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Die Reisewege nach dem gelobten Lande waren zur Zeit Ivos den Leuten besser bekannt, als in späteren Jahrhunderten, jedes Kloster bewahrte Beschreibungen der Fahrt; kaum einen Hof und kein größeres Dorf gab es, aus welchen nicht seit Menschengedenken einzelne die Pilgerreise gemacht hatten, entweder im Kreuzheer oder als friedliche Waller. Die Burgmannen von Köln, Bremen und Lübeck fuhren auf ihren hochbordigen Seeschiffen, den Koggen, häufig mit Pilgern und Waren in das südliche Meer, kämpften dort gegen die Seeräuber und warfen ihre Anker an den griechischen Inseln und der syrischen Küste neben den Galeeren der reichen Handelsherren von Pisa, Genua und Venedig. Auch im Innern des Landes waren die Waren des Orients begehrte Handelsartikel; in jedem wohlhabenden Haushalt besserten die Frauen den herben Wein mit indischem Pfeffer und Zimt; die Goldarbeiten, Rüstungen und Seidengewebe der Griechen und Syrer galten für den wertvollsten Schmuck der Vornehmen, und Ivo selbst dachte jetzt gern daran, daß er mit Wasser aus dem Jordan getauft war, welches ein Bruder seiner Mutter heimgebracht hatte. Seit mehr als hundert Jahren war die christliche Ritterschaft nach dem Morgenlande gefahren, jetzt hatte sich die fromme Begeisterung in den Herzen gemindert, aber die Abenteuer und Heldentaten früherer Geschlechter wurden doch in den Edelhöfen und unter der Dorflinde gern als Sagen erzählt. Zumal die Thüringe waren stolz auf die Reisen ihrer Herren ins heilige Land, denn jeder der letzten Landgrafen hatte mit seinem Heeresgefolge sich dort kriegerisch gerührt. Man wußte in den Burgen auch Bescheid über die christlichen Herrengeschlechter, welche noch im Osten herrschten: auf Cypern, im Herzogtum Antiochien und dem syrischen Tripolis, man kannte den Namen des Sarazenensultans Elkamil, welcher jetzt um den Besitz des Königreichs Jerusalem mit seinen Verwandten haderte, und man hatte vernommen, daß der neue Zug von der Hafenfestung Accon, die noch in den Händen der Christen war, nach Jerusalem gerichtet würde.
Ivo fand schwer, seine Fahrt in der Eile zu rüsten, und sein Kämmerer Godwin hatte weit größere Mühe als im vorigen Jahre, durch Verkauf und Verpfändung von Dörfern und Hufen das Reisegeld zu beschaffen. In den letzten Tagen vor der Fahrt ritt Ivo nach dem Hofe des Richters. Der Alte schloß auf einen Wink des Edlen die Tür des Hauses, und in geheimem Gespräch vertraute dieser seine letzten Sorgen um Habe und Hof dem Nachbar. Als er sich zum Abschied erhob, war Friderun verschwunden, und der Vater mußte wiederholt ihren Namen rufen, bevor sie aus dem Garten trat. Bleich und ohne ein Wort zu sprechen, legte sie ihre Hand in die des Scheidenden, und als Ivo ernsthaft sagte: »Auf Wiedersehen im nächsten Mai, will's Gott«, da sah sie so starr und angstvoll in seine Augen, daß Ivo den Blick gar nicht vergessen konnte.
Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne vergoldeten den First des Herrenhofes, und die Rosse stampften ungeduldig unter den gewappneten Reitern, als Ivo zur Reise gerüstet über die Schwelle trat. Er streckte die Hände nach den Leuten des Hofes und Dorfes aus, welche sich in dichtem Haufen herandrängten. Den alten Kämmerer Godwin küßte er herzlich und empfing mit gesenktem Haupte den Segen des schluchzenden Greises. Sobald er sich auf das Pferd geschwungen hatte, stimmte Nikolaus das fromme Kreuzlied an: »In Gottes Namen fahren wir«, und als er sich vom Wege nach seinem Hofe umwandte, sah er den alten Godwin inmitten der Brücke auf den Knien und um ihn die Weiber und Kinder, mit aufgehobenen Armen des Himmels Segen für ihn herabrufend. Über die Mauern und Dächer des Hofes aber ragte der alte Turm seines Geschlechtes in düsterm Grau, nur die Zinnen leuchteten in feurigem Scheine.
Das erste Lebende, welches dem Ausfahrenden im Freien aufstieß, war ein Habicht, der vor ihm aufflog und hoch in der Luft über ihm kreiste. Während er dies gute Vorzeichen seinen Genossen wies, gesellte sich ein zweiter Raubvogel zu dem ersten und beide entschwebten miteinander in schnellem Fluge nach Osten, so daß Henner kopfschüttelnd sagte: »Sie weisen nach dem Morgen, aber nicht über die Alpen.«
Es war ein kleiner Haufe, der unter dem Kreuze dahinfuhr, außer den Dienstmannen Henner und Lutz noch ein Vasall, der junge Eberhard, welcher freiwillig folgte, zusammen vier Ritter und ebensoviel Knechte mit zwölf Rossen und drei Rüstwagen, von denen zwei, welche Reisevorrat führten, nur so lange zu fahren hatten, bis sie geleert waren. Nikolaus aber sollte, weil er der fremden Sprachen am besten mächtig war, die Gesellschaft bis zu ihrer Einschiffung im Hafen von Brindisi begleiten und dann, wenn es ihm gefiele, in den Hof zurückkehren und dort den Winter verbringen. Aber schon an den ersten Raststellen vergrößerte sich die Zahl der Begleiter, denn hier und da schlossen sich ritterliche Pilger an, und diese wählten Ivo zu ihrem Führer und sie gelobten einander bis zu den Schiffen treue Genossenschaft.
Solange die Reisenden durch deutsches Land zogen, war es eine fröhliche Fahrt, Ivo selbst fühlte eine Zufriedenheit, die ihm lange gefehlt hatte. Vor sich sah er ruhmvolle Arbeit eines Kriegers, und dabei träumte er von dem Wiedersehen der Geliebten. Die Freude lachte ihm aus den Augen und er sang mit Nikolaus um die Wette. Als die Waller aber über die Alpen in das Land der Lombarden hinabstiegen, wurden die Mienen ernster, denn ihre Rosse zogen müde dahin im Sonnenbrand, und die Pilger fanden fast überall kalte Blicke, vernahmen spöttische Reden und ärgerten sich über unchristliche Preise, welche die Welschen von ihnen forderten.
Und wie scharfe Windstöße schlugen üble Nachrichten von dem Kreuzheer ihnen entgegen: daß die Schiffe nicht zur rechten Zeit gekommen, daß das Heer Hunger leide, daß ein großes Sterben ausgebrochen sei, daß auch der Kaiser und der Landgraf von der Krankheit ergriffen worden. Bald sahen sie selbst die Bestätigung. Elende Haufen von Männern und Frauen zogen ihnen auf der Landstraße entgegen, zuweilen in stummem Jammer, die meisten mit Geschrei und Klage, sie versammelten sich um die Reiter, hoben flehend die Hände, drängten sich an die Rüstwagen und griffen gierig hinein; es waren Fremde von allerlei Volk, meist Engländer und Franzosen, in ihrer Sprache verwünschten sie den Kreuzzug und schrien Rache über Geistliche und Laien, welche so viele fromme Seelen in das Verderben geführt hätten. Je näher die Pilger der Stadt Brindisi kamen, desto kläglicher wurde, was sie erblickten. Die Landschaft sah aus wie ein ungeheures Schlachtfeld, überall Kreuze an unordentlich geschichteten Erdhaufen, Leichen von Pferden, bald auch von Männern und Frauen, beraubt und entblößt. Schwärme von Geiern und kleinen Raubvögeln schwebten träge auf, sobald die Reisenden vorüberkamen, und kehrten dreist zu ihrer eklen Beute zurück. Den mißfarbigen Boden bedeckten widerwärtige Lagertrümmer, dort rauchten noch die verkohlten Bretter einer Holzhütte, hier schlichen um Strohdächer bleiche Gestalten, und aus den Fensteröffnungen drang das Ächzen der Kranken, welche zusammengeschichtet darin lagen.
Am Wege stand ein Franziskaner, der einen schweren Quersack trug; er schrie den vorbeireitenden Schüler mit mißtönender Stimme an: »Hallo, singender Klaus, kommst auch du zum Gastmahl, welches hier für alle unnützen Vögel bereitet ist? Die vornehmen Wirte sind weggezogen und haben nur noch den Küchenabfall zurückgelassen. Deine Schelmenlieder kannst du hier vor den Toten und Sterbenden singen.«
Nikolaus verfärbte sich: »Bist du es, Dorso? Seit wann trägst du die Kutte?«
»Seit du dich dem Teufel verschrieben hast«, war die unhöfliche Antwort.
Als Ivo die deutsche Rede vernahm, lenkte er sein Pferd heran; vor ihm stand ein vierschrötiger Mann mit gekrümmtem Rücken und starken Armen und Beinen, der auf dem kurzen Hals einen übermäßig großen Kopf trug, so daß er aussah wie ein verknorzter Riese. »Wo ist das Heer?« fragte Ivo.
Der Mönch wies höhnisch auf einige helle Punkte in der glitzernden See: »Die letzten, welche noch leben, fahren dort hinaus. Wollt Ihr nach dem gelobten Lande, so mögt Ihr auf euren Gäulen durch das Meer schwimmen.«
»Wo ist der Kaiser?«
»Wenn Ihr die Heiligen des Himmels nach ihm fragt, so werden sie Euch schwerlich guten Bescheid geben, denn seine Untreue hat die frommen Gläubigen in Not gebracht.«
»Bist du ein Deutscher, du Schuft, so sprich mit Ehrfurcht von unserm Herrn«, rief Ivo, seine Gerte erhebend.
»Ihr selbst werdet, hoffe ich, Eure Ehrfurcht völlig verbrauchen, wenn Ihr erst einige Wochen in diesem Rosengarten lagert«, versetzte der ungeschlachte Mönch. »Der Herr verleihe Euch christliche Geduld, und wenn Ihr bei diesen Hütten in den letzten Zügen liegt, so vergeßt nicht den Schuft holen zu lassen, damit er Euch den letzten Segen erteile; sonst wird St. Peter Eurer armen Seele die Himmelstür zuschließen, weil Ihr einen Diener des Herrn gelästert habt.« Er rückte seinen Quersack auf die Achsel, so daß das Metall darin klirrte, und kehrte den Reisenden seinen Rücken.
Schweigend ritten die Genossen der großen Stadt zu, das Tor war bewacht, mit Mühe erhielten sie Einlaß. Aber in der Stadt fanden sie gehäuftes Elend. Längs der Mauer lagen die armen Kranken unter Dächern von Brettern und Segeltuch, durch die Straßen zogen Mitglieder der frommen Bruderschaften mit Kreuzen und Lichtern, alle Häuser waren mit traurigen Fremden gefüllt, die Straßen durch Unrat und umgestürzte Karren fast unwegsam. Und als sie zu dem Hafen durchgedrungen waren, fanden sie ihn leer, kein Segel darin, die ganze Umgebung wie ausgestorben. Unten schlugen die Wellen an die kahle Steinmauer und darüber wehte der Seewind an verstörte Gesichter.
»Harret hier,« gebot Ivo den Genossen, »wo die Luft rein ist und der Jammer nicht den Sinn betäubt.« Er selbst ritt mit Nikolaus zurück in die Straßen der Stadt, sie hielten oft an und fragten, vernahmen aber nichts Tröstliches. Endlich lenkte Ivo zu einem kleinen Hause, an dem ein weißes Schild mit schwarzem Kreuze hing, dem Spital der deutschen Marienbrüder. Ein alter Ordensmann, der dort unter den Siechen zurückgeblieben war, gab willigen Bescheid: »Der Kaiser und der Meister hatten eine Kriegsfahrt waffentüchtiger Männer aus unserer Heimat gerüstet; dem heiligen Vater aber lag eine allgemeine Fahrt der Christenheit mehr am Herzen, und er sandte daher die Bettelmönche durch alle Länder. Denn es gab manche, welche uns Deutschen die Ehre beneideten. Da sammelte sich gleich Heuschrecken ein ungeheurer Schwarm wilden Volkes aus jedem Lande, außer Männern und Weibern auch Kinder. Für ihn reichten weder Schiffe noch Lebensmittel. Der verlorene Haufe lagerte sich um die Stadt, zuerst sang er, dann raubte er, bis er aus Mangel verging und uns die Seuche zurückließ. Jetzt erhebt sich Geschrei und Fluchen gegen die, welche die Kreuzfahrt zugerichtet haben. Darf ich Euch raten, Herr, so weicht ohne Zaudern von dieser Stätte des Unheils. Ich vernahm, daß zwei Tagereisen südwärts, im Hafen von Otranto, Schiffe aus Bremen angelegt haben; auch der Landgraf wollte landen. Vielleicht gewinnt Ihr dort die Überfahrt.«
Ivo schied mit Dank von dem Landsmann, und die Reiter wendeten sogleich die Häupter ihrer Rosse dem Süden zu und atmeten frei auf, als sie dem Dunst und dem Gestöhn des Kreuzlagers entronnen waren.
Als die Reisenden sich am zweiten Tage darauf der Burg Otranto näherten, fanden sie den Weg durch ein hölzernes Gatter gesperrt, dahinter lag ein steinernes Wachthaus, vor welchem ein Wächter mit Schwert und kurzem Spieß auf einer Bank saß. Henner ritt vor und forderte Durchlaß, der Wächter schrie, ohne aufzustehen, in welscher Sprache nach dem Wachthause zurück, gleich darauf traten zwei Männer heraus, mit dunklen, faltigen Gesichtern und riefen in strengem Tone über die Schranken Befehle, die Herr Henner nicht verstand. Hilflos sah er sich nach dem Schüler um, welcher vorreitend erklärte: »Sie gebieten uns, abzusteigen.« »Wie,« rief Henner entrüstet, »diese Männlein wagen uns von den Pferden zu drängen? Sagt ihnen, wenn sie ihre schlotternde Haut unversehrt nach Hause tragen wollen, so sollen sie sich beeilen, die Sperre zu öffnen.«
»Ich widerrate solcher Drohung,« sagte Nikolaus ernsthaft, »soweit ich den Brauch dieses Landes kenne, sind es Beamte des Kaisers, und sie haben ein Recht zu ihrer Forderung.«
»Beamte?« fragte Henner verächtlich. »Seit wann lungern die Herren, welche dem Kaiser dienen, an der staubigen Landstraße?«
Der Schüler rief in Latein zurück: »Wir sind Kreuzfahrer und reiten im Gefolge eines edlen Herrn.«
Aber ungerührt entgegnete einer der Schwarzhaarigen mit einem Wirbel fremder Worte und begleitete seine Rede mit drohender Gebärde.
»Was sprudelt der Zwerg?« fragte Henner, aufs höchste entrüstet.
»Sie wollen unser Reisegerät durchsuchen, ob etwas Zollbares darin ist, und fordern unsern Passierschein.«
»Zollbares? Wir sind nicht Kaufleute; und was bedeutet ein Passierschein? Wenn das Geschriebenes ist, so mögen sie sich bei einem Pfaffen darnach erkundigen.«
»Das ist in Apulien und Sizilien so Brauch«, belehrte der Schüler. »Überall hält der Kaiser Bewaffnete zu Roß und zu Fuß, welche die Reisenden nach Freibriefen fragen und solche in Haft nehmen, denen das fehlt, was sie die Legitimatio nennen. Ich rate Euch, Herr, nachzugeben, sonst entsteht Unheil.«
»Bei St. Georg,« schwor Henner, »das mag unter Sarazenen und Mohren gebräuchlich sein, aber einem christlichen Deutschen wäre es Schmach, sich solcher Zumutung zu fügen. Öffne, du Mißgestalt,« rief er, »oder ich renne dir das Gitter ein.«
Als der Apulier die drohende Bewegung des Reiters sah, winkte er seinen Begleitern, welche sich in achtungsvoller Entfernung vor dem Schlagbaum quer über den Weg stellten, worauf die beiden Beamten sich hinter diese Hecke zurückzogen und heftige Worte gegen die Fremden richteten.
»Hier muß ein Ende werden,« rief Henner, »dort naht bereits unser Herr; habt die Güte, Lutz, die Valets anzurufen, daß sie eine Axt vom Rüstwagen bringen.« Mit mächtigem Satze trieb er das Pferd über das Gitter, brach durch die Bewaffneten und packte mit jeder Faust einen der Beamten beim Kragen, schwenkte sie an den Sattelknopf und drückte sie fest, daß sie jämmerlich schrien. Als Lutz seinen Marschalk im Angriff sah, zögerte er nicht, ihm auf demselben Wege zu folgen, er riß dem einen Wächter den Speer aus der Hand und stieß den andern beiseite, so daß beide brüllend davonliefen. »Ich erbitte Euren Riemen, Herr Lutz,« fuhr Henner erfreut fort, »damit ich meine Hasen am Sattel befestige.« Unterdes sprengte ein Knecht durch Axtschläge das Gitter, und als Herr Ivo, den der Schüler ängstlich geholt hatte, herankam, war das Werk getan. »Ich sorge, Marschalk, dies wird ein böser Handel,« sagte Ivo, »und ersuche Euch, die beiden Männer loszubinden, denn sie haben, wie ich vernehme, nur nach dem Befehl des Kaisers gehandelt.« Als Henner zögerte, nahm er ihm die Riemen aus der Hand, und da ihm der Schüler zuflüsterte: »Gebt ihnen Geld, das ist hier das letzte Mittel, solchen Streit zu vergleichen«, griff er in die Tasche, drückte jedem der Männer ein Silberstück in die Hand und löste die Riemen. Die Beamten schlossen die Finger über dem Gelde, aber nur, um die Faust zu ballen, sich feindlich auf den Weg zu stellen und die flüchtigen Wächter zurückzurufen. Von neuem begann das Geschrei, und der Schüler riet ängstlich: »Gebt ihnen mehr, noch sind sie nicht zufrieden.«
»Sie haben doch Geld genommen«, versetzte Ivo, und rückwärts gewandt, rief er: »Schließt euch um den Wagen zusammen, mögen sie es jetzt versuchen, uns zu hindern.«
Auf einem Hügel in der Nähe wurde ein Trupp Reiter sichtbar, die Abendsonne vergoldete Rüstungen und Gewänder, Ivo grüßte, den Speer senkend und die Reisekappe lüftend. Er bemerkte, wie die Wächter zu dem Trupp liefen, dort niederfielen und die gehobenen Arme heftig bewegten. Gleich darauf lösten sich einige Reiter von der Gesellschaft und sprengten auf die Fahrenden zu. Ivo ritt ihnen entgegen, nannte seinen Namen und die Absicht der Fahrt und entschuldigte die Gewalttat seiner Mannen so gut er vermochte. Die strenge Miene des Anführers entwölkte sich, und er antwortete in deutscher Sprache: »Ihr werdet Euch gefallen lassen, daß die Beamten mit ihren Augen Euer Reisegerät mustern, damit dem Gebot des Kaisers Genüge geschehe, ich will sorgen, daß sie Euch nicht weiter belästigen. Vermeidet, in der Stadt Herberge zu suchen, sie ist überfüllt durch das Gefolge des Kaisers und der Kaiserin; habt Ihr Zelte, so schlagt sie nahe am Hafen auf. Einer meiner Speerreiter soll Euch begleiten.« Ein junger Krieger jagte pfeilschnell an die Spitze des Zuges. Der Turban, den er über der Eisenkappe trug, sein runder Schild und sein Speerschaft aus Rohr verrieten, daß er zu der maurischen Leibwache des Kaisers gehörte. »Wenn Ihr aus Thüringen seid,« sprach der Reiter beim Abschiede mit ernster Miene, »so kommt Ihr nicht zu froher Stunde.« Bevor Ivo weiter fragen konnte, war der Herr zurückgesprengt.
Die Reisenden zogen im Abendlichte dem kleinen Hafen zu. Auf der dunklen Flut schwebten eine Anzahl Schiffe, welche der Kreuzflotte angehörten, längs dem Hafendamm lagen sizilische Galeeren, dahinter an ihren Ankern rundliche Kielschiffe aus den Nordmeeren; Boote fuhren hin und her, ein Teil der Reisenden war ausgeschifft und hatte die Zelte am Strande aufgeschlagen. Aber der freudige Ruf, mit welchem die Ankommenden die ersehnten Fahrzeuge begrüßten, wurde sogleich gedämpft, denn sie erkannten Verwirrung und Trauer an den Borden und am Ufer. Über den Schiffen wehten die schwarzen Flaggen, die Bewaffneten am Ufer rannten durcheinander oder standen in unordentlichen Haufen, und von den Verdecken erscholl Trauergesang und laute Totenklage. Henner ritt zu einem Haufen der Landgräflichen, und als er zurückkam, lasen die andern die Schreckenskunde in seinen Zügen, bevor er noch zu rufen vermochte: »Der Landgraf ist tot.« – Schweigend hoben sich die Reiter aus den Sätteln und warfen sich auf den Boden, für die Seele des Herrn zu beten. Jedem kam vor, als ob die blutlose Hand des Todes sich drohend gegen ihn selbst erhebe, Ivo dachte, während ihm die Tränen von den Wangen rannen, an die Stunde, wo er den Herrn zuletzt vor dem Altar gesehen hatte, wie in düsterer Vorahnung seines Endes, und neben ihm am Boden die verzweifelnde Gemahlin.
In ihrem Kummer achteten die Pilger nicht darauf, daß die Reiter, an denen sie vorübergezogen waren, näher herankamen und unweit ihrer Raststätte hielten, während zwei Männer von den Rossen stiegen und, in ihre Mäntel gehüllt, dem Uferdamm zuschritten.
Der eine von ihnen war Hermann, der Meister des deutschen Ordens, und der andere ein Herr von mäßiger Größe und zarten Gliedern. Sein Antlitz, fahl wie das eines Erkrankten, erschien noch bleicher durch die rötlichblonden Locken des Haupthaars, aber die Krankheit hatte nicht vermocht, die stolze Haltung zu beugen, in welcher er daherging. Dieser Herr war Kaiser Friedrich.
»Es war ein heller Frühlingsmorgen, der dort in Trauerwolken untergegangen ist«, begann Hermann, zu den Schiffen gewandt.
»Wahrlich,« antwortete der Kaiser, »nicht wie einen Fürsten des Reiches, sondern wie einen König betrauert das Volk diesen Toten. Einem sonnigen Morgen vergleichst du sein Leben, aber ein heißer Wettertag wäre es für den Kaiser und das Reich geworden, denn in seiner Seele lebte der Herrenstolz. Ein Glück, daß seine Brüder ihm nicht gleichen. Mancher wird sagen, daß sein Tod eine Strafe des Himmels war. Denn höheren Preis als jeder andere hat er von mir erzwungen, bevor er das Kreuz auf sich nahm; das Land Meißen, welches er dem Söhnlein seiner Schwester mit den Waffen entriß, habe ich ihm bewilligen müssen samt allen Einkünften des Reiches; vergebens hat die fromme Else sich geweigert, das Brot aus den geraubten Kornkammern zu essen, und vergebens hat sie, wie man erzählt, einen kranken Bettler in das Bett ihres Gemahls gelegt, um durch schwere Liebeswerke die rächende Vergeltung von seinem Haupte abzubitten.«
»Und doch hat Eure Majestät ihm selbst seine Würde erhöht.«
»Auch du hast deshalb meine Klugheit gelobt. Wie kann ich in dem fernen Deutschen Reich die Ordnung erhalten, Sicherheit auf der Landstraße und Ehrfurcht vor meiner Würde, wenn nicht durch die Fürsten und Bischöfe, welche als Gebieter mächtig auf ihren Stühlen sitzen. Hier in Apulien und Sizilien bin ich Herr, ich allein, und sie nennen mich einen scharfen Herrn, der ihnen in jeden Topf guckt. Daher gehorcht mir das ganze Land wie ein gut geschultes Roß. Auch für meine Deutschen hoffe ich eine bessere Zeit. Bin ich erst Gebieter über die Ostländer an diesem blauen Meer, dann sollen die Deutschen erkennen, daß ihre Fürsten ohnmächtig sind gegen den Kaiser.«
»Mehr vermögt Ihr als ein anderer Mann auf Erden,« versetzte Hermann, »dennoch seid auch Ihr ein sterblicher Mensch, und die Jahre bändigen Eure Kraft. Ihr seid einer, die Fürsten aber gleichen zusammen einer großen Bruderschaft, die Brüder wechseln und sterben, die Bruderschaft dauert.«
Der Kaiser lächelte. »Das spricht einer, der selbst ein Ordensbruder ist. Dennoch merke, Meister, alles Große und Dauernde auf Erden hat nicht eine Gesellschaft von Schwachen geschaffen, die sich zusammenschwor, sondern ein Held, der höher dachte als die andern alle. Du vertraust deinem Orden, deine Brüder jedoch hoffen auf dich, du bist der Starke, welcher Kleine großzumachen versteht, weil du klüger und fester bist als die andern.«
Der Meister schwieg, Friedrich lauschte auf den Trauergesang, welchen die Abendluft von den Schiffen herübertrug. »Auch ich war in seiner Gesellschaft zuweilen fröhlich. Noch war er des Kaisers Freund. Uns beiden wurde Antwort erspart auf die Frage: Wie lange?«
Hermann wies auf die Stelle, an welcher der Haufe Ivos die Zelte aufschlug: »Nicht alle Herren aus Thüringen folgten dem Banner des Landgrafen.«
»Das ist der Recke, dessen Heldenkraft meine Gitter zerbrach und meine Wächter schlug«, versetzte der Kaiser unfreundlich.
»Er war der einzige unter den Edlen aus Thüringen, der meine Goldgulden ablehnte, obgleich er nicht auf reichem Erbe sitzt.«
»Botest du ihm zu wenig?«
»Er meinte, es mindere seine Ehre, wenn er Geld nehme, um für den Himmelsherrn zu reiten.« Und der Meister berichtete einiges über Ivo.
»Ha«, rief Friedrich, das Haupt hebend. »Schon früher habe ich aus anderem Munde sein Lob gehört; ruf ihn her.«
Hermann eilte nach den Zelten. Die Sonne war untergegangen, aus dem Meere stieg die Dämmerung schnell am Himmel empor, als Ivo seinem Kaiser gegenübertrat. »Aus Thüringen seid Ihr, Herr?« begann Friedrich, »und doch rastet Ihr abseits von dem trauernden Haufen am Strande; seid Ihr jenen verfeindet?«
»In der Heimat habe ich Herrn Ludwig als meinen Nachbar geehrt, jetzt traure ich über seinen Tod. Zur Kreuzfahrt aber zog ich aus eigenem Willen, und das Schwert würde ich ungern unter einem andern Banner schwingen, als unter dem meines Kaisers.«
»Bewahrt diesen Stolz«, sagte Friedrich schnell. »Wer hoch von sich denkt, der steckt sich wohl auch ein großes Ziel. Wird Euch das Erbe Eurer Väter zu klein, für treue Dienste kann der Kaiser es mehren.«
»Wenig habe ich bis jetzt um Gut und Eigen gesorgt«, antwortete Ivo ehrlich. »Bevor ich das Kreuz auf mich nahm, diente ich in freiem Jugendmut da, wo mir mein Herz gebot.«
Friedrich lächelte. »Hat Euch die Herrin in die Fremde geschickt? Ich meine, solche Entsendung gleicht dem Torenwerk eines Mannes, der mit der Säge den Ast abschnitt, auf dem er saß.«
»Beide begehren wir vom Himmel, daß er uns gnädig sei.«
Wieder lächelte der Kaiser und betrachtete den jungen Helden, dessen Antlitz durch den letzten Abendschein gerötet wurde. »Auch einen Mann macht es fröhlich, Euch in die Augen zu sehen, Herr; mich wundert nicht, daß die Frauen Euch preisen; ich hoffe, Ihr sollt den braunen Damen im Harem des Sultans manche Angststunde bereiten, wenn Ihr gegen ihre Helden sprengt. Trägt man in Thüringen solch buntes Tuch als Kollier, wie Ihr um den Hals geschlungen habt?«
Ivo antwortete errötend: »Des Kaisers Majestät weiß, daß Wallende die Gabe einer geliebten Frau unter dem Kreuzeszeichen tragen, wenn sie der Herrin Anteil geben wollen an dem Heil, welches ihnen die Fahrt bereitet.«
Der Kaiser nickte: »Auch ich trage den Schleier meiner Herrin«, und er wies auf ein feines Gewebe aus Goldfäden, welches ebenso unter dem Kreuz an der Schulter befestigt war. »Doch ich sorge, die Unbekannte, welcher Ihr dient, ist eine ungläubige Sarazenin; denn auf dem Zipfel unter dem heiligen Kreuze sehe ich fremde Buchstaben in Gold gestickt; versteht Ihr die verschlungenen Linien zu deuten?« Und den Zipfel fassend, fuhr er spottend fort: »Es sind arabische Worte, sie bedeuten: Allah ist Gott und Mohammed ist sein Prophet. Ich hoffe, der Spruch, dem unsere Pfaffen fluchen, wird Eurer Seligkeit nicht schaden. Zufällig vermag ich dies Geheimnis zu künden, denn ich selbst schenkte einst ein Tuch, diesem ähnlich, einer edlen Frau, die mir verwandt ist. Noch vor wenig Tagen hättet Ihr Euer Tuch mit dem ihren vergleichen können. Jetzt ist die Dame durch ihren Herrn nach Deutschland zurückgefordert.« Ivo zuckte und trat einen Schritt zurück. »Bleibt ruhig, Messire Ivo«, fuhr der Kaiser lachend fort, aber seine Augen sahen scharf auf den Betroffenen. »Ich verrate die Helden meiner Tafelrunde nicht.«
Er winkte Entlassung und sprach auf dem Wege zu seinem Begleiter: »Diesem kann man vertrauen, und ich gedenke ihn in meiner Nähe zu behalten. Aber ich fürchte, er ist von einfältigem Herzen.«
»Er ist ein Deutscher«, antwortete der Meister.
»Das bin auch ich«, versetzte der Kaiser schnell. »Wie, Hermann, du birgst dein Lächeln nicht? Was meinst du, sprich, bin ich ein Deutscher oder nicht?«
»Verzeiht, wenn ich in einem Gleichnis antworte. Als ich zuerst nach dem Morgenlande zog, empfing ich als Geschenk eine Silberplatte aus Goslar. Ein arabischer Goldschmied schlug sie mir zu einem Becher, mit römischen Goldmünzen, die ich ihm gab, überzog er das Silber, und fügte in der Kunst, welche die Ungläubigen verstehen, zierliche bunte Farben zu dem Golde. Jetzt hat der Becher langen Reiterdienst getan; die arabischen Farben und das römische Gold sind an vielen Stellen abgescheuert und das deutsche Silber kommt zum Vorschein; möglich, daß der Becher für Fremde unscheinbar ward, mir ist er jetzt teurer als ehedem. Ich weiß nicht, ob ich zu den Heiligen flehen darf, daß auch bei Eurer Majestät durch den Druck der Jahre das deutsche Metall ans Tageslicht gebracht werde.«
Friedrich lachte. »Ich hoffe, deine Treue wünscht mir kein Unglück. Immerhin danke ich dir, daß du mich wenigstens mit einem silbernen Napfe vergleichst. Doch meine ich, Meister, du trinkst aus zwei Bechern, der eine heißt Kaiser, der andere heißt Papst. Aus welchem Metall ist der alte Mann, welcher grollend in Rom sitzt, der dein zweiter Herr ist und dazu der meine?«
»Da er mein Herr ist, wie Ihr sagt, so verbietet mir die Ehrfurcht, gegen Euch sein Metall zu schätzen. Doch der hochwürdige Vater, welcher auf dem Stuhl St. Peters sitzt, darf sagen: Wie auch das Gefäß sein mag, der Wein, den ich berge, ist immerdar ein Himmelstrank und das Heil der Christenheit.«
»So laß du dir in deinem Gleichnis sagen,« rief der Kaiser eifrig, »daß drei Töpfe aus schlechtem Ton von den törichten Völkern der Erde angebetet werden als die Bewahrer göttlichen Segens. Der erste stammt von Moses und der letzte von Mohammed, und der mittlere ist der, den der Alte zu Rom so herrisch schwenkt. Könnte ich wie ich wollte, ich zerschlüge alle drei, um die Welt von finsterer Tyrannei zu befreien.« Hermann bekreuzigte sich. »Sei ruhig und entsetze dich nicht, du weißt, ich bemühe mich um die Gunst der Heiligen und bin zur Zeit in dem frömmsten Geschäft meines Lebens. Verliere nicht das Zutrauen zu mir, vielleicht kommt die deutsche Einfalt, die du bei deinem Herrn Ivo rühmst, auch an mir noch einmal zutage, so daß ich dahinfahre als ein treuer und hochgelobter Sohn der Kirche wie der junge Landgraf. – In Wahrheit, gerade jetzt wäre willkommen, bei unserem Vater Papst einigen guten Willen für mich zu finden.« Er blieb stehen. »Vernimm du zuerst, was bald ruchbar sein wird. Die Kreuzfahrer, welche hier versammelt sind, führst du nach dem gelobten Lande, nicht ich. Ich folge dir erst im nächsten Frühjahr.«
Der Meister stand still und in seinem Gesicht zuckte eine heftige Bewegung, der staatskluge Mann fand keine Antwort. Sieben Jahre waren es her, seit der Kaiser den Kreuzzug gelobt hatte, immer hatte er ihn verschoben, und Hermann hatte mehr als einmal seine ganze Kunst aufgewandt, den erzürnten Papst zu neuem Aufschub zu bewegen; jetzt, wo die Fahrt begonnen war, sah er die reifende Frucht mühevoller Arbeit durch einen Einfall des Kaisers verdorben. »Du zürnst mir in deinen Gedanken,« begann Friedrich endlich, »niemand hat so viel Recht dazu; denn dir, Hermann, danke ich, daß ich in den letzten Jahren frei von Bann und Verwünschung des Alten die zuchtlosen Füllen dieses Landes an meinen Zaum gewöhnen konnte. Alles, was du sagen kannst, um mich zu treiben, weiß ich selbst, und glaube mir, heißer ist mein Drang, im Morgenlande die Krone über dies Inselmeer zu holen, als dein Wunsch, deinen Brüdern dort Burgen und eine Herrschaft zu gewinnen. Darum vernimm du allein, was mich hindert. Zwei Frauenlippen waren es und wenige holde Worte, die mir in das Ohr geflüstert wurden, aber sie wiegen schwerer, als die alte Pflicht und als der Kriegsruf aus dem Heere, das du für mich gesammelt hast. Ja, und auch du, der du dem Weibe entsagt hast, wirst mich nicht schelten. Denn eine neue Zeit kommt heran, und alte Verkündigung wird zur Wahrheit. Wisse, sechs Wochen sind es jetzt, daß mein Gemahl, die Erbtochter des Königreichs Jerusalem, zum letztenmal an meinem Halse lag. In derselben Nacht stand mein weiser Omar auf der Zinne des Schlosses und spähte nach dem Stand der Himmelslichter, an denen unser aller Schicksal hängt. Gerade als wir uns von Brindisi eingeschifft hatten zur gelobten Fahrt, brachte mir eine schnelle Galeere auf der See den Gruß der Kaiserin: die goldene Kapsel, in der sie sonst ihre Reliquien bewahrt, ein aufgebrochener Granatapfel lag darin. Verstehst du dies Zeichen? Es bedeutet geheimes Hoffen. Und der Bote verkündete, daß sie hier meiner harre. Darum sind wir gelandet. Der Landgraf vermag nicht mehr die Pilger zu führen, das macht auch mir leichter zu bleiben, denn ungern hätte ich den jugendlichen Helden unter meinen Deutschen allein im gelobten Land gesehen, – obgleich er nicht der Mann war, mit den Kindern Mohammeds zu handeln. Sieh hinauf, Hermann,« er wies nach dem dunklen Himmel, an welchem einzelne Sterne sichtbar wurden, »dort wandeln unter den andern Gestirnen die großen Wahrsager unseres Schicksals ihre geheimnisvollen Bahnen, dort glänzt der Stern meines Geschlechtes, Almustari, den die Römer Jupiter nennen. Lautlos ziehen sie, und doch enthüllen sie dem Kundigen, daß in wenig mehr als sieben Monden der heiße Wunsch meines Lebens erfüllt wird, der König über Gläubige und Ungläubige wird geboren, die Herrlichkeit eines neuen Reiches wird heraufsteigen aus dem Meere und in neuem Glauben werden die Stämme mit schwarzen und blauen Augen einträchtig beieinander wohnen.«
»Zürnt mir nicht, mein kaiserlicher Herr,« entgegnete der Meister traurig, »wenn ich Euch nicht folge zu den Luftbahnen, welche die Sterne wandeln. Ein deutscher Ordensmann bin ich, und mein Amt ist, nicht an mich zu denken, sondern an das Wohl meiner Bruderschaft. Für diese aber sind Eure Majestät und Papst Gregor die beiden Leitsterne, welche unser Schicksal da bestimmen, wo unsere eigene Kraft nicht reicht. Und deshalb gestattet mir noch einmal, Euch zu mahnen. Sieben Monate sind von Euren Wahrsagern als Frist gegeben für die Fahrt, in heißen Landen für uns die beste Jahreszeit, nach dieser Zeit mögt Ihr zurückkehren und Euch des Glückes freuen, das Ihr so sicher erhofft.«
»Doch wenn ich nimmer zurückkehre?« fragte Friedrich mit finsterem Blick. »Du weißt, Hermann, nicht jedem meines erlauchten Stammes glückte, aus dem gelobten Lande den Rückweg zu finden. Und wenn ich heimkomme, wähnst du, daß ich die Kaiserin und die Hoffnung, die mich jetzt froh macht, ungeschädigt wiederfinde?«
»Man sagt, daß des Kaisers Frauengemach einer zugemauerten Burg gleicht, so unzugänglich wie der Harem des Kalifen, und daß die fremden Wächter den Zudringlichen mit scharfer Waffe begrüßen.«
»Die Feinde, welche wir beide kennen, dringen durch jede Tür, sie geben Siechtum mit der Hostie und raunen Tödliches in das Ohr der Betenden. Hermann, ich darf mein Weib in dieser Zeit nicht verlassen.«
»Wenn aller Welt verborgen bleibt, was Euch bis zu nächstem Frühjahr bei Eurem Gemahl festhält, einen gibt es, dem dies Geheimnis dennoch zugetragen wird, und dieser eine ist der heilige Vater. Den Erben begehrt Ihr dem Volke zu zeigen, bevor Ihr ihm das gelobte Land gewinnt, Eure Gegner in Rom aber drängen, daß Ihr das Land erwerbet, nicht für Euer Geschlecht, sondern für einen Oberherrn, den heiligen Vater selbst. Keinen Grund des Zögerns weiß ich, der den Zorn des Papstes so heftig entflammen muß wie dieser geheime, der dem Kaiser so wichtig ist. Bei Strafe des Bannes habt Ihr Euch verpflichtet, in diesem Sommer zu segeln; wird der Bann gegen Euer hohes Haupt geschleudert, so verdirbt er Euch die heilige Fahrt und verdirbt die Arbeit und die Hoffnungen vieler Jahre.« Und vor dem Kaiser niederkniend, rief er in heißem Schmerze: »Oh, laßt Euch warnen, Herr; wenn Ihr je Treue und gute Meinung in meinen Worten erkannt habt, so hört jetzt auf mein Flehen, setzt nicht alles aufs Spiel um einer unsicheren Hoffnung willen, die jeder kommende Tag vereiteln kann.«
»Steh auf, Hermann,« sprach der Kaiser, den Knienden erhebend, »du sprichst redlich, wie du immer gegen mich gesinnt warst. Aber du begreifst nicht, wie dein Kaiser denken muß. Hoch über alle Häupter der Christenheit hat der Erhalter der Welt mein Geschlecht erhöht, an dem neuen Leben, welches er in mein Haus sendet, hängt das Schicksal von Millionen. Nicht ein Kind wie jedes andere ist der Sohn, welcher dem Kaiser geboren wird, sondern eine Verheißung für die Völker der Erde. Du mahntest mich an meine Sterblichkeit und mein Alter, in meinen Söhnen liegt die Verjüngung meiner selbst und die Bürgschaft dafür, daß die Gedanken, die ich in mir trage, und mein Wille, eine neue Ordnung in die zuchtlosen Seelen der Menschen zu pflanzen, nicht mit meinem Leben vergehen. Nur auf zwei Augen, auf dem Knaben Heinrich allein, ruhte bisher die ganze Zukunft meines Geschlechts. Jetzt ist die neue Hoffnung verkündet. Darum sage ich dir, der König wird geboren werden, so wahr ich unter dem Schein dieses Sternes vor dir stehe. Ich werde ihn den Völkern zeigen und ich werde für ihn die Krone der heiligen Stadt gewinnen, gebannt oder nicht, mit gutem Willen des Papstes oder mit bösem. Wie mein Sohn Heinrich die Diademe des Deutschen Reiches tragen wird, so soll ein anderer Sohn als Meerkönig die Kronen von Sizilien und Jerusalem auf seinem Haupte vereinigen. Und ich mit meinem Geschlecht, wir werden die Welt befreien von der Tyrannei des Alten, der zwischen den sieben Hügeln thront und der sich zum Herrn gemacht hat über die Majestät der Könige und über das Schicksal der Völker.«
Hermann bewegte abweisend das Haupt. Da faßte Friedrich die Hand des Vertrauten am Gelenk und schüttelte sie in leidenschaftlicher Aufregung. »Die Völker leben in Siechtum und die Könige werden Sklaven. Da ich noch ein Knabe war, haben die Priester mich gezwungen, ihrer List und Untreue zu begegnen mit gleicher Verstellung. Du hast zuweilen die Kunst gerühmt, mit welcher ich meine Gegner überrasche, und die Mäßigung, mit der ich für mich nur begehre, was erreichbar ist; wisse, mein Freund, teuren Preis habe ich für diese Kunst gezahlt, es ist die Schlauheit eines Unfreien, der unablässig die Kette fühlt, die er mit sich schleppt. Durch sie bin ich gescheuert wie dein Becher, von dem du sprachst, und wenn ich jetzt in der Stille vor dir tobe, so nimm an, daß es mein deutsches Silber ist, ein empörtes Gemüt, was an mir zum Vorschein kommt.« Und seine Bewegung bezwingend, schloß er: »Gib dich, Hermann, sprich mir nicht mehr von dem, was unabänderlich ist, sondern vernimm, was ich noch von dir begehre. Die Luft wird kühl und der kranke Leib fordert Ruhe.«
Das Dunkel der Nacht lag über dem Hafen, aus dem die Masten der Schiffe schwarz gegen den Sternenhimmel ragten; die Totenklage war verstummt, nur die Flut rauschte aus der Tiefe. Ivo stand am Ufer, sein Auge haftete an einem bleichen Lichtstreif, der ostwärts auf hoher See glänzte. »Dort hinaus liegt das Land der Verheißung. Eine hohe Pflicht habe ich auf mich genommen und ich ahne, daß sie mir den freien Sinn einhegt und mich enge und düster umschließt wie die Schwärze dieser Nacht. Von den Freuden meiner Jugend habe ich mich geschieden, auch von der geliebten Herrin soll mich weites Land und wildes Meer trennen. Wer mag sagen wie lange? Das Tuch mit den fremden Zeichen, welches uns beide einem Fremden verriet, löse ich vom Halse, heimlich will ich es an meinem Herzen bewahren als die einzige Habe, die mir aus seligen Tagen geblieben ist. Still berge ich fortan meine Liebe und meine Sehnsucht, nur für mein neues Amt will ich leben, damit der Himmelsherr meinen Dienst gnadenvoll annehme und mit mir tue wie ihm gefällt, ob die furchtbare Todesmahnung, die mir auf dem Wege hierher wurde, auch an mir in Erfüllung geht oder ob mir gestattet wird, die Treuen zur lieben Heimat zurückzuführen.« Er kniete nieder und betete für alle, die er in der Heimat lieb hatte.
Als der Meister des deutschen Ordens am Abend in seine Herberge kam, gelang es ihm, wie sehr er gewöhnt war, sich zu beherrschen, dennoch nicht, seine Bewegung den harrenden Brüdern zu verbergen. Mit stummem Gruß winkte er die Entlassung, lange saß er schweigend gebeugten Hauptes, während Arnfried, sein Neffe und liebster Gesell, ehrerbietig an der Tür harrte. »Wie lange ist es her, daß wir vom Mastkorb auf die Mauer von Damiette sprangen?« fragte er endlich. »Seitdem trage ich rollende Steine den Berg hinauf in mühsam fruchtloser Arbeit. Der Kaiser ist anderen Sinnes geworden und verweigert die Kreuzfahrt.«
»Wir vernahmen Ängstliches von der Krankheit des Kaisers.«
»Er ist krank und seine heidnischen Ärzte raten ihm Ruhe, obgleich sie ihn schwerlich von der Falkenjagd abhalten werden. Doch nach einem Aufschub von wenigen Wochen vermöchte er dem Kreuzheer zu folgen, und diese Verzögerung würde wenig schaden. Er aber hat den Willen, erst im kommenden Jahre zu fahren.« Arnfried starrte erschrocken den Meister an und dieser fuhr leise fort: »Der Grund des Aufschubs ist Geheimnis. Er ist nicht auszutilgen und erfüllt ihm die ganze Seele. Drei Kronen schweben über seinem Haupte, aber sein edler Geist erträgt nicht ohne Schaden diese irdische Verklärung; ihm schwillt das Herz bei dem Gedanken an die Majestät und den Pomp seines Amtes. Jetzt bleibt er zurück, weil er die Hoffnung hegt – wahrlich, eine unsichere Hoffnung –, im nächsten Frühjahr der staunenden Welt von hohem Gerüste großartige Worte zu verkünden. Schon heut freut er sich des Tages. Alles, was dazwischen geschehen muß, erscheint ihm gering gegen diese Verkündigung vor dem Volke. Er ist ein weiser und kühner Herr, und doch leidet er durch geheimen Schaden. Kennst du sein Unglück, Arnfried? Ihm ist in die Wiege gelegt, daß er elf Stunden des Tages klüger, stärker und größer sein soll als wir anderen alle, die zwölfte Stunde aber ein unartiges Kind. – Wir fahren morgen, um zu retten, was möglich ist; nur du folgst später. Dich sende ich vorher auf den Wunsch des Kaisers zum heiligen Vater, um Entschuldigungen hinzutragen. Leichtherzig hofft er den Greis Gregor für neuen Aufschub zu gewinnen, er will nicht wissen, wie groß die Ungeduld, das Mißtrauen und die Abneigung des Papstes ist. Ein neuer Streit wird entbrennen zwischen den beiden Häuptern der Christenheit, und die Heiden werden frohlocken, denn nie war eine Fahrt so furchtbar für sie und so glückverheißend für uns, wie diese.« Und als der Meister seinem Vertrauten vieles andere aufgetragen hatte, fügte er noch hinzu: »Sorge auch, soweit du vermagst, für unsern Landsmann, welcher jetzt mit seinen Rittern vergebens nach einem Fahrzeug ausspäht.«
»Ihr meint den Edlen von Ingersleben?«
»Der Kaiser möchte ihn in seiner Nähe festhalten, aber der junge Held wird unter den Welschen und Sarazenen schwerlich gedeihen. Ich habe ihn auf meine Seele genommen, denn ich habe ihn durch hohe Mahnung zu der Fahrt geladen.«
»Ihr wißt, daß die Spielleute in der Heimat ihn den König nennen. Leidet auch er an dem Fluch, der nach Eurer Meinung an der Königswiege hängt?«
»An einem andern, mein Bruder. Wer den Sinn eines Königs hat ohne die Macht, der vermag schwerlich zu bestehen im Kampfe gegen die wilde Welt.«