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Mit der Schriftstellerei hat sich in den letzten Jahrzehnten eine bemerkenswerte Wandlung vollzogen. Nach vielen Kämpfen und Mißhelligkeiten ist sie jetzt endlich ein Beruf geworden, ein ehrlicher, wohlakkreditierter Beruf wie jeder andere; mit bestimmten technischen Fähigkeiten und Fertigkeiten, straffer innerer Organisation und fortlaufenden gewerblichen Traditionen. Man hat den Dichter sozusagen in die Matrikeln der menschlichen Gesellschaft aufgenommen. Und nicht bloß moralisch, das Dichten ist auch ein nationalökonomischer Wert geworden. Der »darbende Dichter« kommt heute nur noch in der »Gartenlaube« vor. Wie seinerzeit das Dachstübchen die unvermeidliche Begleiterscheinung des Poeten war, so gehört heute zu einem richtigen Dichter die Villa. Anfangs war der schreibende Mensch einfach ein Verfemter gewesen, verfemt und befeindet, wie es alle neuen Dinge sind; man witterte in ihm irgendeine geheimnisvolle, auflösende Kraft. In der Tat hat ja auch dieser Instinkt vollkommen recht gehabt: die Schriftsteller machten die französische Revolution, stürzten das Papsttum und begründeten die Sozialdemokratie. Niemand anderer hat diese gefährlichen Dinge in Szene gesetzt als diese Taugenichtse, die nur so neben dem Leben herumzulungern schienen. Kein Wunder, daß sie zunächst als eine höchst verdächtige Gesellschaft angesehen wurden. Aber aus siegreichen Revolutionären werden bekanntlich immer im Verlauf der Entwicklung wohlangesehene Machthaber und Konservative. Heute zieht jedermann vor dem Schriftsteller den Hut, niemand bezweifelt seine bürgerliche Existenzberechtigung; und sie selbst bilden eine geschlossene Zunft, mit Qualifikationsattesten, Gesetzen gegen unlauteren Wettbewerb und wohlgeordneten Produktions- und Konsumverhältnissen, wie die anderen Gewerbetreibenden. Selbst die Zeit, wo man im Dichten eine Liebhaberei und Nebenbeschäftigung, eine Art Gesellschaftsspiel für Erwachsene sah, ist längst vorüber; sie sind heute die ernstest genommenen Menschen von der Welt.
Von zwei gleich gescheiten Menschen wird derjenige den weiteren Horizont haben, der mehr Herz hat. Mit anderen Worten: Wärme dehnt aus.
In geistigen Dingen entscheidet niemals das Was, sondern immer nur das Wie. Das Genie tut den letzten Spatenstich: das, nicht mehr und nicht weniger, ist seine göttliche Mission. Es ist kein Neuigkeitenkrämer. Es sagt Dinge, die im Grunde jeder sagen könnte, aber es sagt sie so kurz und gut, so tief und empfunden, wie sie niemand sagen könnte. Es wiederholt einen Zeitgedanken, der in vielen, in allen schon dumpf schlummerte, aber es wiederholt ihn mit einer so hinreißenden Überzeugungskraft und entwaffnenden Simplizität, daß er erst jetzt Gemeingut wird.
Ich schrieb einmal folgendes: »Der Mensch ist ein ewiger Gottsucher. Was man auch sonst von ihm aussagen wollte, wäre sekundär. Denn aus dieser einen Quelle strömt alles, was er tut und unterläßt.« Der Setzer aber druckte: »Der Mensch ist ein ewiger Goldsucher.« Dieser Druckfehler war wirklich und wahrhaftig vom Teufel, und zwar von jenem Teufel, der nicht bloß das Gedruckte regiert, sondern auch das Geschriebene, und nicht bloß das Geschriebene, sondern auch die Gehirne derer, die es schreiben, und nicht bloß die Gehirne, sondern auch die Seelen, und nicht bloß die Seelen, sondern die ganze Welt. Kurzum: das Tragische dieses Druckfehlers bestand darin, daß er keiner war.
Eine Dichtung ist nichts anderes als eine Aufforderung an das Publikum, zu dichten. Je mehr Spielraum sie gewährt, je mehr Stellen sie offen läßt, desto bedeutender ist sie. In jedem Versteher erwächst ihr ein neuer Dichter. Tausend Auffassungen sind möglich, und alle sind richtig.
Der Reisende »sieht sich die Welt an«: aber das hat zur Folge, daß er sich die einzige Welt, die wirklich ist, nämlich seine eigene, niemals ansieht! Deshalb hat auch die Legende für die größte Sünde, die Ahasver beging, als er dem guten Heiland das Dach verweigerte, die schrecklichste Strafe ersonnen und ihn zum ewigen Weltreisenden gemacht.
Die Menschen sind sehr sonderbar. Sie irren mißlaunig und ratlos umher und suchen nach Kunst und nach Dichtern. Sie wollen ihr Leben erhöht sehen, den Sinn der Stunde erklärt wissen, Schönheit erblicken. Sie blättern in alten Büchern; aber die reden zu Menschen, die längst Gerippe geworden sind. Sie spähen ängstlich und angestrengt aus, ob sich nicht am Horizont ein neues Licht zeigt. Es zeigt sich nicht. Denn am Horizont – nein, da ist es nicht zu finden. Sondern es müßte mitten unter ihnen, neben ihnen, in ihnen selbst – da müßte es aufleuchten. Da aber suchen sie es niemals. Ein Dichter, denken sie, muß aufsteigen wie eine ferne, blendende Prachtsonne, in blutigroten, pompösen Farben. Es gibt aber keine »pompösen Dichter«.
So machen es die Menschen in allem. Sie erwarten immer etwas »Besonderes«. Das Besondere ist aber die dahinrinnende Stunde, auf die sie niemals achten. Sie begeben sich auf große Reisen und betrachten absonderliche Pflanzen, fremde Tiere, exotisch gebaute Städte, andersfarbige und andersdenkende Menschen. Diese Dinge gehen sie aber gar nichts an. Was sie allein etwas angeht, das ist ihre kleine Stube mit den tausend Lappalien und Nichtigkeiten, die aber die ihrigen sind. Dies gehört ihnen: nichts anderes. Sie suchen den ganzen Planeten nach Poesie ab und finden nicht ein Stückchen; inzwischen aber sitzt in ihrem Zimmer die Poesie und wartet, wartet unaufhörlich und vergeblich.
Und ihre Dichter warten ebenso vergeblich. Sie gehen inkognito unter ihnen herum wie die Könige in den Anekdoten. Sie sprechen mit dem Volk, das Volk antwortet ihnen kaum und sieht an ihnen vorbei. Später kommt dann einer und erklärt den Leuten, wer das gewesen sei. Aber inzwischen hat sich der verkleidete König längst davongemacht. Zweihundert Jahre nach Shakespeares Tode kamen einige Menschen und sagten: »Ja wißt ihr denn, wer dieser kleine Schauspieler und Schmierendirektor war, von dem seine Zeit nichts aufbewahrt hat, als daß er einmal wegen Wilderns in Untersuchung war? Es war William Shakespeare!« Da waren alle sehr erstaunt, aber Shakespeare hatte sich längst davongemacht.
Das, was von einem Dichter »bleibt«: seine dürftigen und mühseligen Aufzeichnungen – das ist der am wenigsten wertvolle Teil seiner Persönlichkeit. Es sind ein paar dünne Licht- und Wärmestrahlen; nicht die Licht- und Wärmequelle selbst. Freilich leuchtet und wärmt diese, auch erkaltet, noch weiter; aber das liegt nur daran, daß ihre Strahlen so langsam zu uns dringen.
Oft beobachte ich von meinem Fenster aus die gegenüberliegenden Fenster. Ganz gleichgültige, fremde, unbedeutende Menschen tun dort drüben fremde, unbedeutende und gleichgültige Dinge: sie öffnen Schränke und schließen sie, machen sich rätselhafte Handreichungen, gehen ab und zu, flüstern miteinander oder sitzen bloß unbeweglich da. Da war zum Beispiel ein junges Mädchen: sie zog des Morgens, in der kühlen Frische des noch unberührten Tages die Fenstervorhänge in die Höhe, warf einen kurzen, forschenden Blick auf die Straße und verschwand im Dunkel des Zimmers. Später ließ sie die Vorhänge wieder herab: am Abend, wenn bereits graue Nebel aus den Gassen emporstiegen, oder an drückend heißen Sommernachmittagen, wenn alles Leben still zu stehen schien. Sie war weder ungewöhnlich schön noch ungewöhnlich anmutig; aber während sie diese Dinge tat, umfloß sie stets eine unbeschreibliche Schönheit und Anmut. Dann war da eine einfache Familie, die des Mittags wie ein Bild um den weißgedeckten Tisch saß und des Abends eine große geheimnisvolle Lampe anzündete, die aussah wie der heilige Gral; ferner ein Mann, der den ganzen Tag in Hemdärmeln über einen wackeligen Tisch gebeugt war und schrieb, immerzu schrieb, und eine junge Köchin, die unbekannte Dinge zerschnitt und in einen Topf warf, bisweilen aber plötzlich starr wurde und mit leerem Blick lange vor sich hinspähte, in eine weite, unsichtbare Ferne, und ein kleines Mädchen, das an einer Puppe nähte, und ein anderes kleines Mädchen mit sinnenden Augen, das gar nichts tat: lauter mysteriöse Märchendramen, romantische Schauspiele in zahllosen Fortsetzungen. Man glaubt beim Anblick dieser Phantome unmittelbar den lautlosen Pendelschlag der Schicksalsuhr zu vernehmen. Man erfährt nie, worum es sich handelt, und weiß doch mehr, als man je erfahren könnte. Es sind die vollkommensten Theatervorstellungen der Welt. Sind wir in solchen Blicken dem wahren Kern des Lebens, dem Herzen seines Geheimnisses nicht näher, als wenn wir uns in seine betäubenden und verwirrenden Bewegungen mischen?
Bei einem Denker sollte man nicht fragen: welchen Standpunkt nimmt er ein, sondern: wie viele Standpunkte nimmt er ein? Mit anderen Worten: hat er einen geräumigen Denkapparat oder leidet er an Platzmangel, das heißt: an einem System?
Der wirkliche Mensch ist der Mensch des Tages und des täglichen Lebens, der Mensch der kleinen Wünsche und der großen Lasten, der unscheinbar handelnde Mensch der Werkstatt und der Straße, des Zimmers und des Feldes, der Mensch, der einem Wagen ausweicht, seinen Bekannten grüßt und nach dem Wetter sieht, der soeben an einer Blume riecht, einen Fisch zerlegt oder sich Wasser über den Kopf gießt, dessen Vokabular sich in einem Fundus festgeprägter Phrasen erschöpft, die auf ihre täglich wiederkehrenden Stichworte warten, und dessen mit der Regelmäßigkeit des Pulsschlags sich hebende und senkende Berufsarbeit, obgleich sie nur auf zehn oder zwanzig Menschen eine merkliche Wirkung übt, dennoch nicht nur für ihn selbst Atemluft und Blutnahrung ist, sondern auch für die gesamte Kultur seiner Zeit, die aus nichts anderem besteht als aus der Summation aller dieser winzigen Lebensregungen.
Diesen einzig wirklichen Menschen, dessen Dasein sich sozusagen aus lauter geistigen Molekularbewegungen zusammensetzt, vermag aber die Kunst niemals zu schildern; darauf beruht ja gerade ihre Größe und ihre Existenzberechtigung, daß sie es nicht kann.
Ich verstehe nicht, wie man homosexuell sein kann. Das Normale ist doch schon unangenehm genug.
Wenn Jupiter liebte, so kam er als Stier, als Goldregen, als Singschwan oder als Wolke.
Und er wurde geliebt, denn die Frauen lieben die Stiere, die Goldregen, die Singschwäne und besonders die Wolken.
Aber niemals kam er als Jupiter ...