderte der Photograph stotternd.

»Natürlich! Hätte er hinter dem Ofen gestanden, so hätten Sie ihn nicht abnehmen können!« rief Saldern. »Ich will aber wissen, wie Ihnen die verrückte Idee in den Kopf gekommen ist, den – den Menschen auf das Bild zu bringen?«

»Sie haben mir aufgetragen, die Fenster des Rentiers aufzunehmen – das habe ich gethan – und haben hinzugefügt, ich solle den Zeitpunkt abwarten, bis eine kleine Person an dem Fenster sitze.«

»Ganz recht.«

»Sie sagten, dadurch werde die ganze Gegend eine schönere.«

»Auch das habe ich gesagt – nun weiter.«

»Als ich mich in das Gartenhaus geschlichen hatte, saß der Herr am Fenster und ich dachte, ein Offizier müsse sich noch schöner auf dem Bilde machen.«

»Mensch!« schrie Saldern, der seinen Aerger nicht länger bändigen konnte. »Mensch, man sollte Sie nach Ihrem Tode ausstopfen und in ein Museum bringen, nur Ihrer kolossalen Dummheit wegen! Ist denn Ihr Gehirn so klein, daß Sie es nicht eingesehen haben, daß ich für die Fenster des Rentiers nicht einen Pfennig gegeben haben würde, daß es mir nur darum zu thun war, das Bild der Kleinen, ich meine des Rentiers Tochter, in dem Fenster auf dem Bilde zu haben! Sprechen Sie, haben Sie das nicht eingesehen?«

»Das haben Sie mir nicht gesagt!«

»Pinsel von einem erwachsenen Menschen!« fuhr Saldern fort. »Glauben Sie denn, daß durch diesen Menschen da das Bild schöner geworden ist! Sie sollten auf Ihre Dummheit reisen! Sie kommen hundertmal um die ganze Erde damit, denn mein linker Stiefel ist klüger als Sie.«

Er zerriß die Bilder, welche er in der Hand hielt, in mehrere Stücke und warf sie an die Erde.

»Solche kolossale Einfältigkeit muß in der Weltgeschichte verzeichnet werden, ganz ausführlich,« fuhr er wieder fort, da er sich noch immer nicht beruhigen konnte. »Ich selbst werde eine schreiben, nur um dies hineinzubringen.«

Der Photograph schwieg erbittert. Es war ein armer, geduldiger Teufel, der es auf keinen Fall mit dem reichen Lieutenant verderben wollte. Saldern's Heftigkeit wurde ihm indeß doch zu viel, zumal er sich noch immer für unschuldig hielt.

Bauer fühlte Mitleid mit ihm.

»Du hättest deutlicher sprechen sollen,« bemerkte er. »Du selbst trägst einen Theil der Schuld!«

Saldern sah ihn erstaunt an.

»Auch Du noch!« rief er. »Du willst ihn wirklich in Schutz nehmen? Wenn ich nicht wüßte, daß Dein Verstand zu Zeiten mit Dir durchginge, so würde ich mich selbst für verrückt halten. Also deutlicher hätte ich sprechen sollen! Wahrhaftig, auch dies muß in die Weltgeschichte – gleich auf die erste Seite, damit es einem Jeden, der nur einen Blick hineinwirft, sogleich in's Auge fällt. Wenn ich zu Jemandem sage, er solle das Bild der kleinen Person, der Treumann, am Fenster aufnehmen, so sieht es doch ein Rohrstock ein, daß ich nicht diesen langbeinigen Menschen, den Lüttich, meine. Und wenn ich das Bild der Kleinen haben will, so versteht es sich doch von selbst, daß ich sie liebe, und wenn ich sie liebe, so versteht es sich gleichfalls von selbst, daß ich jeden andern Lieutenant, der sie besucht, zum Kukuk wünsche! Ist das noch nicht deutlich genug gesprochen?«

»Hätten Sie es mir nur so gesagt,« warf der Photograph ein.

»Still, Mensch – kein Wort weiter! Weßhalb haben Sie mir nicht gesagt, daß Sie so ungeheuer einfältig sind? Sogar meine Liese hätte mich verstanden, auf Ehre! Ich gehe eine Wette darauf ein. – Das ist nur ein Thier, und von Rechts wegen sollte jeder gebildete Mensch klüger sein!«

»Herr von Saldern!« rief der Photograph, der seine Erbitterung nicht mehr länger zurückzuhalten vermochte.

»Still! Schweigen Sie, oder ich bringe Sie noch um! – Nun sprechen Sie, unglückseliger Mensch, es hat noch kein Mensch eine Ahnung von – von diesem Bilde!«

»Doch,« erwiderte der Photograph.

»Wer – wer?« drängte Saldern.

»Der Herr, welcher an dem Fenster saß. Der Offizier hier auf dem Bilde war bei mir, und fragte, wer das Bild habe machen lassen.«

Saldern fuhr auf, als wenn ihn eine Schlange gebissen hätte.

»Wer – wer?« rief er. »Lüttich, der Lieutenant v. Lüttich war bei Ihnen?«

»Ich weiß nicht, wie der Herr heißt.«

»Dieser hier – mit den langen Beinen und dem langweiligsten Gesichte, das je ein Mensch besessen hat! Dieser hier?«

»Derselbe.«

»Woher weiß er es? – Mensch, so sprechen Sie doch! Lassen Sie sich doch nicht jedes Wort abfragen.«

»Er hat das Bild in dem Kasten vor meinem Hause gesehen.«

Wieder sprang Saldern in die Höhe.

»Mensch, Photograph! In dem Kasten sagen Sie! In dem Kasten haben Sie dies Bild ausgehängt?«

»Seit gestern schon. Sie haben es ja so befohlen.«

»Ich – ich!« rief der Lieutenant, der sich kaum mehr zu fassen vermochte. »Ich hätte gesagt, Sie sollten diesen langbeinigen Menschen in Ihrem Kasten aufhängen? So wollte ich doch, daß ein Strick hunderttausendmal von hier nach der Sonne gezogen und Sie an jeder Elle dieses Strickes hunderttausendmal aufgehängt würden! Und seit gestern hängt das Bild schon! Seit gestern? Die halbe Stadt muß es gesehen haben! – Mensch, ist es denn noch im Kasten?«

»Ja.«

Saldern sprang in die Ecke nach einem Stocke.

Ehe er indeß denselben erfaßt hatte, war auch der Doktor aufgesprungen und hatte den unglücklichen Photographen schnell zur Thür hinausgeschoben.

»Laufen Sie – laufen Sie!« rief er ihm nach.

Der Lieutenant lief aufgeregt, wüthend im Zimmer auf und ab. Endlich blieb er vor Bauer stehen, der mit Mühe das Lachen zurückhielt.

»Doktor, was sagst Du dazu?« rief er.

»Ich bin von Deiner Idee ganz entzückt,« erwiderte dieser. »Das Bild ist gelungen!«

Erstaunt blickte dieser ihn an. Er schien ungewiß zu sein, was er thun sollte. Dann schritt er hastig zur Thür und rief seinen Diener.

»Leuchte dem Herrn Doktor die Treppe hinab!« rief er dem eintretenden Burschen zu.

»Zu Befehl, Herr Lieutenant, aber es ist ja heller Tag,« warf der Bursche ein.

»Zum Kuckuk, so wirf ihn hinunter!« rief Saldern, durch des Burschen Einwand noch mehr aufgebracht, und versetzte ihm zugleich einen Hieb mit dem Stocke.

Der Diener eilte aus dem Zimmer.

Ruhig war Bauer stehen geblieben. So wüthend hatte er den Freund noch nie gesehen. Er durfte ihn durch seinen Scherz nicht noch weiter treiben.

Beruhigend trat er auf ihn zu und legte die Hand auf seine Schulter.

»Saldern, nun sei einmal vernünftig und ruhig,« sprach er. »Es ist eine dumme Geschichte, Du hast Recht.«

Saldern stand, ihm den Rücken zugekehrt, und schwieg. –

»Wir wollen zusammen überlegen, was zu thun ist,« fuhr der Doktor fort. »Komm, sei vernünftig!«

Immer schwieg der Angeredete noch.

»Der Rentier wird zum Major laufen, und diesmal kommst Du ohne Nase nicht weg.«

Auch jetzt erwiderte Saldern noch kein Wort. Er rührte sich nicht.

»Nun, so laß Dich meinetwegen in der ganzen Stadt auslachen!« rief Bauer endlich ungeduldig und ergriff seinen Hut, um fortzugehen. »Das hast Du von Deinen originellen Ideen.«

Jetzt erst wandte sich der Lieutenant hastig um und erfaßte seinen Arm, um ihn zurückzuhalten.

»Bleib!« sprach er. »Du sollst bleiben! – Den Major sammt dem Rentier mag meinetwegen der Kuckuk holen; ich werde mir wahrhaftig keine Mühe geben, daß er sie wieder bringt! Aber die Kleine wird vielleicht ärgerlich werden.«

»Sicherlich,« warf der Doktor ein. »Und Lüttich wird in der ganzen Stadt mit dem Bilde renommiren, und schließlich wird ihm der Rentier, um allem Gerede ein Ende zu machen, seine Tochter geben!«

»Doktor, sei ruhig!« fiel der Lieutenant hastig aufgeregt ein. »Sei still! Entweder bist Du schon verrückt, oder – ich werde es!«

»Du bist auf dem Wege,« bemerkte Bauer ruhig.

»Ich glaube es selbst,« fuhr Saldern fort. – »Lüttich die Kleine haben! Der – der langbeinige Mensch die Treumännin! – Sieh, Doktor, wahrhaftig, lieber würde ich sie Dir noch gönnen, obschon ich weiß, Du würdest die arme Kleine unglücklich machen, denn von Mädchen verstehst Du nichts. Wenn aber Lüttich sie wirklich bekommt, sieh, so wahr ich Saldern heiße, ich schieße ihn an demselben Tage, an dem er seine Verlobung feiern will, todt! Auf Ehre, das thue ich!«

»Dazu hast Du noch Zeit,« warf der Doktor ein. »Was willst Du aber jetzt thun?«

»Ich weiß es wahrhaftig nicht! – Hilf mir, Doktor!«

Bauer sann nach.

»Gut, ich will für Dich thun, was ich kann,« erwiderte er endlich. »Ich will zu dem Rentier gehen und hören, wie er und Hedwig die Sache aufgenommen haben; versprich mir aber, daß Du nichts ohne mich thun willst – nichts, Saldern! Du siehst, wie man Deine besten Ideen ausführt!«

Saldern stieß einen leisen Fluch auf den Photographen aus, und auf Lüttich, weil er so unverschämt gewesen sei und sich auf der Kleinen Stuhl gesetzt habe. Dann gab er dem Freunde das verlangte Versprechen.

 

Die Angelegenheit nahm eine weit größere Bedeutung und Ausdehnung an, als sowohl Saldern wie der Doktor geahnt hatten. Dadurch, daß das Bild einen ganzen Tag in dem Kasten des Photographen ausgehängt gewesen war, hatten fast alle Bewohner der kleinen Garnisonstadt dasselbe kennen gelernt. Es war ferner – Niemand wußte, durch wen – bekannt geworden, auf welche Weise und durch welches Mißverständniß dasselbe entstanden war, und die ganze Stadt lachte auf Saldern's Kosten. Er erfuhr es und verwünschte tausendmal, je in seinem Leben eine Idee gehabt zu haben. –

Lüttich bildete sich viel darauf ein, daß er an des Rentiers Fenster photographirt sei und die scherzhaften Fragen seiner Kameraden, daß er nun wohl auch bald an Hedwig's Seite abgebildet werde, nahm er als Ernst auf und bemühte sich, sehr verschmitzt dazu zu lächeln.

»Wer weiß, was geschieht,« erwiderte er, fügte aber sogleich, als wenn es einer Rechtfertigung bedürfe, daß er sich so weit herablasse, das reiche Mädchen zu heirathen, hinzu: »Uebrigens ist das Mädchen wirklich ein allerliebstes Kind, der Alte hat entsetzlich viel Geld, und er und seine Tochter haben ein Auge auf mich geworfen. Ich imponire ihnen. Auf Ehre!«

Dabei strich er den Schnurrbart und ließ seine Stiefel, an deren Glanz wirklich nichts zu tadeln war, in der Sonne spiegeln.

Wirklich erbittert waren aber Hedwig und ihr Vater und Beide sprachen dies auf das offenste gegen Bauer aus. Vergebens suchte dieser den Jugendfreund in Schutz zu nehmen. Treumann beschwerte sich aufs neue beim Major, und diesmal erhielt Saldern acht Tage Stubenarrest.

Saldern lachte laut auf, als ihm dies angekündigt wurde.

»Sieh', Doktor,« sprach er zu diesem, »Du weißt, der Major ist mein Freund nicht, aber hiermit hat er mir wirklich einen Gefallen gethan. Zur Belohnung will ich auf dem ersten Balle im nächsten Winter mit jeder seiner vier Töchter einmal tanzen, wenn ich anders noch hier bin und die Mädchen noch am Leben sind. Sie sind alle vier nicht mehr jung, Du bist außerdem ihr Hausarzt, da muß man sich jeden Tag auf ihren Tod gefaßt machen. – In acht Tagen ist der ganze dumme Witz mit dem Bilde vergessen, jetzt lacht wahrhaftig jeder Milchjunge auf der Straße, wenn er mich sieht. Das ist in acht Tagen vorbei. Wäre ich nicht ein wirklich gutmüthiger Kerl – Doktor – lache nicht, wenn ich einmal ernsthaft bin – wäre ich nicht wirklich gutmüthig, sieh', ich hätte dies ganze Nest, diese Stadt, längst in Flammen aufgehen lassen und wäre dann in aller Ruhe auf meiner Liese davongeritten.«

Während, wie er wußte, der Major in dem nahen Weinkeller saß, schickte er seinen Burschen dorthin und ließ einige Dutzend Flaschen des besten Weines holen und Bauer mußte ihm das Versprechen geben, ihm Gesellschaft zu leisten, so oft es seine Zeit zuließ.

Alles ging in den ersten Tagen des Arrestes vortrefflich. Um die Kleine zu versöhnen, hatte er allerdings die Idee gehabt, ihr eine feine Morgenmusik bringen zu lassen; zum Glück hatte er seine Idee zuvor dem Doktor mitgetheilt; dieser hatte ihm dieselbe ausgeredet und ihm möglichst klar bewiesen, daß er die Sache dadurch nur noch schlimmer mache und den Rentier immer mehr erbittere.

 

Es war am dritten Tage des Arrestes. Beide Freunde saßen zusammen auf dem Sopha bei einer Cigarre und einem Glase Wein. Saldern war sehr heiter gestimmt. Bauer, der am Morgen bei dem Rentier gewesen war, hatte ihm erzählt, daß die Kleine schon wieder versöhnlicher gegen ihn gesinnt war. Sie hatte sogar über die verfehlte Idee des Lieutenants gelacht.

»Siehst Du, Doktor,« rief Saldern. »Im Anfange hat sie sich geärgert, allein meine Idee hat ihr doch imponirt. Das wollte ich. Es wird alles gut und Lüttich bekommt sie auf keinen Fall. Er soll sie nicht haben.«

Der Doktor zuckte zweifelnd mit den Achseln.

»Sei still!« fuhr Saldern fort. »Ich weiß, Du wirst mich jetzt auslachen, das ist mir indeß ganz gleichgültig, wahrhaftig. Sieh', in unserer Familie ist es erblich, daß sie Ahnungen hat, die stets eintreffen. Lache nur, das kostet nichts und wahr ist es doch. Namentlich meine Mutter hat viel derartige Ahnungen oder Träume gehabt und sie sind stets eingetroffen. Ich erinnere mich noch eines Falles genau. Ich war ungefähr sechs Jahr alt. Da träumte einmal meine Mutter Nachts, ich sei aus dem Fenster gestürzt, drei Stockwerk hoch und natürlich todt und an demselben Tage erschoß sich der Diener meines Vaters.«

Jetzt lachte der Doktor wirklich laut auf.

Saldern sah ihn erstaunt an.

»Der Traum traf doch so weit ein, daß es an demselben Tage ein Unglück in unserm Hause gab,« sprach er. »Ich bin wahrhaftig nicht abergläubisch, aber es gibt Ahnungen und ich glaube daran. So habe ich jetzt die sichere Ahnung, daß noch alles gut werden wird. Lüttich wird bei der Kleinen abblitzen, sie wird sich mit mir versöhnen, meine Vorzüge anerkennen und mein werden.«

»Wenn ich sie nun heirathen will?« warf Bauer lachend ein.

»Doktor, Du bist ein Narr,« entgegnete Saldern. »Erstens kannst Du gar keine Frau gebrauchen, zweitens würde Dich die Kleine nie nehmen, drittens wäre es eine Schmach, wenn Du, solider Mensch, der nicht einmal Schulden macht, das ganze respektable Vermögen des Rentiers erhieltest und viertens – viertens …«

Hier wurde er durch das Eintreten des Lieutenants v. Lüttich unterbrochen.

Erstaunt sprang er auf. Den hatte er am wenigsten erwartet.

Lüttich schien im ersten Augenblick verlegen zu sein, als er Bauer erblickte, indeß faßte er sich bald. »Kamerad,« sprach er, »Sie sehen, ich trage Ihnen nichts nach. Ich war anfangs ärgerlich auf Sie wegen des Bildes, nachher habe ich indeß herzlich darüber gelacht! Auf Ehre!«

»Ich habe nicht darüber gelacht,« erwiderte Saldern, mit Mühe seine Erbitterung zurückhaltend.

»Saldern, sei vernünftig und ruhig,« flüsterte ihm der Doktor zu.

»Doch, doch, Kamerad, ein Hauptspaß von Ihnen!« fuhr Lüttich fort. »Ein göttlicher Gedanke! Und ich habe eine Bitte an Sie, Kamerad, die führt mich hierher. Der Photograph ist ein beschränkter Mensch, ist nichts mit ihm aufzustellen, will mir das Bild nicht verkaufen, welches er ausgehängt hatte. Aber ich weiß, daß Sie sich zwei Dutzend haben machen lassen. Saldern, ich kaufe sie Ihnen alle ab.«

»Wirklich?« warf Saldern spöttisch ein.

»Auf Ehre, ich thue es! Sie wissen, ich habe Aussicht auf des Rentiers Tochter. Der Alte poussirt mich außerordentlich. Ich dachte anfangs nicht daran – sie ist nicht vom Adel, allein durch das Bild ist sie gewissermaßen bloßgestellt in der ganzen Stadt. Sie dauert mich! Uebrigens ein charmantes Kind, abgesehen davon, daß sie keine Geburt hat – haha! Aber der Alte hat Geld! Gleicht sich gewissermaßen aus. Ich meine, Kamerad, da kann man über die Geburt ein Auge zudrücken. Denken Sie nicht auch?«

»Gewiß – gewiß!« entgegnete Saldern gepreßt.

»Haha! Sie haben auch ein Auge auf das Kind – hilft Ihnen nichts, Kamerad! Geben Sie den Gedanken auf – ich habe den Alten und Ihr Herz für mich! Hilft Ihnen also gar nichts! Verkaufen Sie mir deßhalb die Bilder. Sie haben sie doch hoffentlich noch?«

Saldern wollte nun endlich, losfahren. Bauer hielt ihn heimlich zurück.

»Nicht alle mehr – indeß noch einige,« erwiderte Saldern.

»Charmant, Kamerad. Also ich erhalte sie?«

»Gegen eine Bedingung.«

»Welche? Sprechen Sie.«

»Sie geben mir Ihr Pferd dafür.«

Erstaunt blickte Lüttich ihn an.

»Mein Pferd!« rief er. »Kamerad, Sie scherzen!«

»Ich scherze nicht.«

»Mein Pferd für diese Bilder! Haha! Was wollen Sie denn damit? Ihre Stute ist viel besser.«

»Meinen Sie!« warf Saldern spöttisch ein. »Ich hatte auch etwas Anderes mit Ihrem Pferde vor, als darauf zu reiten.«

»Was denn? Haha! Sprechen Sie, Kamerad!«

»Ich wollte ihm eine Kugel durch den Kopf schießen, denn ich ärgere mich über das steifbeinige Thier, so oft ich es sehe.«

Lüttich stutzte. Er trat einen Schritt zurück. Er wußte selbst nicht, war es Scherz oder Ernst. – Saldern's Gesicht sah nicht scherzhaft aus. »Das ist eine Beleidigung für mich!« rief er endlich.

Saldern zuckte spottend die Achseln.

»Ich werde Genugthuung von Ihnen verlangen,« fuhr Lüttich fort. »Auf Ehre, ich werde es thun.«

»Wie es Ihnen beliebt,« erwiderte Saldern ruhig.

»Wir werden uns wieder sprechen!« rief Lüttich und verließ ohne Gruß das Zimmer.

Saldern lachte laut auf.

»Endlich bin ich den Narren los!« rief er. – »Haha! So oft man von steifen Beinen spricht, fühlt er sich beleidigt! Wenn man auch sein Pferd im Sinne hat, er bezieht alles auf seine eigenen Beine.« –

»Er wird Dich fordern,« warf Bauer ein, der Lüttich zwar den Aerger gönnte, aber doch einen andern Ausgang gewünscht hätte.

»Ich freue mich darauf,« entgegnete Saldern. »Ich habe diesem Menschen schon längst etwas zugedacht. Solche Impertinenz ist mir noch nicht vorgekommen, die Bilder mir abkaufen zu wollen! Es wird ein Hauptspaß werden, wenn ich ihm in die langen Beine schieße!«


Noch an demselben Tage ließ Lüttich durch einen ihm befreundeten Offizier Saldern die Forderung überbringen, welche dieser lachend annahm. Natürlich mußte das Duell so lange unterbleiben, als Saldern's Arrest währte, indeß wurden Tag, Stunde und Ort sogleich festgesetzt. Es sollte indeß noch länger unterbleiben.

Lüttich, der nicht den leichten, sorgenlosen Muth besaß, wie Saldern und wußte, daß dieser vortrefflich schoß, benutzte die ihm gewährte Frist, um auch sich so viel als möglich im Schießen zu üben. Er hatte wirklich die Absicht, Saldern todtzuschießen, denn dessen Bemerkung über sein Pferd hatte ihn tief verletzt und zugleich wurde er dadurch einen Nebenbuhler los, den er mehr als zuviel fürchtete. Den ganzen Tag schoß er nach der Scheibe. Saldern, der dies durch Bauer erfuhr, lachte darüber.

»Laß ihn, Doktor,« rief er. »Ich schieße ihm doch in seine langen Beine!«

An dem letzten Tage vor dem Duell, an welchem Saldern's Stubenarrest zu Ende ging, hatte Lüttich indeß beim Schießen das Unglück, daß ihm die überladene Pistole sprang und seinen rechten Arm erheblich verletzte. Natürlich mußte das Duell hinausgeschoben werden und es ließ sich nicht einmal voraussehen, auf wie lange Zeit. Saldern war ärgerlich darüber. Es war ihm ein Hauptspaß verdorben, wie er sagte. Doch schon einige Tage später sollte er eine Nachricht erhalten, welche ihm diesen Zwischenfall vollkommen erwünscht sein ließ.

Bauer besuchte an diesem Tage den Rentier, traf indeß nur Hedwig zu Hause. Auf Lüttich's Unfall kam die Rede.

»Ich weiß jetzt, weßhalb derselbe in der letzten Zeit so fleißig geschossen hat,« sprach Hedwig lächelnd.

»Nun?« fragte Bauer völlig ruhig, da er fest überzeugt war, sie könne den wahren Grund nicht wissen, da das Duell natürlich als größtes Geheimniß bewahrt war.

»Habe ich nöthig, es Ihnen zu sagen, Herr Doktor?« warf Hedwig ein.

»Ich weiß von nichts.«

»Wie Sie sich verstellen können! Er hat sich mit Saldern schießen wollen.«

»Sie wissen das, Fräulein!« fiel Bauer erschreckt ein. –

»Seien Sie ohne Sorge, ich verrathe nichts. Ich weiß sogar, worüber der Streit zwischen ihnen entstanden ist: – über Lüttich's Pferd. Diesmal hat Saldern Recht. Auch ich habe das Thier, das früher mein Vater besaß, nie leiden können. Es ist wirklich entsetzlich steif.«

»Ich begreife nicht, woher Sie das Alles wissen!« rief der Doktor. Hedwig lächelte.

»Sie wissen doch, daß mein Vater mit Lüttich befreundet ist,« erwiderte sie. »Er hat ihn besucht, als er den Unfall erfuhr und Lüttich hat ihm alles erzählt. Begreifen Sie es nun? – Mir thut Lüttich leid. Ich glaube, er ist ein gutmüthiger Mensch, allein er ist zugleich entsetzlich langweilig und jetzt habe ich doch zum wenigsten die Aussicht, daß er mich in einigen Wochen nicht besuchen und nicht quälen wird.«

»Sie freuen sich darüber?« warf Bauer ein.

Hedwig blickte ihn erstaunt an. »Natürlich freue ich mich darüber!«

»Dann werden Sie ihn also nicht heirathen?«

Hedwig fand diesen Gedanken so lächerlich, daß sie laut auflachen mußte. »Herr Doktor,« rief sie, »haben Sie dies wirklich je glauben können!«

Bauer zuckte lächelnd mit den Achseln. »Es wollte mir allerdings nicht recht in den Kopf, aber Lüttich rechnet fest darauf.«

»Er ist ein Narr,« unterbrach ihn Hedwig. »Ich bin ihm artig entgegen gekommen, weil er ein Freund meines Vaters ist. Besäße er indeß nur etwas Scharfblick, so würde er längst empfunden haben, daß mir seine häufigen Besuche nicht angenehm sind. Ich werde noch etwas kälter gegen ihn sein müssen, als ich bereits bin, damit nicht solche tolle Ideen in ihm aufsteigen.«

»Seien Sie das, – seien Sie das,« sprach Bauer, indem er schnell, fast hastig aufstand. »Seien Sie noch kälter gegen ihn,« wiederholte er noch einmal. Er reichte ihr die Hand zum Abschiede, drückte leise ihre Hand und verließ dann, als habe ihn eine plötzliche Unruhe erfaßt, schnell das Zimmer.

Erstaunt blickte Hedwig ihm nach. Seine Unruhe und Hast fielen ihr auf und doch begriff sie beides nicht. Weßhalb hatte er die Worte: »Seien Sie kälter gegen ihn,« so scharf betont?

Ihre Gedanken verloren sich immer mehr in Vermuthungen und Träumen. Den Kopf in die weiße, kleine Hand gestützt, saß sie da. Ihr Auge blickte durch das Fenster in den Garten. Auf den Blumen unter ihrem Fenster blieb ihr Blick haften und doch dachte sie nicht an Blumen. Ihr Herz schlug schneller, aufgeregt, und sie wußte selbst kaum, weßhalb. Zum wenigsten mochte sie sich den Grund nicht eingestehen. Es gibt ja Gefühle in der Brust eines jungen Mädchens, welche so heimlich und so schüchtern auftreten, daß sie sich vor dem eigenen Kopfe scheuen.

 

Aufgeregt schritt der Doktor die Straße entlang dem nahen Thore zu. Er fühlte, daß das Blut in seine Wangen geschossen war, und er suchte das Freie auf, um keinem Bekannten zu begegnen, um womöglich allen Menschen ausweichen zu können, als wäre ein Jeder im Stande gewesen, den Grund seiner Aufregung zu errathen.

Als er am Abend Saldern besuchte, war er wieder ruhig genug, um ihm Hedwig's Worte mit größter Unbefangenheit zu erzählen.

Saldern jubelte auf. »Sieh', Doktor,« rief er, »das wußte ich sogleich, daß Lüttich uns eine kolossale Lüge sagte, als er erzählte, er habe Aussicht auf die Kleine. Wahrhaftig, hätte sie den langbeinigen Menschen genommen, ich hätte ihr meine Verachtung auf eine ganz eklatante Weise ausgedrückt. Ich wußte, daß es unmöglich war, ebenso unmöglich, wie sie jemals Dich nehmen würde.«

»Weßhalb mich nicht?« fragte Bauer lächelnd.

Saldern blickte ihn verlegen an. Er wußte in dem Augenblick keinen Grund für diese Unmöglichkeit.

»Weil – weil sie mich nehmen soll,« erwiderte er endlich. »Sie kann doch wahrhaftig nicht zwei Männer auf einmal nehmen! Wärest Du Jurist, so müßtest Du wissen, daß das verboten ist, und ich finde das ganz in der Ordnung. Uebrigens habe ich Dir schon neulich weitläufig auseinandergesetzt, weßhalb die Kleine nicht für Dich paßt. Hast Du das schon wieder vergessen?«

»Nein, ich entsinne mich,« lachte der Doktor.

»Höre, ich habe eine kostbare neue Idee!« rief Saldern.

»Denke an die Bilder,« unterbrach ihn Bauer warnend.

»Unterbrich mich nicht, Doktor,« fuhr der Lieutenant fort. »Diesmal kommt es anders. Aber Du mußt mir dabei helfen.«

»Sprich nur.«

»Eine gelungene Idee, die, wenn sie gut ausgeführt wird, Lüttich noch mehr ärgern wird, als wenn ich ihm beide Beine zerschieße. Wir wollen die Zeit, während er nicht aus dem Hause kann, benutzen. Wenn sein Arm wieder hergestellt ist, muß die Kleine mein sein.«

»Wie willst Du das beginnen?«

»Höre mich nur an. Wir müssen eine Gelegenheit herbeiführen, bei der ich mit der Kleinen zusammenkomme. Gelingt uns das, so kannst Du alles Andere mir überlassen. Wenn ich nur eine Viertelstunde allein mit ihr sprechen kann. Doktor, Du mußt dies machen. Du kennst ja sie und den Alten. Du kennst überhaupt die ganze Stadt, ich meine alle anständigen Menschen darin, und weiß der Kukuk, Alle haben Dich gern, wenn ich auch nicht begreifen kann, weßhalb.«

»Weil ein Dein Freund bin,« warf der Doktor scherzend ein.

»Wahrhaftig, ich glaube, Du hast Recht,« fuhr Saldern fort. »Doktorchen, Du mußt ein feines Sommerfest arrangiren, Du weißt, so eine Art Picknick, wozu ein Jeder etwas mitbringt und sich an den Herrlichkeiten der Andern etwas zu gute thut. Die Kleinstädter lieben das, denn bei der Gelegenheit ißt ein Jeder dreimal so viel, als er selbst mitgebracht hat; das ist wohlfeil. Doktor, Du mußt das besorgen, wahrhaftig! Im Walde, an dem kleinen See, feiern wir die Geschichte. Herrlicher Platz dazu! Schöner Rasen und des Abends viele Mücken, da darf man doch zum wenigsten eine Cigarre rauchen, der Mücken wegen, wenn man zwischen zwei Damen sitzt. Du ladest die Kleine ein und ihren Alten, – er braucht ja nicht zu kommen, wenn nur die Kleine nicht ausbleibt. Ich liefere Champagner, das heißt für uns und sie, und bestelle ein Feuerwerk, das wird am Abend plötzlich zwischen den Bäumen abgebrannt. Bengalische Flammen auf dem Teiche und zwischen den Bäumen mit blauen Flammen der Name ›Hedwig.‹ Famos! Doktor, herrlich! Du darfst aber vorher nichts sagen. Kein Wort, oder ich ermorde Dich! Die Kleine muß überrascht werden. Ausgezeichnet! Erst Pfänderspiel, dann sitze ich beim Essen neben der Kleinen, und wenn das Feuerwerk losgeht, so stehe ich hinter ihr, und sobald der Name brennt, flüsterte ich ihr ins Ohr, daß ich die ganze Geschichte besorgt hätte! Doktor was meinst Du dazu?«

Er war aufgesprungen, denn die Trefflichkeit seiner Idee hatte ihn selbst begeistert.

Bauer mußte lachen. Er selbst hatte im Stillen ziemlich denselben Plan gehabt.

»Es wird gehen,« erwiderte er.

»Es muß gehen,« fiel Saldern ein. »Doktor, ich sage, es muß gehen. Du kannst Alles, wenn Du nur willst. Es wird ein famoser Tag, und Lüttich bekommt die Schwindsucht aus Aerger. Der Platz im Walde, wundervoll! Doktor, denke Dir, wenn die Kleine in den See fiele, ich meine aus Versehen, und ich könnte sie dann retten! Du weißt, ich schwimme wie ein Fisch. Ich trüge sie in meinem Arme ans Ufer. Sie schlüge dann die Augen auf und sähe mich! – Du mußt das besorgen!«

»Daß sie in das Wasser fällt?« fragte Bauer scherzend.

»Mensch, nimm Deine Gedanken zusammen! Ich meine das Picknick mit Waldvergnügen! Aber bald muß es ausgeführt werden, sonst läuft Lüttich wahrhaftig auch mit!«

»Wenn nun aber die Kleine nicht mitgeht?«

»Sie muß mitgehen!« rief Saldern. »Du bist ja des Rentiers Hausarzt. Du schwatzest ihm irgend ein Uebel ein und empfiehlst ihm dann frische Waldluft mit Picknicks! Sie müssen. Mein Feuerwerk soll ausgezeichnet werden! Doktor, wenn Du solch' ein Fest zu Stande bringst, schenke ich Dir einen Korb des feinsten Champagners!«

»Es gilt!« rief Bauer und hielt ihm die Hand hin.

Saldern schlug so kräftig darein, daß der Doktor schnell die Hand zurückzog.

»Es gilt!« rief der Lieutenant jubelnd. »Den Champagner erhältst Du! Auf Ehre!«


Acht Tage waren verflossen. Durch Bauers Bemühungen war wirklich ein Picknick beschlossen und eine Anzahl Familien wollte daran Theil nehmen. Wer heirathsfähige Töchter besaß, hatte geglaubt, dem jungen Arzte die Bitte um Theilnahme nicht abschlagen zu dürfen. Auch der Rentier und Hedwig hatten sich zu dem Picknick bereit erklärt.

Saldern hatte während der ganzen Zeit eine fast unglaubliche Thätigkeit entwickelt.

Das Feuerwerk war vollendet und der Name »Hedwig« sollte in blauen und rothen Flammen brennen. »Liebe und Treue« deutete er diese Farben. Jeden Tag war Saldern zu dem Platze im Walde geritten, an welchem das Fest stattfinden sollte, um noch irgend eine neue Ueberraschung für Hedwig auszusinnen.

Mit Genehmigung des Försters hatte er das Gras auf dem Rasen ringsum kurz abmähen lassen und ein kleiner Kahn war auf seine Veranlassung und Kosten auf den Teich gefahren.

»Wenn die Kleine sich von mir in dem Kahn fahren läßt,« sprach er zu sich selbst, »so habe ich die beste Gelegenheit, ihr ungestört zu sagen, daß ich sie liebe. Und ich kehre nicht eher ans Ufer mit ihr zurück, bis sie mir gestanden hat, daß auch sie mich liebt. Sie muß es gestehen.«

In der Nähe, zwischen Gebüsch versteckt, hatte er sogar eine kleine Laubhütte bauen lassen. Dorthin wollte er Hedwig führen und ihr Schillers Worte zuflüstern:

»Raum ist in der kleinsten Hütte
Für ein glücklich liebend Paar.«

Fast eben so sehr war Bauer in Anspruch genommen gewesen. Endlich waren aber alle Vorkehrungen an dem Tage vor dem Feste vollendet und er athmete freier und leichter auf. Noch einmal ging er gegen Abend dieses Tages zu dem Rentier. Derselbe war ausgeritten und er ging deßhalb zu Hedwig, welche im Garten war. In einer schattigen, dunklen Laube traf er sie.

Ein leichtes, flüchtiges Roth glitt über Hedwig's Wangen, als er unvermuthet vor sie hintrat. Sie erhob sich. Eine Verlegenheit, welche er nie bei ihr bemerkt hatte, vermochte sie nicht zu verbergen. Schnell überwand sie dieselbe indeß. Einen Gartenstuhl rückte er ihr gegenüber und nahm darauf Platz.

In dem ersten Augenblick schien ihre Unterhaltung stocken zu wollen, bald wurde sie indeß wieder freier und leichter.

»Einen solchen Abend wünsche ich uns morgen,« sprach Bauer, indem sein Blick mit einem weichen Ausdruck über den Garten glitt, auf welchem die Sonne ihre scheidenden, goldenen Strahlen warf, – »einen solchen stillen, schönen Abend im Walde! Und dann, Fräulein, bringen Sie eine ebenso heitere und sonnige Laune mit.«

Er blickte Hedwig an. Eine Sekunde lang ruhten ihre Augen auf einander, dann senkte sie ihre Lider und wieder überzog eine leichte Röthe ihr Gesicht. Sie schien es zu fühlen und gewaltsam das Gefühl, welches sie beschlichen hatte, zurückzudrängen. Wieder schlug sie das Auge auf. »Ich bin noch unentschlossen, ob ich an dem Vergnügen Theil nehmen werde,« erwiderte sie.

»Sie scherzen,« warf der Doktor schnell, fast erschreckt ein. »Sie haben es mir fest versprochen.«

»Das habe ich.«

»Und weßhalb wollen Sie Ihren Entschluß ändern?«

Sie zögerte mit der Antwort. Sie schien noch zu schwanken, ob sie den Grund sagen dürfe.

»Sprechen Sie, Fräulein,« drängte Bauer, und seine Stimme klang, als ob sie leise bebe.

»Ihr Freund Saldern hat erklärt, daß er mir morgen seine Liebe gestehen werde,« sprach Hedwig endlich. »Dem möchte ich ausweichen, um ihn nicht streng zurückweisen zu müssen.«

Bauer konnte nicht leugnen, daß sein Freund diese Absicht hatte.

»Fräulein, ich halte das nur für einen Scherz von ihm,« erwiderte er.

»Und wenn es nur Scherz ist, wie soll ich ihm entgegentreten, was soll ich ihm entgegnen? So weit ich ihn kenne, halte ich ihn zu jeder Keckheit fähig.«

Ueber des Doktors Gesicht zuckte es wie ein leichtes, flüchtiges Lächeln.

»Fräulein, sagen Sie ihm, Sie seien meine Braut!« rief er.

Hedwig bebte leise zusammen. Dunkles Roth schoß über ihr Gesicht und einen Augenblick rang sie nach Fassung. Dann fand sie den richtigen Ton wieder und antwortete: »Würde er sich durch solch einen Scherz zurückschrecken lassen?«

Bauer hatte ihr Zusammenzucken und Erröthen gesehen. Auch ihm stieg das Blut ins Gesicht. Schnell wie der Gedanke ihm gekommen war, hatte er die Worte ausgesprochen. Hätte er nur eine Minute lang darüber nachgedacht, so würde er es nicht gethan haben.

Es war geschehen. Die Schranke, die um seine geheimsten Gefühle gezogen war, war durch ein scherzendes Wort gebrochen. Aufgeregt stand er auf und trat zu ihr.

»Hedwig, und wenn es nun kein Spaß wäre?« sprach er.

Er wollte ihr ins Auge sehen, um daraus ihre innersten Gedanken im Voraus zu lesen, ehe ihr Mund ein Wort sprechen konnte. Sie hatte das Auge niedergeschlagen, dunkle Röthe hatte ihr Gesicht überzogen. Er sah sie leise zittern.

Sie schwieg.

»Hedwig,« fuhr er fort und seine Stimme klang schmeichelnd, weich und innig, »das Wort aus Ihrem Munde würde mich zum glücklichsten aller Menschen machen. Wollen Sie es sagen?«

Sie schwieg immer noch. Er sah, wie sie mehr und mehr die Fassung verlor.

»Kann Sie dies Wort beleidigen!« rief er mit wachsender Leidenschaft. »Sollte wirklich Ihr Herz schon einem Andern gehören?«

Jetzt sah sie auf. Ihre Brust holte tief und schnell Athem.

»Nein!« preßte sie hervor. Mehr vermochte sie nicht zu sagen.

»Dann lassen Sie es mir gehören!« rief er, indem er ihre Hand erfaßte. »Ich will es hoch und heilig halten, wie meinen Gott! Geben Sie es mir, Hedwig! Der Augenblick hat hervorgerufen, was schon lange mein Herz erfüllt hat. Ich habe Sie geliebt seit der ersten Stunde, in der ich Sie auf dem Balle sah. Mit keinem Worte habe ich bis jetzt Ihnen meine Liebe verrathen, weil ich das Glück, Sie zu besitzen, zu groß für mich hielt, weil ich mir selbst wie vernichtet, wie ein Nichts vorkam, wenn ich daran dachte, Sie zu erringen! Hedwig! und sie haben kein Wort für mich – kein Wort!«

Noch eine Sekunde lang rang sie mit sich selbst, dann blickte sie zu ihm auf. Sie sprach kein Wort, aber in ihrem Blicke lag mehr, als tausend Worte zu sagen vermöchten.

»Mein – mein für immer,« wiederholte er flüsternd, und sie rang sich nicht los; wie ein schwaches Echo klang es leise von ihren Lippen: »Für immer!«

Das ist und bleibt der heiligste und schönste Augenblick in dem ganzen Menschenleben, in dem zwei Herzen, die schon im Stillen für einander geschlagen haben, sich finden. Kein fremder Hauch, kein unreiner Gedanke drängt sich dazwischen. Wenige Minuten zuvor noch ängstlich und beklommen, und nun mit einem Male dehnt sich vor dem Auge ein unabsehbar weiter Himmel aus. Die Brust ist so voll, daß sie aufjauchzen und ihr Glück laut hinausrufen möchte in die Welt, und doch fehlen dem Munde die Worte. Nur in dem Auge steht geschrieben, was in dem Herzen vorgeht.

Hand in Hand saßen Bauer und Hedwig neben einander. Der Abend war fast hereingebrochen und sie hatten es nicht bemerkt. Flüsternd hatten sie wieder und wieder das Geständniß der Liebe sich wiederholt und sich Treue geschworen.

Endlich, als Hedwig in dem Zimmer ihres Vaters Licht erblickte und daraus ersah, daß er heimgekehrt war, stand sie auf.

»Nun, gehst Du morgen mit?« sprach Bauer, indem er sie noch einmal umfaßte.

»Ich gehe mit,« erwiderte sie.

»Und wenn Saldern Dir seine Liebe erklärt?«

»Dann sage ich, ich sei Deine Braut,« flüsterte sie, rang sich aus seinen Armen los und eilte in das Haus.

Einige Minuten lang blieb Bauer noch stehen und blickte ihr nach. Mit beiden Händen preßte er die Brust zusammen, die ihm vor Freude und Glück fast zerspringen wollte, dann eilte er fort.

Er hatte versprochen, zu Saldern zu kommen, – er konnte es nicht. Allein mußte er sein. Hinaus ging er ins Freie. Und als er vor das Thor trat, stieg der Mond groß und voll am östlichen Himmelssaume auf. Mit seinen Gedanken noch ganz bei Hedwig weilend, schritt er langsam zwischen den Kornfeldern hin. Alles ringsum war still. Nur in einem fernen Waizenfelde schlug eine Wachtel und dann und wann lockte ein Rebhuhn seine Jungen.

Nie hatte er die Schönheit eines Abends so tief empfunden. Höher und weiter erschien ihm der Himmel und all' die tausend Gestirne über ihm schienen freundlich herabzugrüßen und mitzuempfinden, wie glücklich ein Menschenherz sein könne.

Es war spät geworden, als er nach langem Spaziergange endlich heimkehrte. Seine Wirthin öffnete ihm mit dem Lichte in der Hand die Thür.

»Aber, Herr Doktor, so spät!« rief sie. »Und mit dem dünnen Rocke in der kühlen Abendluft!«

Bauer blickte sie erstaunt an. Seine Stirn und Wangen glühten. Die Frau schien zu träumen.

»Heiß ist es!« entgegnete er. »Heiß! Sehen Sie nicht, daß meine Stirne glüht!« Lachend trat er in sein Zimmer.

Die Frau schüttelte den Kopf.

»Der Wein, der Wein!« sprach sie zu sich selbst mit einem Seufzer. »Er ist ein so prächtiger Mensch, wenn nur der Wein nicht wäre. Und den Schnupfen hat er auch wieder weg! Ja, die Jugend!«

Damit ging sie in ihr Zimmer.

 

Vergebens hatte Saldern den Doktor am Abend erwartet. Zweimal ging er am folgenden Morgen in seine Wohnung, ohne ihn zu treffen. Er verwünschte alle Doktoren und ging dann in den Weinkeller, weil ihm allein die Zeit bis zum Nachmittage zu lange währte.

Am Nachmittage ging er zum dritten Male zu Bauer und diesmal fand er ihn auf dem Sopha ausgestreckt und schlafend. Er war durch sein Eintreten nicht erwacht.

Saldern faßte ihn an der Schulter und rüttelte ihn auf.

»Mensch – Du schläfst und in einer Stunde müssen wir im Walde sein!« rief er.

Der Doktor fuhr empor. Mit der Hand fuhr er über die Stirn.

»Wahrhaftig, ich glaube, ich habe geschlafen!« erwiderte er.

Auf dem Sopha ausgestreckt, hatte er von Hedwig und dem Glücke der Zukunft geträumt und allmählich, ihm selbst unbewußt, hatte ihn der Schlaf überrascht.

»Natürlich hast Du geschlafen!« rief der Lieutenant. »Ich kann die Zeit nicht erwarten und Du hättest sie richtig verschlafen! Weßhalb bist Du gestern Abend nicht gekommen?«

Bauer mußte sich abwenden, um seine Verlegenheit zu verbergen.

»Ich konnte nicht, – Abhaltung, – erst spät bin ich heimgekehrt.«

»Die Kleine geht doch mit?« fragte Saldern weiter.

»Natürlich.«

»Ich habe Lüttich durch einen Bekannten die ganze Geschichte erzählen lassen,« fuhr Saldern fort, »auch daß ich es auf die Kleine abgesehen habe. Er ist wüthend. Mich, Dich, alle Menschen hat er verwünscht. Haha! Ich kann es mir denken, ich hätte es an seiner Stelle auch gethan.«

»Willst Du denn wirklich Hedwig heute Deine Liebe erklären?« fragte Bauer.

»Gewiß,« versicherte Saldern.

»Thue es nicht,« warnte ihn der Doktor. »Ich glaube, sie liebt schon einen Andern.«

»Doktor, Du bist ein Narr, wie ich Dir schon früher einmal auseinandergesetzt habe!« erwiderte Saldern. »Du verstehst von solchen Sachen nichts, also mische Dich nicht hinein.«

»Willst Du sie denn wirklich heirathen?«

»Thorheit! Ich heirathe überhaupt nicht! Deßhalb kann ich sie immer lieben. Das ist ganz interessant in solcher kleinen Stadt. Doch davon verstehst Du nichts!«

Bauer schwieg. Ungenirt vollendete er seine Toilette und schritt dann mit dem Freunde zum Thore hinaus, dem Walde zu. Die Sachen, welche Beide zu dem Picknick beitrugen, mußte Saldern's Bursche nachbringen.

Sie waren fast die Ersten auf dem Platze. Erst nach und nach fand sich die Gesellschaft ein. Nur der Rentier mit seiner Tochter kam noch nicht. Saldern, der sein ganzes Interesse für die Kleine aufbewahrt hatte, langweilte sich und nachdem ihm der Doktor noch einmal fest versichert hatte, daß sie auf jeden Fall kommen werde, ging er zu der kleinen Laubhütte, um dort, auf der Moosbank ausgestreckt, Hedwigs Ankunft zu erwarten.

Der Abend war hereingebrochen, als Hedwig endlich mit ihrem Vater kam. Saldern bemerkte sie nicht sofort und Bauer fand Zeit, sie allein zu begrüßen und ihr zuzuflüstern, an ihrer Verabredung festzuhalten. Dann stellte er Saldern vor.

Es war ein herrlicher, stiller Abend. Kein Luftzug regte sich in dem Walde. Die scheidende Sonne warf durch die Bäume lange Streiflichter und lagerte sich still auf dem Teiche.

In der Gesellschaft herrschte die heiterste Stimmung. In einzelnen Gruppen lagerte man auf dem Rasen zerstreut, der zugleich als Tisch für die mitgebrachten Speisen diente. Lustig klangen die Gläser aneinander. Saldern saß an Hedwigs Seite. Er hatte von ihr Verzeihung für seine tollen Streiche erhalten und mehr und mehr wurde er von ihrem unbefangenen, heitern Wesen hingerissen. Noch hatte er keine Gelegenheit gefunden, ungestört mit ihr zu sprechen. Erst sollte auch der Champagner, den er in dem Wasser des Teiches kühl erhalten hatte, sein Blut mehr und mehr aufregen. Einer Flasche nach der andern schlug er den Kopf ab und mehr und mehr übte der Wein in seinem eigenen Kopfe seine Wirkung.

Er schwor, nie so heiter gewesen zu sein und wäre es auf ihn angekommen, so würde jeden Tag ein Picknick gefeiert und schon des Morgens früh damit begonnen werden.

Das gesellige Mahl war beendet.

Saldern forderte Hedwig und den Doktor auf, zusammen einen kurzen Spaziergang zu machen.

Beide waren bereit dazu. Er bot Hedwig den Arm und langsam schritten sie auf dem mit Moos überwachsenen Boden unter den hochwipfeligen Buchen dahin.

Höher und höher schwellte dem Lieutenant das Herz. Die Hand des Mädchens, an die er so oft gedacht, ruhte auf seinem Arme. Er hätte sie an seinen Mund ziehen und glühende Küsse darauf drücken mögen.

So still alles ringsum! Nur aus der Ferne klang das Lachen der zurückgelassenen Gesellschaft. Unter den Bäumen war schon eine heimliche, trauliche Dämmerung.

Saldern fühlte, daß nie ein Augenblick für ihn wiederkehren könne, der geeigneter war, der Kleinen seine Liebe zu gestehen. Der Wein hatte die letzte Schüchternheit aus ihm verscheucht. Nur der Doktor störte ihn, der an Hedwigs anderer Seite ging. Zum Kukuk wünschte er ihn im Stillen. Verschiedene Male schon hatte er ihm einen auffordernden Blick, sich zu entfernen, zugeworfen; allein, Bauer blickte entweder auf die Erde, oder zu den Buchen empor, oder auf Hedwig, nur ihn sah er nicht an. Seine Ungeduld wuchs mit jeder Sekunde.

Endlich bemerkte und verstand der Doktor seinen Blick und blieb langsam zurück.

Schneller schritt er jetzt zu. Kein Ohr ringsum, das ihn hören konnte, kein Laut, der ihn gestört hätte. Noch einmal schöpfte er mit voller Brust tief Athem, dann flüsterte er Hedwig zu, wie oft er sich gesehnt habe, sie allein zu sprechen; wie all' sein Thun, möchte es auch noch so toll erscheinen, nur darauf gerichtet gewesen sei, ihre Aufmerksamkeit und ihre Liebe zu erwerben. Er schwor, daß er sie schon unendlich lange liebe.

Lächelnd hatte Hedwig ihn angehört. Weiter durfte sie ihn nicht kommen lassen. Sie blieb stehen.

»Seien Sie still, Herr v. Saldern,« sprach sie. »Ich darf Sie nicht länger mehr hören. Was würde mein Verlobter sagen, wenn er Sie so sprechen hörte!«

»Ihr Verlobter!« rief der Lieutenant erschreckt. Er vermochte das Wort kaum herauszubringen. Es mußte ein Scherz sein, – sie – sie – die Kleine … Seine Gedanken waren nahe daran, gänzlich aufzuhören.

»Ihr Verlobter!« erwiderte er. »Sie scherzen, gnädiges Fräulein!«

»Ich scherze nicht,« erwiderte Hedwig möglichst unbefangen.

»Sie sind wirklich verlobt!« rief Saldern, und wie ein fröstelndes Gefühl überkam es ihn. »Mit Lüttich verlobt?«

»Nein, nicht mit Lüttich,« entgegnete Hedwig lachend.

»Mit wem denn?«

»Mit Bauer.«

»Mit welchem Bauer?« fragte Saldern, der sich nicht zu fassen vermochte.

»Mit dem Doktor Bauer, Ihrem Freunde. Hat er Ihnen nichts davon erzählt?«

»Sie scherzen! Ein Spaß, ein gottvoller Spaß!« rief Saldern in voller Heiterkeit wieder, denn dies hielt er für unmöglich. »Haha! Auf Ehre, ein ganz famoser Spaß! Haha! Mit dem Doktor! Köstlich!«

»Sie glauben mir nicht?« warf Hedwig ein.

»Nein, wahrhaftig nicht!« rief Saldern lachend.

»Ich will alles glauben, aber dies nicht.«

»So rufen Sie ihn,« sprach Hedwig.

Saldern rief den Doktor. Als sich derselbe aber näherte, als Hedwig ihm entgegeneilte und er sie mit beiden Armen umfing und einen Kuß auf ihre Lippen drückte, als sie sich das Alles ohne Sträuben gefallen ließ, da glaubte er umsinken zu müssen. Gewaltsam raffte er sich zusammen und eilte auf Bauer zu. An dem Arme erfaßte er ihn.

»Doktor!« rief er. »Du, – Du!« – Weiter kam er nicht.

»Ich bin der glücklichste Sterbliche seit gestern Abend,« erwiderte Bauer.

»Seit gestern Abend!« wiederholte Saldern. Es drehte sich alles mit ihm. Die Bäume tanzten, Hedwig, der Doktor, Alles, Alles, nur er allein schien festgewurzelt dazustehen.

Bauer streckte ihm die Hand entgegen und sprach: »Saldern, gönnst Du mir dies Glück nicht?«

Er schwieg.

Auch Hedwig reichte ihm die Hand.

Er nahm sie nicht an. Er sah sie nicht einmal. – Das hatten der Doktor und Hedwig nicht erwartet, daß dies einen solchen Eindruck auf ihn machen werde.

»Beruhige ihn,« flüsterte Hedwig ihrem Verlobten zu und eilte fort.

»Sei vernünftig, Saldern,« sprach Bauer, die Hand auf seine Schultern legend. »Sie liebt Dich ja nicht!«

Jetzt endlich kam wieder Leben in den Lieutenant. Mit beiden Händen erfaßte er den Freund, fest, fast wie im Zorn.

»Verdammter Doktor, es ist also wirklich wahr!« rief er.

»Sie ist mein,« erwiderte Bauer.

»Du bist verrückt, Mensch! Was willst Du denn mit ihr?« fuhr Saldern fort, ihn noch immer fest haltend.

»Ich will mit ihr glücklich werden.«

»Du, – Du? Das ist ja nicht möglich! Ich habe Dir so oft gesagt, daß Du von den Weibern nichts verstehst! Und was soll aus meinem Feuerwerk werden? Sprich, Mensch!«

»Das läßt Du Hedwig und mir zu Ehren abbrennen,« erwiderte Bauer lächelnd.

»So, – so!« rief der Lieutenant. »Also umsonst die ganze Plackerei!«

»Nicht umsonst,« warf der Doktor ein, und seine Stimme klang weich und mild. »Du hast zwei glückliche Menschen noch glücklicher dadurch gemacht. Gieb mir die Hand, Saldern. Schlag ein und sei der Alte wieder!«

Einen Augenblick zögerte er, dann schlug er in die Hand des Freundes ein.

»Nun gut!« rief er. »Du magst die Kleine nehmen, auch das Feuerwerk will ich abbrennen lassen und den Champagner, den wir heute getrunken haben, bezahlen; aber Doktor, wenn Du unglücklich wirst und die Kleine unglücklich machst, dann will ich mich wahrhaftig freuen, denn ich habe Dich oft genug gewarnt. Du verstehst ja von den Frauen nichts!«

Sie kehrten zu der Gesellschaft zurück. Saldern war verstimmt. Zu plötzlich war er aus seinen Träumen gerissen. Er suchte sich zwar damit zu trösten, daß er die Kleine dem Doktor hundertmal lieber, als jedem Andern gönne, aber dieser Trost reichte doch nicht aus, um ihn vollkommen zu beruhigen. Erst als das Feuerwerk brannte, als Alle, überrascht, ihn mit Dank überhäuften, als Hedwig, deren Namen hoch zwischen den Bäumen flammte, auf ihn zutrat, ihm ergriffen beide Hände entgegenstreckte und sprach: »Der Freund meines Verlobten soll auch mein Freund sein!« da riß die Verstimmung, welche ihn noch umfangen hielt, mit einem Male entzwei und laut rief er: »Und mir hat er es doch nur zu verdanken! Doktor, gestehe, das Ganze war meine Idee!«

»Ja!« erwiderte Bauer, der daneben stand, »und zwar ist es die beste, die Du je gehabt hast.«

Er schloß den Freund in die Arme und damit war alles wieder gut.

 

Vierzehn Tage später, des Morgens in aller Frühe, fand das Duell zwischen Saldern und Lüttich statt. Lüttich schoß vorbei und Saldern traf nicht seines Gegners lange Beine, sondern einen danebenstehenden Baum.

Damit war das Duell zu Ende, und die beiden Lieutenants reichten einander die Hände zur Versöhnung.

Lüttich ließ sich in dem Hause des Rentiers äußerst selten noch sehen, um so öfter ging aber jetzt Saldern mit dem Doktor dahin. Er hatte sich mit dem Alten, wie Saldern den Rentier nannte, vollständig ausgesöhnt und im Stillen gewann er die Ueberzeugung, daß er sich in dem Doktor vollständig geirrt habe, denn es war die größte Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß er mit der Kleinen sehr glücklich sein werde.

Daß er sich geirrt habe, gestand er indeß nicht ein, aus Grundsatz nicht!

* * *


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