Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der assyrische Jungbrunnen

Es hatte gerade sechs geschlagen und das elegante Restaurant von Christiani im Westen Londons begann sich zu füllen. Leuchtende elektrische Lichtbogen verbreiteten vor dem Eingange strahlende Helle und unaufhörlich wuchs die Zahl der Besucher, die nach den Anstrengungen des Tages hier ihre Mahlzeit einzunehmen gedachten. Bald mischte sich das Geklapper der Messer und Gabeln und das Knallen der Pfropfen in das Summen der Unterhaltung, und lautlos huschten die Kellner hin und her, um die Wünsche der Gäste zu befriedigen.

Obgleich das Restaurant bereits überfüllt war, als Romney Pringle eintrat, fand er doch als Stammgast sein Lieblingsplätzchen noch frei und lauschte behaglich, während er sein gewähltes Diner einnahm, der leisen Musik, die Mascagnische Weisen zu Gehör brachte. Es war für diese Jahreszeit ein warmer Abend, was nach dem scharfen Nordost der letzten Tage doppelt zur Geltung kam, und je später es wurde, um so drückender wurde die Hitze im Saale, besonders für die Gäste, die Speisen und Getränken reichlich zugesprochen hatten. Das machte jedoch kaum einen sichtbaren Eindruck auf Romney. Er gehörte zu jener Gattung von Menschen, die vermöge ihrer regelmäßigen Gewohnheiten sich noch in der zweiten Hälfte der Vierziger ihre jugendliche Frische bewahrt haben, und gegen äußere Einflüsse unempfindlich sind. Sein bleiches, energisches, glatt rasiertes Gesicht wies weder Runzeln noch Falten auf und war – wenn man von einem kleinen Muttermal der rechten Wange absah – fast schön zu nennen.

Während sich der Rauch seiner ausgewählten Zigarre in zarten Wölkchen zur Decke emporkräuselte, fiel sein Blick des öfteren auf einen Gast, der am Nebentische Platz genommen hatte. Es war ein älterer Herr, nahe der Sechzig, dessen gerader Haltung man den alten Soldaten anmerkte. Auf sein Äußeres – seine tadellose Kleidung, seinen wohlgepflegten Schnurrbart – schien er besonderen Wert zu legen. Er hatte seine Mahlzeit schon vor geraumer Zeit beendet und brütete nun über einem Briefe, der sein volles Interesse in Anspruch zu nehmen schien. Wie Pringle erspähen konnte, war der Brief nur kurz. Schließlich erhob sich der Herr mit verdrossener und dabei verächtlicher Miene und schlüpfte in seinen Überzieher, den ihm der Kellner diensteifrig hingehalten hatte.

Die geringe Aufmerksamkeit, die Pringle vorher seinem Nachbarn geschenkt hatte, war inzwischen einem tieferen Interesse gewichen und als sich die Türe hinter dem alten Herrn geschlossen hatte, griff er hastig nach dem Briefe, der beim Anziehen des Überziehers unter den Tisch gefallen und dort liegen geblieben war. Zuerst beabsichtigte er, dem alten Herrn nachzueilen und ihm seinen anscheinend so wichtigen Brief zurückzuerstatten. Der Herr war aber inzwischen verschwunden und da auch der Kellner nicht sichtbar war, so setzte Pringle sich wieder nieder und las das Folgende:

 

Herrn Oberst Sandstream,
272 Piccadilly, West.

Sehr geehrter Herr!

Wir bedauern lebhaft, daß unser »Jungbrunnen« in Ihren Händen erfolglos geblieben ist. Das ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß Sie unsere Anweisungen nicht genau genug befolgt haben; aber wie dem auch sei, wie Sie wissen, geben wir keine Garantie für völlig sicheren Erfolg. Da die Herstellung unseres Mittels außerordentlich kostspielig ist, so haben Sie unrecht, wenn Sie überteuert zu sein glauben. Auf keinen Fall können wir deshalb Ihrem Ansuchen entsprechen, Ihnen einen Teil oder die Gesamtsumme der Kosten zurückzuerstatten. Sollten Sie Ihre Drohung wahrmachen, und uns auf gerichtlichem Wege zur Rückerstattung des Betrages zu zwingen versuchen, so würden Sie selber allein daran schuld sein, wenn Ihr Name mit allen Begleitumständen in den Zeitungen Londons erwähnt wird.

Hochachtungsvoll
Henry Jacobs,
Schriftführer der
»Assyrische Jungbrunnen-Gesellschaft«
82, Barbican E. C.

 

Pringle erschien dieser Geschäftsbrief zunächst durchaus nicht von einer derartigen Wichtigkeit, wie sie ihm Oberst Sandstream beigemessen hatte, aber nach reiflicher Überlegung kam er zu anderen Schlüssen und begab sich auf den Heimweg nach seiner Wohnung. Er hatte sich in der City, mitten im regsten Geschäftsviertel von London, eingemietet und wer sich in den zweiten Stock des Hauses Nr. 33 der Furnival's Inn begab, der konnte auf einem großen Türschild die Worte lesen:

 

Romney Pringle,
Literarisches Bureau.

 

In seinem Empfangszimmer stand ein riesiger eichener Schreibtisch mit einer Unmenge von Fächern und Schubladen, der einen so recht geschäftsmäßigen Eindruck machte, aber Manuskripte von Schriftstellern, die ihrer Veröffentlichung durch die Verleger harrten, befanden sich nicht darin. Tatsächlich schien niemals oder nur selten in diesen Räumen ein Geschäft abgeschlossen zu werden, und das »Bureau« war zur Zeit unbeschäftigt, wenn es überhaupt jemals literarische Vermittelungen besorgt hatte.

*

Pringle war ein Frühaufsteher, und als die Stutzuhr auf dem Kamin seines behaglich eingerichteten Wohnzimmers am nächsten Morgen neun Uhr geschlagen hatte, saß er schon lange da und dachte über die Ereignisse des verflossenen Abends nach. Nach reiflicher Überlegung und sorgfältigem Studium des Briefes glaubte er, seine Neugier befriedigen und der Angelegenheit auf den Grund gehen zu sollen. Er schloß eine Schublade seines Schreibtisches auf, in der sich eine große Anzahl von Flaschen und Töpfen befand, goß einige Tropfen aus der einen Flasche auf eine Hasenpfote und rieb damit leise über sein Muttermal, das hierdurch völlig verschwand. Dann benetzte er aus einer anderen Flasche einen Schwamm und rieb mit diesem seine Augenbrauen ein, die nun statt ihrer blonden Farbe pechschwarz erschienen. Aus einer Schachtel, die alle möglichen Gegenstände enthielt, holte er einen schwarzen, mit Pomade zusammengedrehten Schnurrbart hervor, den er sich anklebte und bedeckte sein Haupthaar mit einer schwarzen Perücke, wodurch er völlig unkenntlich wurde. Ein Blick in den Spiegel sagte ihm, daß er mit seiner Verkleidung zufrieden sein könnte, und nun begab er sich auf die Suche nach den Geschäftsräumen des assyrischen Jungbrunnens in streng militärischer Haltung, wozu sich seine schlanke, aber dennoch kräftige, große Gestalt vorzüglich eignete.

»Mein Name ist Parkins, Major Parkins,« sagte Pringle, als er die Türe eines mäßig ausgestatteten Zimmers im zweiten Stocke der im Briefe angegebenen Adresse öffnete. Er sah sich einem jungen Manne gegenüber, dessen einpomadisiertes, lockiges Bart- und Haupthaar allerdings den Eindruck machte, als stamme er aus dem Morgenlande, aus Ninive oder Babylon. Dies schien der einzige Vertreter der Gesellschaft zu sein, der Pringle mit höflicher Verbeugung einen Stuhl anbot.

»Ich habe von einem Freunde,« fuhr Pringle fort, »der Ihre Anzeige gelesen hat, den Auftrag erhalten, bei Ihnen nähere Erkundigungen einzuziehen.«

Es kam selten vor, daß jemand persönlich Erkundigungen einzog, da ja die Kunden, zumeist Damen, bei derartig diskreten und zarten Angelegenheiten die Vermittlung der Post vorzogen, deshalb glaubte der junge Assyrier zunächst, es handle sich um eine ganz andere Angelegenheit.

»Zu Ihren Diensten,« sagte er, »Sie wünschen Auskunft über meine »Pelosia« zu erhalten. Gestatten Sie mir, Ihnen einen Auszug aus dem Prospekte vorzulesen.«

Und bevor noch Pringle antworten konnte, begann er bereits in salbungsvollem Tone mit dem Vorlesen einer Drucksache:

 

»Pelosia.

Schlamm und Moor sind mit den glänzendsten Erfolgen schon seit alter Zeit in den berühmten Bädern von Schwalbach und Franzensbad als hervorragendes Heilmittel angewandt worden. Die Inhaber der Pelosia-Gesellschaft haben die niedere Tierwelt beobachtet, die, um sich vor Krankheiten und Leiden zu schützen, ihre Nahrung mit Erde vermischt zu sich nimmt und sind nach langjährigen Versuchen und Forschungen dahin gelangt, die innere Anwendung von Schlamm auch bei Menschen empfehlen zu können. Mit dieser Behandlungsart wurden glänzendste Erfolge erzielt, besonders in den schwersten Fällen langjähriger schlechter Verdauung und hartnäckiger Magenstörungen – dieser Krankheit, die in unserem nervösen Zeitalter so weit verbreitet ist – und deshalb will nunmehr die Pelosia-Gesellschaft auch die weitesten Kreise mit den Segnungen dieses Heilmittels bekannt machen. Zum Schutze des Publikums, und um nach jeder Richtung hin für die Sauberkeit und Tadellosigkeit ihres Präparates volle Garantie leisten zu können, hat die Gesellschaft das alleinige Recht erworben, die Alluvialablagerungen eines Stromes auszubeuten, der so weit von allen menschlichen Siedelungen entfernt fließt, daß Verunreinigungen usw. irgendwelcher Art völlig ausgeschlossen sind. Die sorgfältigste chemische Analyse hat nachgewiesen, daß gerade die Gefällsmassen der Gegend, die die Gesellschaft erworben hat, frei von irgendwelcher Beimischung organischer Bestandteile sind und einzig und allein aus aufs feinste verteilten Mineralteilchen bestehen. Nur hierdurch können die wunderbaren Erfolge erklärt werden, die unser Heilmittel überall erzielte. Krankenhäusern und Heilanstalten bewilligen wir Preisermäßigungen.«

 

»Besten Dank,« warf Pringle ein, als der Andere einen Augenblick seine Vorlesung unterbrach, um frischen Atem zu schöpfen, »aber hier scheint eine kleine Verwechselung vorzuliegen. Ich kam hierher, um mich nach dem Assyrischen Jungbrunnen zu erkundigen. Sollte ich mich in der Adresse geirrt haben?«

»Ich bitte wegen des Versehens höflichst um Entschuldigung. Ich bin Schriftführer der Assyrischen Jungbrunnen-Gesellschaft, die gleichzeitig auch Besitzerin des »Pelosia«-Heilmittels ist, wodurch die Verwechselung entstand.« Er betrachtete sich Pringle genauer und kam zu der Überzeugung, daß der Freund, für den er angeblich Auskünfte einziehen wollte, wohl er selber sein dürfte. Es war ja unverkennbar, daß er eine Perücke trug, daß sein blauschwarzer Schnurrbart gefärbt war, überhaupt, daß das Alter schon rechte Verwüstungen bei ihm angerichtet hatte.

»Unser Jungbrunnen, mein verehrtester Herr,« sagte Jacobs, indem er sich in seinen Stuhl zurücklehnte, »ist ein weltberühmtes Mittel, um die Schäden zu beseitigen, die das Alter im menschlichen Körper anrichtet. Es ist ein Geheimnis, das sich in der Familie seines Besitzers seit Generationen fortgeerbt hat und das fast immer die wunderbarsten Erfolge aufzuweisen hatte, während ein völliges Versagen gänzlich ausgeschlossen ist. Es ist weder eine Arznei noch ein Schönheitsmittel und hat doch die Eigenschaft von beiden. Die Anwendung ist äußerst angenehm und wohltuend, am besten kurz vor dem Schlafengehen, und bedingt keinerlei Änderung der Lebensweise. Wir haben den Preis äußerst niedrig angesetzt – nur 10 ½ Schillinge pro Flasche – was nur bei dem enormen Umsatz, den wir haben, möglich ist, und es würde mir ein ganz besonderes Vergnügen sein, Ihnen die Anwendung unseres Jungbrunnens zu erklären, wenn Sie für sich – ich wollte sagen für Ihren Freund – eine Flasche zu erwerben beabsichtigen.«

Pringle legte das geforderte Geld auf den Tisch und der Schriftführer griff in eine große Kiste, die an einer Wand des Zimmers stand, und brachte ein Paket zum Vorschein. Dieses enthielt eine Pappschachtel, die mit einem großen Bilde beklebt war, das einen Jungbrunnen darstellte. Auf der einen Seite kam ein alter Mann auf Krücken angehumpelt, den man auf der anderen Seite in blühender Jugend und Schönheit bewundern konnte.

»Dies hier,« sagte Jacobs, »ist die gesamte Vorrichtung.« Und er öffnete die Pappschachtel und zog ein mäßig großes Fläschchen und eine Spirituslampe, über der ein kleiner Blechteller festgelötet war, hervor. »Wenn Sie schlafen gehen, gießen Sie einen Teelöffel voll von dem Inhalt des Fläschchens auf den Blechteller und stecken die Spirituslampe an, und wenn dann die Flüssigkeit zu verdunsten beginnt, so atmen Sie die Dämpfe kräftig ein. Am besten ist es, wenn Sie dabei an etwas recht Schönes denken, während Sie durch den köstlichen Geruch langsam eingeschläfert werden.«

»Aber worauf beruht die Wirkung des Mittels,« fragte der Major, scheinbar etwas ungläubig.

»Das will ich gern erklären,« erwiderte ohne jede Verlegenheit der Schriftführer. »Bedenken Sie, bitte, daß der äußere Eindruck des Alters beim Menschen besonders durch Falten und Runzeln hervorgerufen wird; das heißt, die Haut hat ihre Frische und Elastizität verloren. Es ist Tatsache,« bemerkte er lächelnd, »daß die Schönheit der Menschen sich nur auf die Oberhaut erstreckt. Die Glieder werden im Alter gleichfalls wegen mangelnder Elastizität steif und, genau wie die Oberhaut welk wird, werden aus denselben Gründen die Organe des menschlichen Körpers in ihren Funktionen matter und matter. Mit einem Worte, das Alter ist einem Verluste an Elastizität zuzuschreiben und diese wird durch unseren Jungbrunnen dem menschlichen Körper neu zugeführt, wenn man auch nur wenige Stunden täglich unser Mittel gebraucht.«

Pringle, als gewiegter Diplomat, vermochte seinen Ernst zu bewahren, während die Verdienste des Jungbrunnens ihm so anschaulich vor Augen geführt wurden, und erst als er von Herrn Jacobs höflichen Abschied genommen und sich die Türe hinter ihm geschlossen hatte, ließ er seiner Heiterkeit freien Lauf.

*

Am selben Abend um die neunte Stunde kehrte die Hausmannsfrau, die die Reinigung und Aufwartung in den Geschäftsräumen der Jungbrunnen-Gesellschaft besorgte, vom Markte zurück, in Gedanken bereits mit dem saftigen Stück Bratfisch beschäftigt, das sie vom Markte heimbrachte.

»Frau Smith?« fragte hinter ihr eine Männerstimme, als sie gerade die Korridortüre mit ihrem Schlüssel öffnete.

»Ich heiße Hodges,« fuhr es ihr heraus, während sie vor Schreck ihren Schlüssel fallen ließ.

»Sie sind die Hausmannsfrau, nicht wahr?« fragte der Fremde, indem er sich bückte und ihr höflich den Schlüssel überreichte.

»Herr Gott! Haben Sie mich erschreckt, mein Herr!« stieß sie hervor.

»Das tut mir aufrichtig leid. Ich wollte nur wissen, wo Herr Jacobs von der Assyrischen Gesundbrunnen-Gesellschaft wohnt.«

»Bedaure, ich habe Auftrag, seine Adresse niemandem mitzuteilen. Übrigens weiß ich sie auch selber nicht, denn Briefe für ihn sende ich immer an Herrn Weeks.«

»Es soll Ihr Schade nicht sein. Ich weiß, er hätte nichts dagegen, wenn Sie mir seine Adresse angäben.« Das Klingen eines Geldstückes in ihrer Hand, in der sie noch immer den Schlüssel hielt, machte sie gefügig. Zunächst zögerte sie zwar noch einen Augenblick, dann fiel ihr Blick aber auf das Geldstück; es war Gold, und sie war nun bereit, alles, was sie wußte, auszuplaudern.

»Ich kann Ihnen nur sagen, daß wenn Herr Jacobs verreist ist, ich seine Briefe und manchmal einen tüchtigen Posten – an Herrn Newton Weeks ins Northumberland-Avenue-Hotel schicke.«

»Gehört der mit zur Firma?«

»Das weiß ich nicht, lieber Herr, hierher kommt nur Herr Jacobs.«

»Ich danke Ihnen sehr; gute Nacht,« brummte der Fremde sich entfernend und ließ Frau Hodges zur Bildsäule erstarrt stehen, die noch immer ihren Augen beim Anblicke des Goldes nicht recht trauen wollte.

*

Am nächsten Tage erhielt Herr Jacobs in seinem Hotel den nachfolgenden Brief:

 

Herrn Newton Weeks,
Northumberland-Avenue-Hotel.

Werter Herr!

Mein Freund, der Oberst Sandstream, teilt mir mit, daß er sich mit der Polizei in Verbindung gesetzt und Sie angezeigt hat, weil Sie ihm unter falschen Angaben Geld abgeschwindelt haben. Obgleich ich fest davon überzeugt bin, daß seine Angaben in jeder Beziehung auf Wahrheit beruhen, umsomehr, da ich ja nach meiner gestrigen Unterredung mit Ihnen genau weiß, weß Geistes Kind sie sind, so will ich Sie doch warnen und Ihnen raten, zu verschwinden, bevor es dazu zu spät ist. Mißverstehen Sie mich nicht; ich habe nicht die geringste Veranlassung, Sie vor einer Strafe zu bewahren, die Sie schon lange reichlich verdienen. Aber ich möchte nicht, daß sich mein alter Freund in den Augen seiner Bekannten lächerlich macht, wenn er vor dem Gerichtshofe öffentlich gegen Sie aussagt und die Sache in die Zeitungen kommt. Deshalb ist es das Beste, Sie verschwinden.

Ihr ergebener
Joseph Parkins, Major.

 

Jacobs las diese Kriegserklärung mit recht gemischten Gefühlen. Sein gestriger Besucher war also ein Freund von Oberst Sandstream und absichtlich dagewesen, um weiteres Beweismaterial gegen ihn zu sammeln! Ein verflucht schlauer Kerl, dieser Sandstream! Aber wie hatte er seine Adresse herausbekommen? Das machte ganz den Eindruck, als ob die Polizei bereits ihre Hand dabei im Spiele habe, denn Frau Hodges hatte sicher nichts ausgeplaudert; sie hätte niemals seine Adresse einem Fremden angegeben. Das war eine recht dumme Geschichte, daß sich alle Vorsichtsmaßregeln als so zwecklos erwiesen hatten! Es schien ganz so, als sei das Spiel wirklich zu Ende. Begreiflicherweise mußte das ja früher oder später so kommen, und er hatte sich schon in unangenehmeren Lagen befunden; er konnte sich eigentlich auch nicht beklagen, denn der »Jungbrunnen« hatte in der letzten Zeit schönen Verdienst abgeworfen. Aber die Geschichte konnte auch ein Schwindel sein – nichts weiter, als ein Versuch ihn einzuschüchtern!

Er las den Brief deshalb nochmals durch. Der Schreiber desselben hatte wohlweislich keine Adresse angegeben, aber das war schließlich begreiflich. Mochte dem sein, wie ihm wolle; er mußte sich zugestehen, daß es eine Dummheit sein würde, die Warnung unbeachtet zu lassen, und, was auch der wahre Grund der Warnung des Majors sein mochte, der Boden von London war unter seinen Füßen recht heiß geworden. Er wollte sein Bündel schnüren, um für alle Zufälle gerüstet zu sein, dann aber nach seinem Bureau fahren, um auszukundschaften, wie die Sache stände. Wenn die Geschichte einen verdächtigen Eindruck machte, konnte er gleich weiter nach dem Bahnhof fahren und noch den 11 Uhr-Zug nach dem Kontinent erwischen. Er würde ihnen schon zeigen, daß Harry Jacobs nicht der Mann wäre, den man so ohne weiteres greifen konnte!

Jacobs ließ seinen Wagen einige Häuser vor dem Bureau des »Jungbrunnen« halten und war im Begriffe auszusteigen, als er bei dem Anblick von Pringle stutzte. Dieser letztere lungerte an der Türe des Hauses, in dem sich das Bureau befand, herum und als die Droschke vorfuhr, griff er auffällig nach einem dicken Taschenbuche, dessen Inhalt er sich scheinbar einzuprägen suchte. Dabei schielte er nochmals verdächtig nach seinem Opfer, als ob er dessen Gestalt mit der Beschreibung in seinem Buche vergliche. Pringle war mit einem langen Überzieher bekleidet, trug einen runden, helmähnlichen Filzhut und dicke Lederstiefel, wie sie die Polizisten zu tragen pflegen, und Jacobs hegte bei diesem Anblicke keinen Zweifel mehr, daß die Polizei ihm bereits ihr ganz besonderes Augenmerk schenke. Pringle schien jetzt zu einem Ergebnis gekommen zu sein, denn er holte plötzlich aus seinem Taschenbuche einen Papierbogen hervor und schritt auf Jacobs zu. Dieser mochte die weitere Entwickelung der Angelegenheit nicht abwarten, sprang in seinen Wagen zurück und rief dem Kutscher zu: »Bahnhof Cannon-Street, so rasch als Ihr Pferd laufen kann!«

Der Kutscher wandte sofort den Wagen und sauste davon. Er hatte die kleine Szene wohl beobachtet und es machte ihm scheinbar Spaß, seinen Fahrgast den Klauen der Polizei – darüber schien kein Zweifel – zu entreißen. Aber in diesem Augenblicke näherte sich auch eine leere Droschke, die Pringle sofort heranwinkte.

»Folgen Sie jener Droschke und verlieren Sie sie unter keinen Umständen aus den Augen!« rief er, indem er nach dem fortrollenden Gefährt wies und sich in den Wagen schwang.

Nun begann eine wilde Jagd quer durch London. Alles Zurufen der Polizisten, die die Kutscher wegen zu schnellen Fahrens anzuhalten suchten, nützte nichts, Jacobs feuerte stets von neuem seinen Kutscher durch Versprechungen an, und stets hart gefolgt von Pringles Wagen, wanden sich die beiden Droschken im Zickzack durch das Gewühl des Londoner Straßenverkehrs. Oft schien es, als ob Pringle den vor ihm befindlichen Wagen erreichen würde, aber dann stellte sich wieder irgend ein Hindernis in den Weg, und als der Wagenverkehr durch einen Polizisten einen Augenblick angehalten wurde, gelang es noch Jacobs' Wagen durchzukommen, während Pringle halten bleiben mußte. Als nach wenigen Minuten die Verkehrsstockung beseitigt war, war Jacobs' Wagen längst verschwunden.

»Tut mir leid,« wandte sich der Kutscher zu Pringle, »ich kann den anderen Wagen nirgends mehr sehen.«

»Macht nichts,« meinte Pringle schmunzelnd, »fahren Sie nach dem nächsten Telegraphenamt.«

Hier setzte er das nachfolgende Telegramm auf:

Frau Hodges, 82 Barbican.

Plötzlich aufs Land abberufen. Herr Weeks erledigt inzwischen Bureauarbeiten. Jacobs.

Ungefähr um zwei Uhr am selben Nachmittag klingelte Pringle, der wieder die Perücke und den Schnurrbart von Major Parkins angelegt hatte, an der Türe von Frau Hodges.

»Ich bin Herr Weeks,« sagte er, als die Hausmannsfrau die Tür öffnete, »Herr Jacobs mußte plötzlich verreisen und hat mich gebeten, während dieser Zeit die Bureauarbeiten zu erledigen.«

»Ganz recht, mein Herr. Herr Jacobs hat mich bereits telegraphisch hiervon verständigt. Sie wissen, wo das Bureau ist, nicht wahr?«

»O ja, nur hat Herr Jacobs in der Eile vergessen, mir den Bureauschlüssel einzuhändigen.«

»Dann ist es wohl das beste, ich geben Ihnen einstweilen den meinigen, bis Sie Nachricht von Herrn Jacobs haben.« Sie suchte in ihrer tiefen Rocktasche nach dem Schlüssel. »Ich hoffe, ihm ist nichts zugestoßen.«

»Gott bewahre, nur ein plötzliches Geschäft, das er mit einem Ausfluge aufs Land verbindet,« beruhigte sie Pringle, der mit dem Bureauschlüssel bewaffnet in den zweiten Stock emporstieg.

Er setzte sich, im Zimmer angelangt, an den Schreibtisch und warf einen raschen Blick um sich. »Jacobs ist bei all seiner Gaunerei doch ein rechter Angsthase,« dachte er, »sonst wäre er nicht so leicht zu verscheuchen gewesen.« Und er zog ein Stück Wachs aus der Tasche und machte sich einen sorgfältigen Wachsabdruck des Schlüssels.

Er hatte noch nicht lange von dem Geschäft des »Jungbrunnens« Besitz ergriffen, als er auch bereits bemerkte, daß der Eifer Jacobs, sich aus dem Staube zu machen, eigentlich recht verfrüht gewesen war. Der Leser wird sich erinnern, daß, als Pringle Jacobs in seiner Verkleidung besuchte, dieser zuerst sein Heilmittel »Pelosia« besonders angepriesen hatte. Hiervon fand Pringle in dem Bureau eine große Kiste voll vor, die tausende von Paketen enthielt, die sicher den Bedarf für lange Zeit zu decken vermochten. Aber unter den täglich einlaufenden Briefschaften befanden sich keine Bestellungen hierauf, es war also klar, daß das Publikum der innerlichen Anwendung von Schlamm keinen Geschmack abzugewinnen vermochte. Deshalb war Jacobs auf den neuen Schwindel mit dem Gesundbrunnen verfallen, und dieser Schwindel brachte ihm tagtäglich riesige Summen ein. Der Preis für den »Assyrischen Jungbrunnen« war auch so gewählt, daß die Begleichung für den Kunden äußerst bequem war. Deshalb sandten die Besteller auch keine Bankschecks, sondern fast durchgängig Postzahlscheine Eine in Großbritanien für kleinere Beträge übliche Art des Geldverkehrs durch die Post, bei der dem Inhaber des Postzahlscheines das Geld ohne Legitimation ausgezahlt wird. (Anmerk. d. Übersetzers.) über zehneinhalb Schillinge, die Pringle jeden Morgen, wenn er sich in »sein« Bureau begab, auf dem Hauptpostamte einlöste. Dabei schmunzelte er vergnügt, wenn er bedachte, auf welchen Schwindel doch heutzutage die große Masse der Leute immer wieder hereinfällt.

Das Geschäft war in jeder Hinsicht glänzend zu nennen, und nur eine dunkle Wolke schwebte an Pringles Himmel, wenn er an Oberst Sandstream dachte, der durch eine gerichtliche Anzeige den weiteren Geschäften der Jungbrunnen-Gesellschaft sofort ein Ende machen konnte. Aber augenblicklich war ihm noch das Glück hold und so fuhr Pringle täglich fleißig fort, Paketchen mit dem Jungbrunnen abzusenden, für die er ebenso fleißig täglich die Postzahlscheine einlöste. Dabei brauchte er sich gar nicht einmal besonders anzustrengen, denn er fand eine große Anzahl von Paketchen vor, die bereits gepackt und völlig versandfertig waren.

Eines Tages war er gerade wieder damit beschäftigt, Pakete in gewohnter Weise abzusenden, als er einen leisen, aber festen Tritt hörte, der die Treppe heraufkam und vor seiner Bureautüre Halt machte. Zuerst glaubte Pringle, es wäre jemand, der den Zigarren-Importeur im dritten Stock aufsuchen und sich nur einen Augenblick verschnaufen wolle, aber plötzlich erhielt die Türe des Jungbrunnenbureaus einen recht derben Stoß, und der Besucher trat ohne weiteres ein, ohne sich erst durch Klopfen anzumelden.

Einer Vorstellung hätte es nicht erst bedurft, denn obgleich Pringle den Oberst Sandstream seit jenem Abend im Restaurant von Christiani nicht wiedergesehen hatte, erkannte er ihn doch auf den ersten Blick wieder.

»Ich bin Oberst Sandstream,« knurrte der Eindringling, indem er wild um sich blickte.

»Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen,« antwortete Pringle höflich, »wollen Sie bitte Platz nehmen.«

»Mit wem spreche ich eigentlich?«

»Mein Name ist Newton Weeks, ich bin –«

»Mit Ihnen habe ich nichts zu schaffen!« unterbrach ihn der Oberst scharf. »Ich wünsche den Schriftführer dieser Gesellschaft zu sprechen. Übrigens habe ich keine Zeit zu verlieren.«

»Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, daß Herr Jacobs –«

»Richtig! Das war sein Name. Wo ist er?« unterbrach der alte Herr von neuem.

»Herr Jacobs ist zur Zeit nicht in London.«

»Schön. Ich werde ihm sicher nicht nachlaufen. Wann wird er wieder hier anwesend sein?«

»Das ist mir leider völlig unmöglich Ihnen anzugeben. Aber ich wollte vorher, gerade als Sie mich unterbrachen, erwähnen, daß ich der geschäftsführende Direktor der Gesellschaft bin und während der Abwesenheit von Herrn Jacobs auch das Amt des Schriftführers übernommen habe.«

»Wie sagten Sie vorher, daß Sie hießen?« fragte der Oberst weiter, der noch immer nicht Platz genommen hatte.

»Newton Weeks.«

»Newton Weeks,« wiederholte Sandstream, der sich den Namen auf der Rückseite eines Briefumschlages aufschrieb.

»Geschäftsdirektor,« fügte Pringle, sich verbeugend, hinzu.

»Schön, Herr Weeks, wenn Sie die Gesellschaft vertreten –« er warf einen verächtlichen Blick auf die ärmliche Einrichtung des Zimmers – »ich bin wegen eines Briefes hierhergekommen, den Sie die Unverschämtheit hatten, mir zu schreiben.«

»Welches Datum trug der Brief?« fragte Pringle harmlos.

»Daran kann ich mich nicht erinnern,« fauchte der Oberst.

»Darf ich nach der Angelegenheit fragen, die der Brief behandelte.«

»Ach was, es handelt sich natürlich um Ihren verdammten Jungbrunnen.«

»Ich bedauere; wir haben einen außerordentlich großen und vielseitigen Schriftwechsel in betreff des Jungbrunnens, und ich fürchte, falls Sie den Brief nicht bei sich haben –«

»Ich habe ihn verloren oder irgendwohin verlegt.«

»Das trifft sich unglücklich! Falls Sie sich also auf den Inhalt des Briefes nicht besinnen können, fürchte ich, dürfte es mir erst recht unmöglich sein.«

»Ich besinne mich auf den Inhalt nur zu wohl und werde denselben auch sobald nicht vergessen! Ich ersuchte Sie, mir das Geld, das ich für Ihren »Jungbrunnen« – wie Sie Ihren Schund nennen – bezahlte, zurückzusenden, da auch nicht der leiseste Erfolg zu verspüren war, und das verweigerten Sie nicht nur völlig in Ihrer Antwort, sondern deuteten auch noch an, daß ich nicht wagen würde, Sie gerichtlich zu belangen.«

Da Pringle hierauf nicht antwortete, fuhr er noch zorniger fort: »Wollen Sie meine aufrichtige Meinung über sich hören?«

»Wir freuen uns stets, die Meinung unserer Kunden zu hören.«

Pringles Ruhe schien den Oberst nur noch mehr aus dem Häuschen zu bringen.

»Schön, mein Herr, Sie sollen Sie hören. Ich betrachte Ihren Brief als den schamlosesten Erpressungsversuch, der mir je vorgekommen ist!« Er zischte diese Worte in höchster Wut zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Erpressung?« hauchte Pringle, während sein Gesicht den Ausdruck des Erstaunens annahm.

»Jawohl, mein Herr, Erpressung!« versicherte der Oberst aufs bestimmteste.

»Gewiß,« sagte Pringle mit einer beschwichtigenden Bewegung, »es ist mir ja völlig klar, daß irgendein Schriftwechsel zwischen uns stattgefunden hat, aber es ist mir gänzlich unmöglich, mich auf jedes Wort desselben zu besinnen. Es tut mir leid, daß Sie etwas derartiges aus unseren Zeilen herausgelesen haben, aber hier liegt sicher irgendein Mißverständnis vor. Ich muß es aufs entschiedenste bestreiten, daß ein »Erpressungsversuch« von unserer Gesellschaft beabsichtigt oder ausgeführt wurde.«

»So, so, das wollte ich nur hören! Also das bestreiten Sie! Vielleicht bestreiten Sie auch, daß Sie mir für Ihren elenden Schund Goldstück nach Goldstück abgeknöpft haben, ohne daß dafür auch nur der leiseste Erfolg erzielt wurde oder jemals erzielt werden wird! Und vielleicht bestreiten Sie auch, daß Sie sich geweigert haben, mir mein Geld zurückzuzahlen? Wie? Oder Sie glauben vielleicht, daß ich Angst hätte, Sie zu verklagen, weil es dabei herauskommen könnte, was für ein Esel ich gewesen bin? Halten Sie Ihren Mund, Herr, zum Kuckuck noch einmal!«

Der alte Herr, der immer lauter geschrieen hatte, sank atemlos in den Stuhl, dessen Annahme er vorher verschmäht hatte.

»Es tut mir aufrichtig leid, daß diese Unannehmlichkeit vorgekommen ist,« begann Pringle, »aber –«

»Ach was – Unannehmlichkeit oder Annehmlichkeit, Verehrtester, dieser Geschichte hier muß ein Ende gemacht werden! Ich habe Ihren Brief verlegt, sonst wäre ich früher gekommen. Da Sie der Direktor sind, ist es mir noch lieber, mit Ihnen zu sprechen, als mit Ihrem Schriftführer. Ich habe die Geschichte satt und sage Ihnen, daß Sie alle zusammen Schwindler sind – Schwindler, Herr, merken Sie sich das!« Und er hieb dabei mit der Faust auf den Tisch, daß die Fenster klirrten.

»Ich kann schließlich Ihre Gefühle wohl verstehen,« bemerkte Pringle mit einem Ausdruck gekränkter Würde, »aber es tut mir leid, feststellen zu müssen, daß ein Offizier Seiner Majestät so jede Selbstbeherrschung verloren hat –«

»Hol' der Teufel Ihre Unverschämtheit, Herr,« brüllte der alte Offizier, »mag mein Geld zum Kuckuck gehen, aber ich werde Sie dem Gericht überliefern, so teuer mir auch die Geschichte zu stehen kommen mag! Sie sollen daran glauben, ebenso wie Ihr Schriftführer; beide seid Ihr Schwindler und ich will noch heute vor Gericht eidlich erhärten, was für Gauner Ihr seid!« Er sprang auf, stürzte hinaus und eilte die Treppe hinab.

Pringle folgte ihm, so rasch er konnte, und erreichte die Haustüre gerade noch um zu hören, wie er dem Kutscher seiner Automobildroschke zurief: »Nach dem Polizeipräsidium!«

Pringle ging noch einmal nach oben, verbrannte sämtliche Briefschaften der letzten Tage in dem Kamin, nahm noch alle Postzahlscheine, die am heutigen Tage eingegangen waren, mit sich, löste diese auf dem Hauptpostamt ein und kehrte nach seiner Privatwohnung in Furnivals-Inn zurück. »Schließlich konnte der Scherz lange nicht mehr so weiter gehen,« dachte er, »am Ende hätte irgend jemand doch Anzeige erstattet, wenn auch der grimmige alte Krieger heute nicht aufgetaucht wäre. Ich werde mir doch den Spaß leisten, mir sein Gesicht anzusehen, wenn er wiederkommt und das Nest leer findet.

In seiner Wohnung nahm Pringle rasch Schnurrbart und Perücke ab, wusch sich, und als er das Muttermal neu angemalt hatte, war er wieder der harmlose, unbeschäftigte Besitzer eines literarischen Bureaus.

Es war jetzt halb zwei, und nach einem Frühstück in einem nahegelegenen Restaurant bummelte er langsam wieder dem Geschäftsviertel Londons zu, mit Vergnügen seine Zigarre schmauchend.

Von der St. Pauls Kathedrale schlug es gerade drei Uhr, als er Barbican erreichte, und da sich gegenüber seinem früheren Bureau ein kleines Restaurant befand, betrat er dieses, bestellte sich einen Whisky mit Soda und nahm an einem Fenster Platz, von dem aus er alle Vorgänge auf der anderen Seite der Straße verfolgen konnte.

Es dauerte aber lange, ehe seine Neugier befriedigt wurde, und er hatte bereits seine dritte Zigarre angezündet, bis er endlich auf seine Kosten kam. Als er nämlich seinen Blick aufwärts nach einem Fenster des zweiten Stockes richtete, sah er dort einen sonderbaren Mann stehen, der vom Fenster aus vorsichtig die Straße beobachtete.

Die Geschichte war also recht schnell gegangen und er hatte keinen Augenblick zu früh seinen Schriftführerposten niedergelegt!

Es war noch nicht lange her, seit der merkwürdige Herr von dem Fenster verschwunden war, als eine Droschke vor der Türe des Restaurants Halt machte. Sie schien nur herbestellt zu sein, um jemand abzuholen, da niemand ausstieg. Aber nach einiger Zeit wurde die Türe der Droschke vorsichtig geöffnet, und ein Mann, der eine große blaue Brille und eine kleine Handtasche trug, wurde sichtbar. Er betrachtete zunächst aufmerksam und mißtrauisch die Fenster des Jungbrunnen-Bureaus, dann erst stieg er aus. Es war – Herr Jacobs, der dieses Mal äußerst vorsichtig war, aber doch annahm, daß die Polizei schon längst das Suchen nach ihm aufgegeben hätte.

Da sich nichts Verdächtiges blicken ließ, schien er völlig beruhigt, schlüpfte über die Straße und verschwand schließlich zu Pringles großem Ergötzen in dem gegenüberliegenden Hause. Der Zuschauer hatte nicht lange auf den nächsten Akt des Schauspiels zu warten. Der Vorhang hob sich schon nach einer kurzen Pause!

Ungefähr zehn Minuten, nachdem Jacobs in dem Hause verschwunden war, trat der Mann, der vorher an dem Fenster gestanden hatte, aus dem Hause heraus und winkte die wartende Droschke heran. Als sie vorgefahren war, trat ein zweiter Mann aus der Türe, der Herrn Jacobs am Arme gefesselt mit sich führte. Der letztere sah zum Erbarmen aus und stieg mit seinem Begleiter in die Droschke, die sich alsbald in Bewegung setzte und über deren Ziel Pringle keinen Zweifel hegte.

Pringle bezahlte den Kellner und trat auf die Straße hinaus. Das Bureau der Jungbrunnen-Gesellschaft schien auf einmal völlig verlassen zu sein, und nur der Briefträger, der seine Nachmittagspost austrug, betrat das Haus. Pringle bummelte die Straße herunter und kehrte erst um, als der Briefträger das Haus wieder verlassen hatte. Dann ging er keck in das Haus hinein, stieg leise die Treppe hinauf und klopfte an die Bureautüre der Jungbrunnen-Gesellschaft. Keinerlei Antwort! Er klopfte nochmals, dieses Mal lauter, und versuchte dann die Türe zu öffnen. Wie er es nicht anders erwartet hatte, war die Türe fest verschlossen; das bewies ihm, daß die Luft rein war, und er holte seinen eigenen Nachschlüssel hervor und trat ein.

Auf dem Boden lagen wild durcheinander geworfen die Geschäftsbücher; die Schubladen waren aufgerissen und geleert und die Kisten umgedreht – mit einem Worte, es war deutlich zu sehen, daß das ganze Zimmer durchsucht worden war, um Beweise gegen das Schwindelunternehmen zu sammeln.

Pringle jedoch hatte für all diese Dinge kein Interesse. Er schenkte einzig und allein seine Aufmerksamkeit dem Briefkasten; riß die Briefumschläge der soeben angekommenen Briefe auf und steckte die Postzahlscheine in seine Tasche. Dann verbarg er die anderen Briefschaften hinter einer aufgebrochenen Kiste und verließ eilig das Zimmer, indem er hinter sich leise die Türe wieder zuschloß.

Als er dann langsam die Straße hinunterging, um dem Hauptpostamt seinen letzten Besuch abzustatten, erblickte er die beiden Polizeibeamten, die in das Haus zurückkehrten, um nun auch den »geschäftsführenden Direktor« festzunehmen.

*


 << zurück weiter >>