Sigmund Freud
Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse
Sigmund Freud

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

517 32. Vorlesung

Angst und Triebleben

Meine Damen und Herren! Sie werden nicht überrascht sein zu hören, daß ich Ihnen manche Neuheiten von unserer Auffassung der Angst und der Grundtriebe des Seelenlebens zu berichten habe, auch nicht, daß keine derselben als endgültige Lösung der schwebenden Probleme gelten will. In bestimmter Absicht spreche ich hier von Auffassungen. Es sind die schwierigsten Aufgaben, die uns gestellt werden, aber die Schwierigkeit liegt nicht etwa an der Unzulänglichkeit der Beobachtungen, es sind gerade die häufigsten und vertrautesten Phänomene, die uns jene Rätsel aufgeben; auch nicht an der Entlegenheit der Spekulationen, zu denen sie anregen; spekulative Verarbeitung kommt auf diesem Gebiet wenig in Betracht. Sondern es handelt sich wirklich um Auffassungen, d. h. darum, die richtigen abstrakten Vorstellungen einzuführen, deren Anwendung auf den Rohstoff der Beobachtung Ordnung und Durchsichtigkeit in ihm entstehen läßt.

 

Der Angst habe ich bereits eine Vorlesung der früheren Reihe, die fünfundzwanzigste, gewidmet. Ich muß deren Inhalt in Verkürzung wiederholen. Wir haben gesagt, Angst sei ein Affektzustand, also eine Vereinigung von bestimmten Empfindungen der Lust-Unlust-Reihe mit den ihnen entsprechenden Abfuhrinnervationen und deren Wahrnehmung, wahrscheinlich aber der Niederschlag eines gewissen bedeutungsvollen Ereignisses, durch Vererbung einverleibt, also vergleichbar dem individuell erworbenen hysterischen Anfall. Als jenes Ereignis, das eine solche Affektspur hinterlassen, haben wir den Vorgang der Geburt in Anspruch genommen, bei dem die der Angst eigenen Beeinflussungen von Herztätigkeit und Atmung zweckmäßig waren. Die allererste Angst wäre also eine toxische gewesen. Wir sind dann von der Unterscheidung zwischen Realangst und neurotischer Angst ausgegangen, die erstere eine uns begreiflich scheinende Reaktion auf die Gefahr, d. h. auf erwartete Schädigung von außen, die andere durchaus rätselhaft, wie zwecklos. In einer Analyse der Realangst haben wir sie auf einen Zustand gesteigerter sensorischer Aufmerksamkeit und 518 motorischer Spannung reduziert, den wir Angstbereitschaft heißen. Aus dieser entwickle sich die Angstreaktion. In der seien zwei Ausgänge möglich. Entweder die Angstentwicklung, die Wiederholung des alten traumatischen Erlebnisses, beschränkt sich auf ein Signal, dann kann die übrige Reaktion sich der neuen Gefahrlage anpassen, in Flucht oder Verteidigung ausgehen, oder das Alte behält die Oberhand, die gesamte Reaktion erschöpft sich in der Angstentwicklung, und dann wird der Affektzustand lähmend und für die Gegenwart unzweckmäßig.

Wir haben uns dann zur neurotischen Angst gewendet und gesagt, daß wir sie unter dreierlei Verhältnissen beobachten. Erstens als frei flottierende, allgemeine Ängstlichkeit, bereit, sich vorübergehend mit jeder neu auftauchenden Möglichkeit zu verknüpfen, als sogenannte Erwartungsangst, wie z. B. bei der typischen Angstneurose. Zweitens fest gebunden an bestimmte Vorstellungsinhalte in den sogenannten Phobien, bei denen wir eine Beziehung zur äußeren Gefahr zwar noch erkennen mögen, aber die Angst vor ihr für maßlos übertrieben halten müssen. Endlich drittens die Angst bei der Hysterie und anderen Formen schwerer Neurosen, die entweder Symptome begleitet oder unabhängig auftritt als Anfall oder länger anhaltender Zustand, immer aber ohne ersichtliche Begründung durch eine äußere Gefahr. Wir haben uns dann die zwei Fragen vorgelegt: Wovor fürchtet man sich bei neurotischer Angst? und: Wie kann man diese mit der Realangst vor äußeren Gefahren zusammenbringen?

Unsere Untersuchungen sind keineswegs erfolglos geblieben, wir haben einige wichtige Aufschlüsse gewonnen. In bezug auf die ängstliche Erwartung hat uns die klinische Erfahrung einen regelmäßigen Zusammenhang mit dem Libidohaushalt im Sexualleben kennen gelehrt. Die gewöhnlichste Ursache der Angstneurose ist die frustrane Erregung. Es wird eine libidinöse Erregung hervorgerufen, aber nicht befriedigt, nicht verwendet; an Stelle dieser von ihrer Verwendung abgelenkten Libido tritt dann die Ängstlichkeit auf. Ich glaubte mich sogar berechtigt zu sagen, diese unbefriedigte Libido verwandle sich direkt in Angst. Diese Auffassung fand eine Unterstützung in gewissen ganz regelmäßigen Phobien der kleinen Kinder. Viele dieser Phobien sind uns durchaus rätselhaft, andere aber, wie die Angst im Alleinsein und die vor fremden Personen, lassen eine sichere Erklärung zu. Die Einsamkeit sowie das fremde Gesicht erwecken die Sehnsucht nach der vertrauten Mutter; das Kind kann diese libidinöse Erregung nicht beherrschen, nicht in Schwebe halten, sondern verwandelt sie in Angst. 519 Diese Kinderangst ist also nicht der Realangst, sondern der neurotischen zuzurechnen. Die Kinderphobien und die Angsterwartung der Angstneurose geben uns zwei Beispiele für die eine Art, wie neurotische Angst entsteht: Durch direkte Umwandlung der Libido. Einen zweiten Mechanismus werden wir sofort kennenlernen; es wird sich zeigen, daß er vom ersten nicht sehr verschieden ist.

Für die Angst bei der Hysterie und anderen Neurosen machen wir nämlich den Vorgang der Verdrängung verantwortlich. Wir meinen, wir können diesen vollständiger als vorhin beschreiben, wenn wir das Schicksal der zu verdrängenden Vorstellung von dem des ihr anhaftenden Libidobetrags gesondert halten. Es ist die Vorstellung, die die Verdrängung erfährt, eventuell zum Unkenntlichen entstellt wird; ihr Affektbetrag aber wird regelmäßig in Angst verwandelt und zwar gleichgültig, von welcher Art er sein mag, ob Aggression oder Liebe. Nun macht es keinen wesentlichen Unterschied, aus welchem Grund ein Libidobetrag unverwendbar geworden ist, ob aus infantiler Schwäche des Ichs wie bei den Kinderphobien, infolge somatischer Vorgänge im Sexualleben wie bei der Angstneurose oder durch Verdrängung wie bei der Hysterie. Die beiden Mechanismen der Entstehung neurotischer Angst fallen also eigentlich zusammen.

Während dieser Untersuchungen sind wir auf eine höchst bedeutsame Beziehung zwischen Angstentwicklung und Symptombildung aufmerksam geworden, nämlich, daß die beiden einander vertreten und ablösen. Der Agoraphobe z. B. beginnt seine Leidensgeschichte mit einem Angstanfall auf der Straße. Dieser würde sich jedesmal wiederholen, wenn er wieder auf die Straße ginge. Er schafft nun das Symptom der Straßenangst, das man auch eine Hemmung, Funktionseinschränkung des Ichs heißen kann, und erspart sich dadurch den Angstanfall. Das Umgekehrte sieht man, wenn man sich, wie es z. B. bei Zwangshandlungen möglich ist, in die Symptombildung einmengt. Hindert man den Kranken, sein Waschzeremoniell auszuführen, so gerät er in einen schwer erträglichen Angstzustand, gegen den ihn offenbar sein Symptom geschützt hatte. Und zwar scheint es, daß die Angstentwicklung das Frühere, die Symptombildung das Spätere ist, als ob die Symptome geschaffen würden, um den Ausbruch des Angstzustandes zu vermeiden. Und dazu stimmt es auch, daß die ersten Neurosen des Kindesalters Phobien sind, Zustände, an denen man so deutlich erkennt, wie eine anfängliche Angstentwicklung durch die spätere Symptombildung abgelöst wird: man empfängt den Eindruck, daß man 520 von diesen Beziehungen her den besten Zugang zum Verständnis der neurotischen Angst finden wird. Gleichzeitig ist es uns auch gelungen, die Frage zu beantworten, wovor man sich bei neurotischer Angst fürchtet, und so die Verbindung zwischen neurotischer und Realangst herzustellen. Das, wovor man sich fürchtet, ist offenbar die eigene Libido. Der Unterschied von der Situation der Realangst liegt in zwei Punkten, daß die Gefahr eine innerliche ist anstatt einer äußeren und daß sie nicht bewußt erkannt wird.

Bei den Phobien kann man sehr deutlich erkennen, wie diese innerliche Gefahr in eine äußerliche umgesetzt, also neurotische Angst in scheinbare Realangst verwandelt wird. Nehmen wir, um einen oft sehr komplizierten Sachverhalt zu vereinfachen, an, daß der Agoraphobe sich regelmäßig vor den Regungen der Versuchung fürchte, die in ihm durch die Begegnungen auf der Straße geweckt werden. In seiner Phobie nimmt er eine Verschiebung vor und ängstigt sich nun vor einer äußeren Situation. Sein Gewinn dabei ist offenbar, daß er meint, sich so besser schützen zu können. Vor einer äußeren Gefahr kann man sich durch die Flucht retten, der Fluchtversuch vor einer inneren Gefahr ist ein schwieriges Unternehmen.

Am Schlusse meiner damaligen Vorlesung über die Angst habe ich selbst dem Urteil Ausdruck gegeben, daß diese verschiedenen Ergebnisse unserer Untersuchung nicht etwa einander widersprechen, aber doch irgendwie nicht zusammenstimmen. Die Angst ist als Affektzustand die Reproduktion eines alten gefahrdrohenden Ereignisses, die Angst steht im Dienst der Selbsterhaltung und ist ein Signal einer neuen Gefahr, sie entsteht aus irgendwie unverwendbar gewordener Libido, auch bei dem Prozeß der Verdrängung, sie wird durch die Symptombildung abgelöst, gleichsam psychisch gebunden – man verspürt, daß hier etwas fehlt, was aus Stücken eine Einheit macht.

 

Meine Damen und Herren! Jene Zerlegung der seelischen Persönlichkeit in ein Über-Ich, Ich und Es, die ich Ihnen in der letzten Vorlesung vorgetragen, hat uns auch eine neue Orientierung im Angstproblem aufgenötigt. Mit dem Satz, das Ich ist die alleinige Angststätte, nur das Ich kann Angst produzieren und verspüren, haben wir eine neue, feste Position bezogen, von der aus manche Verhältnisse ein anderes Ansehen zeigen. Und wirklich, wir wüßten nicht, was für Sinn es hätte, 521 von einer »Angst des Es« zu sprechen, oder dem Über-Ich die Fähigkeit zur Ängstlichkeit zuzuschreiben. Hingegen haben wir es als eine erwünschte Entsprechung begrüßt, daß die drei Hauptarten der Angst, die Realangst, die neurotische und die Gewissensangst sich so zwanglos auf die drei Abhängigkeiten des Ichs, von der Außenwelt, vom Es und vom Über-Ich, beziehen lassen. Mit dieser neuen Auffassung ist auch die Funktion der Angst als Signal zur Anzeige einer Gefahrsituation, die uns ja vorher nicht fremd war, in den Vordergrund getreten, die Frage, aus welchem Stoff die Angst gemacht wird, hat an Interesse verloren, und die Beziehungen zwischen Realangst und neurotischer Angst haben sich in überraschender Weise geklärt und vereinfacht. Es ist übrigens bemerkenswert, daß wir jetzt die anscheinend komplizierten Fälle von Entstehung der Angst besser verstehen als die für einfach gehaltenen.

Wir haben nämlich neuerlich untersucht, wie die Angst bei gewissen Phobien entsteht, die wir der Angsthysterie zurechnen, und Fälle gewählt, bei denen es sich um die typische Verdrängung der Wunschregungen aus dem Ödipuskomplex handelte. Unserer Erwartung nach hätten wir finden sollen, daß es die libidinöse Besetzung des Mutterobjekts ist, die sich infolge der Verdrängung in Angst verwandelt und nun im symptomatischen Ausdruck als an den Vaterersatz geknüpft auftritt. Ich kann Ihnen die einzelnen Schritte einer solchen Untersuchung nicht vorführen, genug, das überraschende Resultat war das Gegenteil unserer Erwartung. Nicht die Verdrängung schafft die Angst, sondern die Angst ist früher da, die Angst macht die Verdrängung! Aber was für Angst kann es sein? Nur die Angst vor einer drohenden äußeren Gefahr, also eine Realangst. Es ist richtig, der Knabe bekommt Angst vor einem Anspruch seiner Libido, in diesem Falle vor der Liebe zu seiner Mutter, es ist also wirklich ein Fall von neurotischer Angst. Aber diese Verliebtheit erscheint ihm nur darum als eine innere Gefahr, der er sich durch den Verzicht auf dieses Objekt entziehen muß, weil sie eine äußere Gefahrsituation heraufbeschwört. Und in allen Fällen, die wir untersuchen, erhalten wir dasselbe Resultat. Bekennen wir es nur, wir waren nicht darauf gefaßt, daß sich die innere Triebgefahr als eine Bedingung und Vorbereitung einer äußeren, realen Gefahrsituation herausstellen würde.

Wir haben aber noch gar nicht gesagt, was die reale Gefahr ist, die das 522 Kind als Folge seiner Mutterverliebtheit fürchtet. Es ist die Strafe der Kastration, der Verlust seines Gliedes. Natürlich werden Sie einwerfen, das sei doch keine reale Gefahr. Unsere Knaben werden doch nicht kastriert, weil sie in der Phase des Ödipuskomplexes in die Mutter verliebt sind. Aber das ist nicht so einfach abzutun. Vor allem kommt es nicht darauf an, ob die Kastration wirklich geübt wird; entscheidend ist, daß die Gefahr eine von außen drohende ist und daß das Kind an sie glaubt. Dazu hat es einigen Anlaß, denn man droht ihm oft genug mit dem Abschneiden des Gliedes während seiner phallischen Phase, in der Zeit seiner frühen Onanie, und Andeutungen dieser Strafe dürften regelmäßig eine phylogenetische Verstärkung bei ihm finden. Wir vermuten, in den Urzeiten der menschlichen Familie wurde die Kastration vom eifersüchtigen und grausamen Vater wirklich an den heranwachsenden Knaben vollzogen, und die Beschneidung, die bei den Primitiven so häufig ein Bestandteil des Mannbarkeitsrituals ist, sei ein gut kenntlicher Rest von ihr. Wir wissen, wie weit wir uns damit von der allgemeinen Ansicht entfernen, aber wir müssen daran festhalten, daß die Kastrationsangst einer der häufigsten und stärksten Motoren der Verdrängung und damit der Neurosenbildung ist. Analysen von Fällen, in denen zwar nicht die Kastration, aber wohl die Beschneidung bei Knaben als Therapie oder als Strafe für die Onanie vollzogen wurde, was in der anglo-amerikanischen Gesellschaft gar nicht so selten geschah, haben unserer Überzeugung die letzte Sicherheit gegeben. Es ist eine große Verlockung, an dieser Stelle näher auf den Kastrationskomplex einzugehen, aber wir wollen bei unserem Thema bleiben. Die Kastrationsangst ist natürlich nicht das einzige Motiv der Verdrängung, sie hat ja bereits bei den Frauen keine Stätte, die zwar einen Kastrationskomplex haben, aber keine Kastrationsangst haben können. An ihre Stelle tritt beim anderen Geschlecht die Angst vor dem Liebesverlust, ersichtlich eine Fortbildung der Angst des Säuglings, wenn er die Mutter vermißt. Sie verstehen, welche reale Gefahrsituation durch diese Angst angezeigt wird. Wenn die Mutter abwesend ist oder dem Kind ihre Liebe entzogen hat, ist es ja der Befriedigung seiner Bedürfnisse nicht mehr sicher, möglicherweise den peinlichsten Spannungsgefühlen ausgesetzt. Weisen Sie die Idee nicht ab, daß diese Angstbedingungen im Grunde die Situation der ursprünglichen Geburtsangst wiederholen, die ja auch eine Trennung von der Mutter bedeutete. Ja wenn Sie einem Gedankengang von Ferenczi 523 folgen, können Sie auch die Kastrationsangst dieser Reihe anschließen, denn der Verlust des männlichen Gliedes hat ja die Unmöglichkeit einer Wiedervereinigung mit der Mutter oder dem Ersatz für sie im Sexualakt zur Folge. Ich erwähne Ihnen nebenbei, die so häufige Phantasie der Rückkehr in den Mutterleib ist der Ersatz dieses Koituswunsches. Es gäbe hier noch so viel interessante Dinge und überraschende Zusammenhänge zu berichten, aber ich kann nicht über den Rahmen einer Einführung in die Psychoanalyse hinausgehen, will Sie nur noch aufmerksam machen, wie hier psychologische Ermittlungen bis zu biologischen Tatsachen vorstoßen.

Otto Rank, dem die Psychoanalyse viele schöne Beiträge verdankt, hat auch das Verdienst, die Bedeutung des Geburtsakts und der Trennung von der Mutter nachdrücklich betont zu haben. Allerdings fanden wir es alle unmöglich, die extremen Folgerungen anzunehmen, die er aus diesem Moment für die Theorie der Neurosen und sogar für die analytische Therapie gezogen hat. Den Kern seiner Lehre, daß das Angsterlebnis der Geburt das Vorbild aller späteren Gefahrsituationen ist, hatte er bereits vorgefunden. Wenn wir bei diesen verweilen, werden wir sagen können, daß eigentlich jedem Entwicklungsalter eine bestimmte Angstbedingung, also Gefahrsituation, als ihm adäquat zugeteilt ist. Die Gefahr der psychischen Hilflosigkeit paßt zum Stadium der frühen Unreife des Ichs, die Gefahr des Objekt- (Liebes-)verlusts zur Unselbständigkeit der ersten Kinderjahre, die Kastrationsgefahr zur phallischen Phase, endlich die Angst vor dem Über-Ich, die eine besondere Stellung einnimmt, zur Latenzzeit. Mit dem Lauf der Entwicklung sollen die alten Angstbedingungen fallengelassen werden, da die ihnen entsprechenden Gefahrsituationen durch die Erstarkung des Ichs entwertet werden. Aber das ist nur in sehr unvollkommener Weise der Fall. Viele Menschen können die Angst vor dem Liebesverlust nicht überwinden, sie werden nie unabhängig genug von der Liebe anderer und setzen in diesem Punkt ihr infantiles Verhalten fort. Die Angst vor dem Über-Ich soll normalerweise kein Ende finden, da sie als Gewissensangst in den sozialen Beziehungen unentbehrlich ist und der Einzelne nur in den seltensten Fällen von der menschlichen Gemeinschaft unabhängig werden kann. Einige der alten Gefahrsituationen verstehen es auch, sich in späte Zeit 524 hinüberzuretten, indem sie ihre Angstbedingungen zeitgemäß modifizieren. So erhält sich z. B. die Kastrationsgefahr unter der Maske der Syphilophobie. Man weiß zwar als Erwachsener, daß die Kastration nicht mehr als Strafe für das Gewährenlassen sexueller Gelüste üblich ist, aber man hat dafür erfahren, daß solche Triebfreiheit mit schweren Erkrankungen bedroht ist. Es ist kein Zweifel, daß die Personen, die wir Neurotiker heißen, in ihrem Verhalten zur Gefahr infantil bleiben und verjährte Angstbedingungen nicht überwunden haben. Nehmen wir dies als tatsächlichen Beitrag zur Charakteristik der Neurotiker an; warum es so ist, kann man nicht so schnell sagen.

Ich hoffe, Sie haben nicht die Übersicht verloren und wissen noch, daß wir dabei sind, die Beziehungen zwischen Angst und Verdrängung zu untersuchen. Wir haben dabei zwei Dinge neu erfahren, erstens, daß die Angst die Verdrängung macht, nicht, wie wir meinten, umgekehrt, und daß eine gefürchtete Triebsituation im Grunde auf eine äußere Gefahrsituation zurückgeht. Die nächste Frage wird lauten: Wie stellen wir uns jetzt den Vorgang einer Verdrängung unter dem Einfluß der Angst vor? Ich denke so: Das Ich merkt, daß die Befriedigung eines auftauchenden Triebanspruchs eine der wohl erinnerten Gefahrsituationen heraufbeschwören würde. Diese Triebbesetzung muß also irgendwie unterdrückt, aufgehoben, ohnmächtig gemacht werden. Wir wissen, diese Aufgabe gelingt dem Ich, wenn es stark ist und die betreffende Triebregung in seine Organisation einbezogen hat. Der Fall der Verdrängung ist aber der, daß die Triebregung noch dem Es angehört und das Ich sich schwach fühlt. Dann hilft sich das Ich durch eine Technik, die im Grunde mit der des normalen Denkens identisch ist. Das Denken ist ein probeweises Handeln mit kleinen Energiemengen, ähnlich wie die Verschiebungen kleiner Figuren auf der Landkarte, ehe der Feldherr seine Truppenmassen in Bewegung setzt. Das Ich antizipiert also die Befriedigung der bedenklichen Triebregung und erlaubt ihr, die Unlustempfindungen zu Beginn der gefürchteten Gefahrsituation zu reproduzieren. Damit ist der Automatismus des Lust-Unlust-Prinzips ins Spiel gebracht, der nun die Verdrängung der gefährlichen Triebregung durchführt.

525 Halt! werden Sie mir zurufen; da können wir nicht weiter mitgehen! Sie haben recht, ich muß noch einiges dazu tun, bevor es Ihnen annehmbar erscheinen kann. Zunächst das Zugeständnis, daß ich versucht habe, in die Sprache unseres normalen Denkens zu übersetzen, was in Wirklichkeit ein gewiß nicht bewußter oder vorbewußter Vorgang zwischen Energiebeträgen an einem unvorstellbaren Substrat sein muß. Aber das ist kein starker Einwand; man kann es ja nicht anders machen. Wichtiger ist, daß wir klar unterscheiden, was bei der Verdrängung im Ich und was im Es vorgeht. Was das Ich tut, haben wir eben gesagt. Es wendet eine Probebesetzung an und weckt den Lust-Unlust-Automatismus durch das Angstsignal. Dann sind mehrere Reaktionen möglich oder eine Vermengung von ihnen in wechselnden Beträgen. Entweder der Angstanfall wird voll entwickelt und das Ich zieht sich gänzlich von der anstößigen Erregung zurück; oder es setzt ihr an Stelle der Probebesetzung eine Gegenbesetzung entgegen und diese tritt mit der Energie der verdrängten Regung zur Symptombildung zusammen oder wird als Reaktionsbildung, als Verstärkung bestimmter Dispositionen, als bleibende Veränderung ins Ich aufgenommen. Je mehr die Angstentwicklung auf ein bloßes Signal beschränkt werden kann, desto mehr verwendet das Ich auf die Abwehraktionen, die einer psychischen Bindung des Verdrängten gleichkommen, desto eher nähert sich auch der Vorgang einer normalen Verarbeitung an, gewiß ohne sie zu erreichen. Nebenbei, wir wollen hier einen Augenblick verweilen. Sie haben gewiß schon selbst angenommen, daß jenes schwer Definierbare, das man Charakter heißt, durchaus dem Ich zuzuteilen ist. Einiges, was diesen Charakter schafft, haben wir schon erhascht. Vor allem die Einverleibung der früheren Elterninstanz als Über-Ich, wohl das wichtigste, entscheidende Stück, sodann die Identifizierungen mit beiden Eltern der späteren Zeit und anderen einflußreichen Personen und die gleichen Identifizierungen als Niederschläge aufgelassener Objektbeziehungen. Fügen wir jetzt als nie fehlende Beiträge zur Charakterbildung die Reaktionsbildungen hinzu, die das Ich zuerst in seinen Verdrängungen, später, bei den Zurückweisungen unerwünschter Triebregungen, durch normalere Mittel erwirbt.

526 Nun kehren wir zurück und wenden uns zum Es. Was bei der Verdrängung an der bekämpften Triebregung vorgeht, ist nicht mehr so leicht zu erraten. Unser Interesse fragt ja hauptsächlich, was geschieht mit der Energie, der libidinösen Ladung dieser Erregung, wie wird sie verwendet? Sie erinnern sich, die frühere Annahme war, gerade sie werde durch die Verdrängung in Angst verwandelt. Das getrauen wir uns nicht mehr zu sagen; die bescheidene Antwort wird vielmehr lauten: wahrscheinlich ist ihr Schicksal nicht jedesmal das gleiche. Wahrscheinlich besteht eine intime Entsprechung zwischen dem jemaligen Vorgang im Ich und dem im Es an der verdrängten Regung, die uns bekannt werden sollte. Seitdem wir nämlich das Lust-Unlust-Prinzip, das durch das Angstsignal geweckt wird, in die Verdrängung haben eingreifen lassen, dürfen wir unsere Erwartungen abändern. Dies Prinzip regiert die Vorgänge im Es ganz unumschränkt. Wir können ihm zutrauen, daß es recht tiefgreifende Veränderungen an der betreffenden Triebregung zustande bringt. Wir sind darauf gefaßt, daß es sehr verschiedene Erfolge der Verdrängung geben wird, mehr oder weniger weitgehende. In manchen Fällen mag die verdrängte Triebregung ihre Libidobesetzung behalten, im Es unverändert fortbestehen, wenn auch unter dem ständigen Druck des Ichs. Andere Male scheint es vorzukommen, daß sie eine vollständige Zerstörung erfährt, bei der ihre Libido endgültig in andere Bahnen übergeleitet wird. Ich meinte, es geschehe so bei der normalen Erledigung des Ödipuskomplexes, der also in diesem wünschenswerten Falle nicht einfach verdrängt, sondern im Es zerstört wird. Die klinische Erfahrung hat uns ferner gezeigt, daß in vielen Fällen anstatt des gewohnten Verdrängungserfolgs eine Libidoerniedrigung statthat, eine Regression der Libidoorganisation zu einer früheren Stufe. Das kann natürlich nur im Es vor sich gehen, und wenn es geschieht, dann unter dem Einfluß desselben Konflikts, der durch das Angstsignal eingeleitet wird. Das auffälligste Beispiel dieser Art gibt die Zwangsneurose, bei der Libidoregression und Verdrängung zusammenwirken.

Meine Damen und Herren! Ich besorge, diese Ausführungen werden Ihnen schwer faßbar erscheinen, und Sie werden erraten, daß sie nicht erschöpfend dargestellt sind. Ich bedauere, Ihr Mißvergnügen erregen zu müssen. Ich kann mir aber kein anderes Ziel setzen, als daß Sie einen Eindruck empfangen von der Art unserer Ergebnisse und 527 den Schwierigkeiten ihrer Erarbeitung. Je tiefer wir in das Studium der seelischen Vorgänge eindringen, desto mehr erkennen wir deren Reichhaltigkeit und Verwicklung. Manche einfache Formel, die uns anfangs zu entsprechen schien, hat sich später als unzureichend herausgestellt. Wir werden nicht müde, sie abzuändern und zu verbessern. In der Vorlesung über Traumtheorie habe ich Sie in ein Gebiet geführt, auf dem sich in fünfzehn Jahren kaum ein neuer Fund ergeben hatte; hier, wo wir von der Angst handeln, sehen Sie alles in Fluß und Wandlung begriffen. Diese neuen Dinge sind auch noch nicht gründlich durchgearbeitet worden, vielleicht macht ihre Darstellung auch darum Schwierigkeiten. Halten Sie aus, wir werden das Thema der Angst bald verlassen können; ich behaupte nicht, daß es dann zu unserer Befriedigung erledigt sein wird. Hoffentlich sind wir doch um ein Stückchen weiter gekommen. Und unterwegs haben wir allerlei neue Einsichten erworben. So werden wir auch jetzt durch das Studium der Angst veranlaßt, unserer Schilderung des Ichs einen neuen Zug hinzuzufügen. Wir haben gesagt, das Ich sei schwach gegen das Es, sei sein getreuer Diener, bemüht, dessen Befehle durchzuführen, dessen Forderungen zu erfüllen. Wir denken nicht daran, diesen Satz zurückzunehmen. Aber anderseits ist dies Ich doch der besser organisierte, gegen die Realität orientierte Teil des Es. Wir dürfen die Sonderung beider nicht zu sehr übertreiben, auch nicht überrascht sein, wenn dem Ich seinerseits ein Einfluß auf die Vorgänge im Es zustünde. Ich meine, diesen Einfluß übt das Ich aus, indem es mittels des Angstsignals das fast allmächtige Lust-Unlust-Prinzip in Tätigkeit bringt. Allerdings unmittelbar darauf zeigt es wieder seine Schwäche, denn durch den Akt der Verdrängung verzichtet es auf ein Stück seiner Organisation, muß zulassen, daß die verdrängte Triebregung dauernd seinem Einfluß entzogen bleibt.

Und jetzt nur noch eine Bemerkung zum Angstproblem! Die neurotische Angst hat sich uns unter unseren Händen in Realangst verwandelt, in Angst vor bestimmten äußeren Gefahrsituationen. Aber dabei kann es nicht bleiben, wir müssen einen weiteren Schritt machen, der aber ein Schritt zurück sein wird. Wir fragen uns, was ist denn eigentlich das Gefährliche, das Gefürchtete an einer solchen Gefahrsituation? Offenbar nicht die objektiv zu beurteilende Schädigung der Person, die psychologisch gar nichts zu bedeuten brauchte, sondern was von ihr im Seelenleben angerichtet wird. Die Geburt z. B., unser Vorbild für den Angstzustand, kann doch kaum an sich als eine Schädigung 528 betrachtet werden, wenngleich die Gefahr von Schädigungen dabei sein mag. Das Wesentliche an der Geburt wie an jeder Gefahrsituation ist, daß sie im seelischen Erleben einen Zustand von hochgespannter Erregung hervorruft, der als Unlust verspürt wird und dessen man durch Entladung nicht Herr werden kann. Heißen wir einen solchen Zustand, an dem die Bemühungen des Lustprinzips scheitern, einen traumatischen Moment, so sind wir über die Reihe neurotische Angst-Realangst-Gefahrsituation zu dem einfachen Satz gelangt: das Gefürchtete, der Gegenstand der Angst, ist jedesmal das Auftreten eines traumatischen Moments, der nicht nach der Norm des Lustprinzips erledigt werden kann. Wir verstehen sofort, durch die Begabung mit dem Lustprinzip sind wir nicht gegen objektive Schädigungen gesichert worden, sondern nur gegen eine bestimmte Schädigung unserer psychischen Ökonomie. Vom Lustprinzip zum Selbsterhaltungstrieb ist noch ein weiter Weg, es fehlt viel daran, daß beider Absichten sich vom Anfang an decken. Wir sehen aber auch noch etwas anderes; vielleicht ist dies die Lösung, die wir suchen. Nämlich, daß es sich hier überall um die Frage der relativen Quantitäten handelt. Nur die Größe der Erregungssumme macht einen Eindruck zum traumatischen Moment, lähmt die Leistung des Lustprinzips, gibt der Gefahrsituation ihre Bedeutung. Und wenn es sich so verhält, wenn sich diese Rätsel durch eine so nüchterne Auskunft beheben, warum sollte es nicht möglich sein, daß derartige traumatische Momente sich im Seelenleben ohne Beziehung auf die angenommenen Gefahrsituationen ereignen, bei denen also die Angst nicht als Signal geweckt wird, sondern neu mit frischer Begründung entsteht? Die klinische Erfahrung sagt mit Bestimmtheit aus, daß es wirklich so ist. Nur die späteren Verdrängungen zeigen den Mechanismus, den wir beschrieben haben, bei dem die Angst als Signal einer früheren Gefahrsituation wachgerufen wird; die ersten und ursprünglichen entstehen direkt bei dem Zusammentreffen des Ichs mit einem übergroßen Libidoanspruch aus traumatischen Momenten, sie bilden ihre Angst neu, allerdings nach dem Geburtsvorbild. Dasselbe mag für die Angstentwicklung bei Angstneurose durch somatische Schädigung der Sexualfunktion gelten. Daß es die Libido selbst ist, die dabei in Angst verwandelt wird, werden wir nicht mehr behaupten. Aber gegen eine zweifache Herkunft der Angst, einmal als direkte Folge des traumatischen Moments, das andere Mal als Signal, daß die Wiederholung eines solchen droht, sehe ich keinen Einwand.

529 Meine Damen und Herren! Nun sind Sie gewiß froh, daß Sie nichts mehr über die Angst anzuhören brauchen. Aber Sie haben nichts davon, es kommt nichts Besseres nach. Ich habe den Vorsatz, Sie noch heute auf das Gebiet der Libidotheorie oder Trieblehre zu führen, wo sich gleichfalls manches neu gestaltet hat. Ich will nicht sagen, daß wir hierin große Fortschritte gemacht haben, so daß es Ihnen jede Mühe lohnen würde, davon Kenntnis zu nehmen. Nein, es ist ein Feld, auf dem wir mühsam nach Orientierung und Einsichten ringen; Sie sollen nur Zeugen unserer Bemühung werden. Auch hier muß ich auf manches zurückgreifen, was ich Ihnen früher vorgetragen habe.

Die Trieblehre ist sozusagen unsere Mythologie. Die Triebe sind mythische Wesen, großartig in ihrer Unbestimmtheit. Wir können in unserer Arbeit keinen Augenblick von ihnen absehen und sind dabei nie sicher, sie scharf zu sehen. Sie wissen, wie sich das populäre Denken mit den Trieben auseinandersetzt. Man nimmt so viele und so verschiedenartige Triebe an, als man eben braucht, einen Geltungs-, Nachahmungs-, Spiel-, Geselligkeitstrieb und viele dergleichen mehr. Man nimmt sie gleichsam auf, läßt jeden seine besondere Arbeit tun und entläßt sie dann wieder. Uns hat immer die Ahnung gerührt, daß hinter diesen vielen kleinen ausgeliehenen Trieben sich etwas Ernsthaftes und Gewaltiges verbirgt, dem wir uns vorsichtig annähern möchten. Unser erster Schritt war bescheiden genug. Wir sagten uns, man gehe wahrscheinlich nicht irre, wenn man zunächst zwei Haupttriebe, Triebarten oder Triebgruppen unterscheide, nach den zwei großen Bedürfnissen: Hunger und Liebe. So eifersüchtig wir sonst die Unabhängigkeit der Psychologie von jeder anderen Wissenschaft verteidigen, hier stehe man doch im Schatten der unerschütterlichen biologischen Tatsache, daß das lebende Einzelwesen zwei Absichten diene, der Selbsterhaltung und der Arterhaltung, die unabhängig voneinander scheinen, unseres Wissens noch keine gemeinsame Ableitung erfahren haben, deren Interessen einander im tierischen Leben oft widerstreiten. Man treibe hier eigentlich biologische Psychologie, studiere die psychischen Begleiterscheinungen biologischer Vorgänge. Als Vertreter dieser Auffassung sind die »Ichtriebe« und die »Sexualtriebe« in die Psychoanalyse eingezogen. Zu den ersteren rechneten wir alles, was mit der Erhaltung, Behauptung, Vergrößerung der Person zu tun hat. Den letzteren mußten wir die Reichhaltigkeit leihen, die das infantile und das perverse Sexualleben verlangen. Da wir bei der Untersuchung der Neurosen das Ich als die einschränkende, verdrängende Macht 530 kennenlernten, die Sexualstrebungen als das Eingeschränkte, Verdrängte, glaubten wir nicht nur die Verschiedenheit, sondern auch den Konflikt zwischen beiden Triebgruppen mit Händen zu greifen. Gegenstand unseres Studiums waren zunächst nur die Sexualtriebe, deren Energie wir »Libido« benannten. An ihnen versuchten wir unsere Vorstellungen, was ein Trieb sei und was man ihm zuschreiben dürfe, zu klären. Dies ist die Stelle der Libidotheorie.

Ein Trieb unterscheidet sich also von einem Reiz darin, daß er aus Reizquellen im Körperinnern stammt, wie eine konstante Kraft wirkt und daß die Person sich ihm nicht durch die Flucht entziehen kann, wie es beim äußeren Reiz möglich ist. Man kann am Trieb Quelle, Objekt und Ziel unterscheiden. Die Quelle ist ein Erregungszustand im Körperlichen, das Ziel die Aufhebung dieser Erregung, auf dem Wege von der Quelle zum Ziel wird der Trieb psychisch wirksam. Wir stellen ihn vor als einen gewissen Energiebetrag, der nach einer bestimmten Richtung drängt. Von diesem Drängen hat er den Namen: Trieb. Man spricht von aktiven und passiven Trieben, sollte richtiger sagen: aktiven und passiven Triebzielen; auch zur Erreichung eines passiven Zieles bedarf es eines Aufwands von Aktivität. Das Ziel kann am eigenen Körper erreicht werden, in der Regel ist ein äußeres Objekt eingeschoben, an dem der Trieb sein äußeres Ziel erreicht; sein inneres bleibt jedesmal die als Befriedigung empfundene Körperveränderung. Ob die Beziehung zur somatischen Quelle dem Trieb eine Spezifität verleiht und welche, ist uns nicht klar geworden. Daß Triebregungen aus einer Quelle sich solchen aus anderen Quellen anschließen und deren weiteres Schicksal teilen, daß überhaupt eine Triebbefriedigung durch eine andere ersetzt werden kann, sind nach dem Zeugnis der analytischen Erfahrung unzweifelhafte Tatsachen. Gestehen wir nur, daß wir sie nicht besonders gut verstehen. Auch die Beziehung des Triebs zu Ziel und Objekt läßt Abänderungen zu, beide können gegen andere vertauscht werden, die Beziehung zum Objekt ist immerhin leichter zu lockern. Eine gewisse Art von Modifikation des Ziels und Wechsel des Objekts, bei der unsere soziale Wertung in Betracht kommt, zeichnen wir als Sublimierung aus. Wir haben außerdem noch Grund, zielgehemmte Triebe zu unterscheiden, Triebregungen aus gut bekannten Quellen mit unzweideutigem Ziel, die aber auf dem Weg zur Befriedigung haltmachen, so daß eine dauernde Objektbesetzung und eine anhaltende Strebung zustande kommt. Solcher Art ist z. B. die Zärtlichkeitsbeziehung, die unzweifelhaft aus den Quellen sexueller 531 Bedürftigkeit herrührt und regelmäßig auf deren Befriedigung verzichtet. Sie sehen, wieviel von den Eigenschaften und Schicksalen der Triebe sich noch unserem Verständnis entzieht; wir sollten hier auch eines Unterschieds gedenken, der sich zwischen Sexualtrieben und Selbsterhaltungstrieben zeigt und der theoretisch höchst bedeutsam wäre, wenn er die ganze Gruppe beträfe. Die Sexualtriebe fallen uns auf durch ihre Plastizität, die Fähigkeit, ihre Ziele zu wechseln, durch ihre Vertretbarkeit, indem sich eine Triebbefriedigung durch eine andere ersetzen läßt, und durch ihre Aufschiebbarkeit, von der uns eben die zielgehemmten Triebe ein gutes Beispiel gegeben haben. Diese Eigenschaften möchten wir den Selbsterhaltungstrieben absprechen und von ihnen aussagen, daß sie unbeugsam, unaufschiebbar, in ganz anderer Weise imperativ sind und zur Verdrängung wie zur Angst ein ganz anderes Verhältnis haben. Allein die nächste Überlegung sagt uns, daß diese Ausnahmsstellung nicht allen Ichtrieben, nur dem Hunger und dem Durst zukommt und offenbar durch eine Besonderheit der Triebquellen begründet ist. Ein gutes Stück des verwirrenden Eindrucks kommt noch daher, daß wir nicht gesondert betrachtet haben, welche Veränderungen die ursprünglich dem Es angehörigen Triebregungen unter dem Einfluß des organisierten Ichs erfahren.

Auf festerem Boden bewegen wir uns, wenn wir untersuchen, auf welche Weise das Triebleben der Sexualfunktion dient. Hier haben wir ganz entscheidende Einsichten erworben, die Ihnen auch nicht mehr neu sind. Es ist also nicht so, daß man einen Sexualtrieb erkennt, der von Anfang an die Strebung nach dem Ziel der Sexualfunktion, der Vereinigung der beiden Geschlechtszellen, trägt. Sondern wir sehen eine große Anzahl von Partialtrieben, von verschiedenen Körperstellen und Regionen her, die ziemlich unabhängig voneinander nach Befriedigung streben und diese Befriedigung in etwas finden, was wir Organlust heißen können. Die Genitalien sind die spätesten unter diesen exogenen Zonen, ihrer Organlust wird man den Namen: sexuelle Lust nicht mehr verweigern. Nicht alle dieser nach Lust strebenden Regungen werden in die schließliche Organisation der Sexualfunktion aufgenommen. Manche von ihnen werden als unbrauchbar beseitigt, durch Verdrängung oder anderswie, einige werden in der vorhin erwähnten 532 merkwürdigen Weise von ihrem Ziel abgelenkt und zur Verstärkung anderer Regungen verwendet, noch andere bleiben in Nebenrollen erhalten, dienen zur Durchführung einleitender Akte, zur Erzeugung von Vorlust. Sie haben gehört, daß sich in dieser lang hingezogenen Entwicklung mehrere Phasen einer vorläufigen Organisation erkennen lassen, auch wie sich aus dieser Geschichte der Sexualfunktion ihre Abirrungen und Verkümmerungen erklären. Die erste dieser prägenitalen Phasen heißen wir die orale, weil entsprechend der Art, wie der Säugling ernährt wird, die erogene Mundzone auch beherrscht, was man die sexuelle Tätigkeit dieser Lebensperiode heißen darf. Auf einer zweiten Stufe drängen sich die sadistischen und die analen Impulse vor, gewiß im Zusammenhang mit dem Auftreten der Zähne, der Erstarkung der Muskulatur und der Beherrschung der Sphinkterfunktionen. Wir haben gerade über diese auffällige Entwicklungsstufe viel interessante Einzelheiten erfahren. Als dritte erscheint die phallische Phase, in der bei beiden Geschlechtern das männliche Glied und, was ihm beim Mädchen entspricht, eine nicht mehr zu übersehende Bedeutung gewinnt. Den Namen der genitalen Phase haben wir der endgültigen Sexualorganisation vorbehalten, die sich nach der Pubertät herstellt, in der erst das weibliche Genitale die Anerkennung findet, die das männliche längst erworben hatte.

Soweit ist das alles abgeblaßte Wiederholung. Und glauben Sie nicht, daß all das, was ich diesmal nicht erwähnt habe, auch nicht mehr gilt. Es bedurfte dieser Wiederholung, um den Bericht über Fortschritte in unseren Einsichten daran anzuknüpfen. Wir können uns rühmen, daß wir gerade über die frühen Organisationen der Libido viel Neues erfahren und die Bedeutung des Alten klarer erfaßt haben, was ich Ihnen wenigstens an einzelnen Proben zeigen will. Abraham hat 1924 dargetan, daß man an der sadistisch-analen Phase zwei Stufen unterscheiden kann. Auf der früheren dieser beiden walten die destruktiven Tendenzen des Vernichtens und Verlierens vor, auf der späteren die objektfreundlichen des Festhaltens und Besitzens. In der Mitte dieser Phase tritt also zuerst die Rücksicht auf das Objekt auf als Vorläufer einer späteren Liebesbesetzung. Ebenso berechtigt ist es, eine solche 533 Unterteilung auch für die erste orale Phase anzunehmen. Auf der ersten Unterstufe handelt es sich nur um die orale Einverleibung, es fehlt auch jede Ambivalenz in der Beziehung zum Objekt der Mutterbrust. Die zweite Stufe, durch das Auftreten der Beißtätigkeit ausgezeichnet, kann als die oralsadistische bezeichnet werden; sie zeigt zum erstenmal die Erscheinungen der Ambivalenz, die dann in der nächsten, der sadistisch-analen Phase so viel deutlicher werden. Der Wert dieser neuen Unterscheidungen zeigt sich besonders, wenn man bei bestimmten Neurosen – Zwangsneurose, Melancholie – nach den Dispositionsstellen in der Libidoentwicklung sucht. Rufen Sie sich hier ins Gedächtnis zurück, was wir über den Zusammenhang von Libidofixierung, Disposition und Regression erfahren haben.

Unsere Einstellung zu den Phasen der Libidoorganisation hat sich überhaupt ein wenig verschoben. Wenn wir früher vor allem betonten, wie die eine derselben vor der nächsten vergeht, so gehört unsere Aufmerksamkeit jetzt den Tatsachen, die uns zeigen, wieviel von jeder früheren Phase neben und hinter den späteren Gestaltungen erhalten bleibt und sich eine dauernde Vertretung im Libidohaushalt und im Charakter der Person erwirbt. Noch bedeutsamer sind Studien geworden, die uns gelehrt haben, wie häufig sich unter pathologischen Bedingungen Regressionen zu früheren Phasen ereignen und daß bestimmte Regressionen für bestimmte Krankheitsformen charakteristisch sind. Aber das kann ich hier nicht behandeln; es gehört in eine spezielle Neurosenpsychologie.

Triebumsetzungen und ähnliche Vorgänge haben wir besonders an der Analerotik, den Erregungen aus den Quellen der erogenen Analzone, studieren können und waren überrascht, wie vielfältigen Verwendungen diese Triebregungen zugeführt werden. Es ist vielleicht nicht leicht, sich von der Geringschätzung frei zu machen, die im Laufe der Entwicklung gerade diese Zone betroffen hat. Lassen wir uns darum von Abraham daran mahnen, daß der Anus embryologisch dem Urmund entspricht, welcher bis zum Darmende herabgewandert ist. Wir erfahren dann, daß mit der Entwertung des eigenen Kots, der Exkremente, dieses Triebinteresse aus analer Quelle auf Objekte übergeht, die als 534 Geschenk gegeben werden können. Und dies mit Recht, denn der Kot war das erste Geschenk, das der Säugling machen konnte, dessen er sich aus Liebe zu seiner Pflegerin entäußerte. Im weiteren, durchaus analog dem Bedeutungswandel in der Sprachentwicklung, setzt sich dies alte Kotinteresse in die Wertschätzung von Gold und Geld um, gibt aber auch seinen Beitrag zur affektiven Besetzung von Kind und von Penis. Nach der Überzeugung aller Kinder, die ja lange Zeit an der Kloakentheorie festhalten, wird das Kind wie ein Stück Kot aus dem Darm geboren; die Defäkation ist das Vorbild des Geburtsaktes. Aber auch der Penis hat seinen Vorläufer in der Kotsäule, die das Schleimhautrohr des Darmes ausfüllt und reizt. Wenn das Kind, widerwillig genug, zur Kenntnis genommen hat, daß es menschliche Wesen gibt, die dieses Glied nicht besitzen, erscheint ihm der Penis als etwas vom Körper Ablösbares und rückt in unverkennbare Analogie zum Exkrement, das ja das erste Stück Leiblichkeit war, auf das man verzichten mußte. Ein großes Stück Analerotik wird so in Penisbesetzung überführt, aber das Interesse an diesem Körperteil hat außer der analerotischen eine vielleicht noch mächtigere orale Wurzel, denn nach der Einstellung des Säugens erbt der Penis auch von der Brustwarze des mütterlichen Organs.

Es ist unmöglich, sich in den Phantasien, den vom Unbewußten beeinflußten Einfällen und in der Symptomsprache des Menschen zurechtzufinden, wenn man diese tiefliegenden Beziehungen nicht kennt. Kot-Geld-Geschenk-Kind-Penis werden hier wie gleichbedeutend behandelt, auch durch gemeinsame Symbole vertreten. Vergessen Sie auch nicht, daß ich Ihnen nur sehr unvollständige Mitteilungen machen konnte. Ich kann etwa eilig hinzufügen, daß auch das später erwachende Interesse an der Vagina hauptsächlich analerotischer Herkunft ist. Es ist nicht verwunderlich, denn die Vagina selbst ist nach einem guten Wort von Lou Andreas-Salomé dem Enddarm »abgemietet«; im Leben der Homosexuellen, die ein gewisses Stück der Sexualentwicklung nicht mitgemacht haben, wird sie auch wieder durch diesen vertreten. In Träumen kommt häufig eine Lokalität vor, die früher ein einziger Raum war und jetzt durch eine Wand in zwei geteilt ist oder auch umgekehrt. Damit ist immer das Verhältnis der Vagina zum Darm gemeint. Wir können auch schön verfolgen, wie beim Mädchen normalerweise der ganz und gar unweibliche Wunsch nach dem Besitz eines Penis 535 sich in den Wunsch nach einem Kind und dann nach einem Mann als Träger des Penis und Spender des Kindes umwandelt, so daß auch hier sichtbar wird, wie ein Stück ursprünglich analerotischen Interesses die Aufnahme in die spätere Genitalorganisation erwirbt.

Während solcher Studien an den prägenitalen Phasen der Libido haben sich uns auch einige neue Einblicke in die Charakterbildung ergeben. Wir sind auf eine Trias von Eigenschaften aufmerksam geworden, die ziemlich regelmäßig beisammen sind: Ordentlichkeit, Sparsamkeit und Eigensinn, und haben aus der Analyse solcher Personen erschlossen, daß diese Eigenschaften aus der Aufzehrung und andersartigen Verwendung ihrer Analerotik hervorgegangen sind. Wir sprechen also von einem Analcharakter, wo wir diese auffällige Vereinigung finden, und bringen den Analcharakter in einen gewissen Gegensatz zur unaufgearbeiteten Analerotik. Eine ähnliche, vielleicht noch festere Beziehung fanden wir zwischen dem Ehrgeiz und der Urethralerotik. Eine merkwürdige Anspielung auf diesen Zusammenhang entnahmen wir der Sage, daß Alexander der Große in derselben Nacht geboren wurde, in der ein gewisser Herostrat aus eitler Ruhmsucht den viel bewunderten Tempel der Artemis zu Ephesos in Brand steckte. Als ob den Alten ein solcher Zusammenhang nicht unbekannt gewesen wäre! Wie viel das Urinieren mit Feuer und Feuerlöschen zu tun hat, wissen Sie ja. Natürlich erwarten wir, daß auch andere Charaktereigenschaften sich in ähnlicher Weise als Niederschläge oder Reaktionsbildungen bestimmter prägenitaler Libidoformationen ergeben werden, können es aber noch nicht aufzeigen.

 

Nun ist es aber an der Zeit, daß ich in der Geschichte wie im Thema zurückgreife und die allgemeinsten Probleme des Trieblebens wieder aufnehme. Unserer Libidotheorie lag zunächst der Gegensatz von Ichtrieben und Sexualtrieben zugrunde. Als wir dann später begannen, das Ich selbst näher zu studieren und den Gesichtspunkt des Narzißmus erfaßten, verlor diese Unterscheidung selbst ihren Boden. In seltenen Fällen kann man erkennen, daß das Ich sich selbst zum Objekt nimmt, sich benimmt, als ob es in sich selbst verliebt wäre. Daher der der 536 griechischen Sage entlehnte Narzißmus. Aber das ist nur eine extreme Übersteigerung eines normalen Sachverhalts. Man lernt verstehen, daß das Ich immer das Hauptreservoir der Libido ist, von dem libidinöse Besetzungen der Objekte ausgehen und in das dieselben wieder zurückkehren, während der Großteil dieser Libido stetig im Ich verbleibt. Es wird also unausgesetzt Ichlibido in Objektlibido umgewandelt und Objektlibido in Ichlibido. Dann können die beiden aber ihrer Natur nach nicht verschieden sein, dann hat es keinen Sinn, die Energie der einen von der der anderen zu sondern, man kann die Bezeichnung Libido fallenlassen oder sie als gleichbedeutend mit psychischer Energie überhaupt gebrauchen.

Wir sind nicht lange auf diesem Standpunkt verblieben. Die Ahnung von einer Gegensätzlichkeit innerhalb des Trieblebens hat sich bald einen anderen, noch schärferen Ausdruck verschafft. Diese Neuheit in der Trieblehre möchte ich aber nicht vor Ihnen ableiten; auch sie ruht im wesentlichen auf biologischen Erwägungen; ich werde sie Ihnen als fertiges Produkt vorführen. Wir nehmen an, daß es zwei wesensverschiedene Arten von Trieben gibt, die Sexualtriebe, im weitesten Sinne verstanden, den Eros, wenn Sie diese Benennung vorziehen, und die Aggressionstriebe, deren Ziel die Destruktion ist. Wenn Sie es so hören, werden Sie es kaum als Neuheit gelten lassen; es scheint ein Versuch zur theoretischen Verklärung des banalen Gegensatzes zwischen Lieben und Hassen, der vielleicht mit jener anderen Polarität von Anziehung und Abstoßung zusammenfällt, welche die Physik für die anorganische Welt annimmt. Aber es ist merkwürdig, daß diese Aufstellung doch von vielen als Neuerung empfunden wird, und zwar als eine sehr unerwünschte, die möglichst bald wieder beseitigt werden sollte. Ich nehme an, daß ein starkes affektives Moment sich in dieser Ablehnung durchsetzt. Warum haben wir selbst so lange Zeit gebraucht, ehe wir uns zur Anerkennung eines Aggressionstriebs entschlossen, warum nicht Tatsachen, die offen zutage liegen und jedermann bekannt sind, ohne Zögern für die Theorie verwertet? Wahrscheinlich würde es auf geringen Widerstand stoßen, wenn man den Tieren einen Trieb mit solchem Ziel zuschreiben wollte. Aber ihn in die menschliche Konstitution aufzunehmen, erscheint frevelhaft; es widerspricht zu vielen religiösen Voraussetzungen und sozialen Konventionen. Nein, der Mensch 537 muß von Natur aus gut oder wenigstens gutmütig sein. Wenn er sich gelegentlich brutal, gewalttätig, grausam zeigt, so sind das vorübergehende Trübungen seines Gefühlslebens, meist provoziert, vielleicht nur Folge der unzweckmäßigen Gesellschaftsordnungen, die er sich bisher gegeben hat.

Leider spricht was uns die Geschichte berichtet und was wir selbst erlebt haben nicht in diesem Sinne, sondern rechtfertigt eher das Urteil, daß der Glaube an die »Güte« der menschlichen Natur eine jener schlimmsten Illusionen ist, von denen die Menschen eine Verschönerung und Erleichterung ihres Lebens erwarten, während sie in Wirklichkeit nur Schaden bringen. Wir brauchen diese Polemik nicht fortzusetzen, denn nicht wegen der Lehren von Geschichte und Lebenserfahrung haben wir die Annahme eines besonderen Aggressions- und Destruktionstriebs beim Menschen befürwortet, sondern es geschah auf Grund allgemeiner Erwägungen, zu denen uns die Würdigung der Phänomene des Sadismus und des Masochismus führte. Sie wissen, wir heißen es Sadismus, wenn die sexuelle Befriedigung an die Bedingung geknüpft ist, daß das Sexualobjekt Schmerzen, Mißhandlungen und Demütigungen erleide, Masochismus, wenn das Bedürfnis besteht, selbst dieses mißhandelte Objekt zu sein. Sie wissen auch, daß ein gewisser Zusatz dieser beiden Strebungen in die normale Sexualbeziehung aufgenommen ist und daß wir sie als Perversionen bezeichnen, wenn sie die anderen Sexualziele zurückdrängen und ihre eigenen Ziele an deren Stelle setzen. Es wird Ihnen auch kaum entgangen sein, daß der Sadismus zur Männlichkeit, der Masochismus zur Weiblichkeit eine intimere Beziehung unterhält, als ob hier eine geheime Verwandtschaft bestünde, obwohl ich Ihnen sogleich sagen muß, daß wir nicht auf diesem Weg weitergekommen sind. Beide, Sadismus wie Masochismus, sind für die Libidotheorie recht rätselhafte Phänomene, der Masochismus ganz besonders, und es ist nur in der Ordnung, wenn das, was für die eine Theorie den Stein des Anstoßes gebildet hat, für die sie ersetzende den Eckstein abgeben sollte.

Wir meinen also, daß wir im Sadismus und im Masochismus zwei ausgezeichnete Beispiele von der Vermischung beider Triebarten, des Eros mit der Aggression, vor uns haben, und machen nun die Annahme, daß dies Verhältnis vorbildlich ist, daß alle Triebregungen, die wir studieren können, aus solchen Mischungen oder Legierungen der beiden Triebarten bestehen. Natürlich in den verschiedenartigsten 538 Mischungsverhältnissen. Dabei würden die erotischen Triebe die Mannigfaltigkeit ihrer Sexualziele in die Mischung einführen, während die anderen nur Milderungen und Abstufungen ihrer eintönigen Tendenz zuließen. Durch diese Annahme haben wir uns die Aussicht auf Untersuchungen eröffnet, die einmal eine große Bedeutung für das Verständnis pathologischer Vorgänge bekommen können. Denn Mischungen mögen auch zerfallen und solchen Triebentmischungen darf man die schwersten Folgen für die Funktion zutrauen. Aber diese Gesichtspunkte sind noch zu neu; niemand hat bisher versucht, sie in der Arbeit zu verwerten.

Wir kehren zu dem besonderen Problem zurück, das uns der Masochismus aufgibt. Sehen wir für den Augenblick von seiner erotischen Komponente ab, so bürgt er uns für die Existenz einer Strebung, welche die Selbstzerstörung zum Ziel hat. Wenn es auch für den Destruktionstrieb zutrifft, daß das Ich – aber wir meinen hier vielmehr das Es, die ganze Person – ursprünglich alle Triebregungen in sich schließt, so ergibt sich die Auffassung, daß der Masochismus älter ist als der Sadismus, der Sadismus aber ist nach außen gewendeter Destruktionstrieb, der damit den Charakter der Aggression erwirbt. Soundsoviel vom ursprünglichen Destruktionstrieb mag noch im Inneren verbleiben; es scheint, daß unsere Wahrnehmung seiner nur unter diesen zwei Bedingungen habhaft wird, wenn er sich mit erotischen Trieben zum Masochismus verbindet oder wenn er sich als Aggression – mit größerem oder geringerem erotischen Zusatz – gegen die Außenwelt wendet. Nun drängt sich uns die Bedeutung der Möglichkeit auf, daß die Aggression in der Außenwelt Befriedigung nicht finden kann, weil sie auf reale Hindernisse stößt. Sie wird dann vielleicht zurücktreten, das Ausmaß der im Inneren waltenden Selbstdestruktion vermehren. Wir werden hören, daß dies wirklich so geschieht und wie wichtig dieser Vorgang ist. Verhinderte Aggression scheint eine schwere Schädigung zu bedeuten; es sieht wirklich so aus, als müßten wir anderes und andere zerstören, um uns nicht selbst zu zerstören, um uns vor der Tendenz zur Selbstdestruktion zu bewahren. Gewiß eine traurige Eröffnung für den Ethiker!

Aber der Ethiker wird sich noch auf lange hinaus mit der Unwahrscheinlichkeit unserer Spekulationen trösten. Ein sonderbarer Trieb, der sich mit der Zerstörung seines eigenen organischen Heims befaßt! Die Dichter sprechen zwar von solchen Dingen, aber Dichter sind 539 unverantwortlich, sie genießen das Vorrecht der poetischen Lizenz. Allerdings sind ähnliche Vorstellungen auch der Physiologie nicht fremd, z. B. die der Magenschleimhaut, die sich selbst verdaut. Aber es ist zuzugeben, daß unser Selbstzerstörungstrieb einer breiteren Unterstützung bedarf. Eine Annahme von solcher Tragweite kann man doch nicht bloß darum wagen, weil einige arme Narren ihre Sexualbefriedigung an eine sonderbare Bedingung geknüpft haben. Ich meine, ein vertieftes Studium der Triebe wird uns geben, was wir brauchen. Die Triebe regieren nicht allein das seelische, sondern auch das vegetative Leben, und diese organischen Triebe zeigen einen Charakterzug, der unser stärkstes Interesse verdient. Ob es ein allgemeiner Charakter der Triebe ist, werden wir erst später beurteilen können. Sie enthüllen sich nämlich als Bestreben, einen früheren Zustand wiederherzustellen. Wir können annehmen, vom Moment an, da ein solcher einmal erreichter Zustand gestört worden, entsteht ein Trieb, ihn neu zu schaffen, und bringt Phänomene hervor, die wir als Wiederholungszwang bezeichnen können. So ist die Embryologie ein einziges Stück Wiederholungszwang; weit hinauf in die Tierreihe erstreckt sich ein Vermögen, verlorene Organe neu zu bilden, und der Heiltrieb, dem wir, neben den therapeutischen Hilfeleistungen, unsere Genesungen verdanken, dürfte der Rest dieser bei niederen Tieren so großartig entwickelten Fähigkeit sein. Die Laichwanderungen der Fische, vielleicht die Vögelflüge, möglicherweise alles, was wir bei den Tieren als Instinktäußerung bezeichnen, erfolgt unter dem Gebot des Wiederholungszwangs, der die konservative Natur der Triebe zum Ausdruck bringt. Auch auf seelischem Gebiet brauchen wir nicht lange nach Äußerungen desselben zu suchen. Es ist uns aufgefallen, daß die vergessenen und verdrängten Erlebnisse der früheren Kindheit sich während der analytischen Arbeit in Träumen und Reaktionen, besonders in denen der Übertragung reproduzieren, obwohl ihre Wiedererweckung dem Interesse des Lustprinzips zuwiderläuft, und wir haben uns die Erklärung gegeben, daß in diesen Fällen ein Wiederholungszwang sich selbst über das Lustprinzip hinaussetzt. Auch außerhalb der Analyse kann man ähnliches beobachten. Es gibt Menschen, die in ihrem Leben ohne Korrektur immer die nämlichen Reaktionen zu ihrem Schaden wiederholen oder die selbst von einem unerbittlichen Schicksal verfolgt scheinen, während doch eine genauere Untersuchung lehrt, daß sie sich dieses Schicksal unwissentlich selbst bereiten. Wir schreiben dann dem Wiederholungszwang den dämonischen Charakter zu.

540 Was kann aber dieser konservative Zug der Triebe für das Verständnis unserer Selbstzerstörung leisten? Welchen früheren Zustand wollte ein solcher Trieb wiederherstellen? Nun, die Antwort liegt nicht ferne und eröffnet weite Perspektiven. Wenn es wahr ist, daß – in unvordenklicher Zeit und auf unvorstellbare Weise – einmal aus unbelebter Materie das Leben hervorgegangen ist, so muß nach unserer Voraussetzung damals ein Trieb entstanden sein, der das Leben wieder aufheben, den anorganischen Zustand wieder herstellen will. Erkennen wir in diesem Trieb die Selbstdestruktion unserer Annahme wieder, so dürfen wir diese als Ausdruck eines Todestriebes erfassen, der in keinem Lebensprozeß vermißt werden kann. Und nun scheiden sich uns die Triebe, an die wir glauben, in die zwei Gruppen der erotischen, die immer mehr lebende Substanz zu größeren Einheiten zusammenballen wollen, und der Todestriebe, die sich diesem Streben widersetzen und das Lebende in den anorganischen Zustand zurückführen. Aus dem Miteinander- und Gegeneinanderwirken der beiden gehen die Lebenserscheinungen hervor, denen der Tod ein Ende setzt.

Sie werden vielleicht achselzuckend sagen: Das ist nicht Naturwissenschaft, das ist Schopenhauersche Philosophie. Aber warum, meine Damen und Herren, sollte nicht ein kühner Denker erraten haben, was dann nüchterne und mühselige Detailforschung bestätigt? Und dann, alles ist schon einmal gesagt worden und vor Schopenhauer haben viele Ähnliches gesagt. Und weiter, was wir sagen, ist nicht einmal richtiger Schopenhauer. Wir behaupten nicht, der Tod sei das einzige Ziel des Lebens; wir übersehen nicht neben dem Tod das Leben. Wir anerkennen zwei Grundtriebe und lassen jedem sein eigenes Ziel. Wie sich die beiden im Lebensprozeß vermengen, wie der Todestrieb den Absichten des Eros dienstbar gemacht wird, zumal in seiner Wendung nach außen als Aggression, das sind Aufgaben, die der Forschung der Zukunft überlassen bleiben. Wir kommen nicht weiter als bis zur Stelle, wo sich eine solche Aussicht vor uns auftut. Auch die Frage, ob der konservative Charakter nicht allen Trieben ausnahmslos eignet, ob nicht auch die erotischen Triebe einen früheren Zustand wiederbringen wollen, wenn sie die Synthese des Lebenden zu größeren Einheiten anstreben, auch diese Frage werden wir unbeantwortet lassen müssen.

541 Wir haben uns ein wenig weit von unserer Basis entfernt. Ich will Ihnen nachträglich mitteilen, welches der Ausgangspunkt dieser Überlegungen zur Trieblehre war. Derselbe, der uns zur Revision der Beziehung zwischen dem Ich und dem Unbewußten geführt hat, der Eindruck aus der analytischen Arbeit, daß der Patient, der Widerstand leistet, so oft von diesem Widerstand nichts weiß. Aber nicht nur die Tatsache des Widerstands ist ihm unbewußt, auch die Motive desselben sind es. Wir mußten nach diesen Motiven oder diesem Motiv forschen und fanden es zu unserer Überraschung in einem starken Strafbedürfnis, das wir nur den masochistischen Wünschen anreihen konnten. Die praktische Bedeutung dieses Fundes steht hinter seiner theoretischen nicht zurück, denn dies Strafbedürfnis ist der schlimmste Feind unserer therapeutischen Bemühung. Es wird durch das Leiden befriedigt, das mit der Neurose verbunden ist, und hält darum am Kranksein fest. Es scheint, daß dieses Moment, das unbewußte Strafbedürfnis, an jeder neurotischen Erkrankung beteiligt ist. Geradezu überzeugend wirken hier Fälle, in denen sich das neurotische Leiden durch ein andersartiges ablösen läßt. Ich will Ihnen von einer solchen Erfahrung berichten. Es war mir einmal gelungen, ein älteres Mädchen von dem Symptomkomplex zu befreien, der sie durch etwa 15 Jahre zu einer qualvollen Existenz verurteilt und von der Teilnahme am Leben ausgeschlossen hatte. Sie empfand sich nun als gesund und stürzte sich in eine eifrige Tätigkeit, um ihre nicht geringfügigen Talente zu entwickeln und sich noch ein Stück Geltung, Genuß und Erfolg zu erhaschen. Aber jeder ihrer Versuche endete damit, daß man sie wissen ließ oder daß sie selbst einsah, sie sei zu alt geworden, um auf diesem Gebiet etwas zu erreichen. Nach jedem solchen Ausgang wäre der Rückfall in die Krankheit das nächste gewesen, aber das konnte sie nicht mehr zustande bringen; anstatt dessen ereigneten sich ihr jedesmal Unfälle, die sie für eine Zeit lang außer Tätigkeit setzten und leiden ließen. Sie war gefallen und hatte sich einen Fuß verstaucht oder ein Knie verletzt, bei irgendeiner Hantierung eine Hand beschädigt. Aufmerksam gemacht, wie groß ihr eigener Anteil an diesen anscheinenden Zufällen sein könnte, änderte sie sozusagen ihre Technik. Anstatt der Unfälle traten bei den gleichen Veranlassungen leichte Erkrankungen auf, Katarrhe, Anginen, grippeartige Zustände, rheumatische Schwellungen, bis endlich mit der Resignation, zu der sie sich entschloß, der ganze Spuk vorüber war.

Über die Herkunft dieses unbewußten Strafbedürfnisses, meinen wir, ist kein Zweifel. Es benimmt sich wie ein Stück des Gewissens, wie die 542 Fortsetzung unseres Gewissens ins Unbewußte, es wird auch dieselbe Herkunft haben wie das Gewissen, also einem Stück Aggression entsprechen, das verinnerlicht und vom Über-Ich übernommen wurde. Würden die Worte nur besser zusammenpassen, so wäre es für alle praktischen Belange nur gerechtfertigt, es »unbewußtes Schuldgefühl« zu heißen. Theoretisch sind wir eigentlich im Zweifel, ob wir annehmen sollen, daß alle aus der Außenwelt zurückgekehrte Aggression vom Über-Ich gebunden und somit gegen das Ich gewendet werde oder daß ein Teil von ihr seine stumme und unheimliche Tätigkeit als freier Destruktionstrieb im Ich und Es ausübe. Wahrscheinlicher ist eine solche Verteilung, doch wissen wir nichts weiter darüber. Bei der ersten Einsetzung des Über-Ichs ist gewiß zur Ausstattung dieser Instanz jenes Stück Aggression gegen die Eltern verwendet worden, dem das Kind infolge seiner Liebesfixierung wie der äußeren Schwierigkeiten keine Abfuhr nach außen schaffen konnte, und darum braucht die Strenge des Über-Ichs nicht einfach der Härte der Erziehung zu entsprechen. Es ist sehr wohl möglich, daß bei späteren Anlässen zur Unterdrückung der Aggression der Trieb denselben Weg nimmt, der ihm in jenem entscheidenden Zeitpunkte eröffnet wurde.

Personen, bei denen dies unbewußte Schuldgefühl übermächtig ist, verraten sich in der analytischen Behandlung durch die prognostisch so unliebsame negative therapeutische Reaktion. Wenn man ihnen eine Symptomlösung mitgeteilt hat, auf die normalerweise ein wenigstens zeitweiliges Schwinden des Symptoms folgen sollte, erzielt man bei ihnen im Gegenteil eine momentane Verstärkung des Symptoms und des Leidens. Es reicht oft hin, sie für ihr Benehmen in der Kur zu beloben, einige hoffnungsvolle Worte über den Fortschritt der Analyse zu äußern, um eine unverkennbare Verschlimmerung ihres Befindens herbeizuführen. Der Nicht-Analytiker würde sagen, er vermisse den »Genesungswillen«; nach analytischer Denkweise sehen Sie in diesem Benehmen eine Äußerung des unbewußten Schuldgefühls, dem Kranksein mit seinen Leiden und Verhinderungen eben recht ist. Die Probleme, die das unbewußte Schuldgefühl aufgerollt hat, seine Beziehungen zu Moral, Pädagogik, Kriminalität und Verwahrlosung sind gegenwärtig das bevorzugte Arbeitsgebiet der Psychoanalytiker.

An unerwarteter Stelle sind wir hier aus der psychischen Unterwelt 543 in den offenen Markt eingebrochen. Ich kann Sie nicht weiter führen, aber mit einem Gedankengang muß ich Sie noch aufhalten, ehe ich Sie für diesmal verabschiede. Es ist uns geläufig geworden zu sagen, daß unsere Kultur auf Kosten sexueller Strebungen aufgebaut ist, die von der Gesellschaft gehemmt, zum Teil zwar verdrängt, zum anderen Teil aber für neue Ziele nutzbar gemacht werden. Wir haben auch bei allem Stolz auf unsere kulturellen Errungenschaften zugestanden, daß es uns nicht leicht wird, die Anforderungen dieser Kultur zu erfüllen, uns in ihr wohl zu fühlen, weil die uns auferlegten Triebbeschränkungen eine schwere psychische Belastung bedeuten. Nun, was wir für die Sexualtriebe erkannt haben, gilt im gleichen, vielleicht in noch höherem Maße, für die anderen, die Aggressionstriebe. Diese sind es vor allem, die das Zusammenleben der Menschen erschweren und dessen Fortdauer bedrohen; Einschränkung seiner Aggression ist das erste, vielleicht das schwerste Opfer, das die Gesellschaft vom Einzelnen zu fordern hat. Wir haben erfahren, in wie ingeniöser Weise diese Bändigung des Widerspenstigen vollzogen wird. Die Einsetzung des Über-Ichs, das die gefährlichen aggressiven Regungen an sich reißt, bringt gleichsam eine Besatzung in die zum Aufruhr geneigte Stätte. Aber anderseits, rein psychologisch betrachtet, muß man bekennen, das Ich fühlt sich nicht wohl dabei, wenn es so den Bedürfnissen der Gesellschaft geopfert wird, wenn es sich den destruktiven Tendenzen der Aggression unterwerfen muß, die es gern selbst gegen andere betätigt hätte. Es ist wie eine Fortsetzung jenes Dilemmas vom Fressen und Gefressenwerden, das die organische Lebewelt beherrscht, aufs psychische Gebiet. Zum Glück sind die Aggressionstriebe niemals allein, immer mit den erotischen legiert. Diese letzteren haben unter den Bedingungen der vom Menschen geschaffenen Kultur vieles zu mildern und zu verhüten.


 << zurück weiter >>