Gustav Freytag
Verlorene Handschrift
Gustav Freytag

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6. Kleine Gegensätze.

Eine Professorsfrau hat auch Noth mit ihrem Mann. Wenn Ilse einmal mit wohlbekannten Frauen zusammensaß, mit der Raschke, der Struvelius und der kleinen Günther, etwa bei einem vertraulichen Kaffe, der nicht gänzlich verachtet wurde, dann kam so allerlei zu Tage.

Es war doch eine hübsche Unterhaltung mit den gebildeten Frauen. Allerdings streifte das Gespräch zuweilen flüchtig über die Häupter der Dienstboten, die Sorgen der Wirthschaft wagten sich auch als quakende Frösche aus dem Weiher gemüthlicher Plauderei hervor, und Ilse wunderte sich, daß auch Flaminia Struvelius ernsthaft über das Aufbewahren kleiner Essiggurken zu sprechen wußte, und daß sie angelegentlich nach den Kennzeichen der Jugend an einer gerupften Gans forschte. Die lustige Günther aber erregte den Hausfrauen von größerer Erfahrung Entsetzen und Gelächter, als sie erklärte, daß sie das Geschrei kleiner Kinder gar nicht ertragen könne, und daß sie das ihre – das sie noch nicht einmal hatte – vom ersten Anfang durch Streiche zu ehrbarer Ruhe zwingen werde. Wie gesagt, die Rede schweifte von Größerem auch auf diese Gebiete. Und wenn so einmal Unbedeutendes daran kam, geschah es natürlich auch, daß die Männer einer ruhigen Besprechung gewürdigt wurden, und da ergab sich, daß jede der Frauen, wenn von Männern im Allgemeinen die Rede war, doch an ihren eigenen dachte, und daß jede, ohne daß sie es aussprach, ein heimliches Bündel Sorgen mit sich herumtrug, und die Hörerinnen zu dem Schluß berechtigte, auch dieser Mann sei schwer zu behandeln. Gar nicht zu verbergen waren die Schicksale der Frau Raschke, denn sie waren Stadtkundig. Man wußte sehr wohl, daß er an einem Markttage in seinem Schlafrock zur Universität gezogen war, in einem leuchtenden Schlafrock, orange und blau mit türkischen Mustern. Seine Studenten, die ihn zärtlich liebten und seine Gewohnheiten wohl kannten, hatten doch ein lautes Lachen nicht unterdrückt, und Raschke hatte ruhig den Schlafrock über das Katheder gehängt und in Hemdsärmeln gelesen, und war im Ueberzieher eines Studenten nach Hause gekommen. Seitdem ließ Frau Raschke den Gatten niemals ausgehen, ohne ihn noch einmal zu untersuchen. Ferner kam heraus, daß er sich nach zehn Jahren in den Straßen der Stadt noch immer nicht zurecht fand, und daß sie ihr Quartier nicht wechseln durfte, weil sie überzeugt war, daß ihr Professor sich nicht daran kehren und doch immer wieder in die alte Wohnung zurücklaufen würde. Auch Struvelius machte Sorge. Die letzte gewaltige hatte Ilse persönlich kennen gelernt, aber es wurde auch ermittelt, daß er von seiner Frau forderte, für ihn lateinische Correcturen zu lesen, weil Sie ein wenig diese Sprache gelernt hatte, und daß er gänzlich außer Stande war, freundlichen Weinreisenden seine Aufträge zu versagen. Denn die Struvelius hatte bei ihrer Verheiratung einen ganzen Keller voll kleiner und großer Weinfässer gefunden, die noch gar nicht abgezogen waren, während er selbst bitterlich klagte, daß er keinen Wein in den Keller bekomme. Sogar die kleine Günther erzählte, daß ihr Gatte der Nachtarbeiten sich nicht entschlagen konnte und daß er bei einer solchen Ausschweifung mit der Lampe unter den Büchern umherflackerte und einer Gardine zu nahe kam, die Gardine fing Feuer, er riß sie ab, verbrannte sich dabei die Hände und drang mit kohlschwarzen Fingern in die Schlafstube, verstört, und einem Othello ähnlicher als einem Mineralogen.

Ilse erzählte nichts aus ihrer kurzen Laufbahn, aber auch sie hatte Gelegenheit, Erfahrungen zu machen. Zwar in später Arbeit war ihr Hausherr mäßig, auch mit dem Weine wußte er ziemlich Bescheid, und trank bei Gelegenheit wacker sein Glas, wie einem deutschen Gelehrten ziemt. Doch mit dem Essen war's bei ihm traurig bestellt. Es ist zwar nicht schön, wenn man viel um den Magen sorgt, und vollends einem Professor nicht anständig, aber wenn einer gar nicht weiß, was er ißt, und Entenbein und Gansbein verwechselt, so ist das auch keine Freude für die, welche ihm etwas Gutes erweisen möchten. Zum Tranchiren war er vollends nicht zu brauchen. Die zähen stymphalischen Vögel, welche Herkules erlegt hatte, und den ungenießbaren Vogel Phönix, den sein Tacitus mit Achtung erwähnte, kannte er viel genauer als den Knochenbau einer Truthenne. Ilse gehörte zwar nicht zu den Hausfrauen, denen Vergnügen ist, den ganzen Tag in der Küche zu stehen, aber sie verstand das Geschäft und setzte eine Ehre darein, für den Mittagstisch ihr Herrscheramt würdig zu üben. Das war alles vergebens. Er machte zuweilen einen Versuch, seine Tafel zu loben, aber Ilse kam dahinter, daß sein Herz gar nicht dabei war. Denn als sie ihm einen prächtigen Fasan vorsetzte und er an ihrer beobachtenden Miene merkte, daß eine Aeußerung erwartet werde, da lobte er die Köchin, weil Sie ein so stattliches Huhn eingekauft. Ilse seufzte und suchte ihm den Unterschied aus einander zu setzen, und sie mußte erleben, daß ihr Gabriel nach Tisch bedauernd sagte: »Es ist umsonst, ich kenne den Herrn, er hat kein Geschick zum Essen.« Seitdem war Ilse auf die Anerkennung angewiesen, welche ihr einzelne Herren des Theetisches zollten. Das war ihr kein Ersatz. Auch der Doctor hatte nach dieser Richtung nicht viel Achtungswerthes. Und es war jämmerlich und niederbeugend, die beiden Herren vor einem Schnepfenpaar zu sehen, das der Vater geschickt hatte.

Der Professor aber hielt den Doctor für ausnehmend praktisch, weil dieser etwas Geschick im Kaufen und Einrichten hatte, und er war gewöhnt, bei vielen Ereignissen des Tages den Freund zu Rathe zu ziehen- Der Schneider kam und brachte Tuchproben zu einem neuen Rock. Der Professor sah zerstreut auf die farbigen Signale der aufgeklappten Mappe. »Ilse, schicke doch zum Doctor, damit er wählen hilft.« Ilse schickte, aber mit bösem Willen: – zum Rockkaufen brauchte man den Doctor auch noch nicht, und wenn ihr lieber Mann darin keinen Entschluß hatte, so war sie doch da. Aber vorläufig half das nichts, der Doctor bestimmte gebietend Rock, Weste und den übrigen Kleiderbedarf ihres Gatten. Ilse hörte der Verhandlung schweigend zu, aber sie war recht herzlich böse auf den Doctor, und auch ein wenig auf ihren Hausherrn. Sie beschloß in der Stille, daß das nicht so bleiben dürfe, unternahm schnell eine Kopfrechnung mit ihrem Wirthschaftsgeld, ließ den Schneider in ihr Zimmer kommen, und bestellte selbst einen zweiten Anzug für ihren Mann, mit dem Auftrage, diesen zuerst zu machen. Als der Künstler sein Werk abgeliefert hatte, rief sie den Gatten und frug, wie ihm die Prachtstücke gefielen. Er lobte, und sie sagte: »Sie sind für dich. Ich mache mich so hübsch als ich kann, um dir zu gefallen, trage du auch einmal mir zu Ehren, was ich für dich ausgesucht habe. Habe ich's getroffen, so wähle ich dir in Zukunft, und ich übernehme die Verantwortung für deine Kleidung.«

Aber der Doctor sah verwundert darein, als der Professor in anderm Schmucke erschien. Es ergab sich jedoch, daß er nichts daran auszusetzen vermochte. Und als Ilse dem Doctor allein gegenübersaß, begann sie: »Beide lieben wir den Mann da drinnen, und wir wollen uns über ihn vereinigen. Sie haben das größte Recht, der Vertraute seiner Arbeiten zu sein, und ich darf nie daran denken, mich darin Ihnen gleich zu stellen. Aber wo mein kleiner Hausverstand ausreicht, da wenigstens möchte ich ihm nützlich werden, und was ich ihm darin sein kann, lieber Herr Doctor, überlassen Sie mir.«

Sie sagte das lächelnd, der Doctor aber trat ernsthaft vor sie hin: »Sie sprechen aus, was ich lange empfunden. Ich habe mehre Jahre mit ihm gelebt und manchmal für ihn gelebt, und diese Zeit war mir ein hohes Glück, jetzt fühle ich sehr wohl, daß Sie den nächsten Anspruch auf ihn haben. Ich werde versuchen müssen, mich in Manchem zu bescheiden; es wird mir schwer, aber es ist zuletzt gut, daß es so kommt.«

»So waren meine Worte nicht gemeint,« rief Ilse unruhig.

»Ich verstehe wohl, wie sie gemeint waren, und ich verstehe auch, daß Sie Recht haben. Ihre Aufgabe ist nicht nur, ihm sein Leben bequem zu machen. Denn er sieht gleichgültig über Vieles weg, was den Tag schmückt und behaglich zurichtet. Aber inniges Bedürfniß ist ihm, mit seiner Umgebung bei Allem, was ihn und seine Zeit bewegt, im Einklang zu leben. Darin ist er weich und reizbar, nicht daß ich ein Verständniß für Einzelheiten seiner Arbeit habe, machte ihn zu meinem Freund, sondern weit mehr das gute Einvernehmen in den großen und kleinen Fragen unseres Lebens. Ich sehe jetzt, wie eifrig Sie bemüht sind, auch darin ihm Vertraute zu werden. Glauben Sie mir, der wärmste Wunsch meines Herzens ist, daß Sie mit der Zeit dieses hohe Recht erhalten.«

Er schied mit ernstem Gruß, und Ilse sah ihm betroffen nach. Der Doctor hatte an eine Saite gerührt, deren Schwirren sie in ihrem Glücke immer wieder mit Schmerzen fühlte. Ihr war das neue Hauswesen leicht und klein und Alles schnurrte wie ein Kreisel, und auch sie legte keinen großen Werth, auf ihre Thätigkeit. Aber es that ihr doch weh, daß ihre Arbeit dem Gatten so wenig war, und sie dachte wieder: »Was ich ihm sein kann, das merkt er kaum, und wo es mir schwer wird, seinem Geiste zu folgen, da entbehrt er vielleicht eine Seele, die ein besseres Verständniß hat.«

Das waren leichte Wolkenschatten, welche über die sonnige Landschaft dahinfuhren, aber sie kamen oft, wenn Ilse in ihrem Zimmer grübelnd allein saß.

Einst in der Dunkelstunde war Professor Raschke angelangt, er zeigte sich willig, über Abend zu bleiben, und Felix sandte den Diener zur Frau Professorin, dieser die Sorge um den abwesenden Gatten zu nehmen. Da Raschke unter den gelehrten Herren Ilse's Liebling war, gab sie in der Noth einen Küchenbefehl, der ihm wohlthun sollte. Dieser Befehl verurteilte einige junge Hühner, welche kurz vorher lebend angelangt waren, zum Tode. Die Herren waren bereits in Ilse's Zimmer, als aus der Küche ein klägliches Geschrei ertönte und das Küchenmädchen ihr bleiches Gesicht an der Thür zeigte und die Herrin herausrief. Dort fand sich, daß das Gemüth des Mädchens das Schlachten nicht bewerkstelligen konnte. Da Gabriel die nöthigen Meucheleien sonst still an entlegener Stätte besorgt hatte, wußte sie sich heut keinen Rath, ein ängstlicher Versuch war schlecht abgelaufen, und Ilse mußte das Unvermeidliche selbst thun. Als Sie wieder eintrat, frug unglücklicher Weise Felix nach dem Grunde der Aufregung, und Ilse erzählte kurz den Vorfall.

Die Hähnchen kamen auf den Tisch, sie machten der Küche keine Schande, Ilse schnitt und legte vor. Aber ihr Gatte schob den Teller zurück, und Raschke arbeitete zwar aus Artigkeit ein wenig an seinem Bruststücke herum, würgte aber auch über den Bissen. Ilse sah mit großen Augen auf die beiden Männer. »Weshalb essen Sie nicht, Herr Professor?« frug sie endlich den Gast mit mühsam erkämpfter Ruhe.

»Es ist nur eine Schwäche der Empfindung,« antwortete Raschke, »und Sie haben ganz Recht, es ist eine Thorheit; mich stört noch das Geschrei der armen Gebratenen.«

»Dich auch, Felix?« frug Ilse mit ausbrechendem Eifer.

»Ja,« erwiederte dieser, »ist es nicht möglich, das Umbringen unmerklich zu machen?«

»Nicht immer,« entgegnete Ilse gekränkt, »Wenn der Raum so enge und die Küche so nahe ist.« Sie klingelte und ließ den unglücklichen Braten abtragen. »Da man in der Stadt das Schlachten so sehr bedauert, sollte man kein Fleisch essen.«

»Sie haben ganz Recht,« wiederholte Raschke versöhnend, »und unsere Empfindlichkeit hat nur geringe Berechtigung. Wir finden die Zubereitungen unbehaglich und lassen uns Bereitetes in der Regel sehr wohl gefallen. Aber wer gewöhnt ist, das Thierleben mit Theilnahme zu betrachten, den beunruhigt die Zerstörung eines Organismus für egoistische Zwecke immer, wenn sie in einer Weise vollzogen wird, an welche er zufällig nicht gewöhnt ist. Denn das ganze Leben der Thiere hat für uns etwas Geheimnißvolles. Dieselbe Lebenskraft, die wir an uns beobachten, ist im Grunde auch in ihnen thätig, nur eingeengt durch eine anders beschränkte und im Ganzen weit unvollkommenere Organisation!«

»Wie kann man ihre Seele mit der des Menschen vergleichen!« rief Ilse, »das Vernunftlose mit dem Vernünftigen, das Vergängliche mit dem Ewigen!«

»Was das Unvernünftige betrifft, liebe Frau Collega, so ist es ein Wort, bei dem man sich in diesem Falle nichts Genaues denkt. Wie groß der Unterschied zwischen Mensch und Thier auch sei, er ist schwer feststellen, und auch nach dieser Richtung ziemt uns Bescheidenheit. Wir wissen sehr wenig Von den Thieren, selbst von denen, welche täglich mit uns leben. Ich gestehe Ihnen, daß mir der gelegentliche Versuch, dies Unverständliche meinem Verständniß näher zu rücken, eine Achtung und Scheu vor dem fremdartigen Leben eingeflößt hat, bei welcher zuweilen Schrecken war. Ich leide nicht, daß Jemand von meinen Leuten sein Herz an ein Thier hängt. Auch aus einer Weichheit des Gefühls, die, wie ich Ihnen zugebe, pedantisch ist. Aber die Einwirkung des menschlichen Gemüthes auf die Thiere ist mir vollends räthselhaft und unheimlich erschienen, es werden in den fremden Creaturen dadurch Seiten ihres Lebens entwickelt, welche sie nach einzelnen Richtungen dem Menschen sehr ähnlich machen. Auch hat die liebevolle Annäherung an unsere Art für uns so viel Rührendes, daß wir leicht mehr Herz und Empfindung auf ein Thier wenden, als ihm und uns frommt.«

»Aber das Thier bleibt doch, wie es seit der Schöpfung war,« rief Ilse, »unverändert in seinen Trieben und Neigungen. Wir können einen Vogel abrichten und einen Hund zwingen, daß er überbringt, was er selbst fressen möchte, aber das ist nur äußerer Zwang. Sind sie sich selbst überlassen, so bleibt ihnen Art und Natur ungeändert, und was wir Cultur nennen, fehlt ihnen ganz.«

»Auch darüber sind wir keineswegs sicher,« versetzte Raschke. »Wir wissen gar nicht, ob nicht jedes Geschlecht der Thiere auch eine Bildung und Geschichte hat, welche von der ersten Generation bis zur letzten reicht. Es ist sehr möglich, daß Kenntnisse, Virtuositäten und Verständniß der Welt, soweit dies den Thieren möglich ist, sich in engerem Kreise ebenso wandelte, als bei den Menschen. Es ist eine willkürliche Annahme, daß die Vögel vor tausend Jahren genau ebenso gesungen haben, als jetzt. Ich bin der Ansicht, daß Wolf und Fuchs auf cultivirtem Boden in ähnlicher Lage sind, wie die letzten Trümmer der Indianerstämme unter den Weißen, während solche Tigere, die in erträglichem Frieden mit den Menschen leben, wie die Sperlinge und anderes kleines Volk, sogar die Bienen, in ihrer Art klüger werden und im Laufe der Zeit Fortschritte machen, Fortschritte, die wir in einzelnen Fällen ahnen, die unsere Wissenschaft aber noch nicht darzustellen vermag.«

»Damit wird unser Herr Oberförster sehr einverstanden sein,« Sagte Ilse ruhiger, »er klagt bitterlich, daß die Finken unserer Gegend sich seit Menschengedenken in ihrem Gesange erbärmlich verschlechtert haben, weil alte guten Sänger weggefangen sind und die jungen nichts Ordentliches mehr lernen.«

»Vortrefflich,« rief Raschke. »Und wie es unter den Thieren derselben Art kluge und unwissende gibt, läßt sich auch annehmen, daß den einzelnen eine gewisse geistige Arbeit zugewiesen ist, welche über ihr Leben hinaus reicht. Die Erfahrung eines alten Raben oder die melodische Tonfolge einer schönsingenden Nachtigall wäre für die späteren Geschlechter nicht verloren, Sondern wirkte auch in ihnen mit einer gewissen Dauer. Nach dieser Richtung darf man wohl von Cultur und Fortbildung auch der Thiere Sprechen. – Aber der Küche gegenüber bekennen wir, daß wir zum Nachtheil für das gemeinsame Behagen an unrechter Stelle gefühlvoll geworden sind, und Sie zürnen uns deshalb nicht, liebe Freundin.«

»Für diesmal wird es vergessen,« erwiederte Ilse versöhnt, »das nächste Mal setze ich Ihnen gesottene Eier vor, die werden doch kein Bedenken haben.«

»Mit den Eiern ist es auch so ein eigen Ding,« versetzte Raschke, »doch darüber enthalte ich mich billig einer näheren Betrachtung. Was mich aber hierher geführt hat,« fuhr er zu Felix gewandt fort, »war nicht Huhn, nicht Ei, sondern College Struvelius. Ich suche für ihn Versöhnung.«

Felix setzte sich steif zurecht. »Kommen Sie in seinem Auftrage?«

»Noch nicht, aber auf Wunsch einiger Collegen. Sie wissen, daß für das nächste Jahr ein energischer Rector nöthig wird. Es ist unter den Bekannten wiederholt von Ihnen die Rede gewesen. Struvelius wird wahrscheinlich Decan, schon deshalb wünschen wir, daß Sie beide in ein freundliches Verhältniß treten. Noch mehr des akademischen Friedens wegen. Ungern sehen wir unsere Alterthumswissenschaft auf gespanntem Fuße.«

»Was der Mann etwa gegen mich versehen hat,« antwortete der Professor stolz, »kann ich ihm leicht vergeben, obgleich das kleinliche und versteckte Wesen mir innerlich zuwider ist. Daß er durch seine thörichte Arbeit sich selbst und dadurch unsere Universität bloßgestellt hat, ertrage ich schwerer. Was mich aber von ihm scheidet, das ist die Unehrlichkeit seiner Empfindung.«

»Der Ausdruck ist zu stark,« rief Raschke.

»Er entspricht genau seinem Thun,« behauptete der Professor. »Als der Beweis einer Fälschung geführt war, da noch war seine Furcht, eine Niederlage zu erleben, stärker als sein Sinn für Wahrheit, und er hat sich selbst belogen, um Andere zu täuschen. Das ist eines deutschen Gelehrten unwürdig, und für solches Unrecht kenne ich keine Vergebung.«

»Das ist wieder zu hart,« versetzte Raschke, »er hat offen und loyal seinen Irrthum bekannt.«

»Er hat es erst gethan, als durch Magister Knips ihm und Anderen die Fälschung an der Schrift augenscheinlich nachgewiesen und dadurch die letzte Ausflucht genommen war.«

»Die Gefühle eines Menschen sind nicht so leicht wie Zahlen in ihre Elemente zu zerfällen,« entgegnete Raschke, »und nur wer billig urtheilt, wird richtig rechnen. Er hat gekämpft mit verletztem Stolz, vielleicht zu lange, aber er hat sich herausgehoben.«

»Ich gestatte an der Sittlichkeit eines wissenschaftlichen Mannes keine irrationalen Größen, hier war die Frage, Schwarz oder Weiß, Wahrheit oder Lüge,« rief Felix.

»Du hast doch dem Magister größere Nachsicht bewiesen,« sagte Ilse bittend, »ich habe ihn seit der Zeit mehr als einmal bei dir gesehen.«

»Der Magister hat in der Hauptsache geringere Schuld,« antwortete der Gatte. »Als ihm die Frage ernsthaft vor die Seele trat, hat er sehr wohl seinen Scharfsinn angewandt.«

»Er hatte Geld dafür bekommen,« sagte Ilse.

»Er ist ein armer Teufel, gewöhnt als Zwischenhändler bei Antiquargeschäften einigen Vortheil zu haben, und Niemand wird an ihn die Forderung stellen, daß er sich durchweg als Gentleman erweise. Soweit seine gedrückte Seele der Wissenschaft angehört, ist sie nicht ohne männlichen Stolz, das weiß ich. Für dergleichen Naturen habe ich das wärmste Mitgefühl. Denn sein Leben ist in der Hauptsache ein fortgesetztes Martyrium zum Besten Anderer. Wenn ich einen solchen Mann verwende, So weiß ich sicher, wo ich ihm vertrauen kann, wo nicht.«

»Möchten Sie sich darin nicht täuschen,« rief Raschke.

»Ich übernehme Gefahr und Verantwortung,« entgegnete der Professor; »nichts weiter von dem Magister, er gehört nicht hierher. Wenn ich aber seine Schuld mit der des Struvelius vergleichen soll, so ist mir nicht zweifelhaft, wer, Alles eingerechnet, den größeren Mangel an Ehrgefühl gezeigt hat.«

»Das ist wieder so ungerecht,« rief Raschke, »daß ich eine solche Aeußerung über den abwesenden Collegen nicht anhören kann. Ich vermisse mit tiefem Bedauern in Ihrer Auffassung die Unbefangenheit, welche ich unter allen Umständen geboten halte, am meisten im Urtheil über einen Amtsgenossen.«

»Sie selbst haben mir gesagt,« versetzte der Professor ruhiger, »daß er dem Verkäufer Schweigen versprochen hat, weil ihm Ansicht auf noch andere geheimnißvolle Pergamente gemacht wurde. Wie können Sie für solches Preisgeben des eigenen Selbstgefühls ein Wort der Entschuldigung finden?«

»Es ist wahr,« erwiederte Raschke, »das hat er gethan, und das war seine Schwäche.«

»Das war seine Unsittlichkeit,« rief der Professor wieder, »und darüber komme ich nicht weg. Wer anders denkt, mag ihm die Hand drücken.«

Raschke stand auf. »Wenn Ihre Worte meinen, daß derjenige weniger Ethos besitzt, der dem Struvelius noch die Hand drückt, so entgegne ich Ihnen, daß ich dieser Mann bin, und daß mich diese Handlung noch keinen Augenblick vor mir selbst gedemüthigt hat. Ich habe vor Ihrem kräftigen und reinen Empfinden eine recht innerliche Hochachtung, und es ist mir manchmal ein Beispiel gewesen, aber heut muß ich Ihnen sagen, daß ich mich Ihrer nicht freue. Ist diese Härte doch im Grunde deshalb in Sie gekommen, weil Struvelius Sie persönlich verletzt hat; so geht Sie über das Maß hinaus, nach welchem wir nicht uns selbst, aber Andere beurtheilen sollen.«

»Sie gehe über das Maß hinaus,« rief der Professor, »ich kenne kein bescheidenes Maß bei den Anforderungen, die ich an das Rechts- und Anstandsgefühl meiner persönlichen Bekannten stelle. Mir ist nicht gleichgültig, bei dieser Auffassung Sie zum Gegner zu haben; aber wie ich bin, selbst ein unvollkommener und irrender Mensch, ich kann mir diese Forderungen an meine Umgebung nicht herabstimmen.«

»So will ich wünschen,« brach Raschke los, »daß Sie selbst nie in den Fall kommen, Anderen bekennen zu müssen, Sie seien durch einen Betrüger gerade da getäuscht, wo sich Ihr Selbstgefühl am kräftigsten erhob. Denn wer so stolz über Andere urtheilt, dem würde das Bekenntniß der eigenen Kurzsichtigkeit nicht geringe Schmerzen bereiten.«

»Ja, es wäre furchtbar für mich,« rief Felix »auch wider meinen Willen Andere in Unwahrheit und Lüge zu verstricken. Aber darauf vertrauen Sie, ich würde, um solches Unrecht zu sühnen, Alles, was ich an Leben und Kraft noch habe, daran setzen. Unterdeß bleibt es zwischen jenem und mir wie bisher.«

Raschke rückte seinen Stuhl unter den Tisch. »Dann gehe ich heute, denn ich bin durch unsere Erörterung aus der Ruhe gekommen, und ich würde ein schlechter Gesellschafter sein. Es ist das erste Mal, Frau Collega, daß ich aus diesem Hause mit unbehaglichem Gefühl scheide, und nicht am wenigsten schmerzt mich, daß meine unzeitige Parteinahme für Hühnerseelen auch gegen Sie den Kamm gesträubt hat.«

Ilse sah betrübt in das erregte Antlitz des werthen Mannes, und um die wogenden Gedanken zu glätten und an gute Freundschaft zu mahnen, sagte sie bittend: »Aber das arme Huhn ist Ihnen nicht erlassen, das müssen Sie doch noch essen, und ich Sorge dafür, daß es Ihnen morgen durch Ihre Frau zum Frühstück vorgesetzt wird.«

Raschke drückte ihr die Hand und eilte zur Thür hinaus, der Professor ging heftig im Zimmer auf und ab, endlich trat er vor seine Frau und frug kurz: »Habe, ich Unrecht?«

»Ich weiß es nicht,« erwiederte Ilse zögernd, »aber als der Freund zu dir sprach, war meine ganze Empfindung auf seiner Seite, und mir war, als hätte er Recht.«

»Auch du?« sagte der Professor finster, wandte sich ab und schritt in seine Arbeitsstube.

Wieder saß Ilse allein, das Herz war ihr schwer und sie grübelte: »Er sieht doch in vielen Dingen das Leben anders an als ich. Gegen die Thiere ist er weicher und gegen die Menschen zuweilen härter, als ich sein kann. Wie ich mich auch mühe, ich bleibe ihm gegenüber ein ungeschicktes Weib vom Lande. Er ist gütig gewesen gegen die Rollmaus, er wird es auch gegen mich sein, aber er wird immer gegen mich Nachsicht üben müssen.«

Sie sprang auf und ihr Antlitz flammte.

Unterdeß fuhr Raschke im Vorzimmer umher. Auch dort herrschte Unordnung, Gabriel war noch nicht von seinem weiten Wege zurückgelehrt, die Köchin hatte das abgeräumte Mahl bis zu seiner Ankunft auf einen Seitentisch gestellt, und Raschke mußte allein seinen Ueberrock suchen. Er wühlte unter den Kleidern, griff einen Rock und einen Hut. Da er heut nicht zerstreut war wie wohl sonst, fiel ihm bei einem Blick über die verschmähte Abendkost noch zu rechter Zeit ein, daß er ein Huhn essen mußte. Deshalb erfaßte er die neuen Zeitungen, welche Gabriel für seinen Herrn zurecht gelegt hatte, nahm schnell ein Huhn aus der Schüssel, wickelte es in die Blätter und versenkte es in die Tasche, deren Tiefe und Geräumigkeit ihn angenehm überraschte. So eilte er bei der erstaunten Köchin vorüber zur Wohnung hinaus. Als er die Entreéthür öffnete, stieß er an etwas, das an der Schwelle wurzelte, er hörte hinter sich ein häßliches Geknurr und stürmte die Treppe hinab ins Freie.

Dabei flogen ihm die Reden des verlassenen Freundes durch den Kopf. Das ganze Verhalten Werners war sehr charakteristisch, und es war ein tüchtiges Wesen. Merkwürdig, daß in einem Augenblick des Zornes Werners Gesicht plötzliche Aehnlichkeit mit dem einer Dogge erhalten hatte. Hier wurde dem Philosophen die geradlinige Kette seiner Betrachtungen gekreuzt durch die Erinnerung an das Gespräch über ThierseeIen. »Es ist doch zu bedauern, daß es immer noch schwer wird, den seelischen Ausdruck der Thiere zu fixiren. Gelänge das, so würde auch die Wissenschaft davon Nutzen ziehen. Wer Ausdruck und Geberde der Leidenschaften bei Menschen und höheren Thieren genau bis auf Einzelheiten vergleichen könnte, der vermöchte aus dem Gemeingültigen wie aus den einzelnen Abweichungen Interessantes zu folgern. Denn dadurch würde das Naturgemäße ihrer dramatischen Bewegung und vielleicht einige neue Gesetze derselben gefunden werden.«

Während der Philosoph darüber dachte, fühlte er ein wiederholtes Ziehen am Rockschoß. Da seine Frau die Gewohnheit hatte, ihn leise zu zupfen, wenn er neben ihr in Gedanken wandelte und einem Bekannten begegnete, so ließ er sich dadurch nicht weiter stören, er nahm freundlich seinen Hut ab und sagte gegen das Brückengeländer gewendet: »Guten Abend.«

»Dies Gemeinsame und Ursprüngliche des mimischen Ausdrucks bei Menschen und höheren Thieren würde aber, genau erkannt, vielleicht sogar neue Blicke in das große Geheimniß des Lebens verstatten.« – Es zupfte wieder. Raschke nahm mechanisch den Hut ab; es zupfte wieder. »Ich danke, liebe Aurelie, ich habe gegrüßt.« Darüber entwickelte sich in ihm der Seitengedanke, daß seine Frau nicht so tief unten am Rock ziehen könnte. Die zupfte, war gar nicht sie, sondern seine kleine Tochter Bertha, die zuweilen altklug neben ihm ging und ebenso wie die Mutter leise die Glocke zum Grüßen zog. »Es ist gut, mein Kind,« sagte er, da Bertha unaufhörlich an dem Rockschoß kratzte und läutete. »Komm hervor, du Schelm,« und er faßte in Gedanken hinter sich, die Neckerin heranzuziehen. Er ergriff tief unten etwas Rundes, Zottiges, fühlte im Augenblick scharfe Zähne an seinen Fingern und wandte sich erschrocken um. Da sah er im Laternenlicht ein röthlich schimmerndes Ungethüm mit dickem Kopf, mit gesträubtem Haar und einer Ouaste statt des Schwanzes aus gehobener Stellung auf die Vorderbeine zurückfallen. Frau und Tochter waren ihm greulich verwandelt und er blickte verwundert auf das undeutliche Geschöpf, das sich ihm gegenüber setzte und ihn ebenfalls schweigend anstarrte.

»Eine merkwürdige Begegnung,« rief Raschke. »Was bist du, unbekanntes Wesen? muthmaßlich ein Hund, hinweg mit dir!« Die Creatur wich einige Schritte zurück, Raschke eilte in seiner Untersuchung weiter: »Wenn man den Gesichtsausdruck und die Geberde der Affecte in solcher Art auf Grundformen zurückführte, so würde sich jedenfalls als eins der thätigsten Gesetze das Bestreben erweisen, Fremdes anzuziehen und abzustoßen. Es wäre lehrreich, bei diesen unwillkürlichen Bewegungen der Menschen und Tigere zu unterscheiden, was jeder Art naturnothwendig und was ihr conventionell ist. Hinweg, Hund, thu' mir den Gefallen und geh nach Haus. Was will er von mir? er gehört offenbar in Werners Reich. Das arme Geschöpf wird sich unter der Herrschaft einer fixen Idee in der Stadt verlaufen.«

Unterdeß wurden die Angriffe Speihahns leidenschaftlicher, zuletzt bewegte er sich in ganz unnatürlichem und rein conventionellem Marsche nur auf den Hinterbeinen vorwärts, indem er sich mit den Vorderpfoten an die Ruckseite des Professors stemmte, und mit dem Maul förmlich in den Rock einbiß.

Ein später Schusterjunge blieb stehen und schlug an sein Schurzfell. »Schämt sich der Meister nicht, daß er sich von dem armen Lehrjungen bockschieben läßt?« In Wahrheit sah der Hund hinter dem Manne aus, wie ein Zwerg, der auf der Eisbahn einen Riesen stoßend fortbewegt.

Raschke's Interesse an den Gedanken des Hundes wurde größer. Er blieb an einer Laterne stehen, besah und befühlte seinen Rock. Dieser Rock war zu einem Sammetkragen und sehr langen Aermeln gekommen, zu Vorzügen, welche der Philosoph an seinem Ueberrocke niemals bemerkt hatte. Jetzt war die Sache klar, er selbst hatte in Gedanken ein falsches Kleid gewählt, und der wackere Hund bestand darauf, das Gewand seines Herrn zu retten und dem Räuber fühlbar zu machen, daß etwas nicht in Ordnung war. Raschke freute sich so sehr über diese Klugheit, daß er sich umdrehte, an Speihahn einige gütige Worte richtete und einen Versuch machte, das borstige Fell zu streicheln. Der Hund schnappte wieder nach seiner Hand. »Du hast ganz Recht,« entgegnete Raschke, »daß du mir zürnst, ich will dir beweisen, daß ich mein Unrecht einsehe.« Er zog den Rock aus und hing ihn über den Arm: »Richtig, er ist weit schwerer, als mein eigener.« So ging er in seinem dünnen Leibrock frisch vorwärts und erkannte mit Befriedigung, daß der Hund die Angriffe auf den Rücken aufgab. Dafür aber sprang Speihahn an der Rockseite dahin, und wieder biß er nach dem Rock und nach der Hand und knurrte widerwärtig.

Dem Professor wurde der Hund ärgerlich, und als er auf der Promenade an eine Bank kam, legte er den Rock auf die Bank, um den Hund in ernster Begegnung nach Hause zu treiben. Dadurch wurde er zwar den Hund los, aber auch den Rock. Denn Speihahn sprang mit gewaltigem Satze auf die Bank, stellte sich breitbeinig über den Rock und erhob gegen den Professor, der ihn vertreiben wollte, ein grimmiges Knurren und Fauchen. »Es ist Werners Rock,« sagte sich der Professor, »und es ist Werners Hund, es wäre unrecht, das arme Thier zu schlagen, weil es in seiner Treue leidenschaftlich wird, und es wäre unrecht, Hund und Rock zu verlassen.« So blieb er vor dem Hunde stehen und redete ihm freundschaftlich zu, aber Speihahn achtete gar nicht mehr auf den Professor, er wandte sich gegen den Rock selbst und kratzte, wühlte, biß hinein. Raschke sah, daß der Rock diese Wuth nicht lange ertragen konnte. »Er ist verrückt oder toll,« sagte er sich mißtrauisch, »zuletzt werde ich doch Gewalt gegen dich brauchen müssen, arme Creatur,« und dabei überlegte er, ob er ebenfalls auf die Bank springen und den Verrückten durch eine kräftige Fußbewegung in die Tiefe schleudern sollte, oder ob er den unvermeidlichen Angriff besser von unten eröffnen würde. Er entschloß sich zu letzterem und sah umher, ob irgendwo ein Stein oder Pfahl gegen den Wütenden erreichbar sei. Dabei blickte er auf die Bäume und den dunkeln Himmel über sich, und die Oertlichkeit erschien ihm ganz fremd. »Ist hier Zauberei im Spiel?« rief er ergötzt. »Bitte,« wandte er sich grüßend an einen einsamen Wanderer, der seines Weges kam, »in welcher Stadtgegend sind wir wohl? Und könnten Sie mir wohl auf einen Augenblick Ihren Stock leihen?«

»Wirklich?« entgegnete der Angeredete in unwilligem Ton, »das sind ja sehr verfängliche Fragen. Meinen Stock brauche ich des Abends selbst wer sind denn Sie, mein Herr?« Der Fremde trat dem Professor drohend näher.

»Ich bin friedlich,« versetzte Raschke, »und thätlichen Angriffen durchaus abgeneigt. Es hat sich nur zwischen jenem Thiere auf der Bank und mir ein Streit um den Besitz eines Rockes erhoben, und ich würde Ihnen verbunden sein, wenn Sie den Hund von dem Rocke verscheuchten. Aber ich bitte Sie, dem Thiere nicht mehr weh zu thun, als durchaus nöthig ist.«

»Ist denn das Ihr Rock?« frug der Mann.

»Das kann ich leider nicht bejahen,« versetzte Raschke gewissenhaft.

»Hier ist etwas nicht in Ordnung,« rief der Fremde und sah wieder argwöhnisch auf den Professor.

»Allerdings nicht,« versetzte Raschke, »der Hund ist außer sich, der Rock ist vertauscht, und ich weiß nicht, wo wir sind.«

»Nahe beim Thalthor, Herr Professor Raschke,« antwortete die Stimme Gabriels, Welcher eilig zu der Gruppe trat. »Um:Vergebung, wie kommen Sie hierher?«

»Vortrefflich,« rief Raschle vergnügt, »ich bitte, übernehmen Sie hier diesen Rock und diesen Hund.«

Erstaunt sah Gabriel auf Freund Speihahn, der jetzt über dem Rocke saß und gegen seinen Gönner das Haupt senkte. Gabriel warf den Hund herab und riß den Rock an sich. »Das ist ja unser Ueberzieher,« rief er.

»Ja, Gabriel,« betätigte der Professor, »das war mein Irrthum, und der Hund hat dem Rock eine merkwürdige Treue bewiesen.«

»Treue?« rief Gabriel entrüstet und zog ein Packet aus der Tasche des Rockes. »Es war gefräßiger Eigennutz, Herr Professor, hierin muß etwas Gebratenes sein.«

»Ha,« rief Raschke, »richtig, ich erinnere mich, das Huhn ist an Allem schuld,

Geben Sie mir das Packet, Gabriel, das Huhn muß ich selbst essen. Und wir könnten jetzt mit völliger Befriedigung einander Gute Nacht sagen, wenn Sie mir noch ein wenig meine Richtung durch diese Bäume angeben wollten.«

»Aber Sie dürfen mir nicht in der Abendluft ohne Ueberrock nach Hause gehen,« bat Gabriel wohlmeinend, »wir sind nicht weit von unserer Wohnung, am besten wäre wirklich, der Herr Professor kehrte mit mir um.«

Raschke überlegte und lachte: »Sie haben Recht, lieber Gabriel, mein Aufbruch war ungeschickt, und die Thierseele hat heut eine Menschenseele zur Ordnung gebracht.«

»Wenn Sie diesen Hund meinen,« versetzte Gabriel, »so war's zum ersten Mal, daß er etwas Ordentliches zu Stande bringt. Ich merke, er ist Ihnen von unserer Thür nachgeschlichen, denn dorthin stelle ich ihm des Abends die kleinen Knochen.«

»Er that einmal, als wäre er nicht ganz bei Sinnen,« sagte der Professor.

»Er ist schlau, wo er will,« versetzte Gabriel geheimnißvoll, »aber wenn ich von meinen Erfahrungen mit diesem Hunde reden sollte –«

»Sprechen Sie, Gabriel,« rief der Philosoph, wißbegierig. »Nichts ist von Thieren so werthvoll, als wahrhafter Bericht solcher, welche genau beobachtet haben.«

»Das darf ich von mir sagen,« bestätigte Gabriel mit Selbstgefühl, »und wenn Sie genau wissen wollen, wie er ist, so versichre ich Sie, er ist verwünscht, er ist unehrlich, er ist vergiftet und er hat einen Grimm gegen die Menschheit.«

»Hm, so!« versetzte der Philosoph kleinlaut, »ich merke, es ist viel schwerer, einem Hunde ins Herz zu sehen, als einem Professor.«

Speihahn schlich still und gedrückt, und hörte auf das Lob, das ihm ertheilt wurde, während Professor Raschke von Gabriel geleitet in das Haus am Parke zurückkehrte. Gabriel öffnete die Thür des Wohnzimmers und rief hinein: »Herr Professor Raschke.«

Ilse streckte ihm beide Hände entgegen: »Willkommen, willkommen, lieber Herr Professor,« und führte ihn in das Arbeitszimmer des Gatten.

»Da bin ich wieder,« rief Raschke vergnügt, »nach einer Irrfahrt wie im Märchen; was mich zurückgeführt hat, waren zwei Thiere, die mir den richtigen Weg wiesen, ein gebratnes Huhn und ein vergifteter Hund.« Felix sprang auf, die Männer grüßten einander mit warmem Händedruck und es wurde nach aller Irrung noch ein herzerfreuender Abend.

Als Raschke sich spät entfernt hatte, sagte Gabriel traurig zu seiner Herrin: »Dies war der neue Rock; das Huhn und der Hund haben ihn verwüstet, daß es ein Jammer ist.«


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