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Auf den sonnigen Mai folgte ein regenloser Sommer, jeden Tag warf die Sonne feurige Strahlen auf die trockene Erde. Die Obstbäume in den Gärten hatten überreichlich geblüht, jetzt fielen die grünen Früchte welk auf den Boden; auf den Ackerbeeten hatte die Saat wie ein grünes Meer gewogt, jetzt sah man graue Schollen zwischen den ährenlosen Halmen; der bunte Blumenteppich der Wiesen war geschwunden und verbrannt lag der Rasen auf dem Anger und der Heide; die Quellen versiegten, in dem Bett der Gebirgsbäche rann die dünne Wasserader kaum sichtbar zwischen kahlen Steinbänken; das Herdenvieh drängte sich hungrig an die schattigen Ränder des Laubwaldes, sogar das grüne Gewand der Bäume hing dünn und durchsichtig um die Zweige. Den Menschen schwand der kecke Sommermut in banger Sorge um die Zukunft, wenn sie über die lechzende Flur sahen, auf hungrige Herden und in leere Scheuern. Aber noch war das Schlimmste zurück, denn als die Landleute gerade ihr Werkzeug schärften, um die spärliche Ernte einzubringen, barg sich die Sonne hinter dicken Wolkenmassen und der Regen strömte herab, täglich ohne Ende. Der Donner krachte und die Blitze zuckten um das Waldgebirge, das Wasser stürzte in Strömen durch die Täler; wie viel auch der versengte Boden einsog, der Schwall rauschte doch aus den Ufern, übergoß die Felder und wälzte sich zerstörend durch die Dörfer, er hob die Brücken, schwemmte Ställe und Hütten von ihrem Grunde und riß Tiere und Menschen in tollem Strudel abwärts. Da kam der größte Schrecken über das Land, ein Gefühl menschlicher Ohnmacht gegenüber den feindseligen Gewalten der Natur. Die Leute liefen zu den Heiligtümern, beteten und taten Gelübde. Überall erschienen neue Mönche in braunen Kutten, mit einem rohen Riemen oder Strick gegürtet; unter den Dorflinden und auf den Kirchhöfen der Städte, wo sich sonst die Paare im Reigentanz geschwungen hatten, hielten sie ihr kleines Holzkreuz in die Höhe und schrien den Zorn des Himmels aus, mahnten zur Buße und verkündeten die Schrecken des jüngsten Gerichts. Viele von den armen Laien verzweifelten am Leben, die Trotzigen gesellten sich zu Haufen, welche gegen die Höfe der Wohlhabenden die Fäuste erhoben und auszogen, um durch Raub und Einbruch ihrer Not abzuhelfen; die Schwächeren unterlagen dem Mangel und den Seuchen, welche sich plötzlich mit furchtbarer Macht in Stadt und Dorf ausbreiteten. Jedermann litt und klagte, auch der Reichste fragte bekümmert, wie das Volk die lange Zeit bis zur nächsten Ernte ertragen werde.
Von der Wartburg stieg Frau Else jeden Tag nach Eisenach herab, dort loderte das Feuer in vielen Küchen, für welche sie sorgte, und vielen hundert Notleidenden wurde dort täglich die Kost bereitet. Aus den Scheuern und Ställen ihres Gemahls ließ sie herbeifahren, was sie vermochte, um unter der Aufsicht des Meister Konrad den Darbenden zu spenden. Vergebens mahnte Herr Walter, Maß zu halten, und vergebens zürnten die Brüder des Landgrafen, daß sie das Gut des edlen Hauses vergeude, ihr Herz war ganz aufgelöst von Angst und Mitleid, sie saß selbst bei den Kranken in den Siechhöfen, fastete und büßte in härenem Gewand, um den Zorn des Himmels von ihrer Landschaft abzuwenden. Dabei grämte sie sich über die Abwesenheit ihres Gemahls, dem seine Kriegsfahrt in Italien gar nicht glücken wollte.
Auch auf dem Hofe des Herrn Ivo sah man ernste Gesichter, die Ausgaben in der Maienzeit waren groß gewesen, jetzt kamen statt neuer Einnahmen von allen Seiten Klagen der Vasallen und Notrufe der hörigen Leute. In dem eigenen Dorfe, welches seitwärts vom Hofe lag, hatten die Bauern in milder Dienstbarkeit gelebt und sich lange wohlgefühlt, jetzt sah Ivo täglich bleiche Kinder und Frauen mit Herrn Godwin verhandeln, und wenn die Armen ihn selbst erblickten, so faßten sie ihm flehend an Hände und Gewand und schrien um Nahrung für sich und für die letzten Häupter ihres Stalles. Er öffnete warmherzig seine Scheuern, und mit Mühe rettete der Kämmerer dem Herrenhofe den notdürftigen Winterbedarf; aber was Ivo auszuteilen vermochte, wollte nirgend reichen, und oft stand er bei Herrn Godwin in sorgenvoller Beratung.
Zum ersten Male in seinem Leben empfand er bitteres Weh darüber, daß er nicht reicher und mächtiger war und daß er nicht als Herr für andere, welche auf ihn hofften, so zu sorgen vermochte, wie ihm sein milder Sinn gebot. Er dachte auch zuweilen daran, daß jenes Gold, welches im Frühling vom Schmiede zu Fingerringen geschlagen war, jetzt manchen aus der letzten Not erlöst hätte. Aber solcher Gedanke erschien ihm wieder als ein Unrecht gegen die Herrin, und er bat sie in der Stille um Verzeihung. Nur einmal war er heimlich nach dem Süden geritten und hatte aus der Höhlung eines Baumes, den er kannte, einen Brief geholt; daraus wußte er, daß auch die geliebte Frau mit schweren Sorgen rang. Deshalb war ihm das Herz selten so leicht, daß er nach dem Saitenspiel griff, und Nikolaus, der ihm sonst die Lieder schrieb und mit seiner schönen Stimme vorsang, hatte müßige Tage.
Oft zog den Schüler der Wunsch, Friderun zu sehen, nach ihrem Dorfe; doch trotz seiner Dreistigkeit wagte er lange nicht, den Hof des Richters zu betreten, denn sein arglistiger Rat hatte das Unglück Bertholds herbeigeführt, er hatte wohl gemerkt, daß seit jener Zeit der Verkehr zwischen den Herren von Ingersleben und dem Hofe des Richters aufgehört hatte, und er fürchtete für sich schnöde Behandlung, die ihn anderswo weniger gekümmert hätte. Von den Dorfleuten vernahm er, daß der fremde Bruder mit dem schwarzen Bart noch immer bei dem Richter hauste und daß zu dem einen Kranken ein zweiter gekommen war, ein hilfloser Mann aus dem Orte selbst. Um seine Feinde auf der Mühlburg sorgte er nicht sehr. Denn Ritter Konz hatte sich mit Berthold und einigen Knechten dem Zuge des Landgrafen nach Welschland angeschlossen, weil ihm nach seiner Niederlage ganz lieb war, für längere Zeit der Heimat den Rücken zu kehren.
Als nun Nikolaus einmal im Spätsommer das Haus des Richters spähend umkreiste, sah er durch die offene Pforte, daß Friderun über den Hof nach dem kleinen Garten schritt. Da konnte er sich nicht enthalten, ihr nachzuspringen, und er begann verlegen: »Guten Tag, Magd Friderun. Ich wollte sehen, ob der wilde Birnbaum, unter dem Ihr steht, in diesem traurigen Jahr Früchte trägt. Ich denke wohl daran, daß Ihr mich einmal spottend mit einer wilden Birne verglichen habt, die erst genießbar wird, wenn sie Runzeln bekommt, und dann auch nicht sehr. Beim lichten Himmel, der Baum trägt über und über, ich glaube, er ist der einzige in der Welt.« Sein Gesicht verklärte sich, als Friderun ihm eine freundliche Antwort gab und sogar fragte, wie es während der langen Zeit im Edelhofe ergangen sei. Sogleich schnellte sein Selbstgefühl in die Höhe. »Ich habe wenig Gelegenheit, dort meine Kunst zu üben, auch die behelmten Raubvögel, welche dort sitzen, lassen die Flügel hängen, und Herr Ivo hat den Gesang fast verlernt.«
Friderun nickte: »Er singt Euch zuerst seine Lieder vor, weil Ihr selbst ein Sänger seid.«
»Ich helfe ihm auch, wenn ihm eine Silbe fehlt oder ein Reim nicht säuberlich klingt, denn er arbeitet liederlich, wie Herren pflegen.«
»Ist er immer gütig gegen Euch?« fragte Friderun schnell.
»Fragt lieber, ob ich es gegen ihn bin«, versetzte Nikolaus übermütig. Aber er bereute zur Stelle diese Worte, denn die Augen der Friderun blitzten so scharf gegen ihn, daß er zurücktrat.
»Ihr seid in seinem Dienst und Ihr sollt Euch nicht vor Fremden gegen ihn erheben, das ist nicht redlich, Nikolaus, denn Ihr vermögt seine edle Gesinnung besser zu verstehen, als mancher andere.«
»Ihr habt recht,« bekannte Nikolaus reuig, »doch bedenkt, daß auch ich ein Sänger bin und nicht geringer als er.«
»Seid Ihr ihm im Gesange überlegen,« fuhr Friderun mahnend fort, »so zeigt das ihm allein mit Bescheidenheit, damit seine Kunst sich mehre.«
»Ich spreche auch nur gegen Euch so, weil ich Vertrauen zu Euch habe,« sagte Nikolaus und setzte mit stockender Stimme hinzu: »denn glaubt mir, vor allen anderen möchte ich Euch gefallen.«
»Euer Handwerk verlangt, daß Ihr vielen zu gefallen sucht,« antwortete Friderun freundlicher, »und Ihr wißt, daß ich Euch zuweilen gerne sehe und Eure lustigen Reden anhöre.« Sie nickte ihm zu und wandte sich abwärts zu den Häusern der Bienen, welche ihr und dem Vater Ehrfurcht bewiesen, aber dem Schüler furchtbar waren.
Nikolaus folgte ihr mit den Augen, bis ihre Gestalt hinter den Stöcken verschwand. Dann glitt er auf eine Bank, barg trübselig seine Augen mit der Hand und lange Zeit zwitscherten seine kleinen Kumpane im Laube, ohne daß er darauf achtete, endlich summte er leise: »Die Schwalbe baut aus Lehm ihr Häuselein, ich aber habe keins. Wirt und Wirtin fliegen aus und ein, ich aber schweife durch die Welt in Liebe und in Leide allein, allein.«
Eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter, er fuhr in die Höhe, der Richter stand vor ihm. Der Schüler zwang sich zu sorglosem Ausdruck und suchte in den Zügen des Alten zu lesen, ob dieser ihm Übles sinne, aber er sah eine nachdenkliche und trübe Miene.
»Man sagt von Euch, Nikolaus, daß Ihr weit in der Welt umherkommt und daß Ihr auch einmal geistlich gewesen seid.«
Nikolaus antwortete mit mehr Aufrichtigkeit, als er sonst einer forschenden Frage vergönnte: »Ich saß zu Würzburg in der lateinischen Schule, und mit manchem, der jetzt als ein stolzer Bischof durch die Länder fährt, habe ich zusammen gelernt. Ich war auch zwei Jahre in Paris bei weisen Meistern. Und ich meine, nicht vergebens habe ich die Dichter gelesen, denn einige Lieder, die ich erdacht habe, singen die Schüler noch heut an den lateinischen Bänken.«
»Dann sagt mir doch, wenn es Euch gefällt, warum Ihr ein schweifender Landfahrer geworden seid, statt eines feisten Pfaffen oder Mönches.«
»Ich schäme mich der Wahrheit nicht, ob Ihr sie glaubt oder bezweifelt,« versetzte der Schüler stolz, »ich konnte das Haupt nicht lange demütig beugen und das Schafskleid tragen, ganz zuwider wurde mir ihre Heuchelei und ihre Falschheit.«
»Wir sind nicht gewöhnt, an fahrenden Leuten die Wahrhaftigkeit zu loben«, sagte der Alte.
»Dennoch dürft Ihr mir glauben, Vater. Läuft meine Rede auch nicht immer auf geraden Wegen, meine Verachtung kann ich nicht hinter der Zunge bewahren. Unser Herr Christus ging, wie die Schrift verkündet, demütig zu Fuß und ritt höchstens auf einem Esel, käme er jetzt, die Pfaffen in Seide und Purpur würden ihn nicht als ihren Herrn erkennen.«
Der Bauer ergriff kräftig die Hand des Schülers. »Ihr sprecht gute Worte. Wir haben Wunderliches an den neuen Mönchen gesehen, welche jetzt unter den Armen predigen. Wißt Ihr, wie es mit diesen steht?«
Vorsichtig versetzte der Schüler: »Es sind heilige Männer unter ihnen, aber auch unverschämte Bettler; als die Hündlein des Papstes laufen sie spähend und bellend durch die Christenheit, mancher hofft, daß sie uns ein neues Heil bringen, zumeist solche, denen daran gelegen ist, daß der Kasten unseres Vaters, des Papstes, mit Geld gefüllt wird.«
»Mich dauert das Los der Laien«, fuhr der Richter fort. »Manchmal rühmen die Pfaffen, daß der Himmelsherr unser Vater sei, voll Liebe und Erbarmen, und manchmal scheuchen sie uns mit seinem Zorn und seiner Rache, wir aber müssen dies leiden, denn sie allein bewahren die heiligen Bücher, in denen, wie wir vernehmen, das ganze Gesetz verzeichnet ist und auch die Rechte, die wir als Christen an den Himmel haben. Ich muß den selig preisen, der selbst die Wahrheit zu erkunden vermag, weil er der Schrift mächtig ist und der heiligen Sprache, und ich möchte wohl von Euch wissen, Schüler, ob Ihr so glücklich seid.«
Nikolaus hob sich und seine Augen glänzten. Der Vater des Mädchens, welches er sich ersehnte, pries seine Vorzüge, und er antwortete schnell: »Ich bin der Schrift kundig und oft habe ich in den heiligen Büchern gelesen nicht nur in der Schule, auch sonst.«
Der Richter schwieg lange Zeit und der innere Kampf verriet sich in seinem Gesicht, während er zuweilen forschend auf den Schüler blickte, endlich faßte er die Hand des Erstaunten und führte ihn an seinen Herd. »Ich gedenke Euch noch etwas zu fragen,« begann er feierlich, »wenn Ihr mir schwören wollt, daß Ihr gegen jedermann schweigt von dem Geheimnis, das ich vielleicht bei Euch suche. Wird Euer Sinn und Eure Zunge untreu, so wisset, daß ich Euch schädlich sein will, wo ich kann und darf.«
»Schon andere haben erfahren, daß ich Geheimes zu bewahren weiß«, antwortete der Schüler. »Und mit Freuden gebe ich Euch den Schwur.«
»Ich würde mich lieber offenbaren,« sprach der Bauer mißtrauisch, »wenn Ihr weniger leichtfertig gelobtet. Dennoch muß es sein.« Und zögernd fragte er: »Ist es schwer, des Lesens kundig zu werden?«
»Es ist jahrelange Arbeit für einen Jüngling, und einem älteren Manne wird die Mühe nur selten gedeihen.«
»Ich aber will es versuchen; vielleicht gönnt mir der große Gott, daß ich's erlange.«
Der Schüler frohlockte: »Und Ihr wollt, daß ich's Euch lehre?«
»Wenn Euch das gelingt,« versetzte der Richter, »so bin ich bereit, Euch ansehnlichen Lohn zu geben. Ein gutes Roß oder zwei Rinder, sofern Ihr die begehrt, dazu ein neues Gewand. Und Ihr sollt, solange Ihr mich lehrt, an jedem Sonntag, wenn Ihr vorsprecht, die beste Kost finden.«
»Ich begehre nicht Rosse, nicht Gewand,« rief Nikolaus feurig, »ich will mich auf den Lohn besinnen. Zuvor aber sagt mir noch eins: Wozu ersehnt Ihr Euch die schwere Kunst? Es ist nicht unnütz, daß ich es weiß. Denn wollt Ihr Briefe lesen über Verleihungen und Schenkungen, wie ich annehme, so sind diese in lateinischer Sprache geschrieben, und es würde Euch wenig frommen, wenn Ihr auch der Schrift kundig wäret, Ihr könntet die fremden Worte doch nicht verstehen.«
Der Richter antwortete zögernd: »Ich begnüge mich, wenn ich deutsche Worte zu lesen vermag.«
Nikolaus lachte. »In deutscher Mundart aber ist wenig anderes zu finden als die Lieder und Brieflein, welche einander solche zusenden, die gerade in Liebe sind, ich denke nicht, daß Ihr daran Freude haben könnt; oder seid Ihr im geheimen nach Sagen begierig, wie von Herrn Siegfried und von Kaiser Karl? Ich habe niemals bemerkt, daß Ihr mir freundlichen Gruß geboten habt, wenn ich einmal vor den Bauern sagte und sang.«
»Vielleicht will ich alte Sagen lesen«, antwortete der Richter.
»Dann wird Euch am besten frommen, wenn ich des Sonntags an Eurem Herde das Saitenspiel rühre oder Euch aus geschriebenem Buch vorsage, denn viele haben meine Kunst darin gerühmt.«
»Euren Gesang begehre ich nicht, selbst will ich lesen.«
Der Schüler sah noch immer erstaunt auf den Alten, der in tiefem Ernst vor ihm stand, aber die Hoffnung, der Tochter mit gutem Rechte nahe zu sein, war ihm so erfreulich, daß er in die dargebotene Hand schlug und fragte: »Und wann wollt Ihr das schwere Werk beginnen?«
»Am nächsten Sonntag, sobald das junge Volk auf den Anger zum Reigen geht. Ihr habt mir Geheimnis gelobt, hütet Euch, gegen irgend jemand ein Wort von unserer Schule zu sprechen. Fragen die Neugierigen, so mögen sie erfahren, daß Ihr mir alte Urkunden deutet.«
Am Abend saß der Richter neben seiner Tochter am Herdfeuer und sah durch die Türöffnung schweigend in den dämmrigen Hof, auf welchen wieder ein dichter Regen herabströmte. Da begann Friderun: »Vater, wie soll es werden zwischen uns und dem Herrn Ivo?«
Der Richter strich mit der Hand über die Ecke des Herdes. »Es ist aus zwischen uns. Seine Ritter haben deinen Bruder geschlagen, als er noch in unserm Hause war, und ich habe dagegen den reisigen Herren unsern Hof gesperrt, keiner von beiden kann das ungeschehen machen.«
»Er aber hat sich gegen uns entschuldigt, denn der arme Berthold trug in seinem Unbedacht das Kleid eines fremden Dieners.«
»Ist der Bauer schärfer gewesen als der Edle,« entgegnete der Alte, »und hat der Edle die bessere Entschuldigung, so haben wir den härteren Stolz. Vielleicht tut mir manches Wort leid, das ich in meinem Zorne sprach, aber einem Edlen gegenüber bitte ich es niemals weg. Das lobte auch der fromme Bruder drüben, mit dem ich neulich den Streit besprach.«
»Der Bruder mag ein guter Mann sein,« antwortete Friderun lebhaft, »aber er ist ein Mohr und kann nicht Ratgeber werden für die Höfe der Thüringe. Dies ist keine Zeit, Vater, in welcher redliche Leute einander feindlich den Rücken zukehren dürfen.« Der Richter schwieg und beide hörten auf das Rauschen des Regens. »Ich denke, Vater,« begann Friderun wieder, »wenn Herr Ivo durch unser Dorf reitet, so dürft Ihr am Tore stehen, und wenn er Euch zuerst grüßt, so dürft Ihr ihn einladen, in Euren Hof zu treten, und von den harten Worten braucht nicht mehr die Rede zu sein.«
»Er aber wird ebensowenig anhalten und grüßen,« entgegnete der Vater, »wie ich es tun würde.«
»Ich will ihn fragen«, entschied Friderun. »Morgen gehe ich die Nesse hinauf zur Base nach Frienstädt, da will ich am Edelhof vorsprechen, wenn Ihr nicht dawider seid.«
»Du?« fragte der Vater befremdet. »Hüte dich, Friderun, ein Kind ist mir in den Ritterburgen geschwunden, der Verlust des zweiten wäre ein ärgeres Leid, und könnte traurig enden für dich und mich.«
»Sprecht nicht solche Worte, Vater,« versetzte Friderun, ihren Arm um seine Schulter legend, »Ihr wißt recht gut, daß Ihr mir vertrauen könnt. Ich aber erkenne, daß Euch die Feindschaft mit Herrn Ivo fast ebensoviel Sorge macht wie mir, und was ich tun will, ist gut für uns alle; darum laßt mich gehen.«
Der Alte schwieg und beide saßen wieder nebeneinander am Herde, zu ihren stillen Gedanken knisterte das Feuer und rauschte der Regen.
Am nächsten Nachmittage trat Herr Godwin eilig in die Galerie, von welcher Ivo auf die Nebelwolken sah, wie sie im Regen über dem Boden sich ballten und die Niederung mit wogendem Schleier bedeckten. »Verzeiht, Herr, draußen vor der Brücke steht im Regen eine Magd, die einst ein lachender Gast des Hofes war; sie weigert sich einzutreten und doch begehrt sie mit Euch zu reden.«
»Das ist Friderun«, rief Ivo Hut und Kappe ergreifend.
Friderun stand an der Landstraße, gehüllt in einen grauen Regenmantel, das Wasser rieselte ihr über Stirn und Wange. »Ich wußte, Ihr würdet zu mir herauskommen«, begann sie in tiefem Ernst. »Bevor ich Euch meine Botschaft sage, möchte ich gern von Euch hören, daß Ihr mir wegen der heftigen Worte nicht zürnt, die ich in meinem Schmerze gegen Euch sprach. Ich hatte in manchem recht und zurückdeuten kann ich nichts, aber ich hätte Euch nicht so dreist mahnen sollen.«
»Ihr wart durch unsere Schuld in Trauer versetzt«, antwortete Ivo freundlich. »Heut aber ist es unrecht, daß Ihr in Regen und Wind vor meiner Schwelle steht.«
»Ich darf nicht näher treten an Euer Haus als drei Schritt vom Wege, denn zwischen unserm Hofe und dem Euren ist der Friede geschwunden.«
»Kommt Ihr als freundlicher Bote, um ihn wiederzubringen, so dürft Ihr auch die Halle besuchen,« ermahnte Ivo, »im Kamin brennt ein Feuer, legt die Hülle ab, denn Ihr gleicht einer Wasserfrau mit triefendem Gewande.«
»Das Himmelswasser ist ein guter Freund der Bauern, wenn es uns auch dies Jahr ängstigt; es hilft heut unserer Rede, denn es mahnt zur Eile. Ich komme, Euch zu ersuchen, daß Ihr meinem alten Vater nicht nachtragt, was er Euch an rauhen Worten gesagt hat.«
»Ich habe immer an sein weißes Haar und seinen Verlust gedacht«, versetzte Ivo.
Friderun sah ihn dankbar an. »Wenn Ihr das nächste Mal durch unser Dorf reitet ohne Eure Herren, so bitte ich, haltet an unserm Hoftor, und wenn der Vater in die Pforte tritt, so grüßt ihn zuerst, weil er ein Greis ist. Vielleicht dankt er Euch und fordert Euch auf, einzutreten. Dann bitte ich, reitet ein und sitzt an unserm Herde nieder, und von dem alten Zorn soll nicht mehr die Rede sein. Denn dem Vater tut manches leid, aber sein Stolz ist alt und der Eure ist jünger; Ihr seid der Edle, er ist der Freie, und da Ihr über ihm sitzt, fühlt er sich leichter beschwert. Der Stolz eines wackeren Mannes geht nach oben und nicht abwärts, und deshalb könnt Ihr dem Vater mehr nachgeben als er Euch, ohne daß Eure Ehre gemindert wird.«
Ivo überlegte: »Ich komme morgen, Friderun.«
»Ich danke Euch, Ivo«, rief das Mädchen, und in ihren Augen leuchtete so warme Freude und Rührung, daß Ivo hingerissen ihr die Hand entgegenstreckte. Sie aber trat zurück und schlug den nassen Mantel dichter um sich. »Ihr werdet morgen den Vater allein finden, denn ich habe auswärts zu tun. Lebt wohl, Herr. Der Weg in der Niederung ist übergossen, ich muß einen Umweg nehmen. Der liebe Gott segne Euch.« Sie hob die Hand gegen ihn, dann wandte sie sich schnell um und schritt im Regen auf der Landstraße dahin.
Am nächsten Tage hielt Ivo zu derselben Stunde mit seinem Knappen vor dem Hofe; der Alte öffnete die Pforte, die Männer tauschten ernsthaften Gruß und der Bauer lud den Edlen ein, in seinen Hof zu reiten. Bald saßen die Männer am Herde, ihre Gedanken über die Not des Jahres austauschend und Ivo erkannte, daß der verständige Rat des andern auch ihm für die Sorgen seines Hofhaltes nützlich war. Seitdem lenkte er zuweilen, wenn er allein ausritt, dem Hofe des Richters zu.
Der Winter kam, der Frost bändigte den Sturz der Wasser, der Sturmwind fegte die dürren Blätter vom Waldesrand über die mißfarbige Flur; dann fiel der Schnee in großen Flocken und barg die spärliche Wintersaat unter seiner weißen Decke. Auch im Hofe Ivos glitzerten die weißen Schneekappen auf den Zinnen der Mauer und auf dem alten Turme; der junge Hofherr sah statt der bunten Sommervögel jetzt schwarze Krähen um die entblößten Äste schweben und hörte statt des fröhlichen Liedes der kleinen Hofsänger das Gezänk der Sperlinge, welche nach den Körnlein am Boden pickten. Herr Henner hauste in seinem Hofe bei Frau Jutte, in der Wolljacke saß er am Herde und schnitzte seinen Söhnen Armbrust und Pfeile, damit sie sich an den Krähen übten; wenn er aber in den Herrenhof kam, schritt er in Pelzrock und Mütze wie ein wohlhabender Landmann. Die jüngeren Gesellen des Hofes ritten zuweilen auf dem Anger, wo sie sich mühsam eine Bahn gefegt hatten, und Ritter Lutz zimmerte mit eigener Hand einen Holzschlitten, übte zwei Rosse, das leichte Geschirr zu ziehen, und freute sich auf den Tag, wo er neben seinem Mädchen über die Flur gleiten werde. Nur Herr Godwin sah strenger aus als sonst, und die Hofleute klagten, daß er sehr genau war im Zumessen von Getreide und Küchenkost, selbst die Kannen, in denen Nikolaus den Würzwein braute, wurden kleiner.
Jeden Sonntag trabte der Schüler nach dem Hofe des Richters, aber er sah Friderun selten daheim und fand allmählich langweilig, neben dem düstern Alten zu sitzen, dem es gar nicht gelingen wollte, die Striche der Buchstaben auf vorgelegtem Pergament zu unterscheiden, obgleich er mit finsterem Eifer darauf bestand. Auch wenn der Schüler vor den Hofleuten sang oder abenteuerliche Geschichten erzählte, wurde ihm schwerer, seinen Zuhörern ein herzliches Lachen abzugewinnen, als in der Sommerzeit. Der Verkehr zwischen den Höfen der Umgegend war dürftiger als einst, denn jedermann saß mit trübem Mut bei den lodernden Holzscheiten, und wenn die Männer zum Jagdspieß griffen und mit ihren Hunden in den Bergwald zogen, so hatten sie auch dort geringe Freude; das Wild war durch die Ungunst des Jahres ebenso gemindert wie die Herden der Landleute; nur die Wölfe trotteten frech um die Dörfer und wagten sich bei hellem Tag an die Höfe.
Die Sonne schien leidlich warm und die Bäume trugen ihren Winterschmuck, die Reifkristalle, als Ivo nach längerer Zeit wieder einmal am Hoftor des Richters hielt. Verwundert sah er an dem Nebenhause, welches längs der Straße lag, einen Holzschild mit großem schwarzem Kreuze und eine neue Tür, welche nach dem Dorfplatz führte. Noch befremdlicher war ihm der Ton einer Geige, die aus dem stillen Hof klang. An der Tür des Wohnhauses drängten sich Knechte und Mägde, und in ihrer Mitte sprang eine vermummte Gestalt in einem umgewendeten Pelzrock mit einer roten Kappe, an welcher zwei große Ohren und lange Loden von Werg befestigt waren. Das Ungetüm hob bisweilen die Beine zum Sprunge, begleitete sich aber selbst die wilden Bewegungen durch wohlklingendes Saitenspiel. Als Ivo herantrat, wichen die Zuschauer zurück, der Vermummte begrüßte ihn durch lächerliche Verbeugungen und eine Magd des Hofes redete ihn gewichtig an: »Meine Herrin Friderun findet Ihr heut nicht, sie ist zur lichten Himmelsfrau geworden und bereitet sich, die Dorfkinder zu besuchen.«
In der Mitte des Hausflurs stand Friderun, ein weißer Mantel, mit glänzenden Sternen verziert, wallte bis zum Boden, die Fülle des langen blonden Haares hing gelöst über den Mantel und umgab ihr Haupt und Leib wie ein goldener Schleier. In solcher Hoheit stand das Mädchen, daß Ivo sich unwillkürlich bekreuzigte und rief: »Sei gegrüßt, Maria, du Stern des Meeres.« Auch Friderun empfing seinen Gruß anders als sonst, denn sie gedachte in frommem Sinne, daß sie sich zu halten habe, wie einer Himmelsherrin gebührt, deshalb neigte sie sich mit gefalteten Händen ein wenig gegen ihn, nur daß sie dabei errötete. Doch sogleich fiel ihr aufs Herz, daß er, der vor ihr stand, ein Gast des Hofes war, und sie fügte vertraulicher hinzu: »Der Richter wurde gefordert und ritt mit seinem Knecht über Land, und mir ist's zugeteilt, den Kindern im Dorfe zu erscheinen. Sonst ging ich in größerem Zuge, aber die Könige habe ich dies Jahr gebeten, wegzubleiben, weil einer von ihnen fehlt.« Der Gast erriet an dem Zucken ihres Mundes, daß Berthold der Fehlende war. »Auch die Narren und Wichtelmänner sind zu Hause geblieben, weil manchem die Lustigkeit mangelte, doch Ruprecht, der Geiger, ist da, die Frau erscheint heut nur bei der Freundschaft des Hofes und wo in den armen Hütten kleine Kinder sind. Deshalb zürnt nicht, wenn Ihr niemanden am Herde findet.«
»Gestattet Ihr's, so folge ich Euch,« bat Ivo.
Aber Friderun versetzte: »Die Frau muß allein gehen, nur unter den Leuten, welche sich an der Schwelle drängen, dürft Ihr stehen.« – Sie gebot dem Haufen an der Türe: »Tretet näher, ihr Mädchen, und hebt eure Last, denn die Kleinen harren und sehnen sich.« Als zwei handfeste Mägde die gefüllten Säcke, welche am Herd lehnten, gefaßt hatten, neigte die Jungfrau das Haupt und die Männer zogen die Mützen; sie sprach leise ein Ave Maria, dann winkte sie zum Aufbruch; der Kobold Ruprecht begann kräftig auf der Geige zu streichen und der Zug setzte sich in Bewegung. »Schweig still in den Dorfgassen, nur in den Höfen darfst du springen und spielen«, gebot Friderun am Tore. So schritt sie mit ihrem Gefolge hinaus in den Schnee, auch der fremde Bruder vom deutschen Orden trat aus dem Vorderhause und folgte mit entblößtem Haupt. Als er neben Ivo dahinging, begann dieser: »Wie ich sehe, habt Ihr hier eine Heimat gefunden.«
»Gutes brachte uns Euer Geleit,« antwortete der Fremde, »der Richter hat die Bruderschaft begabt mit dem Vorhause und mit einer Wiese für zwei Rosse.«
Sobald der Zug in einen Hof trat, empfing ihn der Wirt fröhlich an der Hausschwelle, Ruprecht sprang, nachdem er sich der Geige entledigt hatte, zuerst in die Stube, sagte lustige Reime her und fragte, ob die Kinder säuberlich waren und ob sie züchtig ihren Eltern dienten. Und die er als unordentlich erkannte, bedrohte er mit Gefängnis in seinem schwarzen Sack, so daß über Gute und Böse ein heilsamer Schrecken kam. Dann erst trat die Jungfrau ein und mahnte durch einen alten Spruch jedermann zum Fleiß im Stall und am Rocken. Endlich lud sie die Kinder zu sich, und wenn diese mit gefalteten Händen herumstanden, teilte sie ihnen zu, was ihr die Mägde aus den Säcken reichten, am häufigsten süßes Pfeffergebäck, zu dem die Bienen ihres Gartens den Honig geliefert hatten. Ivo gedachte, daß auch ihm seine Mutter als lichte Himmelsherrin erschienen war und Geschenke gebracht hatte, und sah in dem Haufen der anderen von der Schwelle zu, ohne daß jemand auf ihn achtete.
So kamen sie auch in eine niedrige Hütte; der Span, welcher am Herde steckte, warf sein flackerndes Licht auf eine Stätte der Armut, der Hausherr fehlte, die Wirtin lag krank in dürftigem Bett, fünf Kinder kauerten in der Ecke und erwarteten mit starren Blicken die vornehmen Gäste. Da winkte Friderun dem Kobold, sich seiner Sprünge zu enthalten, sie trat an das Bett, sprach leise den frommen Gruß, und auf dem Schemel sitzend, hielt sie die Hände, welche die Kranke ihr entgegenstreckte. Die Kinder schnellten eins nach dem andern aus ihrer Ecke auf und kamen langsam, mit stockendem Schritt, näher zu der vornehmen Frau, nur das kleinste stand fern und hielt bedenklich den Finger im Munde. Plötzlich rannte es mit ausgebreiteten Armen auf die Jungfrau zu und umschlang ihre Knie. Da lachte Friderun ihm entgegen und hob es in ihren Schoß, und das Kind wand sich zu ihr hinauf und versuchte die Arme um ihren Hals zu schlingen. Im Nu war auch den anderen Kindern das Bangen geschwunden, sie schmiegten sich von allen Seiten an die Sitzende, umfaßten ihr Hände und Knie und tauchten unter ihrem Mantel empor, so daß das Antlitz der Jungfrau mit seinem wallenden Haar ganz umgeben war von den hellockigen Kinderköpfen. Sie winkte ihren Begleiterinnen und teilte reichlich aus, während die kranke Frau den Segen des Himmels auf sie herabbetete. Kobold Ruprecht, welcher still an der Tür stand, vergaß ebenfalls seine Bosheit und teilte dem Herrn Ivo mit: »Hier ist die Not am größten, aber die Jungfrau kehrt jeden Tag zweimal ein, bringt Speise und Trank und erhält die Zucht. Wundert Euch nicht, daß sie die Kinder so herzlich küßt, denn sie selber hat sie heut wie alle Tage gewaschen.«
Als Ivo näher trat und eine Spende auf das Bett der Kranken legte, wandte Friderun sich ihm zu und ihr Auge ruhte wie verklärt auf ihm. Mit schnellen Schritten verließ er den Raum.
Am Abend saß er in seiner Halle an dem großen Kamin, in welchem die Holzklötze brannten; der Wintersturm fuhr um das Haus und stieß zuweilen in den Schlot, daß der Rauch in das Zimmer schlug. In tiefen Gedanken starrte Ivo auf die züngelnde Flamme und auf die glühenden Kohlen. In dem Feuer sah er den hellen Mantel der Jungfrau Maria wallen und viele blondhaarige Kinderköpfe um sie herum, welche sehnsüchtig zu ihr aufblickten. Als aber der Luftzug die Flamme niederdrückte und eine dunkle Rauchwolke in das Zimmer trieb, fuhr er in die Höhe, und ihm kam vor, daß der dämmrige Raum öde war und daß er einsam auf seinem Sessel saß. Da fiel sein Blick auf Herrn Henner, der leise eingetreten war und den Fensterladen öffnete, um den wirbelnden Rauch zu entfernen.
»Es tobt ein wilder Kampf rings um die Höfe und auf dem Anger,« begann Ivo, »der bittere Frost und sein Gefährte, der Hunger, bedrängen das Volk, und alle Fröhlichkeit der Welt schwand in Dunkelheit und Not. Setzt Euch zu mir, Henner, es ist einsam in der alten Halle, auch das Feuer will nicht wärmen.«
»Den Knechten drücke der üble Teufel den Kragen, weil sie meinem Herrn nasses Holz in den Kamin geschichtet haben; ich wollte, eine Hausfrau wie Frau Jutte führe ihnen über die Köpfe.«
Ivo lächelte und starrte wieder in die Flamme. »Sagt mir, Henner, welchem Heiligen vertraut Ihr Euch am liebsten?«
Henner räusperte sich und dachte nach. »Es kommt darauf an, Herr, in welchen Nöten ich bin. Da ich jung war, suchten unsere Hofleute noch zuweilen die Fürbitte des Hersfelder Wigbert, aber ich fürchte, daß dieser Heilige träge und säumig geworden ist, die Bitten der Gläubigen anzuhören. Die auf der Mühlburg priesen mir vor Jahren sehr ihren Meginhard, aber wie er auch sei, wo die vom Berge ihre Not klagen, vermögen wir im Talhofe für uns wenig Gutes zu erhoffen. Am besten hat sich mir immer noch St. Georg erwiesen, er hat ritterliche Gewohnheiten und ich hoffe, er ist gutherziger als andere gegen die kleinen Sünden, welche einem Reiter über den Weg laufen.«
»Viele weiß ich,« fuhr Ivo in seinen Gedanken fort, »welche Sinn und Herz der reinen Jungfrau zugewandt haben, die als Himmelskönigin waltet, denn sie beschützt nicht nur die unschuldigen Kinder, auch den Kriegern neigt sie sich huldreich zu und hebt sie von dem Schlachtfelde hinauf in den Saal der ewigen Freude.«
»Ich höre, daß die bärtigen Brüder ihr vertrauen und auch die Schiffer in den wilden Nordmeeren«, warf Henner ein, ganz erstaunt über die schweren Gedanken des jungen Helden. »Doch weiß ich nicht, ob die Jungfrau auch dem zulächelt, welcher sich einer irdischen Herrin gelobt hat, denn die Frauen verlangen gern, daß die Gelübde der Männer ihnen allein zukommen.«
Ivo seufzte: »Es naht die gnadenvolle Zeit der zwölf Nächte, in welcher einst unser Herr Christus geboren wurde; er lag als Kindlein in ärmlicher Hütte und als er ein lachender Knabe war, hielt ihn die Jungfrau in ihren Armen. Mich wundert nicht, daß so viele Helden der Christenheit nach dem heiligen Lande gefahren sind, denn wahrlich, es muß Wonne sein, an den Stätten zu knien, wo einst der Herr leibhaftig gewandelt ist.«
»Die Pfaffen sagen, daß solche Fahrt alle Sünden eines Mannes austilgt. Auch Godwin und ich hatten ein gutes Vertrauen, als wir mit Eurem Vater das Kreuz nahmen, doch blieben wir auf halbem Wege in Italien sitzen, und ich bin unsicher, ob die im Himmel den Willen für die Tat nehmen.«
Ivo sah wieder in das Feuer. »Den Mantel sehe ich und die Kinderköpfe darunter, und darüber holdselig das Antlitz der reinen Magd.« Beide saßen in langem Schweigen, das Feuer brannte herunter, die blauen Flammen züngelten aus den glühenden Kohlen, sie schwanden und fuhren aufs neue empor, wenn die Luft stärker in den Schlot wehte. Endlich rüttelte sich Ivo auf und blickte in dem dunklen Raum umher und über die lange Gestalt des Treuen, welcher achtungsvoll auf dem Schemel saß und den nächsten Einfall seines Herrn erwartete. »Wie steht es drüben in Eurem Hofe?« fragte Ivo.
»Ich denke, Frau Jutte schafft am Herde und sorgt für die Abendkost,« versetzte Henner gleichgültig, »und die jungen Wölfe werden nicht weit ab sein, denn sie sind eßlustig.«
»Ist es Euch recht, Herr, so will ich heut Euer Gast sein und eine Kanne Wein zum Abendtisch steuern, wenn Frau Jutte mich sehen will.«
»Das ist hohe Ehre,« rief Henner, »erlaubt, daß ich vorausgehe und die unartigen Knaben auf ihr Lager scheuche, damit sie nicht um Euch glotzen und heulen, denn sie gleichen noch zu sehr ungeleckten Wildtieren.«
»Nein, laßt sie, wo sie sind. Der Knecht mit der Kanne soll uns begleiten, ich will nicht, daß Eure Hausfrau mich anders halte, als einen guten Gesellen ihres Wirtes.«
Die Männer brachen auf, und Ivo saß den Abend am Herde seines Dienstmannes, rief die Knaben zu sich, hörte auf ihre kindlichen Reden und erzählte ihnen Geschichten, die er als Kind vernommen hatte, bis er selbst in die Stimmung kam, zu spielen und zu lachen, wie ein sorgloser Knabe.
Die Tage wurden länger, der Winter, der grausame Herr, mußte mit seinen Rittern Reif und Frost das Land räumen, und die kleinen Vögel, denen er lange den Gesang gewehrt, flatterten wieder durch die grünen Baumknospen. Die Schneewurz und das Veilchen hoben ihre Häupter aus dem Grunde, und der Frühlingswind wehte warm über Berg und Tal. Wieder tummelte sich die Dorfjugend auf dem Anger und der Ball flog zur Lerche empor. Aber die Zahl der Springenden war gemindert, mancher, der sich im letzten Mai mit stolzem Mut über die Genossen gehoben hatte, lag still unter grünem Rasen, viele saßen kummervoll in dem leeren Hofe und andere schweiften mit wilden Gedanken in der Ferne und mieden die Nähe des Richters und seiner Schergen.
Ivo stand im Bergwalde, auf dem Grund seiner Väter, gelehnt an den Stamm einer alten Eiche, deren Äste der Sturmwind durchfahren hatte, bevor die ersten Kirchenglocken in den Tälern erklangen. Die Zügel des müden Rosses hatte er um eine aufspringende Wurzel des Baumes geschlungen, er selbst sah über die Wälder hinab nach der Gegend, in welcher sein Hof lag; um ihn rauschten die Wipfel, am Himmel trieben die Wolken schnell unter der Sonne dahin und warfen Schatten und dämmrige Lichter auf die Landschaft. Auch die Gedanken des Mannes flogen unstet umher; wieder war sein heimlicher Ritt nach dem Quell und Baum fruchtlos gewesen, er hatte keinen Brief der geliebten Frau gefunden und von den Leuten der Umgegend erfahren, daß man sie nach Welschland geführt habe. »Der Sonne lichter Schein vergeht,« sprach er leise, »und graue Schatten fahren durch meine Seele, der fröhliche Mut ist geschwunden, mit dem ich im vorigen Jahr über die Flur ritt. Der Rettbacher höhnte meine Hofleute mit einer Sage, die durch das Land geht, daß die Frauen auf der Landgrafenburg ein Gewebe verbrannt haben. Ist das Geschwätz auch unwahr, mir tut es doch wehe. Oh, zürne mir nicht, geliebte Herrin, wenn ich sorge, daß der Mantel ein kindisches Werk und des langen Reitens nicht wert war. – Aus dem Harzwald weht der Duft und die Vöglein im Laube singen wie sonst, der Frühling hat jedes Festgewand in Wald und Flur wohlbereitet, aber die Menschenwelt um mich sehe ich verwandelt, und verwandelt bin ich selbst. Langweilig wird mir das Reiterspiel unter meinen Gesellen, und wenn ich in der Halle meiner Väter sitze, empfinde ich die kalte Öde des Winters. Im Herzen schelte ich eitel und nichtig, was ich gerade treibe, mir zucken die Glieder, und die Faust ballt sich, als könnte ich etwas Großes tun und mein Leben wagen für ein heilbringendes Werk. Wahrlich, Gefahr würde mich trösten und heißer Kampf. – Wofür? – Sie sagen, daß der Mann den höchsten Preis erringe im Kampfe um die heiligen Stätten, wo die Gottesmutter unsern Herrn auf ihren Armen trug. Manches Geschlecht vergangener Helden ist nach dem Osten gefahren und hat fruchtlos sein Blut vergossen, zwei meiner Ahnen sind denselben Weg gezogen und mit gebrochener Kraft zurückgekehrt. Aber auch der Glaube ist kalt geworden, und wir zweifeln, ob es in Wahrheit Gottes Wille ist, daß wir im Heergewande über das Meer ziehen. – Hier ist die Stelle, wo ich den Landgrafen knien sah. Jetzt ist er aus Welschland zurückgekehrt, es war ein kühles Wiedersehen, sein Mut war beschwert und gern habe ich ihm in diesem Jahre den Ehrentrunk erlassen. Man sagt, daß er jetzt eine neue Fahrt rüstet.«
Aus der Tiefe läuteten unablässig die Klosterglocken. »Zu welchem Feste laden die lustigen Mönche von Reinhardsbrunn so dringend?« Er neigte sich vor dem Bilde der Gottesmutter am Baum, band sein Pferd los und ritt langsam über seine Mark dem Kloster zu. Als er in die Waldlichtung hinabkam, welche das Kloster umgab, fand er den Grund mit Rossen und Reisigen gefüllt und erkannte das Gefolge vieler Edlen aus der Umgegend, darunter auch die Knechte seines Oheims Meginhard. An der Klostermauer war ein großes rotes Kreuz aufgerichtet. Dort drängte sich das Landvolk um einen Bettelmönch in brauner Kutte, der mit heftigen Armbewegungen eine neue Kreuzfahrt ausschrie und hohen Lohn jedem verkündete, der mit seinen Waffen zur Befreiung des heiligen Landes ausziehen werde, völlige Vergebung aller Sünden und dreijährigen Frieden und Schutz für Habe und Eigen, Weib und Kind in der Heimat. Einige der Zuhörer waren niedergekniet, hoben die Arme nach dem Kreuz und begleiteten die Worte des Mönches mit Stöhnen und Ausrufungen des Entzückens. Die meisten aber standen schweigend in stumpfer Neugier, oder schüttelten den Kopf und sprachen zueinander. Da übergab Ivo einem Knaben sein Pferd und schritt durch das offene Tor zu dem Klosterhof, in welchem die Kirche lag. Leise trat er ein und blieb unter den Knappen an der Tür. Er fand eine erwählte Gesellschaft. Der Landgraf selbst stand auf den Stufen des Chors, ein rotes Kreuz an der Schulter, aber er blickte zerstreut und in trüben Gedanken um sich. Neben ihm lag Frau Else vor dem Altar, bitterlich weinend und ganz aufgelöst in Schmerz. Denn lange hatte der Gemahl ihr verborgen, daß er schon in Welschland sich der Kreuzfahrt zugelobt, und hatte das Zeichen der Fahrt heimlich auf dem Unterkleide getragen. Dort hatte sie es in vertrauter Stunde entdeckt, und jetzt fühlte sie ihr Elend. Auf der andern Seite der Altarstufen aber sah Ivo einen fremden Mann in der Rittertracht der Marienbrüder, mit einem großen goldenen Kreuz am Halse, umgeben von Zugehörigen des Ordens. Der ganze Raum der Kirche war von knienden Edlen und ihren Rittern angefüllt, gegen welche Meister Konrad oben am Altar stand. Von den Knienden erhob sich einer nach dem andern und stieg zu dem Priester hinauf, der ihm das rote Kreuz anheftete und ihn segnete, während rings umher feierlich der Chorgesang der schwarzen Mönche erscholl. Ivo sah, wie sein Oheim Meginhard das Kreuz empfing und nach ihm Ritter Konz und noch ein junger Knappe, Berthold, der Sohn des Richters. Als Meister Konrad die Knienden sämtlich gezeichnet hatte, erhob er mächtig seine Stimme und rief:
»Ihr aber, die ihr von fern steht, bedenket euer Heil. Wer ein Schwert zu schwingen vermag, der rüste sich zum Kampfe, denn der Herr spricht: Vater und Mutter sollt ihr verlassen und mir nachfolgen, von Haus und Hof sollt ihr euch scheiden und mein Kreuz auf euch nehmen, damit die Welt erkenne, wer zu mir gehört. Auf, auf, ihr Helden, zur heiligen Reise, Gott will es!« Und die Versammelten riefen, die Arme hebend: »Gott will es!« Da eilten noch manche aus dem Hintergrunde zum Altar, warfen sich vor die Füße des Priesters und ließen sich zeichnen. Aufs neue erhob Konrad die mächtige Stimme und rief zum Kreuze, und Ivo meinte zu erkennen, daß der Priester mit finsterem Blicke nach ihm hinsah und ihn durch seine Rede anmahne. Er aber neigte das Haupt und blieb stehen. Als die Mönche einen neuen Gesang begannen, trat er leise zurück und verließ die heilige Stätte, schwang sich auf sein Roß und ritt in tiefen Gedanken seinem Hofe zu.
Am nächsten Tage saß er auf der Galerie seines Hauses und sprach zu Nikolaus: »Du selbst warst im heiligen Lande, wie kommt es, daß du lieber von anderem erzählst als davon?«
»Ich war jung,« antwortete Nikolaus, »mich bedrückte meine Sünde noch wenig, auch stand ich mit leerem Magen auf dem Ölberg, und der Hunger ist der Andacht hinderlich. Das Beste, was man dort fühlt, läßt sich nicht sagen, und was man erlebt, ist nicht viel Gutes.«
Ivo fuhr in seinen Gedanken fort: »Als ich aus dem Klosterhofe trat, schrie der Mönch draußen an der Mauer gerade wie Meister Konrad drinnen: ›Wer kommt noch mehr?‹ Und als er einen ernsthaften Mann nahe bei sich stehen sah, rief er diesen vor anderen zu sich: ›Kommt, Freund, und nehmt das Kreuz auf euch.‹ Der Mann aber antwortete: ›Ich war bereits dort.‹ Da wandte sich der Mönch ab und der andere auch und sie hatten nichts mehr miteinander zu reden. Das wunderte mich. Weißt du, was das bedeutet?«
Der Schüler sah nach, ob die Türe geschlossen war, bevor er die Antwort gab: »Ich traf einst einen fahrenden Mann, der gegen eine kleine Spende den größten Narren auf Erden zu zeigen versprach. Wer die Tasche auftat, dem öffnete er einen verhüllten Kasten und sprach dazu: ›Haltet's geheim vor jedermann.‹ Alle schieden verlegen von dem Kasten. Was meint Ihr wohl, was in dem Kasten war? Ein kleines Spiegelglas. Jeder behielt für sich, daß er sich als Narren geschaut hatte. Jener Mönch und der andere, beide wußten, was in dem Kasten zu finden war. – Dennoch wünsche ich Euch, daß Ihr einmal die heilige Fahrt unternehmt. Macht's auch nicht froher, es macht klüger.«
Ein Hornruf des Türmers verkündete das Nahen Bewaffneter. Die Knechte des Hofes liefen zu der Brücke und Herr Godwin trat in das Tor. Ivo vernahm die Hufschläge der Einreitenden, im nächsten Augenblick kam die Meldung, daß Hermann von Salza, der Meister der Marienbrüder, im Hofe sei. Er eilte dem berühmten Herrn auf die Schwelle entgegen und geleitete ihn in das Gastgemach, während das Gefolge durch die Dienstmannen in der großen Halle begrüßt wurde. Neugierig betrachtete Ivo den vielgenannten Helden in der Nähe, und er war überrascht, daß dieser, den er sich wie einen stolzen Krieger gedacht hatte, als ein Herr von mittler Größe vor ihm stand, mit einem Gesicht, dessen vorstechender Zug gutherzige Freundlichkeit war; nur die klugen Augen und die Falten der Stirn verrieten, daß große Gedanken und schwere Sorgen durch sein Haupt gegangen waren. Einfach wie das Aussehen des Fremden war auch seine Anrede, und seine Sprache klang so vertraulich in das Ohr, daß dem jungen Hofherrn vorkam, als begrüße ihn ein alter Bekannter: »Ihr habt Euch dem Kreuze versagt, edler Herr. Als ich in meine Heimat ritt, um dem Zuge des Kaisers ritterliche Schwertgenossen zu gewinnen, da hoffte ich, daß Ihr in der frommen Schar nicht fehlen würdet, denn ich weiß, Euer Beispiel gilt viel in den Burgen.«
»Ich sah eine große Zahl bewährter Krieger, welche Eurem Rufe gefolgt ist,« antwortete Ivo, »ich aber habe nur geringe Erfahrung auf dem Schlachtfelde gewonnen.«
»Soll ich Euch in das Gesicht rühmen?« fragte der Meister mit einem wohltuenden Lächeln. »Was einen Helden locken kann, biete ich Euch; ersehnt Ihr Heldentat und Ruhm, kein Kampf ist ehrenvoller als gegen die Ungläubigen, und die Sänger verkünden das Lob des Siegers in allen Sprachen der Christenheit. Ihr wißt, daß auch der heilige Vater hohen Preis auf solche Fahrt gesetzt hat, wie ihn die Kirche zu spenden vermag.«
Ivo versetzte mit höflicher Zurückhaltung: »Vieles hören wir von Frevel und Torheit der Christen im Morgenlande, was uns das Herz erkältet.«
»Ihr könnt nur wenig von dem gehört haben,« versetzte Hermann ernst, »was ich selbst mit Sorgen erlebte. Wilde Missetat der Eifrigen und harte Klugheit der Großen, welche mehr an den eigenen Vorteil denken als an die Pflicht des Kreuzes. Um unserer Sünden willen hat, wie ich fürchte, der große Gott uns entrissen, was die Frömmigkeit eines früheren Geschlechtes gewann. Aber gerade darum, weil die Argen dort zahlreich sind, sollen die Redlichen der Fahrt nicht widersprechen, damit der Himmel wieder gnädig unseren Waffen beistehe.«
»Uns aber, Herr,« entgegnete Ivo, »bedrängt jetzt die Not in der Nähe. Ohne Freude sage ich, was ich doch nicht verschweigen darf, die Ritterfahrt in das heilige Land gilt bei uns für kostbar, und wohlbekannt ist der Wucher und die Bosheit, mit welcher die Christen auf dem weiten Wege den Wallenden betrügen.«
»Hindert Euch diese Sorge, welche ich verständig nenne, so wißt, edler Herr, der Kaiser hat mich nicht ohne Goldschatz in das Land gesandt, und ich vermag Euch an Geld zu bieten, was die Rüstung und Reisezehrung kostet.«
»Wie darf ich Gold nehmen, damit ich mich dem Dienst des Himmelsherrn gelobe?« rief Ivo verletzt. »Mich wundert, daß Ihr mir ein solches Angebot tut.«
»Ich wollte Euch nicht kränken«, versetzte der Gast ruhig. »Doch wisset, edler Ivo, solche Reisespende ist ein gewöhnlicher Handel, und die höchsten Herren begehren ihn, denn an Geld zur Rüstung fehlt es ihnen immer, und manchmal ist das für andere ein Glück. Auch Graf Meginhard, Euer Oheim, bereitet sich zur Kreuzfahrt mit dem Golde, welches ihm der Landgraf aus dem Schatze des Kaisers zahlt.«
»Es tut mir wehe, wenn ich nicht loben kann, was mein Oheim tut«, antwortete Ivo finster. »Mir verbietet die Ehre, das Werbegeld des Kaisers zu empfangen, und ich denke, Herr, auch Ihr würdet an meiner Stelle fremdes Gold nicht nehmen.«
»Ich bin nur ein Dienstmann der Jungfrau,« sagte der andere, »und ich denke ungern daran, was ich tun würde, wenn ich nicht in den Schuhen des Bruders Hermann stände. So wie ich bin, lobe ich den edlen Stolz, der sich weigert, um Gold zu pilgern, aber verzeiht mir, wenn ich den Rittersinn eines Christen nicht preise, der sich weigert, für den Himmelsgott die Waffen zu tragen, weil ihn solcher Dienst zu viel Geld kostet.«
Ivo errötete bis an die Schläfen, und Hermann fuhr fort: »Der kühne Turnierkämpfer, welcher, um seiner irdischen Herrin im Spiel zu gefallen, Goldringe austeilte, wird mir nicht im Ernst sagen, daß seine Truhen leer sind, wenn es eine Fahrt zu Ehren des Erlösers gilt.«
Ivo fühlte tief den Vorwurf, doch er antwortete ehrlich: »Streng sind Eure Worte, Herr, aber Ihr habt recht. Ich selbst, wenn ich unzufrieden war mit mir und mit anderen, habe zuweilen daran gedacht, daß ich den freudigen Mut wiedergewinnen könnte durch guten Schwertschlag am Ölberge. Dennoch, Herr, darf ich Euch nicht bergen, daß ich in meinem Innern auch eine warnende Stimme vernehme, welche mir diese Speerreise widerrät. Wenn der Himmelsherr das gelobte Land der Christenheit gönnen wollte, er vermöchte das zu tun ohne unsere Waffen.«
»Sprecht diese Worte nicht nach, edler Ivo, ein satter Pfaffe hat sie erdacht, und Ihr scheltet dadurch mich selbst einen Toren«, antwortete der Meister mit Nachdruck. »Gott wirkt seine größten Werke durch die Gedanken und den Willen der Menschen, welche ihm dienen. Seit zwanzig Jahren fahre ich rastlos über die wilde See und durch die Länder der Christen und Heiden, um die Kreuzfahrt möglich zu machen, zu welcher ich Euch lade. Darum habe ich verzichtet auf Gut und Eigen, auf ein Ehegemahl und auf Söhne aus meinem Blut. Ich habe gekämpft gegen den Eigennutz und die Bosheit der Mächtigen und gegen die dumpfe Trägheit der Reichen.«
Er war aufgestanden wie Ivo, jetzt wies er auf die Sessel: »Gönnt einem Vielgeschäftigen noch einmal Rast unter Eurem Dache. Ihr wißt, ich bin ein Thüring wie Ihr, der Hof, in dem ich geboren wurde, liegt so nahe an dem Euren, daß ein Roß den Reiter in einem Tage hinträgt. Ich sah einst Euren Vater, und was ich von ihm kennenlernte, machte mir den Sohn wert. Darum vernehmt mit günstiger Gesinnung eine Mahnung, die ich nicht in die weite Welt hinausrufen darf. Als ich, fast noch ein Jüngling, nach dem Morgenland kam, fand ich allen Landbesitz der Christen und alle Gewalt in den Händen der Welschen, zumal der Gallier. Französisch war Sprache und Sitte, mit Hochmut und Verachtung blickten sie auf die Männer unseres Volkes herab. Auch die beiden mächtigen Bruderschaften vom Tempel und St. Johannes gehörten den Fremden, kam einer unserer Landsleute zu ihnen, so mußte er sich schnell der heimischen Weise entledigen, wenn er unter ihnen gelten wollte. Ihrem Schwert allein und ihrer Heldenkraft schrieben sie die Eroberung des heiligen Landes zu. In Jerusalem sah ich das Grabmal des stärksten Helden im Kreuzheere, des Schwaben Wigger, der mit seinem Schwert einen raubenden Löwen zerschlug und unter König Gottfried zuerst über die Mauer von Jerusalem sprang, durch die Eitelkeit der Fremden zerschlagen und geschändet, damit die unwillkommene Erinnerung an unser Volk dahinschwinde.«
»Die gottlosen Buben«, murmelte Ivo zornig.
»Meine Faust ballte sich, als ich den Frevel sah, wie jetzt die Eure beim Hören«, fuhr Hermann fort. »Da lernte ich unsere heimische Art mit der fremden vergleichen und ich fand, daß wir nicht schlechter waren als jene. Ich erkannte auch, wie Jerusalem durch Schuld der Christen verloren ward. Zuchtlose Kreuzfahrer aus allen Ländern der Christenheit saßen dort durcheinander in Hader und Untreue, in Wahrheit heimatlose Abenteurer, nur auf den eigenen Vorteil bedacht, oft einer im Kampf mit dem andern und den ungläubigen Heiden verbündet. Soll Jerusalem wiedergewonnen werden und die Herrschaft der Christen dauern, so müssen sie alle einem starken Herrn dienen, der seine Macht nicht ihnen dankt, sondern der sie selbst zu schützen, zu bändigen und zu strafen vermag. Dieser Herr aber ist unser Kaiser Friedrich. Und gegen die Verdorbenheit und Untreue der Fremden sollen Männer eines Volkes, dem die Redlichkeit nicht zum Spott geworden ist, als Hüter des heiligen Grabes gesetzt werden, und diese Männer sollen Eure und meine Landsleute sein. In solcher Meinung will Kaiser Friedrich die neue Kriegsfahrt rüsten, auf die Wehrhaften unseres Volkes hat er sein ganzes Vertrauen gesetzt. Vor anderen aber sind es Edle und Ritter des Thüringer Landes, auf die er hofft. Denn wie ein Herzland liegt es in der Mitte und die größte Kraft ist hier gesammelt, ich darf das zum Lobe meiner Heimat wohl sagen. Wenn wir jetzt in edler Schar über das Meer ziehen, so tun wir dies auch, um den Namen der Deutschen zu Ehren zu bringen und eine Herrschaft unseres Blutes über die Länder am Südmeere zu begründen. Das zu bewirken ist das hohe Ziel meines Lebens. Darum bin ich vor Euch getreten mit hoher Mahnung, als Thüring, und als Meister einer Bruderschaft, welche sich vom deutschen Hause nennt. Und darum strecke ich jetzt bittend meine Hand gegen Euch aus, damit Ihr ein Jahr Eurer Jugend dem heiligen Werke weihet als ein Christ und als ein Edler unseres Volkes.«
Gefesselt durch die warme Rede des mächtigen Mannes saß Ivo mit geröteten Wangen. Zum ersten Male, seit er lebte, wurde er gerufen, weil er ein Deutscher war; und verwundert dachte er nach, welchen Wert solche Aufforderung für ihn haben könne. Aber während er den Grund eines tiefen Quells erschauen wollte, gewahrte er darin plötzlich sein eigenes Bild. Ihm stieg das Blut ins Gesicht, als er fühlte, daß eine Kränkung seines Volkes auch Kränkung seiner eigenen Ehre war; und die Hand erfassend, antwortete er: »Ihr habt meine Seele nicht vergebens daran gemahnt, daß ich als ein Kriegsmann meinem Volke zu dienen schuldig bin. Denkt nicht gering von mir, wenn ich heut das Ja nicht ausspreche, das ich gern geben möchte. Ich bin nicht ganz so frei, wie Ihr meint, auch ich stehe unter einem Gelübde; und ich darf nur sagen, daß Ihr meinen guten Willen gewonnen habt; entscheiden über meine Zukunft kann ich erst, wenn ich da gefragt habe, wo ich diene.«
Der Meister bewegte beistimmend das Haupt: »Ich ehre die Rücksicht auf ältere Pflicht. Habe ich Euren guten Willen gewonnen, so vertraue ich, daß ihm die Tat nicht säumig folgen wird.« Und nachdem er noch einiges über Zeit und Ort der Heeresversammlung mitgeteilt hatte, brach er auf, und die Hand Ivos festhaltend, sagte er: »Es war eine kurze Begrüßung, aber ich werde mit Freude daran denken. Auf Wiedersehen, will's Gott, im Hafen, wenn ein guter Fahrwind dem heiligen Lande zuweht.« Damit schied er vom Hofe.
Eher als Ivo dachte, erhielt er einen Gruß seiner Herrin, der die Unsicherheit beendete. Von Gotha ritt ein Knecht des alten Walter von Vargula bei ihm ein mit der Nachricht, daß Frau Else ihm mündlich eine Botschaft mitzuteilen habe. Ivo schwang sich auf sein schnellstes Pferd und traf vor der Stadt mit Herrn Walter zusammen, der nach der Begrüßung klagte: »Meine Herrin weilt unter den Siechen, dort will sie Euch sehen. Ich fürchte, Ihr werdet sie verändert finden, die Trennung von Herrn Ludwig hat ihr diesmal fast das Herz gebrochen, drei Tage dauerte der Abschied, seitdem lebt sie nur für ihre Kinder und die Armen.«
Am Bette der armen Kranken sah Ivo die Landgräfin in klösterlicher Tracht, verweint und erblichen, hinter ihr stand wie ein dunkler Schatten Magister Konrad. Als Frau Else ihm entgegentrat, zog eine flüchtige Röte über ihr vergrämtes Gesicht, und mit einem Blick auf den Priester begann sie: »Man hat mir gesagt, daß ich ein gutes Werk tue, wenn ich Euch spreche. Es war der Wunsch meines lieben Hauswirtes, Ihr möchtet Euch der Fahrt, welche sie die gnadenvolle nennen, nicht entziehen, denn er sagte mehrmals, lieber würde er Euch in seiner Nähe sehen, als daheim. Auch Frau Hedwig, die Ihr einst bei uns getroffen habt, schreibt mir durch einen Boten vom Kaiserhofe diese Worte über Euch: ›Sorge nicht, denn alles verheißt der Schwertreise ins gelobte Land gutes Glück, und am ruhmvollsten zieht ihr Thüringe daher. Manche unter uns meinen auch, daß Euer starker Speerbrecher, Herr Ivo, nicht fehlen wird, da es jetzt gilt, der heiligen Jungfrau zu Jerusalem statt des alten Gewandes, das die Sarazenen zerrissen haben, ein neues zu erkämpfen.‹ Nur das wollte ich Euch ausrichten, Herr; verzeiht, daß ich Euch bemühte«, schloß die Landgräfin, das Pergament zusammenlegend und verneigte sich wie zum Abschiede.
Diese Worte entschieden den inneren Kampf Ivos. Mit Entzücken erfüllte ihn die Hoffnung, daß er seine geliebte Herrin in Welschland treffen könne, ja daß sie vielleicht wie Frauen oft taten, selbst die Pilgerreise im Gefolge des Heeres wagen werde; deshalb antwortete er zur Stelle: »Die Mahnung, die mir durch Euren Mund kommt, soll nicht verloren sein. Ich denke mich zur Fahrt zu bereiten.«
Mit großen Augen, wie erschrocken über seine schnelle Bereitwilligkeit, sah ihn Frau Else an, und wieder rötete sich ihre Wange ein wenig; dem Scheidenden folgte der finstere Blick des Priesters Konrad.