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Der Kronprinz war vierzig Jahre alt, da er als siegreicher Feldherr aus dem Kriege heimkehrte. Nach seiner Erscheinung die glänzendste Heldengestalt, welche je unter einem deutschen Helme geschritten ist, dem Heere als einer seiner großen Kriegsfürsten theuer, in der Auffassung des Volkes ein erprobter, fester Mann, nach jeder Richtung berufen, Nachfolger seines bejahrten Vaters zu werden, ein aufsteigender Stern für viele patriotische Wünsche und Hoffnungen, denen die Gegenwart völlige Erfüllung nicht bieten wollte. Kaum war ein schöneres und mehr Glück verheißendes Dasein zu denken, als das seine nach allgemeiner Meinung war. Aber nie sind durch das Geschick irdische Hoffnungen in gleich schmerzvoller Weise als eitel erwiesen worden. Für die Nation waren die siebzehn Friedensjahre, in welchen Kaiser Wilhelm uns noch erhalten blieb, eine Zeit des friedlichen Gedeihens, für den neuen Staat, im Ganzen betrachtet, eine glückliche Periode des allmählichen Einlebens in die Seelen und Gewohnheiten der Deutschen. Der Sohn und Thronerbe wurde das Opfer. Er allein hatte dafür den höchsten Preis zu zahlen, sein Glück, vielleicht sein Leben. Das ist ein Geschick, tragischer und furchtbarer, als die kühnste Erfindung sich einzubilden und zu schildern vermag. Das Wesen des alten Kaisers, welcher die Macht liebte, aber, wo es sich um Ernstes handelte, den Schein gering achtete, der durchaus nicht bereitwillig die Kaiserkrone auf sein Haupt genommen hatte, der von den angeborenen Rechten der deutschen Fürsten hoch dachte, und dieselben, wo er irgend konnte, sorgfältig zu berücksichtigen bestrebt war, dies ruhige, maßvolle Wesen eines bejahrten Herrn, der schon durch sein Alter vielen der Anspruchsvollen Ehrfurcht einflößte, war wie von der Vorsehung zuertheilt, um den deutschen Landesherren den Uebergang in das neue Wesen möglichst schmerzlos zu machen. Auch im Volke standen die Parteien unter dem Zauber dieser greisen Gestalt, die immer ehrwürdiger wurde, zuletzt wie ein Wunder erschien, und berechtigte wie unberechtigte Ansprüche allein durch ihre Dauer auf die Zukunft verwies. Aber der ihm am nächsten stand in Ehren und in der Zuneigung des Volkes, verlebte diese Zeit der Einrichtung eines neuen Lebens, die Feststellung des Kaiserreichs, das gerade er so heiß ersehnt hatte, zur Seite stehend, in thatlosem Harren. Er fühlte die Leere, eine gewisse Ermüdung trat ein, Verstimmung überkam ihn, welche immer größer wurde.
Daß die Einwirkung dieser Zeit den Kronprinzen so sehr niederdrückte, lag zum großen Theil in seiner Natur, deren Liebenswürdigkeit und Adel sich bei dem Verarbeiten starker Eindrücke kund gab, welche ihm das Leben entgegenbrachte, die aber durchaus nicht aktiv war. Wäre er mit rüstiger Thatkraft ausgestattet gewesen, so würde er trotz mancher Hindernisse eine Beteiligung an der Staatsregierung auf allen Gebieten durchgesetzt haben, welche dem Vater nicht vorzugsweise am Herzen lagen. Doch er besaß zwar den Fleiß und die Pflichttreue der Hohenzollern in Erfüllung einer gestellten Aufgabe, aber nicht die Unternehmungslust und Schaffensfreude, und auf den wichtigsten Gebieten der Verwaltung wohl auch nicht das Geschick zu befehlen, wie etwas werden sollte. Es wäre für ihn heilsam gewesen, in den ersten Jahren nach seiner Vermählung, wo Berlin ihm zuweilen ein unbehaglicher Aufenthalt wurde, als Gutsherr auf dem Lande niederzusitzen, dort mit einem tüchtigen Inspektor selbst Landbau zu treiben und dabei die Verwaltung in den Kreisen, die Bedürfnisse und Ansprüche des kleinen Mannes, die Interessen der Landwirtschaft aus eigener Erfahrung kennen zu lernen. Aber dieser Gedanke, der ihm wohl einmal nahe trat, erschien damals wegen des Mangels an eigenem Vermögen nicht durchführbar. Was der Kaiser nach dem Jahre 1870 that, um ihm eine bestimmte Thätigkeit zuzutheilen, das reichte nicht aus. Der Kronprinz erhielt die Inspektion über die süddeutschen Armeecorps, er reiste mit Blumenthal alljährlich einmal dorthin und übte durch sein Erscheinen und sein vertrautes Feldherrnbild, das den Offizieren und der Mannschaft das Herz warm machte, in der That eine sehr wohlthätige Einwirkung aus, aber diese Thätigkeit war doch nicht viel Anderes als fürstliche Repräsentation. Er wurde zum Protektor der Museen, der Kunstangelegenheiten ernannt, was ihm wohl mehr nach dem Herzen war. Er wurde nach dem Beispiel seiner Gemahlin auch ein warmer Beförderer des Kunsthandwerks, er hat in diesen Richtungen und bei zahlreichen, gelegentlichen Ehrenvorsitzen durch seine warme Beistimmung und zuweilen durch seine Einwirkung auf die Regierung allerlei Förderliches gethan, und wer genau zusieht, vermöchte darüber vieles Rühmliche zu berichten, aber solche Thätigkeit auf Seitenpfaden war zuletzt doch für einen großen Fürsten nur Zeitvertreib und Spiel. Der Sohn eines Gutsherrn, welcher mit seinem Hausstand in einem Nebengebäude der väterlichen Besitzung wohnt, mit jedem Thaler seiner Ausgaben auf die Einnahmen angewiesen ist, die ihm der Vater für das Jahr ausgesetzt hat, dessen Kinder sogar von dem Großvater das erhalten, was sie brauchen, und dem als Beschäftigung vielleicht die Aufsicht über die Parkanlagen des Gutes zugewiesen wird, der würde, wenn er als Mann von fünfzig Jahren noch ein solches Abhängigkeitsverhältniß zu ertragen hätte, für ganz besonders unselbstständig und unglücklich gehalten werden. Und doch ist die Lage des deutschen Kronprinzen eine ähnliche nach Hausgesetz und alter Ordnung, und die Persönlichkeit der Fürsten vermag darin nichts zu ändern. Eine solche eiserne Abhängigkeit von dem regierenden Herrn, in Preußen altherkömmlich, übt im Großen und Kleinen Einfluß auf das Verhältniß der Söhne zum Vater, auf die gesammte Auffassung der Familienrechte und Pflichten. Wie gut die Menschen sein mögen, wie schön das Familienverhältniß sich darstelle, der Druck solcher Unfreiheit lastet auf den Seelen der Abhängigen und dieser Druck wird in höheren Mannesjahren stets schmerzlicher gefühlt. Es fehlte auch in der Zeit des Harrens nicht an Erhebungen. Er selbst rühmte als einen Gewinn das herzliche Verhältniß, in welches er zum Könige von Sachsen gekommen war. Er empfand mit Selbstgefühl die Anerkennung, welche sein Wesen bei wiederholtem Aufenthalt in Italien erworben hatte und die freundschaftliche Verbindung zu dem italienischen Königshaus. Er beschäftigte sich fortdauernd mit den Denkwürdigkeiten seiner Zeit und seines eigenes Lebens, und legte sich Sammlungen an, auch von den Urtheilen der Presse über ihn selbst. Längere Zeit beschäftigte ihn der Nachlaß der Königin Elisabeth, den er zu ordnen hatte. Er fand darin merkwürdige Schriftstücke und Briefe, welche ihm unzweifelhaft machten, daß man in Preußen sowohl die politische Haltung, als auch die kirchliche Gesinnung dieser hohen Frau unrichtig beurtheilt hatte, und er trug sich mit dem Gedanken, diese Papiere später der Öffentlichkeit zu übergeben, damit dem Andenken der Königin die gerechte Würdigung zu Theil werde, welche sie während ihres Lebens entbehrt hatte. Er freute sich innig der reichen Erwerbungen für die Museen, die unter seiner Leitung geglückt waren, er beschäftigte sich gern mit Bauplänen für die Zeit seiner Regierung, zumal mit großen Bauten auf der Museumsinsel. Noch einmal hob sich seine Kraft, als er im Jahre 1878 nach der Verwundung des Kaisers zur Stellvertretung berufen wurde. Die gehäufte Arbeit, die Verantwortung, das hohe Amt gaben ihm eine Zeit lang Spannung und seinem Geist neue Schwingen, zur Freude und Ueberraschung seiner Umgebung. Aber mit dieser verantwortlichen Thätigkeit entwich wieder der Lebensmuth. – Lange hatte der Kronprinz das Glück gehabt in seiner nächsten Umgebung zwei Männer nacheinander zu besitzen, die beide ungewöhnlich begabt, nach Bildung und Charakter des höchsten Vertrauens werth waren. Ernst von Stockmar erkrankte bald und blieb von 1864 bis zu seinem Tode der bescheidene Vertraute des kronprinzlichen Paares. Durch ihn empfohlen, übernahm Karl von Normann das Kabinet, und dieser blieb durch zwanzig Jahre, in der Zeit, wo der Kronprinz die großen Erfolge seiner Mannesjahre zu verzeichnen hatte, in seiner Nähe. Seit Normann im Jahre 1884 in den auswärtigen Dienst zu treten veranlaßt wurde, war der Kronprinz da vereinsamt, wo ihm ein treuer Beirath am nothwendigsten war. Seine nächste männliche Umgebung war eine militärische, welche wechselte. Er gab sich mit Vorliebe trüben Gedanken und pessimistischen Stimmungen hin, er trug sich zuweilen mit der Idee, im Falle eines Thronwechsels dem Thron zu entsagen und dem Sohne die Regierung zu überlassen. Sogar die Zureden der Kronprinzeß vermochten diesen Trübsinn nicht auf die Dauer zu bannen. Er kümmerte sich noch in seiner Weise um Staatsangelegenheiten, forderte Vorträge und Denkschriften und erhielt reichlicher solche, die er nicht gefordert hatte. Er sah zuweilen zu vertraulichem Gespräch Mitglieder der freisinnigen Partei und sprach dann wohl seine Unzufriedenheit mit Maßnahmen der Regierung aus, aber die Zunahme der Ermattung in seinem Wesen wurde Solchen, die ihn in seiner Jugend gekannt hatten, zu bitterem Leid bemerkbar. Er begann an Geist und Leib zu altern, und schon lange bevor die furchtbare Krankheit an ihm zu Tage kam, durfte man trauernd sagen, daß sein Lebensmuth nicht mehr der eines Mannes war, welcher demnächst für seine Nation die Kaiserkrone tragen sollte.
Als die Krankheit zerstörend an sein Leben trat, verklärte sich nach dem langen Schwanken zwischen Furcht und Hoffnung die Eigenart seiner Natur, die Lauterkeit seiner Seele und die Herzensfreundlichkeit und Milde. Er, der im Kriegsgetümmel seinem Heere als ein furchtloser Eroberer erschienen war, sollte als stiller Dulder in dem Gemüth der Zeitgenossen fortleben. Ein banges, langes Dahinsterben war sein Kaiserschicksal; die Krone, welche er einst so heiß für sein Geschlecht und sich ersehnt, sank nur wie der Lichtschein im Bilde den Märtyrer krönt, auf sein Haupt. Es blieb ihm erspart Antwort auf die dringenden Fragen zu geben, welche die Nation an die Person seines Herrschers richtet, und die höchste Ehrenwürde, die Machtfülle des Gebietenden, wurde ihm nur als ein Traumbild zu Theil, während der Leib an das Lager gebannt kraftlos lag.
Solchem Schicksal gegenüber ist es vermessen zu streiten, wie er als Herrscher geworden wäre. Die auf ihn hofften, wollten an ihm sehen, was sie am meisten begehrten, und die besorgt sein Wesen abschätzten, vermochten nicht zu beurtheilen, was das Amt und die Herrschaft in einem gesunden Herrn an Kräften und Neigungen entwickelt hätten. Er war ein offener, redlicher Mann von lauterem Sinn und warmem Gemüth, mit einem Herzen voll Menschenliebe, mit der Fähigkeit, sich über alles Gute und Große innig zu freuen. Er war so menschenfreundlich und gegenüber einem Leidenden so voll von Empfindung, daß auch die zahllosen bitteren Erfahrungen, welche die Großen der Erde über Unwerth der Hilfesuchenden machen, ihm nicht den Antheil an dem einzelnen Fall beeinträchtigten. Gegen Solche, welche er persönlich näher kannte, war er von der zartesten Aufmerksamkeit, er fühlte alles Widerwärtige, das sie traf, als treuer Freund in inniger Theilnahme mit. Er war im Grund seiner Seele weich und leicht erregt, ein Mensch von seltener Reinheit und Innigkeit.
Er war ein warmer Protestant, in allen religiösen Fragen von einziger Duldsamkeit und zu seinen stärksten Abneigungen gehörte die gegen engherzige Pfaffen. In der Staatsverwaltung widerstrebte ihm Polizeiherrschaft und Bevormundung, den Gemeinden wünschte er ausgedehntes Selbstregiment, jeder ehrlichen Thätigkeit die freieste Bewegung. Das aber waren bei ihm Stimmungen, denen die Kenntniß der Zustände im Volke nicht ganz entsprach, und es wäre ihm schwer geworden seinen Willen gegenüber gewandten Einwürfen aufrecht zu erhalten. Denn er war kein Geschäftsmann, sein Urtheil war in großen Angelegenheiten nicht geprüft und auch wo er einmal lebhaft wollte, war er in der Ausführung abhängig und unsicher, zuweilen wehrlos gegenüber den Hindernissen, nach dieser Richtung war er mehr gemacht geleitet zu werden, als Andere zu führen. Er war sehr geneigt, die Selbständigkeit eines Anderen anzuerkennen und man durfte ihm gegenüber eine Ueberzeugung mit dem größten Freimuth aussprechen, auch wenn sie seine eigenen Gedanken angriff. Er war aber auch geneigt da, wo er behaglich erscheinen wollte, in Scherz und Ausdruck sich gehen zu lassen und es begegnete ihm, daß sein scherzhaftes Wesen auf Andere nicht wohlthuend wirkte, vielleicht deshalb, weil der Grundzug seines Wesens ernst war und er sich zu der guten Laune zuweilen nöthigen mußte. Und er selbst war sehr empfindlich gegen jeden Verstoß Anderer in der Form und verlangte auch in Kleinigkeiten Beachtung seiner Würde. Wenn er aber in sich selbst nicht fand, was ihn aus der Verstimmung oder aus kleinlichen Anschauungen heraushob, so war seine Seele um so empfänglicher für jeden Eindruck von Außen, der schön und groß war, und für alle Anregung des Lebens, die in ihm selbst ernste Gedanken weckte. Er wurde unablässig als schöne Heldengestalt gefeiert und er selbst war wohl deshalb geneigt, seiner Erscheinung große Bedeutung zuzuschreiben und sich dieselbe je nach der Situation und der Aufgabe, die er zu lösen hatte, zurecht zu legen. Aber das Gemachte in Antlitz, Blick und Geberde schwand dahin, sobald eine hohe Empfindung ihm in die Seele trat, dann strahlte sein Auge, eine bezaubernde Heiterkeit flog über die zurechtgelegte Miene und in solchen Augenblicken war er in der That von hinreißender Schönheit.
Längere Zeit war sein Begehren, eine beherrschende Stellung über den Standesgenossen zu erhalten, und in dieser Grundstimmung war er zuweilen wenig geneigt, die historischen Rechte der deutschen Fürsten und ihre Ansprüche auf Gleichheit des Ranges zu beachten. Aber gerade was er so eifrig wollte, die Erhöhung seines Hauses durch die Kaiserkrone, das wurde vor Allem eine Sicherung der erhabenen Stellungen deutscher Landesherren, ja in Vielem auch eine Vergrößerung ihres Einflusses. Jetzt erst wurde ihre Landeshoheit im Reiche durch eine gesetzliche Uebereinkunft zwischen den Fürsten und der gesammten Nation befestigt. Und ihnen vor Anderen kam die neue Richtung des kaiserlichen Staatswesens auf vornehme Darstellung zu Gute. Bei der Uebernahme der Kaiserwürde durch Wilhelm II. erhielten unsere Landesgebieter völlig und reichlich Gelegenheit, ihre Bedeutung vor der Welt zu erweisen, und sie haben dies mit Vaterlandsliebe und mit richtigem Verständniß ihres eigenen Vortheils in ausgezeichneter Weise gethan. Ihnen blieb erspart die Erhebung eines ihrer Standesgenossen an heiliger Stelle unter ihrer demüthigenden, passiven Mitwirkung, und uns das Gepränge einer Kaiserkrönung mit deren leerem Ceremoniell.
Aber der Tod des Sohnes, der so schnell auf den des Vaters folgte, hat nach anderer Richtung unserer höchsten Staatsleitung eine Besonderheit zugetheilt. Daß an den Großvater sich fast unmittelbar der Enkel reihte, hat Etwas von der geistigen und gemüthlichen Eigenart des älteren lebenden Geschlechts dem Throne ferngehalten. Denn wie verschieden die Natur, Anlage und Charakter der einzelnen Herrscher sei, jeder stellt in seinem Wesen Vieles von dem eigenthümlichen Inhalt der Jahre dar, aus welchen er in frischer Jugend Eindrücke, Ansichten, Bildung am reichlichsten erhielt. Und jeder Herrscher, auch der größte und trefflichste, ist als Kind seiner Zeit mit einer Einseitigkeit behaftet, gegen welche ein jüngeres Geschlecht und im Bunde mit diesem die Persönlichkeit des nachfolgenden Sohnes bewußt oder unbewußt protestirt. So war das Verhältniß aller Könige von Preußen zu ihren Vorgängern: Friedrich Wilhelms I. zu seinem Vater Friedrich I., Friedrichs des Großen zu seinem Vater und so fort bis in unsere Zeit. Mit jedem Nachfolger trat eine Ergänzungsfarbe zu dem Wesen des Vorgängers hervor, wohl oder übel, zum Heil oder Unheil, aber nicht zufällig, sondern nach einem hohen Lebensgesetz. Auch in den Brüdern Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I. gelangten entgegengesetzte Ausstrahlungen ihrer Zeitbildung zur Herrschaft: Schelling und Herbart, Tieck und E. M. Arndt, Radowitz und Moltke, Manteuffel und Bismarck. Diesmal aber ist den Deutschen die Ergänzungsfarbe ausgefallen. Eine Fürstenseele ist geschwunden, welche nach Aufhebung der Censur, nach 1848 herauswuchs, in einer Zeit des Widerspruchs gegen engherzige Beamtenherrschaft, in Jahrzehnten, wo nicht die Kraft des Heeres, sondern die leidenschaftliche Bewegung des Volkes die Fortschritte des Staates bewirkte; geschwunden der Sproß einer langen Friedenszeit, in welcher die Arbeit der Wissenschaft und schönen Kunst dem deutschen Gemüth oft das beste Selbstgefühl, den reichsten Inhalt gegeben hatte, ein Gemüth, in dem der Drang nach Freiheit und schöner Entfaltung der Volkskraft lebendiger war als der nach Zucht durch das Heer und den Staat. – Denn von diesen Einwirkungen und von Anderem, was von 1848 bis 1864 auf dem deutschen Grunde erblüht war, bewahrte die Seele des Kronprinzen, wie die seiner meisten Altersgenossen, Inhalt und Farbe, die ihm eigenartig waren, ungleich dem Wesen seines Vaters, und ungleich den maßgebenden Neigungen im Gemüth seines Sohnes, der seit der Kaiserzeit unter dem Helm erwachsen war.
Wer vermöchte zu sagen, ob das Ausfallen dieser eigenthümlichen Mischung von Bildungselementen einen Einfluß auf die nationale Entwickelung haben wird? Denn solche Zeitfärbung des Herrschers ist ja nur eine von den Eigenschaften, welche seinen Inhalt ausmachen, und es giebt viele andere, welche bedeutsamer sein mögen. Aber auf die Thatsache dürfen wir hinweisen, auch wenn wir den guten Geistern unseres Lebens fröhlich vertrauen.
Die Hohen der Erde, zu denen ein ganzes Volk aufschaut, sind noch heut in ähnlicher Lage wie in jenen alten Zeiten, in denen die Heldensage die volksthümliche Form geschichtlicher Überlieferung war. Nach ihrer Erscheinung und nach einzelnen Lebensäußerungen, welche in weiten Kreisen bekannt werden, formen die Mitlebenden sich das Bild derselben. Immer sind bei solcher Arbeit gemüthliche Stimmungen des Volkes thätig, Liebe oder Abneigung, dazu die geheime Sehnsucht, eine Gestalt zu besitzen, welche den Wünschen der Lebenden entspricht. Vor jedem Menschen, der uns nahe tritt, ist unsere Gestaltungskraft in ähnlicher Weise thätig und in diesem Sinne sind auch die Bilder vertrauter Angehöriger und Freunde stets Idealbilder, welche Vieles und Bedeutendes aus dem fremden Leben zusammenschließen, bei Jedem eigenthümlich und etwas anders geformt, je nach der Persönlichkeit des Auffassenden und nach seinem Verhältniß zu dem Andern. Aber die Gestalten der Höchsten auf Erden, wie sie von den Zeitgenossen aufgefaßt werden, unterscheiden sich von anderen vertrauten Menschenbildern schon dadurch, daß die Beobachtung ihres inneren Lebens, die doch nur Wenigen möglich ist, nicht reichlich das Urtheil der Millionen beeinflußt, dagegen wirkt unaufhörlich und in Fülle die Beobachtung ihrer Darstellungen nach außen. Ferner müssen die meisten Aeußerungen einer hohen Persönlichkeit, welche der Nation bekannt werden, wohl überlegte und für die Öffentlichkeit zugerichtete sein. Außerdem aber ist in vielen Fällen jene Sehnsucht des Herzens übermächtig, in der Gestalt wiederzufinden, was das Gemüth der Zeitgenossen ersehnt.
An den idealen Bildern der Fürsten arbeitet die öffentliche Meinung, die Presse und die Beobachtung Einzelner, oft wandeln sich die Bilder lange, je nach dem Maße der Bewunderung oder Abneigung. Allmählich gewinnen sie Festigkeit und Bedeutung, werden durch Lehre und Schrift Andern vermittelt und durch neue Anekdoten und Zusätze, welche zu den Grundlinien des Bildes sich fügen wollen, bereichert. Alle diese volksmäßigen Vorstellungen enthalten in unserer Zeit viel Wahres, zuweilen empfindet das Volk, mehr ahnend als verstehend, die Wesenheit besser als die zerlegende Kritik. In anderen Fällen ist das wirkliche Leben der Großen, ja auch das Tüchtige in ihrem Wirken, in Vielem anders beschaffen, als die Entferntstehenden sich einbilden. Man braucht nicht weit nach Beispielen zu suchen. Der alte Fritz, dem Gemüthe der Preußen eine so vertraute Gestalt, ist etwas Anderes als der alternde Friedrich II. in Wirklichkeit war; Friedrich Wilhelm III., wie er in den Herzen des älteren Geschlechts fortlebt, ist wesentlich verschieden von dem hohen Herrn, der im Jahre 1813 so mißtrauisch auf die kriegerische Erhebung seiner Preußen sah und im Jahre 1839 den wackeren Arndt noch als eine Art Hochverräther betrachtete. Auch das gegenwärtige Geschlecht hat bei dem Einbilden seiner Helden dieselbe Treuherzigkeit erwiesen. Prinz Friedrich Karl z. B. lebt in der Erinnerung des Heeres fort als ein stürmischer, jugendlicher Held, wie er sich darstellte, wenn er als rother Husar über das Manöverfeld jagte, und doch war derselbe im Kriege selbst, zuweilen wo Eile noth that, mit einer pedantischen Neigung zu langsamem Verfahren behaftet (Einmarsch in Böhmen, Vormarsch am 18. August, Zug gegen Orleans), ein anderesmal mit vorschneller Unruhe (St. Privat). Auch Kaiser Friedrich III. ist nach Auffassung des Volkes der starke Schlachtensieger und doch war ihm das militärische Wesen nicht recht nach dem Herzen, das Befehlen auf dem Uebungsfeld durchaus nicht geläufig, und im Kriege führte er die militärischen Aufgaben eines Feldherrn nur deshalb vortrefflich durch, weil er seinem Generalstabschef durchaus vertraute und die fürstliche Schaustellung, sowie die Verantwortung sehr bereitwillig auf sich nahm; und wer sagen wollte, er ist zum berühmten Feldherrn geworden ohne daß er ein tüchtiger Soldat war, der würde dem geliebten Toten kein Unrecht thun.
Freilich fehlt auch mißgünstige Auffassung hoher Herren nicht. Abgeneigte Stellung derselben zu leidenschaftlichen Forderungen der Gegenwart macht ebenso leicht ungerecht gegen sie; dann wird behend das Gesammtbild ihres Wesens verzogen, Nachtheiliges ohne Prüfung geglaubt und gern verbreitet. Der Prinz von Preußen im Jahre 1848 und Kaiser Wilhelm im Jahre 1888, der Gehaßte und der Vergötterte waren derselbe Mann, und es bedurfte ein halbes Menschenalter, bevor die Nation ihre Auffassung dieses Fürsten so umwandelte, wie geschehen ist. Denn die Deutschen sind eifrig in Allem, was sie thun. Haben sie einmal begonnen, an ihren Helden abfällige Kritik zu üben, so werden sie leicht mürrisch, kratzbürstig und argwöhnisch im Uebermaß. Aber ihnen selbst ist währenddem gar nicht wohl zu Muthe, sie empfinden es als eine Erquickung, wenn ihnen Gelegenheit geboten wird, sich von diesen Gemüthsstimmungen zu befreien, und als ein hohes Glück, wenn sie thun können, was am meisten nach ihrer Natur ist: aus vollem Herzen zu lieben und zu verehren. Die deutsche Gefolgetreue ist noch vorhanden, und noch eben so stark, wie sie in der Urzeit war.
Die Zeitungen geben täglich den Lesern reichliche Gelegenheit, sich mit der Person hoher Herrschaften zu beschäftigen. Es giebt auch im Tagesleben derselben kaum eine Kleinigkeit, die aus der Ferne beobachtet werden kann, welche nicht sofort Millionen berichtet wird. Daß sie ausgefahren sind, daß sie in einem Laden Einkäufe gemacht haben, wann sie eine Schaustellung besucht, wen sie zu Tische geladen, ja in welchem Rock sie erscheinen, wird Gemeingut der Leser. Ob solch unablässiges Vorführen der Fürsten den Zeitungslesern vortheilhaft ist, soll hier nicht untersucht werden, für die Fürsten selbst wird diese Geschwätzigkeit zuweilen Belästigung, jedenfalls ein Zwang, der ihr ganzes Wesen beeinflußt. Wenn sie schon als Kinder merken, daß jedes Wort, alles Thun ein Gegenstand des Interesses für die versammelten Zuschauer ist, so wird solche Ueberzeugung sehr früh dazu beitragen, ihnen Haltung, Vorsicht und größere Aufmerksamkeit auf Rede und Thun zu geben, aber sie werden auch sehr früh veranlaßt sich wirksam darzustellen und ihre Rolle zu spielen. – Denn die äußere Erscheinung des Fürsten: Uniform, Miene, Geberde, das gesprochene Wort sollen wirken. Je umfangreicher die Repräsentation, um so größer wird der Zwang der Selbstbeobachtung. Da der Fürst weiß, daß jede Aeußerung, die er in der Unterhaltung fallen läßt, belauscht, erwogen, weiter erzählt wird, so muß er doch seine Rede darnach bemessen. Ist vollends ein Herr in der Lage, öffentlich zu sprechen, so wird jeder Satz seiner Rede nach dem unvermeidlichen Druck derselben von Millionen als bedeutungsvoll begutachtet. Es ist daher ganz in der Ordnung, wenn der vielbeschäftigte und zerstreute Herr sich die Rede von einem vertrauten Manne niederschreiben läßt und sich dieselbe einprägt. Sie wird dadurch, daß er sie spricht, die seine, denn er übernimmt die Verantwortung; aber er gewöhnt sich dabei auch fremden Geist als den seinen auszugeben und muß sich gefallen lassen, vielleicht mit Behagen, daß seine eigene Auffassung, seine Bildung und sein Verständniß nach den wohlerwogenen und gescheidten Worten des Andern geschätzt wird.
Das deutsche Treugefühl, die holde Tugend der Germanen, ist seit der Urzeit bis zur Gegenwart in unverminderter Stärke geschäftig, die Bilder der höchsten Herren unseres Volkes zu formen. Es gestaltet Millionen das Verhältniß zu ihren Fürsten herzlich und anmuthig. Sogar dem gelehrten Geschichtsforscher schwebt es um den Arbeitstisch, mehrt die Freude an der Arbeit, hilft ihm Vergangenes deuten und die überlieferten Züge werther Fürsten zu verständlichen Charakteren bilden. Wie groß seine Gewissenhaftigkeit, wie sicher sein Urtheil sei, die Zuneigung hebt ihm die Vorzüge der Helden, die seine Arbeit zu schildern hat, und mildert die Schatten, welche er, um wahr zu sein, von seinen Gebilden nicht fern halten darf. Aber wie jede Art von Herzenswärme, birgt diese gemüthvolle Ergebenheit eine Gefahr, und es bedarf für den Deutschen der Wachsamkeit, damit er in der Hingabe nicht das ehrliche Urtheil verliere. Diese Gefahr bedroht den Fürsten wie das Volk, welches treu an ihm hängt. Wir sehen leicht, was wir finden wollen; jede Lebensäußerung des Herrn, der durch seine Stellung und Lebensaufgabe der Nation werth ist, erscheint bedeutsam und werthvoll, während sie an einem Andern unbeachtet bliebe; in gleichgültige Worte wird ein besonderer Sinn gelegt, der gewöhnliche Scherz wird als geistvoll gerühmt, auch ein mattes Interesse des Helden, das in anderen Menschen für selbstverständlich gelten würde, wird gefeiert. Und wenn das Volk jahrelang seine Fürsten an solche Bewunderung gewöhnt hat, wie darf es Wunder nehmen, daß diese selbst eine große Meinung von dem erhalten, was sie reden und thun, auch wenn es nicht ungewöhnlich ist? Wenn die kleinste Beachtung, welche der Fürst einem Menschen gönnt, diesen erhebt und glücklich macht, so gehört für den Fürsten eine außerordentliche Bescheidenheit dazu, damit er nicht eine hohe Meinung von seiner Erhabenheit über Andere erhalte, und in diesem Sinne darf man sagen, die Nation verzieht unablässig ihre Gebieter, am meisten die, welche sie am meisten liebt. Vielleicht ist die höchste der Tugenden, welche an einem vollendeten Fürstenleben zu rühmen sind, daß der Herr bis an das Ende seiner Tage sich richtige Selbsterkenntniß, den maßvollen Sinn und die bereitwillige Anerkennung fremdes Werthes bewahrt habe.