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Erzählung.
Der Assessor Dorn schritt in seinem Zimmer auf und ab, die Hände auf den Rücken gelegt, den Blick auf die Erde geheftet. Die feingeschnittenen Gesichtszüge desselben schienen vollkommen ruhig zu sein, allein um den Mund, um die festgeschlossenen Lippen zuckte ein bitteres schmerzliches Lächeln. Ein scharfer Beobachter konnte wahrnehmen, daß er bemüht war, äußerlich ruhig zu erscheinen, mochte es in seiner Brust auch noch so heftig stürmen. Er hatte die Selbstbeherrschung zu oft geübt, um sie in diesem Augenblicke zu verlieren. Welche Schmerzen und Anstrengungen eine solche Selbstbeherrschung kostet, wenn das leidenschaftliche Blut überschäumen will, wenn Bitterkeit und Groll die Brust zu zersprengen drohen und das Herz langsam verzehren, davon haben die wenigsten Menschen eine Ahnung!
Das Gesicht des Assessors war, wenn vielleicht auch nicht schön, doch jedenfalls interessant. Die bleichen Wangen verriethen zwar eine große nervöse Erregtheit, allein aus den großen und dunkeln Augen sprach ein fester und entschlossener Sinn bei aller Tiefe der Empfindung und des Gemüthslebens. Diese Augen hatten einen fast überwältigenden Glanz.
Dorn's Gestalt war mittelgroß und schlank. Seine ganze Erscheinung ließ sofort erkennen, daß das geistige Leben in ihm vorherrschte, sie schien in erregten Augenblicken mit den Ideen zu wachsen und an den Entschlüssen sich zu festigen.
Noch immer schritt Dorn in derselben Weise im Zimmer auf und ab, als hastig an die Thür gepocht wurde und, ehe er noch ein »Herein« gerufen hatte, die große Gestalt eines jungen Mannes, eines hohen Zwanzigers, wie Dorn es selbst war, eintrat, es war der Doktor Golz.
»Dorn,« rief er in sichtbarer Aufregung, indem er dem Freunde die Hand entgegenstreckte, »ich habe gehört, daß heute die Disziplinar-Untersuchung gegen Dich beendet ist, kennst Du schon das Resultat derselben?«
»Gewiß,« gab der Assessor zur Antwort. »Ich habe ja die erste Berechtigung, dasselbe zu erfahren, es ist bereits seit einer Stunde in meinen Händen und ich war soeben dabei, mich mit der ganzen Tragweite derselben vertraut zu machen.«
»Wie lautet dasselbe?« fiel Golz ungeduldig ein.
»Lies es selbst,« entgegnete Dorn, indem er mit der Hand ein auf dem Tisch liegendes Schreiben bezeichnete. »Es ist ein Urtheil in bester Form und es sind mir nicht einmal die Kosten für den Stempelbogen, auf welchem dasselbe geschrieben ist, erspart.«
Golz hörte den Spott, der in den letzten Worten lag, kaum. Hastig ergriff er das Schreiben und durchflog es. Unwillkürlich athmete er tiefer und erleichtert auf.
»Gottlob, Du bist nur nach B. versetzt – ich hatte Schlimmers erwartet,« sprach er und blickte den Freund mit sichtbarer Freude an.
Ueber Dorn's Gesicht glitt ein schmerzlicher Zug.
»Sprich es unbefangen aus, daß Du befürchtet hast, ich werde ganz abgesetzt werden,« entgegnete er. »Oder hast Du vielleicht gar geglaubt, meine Richter würden einen Scheiterhaufen errichten, damit ich verbrannt werde, weil ich gewagt habe, andere Ueberzeugungen und Ansichten zu haben, wie sie! Ist diese Versetzung nach B. vielleicht viel milder als eine Absetzung? Ich halte sie sogar noch für viel härter. Man schickt mich in das Exil, man will mich in dem kleinen Neste, wo ich weder nützen noch schaden kann, verkümmern und verderben lassen, man gibt mich durch diese Versetzung gleichsam der Vergessenheit anheim, denn ich bin fest überzeugt, daß man sich meiner nie wieder erinnern wird. Das ist die Absicht!«
»Dorn, Du blickst zu schwarz,« fiel Golz ein. »Ich begreife, daß Dein Auge augenblicklich getrübt ist, daß die Zukunft Dir nicht in dem freundlichsten Lichte erscheint, wenn Du ruhiger geworden bist, wird Dir Alles anders entgegentreten.«
»Bin ich vielleicht nicht ruhig?« bemerkte der Assessor, indem er sein großes Auge fest auf den Freund richtete. »Du weißt, daß ich es nicht liebe, mich selbst zu täuschen, ich trete selbst einer Gefahr ruhig entgegen, sobald ich im Stande bin, sie fest ins Auge zu fassen. Dir erscheint meine Versetzung als geringbedeutend, für mich ist es eine Thatsache, deren Folgen sich durch mein ganzes Leben wie ein schwarzes Band hinziehen. Was habe ich mir überhaupt Strafbares zu Schulden kommen lassen? Es gibt vielleicht nur Wenige, welche mit gleicher Gewissenhaftigkeit ihre Pflichten erfüllen, wie ich stets gethan habe. Mein ganzes Vergehen besteht darin, daß ich freisinnigere Anschauungen habe, als meine Vorgesetzten, daß ich einer andern politischen Partei angehöre, als sie, daß ich gewagt habe, in einer Zeitung manche Mängel unserer Gesetzgebung und unserer Verwaltung offen darzulegen. Dies ist mir als Verbrechen angerechnet, mein Recht der freien persönlichen Ueberzeugung wird mir beschränkt. Als Beamter soll ich nicht mehr sein, als ein geistiger Sklave meiner Vorgesetzten. Ich soll reaktionären Grundsätzen huldigen, weil die Leiter unsrer Regierung reaktionär gesonnen sind, würden morgen freisinnige Männer an deren Stelle treten, so würde man verlangen, daß ich mit demselben Tage auch freisinnig werde, um vielleicht nach kurzer Zeit mich wieder in einen Reaktionär umzuwandeln – als ob die Ueberzeugung und Gesinnung nichts weiter wäre, als ein Kleid, welches man beliebig nach Sonnenschein oder Regen wechseln kann! – Doch still hiervon, als Arzt wirst Du dies kaum recht begreifen, weil Du unabhängig in Deinen Ueberzeugungen bist.«
»Ich begreife Dich vollkommen, Dorn,« entgegnete Golz, »allein wird dies für Dich je anders werden, wenn Du Beamter bleibst?«
»Ich verstehe Dich« warf der Assessor mit schmerzlichem Lächeln ein, »Du meinst, ich solle meine Stellung aufgeben, ausscheiden aus dem Staatsdienste und mir einen andern Beruf wählen!«
»Jedenfalls würde Dir ein anderer Beruf bei Deinen tüchtigen Kenntnissen und außerordentlichen Fähigkeiten wenig Schwierigkeiten bereiten,« bemerkte der junge Arzt.
Dorn schüttelte ablehnend mit dem Kopfe.
»Kenntnisse und Fähigkeiten allein reichen nicht aus. Wenn mir nun die Lust fehlte, wenn es mir nicht mehr möglich wäre, mich in ganz andere Anschauungen hinein zu leben? Doch genug hiervon, denn diese Fragen habe ich mir mehr denn hundertmal vorgelegt. Ich bin fest entschlossen, in meiner Stellung auszuharren und gehorsam in das Exil zu gehen. Frage mich nicht nach den Gründen dieses Entschlusses, denn ich bin überzeugt, Du würdest sie zum Theil für sehr thöricht halten, zum Theil nicht einmal fassen.«
Der junge Arzt schwieg einen Augenblick. Aus den Worten des Freundes errieth er die Größe seiner Erregung und er kannte kein Mittel, um dieselbe zu mildern. Seit Jahren war er mit Dorn befreundet, er liebte ihn, schätzte ihn hoch, allein er wußte auch, wie schwer auf dessen festen und selbstständig abgeschlossenen Charakter einzuwirken war. Dorn gehörte zu den Naturen, welche einen Schmerz nur dadurch überwinden, daß sie ihn langsam in sich verzehren.
»Wann mußt Du Deine Stellung in B. antreten?« fragte er endlich.
»Hast Du den Schluß des Schreibens nicht gelesen? Es ist mir nur eine Zeit von drei Tagen gelassen. Es soll darin eine besondere Strenge liegen, allein meine Herren Richter haben mir durch diese kurze Frist einen großen Dienst erwiesen. Es ist ja eine alte Lebensregel, daß man eine unangenehme Sache nie aufschieben soll.«
»Dorn, weiß Deine Braut schon um Deine Versetzung?« fragte Golz weiter.
Das Gesicht des Assessors nahm plötzlich einen anderen Ausdruck an. Die Brauen zogen sich zusammen und auf die Augen legte es sich wie ein trüber Schatten. Er schwieg einige Minuten, ehe er auf diese Frage eine Antwort gab und starrte halb in Gedanken versunken vor sich hin. Dann fuhr er mit der Rechten über die Stirn, als wollte er fortscheuchen, was sich dort schwer gelagert hatte.
»Ich habe sie noch nicht gesprochen,« entgegnete er endlich, »diese schwere Stunde steht mir noch bevor. Vielleicht ist sie durch ihren Vater bereits darauf vorbereitet, denn ich bin nicht in Zweifel, daß dieser meine Strafe früher erfahren hat, als ich.«
Unwillkürlich rang sich ein Seufzer aus seiner Brust.
Golz' Auge ruhte auf ihm. Der Freund erkannte, wie peinlich ihm dieser Gegenstand war, dennoch hielt er es für das Beste, offen mit ihm darüber zu sprechen.
»Dorn, befürchtest Du, daß Deine Braut Deine Versetzung eben so schwer empfinden wird, wie Du?« bemerkte er endlich fragend.
Rasch schlug der Assessor das Auge auf und blickte den jungen Arzt forschend an. Aus den Mienen desselben suchte er zu lesen, was in seinem Innern vorging. War es auch dem Freunde schon bekannt, daß Adelheid's Herz, seitdem die Disziplinar-Untersuchung gegen ihn eingeleitet war, sich ihm sichtbar entfremdet hatte, daß ihr Vater ihm mit einer fast auffallenden Kälte entgegengetreten? War der Bruch mit der Geliebten, an dessen Möglichkeit er selbst kaum hatte glauben mögen, bereits beschlossen und vielleicht schon stadtkundig?
»Ja, ich fürchte es,« entgegnete er. »Es wird mir schwer, an der Treue ihres Herzens zu zweifeln, allein Adelheid steht nur zu sehr unter dem Einflusse ihres Vaters, und dieser glaubt als Schulrath, jeder freisinnigen Idee feindlich entgegentreten zu müssen. Ihm ist meine Verlobung mit Adelheid nie eine Freude gewesen; seitdem die Untersuchung gegen mich eingeleitet, ist er doppelt zurückhaltend und kalt gegen mich gewesen. Nun, was kommen soll, muß sich heute noch entscheiden, da ich Adelheid Alles mittheilen werde.«
»Dorn, Du siehst auch hierin wieder zu schwarz,« suchte Golz den Freund zu beruhigen.
Ueber des Assessors Gesicht zog wieder jenes bittere Lächeln, welches die ganze Größe seines Schmerzes verrieth.
»Ich sehe nur schärfer als Du,« sprach er, »Freund, ein Unglück kommt selten allein. Bringe an einem Bergsabhange einen Stein einmal in's Rollen, dann reißt derselbe auch noch andere Steine mit sich. Mit meinen Träumen von Glück ist es – vorbei. Jahre lang habe ich rastlos und unermüdlich gearbeitet, weil ich hoffte, mir dadurch eine hohe Stellung zu erringen, diese Hoffnung werde ich als Assessor in B. zu Grabe tragen, wie ich selbst dort einst als alter Assessor ins Grab gelegt werde. Ich träumte von einem unendlichen Glücke an Adelheid's Seite – auch das ist dahin dahin! Und vielleicht ist es gut, daß ich sie nicht an mein Geschick knüpfe. Als sie mir ihr Herz schenkte, war sie jedenfalls von ganz anderen Hoffnungen erfüllt, als dereinst das Weib eines Assessors in B. zu werden! Mein Vater hat sich, wie Du weißt, meiner freisinnigen Ansichten wegen bereits völlig von mir abgewandt, er erkennt, wie er mir gestern geschrieben hat, mich nicht mehr als seinen Sohn an, meine Freunde wenden dem in das Exil Verbannten vielleicht auch den Rücken – dann werde ich wenigstens ohne allzu schwere Pflichten gegen die Welt in B. anlangen!«
»Sei nicht ungerecht,« warf Golz ein. »Mag es kommen, wie es will, von Deinen Freunden wird Dir kein einziger ungetreu werden!«
»Keiner?« wiederholte Dorn bitter lachend. »Freund, ich kenne die Menschen leider besser! Ich sehe auch hierin vollkommen klar und ruhig. Jeder meiner Freunde wird, wenn er mir begegnet, mich seiner aufrichtigen Theilnahme versichern, und bin ich erst zwei Monate in B., so haben mich Alle vergessen. Ich werde keinem einen Vorwurf daraus machen, denn das Leben ist nicht mehr, als ein Kampf der Interessen, und die Menschen sind selten, welche an die ihrigen zuletzt denken. Wir nennen sie hochherzige und edle Menschen – vielleicht sind es nur Narren! Wer will dies entscheiden? Der Egoismus ist ja das wunderbar mächtige Band, welches die Menschen trennt und vereint.«
Golz sah ein, daß es ihm nicht gelingen werde, den Freund dieser düsteren Stimmung zu entreißen und ihm eine andere Ueberzeugung beizubringen.
»Wann wirst Du zu Deiner Braut gehen?« fragte er.
»Bald – bald! Diese Ungewißheit peinigt mich. Es ist ein schwerer Gang, dennoch werde ich ihn nicht aufschieben.«
»Dann gewähre mir eine Bitte,« fuhr der junge Arzt fort. »Kann ich Dich in einer Stunde in dem Weinkeller, in welchem wir so manche vergnügte Stunde zusammen verlebt haben, erwarten? Nicht Neugier, sondern die Theilnahme an Deinem Geschicke drängt mich, zu erfahren, wie dasselbe sich gestaltet.«
»Ich werde kommen,« entgegnete der Assessor ruhig, »ich könnte Dir das Resultat freilich schon jetzt mittheilen – doch nein – nein, ich will mir nicht selbst den Vorwurf machen, daß ich nicht bis zum letzten Augenblicke gehofft habe!«
Golz verließ den Freund.
Dorn blieb allein zurück. Er glaubte ruhig zu sein und doch mußte er sich zu dem schweren Gange erst sammeln. Vor Adelheid's Bilde, welches über seinem Schreibtische hing, blieb er stehen. Es war nur eine Photographie, aber für ihn trat es aus dem Rahmen hervor und gewann Leben. Er blickte in die braunen Augen des geliebten Mädchens, er sah das freundliche, glückliche Lächeln, welches ihre Züge verklärte. Wenige Tage nach der Verlobung, zu seinem Geburtstage, hatte ihn Adelheid mit dem Bilde überrascht. Konnten diese Augen lügen?«
»Nein, es kann nicht sein!« rief er. »Sie kann nicht von Dir lassen und wenn Dich alle Menschen verkennen. Aus freier Neigung hat sie Dir ihr Herz geschenkt und das Herz hat mit politischen Ansichten nichts zu schaffen. Du thust ihr Unrecht, wenn Du an ihr zweifelst. Wenn diese Augen, in die ich beseligt so oft geschaut habe, trügen, dann werde ich nie einem Auge wieder trauen. Dann ist es eine Thorheit und Lüge, daß das Auge der Spiegel der Seele sei!«
Mit ungeduldiger Hast kleidete er sich an und verließ das Zimmer.
Das Herz schlug ihm schneller, als er über die Straße zu dem Hause des Schulraths Klinkhardt eilte.
Einige Bekannte begegneten ihm, ohne sie zu bemerken, eilte er an ihnen vorüber, die Stirn glühte ihm, er fühlte den Puls in den Schläfen pochen und doch schien alles Blut aus seinen Wangen gewichen zu sein.
Als er die Hand auf das Thürschloß der Wohnung des Schulraths legte, zitterte dieselbe und er zögerte einen Augenblick, die Thür zu öffnen. Noch einmal strich er mit der Rechten über die Stirn hin – er mußte ruhig sein. Unwillkürlich lauschte sein Ohr, ob er nicht Adelheid's Stimme vernehme, sie würde ihm als gute Vorbedeutung erschienen sein – es blieb still.
Endlich trat er ein. Das ihm entgegenkommende Dienstmädchen fragte er nach Adelheid; ehe er noch eine Antwort erhalten konnte, trat der Schulrath aus seinem Zimmer und forderte ihn auf, in dasselbe einzutreten.
Klinkhardt war eine Persönlichkeit, welche schon auf den ersten Anblick hin wenig Vertrauen einflößte, lang und hager. Auf seinem Gesichte lag fortwährend ein streng abgemessener Ernst, dasselbe schien nicht lachen zu können und nie gelacht zu hoben. Höchstens verzogen sich die Mundwinkel zu einem spöttischen Lächeln. Die kleinen, grauen Augen blickten scharf und stechend, die fest geschlossenen Lippen verriethen einen unbeugsamen Willen.
Klinkhardt's Charakter entsprach seiner äußeren Erscheinung. Er war pedantisch, streng und fanatisch gegen Alles, was nicht mit seinen Ansichten übereinstimmte. Von jeher hatte er nur sein Interesse im Auge gehabt, und die Erfolge dieses Grundsatzes befestigten denselben noch mehr, denn er besaß eine sehr einflußreiche Stellung und war gewöhnt, durchzusetzen, was er einmal beschlossen hatte.
Es lag in dem Charakter dieses Mannes ein dämonischer tyrannischer Zug. Wohl konnte er auch anschmiegend und freundlich sein, allein nur dann, wenn es in seinem Interesse lag und er dadurch Einfluß gewinnen wollte.
Dorn kannte ihn, er verstand deßhalb auch vollkommen Klinkhardt's Worte, als dieser, nachdem er die Thür hinter sich geschlossen hatte, in kalter Weise sprach: »Ich habe Sie heute erwartet!«
Es war vielleicht gut, daß Klinkhardt ihm in dieser Weise entgegentrat, denn er erhielt dadurch seine völlige Ruhe wieder. Adelheid hätte Rechenschaft von ihm erlangen können, der Schulrath hatte keine Berechtigung dazu.
»Sie wissen, daß ich jeden Tag komme, um Adelheid zu sehen,« entgegnete er.
Diese scheinbar unbefangene Antwort setzte Klinkhardt sichtbar in Verlegenheit. Er schloß die kleinen Augen halb und ließ sie forschend auf dem Assessor ruhen.
»Das wußte ich allerdings, und doch erwartete ich Sie heute mit doppelter Bestimmtheit,« sprach er.
»Sie sehen, daß Sie sich nicht getäuscht haben,« bemerkte Dorn. »Weil ich Adelheid eine Mittheilung zu machen habe, bin ich heute sogar früher gekommen.«
»Ich glaube, die Mittheilung dürfte nicht allein für meine Tochter, sondern auch für mich von Bedeutung sein,« warf Klinkhardt ein.
»Gewiß,« versicherte Dorn, »ich darf indeß wohl annehmen, daß sie Ihnen kein Geheimniß mehr sein wird.«
»Sie haben ganz recht vermuthet, Herr Assessor,« entgegnete der Schulrath mit strengem Tone, indem er seine lange Gestalt noch höher aufrichtete. »Es ist mir kein Geheimniß mehr, was Sie meiner Tochter mittheilen wolle, allein auch Adelheid weiß bereits darum, ich halte deßhalb diese Mittheilung für unnöthig, und empfing Sie deßhalb, um Ihnen dies zu sagen.«
Dorn preßte, von Schmerz hingerissen, die Lippen aufeinander. Er hatte sich also dennoch nicht getäuscht! Er hätte die Hand vor das Gesicht pressen und laut aufschreien mögen, allein diesem Manne mochte er sein Inneres nicht verrathen.
»Es wäre unnatürlich, wenn ich mit meiner Verlobten nicht über meine Versetzung sprechen wollte,« entgegnete er äußerlich ruhig, wenn seine Brust auch zerrissen war.
»Herr Assessor, die Versetzung ist eine Folge der gegen Sie eingeleiteten Untersuchung, Sie werden sicherlich selbst nicht zu leugnen wagen, daß es eine Strafversetzung ist.«
»Ich werde Adelheid die volle Wahrheit sagen, wie ich von Anfang an nicht anders als wahr gegen sie gewesen bin.«
»Sie scheinen sich die Folgen dieser Strafe nicht recht klar gemacht zu haben,« bemerkte Klinkhardt.
Dorn schwieg und blickte den Schulrath fragend an.
»Sie werden begreifen,« fuhr Klinkhardt fort, »daß ich unter diesen Verhältnissen Ihre Verlobung mit meiner Tochter als aufgelöst betrachte. Die Frau eines Assessors in B. kann sie nimmermehr werden, und ich vermuthe, es wird sehr lange währen, ehe Sie befördert werden, jedenfalls müßten Sie in Ihren Ansichten zuvor eine Umwandlung vornehmen!«
»Halt, Herr Schulrath!« fiel Dorn ein. Das Blut war ihm in die Wangen gestiegen. »Meine Ansichten sind mein Eigenthum, und so lange ich dieselben für die richtigen halte, wird nie eine Umwandlung derselben eintreten. Nicht hierüber möchte ich mit Ihnen sprechen, weil ich weiß, wie weit wir in dem Punkte auseinandergehen. – Ich begreife, daß Sie die Auflösung meiner Verlobung mit Adelheid wünschen, da Sie derselben nie sehr geneigt gewesen sind, Adelheid hat mir indeß ihr Herz aus freier Neigung geschenkt, und ich werde nicht eher von ihr lassen, als bis sie mir selbst gesagt hat, daß sie mich nicht mehr liebt.«
Die Mundwinkel des Schulraths verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln.
»Meine Tochter theilt ganz meine Wünsche, ich spreche in ihrem Namen zu Ihnen,« bemerkte er.
Unwillkürlich preßte Dorn die Hand auf das Herz. Er hatte dies Wort befürchtet, ja mit ziemlicher Bestimmtheit vorausgesehen, und dennoch traf es ihn wie ein Dolchstich. Seine Lippen zitterten leise, als er sie öffnete, um zu antworten. Aber wußte er denn, ob der Schulrath die Wahrheit gesprochen hatte? War es möglich, daß Adelheid die Trennung wünschte? Konnte ihre Liebe so schnell erkaltet sein? Er glaubte ihre braunen Augen vor sich zu erblicken und in dieselben hinein zu sehen.
»Ich kann Ihnen nur glauben, wenn ich Ihre Worte aus Adelheids Munde bestätigt höre!« rief er erregt. »Ihre Treue kann sich so schnell nicht wandeln; mehr denn hundert Mal hat ihr Mund mir die Versicherung der Liebe zugeflüstert, und ihr Mund kann nicht gelogen haben.«
»Ihr Herz hat sich nur getäuscht, wie wir uns so oft im Leben täuschen!« sprach Klinkhardt kalt und wollte sich von Dorn abwenden, als betrachte er die Unterredung für beendet.
»Herr Schulrath!« rief Dorn, immer mehr seine Ruhe verlierend, weil der Schmerz ihn überwältigte. »Wo ist Adelheid? Von ihr selbst will ich es hören, von ihr selbst! Befürchten Sie keine Scene! Wenn Adelheid selbst mir sagt, daß sie mich nicht mehr liebt, dann will ich ihr Wort zurückgeben, ruhig, ohne einen einzigen Vorwurf!«
»Meine Tochter ist für Sie nicht mehr zu sprechen!« sprach Klinkhardt mit kalter Entschiedenheit. »Sie selbst wünscht die Aufhebung der Verlobung mit Ihnen und hat mich beauftragt, Ihnen diesen Ring, dies Bild und diese Geschenke, welche Sie ihr gemacht haben, zurück zu geben. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, daß sie in gleicher Weise die Zurückgabe verschiedener kleiner Andenken auch von Ihnen erwartet. Sie haben die Liebe meiner Tochter selbst verscherzt!«
Hatte in des Assessors Herzen noch ein Funken der Hoffnung gelebt, so war auch dieser jetzt verlöscht. Alles Blut schien ihm in das Herz zu dringen, er hätte laut aufschreien mögen. Der Schulrath legte den Ring, den Adelheid getragen, sein Bild, welches sie so oft geküßt, auf den Tisch. War dies möglich ohne ihre Einwilligung? Jetzt konnte er nicht mehr hoffen, es wäre Thorheit gewesen.
»Nicht ich habe Adelheid's Liebe verscherzt, sondern Sie, Sie haben dieselbe vernichtet!« rief er leidenschaftlich. »Sie haben all' Ihren Einfluß geltend gemacht, um mich aus ihrem Herzen zu verdrängen. Ich habe dies längst befürchtet, allein ich hielt Adelheid's Herz für fester und edler. Nicht einmal diesen kleinen Sturm hat es zu überdauern vermocht. Und doch wußte sie, daß meinen Charakter nicht der geringste Vorwurf trifft! Sie trennt sich von mir ungehört, nicht ein Wort hat sie mehr für mich, und doch kennt sie mich, doch weiß sie, daß ich zu stolz sein würde, ihre Hand anzunehmen, wenn sie mir dieselbe nicht mit voller Liebe reichte!«
»Herr Assessor, unsere Unterredung ist beendet,« unterbrach ihn Klinkhardt und fügte nicht ohne Spott hinzu: »Vielleicht werden Sie in B. zu der heilsamen Einsicht gelangen, daß Ihr bisheriger Weg nicht der richtige war, und ich hoffe, daß Ihre Vorgesetzten dann Ihre Vergangenheit vergessen werden. Ich wünsche Ihnen das aufrichtig!«
Er wandte sich ab.
Dorn zuckte zusammen. Diese Worte trafen seine Ehre und seinen Stolz.
»Herr Schulrath, ich danke für Ihren Wunsch, glaube denselben indeß nicht zu bedürfen,« rief er. »Wäre es mein Streben, Carriere zu machen, so brauchte ich nur auf Ihr Leben zurück zu blicken, um den Weg kennen zu lernen, auf dem man durch kriechende Unterwürfigkeit gegen die Vorgesetzten vorwärts gelangt. Ich verachte solchen Weg, weil er eines Mannes unwürdig ist, und kann deßhalb Ihrem Vorbilde nicht folgen!«
Unwillkürlich trat Klinkhardt einen Schritt zurück. Solche Worte hatte er seit Jahren nicht gehört. Die Adern auf seiner Stirn schwollen dick auf, die kleinen Augen schlossen sich fast ganz und die Lippen zuckten.
»Das – das wagen Sie mir zu sagen!« rief der Schulrath endlich – er war nicht im Stande, mehr hervorzubringen.
»Weßhalb nicht?« entgegnete Dorn. »Ich könnte Sie noch an eine andere Geschichte erinnern, an die Art und Weise, wie man Schulrath wird, an die Mittel, durch welche sich solche Stellung erringen läßt, doch unsere Unterredung ist beendet.«
Er wandte sich der Thür zu.
»Hinaus, hinaus! Sie betreten mein Haus nie wieder,« rief Klinkhardt in ohnmächtiger Wuth, indem die gewohnte Ruhe ihn vollständig verließ. »O, hätte ich nie geduldet, daß meine Tochter sich mit Ihnen verlobt!«
Noch einmal wandte sich Dorn um.
»Freuen Sie sich, daß dies geschehen ist,« entgegnete er. »Wenn mich diese Rücksicht nicht bände, so würde ich jetzt öffentlich in einer Zeitung erzählen, durch welche Mittel Sie Schulrath geworden sind. Ich bezweifle, ob Sie dann im Stande wären, noch länger diese Stellung zu behaupten. Das Eine haben Sie bis jetzt noch nicht gewußt, daß die Beweise für jene Mittel in meinen Händen sind.«
Er verließ das Zimmer.
Regungslos blieb der Schulrath stehen. Er starrte auf die Thür, durch welche Dorn verschwunden war. Seine kleinen Augen waren größer geworden, sie schienen aus dem Kopfe hervorzutreten. Er faßte mit der Hand nach dem Schreibtische, um sich zu stützen, die Kniee versagten ihm jedoch den Dienst. Erschöpft sank er in den Sessel, der vor seinem Arbeitstische stand.
Regungslos, das Gesicht mit beiden Händen bedeckt, saß er eine Zeit lang da. Gedanken auf Gedanken drängten durch seinen Kopf hin. Endlich wurde er ruhiger und ließ die Hände langsam sinken, allein die Blässe seines Gesichtes verrieth deutlich, welche schweren und bangen Minuten er durchlebt hatte.
»Es ist nicht wahr, daß er Beweise gegen Dich hat!« rief er sich selbst zu. »Hätte er sie, so würde er nicht bis zu diesem Augenblicke davon geschwiegen haben, er hätte Adelheid nicht aufgegeben und ich mich in der That seinem Willen fügen müssen. Nur eine leere Drohung hat er gegen mich ausgestoßen und ich bin thöricht genug gewesen, mich dadurch schrecken zu lassen. Niemand kann gegen mich auftreten – Niemand! Und wenn es Jemand wagte – mein Einfluß reicht weit. Mancher würde zu Grunde gehen, ehe er mir zu schaden vermöchte!«
Er erhob sich wieder. Wohl bebte die lange, hagere Gestalt noch leise, allein der Hochmuth und das Bewußtsein seiner Macht gaben ihr bald ihre frühere Festigkeit zurück.
Adelheid trat in diesem Augenblick in das Zimmer. Es war eine überraschend schöne Erscheinung, groß und schlank. In ihren braunen Augen lag ein eigenthümlicher Glanz, dunkles Haar flocht sich um den feinen Kopf. Jeder Zug ihres Gesichtes war harmonisch und schön, allein auf der hohen Stirn lag ein kalter, stolzer Ausdruck. Man würde es kaum für möglich gehalten haben, daß sie die Tochter des Schulraths sei, so verschieden waren die Züge Beider, und doch sah sie ihrem Vater ähnlich durch den kalten und berechnenden Blick, durch den stolzen Zug, der Beiden gemeinsam war.
Klinkhardt ging ihr einige Schritte entgegen, über sein Gesicht ging ein schwaches Lächeln. Er nahm alle Kräfte zusammen, um sich zu beherrschen, denn Adelheid durfte nicht errathen, was in ihm vorging.
»Dorn ist hier gewesen!« sprach Adelheid und ließ den Blick über den Ring und das Bild des Assessors gleiten, welche noch auf dem Tische lagen.
»Ja, Kind,« entgegnete Klinkhardt, »er war hier, und er wird nie wiederkehren.«
Adelheid schwieg. Ihre Zähne nagten an der Unterlippe. Ob sie Reue empfand, weil sie den Geliebten auf den Wunsch ihres Vaters so schnell aufgegeben? Daß sie Dorn geliebt hatte, konnte sie nicht leugnen, und ob sie ihn noch liebte, wagte sie sich nicht zu befragen.
»Wie nahm er Deine Worte auf?« fragte sie endlich, indem ihr Auge auf dem Bilde Dorn's haften blieb.
»Ruhiger, als ich vermuthete,« entgegnete der Schulrath. »Er schien es erwartet zu haben, daß Du ihn zurückweisen werdest.«
»Ich habe ihn nicht zurückgewiesen, sondern Du hast mich dazu überredet!« rief Adelheid, und in ihrem Auge blitzte es leidenschaftlich auf. »Ich habe Deinem Verlangen nachgegeben, allein ich weiß nicht, ob ich Recht gethan habe; Dorn hat mich aufrichtig geliebt.«
»Du hast recht gethan,« fiel der Schulrath hastig ein. »Oder hättest Du Lust gehabt, die Gattin eines Assessors in B. zu werden, eines Mannes, der vielleicht zwanzig Jahre lang in derselben Stellung bleibt, vielleicht sogar Zeitlebens, wenn er sich nicht ändert? Hättest Du Lust gehabt, den Spott aller Deiner Bekannten auf Dich zu laden?«
Wieder schwieg Adelheid. Ihr Vater hatte in richtiger Erkenntniß ihre schwache Seite berührt, dennoch fühlte sie, daß sie unrecht gegen Dorn gehandelt. Vor ihrem Geiste zog es vorüber, wie glücklich sie an Dorn's Seite zu werden geträumt hatte. Den Mann, der ihr noch vor wenigen Tagen so nahe gestanden, dem sie ihr ganzes Herz anvertraut hatte, an dessen Arme sie so oft in Gesellschaften erschienen war, den sollte sie jetzt als einen Fremden betrachten, sie sollte ihn nicht mehr kennen, wenn sie ihm begegnete!
Wohl hatte die Nachricht von Dorn's Strafversetzung, welche ihr Vater ihr mit den bittersten Bemerkungen mitgetheilt, sie zurückgeschreckt, allein schon jetzt dachte sie milder über Dorn. Mit dem Muthe eines Mannes hatte er seine Ansichten offen bekannt und vertreten. Sie erinnerte sich der Zeit, in welcher sie ihn dieses Freimuths wegen doppelt hochgeschätzt hatte.
»Wenn es denn einmal geschehen mußte,« sprach sie langsam, »dann wäre es besser gewesen, ich selbst hätte es ihm gesagt, ich würde eine mildere Form gefunden haben, als Du!«
»Nein!« fiel der Schulrath ein. »Du würdest Dich ohne Grund aufgeregt haben, Du wärst vielleicht schwach gewesen, es ist besser so. Auch ich habe es ihm ruhig und in milder Weise gesagt, ich habe es ihm als eine Nothwendigkeit, welche sich aus den Verhältnissen ergibt, dargestellt und er sah dies selbst ein.«
Der Schulrath scheute sich nicht, seiner Tochter die Unwahrheit zu sagen.
»Du hast ihm auch den Ring, das Bild und die Geschenke zurückgegeben?« fragte Adelheid.
»Gewiß.«
»Und doch liegen dieselben noch hier?« fuhr Adelheid fort. Mißtrauen gegen die Worte ihres Vaters schien in ihr aufzutauchen.
Klinkhardt bemerkte erst jetzt, daß die Gegenstände noch auf dem Tische lagen. Ein verlegenes Lächeln spielte um seinen Mund.
»Er hat vergessen, sie mit sich zu nehmen, ich werde sie ihm indeß heute noch zusenden,« sprach er. »Adelheid, die Sache ist jetzt abgethan, ich weiß, daß ich Dich vor manchem Kummer und einer unglücklichen Zukunft bewahrt habe, Dir stehen ganz andere Aussichten offen, als die Frau eines Assessors zu werden; nun vergiß das Geschehene und den Mann, der Deiner so wenig würdig war.«
Eine leichte Röthe flammte über Adelheid's Wangen hin.
»Vater,« sprach sie, und ihre Stimme klang fest und entschieden, »ich habe Dorn der äußeren Verhältnisse wegen und weil Du mich drängtest, aufgegeben. In dieser Stunde würde ich es vielleicht nicht mehr thun; da es indeß einmal geschehen ist, so will ich Dorn nicht zurückrufen, allein ich will nicht, daß Du ihn schmähst und als unwürdig darstellst. Das ist er nicht. Er ist bestraft, weil er den Muth hatte, seine Ueberzeugung offen aussprechen, hundert andere Männer besitzen diesen Muth nicht. Ich kenne Dorn genauer, als Du, und ich habe nicht eine einzige Eigenschaft an ihm entdeckt, die mich nöthigte, ihn weniger zu achten. Ob ich ihn bald oder nie vergessen werde, darüber wird sich mein Herz keine Vorschriften machen lassen, ich fühle, daß ich Deinen Wünschen schon zu viel nachgekommen bin!«
Sie wandte sich ab, um das Zimmer zu verlassen.
»Kind, Kind!« rief der Schulrath fast bestürzt, denn in so entschiedener Weise war ihm Adelheid nie entgegen getreten; sie hatte das Gemach indeß bereits verlassen.
Einige Minuten lang blieb Klinkhardt noch im Nachdenken versunken stehen, dann glitt ein spöttisches Lächeln um seinen Mund und er ließ sich an dem Schreibtische nieder.
»Sie wird ihn vergessen,« sagte er zu sich selbst, »denn B. ist weit, und daß der Herr Assessor von dort in einer Reihe von Jahren nicht zurückkehrt, dafür werde ich Sorge tragen. Mein Einfluß reicht Gottlob weiter als der seinige!«
Als Dorn das Haus des Schulraths verlassen hatte, eilte er hastig über die Straße hin. Er preßte die Lippen fest aufeinander, um den Schmerz, der seine Brust fast zu zersprengen drohte, zu beherrschen. Er hatte befürchtet, ja erwartet, daß es so kommen werde, wie es gekommen war, dennoch erschütterte ihn das Geschehene auf's Tiefste. Was war Liebe und Vertrauen mehr als eine Thorheit? Auf Adelheid's Herz würde er geschworen haben, allein dasselbe hatte nicht einmal dem ersten schwachen Sturme Trotz geboten. Sie hatte mit ihm und seinen heiligsten Empfindungen gespielt! Sie hatte, konnte ihn nie geliebt haben, da sie ihn so schnell aufgegeben und doch hatte sie ihm so oft zugeflüstert, wie innig sie ihn liebe. Gelogen hatten ihre Lippen, gelogen hatte ihr Mund! Ihre braunen Augen waren verrätherischer, als ein Bergsee, der so still und friedlich da liegt, über dessen freundlich schimmernden Spiegel Libellen hintanzen und der dennoch den, der sich ihm unvorsichtig anvertraut, mitleidslos verschlingt! Er würde für Adelheid sein Leben zum Opfer gebracht haben und sie hatte nicht einmal ein Wort des Abschieds für ihn gehabt!
Er lachte laut auf, um der Erbitterung die ihn erfüllte, Raum zu schaffen. Einige Personen, welche ihm begegneten, blieben stehen und blickten ihm erstaunt nach, er bemerkte es nicht.
Er erinnerte sich zur rechten Zeit an den Freund, der ihn im Weinkeller erwartete; dorthin eilte er. Golz traf er schon anwesend. Ohne ein Wort zu sprechen, ließ er sich an dessen Seite nieder, seine bleichen Wangen verriethen ja Alles. Hastig leerte er mehrere Gläser Wein, seine Augen fingen an unruhig zu leuchten.
Golz hatte nicht den Muth, ihn nach dem Ergebnisse seines Besuches bei Adelheid zu fragen.
»Du fragst nicht einmal, wie es mir ergangen ist?« rief Dorn selbst endlich. »Golz, wenn ich noch irgend einem Menschen vertrauen möchte, so würde ich zu Dir das größte Zutrauen haben. Denn ich glaube, Du meinst es bis zu einem gewissen Grade ehrlich mit mir. Sieh, mit meiner Liebe ist es vorbei! Adelheid habe ich gar nicht gesprochen, ihr Vater sagte mir unverblümt, daß seine Tochter für einen Assessor in B. zu gut sei. Damit war die Sache abgethan, das Herz kam dabei nicht weiter in Frage! Was ist das Herz auch weiter als ein Ding, welches uns zu hundert Thorheiten verleitet! Golz, glaubst Du nicht auch, daß wir Menschen weit besser daran sein würden, wenn wir nur einen Kopf und nicht auch ein Herz hätten? Sieh, für den Kopf lassen sich gewisse Sachen beweisen, mit mathematischer Bestimmtheit beweisen, allein das Herz wirft alle Beweise über den Haufen, es erkennt weder die Logik, noch die einfachsten Grundregeln der Mathematik an!«
Er blickte starr in das vor ihm stehende Weinglas.
»Dorn, Deine Verlobung ist wirklich aufgehoben?« warf der junge Arzt ein.
»Natürlich, Freund, natürlich!« rief der Assessor mit bitterer Selbstverspottung. »Die Verlobung meiner gewesenen Braut war vom Schulrath darauf berechnet, daß ich Carriere mache, aber nicht darauf, daß ich nach B. versetzt werde. Siehst Du nicht ein, daß dies ein genügender Grund ist?«
»Der Schulrath hat wirklich dies als Grund angegeben?« fragte Golz.
»Gewiß, ganz unverhohlen, so daß ein Mißverständniß nicht möglich ist. Weßhalb blickst Du mich so erstaunt an? Glaubst Du, der Mann werde gegen einen nach B. versetzten Assessor Rücksichten nehmen?«
»Und Deine Braut hast Du gar nicht gesprochen?«
»Nein – nein! Sie hat vielleicht Mitleid mit mir gefühlt, denn wenn Sie mir dasselbe gesagt hätte, so würde es mich noch tiefer gekränkt haben. – Doch laß uns schweigen hiervon. Du weißt, wenn man einen schönen Traum geträumt hat, ist das Erwachen in der Regel sehr nüchtern, die Gestalten, die uns entzückt haben, verschwinden und lösen sich in ein Nichts auf! Sieh, mein Kopf hat den Entschluß gefaßt, die Vergangenheit nur als einen Traum anzusehen, und meinem Herzen werde ich keine Stimmung mehr einräumen! Ich bin um eine Erfahrung reicher geworden, Freund, und wenn Du je in die Lage kommen solltest, um das Herz eines Mädchens zu werben, dann frage es zuvor, ob es Dir auch folgen würde, selbst wenn man Dich nach Sibirien schickte. Frage danach und laß Dir die Antwort schriftlich geben, denn wenn Du Dich auf Versicherungen und Schwüre verlässest, so bist Du betrogen, wie schon so mancher betrogen ist! – Thu' das, Freund, und nun laß uns noch eine Flasche trinken!«
Vergebens versuchte Golz, den armen Freund zu beruhigen, Dorn schien seine Worte nicht zu hören. Regungslos saß er da, nur dann und wann füllte er sein Glas und leerte es hastig. Golz kannte ihn zu genau, um nicht zu wissen, wie tief sein Schmerz war, wenn er über denselben auch spottete. Schon die Hast, mit der er trank, verrieth, daß er sein Herz betäuben wollte, daß er Linderung und Vergessen suchte; denn er war sonst äußerst mäßig im Trinken.
»Laß mich allein, Freund,« bat Dorn endlich. »Nach einem solchen Tage wie heute bedarf man der Ruhe, um sich zurecht zu finden. Das Leben tritt mir mit einem Male in einer ganz anderen Gestalt entgegen, feindlich und gewappnet; da will ich mich auch rüsten, um den Kampf mit ihm aufzunehmen, denn leicht gebe ich mich nicht gefangen. Ich will ausharren und nicht zurückweichen. Es wäre besser für mich, wenn ich Alles leichter zu nehmen verstände. Die schönste Gabe, welche das Geschick dem Menschen in die Wiege legen kann, ist der Leichtsinn, er verleiht ihm die Schwingen, mit denen er sich über jede schwere Stunde hinweghelfen kann! – Laß mich allein. Ich werde vielleicht morgen schon in das Exil wandern, ehe ich indeß die Stadt verlasse, spreche ich Dich noch!«
Golz verließ ihn.
In Gedanken versunken blieb Dorn sitzen, den Kopf auf die Hand gestützt. Der Abend war hereingebrochen, der Keller füllte sich mit Gästen, er hörte und sah von Allem nichts. Der Wein hatte ihm keine Ruhe und kein Vergessen gebracht. Das Blut strömte heiß durch seine Adern und drängte gewaltsam nach dem Herzen. Die nahe Gasflamme warf ihr volles Licht in das halbgefüllte Glas vor ihm und die Lichtstrahlen brachen sich in dem klaren Weine, einen hellen Schein auf den Tisch werfend. Auf diesem Scheine ruhte sein Auge. Derselbe zitterte, wie die Gasflamme sich bewegte. Seine erregte Phantasie ließ aus dem erhellten Punkte eine Gestalt aufsteigen, welche auch sein Leben eine Zeit lang erhellt hatte. Zwei braune Augen sah er und sie blickten ihn freundlich lächelnd an, sie schienen ihm zu winken und zu grüßen. Sein Herz liebte Die noch immer, die so treulos ihr Wort gebrochen. Er wollte sie vergessen, und doch waren alle seine Gedanken bei ihr.
Endlich fuhr er mit der Hand über die Stirn hin wie ein Erwachender. Er erschreckte fast, als er die Menschen, welche ringsum an den Tischen saßen, erblickte. Hastig stand er auf und verließ den Keller. Der Entschluß stand in ihm fest, am folgenden Tage die Stadt zu verlassen. Einen Gang hatte er noch zu machen, einen Abschied zu nehmen, an den er nicht ohne Schmerz dachte: derselbe galt seiner Mutter. Seit Wochen hatte er sie nicht gesehen. Sein Vater hatte ihm ja das Haus verboten und seine Mutter war kränklich und konnte das Haus nicht verlassen.
Härter als irgend ein Anderer hatte sein Vater seine freisinnigen Anschauungen verurtheilt. Derselbe war Beamter und als solcher in seiner langjährigen Stellung verknöchert und verdorrt. Er erkannte keine andere Pflicht mehr an als die strenge pedantische Erfüllung seiner Amtspflicht, er kannte keine eigene Ueberzeugung, denn für ihn dachten seine Vorgesetzten und was diese bestimmten, war für ihn das allein Richtige. Er war ein Bureaukrat durch und durch und hatte in der langjährigen Einseitigkeit seiner Stellung jede Empfindung für das frische und unbefangene Leben verloren. Pedantisch und im Innersten verbittert, weil er des Lebens Freuden eigentlich nie kennen gelernt hatte, haßte er alle, welche das Leben von einer anderen und freieren Seite auffaßten, als er, und sein ganzer Groll richtete sich gegen den eigenen Sohn, weil dieser eine vollständig andere Geistesrichtung eingeschlagen hatte, als er. Was andere bei dem Assessor als eine Thorheit bezeichneten, das rechnete er ihm als Verbrechen an, und von seiner unversöhnlich harten Stimmung hatte er sich hinreißen lassen, jeden Verkehr mit seinem Sohne abzubrechen.
Nicht ohne Einfluß war des Vaters Ansicht auf des Assessors Mutter geblieben, auch sie zürnte dem Sohne, weil er nach ihrer Ueberzeugung einen falschen Weg eingeschlagen hatte, allein sie blieb doch immer Mutter und ihr Herz konnte nie aufhören, den Sohn zu lieben.
Zu ihr ging Dorn. – Als er die Treppe zu der Wohnung seiner Eltern, auf der er als Knabe so oft gespielt hatte, emporstieg, als die glücklichen Tage der Kindheit lebhaft in seiner Erinnerung auftauchten, als er der Zeiten gedachte, in der er noch keine Sorgen gekannt, zog sich sein Herz schmerzhaft zusammen. Wie viel hatte er verloren und er sah keine Möglichkeit ein, es wieder zu gewinnen.
Zaghaft öffnete er die Thür, welche in die Wohnung seiner Eltern führte.
Dorn wußte, daß sein Vater um diese Zeit nie zu Hause war. Leise trat er in das Wohnzimmer – Niemand war darin. Er kannte jeden Gegenstand in demselben und doch erschien ihm Alles fremd. Aus der an das Zimmer stoßenden Kammer vernahm er eine schwache Stimme – es war die Stimme seiner Mutter.
Rasch trat er ein. Langsam und mit Mühe richtete sich seine Mutter im Bette, welches sie schon seit Tagen hüten mußte, empor. Er wußte nichts davon. Ihre hohlen und tiefliegenden Augen, welche mit Ernst, aber doch zugleich mit dem unverkennbaren Ausdrucke der Liebe auf ihn gerichtet waren, drangen ihm tief in's Herz hinein. Er stand still und wagte keinen Schritt weiter vorzuschreiten. Es war ihm, als ob die kranken Züge seiner Mutter ihm zuriefen: »Aus Gram über Dich sind wir alt und elend geworden!« Hatte er ein Unrecht begangen, so hatte er es an ihr allein gethan, denn sie hatte nie aufgehört ihn zu lieben.
Da streckte die Kranke den Arm empor, als ob sie ihm winke: länger hielt sich Dorn nicht. Ungestüm eilte er zu der Kranken, warf sich vor dem Bette nieder auf die Kniee, ergriff die Hand der Mutter, bedeckte sie mit Küssen und preßte sie dann gegen die Augen, aus welchen gewaltsam die Thränen stürzten. Vor der Mutter brauchte er sich nicht zu scheuen, seinen ganzen Schmerz zu zeigen.
Beruhigend, versöhnend strich die Kranke mit der Hand über das Haupt des leidenschaftlich und schmerzlich Erregten.
»Sei ruhig, Georg,« sprach sie endlich und ihre Stimme klang weich, sie tönte ihm entgegen wie aus der ersten Kindheit, wenn sie Abends an seinem Bette saß. – »Sei ruhig,« fuhr die Kranke fort. »Ich weiß Alles! Ich habe nicht erwartet, daß es so kommen werde, allein, da Du nur Dir selbst einen Vorwurf zu machen hast, so ertrage es wie ein Mann. Es ist hart, hart für Dich, allein ich weiß auch, daß Du die Kraft besitzest, es zu überwinden!«
Dorn vermochte nicht zu antworten, seine Mutter konnte ihn doch auch nicht ganz verstehen, denn zwischen ihrer Auffassung und der seinigen war ein zu großer Abstand. Nicht blos ein halbes Menschenleben, sondern die Ideen eines halben Jahrhunderts lagen zwischen ihnen.
»Du hast uns vielen Kummer bereitet,« fuhr die Frau erschüttert fort. »Daß Du meine Hoffnungen vernichtet, vergebe ich Dir gern, allein Du hast auch Deine eigene Zukunft zerstört, das schmerzt mich noch mehr. Dein Vater ist heftig über Dich erzürnt, er weist jede Versöhnung zurück, so oft ich ihn auch darum gebeten habe; ich gebe zu, daß er gegen Dich zu weit gegangen ist, allein Du hast ihn auch tief – tief gekränkt und Du weißt, daß er schwer vergibt! Ich wußte, daß Du noch einmal zu mir kommen würdest, ehe Du die Stadt verließest – Dein Vater darf freilich nicht erfahren, daß Du hier gewesen bist.«
»Mutter,« entgegnete Dorn endlich, »der Vater verkennt mich, er begreift meine Ansichten nicht, darum haßt er sie – kann ich anders als nach meiner Ueberzeugung handeln?«
Die Kranke schüttelte halb zweifelnd mit dem Kopfe.
»Georg, auch ich glaube, daß Deine Ansichten nicht die richtigen sind,« sprach sie, »allein ich kenne Dich zu gut, um nicht zu wissen, daß Du mit Bewußtsein kein Unrecht thun wirst. Meine Kräfte reichen nicht aus, Dir eine andere Ueberzeugung beizubringen, deshalb laß uns hierüber schweigen. Wann wirst Du die Stadt verlassen?«
»Morgen.«
»Und was sagt Deine Braut?« fragte die Kranke mit langsamer Stimme weiter.
Dorn theilte ihr nun Alles mit.
Die Augen der Frau füllten sich mit Thränen. Sie erfaßte die Hand ihres Sohnes und hielt sie fest in der ihrigen.
»Deine Braut hat nicht gut an Dir gehandelt,« sprach sie. »Nur der äußeren Verhältnisse wegen, hat sie Dich aufgegeben, das ist schlimmer als Untreue, denn dazu kann sie nur der Verstand bewogen haben. Vergiß sie, Georg, vergiß sie, denn Du wärst nimmer mit ihr glücklich geworden!«
Sein ganzes Herz schüttete Dorn der Mutter aus.
Sie selbst drängte ihn endlich zum Fortgehen, weil sie die Heimkehr ihres Mannes befürchtete und jedes Zusammentreffen zwischen Vater und Sohn vermeiden wollte. In ihrem Herzen gab sie ja Beiden zum Theil Recht und trugen Beide einen Theil der Schuld. –
Dorn befand sich schon seit mehreren Wochen in B. und die Veränderung seiner Lage bedrückte ihn schwerer als er erwartet hatte. Die kleine Stadt beengte ihn und die neue Stellung bot ihm nicht die geringste Annehmlichkeit. Sein Vorgesetzter, der Gerichtsdirektor Ullmann, hatte ihn von Anfang an empfinden lassen, daß er um die Strafversetzung wußte und daher gesonnen sei, die neue Stellung für Dorn wirklich zu einer Strafe zu gestalten. Er war ihm kalt und schroff entgegengetreten und hatte dem Assessor sogleich gesagt, daß die Gesinnungen und Ansichten, wegen deren er versetzt sei, in B. noch weniger Anklang finden würden und daß er am wenigsten gesonnen sei, solche Ansichten bei seinen Untergebenen zu dulden.
Dorn hatte geschwiegen, so tief auch sein Stolz verletzt war. Die Ereignisse der letzten Tage, der Abschied von seiner Mutter und seiner Vaterstadt hatten noch zu schwer auf ihm gelegen. Er befand sich noch in einer so gedrückten Stimmung, daß er jede neue Aufregung vermeiden wollte. Er hoffte auch, daß sein Verhältniß zu dem Gerichtsdirektor sich freundlicher gestalten werde.
Dies war nicht geschehen. Ullmann war ein Charakter, der überhaupt eine solche Annäherung nicht wünschte. Er war ein stolzer und herrschsüchtiger Mann. Durch seine hervorragende Stellung wurde es ihm leicht, in B. in den meisten Angelegenheiten seinen Willen durchzusetzen. Es ließ sich nicht in Abrede stellen, daß seine Ansichten meist die richtigen waren, da er einen scharfen Verstand besaß, allein seine Herrschsucht wurde dadurch nur genährt.
Er war vielleicht nur zehn Jahre älter als Dorn und hatte seine Stellung allein seiner Tüchtigkeit zu verdanken. Freilich war er durch freisinnige Ansichten seiner Beförderung nie entgegengetreten. Er war noch unverheirathet, liebte das Leben und die Geselligkeit und stand an der Spitze aller Vergnügungen, welche von den vornehmeren Einwohnern in B. veranstaltet wurden.
Dorn war bis jetzt allen Vergnügungen ausgewichen; schon der Umstand, daß der Gerichtsdirektor stets an der Spitze derselben stand, hatte ihn fern gehalten, und es war noch die Neugierde der Bewohner hinzugekommen, welche vom ersten Tage an sämmtlich gewußt hatten, daß er zur Strafe nach B. versetzt sei. Durch wen sie dies erfahren hatten, wußte er nicht. Es war ihm auch gleichgiltig, denn die Bewohner von B. kümmerten ihn nicht, obschon er auf die Dauer nicht ohne sie leben konnte.
Die Abende brachte er meist in einem Gasthause zu, in demselben Zimmer, in welchem gewöhnlich auch der Gerichtsdirektor mit mehreren Stammgästen an einem Tische saß. Er kümmerte sich um Ullmann nicht, wie auch dieser ihn nicht aufforderte, an seinem Tische Platz zu nehmen. Er brachte die Zeit mit Lesen der Zeitungen hin und freute sich jeden Abend, wenn wieder ein Tag zu Ende ging, denn das Leben besaß wenig Werth mehr für ihn.
So hatte er während seines mehrwöchentlichen Aufenthaltes in B. nur wenige Menschen kennen gelernt. Zu ihnen gehörte der Fabrikant Fabrig, ein noch junger Mann, der ihm von Anfang an in freundlicher Weise entgegen gekommen war. Aber auch mit ihm traf er nur dann und wann in dem Gasthause zusammen. Um so mehr war er erstaunt, als Fabrig eines Morgens in sein Zimmer trat und ihn zu einer Gesellschaft, welche er am Abend zu geben beabsichtigte, einlud.
Er wollte die Einladung ablehnen, weil er nicht in der Stimmung war Gesellschaften zu besuchen, allein der Fabrikant kam ihm zuvor.
»Sie dürfen meine Bitten nicht ablehnen,« sprach er, »weil ich ein Gesinnungsgenosse von Ihnen bin. Ich habe die Artikel, welche Ihnen so viel Unannehmlichkeiten bereitet haben, gelesen und stimme denselben vollkommen bei. Es wird Ihnen vielleicht auffallend erscheinen, daß ich meine Gesinnungen fast ganz verleugne, allein es bleibt mir hier nichts weiter übrig, wenn ich nicht mit allen Gebildeten brechen und allein dastehen will. Dies darf ich schon meiner Frau wegen nicht thun und auch ich selbst würde viel entbehren, denn ich liebe die Geselligkeit. Die Tage gehören nach meiner Ansicht der Arbeit und die Abende dem Vergnügen, ich bedarf desselben, weil ich sonst die Lust und die Kraft zur Arbeit verliere. Nur aus diesem Grunde suche ich es zu vermeiden, meine Ansichten zur Schau zu tragen, ich wäre hier in B. verloren, denn hier herrschen die Ansichten, welche der Herr Gerichtsdirektor vertritt und diese kennen Sie ja.«
Dorn gab den Bitten endlich nach und versprach an der Gesellschaft Theil zu nehmen.
»Meine Frau hat längst gewünscht, Sie kennen zu lernen,« fuhr Fabrig fort und fügte lächelnd hinzu: »Ihren Herrn Vorgesetzten werden Sie heute Abend auch treffen. Sie werden die hiesigen Verhältnisse bereits soweit kennen, um zu begreifen, daß er nicht zu vermeiden ist.«
»Ich suche keine Annäherung an ihn, allein ich habe auch keinen Grund, ihn zu fürchten,« entgegnete Dorn ruhig. »Wir stehen allerdings in keinem freundschaftlichen Verhältnisse, allein Ihr Haus ist ja ein neutraler Boden. Ich besuche auch das Gasthaus, in welchem er verkehrt.«
»Zu seinem großen Aerger,« bemerkte der Fabrikant lachend. »Sie sollen diesen stolzen und kalten Herrn indeß heute Abend von einer ganz andern Seite kennen lernen. Sie werden heute Abend eine junge Wittwe, eine intime Freundin meiner Frau, treffen, welche so viel Vorzüge in sich vereint, wie man selten in einer Frau findet. Sie ist jung, hübsch, liebenswürdig und sehr reich. Ungefähr eine Viertelstunde vor der Stadt liegt ihr Gut, welches mindestens einige hunderttausend Thaler werth ist. Ihr Mann, welcher vor einem Jahre gestorben ist, hat ihr das Gut hinterlassen und sie ist die alleinige Besitzerin desselben, da sie keine Kinder hat. Dieser Dame macht der Gerichtsdirektor in der auffallendsten Weise den Hof und ich würde ungerecht sein, wenn ich nicht eingestehen wollte, daß er ihr gegenüber eine außerordentliche Liebenswürdigkeit entwickelt. Der Gegenstand ist einer solchen Bemühung in der That nicht unwerth.«
»Nimmt die Dame diese Huldigungen an?« fragte Dorn nicht ohne Neugierde.
Der Fabrikant zuckte mit den Achseln.
»Darüber ist selbst meine Frau noch in Zweifel und Frauen haben sonst in solchen Angelegenheiten einen außerordentlichen scharfen Blick,« entgegnete er. »Die Dame, – Bertha Steffens ist ihr Name – ist gegen Jeden so unbefangen liebenswürdig, daß es schwer zu errathen ist, für wen sie sich interessirt. An Bewerbern um ihre Hand fehlt es nicht, denn ihr Vermögen lockt Viele an. Manche beschuldigen sie, daß sie kokett sei; dies ist indeß nicht der Fall, ich kenne sie bereits seit Jahren und weiß, daß sie einen durchaus kindlich heiteren, unbefangenen Sinn besitzt. Sie ist lange Zeit verreist gewesen, um den zudringlichen Bewerbern auszuweichen. Erst vor wenigen Tagen ist sie zurückgekehrt. Haha! Der Gerichtsdirektor würde eine glänzende Partie machen, wenn es ihm gelänge, ihr Herz zu erringen, er könnte seine Stellung aufgeben und als Gutsbesitzer leben.«
Dorn konnte hierauf nichts erwiedern, indeß sah er nicht ohne Spannung dem Abende entgegen. Ein Lächeln überflog sein Gesicht, als er sich den gestrengen und kalten Gerichtsdirektor in der Rolle eines Liebhabers vorstellte. Zugleich war es ihm lieb, in Fabrig einen Mann gefunden zu haben, der mit seinen Anschauungen übereinstimmte. Das grade und einfache Wesen dieses Mannes hatte ihm von Anfang an gefallen.
Derselbe besaß eine große und sehr ausgedehnte Fabrik, er war reich, ohne daß ihn das Geld mit dem geringsten Stolze erfüllte. Heiter und lebenslustig schaute er in das Leben hinein. Wohl war sein Wesen oft etwas derb, allein es machte immer den Eindruck der Offenheit und Wahrheit und versöhnte schnell wieder, wo er es vielleicht verletzt hatte.
Fabrig wohnte unmittelbar vor dem Thore der Stadt. Um sein neu erbautes und glänzend eingerichtetes Haus schloß sich ein großer Garten.
Die Gesellschaftsräume waren sämmtlich erleuchtet und schon mit Gästen erfüllt, als Dorn dieselben am Abende betrat. Fabrig empfing ihn in der freundlichsten Weise und stellte ihn seiner Frau, sowie der jungen Wittwe vor, zu deren Gunsten er am Morgen so viel gesagt hatte. Dorn fand dasselbe durchaus nicht übertrieben, denn die junge Frau war eine der reizendsten und anmuthigsten Erscheinungen, welche er je gesehen hatte. Man hätte bestreiten können, daß sie schön sei, denn dazu waren ihre Züge nicht regelmäßig genug, allein es lag in ihrem Gesichte und Wesen so viel Anmuth, ihre dunkeln Augen blickten so unbefangen und doch feurig, jeder ihrer Züge war gleichsam so durchgeistigt, daß sich Jeder von ihr angezogen fühlte.
Die regelmäßige Schönheit hat immer etwas Kaltes und Entfremdendes, Bertha besaß dagegen die seltene Eigenschaft, selbst Fremden in einer Weise entgegenzutreten, als sei sie bereits längere Zeit mit ihnen bekannt, ohne daß sie sich dabei das Geringste vergab. Auch Dorn begegnete sie in dieser freundlichen Art, gestand ihm, daß Fabrig ihr bereits von ihm erzählt habe und plauderte mit ihm in der unbefangensten Weise.
Dorn war weniger unbefangen, seine gewohnte Ruhe hatte ihn verlassen. Als er sie erblickt, hatte es ihn leise durchzuckt, ihre Züge erschienen ihm nicht fremd, er glaubte sie schon gesehen zu haben und konnte sich nicht entsinnen, wo. Vergeblich strengte er sein Gedächtniß an. Sollte ihn nur eine Aehnlichkeit täuschen? Er hörte ihre Worte kaum, weil seine Gedanken ihn ganz in Anspruch nahmen, nur der Laut ihrer klangvollen weichen Stimme drang einschmeichelnd in sein Ohr.
»Sie sind zerstreut, Herr Assessor,« sprach Bertha, der seine Befangenheit nicht entging.
»Verzeihung!« bat Dorn. »Diese Schwäche habe ich erst hier in B. kennen gelernt. Ich lebe hier ganz abgeschlossen, nur in meiner eigenen Gedankenwelt, und nun weicht dieselbe auch nicht von mir, wenn ich mich in Gesellschaft befinde.«
»Sie begehen ein Unrecht, daß Sie sich so sehr abschließen,« fuhr Bertha fort. »Selbst wenn das Leben uns eine rauhe und bittere Seite gezeigt hat, so dürfen wir ihm dennoch nicht den Rücken wenden, denn es hat mehr als eine Seite, ja es bietet für jeden Menschen Glück und Befriedigung, er darf nur die Mühe nicht scheuen, Beides zu suchen.«
Ein bitteres Lächeln glitt über Dorn's Gesicht hin. Bertha war offenbar mit seinem Geschicke bereits bekannt, so leise sie dasselbe auch andeutete.
»Sie mögen Recht haben,« bemerkte er, »allein nur zu viele Menschen suchen vergebens ihr ganzes Leben hindurch nach dem Glücke, welches das Geschick für sie in seiner Urne birgt, und es sucht sich schlecht darnach, wenn die Hoffnung bereits geschwunden ist.«
Der Gerichtsdirektor trat in diesem Augenblicke in den Saal. Sein Auge zuckte, als er Bertha mit dem Assessor sprechen sah. Er eilte auf sie zu, um sie zu begrüßen, Dorn warf er einen scharfen, fast drohenden Blick zu. Er hatte die Anwesenheit desselben nicht erwartet, jetzt unterhielt sich derselbe sogar mit der Dame, der er selbst den Hof machte! Es war ihm peinlich, Bertha in Dorn's Gegenwart zu begrüßen, der seinen scharfen Blick kaum zu verstehen schien, denn er blieb ruhig an Bertha's Seite.
»Ich störe Sie,« sprach Ullmann mit einem unverkennbar spöttischen Ausdrucke.
»Wir sprachen über das Geschick, das dem Einen Glück zuertheilt, während es den Andern mit rauher Hand anfaßt,« entgegnete Bertha.
Ullmann errieth, wodurch dies Gespräch hervorgerufen war! es lag so nahe, daß es sich auf Dorn bezogen hatte.
»Glauben Sie, daß die Hand des Geschickes ungerecht ist?« warf er ein.
»Die Göttin des Glückes ist blind,« bemerkte Bertha.
»Nein, auch das kann ich Ihnen nicht zugeben,« fuhr Ullmann fort. »Die meisten Menschen schreiben dem Geschicke zu, was sie durch ihr eigenes Handeln hervorgerufen und verdient haben; sie finden nicht den Muth, sich selbst die Schuld beizumessen und klagen deßhalb das Geschick an, und doch wäre es besser, sie sähen ihre Fehler ein und suchten dieselben abzulegen.«
Bertha bemerkte nicht, wie Ullmann bei diesen Worten Dorn anblickte, sie hatte keine Ahnung von dem gespannten Verhältnisse, welches zwischen Beiden herrschte.
»Herr Assessor,« rief sie unbefangen, »stimmen Sie diesen Worten auch bei? Welches ist Ihr Urtheil?«
Dorn stand ganz ruhig da, nur seine Wangen hatten sich bei Ullmann's rücksichtslosen Worten leicht geröthet und seine Lippen fester aufeinander gepreßt. Der Mann ging zu weit, ihm in der Gegenwart der Dame gleichsam eine Strafpredigt zu halten, ohne daß er im Geringsten dazu gereizt war, er trug nicht einmal dem neutralen Boden Rechnung, auf dem sie sich befanden.
»Gnädige Frau,« erwiderte er, indem ein stolzes überlegenes Lächeln um seine Lippen zuckte, »ich enthalte mich jedes Urtheils, da der Herr Gerichtsdirektor seinen Worten eine zu persönliche Beziehung gegeben hat; mein Urtheil würde vielleicht zu wahr sein und die Wahrheit ist nicht immer angenehm.«
Er verbeugte sich ruhig gegen Bertha und trat in den Saal zurück. Ein aufflammender Blick Ullmann's traf ihn, die Lippen desselben zuckten, als wollten sie etwas entgegnen, sie schwiegen indeß.
Der kleine Zwischenfall war von Niemand bemerkt, Bertha hatte ihn nicht vollständig begriffen.
Ullmann überhäufte Bertha mit Schmeicheleien und Artigkeiten, er sprach um so lebhafter, je mehr er den Unmuth, der ihn erfüllte, verbergen wollte.
Dorn war in eine Fensternische getreten. Die Vorhänge verbargen ihn halb. Unter den Gästen sah er ohnehin nur wenige, welche ihm bekannt waren und keinen einzigen, der ihn angezogen hätte. Er strich langsam mit der Hand über die Stirn hin. Die Stirn glühte; er war äußerlich durchaus ruhig, allein aufgeregt strömte das Blut durch seine Adern. Er hatte schon Verschiedenes von Ullmann ertragen, seine Geduld ging zu Ende. Der Mann stand über ihm und war sein Vorgesetzter; allein die Macht desselben reichte nicht bis in die Gesellschaft hinein und er war sich bewußt, ihm noch nicht die geringste Ursache zur Unzufriedenheit gegeben zu haben. In dieser Weise konnte das Verhältniß zwischen ihnen nicht fortdauern. Es verrieth eine niedrige Denkungsart, ihn in Berthas Augen herabzusetzen.
Er blickte hinter dem Vorhange hervor. Noch immer stand Ullmann neben der anmuthigen Frau und unterhielt sich mit ihr in der lebhaftesten Weise. Er konnte sein Auge von der frischen, reizenden Erscheinung kaum abwenden und je mehr er Bertha betrachtete, um so bekannter erschienen ihm deren Züge. Sie erinnerten ihn an etwas längst Vergangenes und doch konnte sein Gedächtniß ihm keine Auskunft geben. Alle Frauen, die er kennen gelernt hatte, ließ er im Geiste vorüberziehen, keine einzige hatte mit Bertha Aehnlichkeit. Er wollte den Gedanken, sie schon früher gesehen zu haben, als thöricht von sich weisen und dennoch drängte sich ihm derselbe immer wieder auf und wie durch eine magnetische Kraft wurde sein Blick zu Bertha hingezogen.
Fabrig trat endlich zu ihm.
»Hier finde ich Sie,« sprach er. »In allen Zimmern habe ich Sie gesucht. Lieben Sie das Verstecken?« fügte er scherzend hinzu.
»Ich wollte von hier aus nur ungestört Beobachtungen anstellen,« entgegnete Dorn. »Sie wissen, daß mir ja die meisten der Anwesenden fremd sind; es wird mir leichter, mich unter ihnen zu bewegen, wenn ich sie zuvor beobachtet habe.«
»Und Sie können von hier aus zugleich sehr bequem meine Freundin und den Gerichtsdirektor betrachten,« fuhr Fabrig lachend fort. »Gestehen Sie nur ein, der Mann amusirt Sie durch seine Liebeswerbungen! Nun wie gefällt Ihnen die kleine Frau?«
»Sie haben heute Morgen zu ihrem Lobe nicht zu viel gesagt.«
»Noch nicht einmal genug,« rief Fabrig, »weil ich von ihrem wirklich vortrefflichen Charakter wenig erwähnte. Sie ist in jeder Beziehung eine vorzügliche Frau. Auch hierin werden Sie mir Recht geben, wenn Sie sie erst näher kennen gelernt haben.«
»Ich schenke Ihrem Urtheile vollen Glauben,« bemerkte Dorn.
»Ich befürchte nur das Eine,« fuhr Fabrig mit leiserer Stimme fort, »daß sie wirklich gegen Ullmann nicht gleichgiltig ist und sich durch seine Schmeicheleien gefangen nehmen läßt. Ich gestehe Ihnen offen, daß ich sie dem Manne nicht gönne, er würde noch stolzer und hochmüthiger werden, und ich bezweifle sehr, daß die junge Frau durch ihn ihr Glück fände.«
»Auch ich glaube nicht, daß er im Stande ist, ein Frauenherz zu verstehen,« bemerkte Dorn. »Er ist schon zu alt, um sich noch in ein neues Leben zu schmiegen; ich vermuthe, daß ihn hauptsächlich das Vermögen anzieht.«
»Das wäre ehrlos!« rief Fabrig. »Könnte ich nur darüber Gewißheit erlangen, um die Freundin meiner Frau rechtzeitig zu warnen. Es ist freilich eine undankbare Sache, sich in Liebesgeschichten zu mischen, denn die Liebe macht nur allzu oft blind. Doch kommen Sie, man möchte uns vermissen, und als Wirth habe ich gegen Alle Pflichten. Wir sprechen hierüber später noch, denn ich hoffe, wir sehen uns von heute an öfter.«
Er legte seinen Arm in Dorn's Arm und zog ihn mit sich in den Saal.
So einfach Fabrig in seinem Wesen war, so verstand er es doch vortrefflich zu bewirthen. Er ließ alle seine Gäste sich in der ungezwungensten Weise bewegen und es herrschte in seinen Gesellschaften deßhalb meist ein sehr heiterer Ton. Ein jeder empfand das Zwanglose und suchte sich in seiner Weise zu amusiren.
Von einem Theile der Herren wurde dem Weine schon zugesprochen, ehe man sich zu Tisch setzte. Fabrig selbst ging mit gutem Beispiele voran, er liebte es, heiter zu sein unter heiteren Menschen.
Dorn konnte die durch die Begegnung mit Ullmann hervorgerufene Mißstimmung so rasch nicht überwinden. Die rücksichtslosen Worte desselben klangen ihm noch immer im Ohre wieder und fast unbewußt suchte er stets einen Platz aus, von dem aus er Bertha beobachten konnte. Die bekannten Züge ihres Gesichts zogen ihn an, sie fesselte ihn, ohne daß er sich dies gestehen mochte. Er würde auch einer in ihm aufsteigenden Neigung von vornherein entgegengetreten sein, denn sein Herz hatte Adelheid noch immer nicht vergessen. Und würde es nicht eine Thorheit gewesen sein, wenn er als Assessor, der in B. nur im Exil lebte, dessen Zukunft für lange Jahre gleichsam abgeschlossen war, hätte Hoffnungen in sich aufkeimen lassen wollen, während Bertha von allen Seiten umflattert war!
Ullmann führte natürlich Bertha zu Tische, Fabrig hatte Dorn grade Beiden gegenüber einen Platz an der Tafel bestimmt, er saß neben Fabrig's Gattin. Gern hätte Dorn diesen Platz mit einem andern vertauscht. Rief ihm auch Bertha scherzend zu, jetzt könnten Sie ihr Gespräch über das Geschick fortsetzen, so machte es ihm doch der kalte, fast gehässige Blick des Gerichtsdirektors sehr schwer, seine Ruhe und Unbefangenheit zu bewahren.
Auch Ullmann war offenbar verstimmt, daß Dorn ihm gegenübersaß und richtete seine Worte Anfangs nur an Bertha. Der heitere Geist derselben zog indeß bald auch Andere mit in die Unterhaltung. Nur Dorn saß halb in Gedanken versunken schweigend da und spielte mit dem Messer. Je mehr er seine Mißstimmung verbergen wollte, um so deutlicher trat dieselbe hervor, schon die Hast, mit der er das Weinglas wiederholt leerte, verrieth dieselbe.
Ullmann erzählte, daß an dem Nachmittage dieses Tages ein junges Mädchen fast ertrunken sei; sie sei in den Fluß gefallen und nur durch das rechtzeitige Hinzukommen und die Unerschrockenheit eines Arbeiters gerettet worden.
»Wissen Sie, daß auch ich als junges Mädchen beinahe ertrunken wäre?« warf Bertha ein.
Ullmann und einige andere Herren forderten sie auf, den Vorfall zu erzählen.
»Es klingt fast wie ein Märchen, sprach Bertha, »und ist nicht ohne romantischen Hauch. Als fünfzehnjähriges Mädchen machte ich mit meinem Vater eine Reise durch das Gebirge. Es war das erste Mal, daß ich die Berge kennen lernte und sie machten einen unsagbar großartigen und erhabenen Eindruck auf mich; sie berauschten mich gleichsam. In meinem jugendlichen Uebermuthe, und ich war damals noch sehr wild und übermüthig, hatte ich Lust, jeden Felsen und Berggipfel zu erklimmen. Ich dachte an keine Gefahr, weil ich sie nicht kannte. Mein Vater hatte damals viel Mühe, meinen Uebermuth zu zügeln, allein meiner begeisterten halb berauschten Stimmung konnte er nicht Einhalt thun. Ich war entzückt von jeder neuen Aussicht und es wurde mir schwer, mich von ihr wieder zu trennen. Wir machten die Reise zu Fuß, um die ganze Schönheit des Gebirges, welches mein Vater ohnehin sehr genau kannte, zu genießen, nur ein Führer, der unser geringes Gepäck trug, begleitete uns. An einer wunderbar schönen Stelle mitten im Walde, wo ein Bergbach sich schäumend in einen kleinen Bergsee stürzte, hielten wir eines Tages Rast. Mein Vater und der Führer lagerten sich in dem Schatten der Bäume. Ich kannte keine Ermüdung und hatte deshalb auch nicht lange Ruhe. Grade an der Stelle, wo der Bergbach sich in den See stürzte, führte ein schmaler Steg über den Bach. Auf ihn eilte ich. Mein Vater rief mir eine Warnung zu, ich achtete indeß wenig darauf, denn der Steg war durch ein Geländer geschützt und ich begriff in der That nicht, worin eine Gefahr liegen sollte. Ich schaute hinab in das Wasser; die Wellen des Bergbaches, welche sich schäumend und überstürzend in den See warfen, zogen mich an. Es lag in diesem Ueberstürzen, diesem Schäumen und Rauschen etwas Einförmiges und dennoch stets Wechselndes. Stundenlang hätte ich hinabschauen können, ohne zu ermüden. Ich lehnte mich auf das Geländer, um tiefer hinabblicken zu können, da gab das morsche Holz nach und mit ihm stürzte ich hinab in den See, wurde durch die schäumenden Wellen gewaltsam mit hinabgerissen auf den Grund und wieder emporgehoben. Mein Angstschrei hatte meinen Vater und den Führer herbeigerufen, allein Beide waren nicht im Stande gewesen, mich zu retten, da sie nicht schwimmen konnten und das Wasser mich bereits in die Mitte des See's gerissen. Rathlos und um Hülfe rufend eilten sie am Ufer auf und ab. Da erschienen an der anderen Seite des See's zwei junge Männer, ich sah noch, wie der eine derselben rasch den Rock von sich warf und sich in den See stürzte – weiter reicht meine eigene Beobachtung nicht. Als ich aus einem besinnungslosen Zustand wieder zu mir kam, kniete mein Vater neben mir und jubelte auf, als er mein Lebenszeichen bemerkte. Gleich darauf kam der Führer, welcher zum nahen Försterhause geeilt war, mit mehreren Männern, welche mich nach der Försterwohnung trugen.«
Mit athemloser Spannung war Dorn Bertha's Worten gefolgt. Er hatte den Körper etwas vornüber gebeugt, seine Wangen glühten, seine Augen leuchteten.
»Und wo war ihr Retter geblieben?« fragte Ullmann.
»Der junge Mann, der so unerschrocken sein Leben gewagt hatte, um das meinige zu retten,« fuhr Bertha fort, »der mich nur mit der größten Anstrengung an das Ufer gebracht hatte, war mit seinem Begleiter bereits weiter gezogen. Es waren zwei Studenten, welche wie wir eine Reise durch das Gebirge gemacht hatten, und um eine Verzögerung einzuholen, gezwungen waren, ohne Aufenthalt zum nächsten Ort zu eilen, um dort die Post zu benutzen.«
»Sie haben Ihren Retter nie wieder gesehen?« warf Ullmann ein.
»Nie,« entgegnete Bertha. »In seiner namenlosen Angst nur hatte mein Vater vergessen, nach seinem Namen zu fragen – ich weiß noch heute nicht, wem ich das Leben verdanke. Ich habe damals geweint, weil es mir nicht einmal vergönnt war, ihm zu danken. Auf meine Bitten ließ mein Vater in mehreren Blättern die Aufforderung drucken, daß der junge Mann, der einem jungen Mädchen dort und dort das Leben gerettet habe, seinen Namen nennen möge – es erfolgte keine Antwort.«
»Sicherlich hatte der Glückliche, dem es vergönnt war, Ihnen einen solchen Dienst zu erweisen, die Aufforderung nie gelesen,« bemerkte Ullmann, »sonst würde er nicht gezögert haben, sich zu nennen. Ohne Zweifel haben Sie sich nach Ihrem unbekannten Retter oft gesehnt?« fügte er scherzend hinzu.
Ein leichtes Erröthen glitt über Bertha's Gesicht hin.
»Ich habe ihm wenigstens eine dankbare Erinnerung bewahrt,« entgegnete sie. »Es würde ein fast wunderbarer Zufall sein, wenn mich das Geschick noch einmal mit ihm zusammenführte, dann würde ich ihm offen die Hand entgegenstrecken, um den langjährigen Dank abzutragen.«
Dorn hörte und sah dies Alles, er konnte sein heftig pochendes, übervolles Herz kaum noch beherrschen, er fühlte ein Entzücken in sich, daß er aufspringen und zu Bertha hätte eilen mögen, denn er – er war der Glückliche gewesen, der ihr damals das Leben gerettet hatte! Deshalb waren ihre Züge ihm so bekannt erschienen, er hatte sich dennoch nicht getäuscht, sondern sie bereits einmal gesehen! Lange hatte er ihr liebliches Bild damals in seinem Herzen getragen und von ihr geträumt, wie von einer Fee, die ihm im Walde erschienen. Er hatte sich gesehnt, sie wieder zu sehen, bis die Jahre allmählich den Vorfall und die Gedanken an sie aus seiner Erinnerung verwischten.
Mit einem Male stand jetzt Alles wieder klar vor seinem Geiste, er erkannte in Bertha deutlich die Züge des bleichen Mädchens wieder, welches er damals aus dem Wasser getragen und in seinen Armen gehalten hatte, er glaubte den klaren Bergsee, den rauschenden Bach und die dunkeln Tannen des Waldes vor sich zu sehen. Arglos war er damals mit seinem Freunde auf einem zu dem See hinabführenden Pfade dahin geschritten. Durch das Grün der Bäume hatte er die liebliche Mädchengestalt auf dem schmalen Stege erblickt, er hatte gesehen, wie das Geländer gebrochen, hatte ihren Angstschrei gehört und ohne Zögern sich in den See gestürzt. Das Alles stand klar wieder vor ihm und berauschte ihn fast.
Ob sein heftig pochendes Herz, ob seine glühenden Wangen ihn nicht verriethen? »Sie hat geweint, weil sie Dir hat nicht danken können!« hallte es in seinem Ohre wieder.
Da erhob sich der Gerichtsdirektor und erfaßte sein Glas.
»Meine Damen und Herren,« rief er mit seiner lauten und klaren Stimme, »lassen Sie uns dem glücklichen Fischer, der eine solche Perle aus dem Bergsee geholt hat, ein volles Glas bringen. Wir Alle sind ihm zu größtem Danke verpflichtet, denn ohne seinen rettenden Arm wäre uns der schönste Stern nie aufgegangen. Wer er auch sei und wo er weilen mag er lebe hoch!«
Begeistert wurden die Gläser an einander gestoßen.
»Hoch! Hoch!« hallte es laut in dem Saale wieder, denn freudig stimmten Alle in diese Bertha gebrachte Huldigung ein. Nur Dorn saß regungslos, wie ein Träumender da. Ihm galt ja das Hoch, ohne daß ein einziger von Allen eine Ahnung davon hatte.
»Herr Assessor, wie, Sie wollen nicht mit anstoßen?« rief Bertha, ihm das schäumende Champagnerglas über den Tisch entgegen haltend. »Wünschen Sie denn, daß ich damals ertrunken wäre?«
Wie durch einen elektrischen Funken getroffen, sprang Dorn auf.
»Nein, nein!« rief er und erfaßte sein Glas. »Ein Hoch – ein Hoch dem Geschicke, welches Ihnen damals den Arm Ihres Retters gesandt hat!«
Er blickte in Bertha's Augen und leerte sein Glas auf einen Zug. Er konnte das Blut, welches so heiß und stürmisch durch seine Adern rann, nicht länger bändigen. Was ihn so freudig erregte, konnte und mochte er nicht gestehen, aber überschäumen lassen mußte er sein Blut, wie der Champagner überschäumte, mit dem er sein Glas füllte. Sein Geist brach sich Bahn, sein Witz flatterte auf und zwar ohne Bitterkeit, denn sein Herz schlug ja freudig! Bald lauschte ihm die ganze Gesellschaft, und das freundliche Lächeln, mit dem Bertha zu ihm herüberschaute, begeisterte ihn immer mehr.
Was kümmerte ihn der finstere Blick des Gerichtsdirektors, was dessen zusammengezogene Brauen! Haha! Ihm zum Trotz wollte er lustig sein! Hier war nicht die Gerichtsstube, wo er ihm gehorchen mußte, das schäumende Glas vor ihm war nicht das schwarze Tintenfaß, in welches er den Tag über so oft die Feder tauchte, vor ihm lagen keine bestaubten Akten, ihm gegenüber stand kein Verbrecher, den er inquiriren mußte, sondern ihm gegenüber leuchteten zwei Augen, deren Blick ihn berauschte.
Mehr als einmal hatte Ullmann seine laute Stimme erhoben, um die Aufmerksamkeit von dem Assessor abzulenken, es gelang ihm nicht.
Als die Tafel endlich aufgehoben wurde, trat Fabrig zu Dorn und preßte ihm die Hand.
»Sie haben uns allen eine heitere Stunde bereitet,« sprach er. »Ihr Humor ist köstlich, mit einem Male haben Sie sich Aller Herzen gewonnen – nur das des Gerichtsdirektors nicht,« fügte er leiser und lachend hinzu. »Der wird es Ihnen schwer vergeben, daß Sie die Aufmerksamkeit von ihm abgelenkt haben. Ich kenne ihn ja, er will stets allein das Wort führen und den Ton angeben.«
»Ich glaube, er hat in der Gesellschaft nicht mehr Rechte als ich,« bemerkte Dorn.
»Nicht die geringsten mehr,« fuhr Fabrig fort. »Es freuen sich im Stillen Alle, daß es ihm nicht gelungen ist, heute Abend das Wort zu führen, denn wirkliche Freunde hat er nur sehr wenige, weil er zu schroff, zu anspruchsvoll und herrschsüchtig ist. Nun erweisen Sie mir aber den einzigen Gefallen und besuchen Sie mich oft, so oft es Ihre Zeit gestattet, Sie werden hier stets willkommen sein, und ich freue mich darauf, mit Ihnen einmal ungestört Ansichten austauschen zu können.«
Die Gesellschaft ging zu Ende. Nur flüchtig konnte Dorn sich Bertha empfehlen, denn Ullmann wich nicht von ihrer Seite, es schien dessen Absicht zu sein, jedes Gespräch zwischen ihnen zu vermeiden. Er hätte diese Sorge nicht nöthig gehabt, denn Dorns Herz schlug noch zu unruhig, als daß er sich unbefangen mit Bertha hätte unterhalten können.
Es war spät geworden, allein Dorn empfand noch nicht die geringste Müdigkeit. Es war eine wundervoll stille und laue Nacht, welche ihm gleichsam einladend entgegenwinkte. Was sollte er auf seinem Zimmer, da ihm doch zum Schlaf die Ruhe fehlte! Der Wein und die Aufregung wirkten noch in ihm nach, seine Stirn glühte. Er verließ also die Stadt und schritt langsam auf einem zwischen Gärten durchführenden Wege dahin. Wohin derselbe führte, wußte er nicht, es war ihm auch gleichgültig. Seine Gedanken weilten bei der, der er einst das Leben gerettet hatte. Er begriff jetzt nicht mehr, daß er ihre Züge hatte vergessen können, freilich war sie damals fast noch ein Kind gewesen und er hatte nicht in ihre dunkeln Augen geschaut. Was damals sein Herz so sehr bewegt, was seine Gedanken immer und immer wieder auf sie zurückgeführt hatte, das lebte jetzt in ihm wieder auf.
Als er sie einst in seinen Armen durch das Wasser getragen und am Ufer niedergelegt, hatte er eine blaue Schleife von ihrem Kleide gelöst und dieselbe mitgenommen. Lange Zeit hatte er dieselbe stets bei sich getragen und als Reliquie seiner schönsten Erinnerung heilig gehalten. Er besaß sie noch, sie lag zwischen den Blättern eines Buches.
War es nicht ein wunderbares Spiel des Geschickes, daß er jetzt nach länger denn zehn Jahren wieder mit ihr zusammentraf? Unwillkürlich zog der Gedanke durch ihn hin, daß sein ganzes Leben sich vielleicht anders gestaltet haben würde, wenn er damals die Aufforderung in der Zeitung gelesen und Bertha kennen gelernt hätte.
Es hatte ihn in dem Augenblicke, als sie die Geschichte bei Tafel erzählt, getrieben, aufzuspringen und ihr zuzurufen: »Ich bin es, der Dich gerettet hat! Ich habe Dein Bild lange, lange Zeit in meinem Herzen getragen, bis die Jahre es verwischt und die Hoffnung, Dich je wieder zu sehen, erstorben war!« – Es war ihm lieb, daß er geschwiegen hatte. Er würde in dem Augenblicke sein Herz verrathen haben und hätte doch nur eine Thorheit damit begangen. Durfte er als Assessor mit geringem Gehalte, der zur Strafe nach B. versetzt war, der in Jahren auf keine Beförderung rechnen konnte, neue Hoffnungen in sich aufkeimen lassen? Konnte er sich mit dem Gerichtsdirektor messen, der sich so offen um Bertha's Liebe bewarb und in ihrer Gunst schon so viel errungen zu haben schien?
Er ließ sich auf einem Steine am Wege nieder und preßte beide Hände vor das Gesicht. Er hoffte auf kein Glück mehr. Das Geschick hatte ihm Bertha's Gestalt vielleicht nur gezeigt, um ihm eine neue Täuschung zu bereiten, um ihm zu zeigen, daß der Mensch nichts vermag, wenn das Glück ihm nicht fördernd zur Seite steht. Noch war er nicht so tief gebeugt, daß er das Vertrauen auf die eigene Kraft verloren hätte. Er hatte die Liebe seines Vaters eingebüßt, hatte Adelheid verloren, ihm war durch seine Versetzung gleichsam seine ganze Zukunft abgeschnitten; allein er war doch mit dem festen Entschlusse nach B. gekommen, sich selbst treu zu bleiben und durch seine Kraft sich durchzuringen. Dieser neue Kampf, der ihm bevorstand, erfüllte ihn mit Bangen, weil er noch nicht wußte, ob er die Kraft zu ihm haben werde. Bertha hatte zu alte Ansprüche auf sein Herz, um sie vergessen zu können; daß er sie aufgeben mußte, war ihm klar, wenn er auch selbst dadurch zu Grunde ging.
Der Morgen brach bereits herein. Die Frische desselben machte ihn frösteln und mahnte ihn zur Heimkehr. In den Straßen der Stadt herrschte bereits Verkehr. Erstaunt blickten die Menschen auf den Assessor, der so spät in der Gesellschaftstoilette heimkehrte. Er sah Niemand. Als er auf seinem Zimmer angelangt war, nahm er die Schleife, welche seit Jahren in einem Buche gelegen hatte. Wohl war die blaue Farbe des Bandes durch die Jahre gebleicht, allein jene Stunde, in welcher er in den Besitz derselben gelangt war, stand noch in voller Frische vor seinem Geiste.
Auch jetzt noch floh der Schlaf ihn und er blieb in Gedanken versunken sitzen, bis die Stunde schlug, die ihn auf das Büreau rief.
Erst jetzt empfand er die Folgen der Aufregung und durchwachten Nacht. Er war müde und abgespannnt, dennoch begab er sich pünktlich an seine Arbeit, um dem Gerichtsdirektor nicht die geringste Veranlassung zu einer Klage zu geben, wußte er doch ohnehin schon, wie sehr derselbe auf ihn erbittert war. Von der Klugheit Ullmann's erwartete er freilich, daß derselbe den vorhergegangenen Abend mit keinem Worte erwähnen werde.
Hierin hatte er sich indeß getäuscht. Als Ullmann auf dem Büreau erschien, verrieth ihm sofort dessen kalter, strenger Blick, daß seine Erbitterung und Aufregung nicht geringer geworden waren. Ohne Gruß schritt er an ihm vorüber und wenige Minuten später ließ er ihn durch den Gerichtsdiener in sein Zimmer rufen.
Ruhig trat Dorn ein, er hatte das Bewußtsein, nichts Unrechtes gethan zu haben.
Ullmann saß in seinem Arbeitssessel und ließ Dorn erst einige Minuten lang dastehen, ehe er aufblickte.
»Herr Assessor,« sprach er dann, »es ist mir unangenehm, den gestrigen Abend berühren zu müssen. Ich würde es nicht thun, wenn mich nicht die unwilligen Aeußerungen über Ihr Benehmen bei Tafel, welche ich von verschiedenen Seiten gehört habe, dazu nöthigten.«
Dorn's Gesicht bedeckte eine flüchtige Röthe, seine Lippen zuckten.
»Ich bitte Sie, mir diejenigen zu nennen, denen ich in irgend einer Weise zu nahe getreten bin und die deßhalb einen Grund haben, über mich unwillig zu sein,« entgegnete er. »Ich weiß, daß ich Niemand beleidigt habe.«
Ullmann's Brauen zogen sich finsterer zusammen, weil Dorn seinen Vorwurf nicht ruhig hinnahm.
»Ich werde Niemand nennen,« fuhr er fort, indem seine Aufregung immer mehr hervortrat, »aber ich selbst theile den Unwillen. Ihr Benehmen war nicht ein derartiges, wie es sich für einen jungen Mann geziemt, der zum ersten Male hier in Gesellschaft erscheint und der unter so eigenthümlichen Verhältnissen hierher versetzt ist!«
Dorn richtete sich empor. Diese Worte übertrafen das, was er erwartet hatte, sie beleidigten ihn.
»Herr Gerichtsdirektor,« erwiderte er mit fester Stimme, »Unsere Beziehungen sind rein dienstlicher und amtlicher Natur, und nur wenn ich mir im Dienste etwas zu Schulden kommen lasse, kann ich Ihnen das Recht einräumen, mir einen Verweis zu ertheilen. Gestern Abend standen wir auf einem ganz gleichen Boden, wir waren beide Gäste des Herrn Fabrig, und dieser allein hat darüber zu entscheiden, wem von uns Beiden er größere Rechte in seinem Hause einräumen will. Ich erwähne also noch einmal, daß ich Ihren Vorwurf entschieden zurückweise!«
Ullmann sprang auf, der Zorn faltete seine Stirn.
»Das wagen Sie mir zu sagen!« rief er. »Wissen Sie, daß ich durch das Ministerium aufgefordert bin, einen Bericht über Ihr hiesiges Verhalten einzusenden und daß ich noch heute diesen Bericht abfassen werde?«
Die Aufregung seines Vorgesetzten zwang Dorn unwillkürlich ein Lächeln ab.
»Mir kann es gleichgültig sein, ob Sie in dem Berichte anführen, daß ich gestern Abend in einer Gesellschaft sehr lustig gewesen bin,« entgegnete er. »Ob das Ministerium Interesse daran nehmen wird, weiß ich nicht. Was meine dienstliche Thätigkeit anbetrifft, so glaube ich, daß ich mir nichts habe zu Schulden kommen lassen!«
»Auch mit Ihren Arbeiten bin ich nicht zufrieden!« rief Ullmann, der sich durch den Zorn immer mehr hinreißen ließ. »Ich werde dies in dem Berichte bemerken!«
»Dann muß ich jedenfalls darauf dringen, daß Sie mir irgend einen Fehler oder eine Nachlässigkeit nachweisen,« bemerkte Dorn.
»Sie haben kein Recht darauf zu dringen.«
»Ich habe das Recht,« entgegnete der Assessor fest. »Ich kann Sie freilich nicht dazu zwingen, allein ich werde Ihren Vorwurf so lange für unbegründet erklären, bis ich mit dem Grunde desselben bekannt gemacht bin.«
»Herr Assessor, Sie scheinen zu vergessen, daß ich Ihr Vorgesetzter bin,« unterbrach ihn Ullmann.
»Ich weiß dies vollkommen,« erwiderte Dorn mit Ruhe. »Es war mir nur unbekannt, daß Sie auch gestern Abend in der Gesellschaft mein Vorgesetzter waren.«
Ullmann preßte die Lippen aufeinander. Er sah ein, daß er bereits zu weit gegangen und daß Dorn nicht der Mann war, sich seiner Willkür zu fügen.
Einzulenken war für ihn unmöglich und es bis aufs Aeußerste zu treiben, wagte er noch weniger, da er sich nicht verhehlte, daß er nicht völlig im Rechte war.
Er gab Dorn ein Zeichen, das Zimmer zu verlassen.
»Sie werden meine weiteren Schritte kennen lernen,« fügte er hinzu.
»Es kann mir nur lieb sein, wenn ich in Untersuchung gezogen werde, um mich wegen der von Ihnen gemachten Vorwürfe rechtfertigen zu können,« entgegnete Dorn und verließ das Zimmer.
Auf seinem Büreau angelangt, ließ er sich auf seinem Platze nieder, er nahm die vor ihm aufgeschlagenen Akten zur Hand, er wollte durch Arbeit das Blut, welches heiß und stürmisch durch seine Adern rann, beruhigen, allein die Buchstaben hüpften vor seinen Augen, er war nicht im Stande, das soeben Geschehene zu vergessen.
Er kannte Ullmann's Charakter und hatte es deßhalb sorgfältig vermieden, ihm in irgend einer Weise entgegen zu treten. Dies hatte er indeß nicht über sich ergehen lassen können, obschon er wußte, daß er ihm gegenüber machtlos dastand. Erfuhr er je den Bericht, welchen Ullmann über ihn an das Ministerium sandte? Konnte er sich dagegen rechtfertigen, wenn er ihm Unrecht that? Willenlos war er dem Grolle und der Willkür desselben preisgegeben.
Immer mehr drängte sich ihm die Ueberzeugung auf, daß man ihn absichtlich vernichten wolle. Man beschuldigte ihn, ohne ihm zu sagen, worin seine Schuld bestand, man ließ ihm nicht einmal das Recht angedeihen, welches dem gemeinsten Verbrecher, der vor Gericht gestellt wird, widerfährt.
An eine Aussöhnung mit dem Gerichtsdirektor war bei dem heftigen Charakter desselben um so weniger zu denken, als Ullmann sich ihm gegenüber Blößen gegeben hatte, die er sich selbst nicht verzeihen konnte. Es stand ihm ein schwerer Kampf bevor, die Waffen und Kräfte waren ungleich, dennoch war er entschlossen, nicht einen Schritt von seinem Rechte zu weichen und noch weniger sich der Willkür Ullmann's zu fügen.
Tage waren verschwunden.
Dorn war täglich mit Ullmann in Berührung gekommen, allein noch war kein Wort zwischen ihnen gewechselt. Beide vermieden dies.
Dorn hatte sich während dieser Zeit vollständig abgeschlossen und nicht einmal das Gasthaus an den Abenden besucht. Er war nicht aufgelegt, um mit Menschen in Berührung zu kommen. Fabrig war wiederholt bei ihm gewesen, ohne ihn ein einziges Mal zu treffen; er wich selbst ihm aus, um die Aufregung, in der er sich befand, nicht zu verrathen.
Als er Abends von einem längeren Spaziergange heimgekehrt, fand er eine Einladung Bertha's zu einer Gesellschaft auf ihrem Gute, welche in zwei Tagen stattfinden sollte, vor. Er hatte sie seit dem Abende bei Fabrig nicht wieder gesehen, sein Zwist mit Ullmann hatte ihn weniger an sie denken lassen und es war ja am besten für ihn, wenn er sie ganz vergaß; jetzt stand ihr reizendes Bild in voller Frische wieder vor ihm.
Jede andere Einladung würde er abgelehnt haben, diese anzunehmen war er fest entschlossen, denn zu mächtig zog ihn sein Herz zu Bertha hin.
Ungestört überließ er sich süßen Träumen und versetzte sich zurück in den Wald, an den klaren Bergsee, aus dessen Wasser er sie einst errettet hatte.
Am folgenden Morgen kam Fabrig in aufgeregter Stimmung zu ihm.
»Endlich treffe ich Sie zu Hause!« rief er. »Ich bin wiederholt hier gewesen, ich habe auch im Gasthause nach Ihnen gesucht, dort haben Sie sich gleichfalls nicht sehen lassen. Sie scheinen Ihren Freunden mit Absicht ausweichen zu wollen.«
»Nein,« entgegnete Dorn, »ich bin nur viel spazieren gegangen, weil ich das Bedürfniß hatte, allein zu sein.«
Fabrigs Auge ruhte forschend auf ihm.
»Herr Assessor, Sie haben in den letzten Tagen Aerger gehabt?« fragte er.
Dorn gab eine ausweichende Antwort.
»Sie haben mit Ihrem Direktor Unannehmlichkeiten gehabt?« fuhr Fabrig fragend fort.
»Wie kommen Sie zu dieser Vermuthung?« warf Dorn ein.
»Weil Ullmann sich über Sie in einer sehr bitteren und gehässigen Weise geäußert hat und weil er nicht befähigt zu sein scheint, seine Gesinnungen zu verbergen, am wenigsten gegen Diejenigen, welche er als seine Untergebenen betrachtet.«
»Sie beurtheilen ihn nicht ganz unrecht,« bemerkte Dorn. »Ich kann Ihnen übrigens die Versicherung geben, daß ich ihm zu bitteren und gehässigen Aeußerungen in keiner Weise Veranlassung gegeben habe.«
»Es bedarf dieser Versicherung nicht, Herr Assessor,« fuhr Fabrig fort. »Ich bin zu Ihnen gekommen, um Ihnen eine neue Rücksichtslosigkeit dieses Mannes mitzutheilen. Ich sehe voraus, daß es Sie kränken wird, ich kann es Ihnen jedoch nicht ersparen.«
»Sprechen Sie ganz offen,« erwiderte Dorn, »denn mit der Zeit wird man auch gegen Unannehmlichkeiten abgestumpft.«
»Die Freundin meiner Frau hat Sie auf übermorgen Abend zu einer Gesellschaft eingeladen,« fuhr Fabrig fort. »Gestern hat sie die sämmtlichen Einladungen fortgesandt und zwar in einer ziemlich großen Anzahl. Natürlich hat sie auch den Herrn Gerichtsdirektor eingeladen. Bereits gestern hat sie von ihm einen Brief erhalten, in welchem er ihr schreibt, er nehme mit Vergnügen die Einladung an, allein er hoffe zuversichtlich, Sie in der Gesellschaft nicht anzutreffen. Wäre dies dennoch der Fall, so müsse er auf das Vergnügen verzichten, da er mit Ihnen gesellschaftlich weder verkehren wolle noch könne!«
Dorn war bei diesen Worten das Blut in die Wangen gestiegen.
»Ich sehe, der Herr Gerichtsdirektor ist entschlossen, es bis auf das Aeußerste zu treiben,« entgegnete er mit bitterem Lächeln. »Ich hätte ihn doch für klüger gehalten. – Nun, ich werde gern zurücktreten.«
»Halt!« fiel Fabrig ein. »So weit wird es nicht kommen, Herr Assessor. Als Bertha gestern Abend noch zu mir kam und mir den Brief mittheilte, war ich über die Anmaßung und Gehässigkeit des Mannes entrüstet. Er glaubt wahrhaftig die ganze Stadt beherrschen und tyrannisiren zu können. Ich gab natürlich Bertha den Rath, es so zu machen, wie ich es in gleichem Falle ganz entschieden machen würde: dem Herrn zu schreiben, daß sie bedaure, auf sein Kommen verzichten zu müssen, weil sie auf jeden Fall Sie bei sich zu sehen hoffe. Das würde ich ihm geantwortet haben, allein Bertha ist hierzu nicht zu bewegen, Sie wissen, wie viel ich von ihr halte, allein hierin begreife ich sie wirklich nicht.«
»Ich werde die Einladung ablehnen,« warf Dorn ein.
»Nein, auf keinen Fall!« unterbrach ihn Fabrig. »Dadurch würden Sie mich und auch meine Freundin kränken. Auch sie ist entrüstet über Ullmann und gleichwohl hat sie nicht den Muth, ihn fallen zu lassen und ihm entgegenzutreten. Sie schützt seinen gesellschaftlichen Einfluß in der Stadt vor und will sich seinetwegen nicht zugleich auch mit den Meisten ihrer Bekannten verfeinden.«
»Sie liebt ihn,« bemerkte Dorn, indem er erregt mit den Zähnen an der Unterlippe nagte.
Fabrig fuhr mit der Rechten über die Stirn hin.
»Wenn ich hierüber nur Gewißheit erlangen könnte!« rief er. »Oft glaube ich es selbst und dann halte ich es wieder für unmöglich, weil sie zu klug ist, um diesen Mann lieben zu können. Auch meine Frau ist darüber ungewiß. Bertha hat sich nun dahin entschieden, die Gesellschaft gar nicht zu geben und die Einladungen zurückzunehmen, als Grund wird sie Unwohlsein vorschützen, um alles Gerede zu vermeiden.«
»Sie haben sie dazu überredet,« bemerkte Dorn.
»Nein, ich habe sie zu bestimmen gesucht, dem Gerichtsdirektor so entgegenzutreten, wie er es verdient!« entgegnete Fabrig. »Dieser kleine Schlag ist viel zu mild für ihn und er wird denselben in seinem Hochmuthe nur so auslegen, daß er doch unentbehrlich sei.«
»Ich glaube, Sie hätten Ihrer Freundin einen großen Dienst erwiesen, wenn Sie sie bewogen hätten, mich fallen zu lassen,« warf Dorn ein.
»Herr Assessor, Sie beurtheilen sie falsch,« unterbrach ihn der Fabrikant. »Ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß sie hieran nicht einen Augenblick lang gedacht hat. Ullmann hat ihr erzählt, weßhalb Sie hierher versetzt sind, allein sie denkt deßhalb nur um so höher von Ihnen, weil sie die Ueberzeugungstreue und Charakterfestigkeit eines Mannes zu schätzen weiß. Sie haben sich überhaupt durch ihren köstlichen Humor bei mir viele Freunde erworben.«
Dorn erzählte ihm nun, in welcher Weise Ullmann ihm deßhalb einen Verweis ertheilt habe und wie er denselben zurückgewiesen.
»Der Mann lügt, wenn er behauptet, irgend einer habe sich darüber unwillig ausgesprochen!« rief Fabrig in seiner derben Weise. »Es hat ihn geärgert, daß Bertha Ihnen ihre ganze Aufmerksamkeit schenkte, daß Alle Ihnen mit Vergnügen zuhörten, und daß er nicht dazu kam, das Wort allein zu führen, wie er es gewohnt ist. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß, wenn Ullmann's Benehmen gegen Sie bekannt wird, Alle auf Ihre Seite treten werden, wenn sie es Anfangs auch nur schüchtern thun. Sie fürchten Ullmann, sie haben sich durch sein lautes und hochfahrendes Wesen imponiren lassen, allein in Wahrheit hat ihn Niemand gern. Es braucht nur einer den Anfang zu machen, ihm offen und entschieden entgegenzutreten, dann werden bald die Meisten folgen. Und den Anfang werde ich nächstens machen. Ich werde eine Gesellschaft geben, zu der ich Alle – nur ihn nicht einlade. Das wird er verstehen.«
»Thun Sie es nicht,« mahnte Dorn. »Sie bereiten sich selbst Unannehmlichkeiten und meine Stellung erschweren Sie dadurch nur.«
»Ich werde es thun!« versicherte Fabrig. »Herr Assessor, ehe ich diesen Entschluß faßte, habe ich wohl Ihre Lage in Berücksichtigung gezogen. Gestatten Sie mir, daß ich mich offen gegen Sie ausspreche. Ich bin nur ein schlichter Mann, aber ich meine es ehrlich. Wie ich Ihre Lage beurtheile, werden Sie noch mit unendlichen Schwierigkeiten in derselben zu kämpfen haben, Viele werden Ihnen vorgezogen werden, die nicht den zehnten Theil Ihrer Kenntnisse besitzen, denn man will Sie ja strafen und mürbe machen. Es thut mir weh, wenn ich einen Mann mit Ihren Kenntnissen, Fähigkeiten und ehrlichen Grundsätzen in einer so abhängigen Stellung sehe, wo Sie fast willenlos der Willkür Ihrer Vorgesetzten ausgesetzt sind. Sehen Sie, ich besitze nicht den hundertsten Theil Ihrer Kenntnisse und doch habe ich mir damit eine sehr gute und völlig unabhängige Stellung errungen. Sie können es auch. Wird es Ihnen so schlimm – nun – nun – Herr Assessor, ich kann Ihnen jeden Tag in meinem Geschäfte eine Stellung einräumen, in der Sie einen viel höheren Gehalt wie als Assessor beziehen werden.«
Dorn streckte ihm die Hand entgegen.
»Ich danke Ihnen,« sprach er nicht ohne Erregung, »ich weiß, daß Sie es ehrlich meinen, allein Sie werden auch das Gefühl begreifen, welches mich treibt, in meiner Stellung auszuharren; nennen Sie es Ehrgefühl oder Trotz, ich glaube es ist beides.«
»Ich begreife Sie,« entgegnete Fabrig, »allein Sie verbittern sich selbst das Leben dadurch.«
»Und was büße ich dadurch ein? mein Leben ist einmal ein verfehltes, ja ich glaube sogar ein verlorenes. Ob ich zu den vielen Täuschungen noch eine neue hinzulege, macht die Last derselben nicht schwerer. Eins habe ich bis jetzt wenigstens gerettet – das Bewußtsein, stets das Rechte gewollt zu haben und da Sie die Schwierigkeit meiner Stellung kennen, werden Sie auch ermessen können, wie viel dies Bewußtsein mir werth ist – es ist mein Halt, meine Stütze!«
Fabrig bat, ihn am Nachmittage dieses Tages zu besuchen. Dorn mochte es nicht ablehnen. Nun Fabrig seine ganze Lage kannte, war es ihm eine Erleichterung, sich gegen denselben aussprechen zu können.
»Kommen Sie nicht zu spät,« fügte Fabrig bittend hinzu. »In meinem Garten sind wir so ungestört, als wären wir zwanzig Meilen von hier entfernt und Ullmann wird uns sicher nicht stören.«
Dorn versprach auch dies.
Als er wieder allein war, dachte er noch einmal an Ullmann's schroffes Verfahren. Er konnte keinen andern Grund für den Groll dieses Mannes finden, als die Eifersucht.
Die Stunden bis zum Nachmittage schwanden rasch dahin. Das Herz schlug ihm leichter, als er zu der Wohnung des Fabrikanten ging. Eine innere Stimme sagte ihm, daß er sich in Fabrig einen aufrichtigen und treuen Freund erworben habe. In diesem Manne konnte nichts Falsches liegen.
Als er die Besitzung desselben erreicht hatte, führte ihn ein Diener in den Garten. Fabrig kam ihm entgegen.
»Sie treffen mich bereits an meinem Lieblingsplatze, unter dem Schatten einer prächtigen Linde!« rief Fabrig, ihm die Hand reichend. »Kommen Sie, meine Frau ist auch dort.«
Er legte die Hand in Dorn's Arm und führte ihn mit sich. Unbefangen plaudernd näherten sie sich dem bezeichneten Platze. Ein Gebüsch entzog denselben ihren Blicken. Als sie um dasselbe bogen, blieb Dorn überrascht stehen, sein Arm zuckte unwillkürlich – neben Fabrig's Gattin saß eine zweite Dame – Bertha.
Eine flüchtige Röthe bedeckte sein Gesicht, als er den Blick fragend auf seinen Begleiter richtete.
Um Fabrig's Mund zuckte ein schelmisches Lächeln – er hatte offenbar schon am Morgen gewußt, daß Bertha ihn besuchen werde.
»Fürchten Sie sich vor der Dame?« fragte er scherzend.
»Nein – nein,« entgegnete Dorn verlegen – »ich war nur nicht darauf vorbereitet, sie hier zu treffen.«
»Es ist Zufall,« bemerkte Fabrig, obschon sein Auge deutlich verrieth, daß er nicht die Wahrheit gesprochen.
Dorn war befangener und verlegener gegen Bertha, als das erste Mal, wo er sie gesehen hatte, wußte er doch jetzt, wer sie war. Nur Bertha's Unbefangenheit gelang es endlich, seine Verlegenheit zu verscheuchen und ihn heiterer zu stimmen, als er seit Tagen gewesen war. Wenn sie lachte, lag in ihrem Auge eine hinreißende Gewalt, der sich Niemand verschließen konnte.
Sie sprach offen über Ullmann's Anmaßung, ihr gleichsam vorschreiben zu wollen, wen sie einladen sollte.
»Ich mag ihn nicht gar zu sehr kränken,« fügte sie hinzu, »sonst würde ich die Gesellschaft ohne ihn geben. Ich bin überzeugt, wir würden darum nicht weniger heiter sein.«
»Im Gegentheil um so lustiger,« fiel Fabrig lachend ein.
»Fabrig, Sie lieben Ullmann nicht, ich weiß es,« entgegnete Bertha, »er ist mir indeß nach dem Tode meines Mannes in verschiedenen Angelegenheiten so gefällig und behülflich gewesen, daß ich ihm zu Dank verpflichtet bin und nicht jede Rücksicht gegen ihn bei Seite setzen kann. Glauben Sie mir, es ist mir sehr schwer geworden, auf das Vergnügen, meine Freunde bei mir zu sehen, zu verzichten. Ich muß jetzt sogar zu einer Unwahrheit meine Zuflucht nehmen und Unwohlsein vorschützen. – Mein Freund hat mir erst heute erzählt,« wandte sie sich an Dorn, »weßhalb Ullmann so erbittert auf Sie ist. Es ist mir dies unbegreiflich, denn ich habe ihn für einen sehr klugen Mann gehalten.«
»Das ist er auch,« entgegnete Dorn, »er ist indeß sehr leicht reizbar und versteht es nicht, seine Stimmungen zu beherrschen.«
Er wurde durch einen Herrn unterbrochen, der durch den Garten daher kam und sich rasch dem Platze, wo sie saßen, näherte.
»Ach, mein Cousin!« rief Bertha, als sie den Nahenden erblickte, der Ton ihrer Stimme drückte indeß keine freudige Ueberraschung aus.
Fabrig's Brauen zogen sich unwillig zusammen.
Dorn bemerkte weder dies, noch den Ausdruck auf Bertha's Gesicht, starr war sein Auge auf den Nahenden gerichtet, auch er kannte ihn – es war der Lieutenant Klinkhardt, Adelheids Bruder. Die flüchtige Röthe, welche beim ersten Erkennen seine Wangen überzog, machte ebenso schnell dem Erbleichen wieder Raum. Die Schmerzen und Kämpfe der Vergangenheit wurden mit einem Male in aller Frische wieder in ihm wachgerufen. Er dachte daran, wie schnell Adelheid ihn aufgegeben, wie tief ihr Vater ihn gekränkt hatte.
Mit dem Nahenden, der in einer anderen Stadt in Garnison lag, war er nur wenige Male zusammengekommen und ihr Verhältniß war ein kaltes, fast gespanntes geblieben, denn der Lieutenant hatte ihn fühlen lassen, daß er mit der Wahl seiner Schwester nicht zufrieden, sondern überzeugt sei, daß dieselbe größere Ansprüche machen könne.
Der Lieutenant Klinkhardt besaß den ganzen aufgeblasenen Dünkel, den man unter Offizieren nicht selten antrifft. Seine geringen Fähigkeiten hatten ihm einen anderen Beruf zur Unmöglichkeit gemacht. Mit Geringschätzung blickte er auf jeden anderen Stand herab und lächelte sogar verächtlich, wenn erwähnt wurde, daß sein Vater Schulrath war. Nach seiner Ueberzeugung hatte eigentlich nur das Militär eine Berechtigung zu leben. Mit diesen Anschauungen war er auch Dorn entgegengetreten: es begriff sich also leicht, weßhalb sie sich einander nie genähert.
Nur ein Schmerz zehrte an dem Selbstbewußtsein des Lieutenants, der, daß er nicht adelig war. Er suchte diesen Mangel indeß dadurch auszugleichen, daß er seine adeligen Kameraden im luftigen und verschwenderischen Leben zu übertreffen suchte, zum größten Kummer des Schulraths, der trotz seiner guten Stellung die Ansprüche seines Sohnes nicht zum zehnten Theile befriedigen konnte.
Als Klinkhardt näher herangetreten war und Dorn erkannte, zuckte auch er überrascht zusammen. Er wußte wohl durch seinen Vater, daß er nach dieser Stadt versetzt war, allein, er hatte nicht erwartet, ihn hier zu treffen, am wenigsten in der Gesellschaft seiner Cousine.
Ein verächtliches Lächeln zuckte um seine Lippen.
Ohne den Assessor eines Blickes zu würdigen, eilte er auf Bertha zu und begrüßte sie mit dem Aufgebote all seiner Liebenswürdigkeit; Bertha empfing ihn mit zurückhaltender Artigkeit.
»Ich bin mit meinem Vater auf einer Reise begriffen,« sprach der Lieutenant, »wir kommen hierher und erfahren, daß Sie vor kurzer Zeit zurückgekehrt sind, natürlich konnte ich nicht unterlassen, Sie zu begrüßen. Ich eilte auf Ihr Gut. Dort erfuhr ich, daß Sie hier seien.«
»Ihr Vater ist mit hier?« fragte Bertha.
»Er ist im Gasthause, ein Unwohlsein hat ihn ergriffen, sonst würde er mich jedenfalls begleitet haben.«
Bertha stellte Dorn und Klinkhardt einander vor.
Dorn verbeugte sich schweigend, der Lieutenant wandte ihm den Rücken. Fabrig und dessen Frau kannten Klinkhardt bereits, da er Bertha schon vor längerer Zeit, kurz nach dem Tode ihres Mannes besucht hatte.
Auf Fabrig's Einladung ließ der Lieutenant sich nieder. Dorn's Anwesenheit war ihm peinlich, er wollte unbefangen und heiter, erscheinen, allein sein Benehmen erhielt dadurch etwas Erzwungenes.
Weder Dorn hatte eine Ahnung davon gehabt, daß er mit Bertha verwandt war, noch wußte Bertha, daß der Assessor mit des Lieutenants Schwester verlobt gewesen. Auch sie war nicht ganz unbefangen gegen Klinkhardt, ihre Freundlichkeit hatte etwas streng Abgemessenes. Sie wollte verbergen, daß ihr dieser Besuch nicht angenehm war und verstand es doch nicht hinreichend, sich zu verstellen.
Nur der Lieutenant bemerkte dies in seinem Selbstvertrauen nicht. Er würde es für unmöglich gehalten haben, daß eine junge Dame sein Erscheinen nicht mit Freude begrüße. Er führte fast allein das Wort, er scherzte und lachte, um Dorn zu zeigen, daß er für ihn gar nicht vorhanden sei; dennoch verlor die Unterhaltung den gezwungenen Charakter nicht.
Endlich bat Klinkhardt Bertha, ihm nur wenige Minuten allein zu schenken, da er ihr Verschiedenes mitzutheilen habe.
»Familiengeschichten, die Sie nur langweilen würden,« fuhr er zu Fabrig gewendet fort, »ich befürchte, Sie schon zu lange gestört zu haben.«
Er legte zuvorkommend Bertha den Shawl um und beide schritten langsam auf einem Wege zwischen Blumenbeeten hin.
Fabrig hatte auf die Worte des Lieutenants nur mit einer leichten Verbeugung geantwortet. Er war in der That unwillig, daß Klinkhardt sie gestört hatte.
Das schroffe Benehmen desselben gegen den Assessor war ihm nicht entgangen, eben so wenig wie die wechselnde Farbe auf Dorn's Wangen.
Dorn saß noch immer, wie in Gedanken versunken, schweigend da.
»Herr Assessor, Sie kannten den Lieutenant bereits?« fragte Fabrig. »Es scheint mir, als ob Sie sich nicht zum ersten Male begegneten.«
Ueber Dorn's Gesicht glitt ein schmerzliches Lächeln.
»Ich kannte ihn bereits,« entgegnete er. »Sie wissen, daß ich verlobt war, und kennen auch den Grund, weßhalb die Verlobung wieder aufgehoben ist; des Lieutenants Schwester war meine Braut.«
»Ach, nun begreife ich das Benehmen des Herrn!« rief Fabrig. »Es ist indeß gut, daß ich dies nicht früher gewußt habe, denn ich hätte es nicht über mich gewinnen können, ihm ein freundliches Gesicht zu zeigen, ich liebe ihn ohnehin nicht. Wußten Sie, daß er mit Bertha verwandt ist?«
»Ich hatte keine Ahnung davon, um so mehr überraschte mich sein plötzliches Erscheinen,« gab Dorn zur Antwort.
»Mich hat es weniger überrascht,« fuhr Fabrig fort. »Ich sah es sogar mit ziemlicher Gewißheit voraus, daß er mit seinem Vater zufällig hier durchgereist sei, ist erfunden, nur um seinen Besuch zu rechtfertigen. Beide sind mit einer ganz bestimmten Absicht hiehergekommen. Bertha ist mit ihnen verwandt. Ehe sie sich indeß verheirathet hatte, bekümmerte sich weder der Herr Schulrath noch dessen Sohn um sie, denn sie war ohne Vermögen. Als jedoch ihr Mann gestorben war und ihr das große Gut hinterlassen hatte, fand sich bald der Lieutenant ein und nahm an dem Geschicke der reichen Cousine den lebhaftesten Antheil. Dieses plötzliche Interesse mußte natürlich auffallen, außerdem verstand der junge Herr es sehr schlecht, seine Absichten auf die Hand der reichen Erbin zu verbergen, so daß selbst Bertha zurückhaltender gegen ihn wurde. Er blieb damals ungefähr vierzehn Tage lang hier, freilich erreichte er sehr wenig. Um ihm auszuweichen, unternahm Bertha die Reise, welche sie so lange ferngehalten hat, und kaum ist sie zurückgekehrt, so findet auch der Lieutenant sich wieder ein. Er hat freilich allen Grund, nach einer reichen Verbindung zu trachten. Kurze Zeit nach seiner Anwesenheit hier besuchte mich ein Geschäftsfreund aus der Stadt, wo Klinkhardt in Garnison liegt. Er kannte den Lieutenant sehr gut und schilderte mir dessen Leben. Er ist so sehr verschuldet, daß ihn allein eine reiche Heirath retten kann. Das Gut und Vermögen Bertha's würden ihm deßhalb sehr willkommen sein, zum Glück scheint er sehr wenig Aussichten zu haben!«
Mit gespannter Aufmerksamkeit hatte Dorn ihm zugehört.
»Bertha liebt ihn nicht?« warf er ein.
»Nein!« gab Fabrig zur Antwort, »sie fühlte sich nicht einmal zu ihm hingezogen, dennoch bin ich nicht ganz ohne Besorgnisse. Ich würde jede Wette darauf eingehen, daß der Lieutenant und sein Vater nur in der Absicht hierher gekommen sind, um einen Sturm auf Bertha's Herz zu unternehmen, und die ganze Art und Weise, wie sie ihre Absicht zu verbergen suchen, verräth mir, daß sie nach einem wohlüberlegten und gut ausgesonnenen Plane handeln. Haha! Ihre Reise soll sie zufällig hierher geführt haben, der Schulrath soll unwohl geworden sein – ganz fein ausgedacht! Ich bin überzeugt, daß der Mann sich sehr wohl befindet. Errathen Sie nicht, wozu dieses vorgeschützte Unwohlsein dienen soll?«
Dorn errieth es in der That nicht und sah Fabrig fragend an.
»Damit sie einen Grund haben, einige Tage hier zu verweilen,« fuhr dieser fort. »In der Zeit hoffen sie Bertha's Herz gewonnen zu haben. Herr Assessor, ich besitze nicht den hundertsten Theil Ihrer Kenntnisse, allein ich bin doch überzeugt, daß mein Auge schärfer ist als das Ihrige, und daß mein Blick weiter reicht. Unser einer muß viel mit Menschen verkehren und lernt sie deßhalb bald kennen. Sie werden sehen, daß ich mich nicht irre.«
Dorn schwieg. Der Gedanke, daß es dem Lieutenant dennoch gelingen könne, Bertha's Herz zu gewinnen, peinigte ihn. Diesem Menschen, dessen ganze Hohlheit er kannte, gönnte er sie am wenigsten. Und die Gefahr für sie war vielleicht noch größer, als Fabrig ahnte, denn der Schulrath war ein gewandter Kopf und konnte außerordentlich liebenswürdig und gewinnend sein, wenn es sein Interesse erforderte. Er hätte Bertha warnen mögen, allein er hatte keine Berechtigung dazu und würde dadurch nur die Empfindungen in seiner Brust, welche er so sorgfältig zu verbergen strebte, verrathen haben.
Hätte Dorn eine Ahnung gehabt, daß er um dieselbe Zeit den Gegenstand der Unterhaltung zwischen Bertha und Klinkhardt bildete! – Als Beide fortgegangen waren, hatte Klinkhardt seinen Unwillen über Dorns Anwesenheit nicht lange verbergen können.
»Wie kommt der Mensch hierher?« fragte er in sichtlicher Aufregung.
»Wen meinen Sie?« frug Bertha ihn überrascht anblickend.
»Den Assessor Dorn,« gab der Lieutenant kurz zur Antwort.
»Wie Sie gesehen haben, besucht er den Herrn Fabrig,« erwiderte Bertha. »Doch, Herr Cousin, Sie scheinen ihn zu kennen?«
Klinkhardts Oberlippe verzog sich zu einem spöttischen Lächeln.
»Gewiß kenne ich ihn,« entgegnete er. »Er hat sich in der Residenz unmöglich gemacht, spielte den Freisinnigen und ist deßhalb zur Strafe hierher nach B. versetzt.«
»Das Alles weiß ich,« gab Bertha zur Antwort. »Er hat Dies meinem Freunde Fabrig selbst mitgetheilt. Ich bedauere ihn deßhalb, allein ich kann ihn nicht geringer achten. Ich finde es ehrenwerth, wenn ein Mann unerschrocken für seine Ueberzeugung eintritt.«
»Es ist ihm hier sehr schnell gelungen, warme Freunde und Fürsprecher zu finden,« bemerkte Klinkhardt, erbittert über die Theilnahme, welche Bertha dem ihm verhaßten Manne schenkte.
»Ich bin überzeugt, daß ihm beide auch in der Residenz nicht gefehlt haben,« warf Bertha ein. »Man kann unmöglich dort so blind sein und Dorns Vorzüge verkennen; er ist klug und geistreich und bei dem Allen sehr bescheiden.«
Der Lieutenant schwieg. Daß Bertha für Dorn eingenommen war, entging ihm nicht, dieser Mensch drohte seinen Plan über den Haufen zu werfen, und er sann nach, wie er dem Verhaßten am wirksamsten entgegentreten könne.
Bertha schien des Lieutenants Schweigen kaum zu bemerken, obschon sie den Grund desselben ahnte.
»Kennen Sie den Assessor Dorn näher, Herr Cousin?« fragte sie nach kurzer Zeit.
»Ich kenne ihn sehr genau, sonst würde ich weniger hart über ihn urtheilen,« entgegnete Klinkhardt. »Er war mit meiner Schwester verlobt, wie das geschehen konnte, begreife ich noch heute nicht. Zum Glück kam meine Schwester bald zu einer besseren Ansicht und löste das Verhältniß wieder. Sie werden nun begreifen, daß ich ihn sehr genau kenne.«
Unwillkürlich war Bertha stehen geblieben. Diese Mittheilung überraschte sie. Sie wußte, daß Dorn verlobt gewesen war, allein den Namen seiner Braut hatte sie nie gehört.
»Ach, Dorn ist mit Ihrer Schwester verlobt gewesen,« wiederholte sie. »Hiervon hatte ich keine Ahnung. Ich hörte, seine Verlobung sei nur deßhalb gelöst, weil er hierher versetzt und wenig Hoffnung auf seine Beförderung vorhanden gewesen sei. Ist dies wahr, Herr Cousin?«
»Nicht deßhalb allein,« erwiderte der Lieutenant verlegen. »Es kamen noch andere Gründe hinzu.«
»Ich befürchte, indiskret zu scheinen, sonst würde ich fragen, welche Gründe dies gewesen seien,« warf Bertha ein. »Sie kennen dieselben ja natürlich, da Sie Dorn so nahe gestanden.«
Des Lieutenants Verlegenheit steigerte sich noch. Seine Erbitterung über Dorn ließ ihn jede Klugheit bei Seite setzen.
»Ich habe ihm nie nahe gestanden,« rief der Lieutenant, »denn ich bin vom ersten Tage an gegen diese Verlobung gewesen. Er paßt nicht zu unseren Verhältnissen und zu unserer Stellung. Mit einem Manne, der in Volksversammlungen sprach und in Arbeitsvereinen Vorträge hielt, konnten wir unmöglich eine nähere Verbindung eingehen; ich bin Offizier und mein Vater ist Schulrath.«
Ueber Bertha's Gesicht zuckte ein spöttisches Lächeln.
»Ah, Herr Cousin, ich wußte es nicht, daß es etwas Unehrenhaftes ist, in Arbeitervereinen Vorträge zu halten!« rief sie. »Unsere Ansichten scheinen sehr weit auseinanderzugehen, denn ich habe stets mit Vorliebe und Hochachtung auf die Männer geblickt, welche bemüht waren, das Volk zu belehren und weiter zu bilden. Ich habe bis jetzt in der Bildung ein außerordentlich großes Kapital erblickt, das einzige, welches auch der Arme sich erringen kann; doch Sie scheinen anderer Ansicht zu sein.«
Klinkhardt preßte die Zähne auf die Lippe. Immer mehr verwickelte er sich durch seine Unvorsichtigkeit, immer offener trat Bertha's Theilnahme für Dorn hervor. Er wollte denselben in ihrer Achtung vernichten und hob ihn nur höher und höher. Bertha entwickelte Ansichten, die den seinigen zuwiderliefen und er hatte nicht den Muth, dies offen zu gestehen. Er wollte ihre Gunst erringen und hatte das Gegentheil erreicht. Er hätte vor Unmuth mit dem Fuße auf die Erde stampfen mögen und mußte alle Kräfte aufbieten, um sich zu beherrschen.
Er lenkte das Gespräch auf Bertha's Reise, seine Brust athmete leichter, als Bertha darauf einging, er bot seine ganze Liebenswürdigkeit auf, um sie zu unterhalten, allein Bertha bewahrte denselben abgemessenen freundlichen Ton, mit dem sie ihn empfangen hatte.
»Wie lange gedenken Sie hier zu bleiben, Herr Cousin?« unterbrach sie endlich das Gespräch. Der Lieutenant zuckte mit den Achseln.
»Das hängt von dem Befinden meines Vaters ab,« entgegnete er. »Jedenfalls einige Tage, denn ich werde nicht gestatten, daß er die Reise fortsetzt, ehe er vollständig genesen ist. Ich hoffe indeß, daß er schon morgen im Stande sein wird, Sie zu begrüßen.«
Bertha verbeugte sich schweigend.
Sie näherten sich wieder dem Platze, wo Fabrig und Dorn sie erwarteten. Fabrigs scharfem Auge entging es nicht, daß Bertha's Wangen leicht geröthet waren, daß ihre Augen aufgeregt leuchteten, obschon sie äußerlich ruhig zu sein schien. Er errieth, daß Dorn den Gegenstand ihrer Unterhaltung gebildet hatte.
Klinkhardt schickte sich an, sich zu entfernen.
»Ich kann Sie nicht einladen, länger bei mir zu bleiben, da Ihr Herr Vater unwohl ist,« sprach Fabrig. »Es gibt nichts Langweiligeres, als in einer fremden Stadt, im Gasthause zu erkranken. Hoffentlich wird die Erkrankung nicht gefährlich sein.«
»Nein,« entgegnete der Lieutenant. Er war nicht im Stande, mehr hinzuzufügen, denn seitdem er erfahren hatte, daß Fabrig Dorn's Freund war, haßte er ihn ebenso.
Auch Bertha lud ihn nicht ein, länger zu bleiben. In erbitterter Stimmung ging er fort. Mit hoch fliegenden Plänen war er vor wenigen Stunden angelangt. Er hatte von seiner Liebenswürdigkeit eine so hohe Meinung, daß er sich für unwiderstehlich hielt, Bertha's Ruhe hatte diesen Glauben ziemlich erschüttert. Nur der Assessor konnte Schuld daran sein.
Er strich den kleinen Schnurrbart, als er durch die Stadt hinschritt, sein Auge schweifte unruhig umher, als suchte er nach einem Gegenstande, an dem er seine Erbitterung auslassen konnte.
So langte er im Gasthause an. Hastig eilte er die Treppe empor zu dem Zimmer, in welchem sein Vater ihn erwartete.
Der Schulrath schritt in dem Zimmer langsam auf und ab. Die Zeit bis zur Rückkehr seines Sohnes war ihm lang geworden. Im Geiste hatte er ihn begleitet und dann in Gedanken die Zukunft ausgesponnen, wenn es ihm gelingen sollte, Bertha's Hand zu erringen.
Da trat der Lieutenant rasch in das Zimmer und warf sich ohne ein Wort des Grußes auf das Sopha. Der kurze Weg konnte ihn nicht ermüdet haben, die Aufregung und der Zwang, den er sich hatte auferlegen müssen, hatte ihn erschöpft.
Schweigend trat der Schulrath vor ihn hin und ließ den Blick forschend auf ihm ruhen. Das Gesicht des Lieutenants verrieth ihm deutlich genug, daß dessen Weg kein besonders glücklicher gewesen. Seine Brauen zogen sich zusammen.
»Nun?« fragte er endlich. »Hast Du Bertha nicht gesprochen?«
»Ich habe sie gesprochen,« gab der Lieutenant zur Antwort, »aber nicht auf ihrem Gute, sondern bei dem Fabrikanten Fabrig, bei dem sie zum Besuche war.«
»Du hast sie dort aufgesucht?« warf der Schulrath ein.
»Natürlich!« lautete die kurze, ärgerliche Antwort des Lieutenants.
Unwillig schüttelte der Schulrath den Kopf.
»Das hättest Du nicht thun sollen,« sprach er. »Es hing gerade sehr viel davon ab, daß Du sie allein trafst, um sie desto sicherer beobachten zu können.«
Der Vorwurf seines Vaters erhöhte noch die ohnehin schon gereizte Stimmung des Lieutenants.
»Als ob man Alles voraussehen könnte!« erwiderte er. »Es trieb mich, sie zu sehen und zu sprechen; auf ihrem Gute hätte ich sie natürlich nicht erwarten können, folglich würde ich sie erst morgen gesehen haben!«
»Und hättest Du dadurch etwas verloren?« warf der Schulrath ein.
Der Lieutenant sprang ungeduldig auf. Er konnte seinem Vater nicht Unrecht geben, das ärgerte ihn doppelt. Ein Vorwurf trifft ja nie empfindlicher, als wenn er mit dem Selbstvorwurfe zusammenfällt.
»Weißt Du, wen ich bei dem Fabrikanten getroffen habe, wer sich bereits in Bertha's Gunst fest gesetzt hat?« fragte er, die Worte hastig hervorstoßend.
Schweigend blickte der Schulrath ihn an.
»Dorn!« fuhr der Lieutenant aufgeregt fort. »Der Diener wies mich in den Garten, dort saßen sie, alle unter einem Baum. Haha! Bertha stellte mich sogar dem Menschen vor!«
»Und Du hast ihn wahrscheinlich sehr zurückstoßend und verächtlich behandelt?« warf der Schulrath ein.
»Natürlich! Sollte ich ihn vielleicht freundlich begrüßen? Ich klärte Bertha, als ich mit ihr allein war, über den Charakter des Menschen auf, allein sie nahm ihn in Schutz, sie vertheidigte ihn! Er scheint in ihrer Gunst schon sehr hoch zu stehen!«
Unwillig trat der Schulrath mit dem Fuße auf die Erde.
»Du fügst eine Thorheit zur andern!« erwiderte er. »Hätte ich nur meinen Willen, Bertha zuerst zu besuchen, durchgesetzt, es würde anders gekommen sein!«
»Vater, ich bin kein Knabe mehr, daß Du mir Thorheiten vorwirfst!« rief der Lieutenant empfindlich und trat an das Fenster.
Der Schulrath folgte ihm.
»Hugo, wir sind nicht hierher gekommen, um uns zu zanken, sondern um ein bestimmtes Ziel zu erreichen,« sprach er. »Ob ich den Ausdruck Thorheit oder Unbesonnenheit gebraucht, ist gleichgültig, eine Unbesonnenheit war es jedenfalls, Dich in Deiner gewohnten Weise über Dorn auszusprechen, ehe Du wußtest, wie Bertha über ihn dachte. Ich würde es jedenfalls anders gemacht haben.«
Der Lieutenant trommelte mit den Fingern an dem Fenster, als höre er auf die Worte seines Vaters kaum.
»Glaubst Du, ich habe die Reise hierher unternommen, um Alles auf das Spiel des Zufalls zu setzen!« fuhr der Schulrath fort. »In meinem Alter vertraut man dem Glücke weniger, als den eigenen Erfahrungen und der eigenen Kraft. Es kam vor Allem zuerst darauf an, zu erforschen, wie Bertha gegen Dich gesonnen ist, um darnach unsern ferneren Plan einzurichten. Ich würde dies richtiger beurtheilt haben als Du, weil ich ruhiger bin und mein Auge schärfer ist als das Deinige; allein Du bestandest auf Deinem Kopfe.«
»Nun, wie sie gegen mich gesonnen ist, kann ich Dir auch sagen,« erwiderte der Lieutenant endlich, indem er fortfuhr an dem Fenster zu trommeln. »Sie empfing mich sehr kalt, wenn auch artig, sie war über meinen Besuch nicht sehr überrascht und schien es nur zu bedauern, daß ich ihre Unterhaltung mit Dorn störte. Daraus wirst Du beurtheilen können, wie sie gesonnen ist.«
»Ich kann es!« entgegnete der Schulrath mit ernstem und vorwurfsvollem Tone. »Ich wünsche indeß, daß Du dies weniger leichtsinnig auffaßt. Du weißt so gut wie ich, wie viel von dem Gelingen des Planes abhängt.«
Der Lieutenant zuckte geringschätzend mit der Schulter.
»Hugo, auf diese Weise wirst Du nichts erreichen,« fuhr der Schulrath, immer mehr die Geduld verlierend, fort. »Ich habe wohl nicht nöthig, Dich an Deine Lage zu erinnern. Du hast durch Dein leichtfertiges Leben so viele Schulden gemacht, daß es nur noch eine einzige Rettung für Dich gibt, die einer reichen Heirath. Es ist jetzt nicht die Zeit, um Dir Vorwürfe zu machen, allein rechne nicht im Geringsten auf mich, meine Kräfte sind völlig erschöpft, ich habe Deinetwegen Verpflichtungen auf mich genommen, die zu erfüllen mir sehr schwer werden. Es dürfte lange währen, ehe sich Dir wieder eine gleich günstige Gelegenheit bietet, denn Bertha ist, wie ich hier vom Wirthe erfahren habe, reicher, als wir beide vermuthet haben. Es gilt daher, alle Kräfte und Mittel in Bewegung zu setzen, um sie zu erringen.«
Der Lieutenant fing endlich an, dies einzusehen. Daß seine Lage seiner erheblichen Schulden wegen eine unhaltbare geworden war, wußte er selbst nur zu gut.
»Ich bin ja bereit, Alles aufzubieten, was soll ich indeß thun?« sprach er. »Ich bin gegen Bertha so liebenswürdig als möglich gewesen, es schien indeß keinen Eindruck auf sie zu machen. Sie war früher zuvorkommender gegen mich als heute, und ich halte an der Ueberzeugung fest, daß Niemand anders als Dorn die Schuld trägt. Ha! Wenn es diesem Menschen gelingen sollte, Bertha zu erringen!«
Der Schulrath lächelte.
»So weit ist es noch nicht, und eine solche Unbesonnenheit traue ich Bertha nicht zu,« erwiderte er. »Es mag der Fall sein, daß Dorn Eindruck auf sie gemacht hat, denn er ist nicht ohne Geist und Frauen lassen sich dadurch bestechen, ihn fürchte ich indeß am Wenigsten. Ich werde Bertha morgen besuchen und das Feld rekognosciren und ich hoffe mit besserem Erfolge als Du. Du hast doch erwähnt, daß ich unwohl sei?«
»Natürlich.«
»Gut, dann können wir, ohne daß es auffällt, noch mehrere Tage hier bleiben, ich befürchte nur, daß Dein heutiger Besuch uns viel geschadet hat. Die Frau des Fabrikanten Fabrig ist Bertha's vertrauteste Freundin, er ist ihr Freund, wie empfingen sie Dich?«
»Wie einen Gast, den man nicht gern sieht,« gab der Lieutenant zur Antwort. »Sie kümmern mich indeß nicht, der Fabrikant ist ein ungebildeter Mann.«
Des Schulraths Brauen zogen sich noch finsterer zusammen, die Sorgenfalten auf seiner Stirn mehrten sich.
»Mich kümmern sie sehr viel, denn sie können auf Bertha den größten Einfluß ausüben,« entgegnete er. »Sicherlich hast Du Dir auch bei ihnen geschadet, denn Du wirst Dich wenig zuvorkommend gegen sie benommen haben.«
»Du vergißt, daß ich Offizier bin,« warf der Lieutenant ein.
»Das schließt nicht aus, daß Du etwas mehr Lebensklugheit entwickelst,« fuhr der Schulrath fort. »Es wird mir schwer werden, die unangenehmen Eindrücke, welche Du hervorgerufen hast, wieder zu verwischen, hoffentlich gelingt es mir!«
Dem Lieutenant klang der ernste und vorwurfsvolle Ton seines Vaters unangenehm. Sein Grundsatz war, wenn er irgend eine Thorheit begangen hatte, dieselbe sobald als möglich zu vergessen und konnte dies auch nur durch eine neue Thorheit geschehen. Mit Ernst über sein Leben nachzudenken, dazu war er nie gekommen, es fehlte ihm der Muth dazu. Er griff nach seiner Mütze, um das Zimmer zu verlassen.
»Wohin willst Du gehen?« fragte der Schulrath.
»Hinunter, in das Gastzimmer,« gab der Lieutenant zur Antwort. »Wir können unmöglich hier den ganzen Abend allein zubringen.«
Der Schulrath ließ ihn schweigend gehen.
Der Gerichtsdirektor saß in seinem Zimmer am Arbeitstische.
Es war ein großes und helles Gemach. Die ganze Einrichtung, die Möbel, die schweren Vorhänge verriethen einen gewissen Luxus. In Allem, selbst in der Stellung des geringfügigsten Gegenstandes, herrschte eine fast pedantische Ordnung. Trotzdem fehlte dem Zimmer der Charakter der Gemüthlichkeit. Es war das getreue Bild seines Bewohners, denn bei allen Vorzügen, welche Ullmann besaß, konnte er doch nie wirklich gemüthlich werden.
Er schien in ein Aktenheft vertieft zu sein, allein plötzlich schob er dasselbe hastig bei Seite und sprang auf. Es war ihm nicht gelungen, zu vergessen, was er vergessen wollte. Erst am Morgen dieses Tages hatte er erfahren, daß die Gesellschaft bei Bertha nicht stattfinden werde. Bertha hatte zwar Unwohlsein vorgeschützt, allein er kannte den wirklichen Grund nur zu gut, sie wollte auf die Theilnahme Dorn's nicht verzichten.
Sein Blut rann heißer und schneller, wenn er hieran dachte. Er würde es für unmöglich gehalten haben, daß ein Assessor, ein Mann der unter ihm stand, seine gesellschaftliche Stellung verrückte, daß er die allgemeine Aufmerksamkeit, welche er allein in Anspruch nahm, von ihm abziehe, und trotzdem war dies geschehen. Selbst Bertha gegenüber wurde ihm der Mann gefährlich, der zur Strafe hierher versetzt war. Seine Erbitterung kannte keine Grenze und doch konnte er derselben nicht freien Lauf lassen. Nachdem ihm Dorn einmal in so entschiedener Weise entgegengetreten war, wagte er es nicht zum zweiten Male, demselben seine Erbitterung offen zu zeigen. Er hatte über Dorn an das Ministerium berichtet, hatte um dessen Versetzung ersucht, allein noch war er im Zweifel, ob man seinen Wunsch erfüllen werde. Der Gedanke, mit Dorn noch länger zusammenleben zu müssen, raubte ihm jede Ruhe.
Er hatte schon seit mehreren Abenden das Gasthaus nicht mehr besucht, weil mehrere Herren, welche gleichfalls an der Gesellschaft bei Fabrig Theil genommen, sich über den Assessor in offen anerkennender Weise aussprachen und dessen Geist rühmten.
In dieser Stimmung wurde ihm der Besuch des Schulraths angemeldet. Er hatte denselben vor Jahren in der Residenz kennen gelernt, allein nur oberflächlich, so daß ihn der Besuch überraschte; trotzdem nahm er denselben an.
Klinkhardt kam ihm in der liebenswürdigsten Weise wie einem alten Freunde entgegen. Er erzählte, daß er mit seinem Sohne auf einer Reise begriffen sei und daß ihn ein leichtes Unwohlsein nöthigte, einige Tage in B. zu rasten. Er habe es sich nun nicht versagen können, eine frühere Bekanntschaft wieder anzuknüpfen.
Ullmann wußte, daß des Schulraths Sohn versucht hatte, Bertha's Herz zu gewinnen, er war nicht eine Minute lang im Zweifel, daß die Anwesenheit des Schulrath und des Lieutenants in B. nur den Zweck habe, den Versuch zu erneuern, trotzdem war er außerordentlich freundlich. Er mochte ja nicht verrathen, daß er selbst nach Bertha's Besitze trachtete, und er hielt den Lieutenant im Ganzen auch für wenig gefährlich.
Bald war das Gespräch auf den Assessor Dorn gekommen. Der Schulrath erzählte, daß Dorn mit seiner Tochter verlobt gewesen sei, daß er natürlich das Verhältniß noch rechtzeitig gelöst habe.
Das Blut war in die Wangen des Gerichtsdirektors gestiegen, er trommelte mit den Fingern auf der Lehne seines Arbeitssessels, welchen er neben das Sopha gerückt hatte, dennoch gehörte ein so scharfes Auge wie das des Schulraths dazu, um seine innere Unruhe zu erkennen.
»Dieser Mann ist gefährlicher, als Sie vermuthen,« fuhr der Schulrath fort. »Er besitzt den Damen gegenüber eine sehr gewinnende Gewalt, und leider habe ich bemerkt, daß er dieselbe auch hier bereits auszuüben beginnt.«
Ullmann's Auge ruhte fragend auf des Schulraths Gesicht, obschon er denselben sehr wohl verstanden hatte.
»Ich glaube, Sie überschätzen ihn,« erwiderte er lächelnd. »Er besitzt tüchtige Kenntnisse, allein es dürfte doch wohl keine Dame die Stellung, welche er einnimmt, übersehen; es ist eine Strafstellung.«
»Und wenn ich Ihnen nun mittheile, daß er in der Gunst meiner Nichte bereits ziemlich hoch gestiegen ist?« warf der Schulrath ein.
Ullmann zwang sich zum Lachen.
»Dann muß ich glauben, daß Sie sich geirrt haben,« entgegnete er. »Die junge Frau scheint mir zu klug zu sein, um auf den Assessor ihr Auge zu werfen.«
»Ich habe mich selbst davon überzeugt,« versicherte der Schulrath. »Ich habe meine Nichte natürlich besucht und sie hat Dorn mit so lebhaftem Interesse in Schutz genommen, daß sie ihr Herz bereits halb dadurch verrathen hat.«
Der Gerichtsdirektor verbarg seine steigende Unruhe nur mit größter Mühe. Er zerknitterte die Cigarre, welche er in der Hand hielt und warf sie dann zum Fenster hinaus. Er schien dies nur zu thun, um sein Gesicht für einen Augenblick abwenden zu können.
»Ich würde Alles aufbieten, wenn ich meine Nichte vor einer solchen Thorheit bewahren könnte,« fuhr der Schulrath fort, der nicht ahnte, wie lebhaft der Gerichtsdirektor sich für Bertha interessirte. »Es würde ihr Unglück sein, wenn es dem Assessor wirklich gelingen sollte, ihr Herz zu gewinnen.«
»Halten Sie dies für möglich?« warf Ullmann lächelnd ein. Er hatte seine Ruhe wieder gewonnen.
»Ich halte es für möglich!« versicherte Klinkhardt. »Es kommt noch hinzu, daß der Mann ihrer vertrautesten Freundin der Freund des Assessors ist. Bei dem Fabrikant Fabrig hat sich meine Nichte bereits mehrere Male mit Dorn getroffen.«
Ullmann zuckte überrascht zusammen.
»Mehrere Male?« wiederholte er. »Ich weiß nur, daß beide in einer Gesellschaft bei Fabrig sich kennen gelernt haben.«
»Erst gestern Nachmittag hat mein Sohn beide bei Fabrig getroffen,« bemerkte der Schulrath. »Der Fabrikant begünstigt die Annäherung in ganz unverkennbarer Weise.«
»Der Fabrikant hat dieselben demokratischen Gesinnungen wie Dorn,« fiel Ullmann ein. »Ich traue dem Manne das Schlimmste zu. Können Sie Ihre Nichte nicht vor beiden warnen?«
»Ich habe es versucht, allein sie scheint meine Worte falsch auszulegen, sie schenkt Fabrig das größte Vertrauen.«
»Dann weiß ich kein Mittel, wie ihr zu helfen wäre,« bemerkte Ullmann.
»Es gibt noch ein Mittel,« entgegnete der Schulrath zögernd.
»Welches meinen Sie?«
»Darf ich ganz offen gegen Sie sprechen, Herr Gerichtsdirektor?«
»Sie dürfen sowohl meiner Diskretion wie meiner Theilnahme versichert sein.«
»Das einzige Mittel ist nach meiner Ueberzeugung die Entfernung Dorn's,« fuhr Klinkhardt fort. »Müßte er die Stadt verlassen, so würde ihm die Möglichkeit genommen sein, auf meine Nichte einen noch tieferen Eindruck zu machen.«
Ullmann ließ den Blick prüfend über das Gesicht des Schulraths hingleiten. Wußte derselbe bereits von seinem Bestreben, Dorn zu entfernen? Es war kaum möglich.
»Sie haben Recht, allein auf welche Weise wäre dies zu erreichen?« warf er ein, als ob dieser Gedanke zum ersten Male in ihm angeregt wäre.
Klinkhardt, der jetzt seines Erfolges sicher zu sein glaubte, entwickelte nun in längerer Auseinandersetzung einen Plan, wie man Dorn kompromittiren könne.
Man mußte ihm die Gelegenheit geben, sich wie in der Residenz an politischen und Arbeiterversammlungen zu betheiligen. Dann konnte eine neue, strengere Strafe nicht ausbleiben.
Zu Klinkhardt's großer innerer Ueberraschung lehnte es Ullmann kurz ab, sich an derartigen Intriguen zu betheiligen. Er haßte den Assessor, er war ein eigensinniger, herrschsüchtiger Mensch, aber kein Schurke. Er erwiderte also, dienstlich habe sich Dorn bis jetzt nichts zu Schulden kommen lassen; wende sich derselbe hier in B. einer der Regierung feindlichen politischen Agitation zu, so wisse er, Ullmann, was er zu thun habe. Aber ihn verleiten zu solcher Agitation – das sei nicht seine Sache! Uebrigens glaube er nicht entfernt daran, daß Klinkhardt's Nichte jetzt schon etwas Ernsteres für den Assessor empfinde.
Der Schulrath lenkte das Gespräch auf einen andern Gegenstand, um zu verbergen, daß er allein Dorn's wegen gekommen sei. Er blieb indeß nur noch kurze Zeit.
Als Ullmann wieder allein war, warf er jeden Zwang, den er sich hatte gewaltsam auferlegen müssen, von sich. Aufgeregt schritt er im Zimmer auf und ab. Er dachte über die Bewerbung des Lieutenants um Bertha's Hand nicht mehr so unbefangen als anfangs, denn jetzt wußte er, daß der Schulrath Alles aufbieten werde, um das Ziel seines Sohnes zu fördern. Derselbe ging dabei viel ruhiger und systematischer zu Werke als der Lieutenant und war bemüht, jedes Hinderniß, welches ihm entgegentrat, rücksichtslos aus dem Wege zu räumen. Ja, der Schulrath erschien ihm jetzt sogar gefährlicher, als Dorn.
Und mußte Klinkhardt nicht auch bald erfahren, daß er selbst sich um Bertha's Hand bewarb? Mußte er dem Manne nicht zutrauen, daß er dann auch in derselben entschiedenen Weise gegen ihn wirken und ihn zu zu verdrängen suchen werde? Sein verwandtschaftliches Verhältniß zu Bertha räumte ihm ohnehin manchen Vorzug ein, und er war schlau genug, selbst den geringsten Vortheil zu benutzen.
Ullmann hatte es noch immer hinausgeschoben, um Bertha's Hand zu werben, es hatte ihm der Muth dazu gefehlt, und für einen Junggesellen in seinem Alter gehört ja immer ein großer Entschluß dazu, diesen wichtigen Schritt zu thun; jetzt drängte ihn die Nothwendigkeit dazu. Es galt zwei Nebenbuhlern zuvor zu kommen. Wohl bangte er vor dem Augenblicke, in dem er vor Bertha hintreten und ihr seine Liebe gestehen sollte, allein der Gedanke, daß vielleicht schon in wenigen Tagen ein Anderer ihr Herz errungen habe, ließ ihn nicht länger zögern.
Ohne Säumen machte er sich auf den Weg zu Bertha's Gute. Er wählte einen Umweg, um bei den ihm Begegnenden keinen Verdacht aufkommen zu lassen. Bertha hatte die Gesellschaft wegen Unwohlsein aufgegeben, er wußte indeß nur zu gut, daß sie nicht krank war.
Auf einem Umwege durch ein kleines Gehölz gelangte er an den großartig angelegten Garten, welcher Bertha's Besitzung abschloß. Mit unruhig pochendem Herzen schritt er an der Mauer, welche den Garten einschloß, hin. Es war still ringsum. Soweit sein Auge reichte, erblickte er keinen Menschen. Diese Ruhe und Einsamkeit thaten ihm wohl, um sein aufgeregtes Gemüth zu sammeln. Dicht belaubte Bäume streckten ihre Zweige über die Mauer hin, so daß er im Schatten derselben ging.
Er kannte den Park mit seinen schattigen Baumgängen und vielen traulichen Plätzen, er kannte die großen sonnigen Rasenplätze in ihm und die halb düsteren Lauben von Geisblatt und wildem Weine, er versetzte sich im Geiste in den Garten, er malte sich das Glück aus, wenn er als Herr desselben an Bertha's Seite durch denselben hingehe, wenn die große und reiche Besitzung sein eigen und er von Tausenden beneidet sei. Es lag nicht in seiner Natur, sich Phantasiegebilden hinzugeben, weil der klar blickende Verstand in ihm vorherrschte, allein überkamen ihn dennoch dann und wann solche Augenblicke, so wurde es ihm schwer, sich aus denselben wieder loszureißen.
Von solchen Phantasiegebilden umgaukelt und in eine glückliche Zukunft versetzt, schritt er wie ein Träumender dahin. Stimmen, welche er jenseits der Mauer vernahm, führten ihn in die Wirklichkeit zurück. Er glaubte Bertha's Stimme zu erkennen, gleichzeitig vernahm er aber auch die Stimme eines Mannes.
Das Blut stieg ihm in die Wangen. Seine Vermuthung, daß Bertha nicht unwohl sei, fand er bestätigt. Wer war der Mann, mit dem sie sich unterhielt? Er dachte an den Assessor und auch an den Lieutenant. Ein Riß in der Mauer gestattete ihm einen Blick in den Garten und erleichtert athmete er auf, als er Fabrig an Bertha's Seite erblickte. Ihre Unterhaltung schien einen ernsten Gegenstand zu betreffen, denn Bertha's Gesicht hatte er nie so ernst erblickt.
Kaum drei Schritte standen sie von ihm entfernt in dem sichern Gefühle, ungesehen und ungehört zu sein. Es lag nicht in Ullmann's Charakter zu horchen, er war zu stolz und vielleicht auch zu edel dazu, dennoch zwang ihn der Name Dorn, den er aus Bertha's Munde vernahm, gegen seinen Willen das Ohr an die Mauer zu legen. Nur wenige unzusammenhängende Worte vernahm er.
Einen Augenblick lang war er schwankend, ob er seinen Entschluß, um Bertha's Hand zu werben, ausführen sollte, da Fabrig's Anwesenheit ihm störend war, dann schritt er rasch weiter dem Hause zu, denn er war gewohnt, auszuführen, was er einmal begonnen hatte.
In dem Hause empfing ihn Bertha's Diener mit dem Bedauern, daß seine Herrin erkrankt sei, und deßhalb keinen Besuch annehmen könne. Er gab seine Karte ab und trug dem Diener auf, seiner Herrin zu sagen, daß er nur für wenige Minuten um Gehör bitte; der Diener wiederholte seine Worte.
»Ich glaube die Stimme der gnädigen Frau im Garten vernommen zu haben,« warf Ullmann unwillig ein.
»Meine Herrin fühlt sich unwohl, und hat den Befehl ertheilt, keinen Besuch anzunehmen,« lautete die Antwort des Dieners.
»Ueberbringen Sie Ihrer Herrin meine Karte und wiederholen Sie meine Bitte,« rief Ullmann unwillig, da er gewohnt war, überall Zutritt zu finden.
Der Diener ging, kehrte indeß schon nach wenigen Minuten zurück mit der Meldung, daß seine Herrin sich zu unwohl fühlte, um Besuch empfangen zu können.
Erbittert verließ Ullmann das Haus. Diese Abweisung hatte ihn tief gekränkt, sein Stolz fühlte sich verletzt, der unausgeführte Entschluß lag drückend auf ihm. Daß Bertha nicht unwohl war, hatte er selbst gesehen, hatte sie doch den Besuch des Fabrikanten angenommen.
Den nächsten Weg zur Stadt schlug er ein. Erst allmählich gewann er so viel Ruhe wieder, daß er sich eingestand, Bertha sei genöthigt gewesen, ihn abzuweisen, weil sie wegen Unwohlsein die Gesellschaft dieses Tages aufgegeben habe.
Kaum hatten seine Gedanken indeß einen ruhigern Verlauf genommen, das Selbstbewußtsein hatte die Ueberhand wieder gewonnen, so wurde auf's Neue sein Blut erregt. Dorn begegnete ihm und schlug den Weg zum Gute Bertha's ein. Ohne zu grüßen schritt er an ihm vorüber. Die Fragen: geht Dorn zu ihr? Wird sie für ihn zu sprechen sein? drängten sich ihm auf. Er hätte dem Assessor nacheilen mögen, um sich selbst davon zu überzeugen. Er konnte es jedoch nicht, ohne bemerkt zu werden, und in der heftigsten Aufregung eilte er seiner Wohnung zu.
Der Lieutenant und sein Vater waren noch immer in B. und boten Alles auf, um ihr Ziel zu erreichen. Was der Schulrath indeß durch sein kluges und keine Intrigue scheuendes Benehmen gewonnen, vernichtete der Lieutenant wieder durch seine Ungeduld und Unbesonnenheit. Je weniger Hoffnung er hatte, Bertha's Hand zu erringen, um so weniger machte er aus seinem Bestreben Hehl. Er war nicht im Stande, den Aerger über seine fehlgeschlagenen Hoffnungen zu verbergen und suchte im Wein Vergessenheit. In dem Gasthause erklärte er bei Tafel laut, er werde den Assessor Dorn, wo er ihn auch treffe, eine Beleidigung zurufen und wenn Dorn wirklich den Muth habe, ihn zu fordern, werde er ihn todtschießen wie einen Hasen.
Der Schulrath kam täglich mit ihm in den heftigsten Konflikt. Wenn auch seine Hoffnungen bedeutend herabgestimmt, so gab er dieselben doch durchaus noch nicht auf. Er konnte den Gedanken nicht fassen, daß all' seine Bemühungen vergebens gewesen sein sollten. Was blieb seinem Sohne übrig, wenn dieser Plan scheiterte! Die Schulden desselben hatten eine solche Höhe erreicht, die Gläubiger drängten so ungeduldig, daß Alles zusammenbrechen mußte, wenn nicht bald Hülfe kam. Die Stellung und ganze Zukunft des Lieutenants war gefährdet, denn derselbe besaß weder hinreichende Kenntnisse noch Arbeitslust, um einen neuen Beruf zu wählen.
Die Sorgen des Vaters wuchsen von Tage zu Tage. Der Lieutenant empfand sie freilich nicht. Er schimpfte wohl über das langweilige Leben in B., ließ sich indeß den Wein des Gasthauses ganz vortrefflich schmecken.
Bertha hatte die Absichten ihrer Verwandten vom ersten Tage an durchschaut und es amüsirte sie, wie der Schulrath und Lieutenant sich in ganz verschiedener Weise bemühten, ihre Gunst zu erringen. Ihr Herz kam dabei nicht in Berührung, denn sie fühlte zu dem Lieutenant nicht die geringste Hinneigung. Ernster denn je zuvor hatte sie indeß ihr Herz befragt, für wen es am wärmsten empfinde. Es war ihr peinlich, von allen Seiten umworben zu sein, sie wußte, daß die ganze Stadt mit Spannung darauf wartete, wem sie ihr Herz schenken werde, ihr unbefangenes Wesen wurde mehr und mehr eingeschüchtert. Sollte sie auf's Neue zum Reisen ihre Zuflucht nehmen, um den Zudringlichen zu entgehen? Sie sehnte sich nach Ruhe, sie mochte sich von ihren Freunden nicht wieder trennen, und eine ihr selbst noch nicht klar bewußte Macht hielt sie zurück.
Die Bewerbung des Gerichtsdirektors war auf ihr Herz nicht ohne Eindruck geblieben. Sie würde ihm vor einigen Wochen ihre Hand gereicht haben, allein er war ihr ferner getreten, seitdem sie erfahren, wie schroff und feindlich er gegen den Assessor auftrat. Dorn flößte ihr eine Theilnahme ein, die sie selbst nicht begriff. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen und hätte ihm mehr Vertrauen schenken können, als irgend einem andern Manne. Sollte dies allein dadurch hervorgerufen sein, daß er Fabrigs Freund war, daß Fabrig mit größter Achtung von ihm sprach? Sie wußte es selbst nicht, und so oft ihre Gedanken sich auch mit ihm beschäftigten, so besaß sie doch nicht den Muth, ihr Herz zu fragen, ob es für ihn schlage.
Dorn hatte sie ja nur noch einmal bei Fabrig getroffen. In den letzten Tagen hatte er ganz zurückgezogen gelebt, weil er jedes Zusammentreffen mit dem Schulrath und dem Lieutenant vermeiden wollte. Wohl eilten seine Gedanken hinaus zu Bertha, allein mit Gewalt suchte er dieselben zurückzudrängen. Was half es, sich Träumen hinzugeben und Hoffnungen aufkeimen zu lassen, die doch nicht erfüllt werden konnten. Durch Fabrig wußte er, in welcher Weise sich der Schulrath, dessen Sohn und Ullmann um Bertha's Liebe bewarben. Er vermied es sogar, Fabrig zu besuchen, um nicht mit Bertha zusammenzutreffen, denn je öfter er sie sah, um so schwerer wurde ihm der Kampf der Entsagung.
Sein Verhältniß zu Ullmann war von Tage zu Tage schroffer geworden. Je gereizter und aufgeregter Ullmann war, um so weniger vermochte er seine feindliche Gesinnung gegen ihn zu verbergen. Auf die Dauer wurde dies Verhältniß unerträglich. Die Worte Fabrig's, daß er ihm eine bessere Stellung in seinem Geschäfte anbieten könne, waren ihm wiederholt durch den Kopf gefahren, allein es war ein schwerer Entschluß, mit seiner Vergangenheit und seinem Berufe völlig zu brechen. Man schien ihn ja dahin treiben zu wollen, daß er freiwillig aus dem Staatsdienste scheide, ein innerer Trotz hielt ihn zurück. Sollte er all' die Kenntnisse, die ihn so manche schlaflose Nacht gekostet, vergebens erworben haben? Sollte er seinen Feinden eingestehen, daß er den Muth verloren, weiter zu ringen? Er wollte keine Schwäche verrathen. Was war daran gelegen, wenn er in diesem Kampf unterging? Wer trauerte um ihn? Hatte er doch, so lange er in B. war, von seinen Eltern nicht die geringste Nachricht erhalten. Seine Mutter war zu schwach zum Schreiben und sein Vater schien unversöhnlich zu sein. Zwei Briefe hatte er an ihn gerichtet, er hatte ihm mit dem vollen Vertrauen des Sohnes geschrieben, er hatte ihn gebeten, auch seine Ueberzeugungen zu achten; stellte die Zukunft heraus, daß sie irrig seien, so treffe ja ihn allein die Schuld. Keine Antwort war ihm geworden.
Durch die Arbeit suchte er zu vergessen, was ihn bekümmerte. Wieder saß er in den Akten vertieft, als der Gerichtsdirektor ihn durch den Gerichtsboten zu sich rufen ließ. Langsam erhob er sich. Die Ahnung, daß ihm eine neue Unannehmlichkeit bevorstehe, drängte sich ihm auf und er vermochte nicht, dieselbe zurückzuscheuchen. Ullmann hatte ihm in der letzten Zeit jeden Auftrag schriftlich ertheilt und es streng vermieden, irgend ein Wort mit ihm zu reden.
Mit festem Schritte betrat er das Zimmer des Gerichtsdirektors, denn diesem Manne mochte er am wenigsten zeigen, daß sein Herz unruhig schlug.
Ullmann schritt im Zimmer auf und ab. Er schien gut gelaunt zu sein, allein um seinen Mund zuckte ein höhnisches Lächeln.
»Herr Assessor,« rief er, als Dorn kaum eingetreten war, »ich habe Ihnen nur die Mittheilung zu machen, daß Sie nach M. in derselben Eigenschaft als Assessor versetzt sind. Binnen acht Tagen müssen Sie in M. Ihre neue Stellung antreten.«
Das Blut war aus Dorn's Wangen gewichen. Nicht einen Augenblick lang war er im Zweifel, daß diese Versetzung auf Ullmann's Veranlassung geschehen. War er nur ein Spielball, den man nach Belieben hierhin und dorthin werfen konnte.
Er bedurfte einige Minuten Zeit, um sich zu fassen.
»Darf ich nach der Ursache dieser neuen Versetzung fragen?« sprach er endlich. Es wurde ihm schwer, diese Worte hervorzubringen.
»Ich bin nicht verpflichtet, Ihnen dieselben anzugeben,« erwiderte Ullmann mit wegwerfendem Stolze. »Ich glaube auch, Sie können sich die Antwort auf die Frage selbst geben.«
»Nein,« entgegnete Dorn. »Ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen.«
»Ich habe Ihnen auch nicht gesagt, daß diese Versetzung eine Strafversetzung ist,« fuhr Ullmann fort. »Sie ist auf meinen Wunsch erfolgt, weil es mir nicht angenehm ist, mit einem Manne zusammen zu arbeiten, dessen Benehmen so wenig Gewinnendes hat. Sie werden in M. vielleicht mehr Sympathien finden, als hier; ich wünsche es Ihnen, weil es doch für Ihre Zukunft sehr nöthig sein dürfte.«
Der stolze Ton dieser Worte empörte Dorn. Es gährte in ihm, und er war nicht länger im Stande, sich zu beherrschen.
»Herr Gerichtsdirektor,« entgegnete er, »ich glaube nicht, daß ihre letzten Worte zu der amtlichen Mittheilung meiner Versetzung gehören, ich halte sie wenigstens für sehr überflüssig. Ob ich mir in M. Sympathien erwerben werde oder nicht, berührt allein mein Interesse, und ich kann auch hinzufügen, daß mir die Feindschaft manches Menschen lieber ist, als dessen Sympathie!«
Der Gerichtsdirektor entfärbte sich. Hastig trat er dicht vor Dorn hin, der auch nicht einen Zoll breit zuückwich.
»Herr Assessor, Sie scheinen zu vergessen, daß ich Ihr Vorgesetzter bin!« rief er. »Sie sollten meine Worte mit Dank aufnehmen, denn die feste Versicherung kann ich Ihnen geben, daß Sie auf dem Wege, den Sie eingeschlagen haben, nicht weit gelangen werden.«
»Und ich kann hinzufügen, daß ich diesen Weg nie verlassen werde!« rief Dorn. »Mögen Andere eines äußeren Vortheils wegen ihre Gesinnung und ihren Charakter verleugnen, ich werde dies nie thun. Die Zukunft allein wird lehren, wie weit ich damit gelange. Sie haben erwähnt, daß meine Versetzung auf Ihren Wunsch erfolgt sei, auch mir ist ein Dienst dadurch erwiesen, denn ich habe immer noch nicht den Grund des mir kürzlich gemachten Vorwurfs erfahren, und würde wahrscheinlich bald selbst um meine Versetzung eingekommen sein.«
Er wandte sich ab, um das Zimmer zu verlassen.
»Bleiben Sie!« rief Ullmann befehlend.
Dorn folgte dem Befehle.
»Ich glaubte, Ihre amtliche Mittheilung sei beendet,« bemerkte er nicht ohne Anflug von Spott.
»Sie ist beendet!« rief Ullmann, »dennoch haben Sie zu bleiben, bis ich Ihnen sage, daß Sie gehen können.«
»Gut, ich werde bleiben,« entgegnete Dorn ruhig, »allein ich darf wohl erwarten, daß unsere Unterredung nicht über die strenge amtliche Grenze hinausgeht.«
Diese Ruhe und dieser entschiedene Widerspruch trieben Ullmann zum Aeußersten. Mehr und mehr verlor er seine Fassung. Die Adern auf seiner Stirn waren geschwollen, seine Augen traten hervor, der Zorn entstellte seine sonst regelmäßigen Züge.
»Ich werde Ihnen sagen, was mir beliebt!« rief er. »Ich bin nicht gewöhnt, mir von einem Untergebenen Vorschriften machen zu lassen und von Ihnen werde ich dies am wenigsten ertragen. Sie haben durch Ihr Leben bereits genug Anstoß gegeben und ich hoffe, daß Ihr Hochmuth sich bald legen wird. Jedenfalls werden Sie Ihr Benehmen gegen mich bereuen!«
Dorn zuckte mit der Achsel.
»Haben Sie noch etwas hinzuzufügen?« fragte er.
»Nein!« rief Ullmann heftig, und wandte sich ab.
Dorn verließ das Zimmer. Erst jetzt machten die Folgen seiner Aufregung sich geltend. An seinem Arbeitstisch ließ er sich nieder und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. So saß er lange Zeit regungslos da. Seine tief athmende Brust verrieth, wie schwere Gedanken auf derselben lagen. Die Fragen drängten sich ihm auf, was er verschuldet habe, daß dieser neue Schlag ihn treffe. Die Eifersucht Ullmanns war der einzige Grund. Hätte derselbe gewußt, wie wenig Hoffnungen er in sich genährt, wie er in Gedanken Bertha längst entsagt hatte! Und doch zog sich sein Herz krampfhaft zusammen bei dem Gedanken, daß er von Bertha getrennt werde, daß er sie vielleicht nie wiedersehe. Er hatte die Liebe zu ihr unterdrücken wollen – es war eine Täuschung, mehr und mehr hatte dieselbe sein Herz erfaßt, jetzt erst empfand er, wie tief er sie liebte.
Und dann wieder drängte sich ihm die Frage auf, weßhalb gerade ihn das Geschick so unversöhnlich verfolge. Um ihn aus Bertha's Nähe zu entfernen, deßhalb hatte Ullmann auf seine Versetzung angetragen. Die Worte Fabrig's, mit denen er ihm eine Stellung in seinem Geschäfte angetragen, hallten in ihm wieder. Erregt sprang er auf. Der Entschluß, des Freundes Anerbieten anzunehmen, zu brechen mit seiner Vergangenheit, die lästigen Fesseln seines Berufes von sich zu werfen und eine neue Lebensstellung sich zu erringen, reifte schnell in ihm. Hielt ihn dieser Schritt nicht in Bertha's Nähe? Vereitelte er dadurch nicht die Absicht des Gerichtsdirektors?
Ohne Zögern verließ er das Zimmer, um hinauszueilen zu dem Freunde und ihm zuzurufen: »Du hast mir Deine Hülfe angeboten, jetzt halte Wort!«
Als er aber durch die Stadt hinschritt, als die laue warme Luft des Sommertages ihm entgegenwehte, als er dem Eindrucke des dumpfen Bureau's mit seinen grauen einförmigen Wänden entzogen war, als er sah, wie das Leben ringsum so frisch und ruhig dahin floß, da drängten sich ihm andere Empfindungen auf. Bedenken gegen seinen Entschluß stiegen empor und langsamer wurden seine Schritte. War es nicht Thorheit, unter dem ersten Eindrucke der Aufregung zu handeln, konnte er diesen Entschluß nicht einen Tag später zur Ausführung bringen, wenn er dann noch ebenso fest in ihm stand? Ruhiger und gefaßter wollte er Alles erst noch einmal prüfen und überlegen.
Er bog in eine Nebenstraße ein, welche ihn zu einem andern Thore der Stadt hinausführte. Zwischen Feldern schritt er dem nahen Walde zu. Feierlich still war es ringsum, auf den Feldern ruhte der Sonnenschein, die bereits sich färbenden Aehren der Kornfelder wurden von dem Luftzuge langsam, wellenförmig hin und her bewegt. Wolkenlos wölbte sich der Himmel über dem Allen.
Dorn's Auge sah von alledem nichts und doch stahl ein Strahl der wärmenden Sonne sich in sein Inneres. Sein Blut floß langsamer, die Brust athmete ruhiger, die Aufregung machte einer schmerzlich bewegten Stimmung Raum.
Dorns ganzes Leben zog vor seinem Geiste vorüber, die Tage der Kindheit, die Jahre des Jünglings, die seine Brust mit so hochfliegenden Hoffnungen geschwellt hatten, wo er sich zuerst seiner vollen Kraft bewußt geworden war und noch geglaubt hatte, mit dieser Kraft durchzudringen und alle Hindernisse besiegen zu können.
Was hatte er erreicht? Alle seine Kenntnisse und Fähigkeiten, seine ganze Kraft scheiterte an der Willkür, an der Abneigung eines Vorgesetzten.
In dem Walde angelangt, warf er sich in dem Schatten eines Baumes nieder. Vor ihm, an dem Stamme des Baumes hin zwischen dem Moose, hatten Ameisen sich einen Weg gebahnt und liefen auf demselben mit geschäftiger Eile hin und her. Sinnend betrachtete er das Treiben der kleinen Geschöpfe. Sie folgten einem unbewußten Triebe, sie gingen in demselben auf, und wenn in ihrer kleinen Brust Empfinden wohnte, so mußten sie sich glücklich fühlen. Welch anderes Mißgeschick konnte sie treffen, als daß eine rohe Hand ihren Bau zerstörte, oder ein Fuß sie zertrat. Dann war es vorbei mit ihnen, ohne daß ihre Brust sich im Ringen und in Schmerzen verzehrt hatte.
Ein leichter Schritt nahte sich ihm, ohne daß er denselben hörte, erst als derselbe dicht neben ihm inne hielt, blickte er auf. Ueberrascht sprang er empor – Bertha stand vor ihm.
Einen Augenblick blickten sich Beide an, Beider Wangen hatte flüchtiges Roth überzogen.
Bertha überwand zuerst die Befangenheit.
»Ich habe Sie in Ihren Beobachtungen gestört?« fragte sie lächelnd.
»Nein, nein,« entgegnete Dorn, dessen Blut heftig wallte, »ich verglich nur die kleinen Thiere mit dem Menschen und ich beneidete sie!«
Er fuhr mit der Hand über die Stirn hin, als könnte er sich dadurch mehr Ruhe erringen.
»Sie beneideten die kleinen Geschöpfe? wiederholte Bertha fragend.
»Sind sie nicht glücklich gegen uns? Was wissen sie von Kämpfen und Ringen, welche Schmerzen und Erfahrungen verbittern ihr Leben?«
»Wie kommen Sie zu diesen schmerzlichen Betrachtungen?« warf Bertha ein. »Kann ich mich nicht auch fragen: was entschädigt die kleinen Geschöpfe für das Glück, welches die menschliche Brust zu empfinden vermag?«
»Sie kennen das Glück nicht, deßhalb vermuthen sie es nicht, deßhalb hoffen sie nicht darauf und deßhalb lernen sie keine Täuschung kennen!« entgegnete Dorn, halb in Gedanken versunken. »Und ist denn das Glück jeder Menschenbrust beschieden?« fuhr er fort. »Die Sonne scheint für jedes Geschöpf, das Glück lächelt nur Wenigen, es ist oft neidisch auf seine eigenen Gaben.«
»Herr Assessor, Sie sind ein Schwärmer, der sich selbst quält,« warf Bertha ein. »Kommen Sie, begleiten Sie mich. Sie sagen, die Sonne scheint für Alle und doch müssen wir das Auge zu ihr empor richten, um sie zu sehen; wer muthwillig oder eigensinnig dem Glücke ausweicht, dem drängt es sich nicht auf.«
Schweigend schritt Dorn an Bertha's Seite dahin. Es wurde ihm schwer, seine Fassung wieder zu gewinnen. Bertha sah frischer und reizender aus, als er sie je zuvor gesehen hatte. Das leichte hellfarbige Sommerkleid schloß sie so duftig ein, über dem Arme trug sie den runden Strohhut, den sie im Walde abgesetzt hatte, ihr Haar fiel in Locken bis in den Nacken hinab. Immer und immer wieder mußte er das Auge auf sie heften.
»Was hat Sie in die trübe Stimmung versetzt, in der ich Sie überrascht?« fuhr Bertha fort. »Ich habe Sie schon so heiter gesehen.«
Dorn wollte ihr seine Versetzung verschweigen, allein erfuhr sie dieselbe nicht dennoch bald durch Fabrig?
Er erzählte ihr Alles.
Die Farbe war von Bertha's Wangen gewichen, sie preßte die Lippen fest aufeinander.
»Hat Ihnen der Gerichtsdirektor die Veranlassung nicht mitgetheilt?« fragte sie. Ihre Stimme bebte leise.
»Er hat sie gewünscht,« entgegnete Dorn. »Er haßt mich seit dem Tage, wo ich bei Fabrig bei Tafel so heiter war,« er wollte hinzufügen: »seitdem ich Sie kennen gelernt habe.«
»Weiß Fabrig bereits davon?« fische Bertha weiter.
»Noch nicht.«
Wieder gingen sie einige Minuten schweigend neben einander. Sie langten an der Thür, welche in den Park führte, an. Unwillkürlich blieb Dorn stehen.
»Kommen Sie mit mir, Sie, kennen meine Besitzung noch nicht,« bat Bertha. Ihre Stimme klang erregt. »Und werden Sie nach M. gehen?« fügte sie dann fragend hinzu.
Dorn blickte sie an. Sie schlug die Augen nieder, als habe sie durch diese Frage einen Theil von dem verrathen, was in ihrem Innern vorging.
»Mir bleibt nur die Wahl, mich der Anordnung zu fügen, oder aus dem Staatsdienste auszuscheiden,« entgegnete er und erzählte, welches Anerbieten ihm Fabrig gemacht hatte. »Noch habe ich keinen festen Entschluß gefaßt. Es ist ein schwerer Schritt, weil er mein ganzes Leben umgestalten wird. Ich muß mit der Idee brechen, in welche ich mich seit Jahren hineingelebt habe, muß ein ganz anderes Ziel vor mir aufrichten und wer kann mir die Gewißheit geben, daß ich zu dem neuen Berufe die nöthige Kraft habe, daß ich in ihm mehr finde, als ich aufgebe!«
Er glaubte bemerkt zu haben, daß Bertha's Auge bei seinen Worten aufleuchtete.
»Versprechen Sie mir, daß Sie keinen Entschluß fassen wollen, ehe Sie mit Fabrig Alles überlegt und besprochen haben,« warf Bertha ein. »Er ist ein einfacher Mann, allein sein Verstand ist scharf, sein Auge hell und was noch mehr wiegt, sein Herz ist redlich. Er wird Alles für Sie thun, was in seinen Kräften steht und wäre es nur deßhalb, um dem Gerichtsdirektor den Triumph, Sie von hier entfernt zu haben, nicht zu gönnen und sich einen Freund zu erhalten.«
Ueberrascht blickte Dorn sie an. Diese Worte überraschten ihn. Sollte sie Ullmann dennoch nicht lieben? Er versprach, ihre Bitte zu erfüllen.
Bertha schien erleichtert aufzuathmen. Sie plauderte unbefangener und heiterer mit dem sichtbaren Bemühen, ihn zu zerstreuen. Sie zeigte ihm ihre Lieblingsplätze in dem Parke und theilte ihm ihren Plan mit, einen Theil desselben mit Tannen zu bepflanzen.
»Fabrig räth mir ab,« sprach sie, »er behauptet, der Park werde einen zu düstern Eindruck dadurch erlangen. Sie werden mich vielleicht eher verstehen und begreifen, daß uns oft Stimmungen beschleichen, in denen wir dem hellen Sonnenlichte ausweichen und uns nach dem Dämmerlichte eines Waldes sehnen. Fühlt sich das Herz glücklich, dann erscheint dem Auge Alles hell und es erkennt auch durch den dichtesten Baumwipfel über sich den blauen Himmel.«
Weiter und weiter schritten sie durch den Park hin und was Bertha bezweckt hatte, erreichte sie. Immer mehr vergaß Dorn die Bitterkeit des Geschickes. Der Augenblick wirkte zu mächtig auf ihn ein, um sich dem Eindrucke desselben entziehen zu können. Bertha's reizende Gestalt an seiner Seite und ringsum saftiges Grün und Blumenbeete, deren Duft der Lufthauch ihnen entgegentrug, – wie im Traume erschien er sich und es war ihm nicht möglich, sich die bittere Wirklichkeit zurück zu rufen. Es war dies vielleicht das letzte Mal, daß er so an Bertha's Seite ging. »Genieße den Augenblick!« rief es in ihm.
Es machte Bertha sichtbar Vergnügen, ihm Alles zeigen zu können. Sie langten vor dem Hause an.
»Auch mein Haus müssen Sie kennen lernen,« sprach Bertha, und er folgte ihr willenlos, gern. Er vergaß die Vergangenheit, durch seine Brust zog es wie ein Hauch des Glückes ein.
In einem Gartenzimmer stand eine Staffelei mit einer halb vollendeten Landschaft. Sinnend blieb Dorn davor stehen. Er wußte von Fabrig, daß Bertha malte, die Sicherheit und Naturtreue, mit der die begonnene Landschaft ausgeführt war, überraschte ihn. Er hatte ihrer kleinen Hand eine solche Festigkeit des Pinsels nicht zugetraut.
Bertha führte ihn weiter in ihr Zimmer. Wie ein Hauch des Friedens umfing es ihn, als er über die Schwelle desselben trat. An der Wand hing ihr Bild, welches sie darstellte, wie sie vor Jahren ausgesehen.
Er trat vor das Bild hin und vermochte den Blick nicht davon abzuwenden. So war sie ihm erschienen, als er sie vor Jahren aus dem See errettet, nur die Wangen waren nicht so bleich und die dunkeln Augen, welche damals geschlossen waren, blickten ihm lachend entgegen.
»Erkennen Sie mich?« fragte Bertha lächelnd.
»Ja, ja!« entgegnete Dorn. Er war kaum im Stande seine Erregung zu verbergen. Deutlich sah er im Geiste das bleiche Mädchen, welches er in seinen Armen an das Ufer trug, von dessen Stirn er das dunkle, nasse Haar strich.
»Ich war fast noch ein Kind, als mein Vater dies Bild malen ließ,« fuhr Bertha fort. »Schon Mancher hat mich auf diesem Bilde nicht wieder erkannt, und ich glaube auch, daß ich mich sehr verändert habe.«
»Nein!« rief Dorn, ohne von dem Bilde, welches ihn wie mit Zaubermacht gefesselt hielt, aufzublicken.
»Ich habe Sie sofort erkannt! So sahen Sie aus – so!«
Er wußte kaum, was er sprach, denn er war der Gegenwart halb entrückt. Da wandte er sich ab. Sein Auge traf auf ein Bild, welches an der andern Wand hing. Es stellte einen Bergsee rings von Bäumen umschlossen dar.
»Ah!« rief er unwillkürlich und eilte auf das Bild zu.
Das war der Ort, den er so treu in seiner Erinnerung bewahrt hatte. Dort der Steg, auf dem er zuerst das junge Mädchen erblickt, dort die Stelle des Ufers, wo er die Gerettete in die Arme ihres Vaters gelegt.
»Dort, dort war es!« rief er, Alles in diesem Augenblicke vergessend. »Dort stürzten Sie hinab, diese Wogen rissen Sie mit sich fort bis mitten in den See, dort, dort stand Ihr Vater und rang verzweiflungsvoll die Hände.«
Er hatte die Rechte erhoben und zeigte auf das Bild.
Mit wachsendem Erstaunen hatte Bertha seine Worte gehört. Sie begriff ihn nicht. Ein Gefühl halb Angst und halb Freude, von dem sie sich keine Rechenschaft geben konnte, erfaßte sie.
»Sie kennen den Ort, woher wissen sie …?« Mehr vermochte sie nicht hervorzubringen.
Dorn wandte sich zu ihr. Er blickte in ihre Augen, die fragend, verlangend auf ihn gerichtet waren. Sie stand dicht vor ihm, mit den Armen konnte er sie umschlingen, sie, die er schon einmal in seinen Armen gehalten hatte. Nicht länger war er im Stande, zurückzudrängen, was das Herz ihm zurief, und wenn es sein Leben gekostet hätte, er hätte in diesem Augenblick nicht vermocht, zu verschweigen, was seit Jahren ihn mit dem ganzen Reiz der Erinnerung eines seltsamen, lieblichen, märchenhaften Traumes umschwebt hatte.
»Ich, ich habe Sie ja gerettet!« rief er.
Bertha zuckte zusammen. War es nicht, als ob mit einem Male eine dunkle Ahnung sich zu einem hellen, strahlenden Lichte verklärte! Sie erfaßte seine Hand und rief: »Dorn, Dorn, Sie haben mich gerettet!«
Die Berührung ihrer weichen Hand machte ihn erzittern, er hätte aufjauchzen mögen vor seliger Lust.
»Ja, ich war der Glückliche,« entgegnete er. Er riß die blaue Schleife, welche er auf dem Herzen trug, hervor. »Und hier, hier, dieses Zeichen erkennen Sie es? Ich habe es einst als Erinnerung an die Stunde mitgenommen, die mir später nur wie ein Traum erschien.«
»Meine Schleife!« rief Bertha fast aufjauchzend. »Sie ist es, ich habe sie damals vermißt, ich hatte keine Ahnung davon, daß mein Lebensretter sie zur Erinnerung mit sich genommen!«
»Sollte ich nicht ein Andenken an jene Stunde haben?« fragte Dorn.
»Doch, doch!« entgegnete Bertha. Sie vermochte nichts mehr hervorzubringen. Ihre Augen hatten sich gesenkt, ihre Wangen glühten, ihre Brust rang nach Athem. Wie schön sie war!
»Bertha, Bertha!« rief Dorn vor ihr niederstürzend und ihre Hand erfassend. »Ich hatte keine Hoffnung, Sie je wiederzusehen und dennoch habe ich Ihr Bild treu in mir bewahrt. Jahre lang habe ich diese Schleife täglich angeschaut und geküßt, oh, hätte ich Sie früher kennen gelernt, früher, es wäre vielleicht Alles anders gekommen!«
Er preßte ihre Hand vor seine Augen.
Bertha blickte zu ihm nieder.
»Dorn, und weßhalb kann es nicht jetzt noch kommen, wie Sie einst gehofft haben?« fragte sie leise.
Er blickte zu ihr auf, sah in ihr glücklich leuchtendes Auge und sprang empor. Mit dem Rufe: »Bertha, Bertha!« umschloß er sie fest mit den Armen.
»So, so habe ich Dich schon einmal umfangen gehalten!« rief er und sie ließ es geschehen. »Doch nein, nein!« fuhr er erregt fort, »es kann nicht sein, es ist ein Traum, der mich neckt, um mich doppelt elend zumachen. Auch damals bist Du mir wieder entrissen!«
»Es ist kein Traum,« flüsterte Bertha.
»Dann sage, daß Du mich liebst, daß Du mein sein willst – mein für immer!«
»Muß ich das noch sagen,« rief Bertha glücklich lächelnd. Sie schlang die Arme um seinen Nacken und küßte ihn auf den Mund. »Ich habe Dich ja schon längst geliebt!«
Jauchzend hätte Dorn sie empor heben mögen, doch das unerwartete Glück berauschte ihn, wie ein Träumender stand er da, der im Geiste ein liebliches Bild verfolgt und nicht im Stande ist, dasselbe zu erhalten.
Sanft zog ihn Bertha zum Sopha. Ihre Hand ruhte in der seinigen.
»Und weßhalb hast Du böser Mann mir nicht eher gesagt, daß ich Dir mein Leben verdanke?« fragte sie.
Dorn mußte sich gewaltsam zusammenraffen, um die Wirklichkeit und sein Glück zu fassen. Bertha strich ihm das Haar aus der Stirn.
»Weßhalb nicht?« rief er. »Weil ich mein Herz nicht noch einmal in einen Kampf führen wollte, in dem ich keine Hoffnung auf Sieg sah. Ich wollte Dich vergessen und mein Herz klammerte sich nur um so fester an Dich. Als ich Dich zuerst bei Fabrig sah, wußte ich, daß ich Dich schon einmal gesehen hatte und als Du bei Tafel erzähltest, daß ein Student Dich errettet habe, da erkannte ich Dich, da hätte ich aufjauchzen und Dir zurufen mögen: Ich – ich bin der Glückliche gewesen; zur rechten Zeit noch dachte ich daran, daß ich nur ein zur Strafe versetzter Assessor war, daß ich im Exile lebte!«
»Zur rechten Zeit?« wiederholte Bertha. »Und wenn ich Dich heute nicht im Walde getroffen hätte? Wenn ich Dich nicht hierher geführt, wenn dies Bild Deine Lippen nicht geöffnet hätte?«
»Dann würde ich nie den Muth gehabt haben, Dir meine Liebe zu gestehen, doch mein Herz hätte Dich nie vergessen. Wie konnte ich hoffen, je so glücklich zu werden?«
»Du böser Mann, also nur dem Zufalle verdanke ich mein Glück,« entgegnete Bertha im Scherze grollend. »Ahntest Du denn nicht, daß auch mein Herz für meinen Lebensretter schlug, obschon mein Auge ihn nicht gesehen? Kennst Du das Frauenherz so wenig, weißt Du nicht, daß es sich für immer nach dem hingezogen fühlt, dessen Arm uns einmal umschlungen. Ich war vor Jahren untröstlich, weil ich Dir nicht danken konnte, wenn ich Dich auch nicht kannte, so schlug doch mein Herz für Dich und noch nach Jahren suchte ich jene Stelle wieder auf, um in diesem Bilde eine Erinnerung an meinen Retter zu haben.«
»Wirst Du noch nach M. gehen?« fragte Bertha endlich scherzend.
»Nein, nein!« rief Dorn. »Keine Macht ist jetzt stark genug, mich von Dir wieder zu trennen! Ich hatte nicht den Muth, Dich zu erringen, aber ich habe die Kraft, Dich mir zu erhalten!«
Der Diener trat ein und meldete den Besuch des Gerichtsdirektors an.
Erregt sprang Dorn auf. Wollte dieser Mann die glücklichste Stunde seines Lebens stören?
»Weise ihn zurück,« bat er.
»Nein,« entgegnete Bertha. »Gönne mir dafür, daß er Dich so viel geplagt, die Genugthuung, ihm zu sagen, wer mein Retter gewesen ist, auf den er ein Hoch ausgebracht und sein Glas geleert hat. Aus meinem Munde soll er hören, daß Du jetzt mein bist, denn durch seine Schuld hätte ich Dich beinahe für immer verloren. Ich werde in wenigen Minuten wieder bei Dir sein.«
Sie verließ das Gemach. In dem Empfangszimmer traf sie den Gerichtsdirektor. Von ihren gerötheten Wangen strahlte das Glück, das sie gefunden. Ullmann hatte keine Ahnung davon. Er war gekommen, um endlich seinen Entschluß, um Bertha's Hand zu werben, zur Ausführung zu bringen. Und er that es ohne viele Umstände, er gestand ihr, daß er sie längst liebe und fügte nicht ohne Stolz hinzu, daß er hoffe, ihr eine Lebensstellung bereiten zu können, die ihrer würdig sei.
Der Gedanke an Dorn bewahrte Bertha vor Verlegenheit.
»Sie kommen zu spät, Herr Gerichtsdirektor,« entgegnete sie, »mein Herz ist nicht mehr frei und auch meine Hand nicht!«
»Sie scherzen!« warf Ullmann bestürzt ein.
»Ich spreche die Wahrheit.«
»Und wer – wer – ist der Glückliche?« fuhr Ullmann fragend fort. Die Farbe war von seinen Wangen gewichen und es wurde ihm schwer, diese Worte hervorzubringen.
»Erinnern Sie sich, daß Sie vor kurzer Zeit bei Fabrig ein Hoch auf denjenigen ausbrachten, der mir einst das Leben gerettet hat?«
»Ja – ja!« rief der Gerichtsdirektor, »Sie sagten, daß Sie ihn nie wieder gesehen hätten.«
»Das Glück hat ihn mir heute zugeführt und ihm habe ich mein Herz und meine Hand geschenkt.«
»Wer ist es?« fragte Ullmann noch einmal.
»Auch Sie kennen ihn,« gab Bertha lächelnd zur Antwort. »Sie hatten von ihm freilich noch keine Ahnung, als Sie das Hoch auf ihn ausbrachten – es ist der Assessor Dorn!«
Erschreckt fuhr Ullmann zurück. Seine Augen ruhten starr auf Bertha's Gesicht.
»Dorn – Dorn! Es ist unmöglich!« rief er.
»Weßhalb unmöglich?« erwiderte Bertha ruhig lächelnd. »Ich weiß allerdings, daß unsere Ansichten über ihn weit auseinandergehen, Herr Gerichtsdirektor; ich liebe ihn indeß und da werden Sie es mir nicht verdenken, wenn ich die beste Meinung von ihm habe. Ich bin Ihnen übrigens zu Dank verpflichtet. Durch Ihre Veranlassung sollte Dorn nach M. versetzt werden und diese Versetzung ist zum Theil der Grund meines Glückes.«
Ullmann stammelte einige Worte, er wußte selbst nicht, was er sprach; mit einer fast komischen Hast ergriff er seinen Hut und eilte fort. Erst als er das Haus verlassen hatte, öffneten sich seine fest geschlossenen Lippen, um einen mit Mühe zurückgehaltenen Fluch auszustoßen. Er eilte zur Stadt zurück, allein in einer Stimmung, in der er seinen besten Freund hätte ermorden können.
Bertha kehrte zu Dorn zurück.
»Er ist jetzt hart genug bestraft,« sprach sie, »nun zürne ihm nicht weiter. Er hat mich geliebt und die Eifersucht hat ihn verleitet, Dir so schroff entgegen zu treten.«
Sie erzählte ihm, daß Ullmann um ihre Hand angehalten habe.
Dorn vermochte sein Glück noch immer nicht zu fassen, es hatte ihn zu unerwartet in seiner verzweiflungsvollen Stimmung überrascht. Er erfaßte Bertha's Hand und zog sie vor das Bild des stillen Waldsee's.
»Bertha,« sprach er, »wenn Du mein bist, dann laß uns noch einmal diesen See besuchen, denn dort ist mein Glück entstanden.«
»Befürchtest Du nicht, daß ich zum zweiten Male hineinstürze?« warf Bertha scherzend ein.
»Nein, denn jetzt gibt es zwei Arme, die Dich jeder Zeit schützend umfangen werden!« rief Dorn.
»Erinnerst Du Dich noch unseres Gespräches, als wir uns bei Fabrig zum ersten Male wiedersahen? Der Gerichtsdirektor sagte: Das Geschick sei nichts weiter als der Lohn für unser eigenes Thun, Du warfst ihm ein, das Glück sei blind – und Du hast Recht gehabt, denn ich habe mein Glück durch nichts verdient!«
»Hast Du mich nicht errettet?« warf Bertha ein.
»Ich kannte Dich nicht, ich würde für jeden Andern dasselbe gethan haben. Laß mir den Glauben, daß das Glück seine Gaben blind austheilt, sonst befürchte ich, es wieder zu verlieren, weil ich fühle, daß ich es nicht verdient habe!«
Er riß sich endlich von Bertha los und eilte zur Stadt zurück.
Die Sonne warf ihre letzten goldigen Strahlen auf die Wipfel der Bäume; ihm erschienen sie wie das Morgenroth eines neuen Lebens. Beide Hände preßte er auf die Brust, denn sie war zu eng, um das Glück, welches er sein nannte, zu fassen.
Sein Weg führte ihn an Fabrigs Fabrik vorüber. Er wollte dem Freunde Alles mittheilen.
Ehe er das Haus betrat, kam ihm Fabrig entgegen, sein Gesicht verrieth Bestürzung.
»Ich komme soeben von Ihrer Wohnung,« sprach Fabrig. »Ich habe Sie vergebens gesucht. Ich weiß Alles, ich bin entrüstet – das darf nicht geschehen es ist eine Niederträchtigkeit!«
Lachend streckte Dorn ihm die Hand entgegen.
»Schlagen Sie ein, Freund, schlagen Sie ein!« rief er.
Erstaunt blickte Fabrig ihn an.
»Sie lachen?« sprach er. »Ich begreife Sie nicht. Es ist also doch nicht wahr?«
»Was – was ist nicht wahr?« warf Dorn ein.
»Daß Sie wieder versetzt sind, daß Ullmann Sie nur von hier fort haben will!«
»Es ist wahr! Der Himmel segne ihn für diesen Schritt. Fabrig! Wissen Sie, woher ich komme?«
Der Fabrikant blickte ihn schweigend an. Der Assessor war ihm ein Räthsel.
»Von Bertha komme ich!« fuhr Dorn fort. »Freund, sehen Sie meinen Augen nicht an, was geschehen ist, sehe ich nicht aus wie der glücklichste Mensch? Ich bin es, denn Bertha ist mein – meine Braut!«
Mit einem lauten Ausruf der Freude schloß Fabrig ihn in seine Arme und führte ihn dann jubelnd zu seiner Frau. Dort mußte Dorn erzählen, wie Alles gekommen war. Fabrigs Freude war eine wirklich aufrichtige, denn er hatte längst im Stillen den Wunsch gehegt, daß Dorn und Bertha vereint werden möchten.
»Assessor,« rief er, »es gibt doch eine Gerechtigkeit! Ullmann hat Sie auf niederträchtige Weise von hier entfernen wollen, jetzt wird ihm selbst nichts weiter übrig bleiben, als um seine Versetzung nachzusuchen, denn hier ist er unmöglich geworden. Er ist zu gründlich blamirt, das erträgt sein Hochmuth nicht, und daß er auf Sie ein Hoch ausgebracht hat, das wird ihn ärgern so lange er lebt! – Sie werden doch nun natürlich aus dem Staatsdienste austreten?«
»Ich muß wohl,« entgegnete Dorn lächelnd. »Ich kann Bertha nicht zumuthen, die Frau eines Assessors zu werden. Ich werde Ullmann noch heute mein Ausscheiden anzeigen. – Wissen Sie, daß ich doch heute wahrscheinlich zu Ihnen gekommen wäre, auch wenn ich nicht der Glücklichste aller Sterblichen wäre? Ich befand mich in einer verzweiflungsvollen Stimmung und wollte Sie an Ihr Wort erinnern, mir eine Stellung in Ihrem Geschäfte einzuräumen.«
»Sie steht Ihnen auch jetzt offen!« rief Fabrig scherzend.
»Ich muß sie ablehnen,« bemerkte Dorn lächelnd, »weil ich befürchte, ich würde zu wenig Aufmerksamkeit mitbringen, und jetzt möchte ich mir noch weniger Ihre Unzufriedenheit zuziehen. Ich hoffe, wir werden für immer gute Freunde bleiben!«
»Schlagen Sie ein!« rief Fabrig, ihm die Rechte entgegenstreckend. »Sie kennen mich, denn ich bin, wie ich mich gebe. Mein Blut fließt leicht und lustig, habe ich indeß Jemand meine Freundschaft geschenkt, so halte ich fest für das ganze Leben.«
Die beiden Freunde hatten die Hände fest in einander gelegt und blickten sich schweigend in die Augen.
Ihr Mund sprach kein Wort und doch verstanden sie einander und schlossen ein Bündniß, welches für das ganze Leben aushalten sollte.
Dorn kehrte heim, um sein Ausscheiden aus dem Staatsdienste noch an diesem Tage dem Gerichtsdirektor anzuzeigen. Fabrig bat ihn, dann mit ihm im Gasthause zusammen zu treffen.
»Wir wollen den heutigen Tag feiern,« rief er, »und ich habe meine Gründe, weßhalb ich wünsche, daß dies im Gasthause geschieht. Die ganze Stadt soll Kunde davon erhalten, noch ehe sie Ihre Versetzung erfährt.«
Dorn mochte dem Freunde die Bitte nicht abschlagen, so gern er auch allein geblieben wäre, um sein Herz an das Glück zu gewöhnen, da es dasselbe noch immer nicht zu fassen vermochte.
Zwei Stunden später saßen beide Freunde in dem Gastzimmer des Gasthauses, und Fabrig, der sich in der glücklichsten Stimmung befand, verkündete allen Bekannten Dorn's Verlobung, und lud sie ein, diesen Tag mit ihnen in Champagner zu feiern, den der Wirth auf seine Rechnung in größter Fülle herbeischaffen mußte.
In lustiger Weise klangen die Gläser aneinander und die Stimmung wurde immer heiterer. Alle gönnten Dorn das Glück.
»Freund,« flüsterte Fabrig ihm zu, »zehn Flaschen Champagner würde ich darum geben, wenn Ullmann jetzt in das Zimmer träte. »Ich würde ihm Ihre Verlobung so unbefangen erzählen, als ob er noch keine Ahnung davon hätte. Nur eine Minute lang möchte ich das Gesicht sehen, welches er machen würde!«
Der Gerichtsdirektor that ihm freilich den Gefallen nicht. Er saß allein auf seinem Zimmer und sann vergebens darüber nach, auf welche Weise er sich an Dorn rächen könne. Und dann tauchte der Gedanke wieder in ihm auf, daß Bertha vielleicht sein eigen geworden wäre, wenn er, ehe sie Dorn kennen gelernt, um ihre Hand geworben hätte. Er schlug sich mit der Hand vor die Stirn, allein auch dies half nicht, um seine Erbitterung zu mildern. Er zürnte Dorn, Bertha, Fabrig, allen Menschen und sogar sich selbst.
Statt des Gerichtsdirektors trat der Lieutenant Klinkhardt nach einiger Zeit in das Zimmer. Sein Gesicht war geröthet, seine glanzlosen Augen verriethen, daß er dem Weine tüchtig zugesprochen hatte, trotzdem bestellte er Wein bei dem Wirthe, ließ einen aufgeregten und verächtlichen Blick über die Anwesenden schweifen und ließ sich an einem Nebentisch nieder. Hastig leerte er mehrere Glas Wein hintereinander.
Die Anwesenden schenkten ihm wenig Beachtung, nur Fabrig betrachtete ihn im Stillen.
Endlich erhob sich der Lieutenant und trat näher an den Tisch, an welchem die lustige Gesellschaft saß, heran.
»Herr Assessor Dorn,« rief er mit lauter und schnarrender Stimme, indem er den Schnurrbart drehte, »ist es wahr, daß Sie sich mit meiner Cousine verlobt haben?«
Dorn schien die Absicht des Lieutenants zu errathen, das Blut schoß ihm in die Wangen.
Ehe er indeß antworten konnte, kam Fabrig ihm zuvor.
»Es ist wahr, Herr Lieutenant,« entgegnete er, »Sie sehen, daß wir dies glückliche Ereigniß hier feiern!«
»Ich begreife meine Cousine nicht, wie sie eine so abgeschmackte Wahl hat treffen können!« fuhr der Lieutenant mit schnarrender Stimme fort, indem er sich mit der Linken auf den Tisch stützte. »Ich hatte ihr doch mitgetheilt, in welcher Weise meine Schwester den Herrn Assessor hat abfallen lassen. Unbegreiflich das!«
Dorn sprang erregt auf.
Fabrig drückte ihn mit Gewalt wieder auf den Stuhl nieder.
»Erweisen Sie mir den Gefallen und lassen Sie mich antworten,« sprach er halblaut und erhob sich dann mit Sicherheit.
»Herr Lieutenant,« sprach er, »wir Alle begreifen Ihren Aerger, weil es Ihnen trotz all' Ihrer Bemühungen nicht gelungen ist, einen so reichen Bissen, wie Ihre Cousine ist, zu erlangen. Wir begreifen auch sehr wohl den Geschmack meiner Freundin, sie ist zum Glück nicht blind gewesen!«
»Mit Ihnen habe ich nichts zu schaffen. Ich kenne Sie nicht!« entgegnete Klinkhardt in wegwerfendem Tone.
»Ich bin der Fabrikant Fabrig,« entgegnete Fabrig ruhig.
»Pah! Ein Fabrikant ist nicht fähig, mir Genugthuung zu geben!« fuhr der Lieutenant fort. »Ich kenne Sie deßhalb nicht, wenn sich auch der Herr Assessor hinter Ihnen verkriecht!«
Dorn sprang auf.
»Ich werde Ihnen Genugthuung geben!« rief er erregt.
»Halt!« fiel Fabrig ein, »Assessor, ich hoffe, Sie werden den Muth haben, einem Manne wie dem Herrn Lieutenant, der absichtlich Händel sucht, jede Genugthuung zu verweigern. Alle Herren hier werden dem Herrn Lieutenant das Zeugniß geben, daß er sich lächerlich gemacht hat!«
Klinkhardt zuckte empor.
»Herr – Sie!« rief er und trat drohend einen Schritt näher.
Ruhig, mit einem spöttischen Lächeln um den Mund, blieb Fabrig stehen und blickte dem Aufgeregten fest ins Auge.
»Eine Genugthuung kann ich Ihnen auch geben, Herr Lieutenant,« sprach er, »die, daß ich jeden Augenklick bereit bin, Ihnen zu zeigen, wie ein Händelsucher behandelt zu werden verdient! Zu Ihrer Entschuldigung will ich annehmen, daß Sie zu viel getrunken haben, jetzt entfernen Sie sich, sonst werden Sie den kurzen und praktischen Sinn eines Fabrikanten kennen lernen!«
Der feste und entschiedene Ton Fabrigs verwirrte den Lieutenant. Sämmtliche Anwesende gaben ihren Unwillen offen zu erkennen, und trotz seiner Aufregung und seines Rausches sah er doch ein, daß es Thorheit wäre, weiter zu gehen, da er jedenfalls den Kürzern ziehen mußte.
Halb spöttisch, halb verlegen zuckte er mit den Achseln.
»Der Herr Assessor verweigert mir also die Genugthuung,« bemerkte er.
Wieder kam Fabrig dem Assessor zuvor, der antworten wollte.
»Er verweigert sie Ihnen,« rief er, »weil er zu vernünftig ist, eine solche Thorheit zu begehen. Ich hoffe, er denkt ebenso wie ich, und mich kann ein Berauschter nicht beleidigen!«
Er wandte Klinkhardt den Rücken.
Einen Augenblick lang blieb dieser noch stehen, murmelte einige nur halb verständliche Worte von »Feigheit« und »Plebejer« und verließ das Zimmer, indem er die Thür heftig hinter sich zuschlug.
Die Gemüthlichkeit des Kreises war für einige Zeit gestört, Dorn konnte seine Aufregung nicht verbergen.
Fabrig schlug zuerst den heitern Ton wieder an.
»Stoßen Sie an, Assessor,« rief er, das Glas erhebend. »Lassen Sie uns die Vernunft hochleben. Sie muß Ihnen sagen, daß die Ehre des Mannes ein Gut ist, welches von seinem eigenen Handeln abhängt, und daß es hundertmal ehrenvoller und eines Mannes würdiger ist, einem thörichten Vorurtheile unerschrocken entgegenzutreten, als dasselbe zu fördern.«
Dorn drückte ihm die Hand.
»Sie haben Recht,« entgegnete er. »Sie haben mich vor einer Thorheit behütet.«
»Und Bertha großen Kummer erspart,« fügte Fabrig halblaut hinzu.
Die frühere Heiterkeit kehrte bald zurück, der kurze Mißton verklang.
Es war spät in der Nacht, als die Gesellschaft endlich aufbrach. Fabrig erfaßte Dorns Arm und begleitete ihn bis vor dessen Wohnung.
»Freund,« sprach er, »Sie werden jetzt viel ruhiger schlafen, als wenn Sie sich mit dem Gedanken zur Ruhe legten, daß Sie morgen oder übermorgen eine Thorheit begehen müßten. Sehen Sie, Ihre Ehre ist ganz die selbe geblieben, nun schlafen Sie wohl!«
Er ging rasch fort.
Mit Gewalt trieb es Dorn am folgenden Tage gegen Mittag zu Bertha hinaus. Sie war im Garten und eilte ihm mit glücklich strahlendem Gesichte, indem sie ihm scherzend mit dem Finger drohte, entgegen.
»Ich sollte Dich heute eigentlich gar nicht annehmen,« sprach sie, seine Liebkosung nicht zurückweisend.
»Und weßhalb nicht?« fragte Dorn.
»Weßhalb nicht?« wiederholte Bertha. »Fabrig ist heute Morgen früh schon hier gewesen und hat mir von Eurem lustigen Abende in dem Gasthause erzählt, der nur durch meinen Herrn Cousin gestört ist.«
Eine flüchtige Röthe glitt über Dorns Wangen hin.
»Und Du hast ihm wirklich Genugthuung geben wollen!« fuhr Bertha fort. »Du hast Dich beleidigt gefühlt, nur weil er meine Wahl eine abgeschmackte genannt hat!«
Dorn entgegnete verlegen einige Worte.
»Nun laß gut sein,« unterbrach ihn Bertha lächelnd. »Ich begreife Deine Erbitterung und Aufregung vollkommen, bin Fabrig aber doch zu großem Danke verpflichtet, weil sein ruhiger Kopf für Dich gehandelt hat. Mein Herr Cousin wird Dich nicht mehr beleidigen, er hat mit seinem Vater bereits die Stadt verlassen.«
»War er noch einmal bei Dir?« fragte Dorn.
»Nein, er hat schriftlich Abschied genommen und zugleich eine Anleihe bei mir gemacht, weil er zufällig in Verlegenheit gerathen sei.«
»Und Du bist seinem Wunsche nachgekommen?«
»Natürlich!« entgegnete Bertha. »Es gibt ja kein besseres Mittel, meinen Herrn Cousin für die Zukunft von mir fern zu halten. Ich habe ihm das Geld geschickt und habe ihm geschrieben, ich komme seinem Wunsche nach, obschon ich nach seiner Ansicht eine so sehr abgeschmackte Wahl getroffen habe. Er hat diese bittere Bemerkung eingesteckt und das Geld behalten.«
Goldene Zeit brach für Dorn an und nicht eine Wolke trübte den Himmel seines Glückes. Wie im Fluge schwanden die Tage, die er zwischen Bertha und Fabrig theilte. Mit Ullmann traf er nicht wieder zusammen. Derselbe hatte sofort um seine Versetzung aus B. nachgesucht und lebte ganz zurückgezogen. Sein Stern in B. war untergegangen.
An seinen Freund Golz schrieb Dorn:
»Lieber Freund!
Das Exil ist für mich zum Himmel geworden und ich segne meine früheren gestrengen Vorgesetzten, weil sie an meinen freisinnigen Ansichten Anstoß genommen und mich nach B. versetzt haben. Das Glück hat mich so wunderbar reich überschüttet, daß ich noch geraume Zeit nöthig haben werde, ehe ich die ganze Größe seiner Gabe zu fassen vermag. Ich habe mich auf's Neue hier verlobt, und da meine Braut sehr reich ist und wünscht, daß ich ganz unabhängig lebe, so bin ich aus dem Staatsdienste ausgeschieden, in welchem mir ohnehin wenig Rosen geblüht haben würden. Frage mich nicht, wie das Alles so schnell gekommen ist, mir fehlt, die Ruhe, um es zu schreiben, und zum Theil begreife ich es selbst noch nicht. Aber wenn Du Dich erinnerst, daß ich vor länger als zehn Jahren, als wir beide eine Reise durch das Gebirge machten, ein junges Mädchen rettete, wenn Du Dir die reizenden Züge des blassen Mädchens nur ein wenig eingeprägt hast, dann hast Du auch das Bild meiner Braut, denn sie – sie ist die einst Gerettete. Du mußt mich bald besuchen, damit Du sie wieder siehst und ich Dir Alles erzählen kann. Doktor, Du hast stets über das Schwimmen gespottet und gesagt, der Mensch sei ursprünglich keine Amphibie und brauche deßwegen nicht zu schwimmen, und doch habe ich mein ganzes unsagbares Glück mir aus dem Wasser geholt. Lerne schwimmen, Doktor, und komme bald zu Deinem
Dorn,
Glücklicher Assessor a. D.«
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