Anatole France
Nützliche und erbauliche Meinungen des Herrn Abbé Jérôme Coignard
Anatole France

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Die Staatsminister

II

Heute waren wir, mein teurer Lehrer und ich, sehr überrascht, bei Herrn Blaizot, dem Buchhändler »Zur heiligen Katharina«, einen kleinen hagren, gelben Mann zu treffen, der niemand anders war als der berühmte Pamphletist Jean Hibou. Wir hatten allen Anlaß zu der Annahme, daß er in der Bastille säße, wo er sein Dasein zu verbringen pflegte. Und wenn wir ihn sofort erkannten, so war es, weil auf seinem Gesicht noch der Schatten und die Feuchtigkeit seines Kerkers lag. Mit zitternder Hand blätterte er unter den ängstlichen Blicken des Buchhändlers in den neuerdings aus Holland eingetroffenen politischen Schriften. Der Herr Abbé Coignard zog den Hut vor ihm mit natürlicher Anmut, die noch mehr aufgefallen wäre, hätte dieser Hut meines teuren Lehrers nicht am gestrigen Abend bei einer Prügelei in der Weinlaube des »Bacchusknaben«, die aber keine weiteren Folgen hatte, einen Puff davongetragen.

Als der Herr Abbé seine Freude ausgedrückt hatte, einen so geschickten Mann wiederzusehen, antwortete Herr Jean Hibou:

»Es wird nicht für lange sein. Ich verlasse dieses Land, in dem ich nicht leben kann. Ich vermöchte die Pestluft von Paris nicht länger zu atmen. In einem Monat bin ich in Holland. Es ist grausam, einen Fleury nach einem Dubois ertragen zu müssen, und ich bin zu tugendhaft, um Franzose zu sein. Wir werden nach falschen Grundsätzen von Dummköpfen und Schuften regiert. Das kann ich nicht ertragen.«

»Allerdings«, sagte mein teurer Lehrer, »sind die öffentlichen Angelegenheiten in schlechten Händen, und es gibt viele Diebe in hohen Stellungen. Die Einfältigen und die Bösartigen teilen sich in die Macht, und wenn ich je über die gegenwärtigen Zustände schreibe, so gibt es ein kleines Buch in Art der Apokolokynthosis des Philosophen Seneca oder unsrer ›Satire ménippée‹ die ja ziemlich saftig istBerühmte französische Spottschrift des 16. Jahrhunderts im Stil der antiken menippischen Satiren.. Diese leichte, scherzende Art stimmt besser zur Sache als die trübsinnige Steifheit eines Tacitus oder der geduldige Ernst eines de ThouDe Thou (1533–1617), französischer Historiker, der eine Geschichte seiner Zeit schrieb.. Von diesem Pamphlet würde ich Abschriften machen lassen, die heimlich verbreitet würden, und worin man eine philosophische Verachtung der Menschen fände. Die Regierenden würden sich zumeist sehr darüber erbosen; doch einige fänden, so glaube ich, ein geheimes Vergnügen daran, sich hier mit Schimpf bedeckt zu sehen. So denke ich es mir nach dem, was ich von einer vornehmen Dame hörte, als ich in Séez Bibliothekar des Herrn Bischofs war. Sie war im Verblühen, vibrierte aber noch ganz von ihren zügellosen Ausschweifungen. Denn ich muß hinzusetzen, daß sie zwanzig Jahre lang das verliebteste Frauenzimmer der Provinz Normandie war. Als ich sie fragte, was ihr im Leben das größte Vergnügen gemacht hätte, antwortete sie mir:

›Mich entehrt zu fühlen.‹

An dieser Antwort erkannte ich, daß sie Feingefühl besaß. Ich will ein Gleiches bei diesem und jenem Minister voraussetzen, und wenn ich jemals gegen sie schreibe, so geschieht es, um ihren Lastern und ihrer Gemeinheit wunderlich zu schmeicheln. Doch wozu ein so schönes Vorhaben lange verschieben? Ich will Herrn Blaizot sogleich um ein Heft Papier bitten, um das erste Kapitel der neuen ›Ménippée‹ zu schreiben.«

Er erhob bereits den Arm zu dem verblüfften Buchhändler. Doch Herr Jean Hibou hielt ihn zurück.

»Herr Abbé«, sagte er, »heben Sie sich diesen schönen Plan für Holland auf und kommen Sie mit mir nach Amsterdam, wo ich Ihnen eine Stellung bei einem Limonadenverkäufer oder Bader ausfindig mache. Dort sind Sie frei; des Nachts können Sie am einen Tischende Ihre ›Satire ménippée‹ schreiben, dieweil ich am andern Ende meine Pamphlete verfasse. Sie sollen giftig genug ausfallen, und wer weiß, ob wir durch unsre Bemühungen nicht einen Wandel in den Zuständen des Königreiches herbeiführen? Die Pamphletschreiber haben am Sturze der Staaten mehr Anteil als man glaubt; sie bereiten die Katastrophen vor, welche die aufständischen Völker dann verwirklichen.«

»Welch ein Triumph!« zischte er zwischen seinen schwarzen Zähnen, die vom bittren Geifer seines Mundes angefressen waren, »welche Freude, wenn es mir gelänge, einen der Minister zu stürzen, die mich in die Bastille gesperrt haben! Wollen Sie, Herr Abbé, bei einem so schönen Werke nicht mittun?«

»Durchaus nicht,« antwortete mein teurer Lehrer. »Es würde mich sehr ärgern, wenn ich etwas an der Staatsform änderte; und wenn ich dächte, daß meine ›Apokolokynthosis‹ oder ›Ménippée‹ eine solche Wirkung hätte, so bliebe sie ungeschrieben.«

»Was!« rief der Pamphletist enttäuscht, »sagten Sie mir nicht hier eben, daß die Regierung schlecht wäre?«

»Gewiß,« antwortete der Abbé. »Doch ich ahme die Weisheit jener alten Syrakusanerin nach, die zu der Zeit, wo Dionys der bestgehaßte Mann seines Volkes war, alle Tage in den Tempel ging und die Götter um das Leben des Tyrannen anflehte. Dionys erfuhr von dieser seltsamen Frömmigkeit, wollte ihren Grund wissen, ließ die gute Alte kommen und befragte sie.

›Ich bin nicht jung,‹ antwortete sie; ›ich habe unter vielen Tyrannen gelebt und stets bemerkt, daß auf einen schlimmen ein noch schlimmerer folgte. Woraus ich schließe, daß dein Nachfolger noch schlimmer sein wird als du, und ich bitte die Götter, ihn uns so spät wie möglich zu geben, wenn das sein kann.‹

Diese Alte war sehr verständig; und ich meine mit ihr, Herr Jean Hibou, daß die Schafe gut tun, sich von ihrem alten Hirten scheren zu lassen, damit nicht ein junger kommt und sie nochmals schert.«

Durch diese Reden gereizt, floß die Galle des Herrn Jean Hibou in bittren Worten über:

»Welch feige Reden! Welch unwürdige Grundsätze! Oh, Herr Abbé, wie wenig lieben Sie die öffentliche Wohlfahrt, und wie wenig verdienen Sie den Eichenkranz, den die Dichter den tapferen Bürgern versprechen. Sie hätten bei den Tartaren, bei den Türken zur Welt kommen müssen, als Sklave eines Dschingischan oder Bajazet, statt in Europa, wo man die Grundsätze des öffentlichen Rechts und der Philosophie lehrt. Wie! Sie fügen sich einer schlechten Regierung, ohne auch nur den Wunsch zu hegen, sie zu ändern! Solche Gefühle würden in einer Republik, wie ich sie mir denke, zum mindesten mit Exil und Ausweisung bestraft. Jawohl, Herr Abbé, in die Konstitution, die ich plane, und die nach den Grundsätzen der Antike gemacht werden soll, werde ich einen Paragraphen zur Bestrafung schlechter Bürger wie Sie aufnehmen. Ich werde Strafen gegen jeden verhängen, der den Staat verbessern kann und es nicht tut.«

»Ha, ha!« lachte der Abbé, »auf die Weise machen Sie mir wenig Lust, Ihr Salent zu bewohnen. Was Sie mir davon erzählen, läßt mich glauben, daß dort großer Zwang herrschen wird.«

»Nur Zwang zur Tugend,« antwortete Herr Jean Hibou spitzig.

»Ach!« rief der Abbé aus, »wie recht hatte doch die alte Syrakusanerin, und wie sehr muß man fürchten, nach einem Fleury und Dubois Herrn Jean Hibou zu kriegen! Sie stellen mir, mein Herr, die Regierung der Gewalttätigen und Heuchler in Aussicht, und um die Verwirklichung dieser Zusage zu beschleunigen, laden Sie mich ein, Limonadenverkäufer oder Bader an einer Amsterdamer Gracht zu werden? Danke schön! Ich bleibe in der Rue Saint-Jacques, wo man kühlen Wein trinkt, dieweil man auf die Minister schimpft. Glauben Sie etwa, mich mit dieser Regierung der ehrlichen Leute zu ködern, wo die Freiheit mit so vielen Verboten umgeben ist, daß man sie nicht mehr genießen kann?«

»Herr Abbé,« sagte Jean Hibou, sich erhitzend, »ist das redlich, eine Staatsverfassung zu bekämpfen, die ich in der Bastille entworfen habe und die Sie nicht kennen?«

»Mein Herr,« erwiderte mein teurer Lehrer, »ich mißtraue den Regierungen, die in Kabalen und Aufruhr entstehen. Die Opposition ist eine sehr schlechte Schule für die Regierung, und die Politiker, die sie auf diesem Wege durchsetzen, regieren, wenn sie klug sind, wohlweislich mit dem genauen Gegenteil der Grundsätze, die sie früher vertraten. Dergleichen hat man in China und auch anderswo gehabt. Dieselben Notwendigkeiten, denen ihre Vorgänger sich fügten, leiten auch sie. Und das einzige Neue, das sie mitbringen, ist ihre Unerfahrenheit. Aus diesen und aus andren Gründen, mein Herr, sehe ich voraus, daß eine neue Regierung lästiger sein wird als die, an deren Stelle sie tritt, ohne sich von ihr sehr zu unterscheiden. Haben wir's nicht schon erfahren?«

»Also«, sagte Herr Jean Hibou, »Sie sind für die Mißbräuche?«

»Sie sagen es,« antwortete mein teurer Lehrer. »Die Regierungen sind wie die Weine, die mit der Zeit milder und klarer werden. Auch die strengsten verlieren auf die Dauer etwas von ihrer Härte. Ich fürchte einen Staat in seiner ersten Jugendkraft. Ich fürchte die herbe Neuheit einer Republik. Und da man doch nun mal schlecht regiert wird, so ziehe ich solche Minister und Fürsten vor, deren erster Eifer erlahmt ist.«

Herr Jean Hibou drückte seinen Hut ins Gesicht und sagte uns in gereiztem Ton Lebewohl.

Als er fort war, blickte Herr Blaizot von seinen Rechnungen auf, setzte seine Brille zurecht und sagte zu meinem teuren Lehrer:

»Ich bin nun schon an die vierzig Jahre Buchhändler ›Zur heiligen Katharina‹, und es macht mir stets neue Freude, die Reden der Gelehrten zu hören, die meinen Laden betreten. Aber die Unterhaltungen über öffentliche Angelegenheiten mag ich nicht. Man erhitzt sich dabei, man zankt sich um nichts.«

»Zumal«, sagte mein teurer Lehrer, »es in diesen Dingen keine sicheren Grundlagen gibt.«

»Es gibt wenigstens eine, die kein Mensch bestreiten wird,« antwortete Herr Blaizot, »nämlich die, daß man ein schlechter Christ und ein schlechter Franzose wäre, wollte man die Kraft des heiligen Salböls von Rheims leugnen, mit dem gesalbt unsre Könige zu Stellvertretern Christi im Königreich Frankreich werden. Dies ist die Grundlage der Monarchie, sie wird nie erschüttert werden.«

 


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