Gustav Freytag
Der Kronprinz und die deutsche Kaiserkrone
Gustav Freytag

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Neues und altes Kaiserceremoniell.

Im Neuen Reich 1871, Nr. 13.)

Bevor der erste deutsche Reichstag durch den Kaiser eröffnet wurde, war den Anwesenden eine kleine Ueberraschung bereitet. An Stelle des preußischen Königsthrones war ein werthvolles Museumstück aufgestellt, wenn die Zeitungen recht berichten, ein Stuhl aus der Sachsenzeit, in welchem einmal alte Kaiser gesessen haben konnten, von Goslar in eine Privatsammlung gerettet, unten von Stein, oben von Erz, eine sehr merkwürdige Erinnerung. Der geheimnißvolle Stuhl aus dem Urwald deutscher Geschichte war dem Vernehmen nach widerwillig, sich der modernen Feierlichkeit einzupassen, es mußte lange an ihm herumgepocht werden. Wurde vielleicht gar durch ihn die ganze Feierlichkeit um eine halbe Stunde aufgehalten? Uns Draußenstehenden macht der Schmuck des Stuhles antiquarische Gedanken. Dergleichen Stein- und Erzwerk wurde in alter Zeit bei Feierlichkeiten nur als Gerüst betrachtet, es wurde mit einem Teppich überdeckt, den Frau Adelheid nach italienischem Muster gestickt, oder Frau Theophano aus der Damastweberei von Byzanz mitgebracht hatte, und auf den Sitz wurde jedenfalls ein schönes, weiches Kissen gelegt. Ohne das Kissen hätte sich ein alter Sachsenkaiser nur unwillig in den kalten Stein gesetzt. Warum? Er hatte ja keine Hosen an; die Strümpfe, welche ihm das Frauengemach seiner Gemahlin anmaß und nähte, reichten zwar hoch hinauf, indeß – um es kurz zu sagen, man hatte damals nach dieser Richtung viel natürliches Zartgefühl. Wir hoffen, daß der Stuhl noch lange zur Freude von uns Alterthümlern unter seiner Nummer dort aufbewahrt wird, wo man derlei ehrwürdigen Trödel zu schätzen die Muße hat.

Von der Tagespresse wurde mit großer Befriedigung hervorgehoben, daß die Reichskleinodien, welche im Zuge getragen wurden, unsere alten preußischen waren. Sie haben freilich für den Schauenden nicht sämmtlich gleiche Bedeutung. Wenn Graf Moltke das Schwert des Kaisers hielt, so sind die Gedanken, welche gerade jetzt bei diesem Anblick aufsteigen, so mächtig, daß sie einem ehrlichen Gesellen wohl Rührung in die Augen treiben können. Von den anderen ehrwürdigen Kleinodien sind uns Krone und Scepter noch von Thalern und Wappenschildern so ziemlich verständlich, obgleich die wahre und eigentliche Krone des Königs von Preußen und des neuen Kaisers der Helm ist. Schlimmer daran ist der liebe alte Reichsapfel, lateinisch das Pomum genannt, dessen eigentliche sinnbildliche Bedeutung keineswegs feststeht. Und es ist keinem kleinen Prinzen zu verdenken, wenn er beim Anblick dieses fürstlichen Brummküsels in Versuchung kommt, eine Peitschenschnur herumzuwickeln und denselben in stillem Gemach als Kreisel herumzutreiben.

In ältester Zeit freilich hatten diese Stücke weit andere Bedeutung. Nur durch sie konnte man König und Kaiser werden. Nur dadurch, daß dem gekürten Mann die Kappe um den Leib gelegt, die Krone auf das Haupt gesetzt, Speer und Scepter in die Hand gegeben wurden, ward sein deutsches Königthum geschaffen. Ohne die Ceremonie war er nicht König und vermochte nicht eines seiner Königsrechte auszuüben. Aber noch mehr, auch die Königskleinodien vermochte er sich nicht arbeiten zu lassen. Die Fähigkeit, alle Rechte der Würde auszuüben, hing an bestimmten überkommenen Stücken. Und nicht bloß, weil diese gerade ehrwürdig waren und zum Königsschatz gehörten. Sie hatten vielmehr ein gewissermaßen persönliches Leben. Sie waren irgend einmal durch starke Segen und Gebete der Frommen geweiht und erfreuten sich des besonderen Schutzes der einflußreichsten Heiligen im Himmel. In alle waren zur Verstärkung ihrer Kraft Reliquien gebunden. Die Kappe war selbst die Hinterlassenschaft eines Heiligen, und man wußte, daß sie, am Schlachttage getragen, dem Tragenden Sieg verlieh, die Reliquien im Bügel der Krone, im Schaft des Speers, im Knopf des Schwertes bewahrten vor dem Messer des Mörders, oder gaben guten Entschluß im Rathe, auch der Reichsapfel, seitdem er nachweisbar ist, war wahrscheinlich eine Reliquienhülle. Und noch anderer Zauber hing an den Kleinodien, den nicht die christliche Kirche zugefügt hatte. Alle diese Stücke hatten ein Schicksal, sie hatten früheren Besitzern Ruhm und Ehre gebracht, um ihren Besitz war schwere That gewagt und abgewehrt worden, wer sie empfing, der empfing Segen und Fluch vergangener Geschlechter, der über sie und gegen sie gemurmelt worden war. So waren sie Gegenstände einer hohen, furchtsamen Verehrung, welche ihren Besitzer in Vielem über das gewöhnliche Menschenloos heraushoben und unter den besonderen Schutz der Heiligen stellten. Kein Wunder daher, daß sie ängstlich behütet wurden, und daß ein Besitzer vor seinem Tode sie zuweilen sorglich seiner Gemahlin oder einem treuen Verwandten zur Bewahrung überwies, wenn er wußte, daß diese bei dem nächsten Wahlherrn der Deutschen geringe Freundschaft finden würden. Er konnte seinen Lieben kein besseres Erbe hinterlassen, denn diese erhielten dadurch Gelegenheit, mit dem neuen Kronträger einen vortheilhaften Vertrag zu machen.

Doch das alles ist lange her. Jetzt sind uns diese Kleinodien bedeutungsarme Schaustücke geworden, die unsere Herrscher nach Zeitgeschmack und persönlichen Wünschen umformen lassen, um sie nicht zu gebrauchen. Selbst die Krone ist so unwesentlich, daß der König oder Kaiser, in dessen Nähe niemals dieses Goldgeschmiedewerk sichtbar wäre, auch nicht den kleinsten Theil seiner Machtfülle und Majestät verlieren würde. Wir hören jetzt, daß dergleichen doch für die neue Kaiserwürde in Arbeit gegeben sein soll. Und wieder melden die Zeitungen, daß die Majestät von Baiern sogar die Krone ihres kaiserlichen Ahnherrn Ludwig als Ehrengeschenk dem Kaiser verehren wolle. Das wäre gewiß recht freundlich von dem Haupt des erlauchten Hauses Wittelsbach gedacht, und wir möchten um Alles nicht eine deutsch-patriotische Absicht kränken. Aber wir haben ja von solchen guten Werthstücken bereits den erwähnten Stuhl. Und sollte die Krone Ludwigs eine Aufmerksamkeit sein für eine andere Aufmerksamkeit, welche Weißenburg hieße, so würde dieses Geschenk von den Deutschen mit Blicken betrachtet werden, deren bösen Schein wir sowohl von dem Haupte unserer Hohenzollern als den des Königs Ludwig für immer abgewandt wünschen.

Ja, wir haben eine entschiedene Abneigung Erinnerungen an das alte Kaiserthum des heiligen römischen Reiches im Hause der Hohenzollern wieder aufgefrischt zu sehen. Wir im Norden haben den Kaisertitel uns – ohne große Begeisterung – gefallen lassen, soweit er ein politisches Machtmittel ist, unserem Volke zur Einigung helfen mag und unseren Fürsten ihre schwere Arbeit erleichtert. Aber den Kaisermantel sollen unsere Hohenzollern nur tragen wie einen Offiziersüberrock, den sie im Dienst einmal anziehen und wieder von sich thun; sich damit aufputzen und nach altem Kaiserbrauch unter der Krone dahinschreiten sollen sie uns um Alles nicht. Ihr Kaiserthum und die alte Kaiserwirthschaft sollen nichts gemein haben, als den – leider – römischen Cäsarnamen. Denn um die alte Kaiserei schwebte so viel Ungesundes, so viel Fluch und Verhängniß, zuletzt Ohnmacht und elender Formenkram, daß sie uns noch jetzt ganz von Herzen zuwider ist. Von Pfaffen eingerichtet, durch Pfaffen geweiht und verpfuscht, war sie ein Gebilde des falschesten und verhängnißvollsten Idealismus, welcher je Fürsten und Völkern den Sinn verstört, das Leben verdorben hat. Schwer hat unsere Nation die innerlich unwahre Idee gebüßt, Jahrhunderte der Schmach und des politischen Verfalls sind aus ihr hervorgegangen.

Die Hohenzollern haben uns aus dem Jammer herausgehoben, und gerade sie sollen nicht der Rache der höhnenden Dämonen verfallen, welche noch immer hinter den Lappen des alten verschossenen Kaisermantels lauern, und unseren Herren den Schein für das Wesen, den Vorsitz an fürstlicher Tafelrunde für die Herrschaft über ein einiges Volk geben möchten. Unsere Kaiser sollen ernsthafte Geschäftsleute sein, welche das Wesen der Macht erfreut, nicht der Goldglanz, nicht ein neuer Reichsherold Germania, nicht ein abenteuerliches vierfarbiges Kaiserbanner und nicht die große fürstliche Festtafel, bei welcher verdiente Generäle, die unsere Feinde geschlagen haben, verurtheilt werden, hinter dem Stuhl durchlauchtiger Herren aufzuwarten, welche vielleicht als müßige Zuschauer die Reise in Feindesland mitgetrödelt haben.

Doch diese Zeit voll Politik lenkt auch einen bescheidenen Antiquar aus Stil und Ordnung des Vortrags. Es war hier nur die Absicht, einige alte Momente kaiserlicher Thätigkeit neben neue zu halten. Wenn kritische Naturen des Berliner Hofes über solchen Brauch, wie den Vortritt des Hofes bei dem feierlichen Eintritt des Kaisers zur Thronrede urtheilen, so äußern sie wohl die bescheidene Ansicht: bei uns macht man dergleichen nicht gut. In Wahrheit macht man's wahrscheinlich so gut wie anderswo, uns fehlt nur gar sehr das Gemüth für solche dramatische Schaustellung. Unser volles Interesse liegt ganz wo anders. Nicht das Ceremoniell um die Thronrede, sondern ihr Inhalt, nicht Uniform und Orden des Kaisers, sondern der Ausdruck seiner Mienen, die Betonung seiner Worte sind uns bedeutsam. Das Andere geht so nebenher, je anspruchsloser, desto besser.

Wir haben jetzt nur eine häufigere öffentliche Handlung, bei welcher der Kaiser vor seinem Volk in wirklicher Machtentfaltung erscheint, und das ist unsere Parade. Die Königsparaden sind die größten und am meisten charakteristischen Repräsentationsfeste der deutschen Königsmacht; das soll auch der nicht leugnen, der sie vielleicht einmal langweilig findet und der Störung des hauptstädtischen Verkehrs grollt.

Es ist lehrreich, damit die etwa entsprechenden Acte der alten Kaiserwürde zu vergleichen, aus dem sechzehnten Jahrhundert, der Zeit, wo sich die Kaisermacht auf einige Jahrzehnte aus tiefem Verfall zu großem Glanze erhob und wo alter Brauch des Mittelalters noch sorgfältig geübt wurde. Freilich bei kriegerischen Musterungen hatte der alte Kaiser selten Gelegenheit, in seiner Machtfülle zu erscheinen. Bis zur Hohenstaufenzeit hatten die Römerfahrten zuweilen eine großartige Veranlassung geboten, seitdem war das Mustern gesammelter Vasallen oder geworbener Fähnlein eine peinliche, schmucklose Arbeit geworden. Und die Nation sah wenig von ihrem Kaiser. Nur eine häufig wiederkehrende Veranlassung zur öffentlichen Darstellung kaiserlicher Majestät war geblieben, die Ertheilung von Fahnenlehen. Sie fand statt nicht nur nach neuer Kaiserwahl, auch nach jeder Besitzänderung in den großen Adelsgeschlechtern, sie wurde wohl auf jedem Reichstag das größte Fest. Und da der Brauch dabei sehr alterthümlich war, uns ganz fremdartig geworden und selten beschrieben ist, und da er genau ebenso die alte Kaisermacht kennzeichnet, wie die Königsparaden der Hohenzollern die neuzeitliche, so soll hier kurz davon berichtet werden.

Auf dem Platz der Reichsstadt wurde ein Gerüst errichtet, mit breiten Stufen, es mußte unter freiem Himmel sein und es mußte umritten werden können. Darauf der Kaiserstuhl und die Sitze der Kurfürsten, Alles mit schönen Teppichen und golddurchwirktem Stoff bedeckt, in der Nähe waren Ankleidezimmer für den Kaiser und die Kurfürsten. Zur bestimmten Stunde kam der Kaiser mit den Kurfürsten und großem Gefolge angeritten, stieg bei seinem Ankleidezimmer ab und legte den schweren goldenen Kaisermantel und die Krone an. Dann schritt er im Kaiserschmuck und der Krone mit großem Zuge auf das Gerüst und setzte sich auf den Kaiserstuhl, weit sichtbar, sehr stattlich; zur rechten und zur linken Hand saßen die Kurfürsten, welche die Reichskleinodien im Zuge getragen hatten: Mainz das Evangelienbuch zum Schwur, Sachsen das Schwert, Brandenburg den Scepter, Rheinpfalz den Reichsapfel. Darauf ritt, bis dahin unsichtbar, der Rennhaufe des fürstlichen Vasallen heran, welcher das Lehn erhalten sollte. Es waren seine Vasallen und Reisigen, in seine Farben gekleidet, die Edelleute darunter in Sammt mit Federn, Alle kleine Fähnlein in den Händen oder auf den Häuptern der Rosse; in der Mitte aber führte der Haufe die rothe Rennfahne, die auch Reichsfahne oder Blutfahne genannt wurde. In gestrecktem Roßlauf umrannte die Schaar das Gerüst mit dem Kaisersitz – die schnelle Gangart dabei war uralter Brauch der Deutschen, die auch beim Turnier so gegeneinander ritten, die Romanen nur im Trabe. – Nachdem der Kaiserstuhl zum erstenmal »berannt« war, ritten die Boten des Vasallen heran, Reichsfürsten von seiner Freundschaft, sie stiegen vor dem Gerüst ab, knieten auf den Stufen nieder, und knieend bat der Sprecher unter ihnen den Kaiser um die Ertheilung der Lehne. Darauf stand Mainz auf, besprach sich mit dem Kaiser, dem laut zu reden gar nicht zugemuthet wurde, und antwortete, daß der Kaiser bereit sei. Hatten die Boten wieder ihre Rosse bestiegen, so kam nach dem zweiten und dritten Rennen der Blutfahne der Reichsfürst selbst unter Trompeten- und Paukenschall mit seinem Gefolge und einem Reiterhaufen in allem Glanz, den er aufzubringen vermochte, angeritten, vor ihm alle Fahnen seiner Lehen, deren Bilder in den Wappenfeldern unserer alten Familien erhalten sind. Auch er ritt im Galopp an das Gerüst, stieg ab und kniete nieder. Dann legte Mainz das Evangelienbuch in den Schoß des Kaisers, der Kaiser faßte mit beiden Händen die oberen Ecken, der Lehnsfürst legte die Hand auf das Buch und schwor den Vasalleneid. Darauf ergriff der Kaiser das Schwert am Kreuzgriff und bot den Knopf dem Vasallen, dieser faßte daran und küßte den Knopf, war er aber ein geistlicher Fürst, so wurde ihm die Spitze des Scepters geboten. Darauf wurden die Fahnen gebracht, zuerst die Blutfahne, dann die Lehensfahnen, der Kaiser faßte mit der Hand an jede, und darunter ebenso der Vasall. Waren die Fahnen angefaßt, so wurden sie von dem kaiserlichen Herold Germania unter das schauende Volk geworfen, die Leute rissen sich darum und trugen die Fetzen als Beute heim. Als aber im Jahre 1566 bei der Belehnung des Kurfürsten August durch Maximilian II. ein kecker Reiterknabe die Fahne des Herzogthums Sachsen – die mit dem Rautenkranze – behend ergriff und unversehrt entführte, freuten sich die Sachsen über das gute Vorzeichen und der Reiter erhielt eine Belohnung. Nicht immer ging dieser Act der Belehnung ohne Zwischenfall vor sich. Als im Jahre 1530 Karl V. die Herzöge Jörg und Barnim von Pommern belehnte, erhob sich Kurfürst Joachim von Brandenburg nach dem ersten Rennen der Pommern und wahrte in schöner Rede seine Ansprüche auf die pommerschen Lande, und als darauf die beiden Herzöge knieend an die Fahnen faßten, trat auch er hinzu und faßte auch mit der Hand an die Stangen. – Der Belehnte trat unter die Fürsten auf dem Gerüst. War allen Werbern ihr Lehen ertheilt, dann kehrte der Kaiser im Zuge zu seinem Ankleidezimmer zurück, legte die Bürde des Kaiserschmucks ab, verabschiedete freundlich die Fürsten und ritt nach seiner Herberge.

Man beachte sein Verhältniß zu der feierlichen Handlung. Er war der geweihte Vertreter des Reiches, er mußte die Kaiserkrone tragen, unter freiem Himmel sitzen, von den Reichskleinodien umgeben sein, gewisse Handgriffe thun, um die wichtigsten Rechtshandlungen des Reiches zu vollziehen. Das Volk freute sich, wenn er tapferlich dasaß, und es schätzte sorgfältig den Geldwerth der Krone und seines goldenen Chormantels, auf dessen Rückseite der kaiserliche Adler gestickt war. Sprechen durfte er nicht, das besorgte für ihn der Erzbischof von Mainz; die bewaffnete Mannschaft gehorchte – abgesehen von seiner Hausmacht – denselben Vasallen, deren Landbesitz nur durch seine Verleihung zu einem rechtlichen wurde; das Geld hatten die Fürsten und Reichsstädte, und dies war für ihn noch schwerer zu bekommen, als die Schaaren seiner Vasallen. Dauerte die Feierlichkeit lange, dann wurde ihm die Krone zu schwer, und der König von Böhmen mußte sie im Schoß halten, nur so oft ein Lehnsmann mit den Fahnen anrannte, mußte sie wieder aufgesetzt werden. Aber das Ceremoniell, dem er leidend diente, war wieder sehr bedeutsam. Trug er nicht die Krone auf dem Haupt, so konnte er nicht Lehen zutheilen, faßte der Vasall nicht an die Fahnenstange, so begab er sich seines Rechtes an den Landbesitz.

Ist das nicht grundverschieden von moderner Auffassung der Kaiserwürde? Auch die Kaiserparade unter den Linden hat manchen eigenthümlichen Brauch, den ohne Zweifel ein kundiger Mann in ferner Zukunft seinen Deutschen schildern und als höchst bedeutsam darstellen wird. Was aber ist bei uns die Hauptsache? Nicht daß der Kaiser in kriegerischem Schmuck vor Heer und Stadtvolk sich zeigt, sondern das Urtheil, welches er über seine Truppen fällt, seine soldatische Ansicht, seine Zufriedenheit, sein Lob, sein Tadel. Wir sehen und suchen in ihm stets den Kriegsherrn, den Befehlshaber, den höchsten Beamten des Reiches, den tüchtigen Mann von Sinn und Urtheil. Vor der Majestät des alten Kaisers beugte auch der stolzeste Reichsfürst sein Knie zur Erde, aber jede persönliche Willensäußerung des Kaisers war den Vorfahren unbequem, oft gleichgültig; unserem Kaiser stehen wir Mann zu Mann mit offenem Auge gegenüber, wir achten an ihm nicht Krone und goldenen Chormantel als die weitsichtbaren Abzeichen seines Amtes, und nicht die Handgriffe und dramatischen Bewegungen, durch welche er waltet, sondern wir verehren in seinem hohen Amt seine persönliche Tüchtigkeit, den Wollenden, den großen Arbeiter für die Nation. Und deshalb ist der Nation das Ceremoniell und die äußerliche Darstellung seines Kaiserthums nur soweit erträglich, als das Unwesentliche nicht die Zeit und den Ernst seines thätigen Lebens beengt.

 


 


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