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Ein praktischer Don Quixote, mit einer guten Beigabe désillusion, einer, der sich sagt, »es hilft vielleicht alles nichts« und um ein ertrinkendes 208 Kätzchen sein Leben riskiert; einer, der zugreift und hilft, wie Maschinisten einander helfen, aus Liebe zum Material, das doch am Ende etwas Besseres verdient hat . . . bist du das?
Einer mit wachen, wachen Sinnen, der alles genießt, wo immer er's am Wege findet: wie man den Duft der Gärten einzieht und weitergeht. Einer, der sein Leben nicht beschwert mit Besitz, keinen Vogel im Käfig duldet, weil er Grausamkeit wie Schamlosigkeit empfindet . . . bist du das?
Einer, der bitter sein kann und ungerecht, aber sich nachher nicht scheut, es einzugestehn; denn er hat so einen unerbittlichen Kompaß in der Brust.
Einer, der mir so große Ruhe geben kann.
Es sind hier im Winter jähe Frühlingstage, die greifen ins Herz, die rennen alle Vernunft über den Haufen.
Ich ging einen Weg aufwärts, an einer Hecke von Dornen und Eichengestrüpp entlang; über mir öde Felder, Ulmen und nacktes Rebengeäst, unter 209 mir die Hänge, aufgepflügte violette Erde, Bauernhöfe, grau und versunken; alles so still abgetönt. Und dann plötzlich nach Süden, ein kleines Feld, Ölbäume in der Sonne, ein weicher Luftzug wehte grüne und weiße Schauer in ihr Laub, und unter ihnen die Erde – ganz silbern von Tazzetten, die nickten und leuchteten, und waren wie betrunken vom eignen Duft. . . .
So auf den Frühling warten, auf den ersten lauen Regen, der alles lösen wird, ach ja, das ist wohl schön. Aber plötzlich, im tiefsten Winter, solch weißes, duftendes Sternenfeld . . . o du himmlische Bescherung! . . .
So kann man sich auch auf Musik freuen, lange im voraus, und still dasitzen und warten wie auf einen Trunk. Und wenn es Haydn ist, der auf dem Programm steht, dann fällt mir mein Konfirmationsspruch ein: »Er führet mich auf eine grüne Weide, mir wird nichts mangeln.«
Aber es kann auch anders über einen kommen, so plötzlich, wie das Tazettenfeld. Man geht an einer Kirchtür vorbei, und es rauscht heraus auf den Platz, der breite Wellenschlag der Orgel . . . nur einen Augenblick, aber es ist einem durch die Seele gefegt mit 210 Hall und Widerhall, und man hätte sich gar nicht wehren können.
Solch starke, rauschende Welle ist auch der Engel im goldnen Gewand, der hereinstürmt mit ausgestrecktem Finger zu der kleinen schauernden Jungfrau, die sich an die Wand drückt und ihr nachtblaues Tuch um die Schultern zieht. Sie will ja gern des Herrn Mutter sein, aber, lieber Engel Gabriel, mach' erst die Türe zu; so kann man sich wirklich nicht verständigen. Sie ist sehr kostbar und geheimnisvoll, eine feine, fröstelnde Japanerin, mit schmalen, hochgezognen Brauen, mit winzigem weinerlichem Mündchen . . .
Wenn Menschen sterben, die wir einmal geliebt, o wie wallt so plötzlich, so unaufhaltsam der Unsterblichkeitsgedanke auf: nein, nein, es darf nicht ganz zu Ende sein, wo Du auch seist, Gott, gib ihnen noch gute Tage . . .
Und ich glaube, es ist die Sehnsucht nach den Toten, 211 die die Kirchen füllt und die Religionen am Leben erhält . . .
Und erst viel später kommen die guten, dunklen Worte, wie Horntöne, die leise schwingenden: Von Erde bist du genommen, zur Erde kehrst du wieder zurück . . .
Nach einem weiten Weg.
Die weiten grauen Hügel, die weiten grauen Mulden, der Himmel auch ganz weit und rosig. Wenige anspruchslose Landhäuser mit Rebengärten und nur wenig Blumen, aber die, so süß berauschend in der Winterabendluft; gefüllte Jonquillen, weiß und orangegelb, die wie Aprikosen duften . . . Wege zwischen niedern Mauern, über die man hinausblickt ins Land, und dann wieder ein Stückchen Straße, verwitterte Wappen über den Türen, arme Leute wohnen dort . . . aber immer wieder sieht man in die graue Ruhe, in die Hügel, die sitzen da und warten, still und menschenfremd und doch so gar nicht feindlich. O, das ist wie ein Geschenk, immer die gleichen zwei breiten Akkorde, die weitertönen. So ein einsamer grauer Hintergrund, etwas Breitschultriges, Gütiges, in das man hineingehn möchte, ohne alle 212 Anstrengung. Ach wie solch weites Hügelland am Abend möchte doch der Tod sein! . . .
*
Siebenter Februar.
Seit dein Brief kam, schrieb ich kein Wort mehr. Die Hände fielen mir immer wieder in den Schoß. Oh, keine Worte. Es ist genug, die milde Luft zu fühlen, und wie sie so sanft mir über die Haare geht.
Am liebsten bin ich draußen, bei den Bauersleuten. Die Kinder sitzen in der Sonne in ihren verwaschnen Blaukittelchen und spielen mit den jungen Maremmahunden – die Frau bringt in der Schürze trocknes Rebengeäst nach Haus, damit wird jetzt gefeuert, das flammt und prasselt auch wie betrunken. Hier draußen ist alles ganz sonnig und offen und frei, Weizen und Ölbäume und schöne, gesunde Reben. »Daß der Wein erfreue des Menschen Herz, und seine Gestalt schön werde vom Öl, und das Brot des Menschen Herz stärke.« 213
Ich legte die Hand auf die Brust, grad über den Brief, und fühlte ihn knistern unter meinem Kleid. Da sagte die Frau: »Hat die Signora Schmerzen?« Ja, vor Glück – sagte ich und war wohl blaß geworden. Das sind gute Schmerzen – sagte die Frau.
Ein anderer Tag:
Ich wache auf aus dem Schlaf und setze mich auf und weine vor Glück. Oh diese Tage! Was könnte mir Schaden tun? Und wenn ich Gift tränke, es würde zu Wein in meinem Munde.
Und noch ein anderer:
Mit jedem Tag wird mein Herz weiter, mein Atem tiefer. Denn jeden Tag ist mehr Liebe, und gestern wäre zu klein, um heute zu fassen . . .
Die Sonne nehmen wir auch so hin. Können ihr nichts dafür antun, nur blühen . . .
Wie stille macht das Glück! Es heißt ja wohl, Kräuter müssen zerdrückt werden, damit sie ihren ganzen Wohlgeruch hergeben. Ach, das ist eine schlechte Weisheit. Es wird immer ein scharfer Tropfen dabei sein; so werden sie nicht duften, wie sie duften, wenn 214 die Sonne allein, am heißen Mittag, ihre heimlichste Süße herauszieht . . .
Achtzehnter Februar.
Frühling, Vorfrühling, wenn die Erde so gut riecht und einem das Herz so stark zu klopfen anfängt. Das ging mir schon als Kind so . . .
Meiner Mutter Frühlingslied
Das junge lichte Holz, das lieb ich, Wenn es so luftig leicht in Himmelsbläue steigt, Sich sanft herniederneigt. Das junge lichte Holz, das lieb ich, Das junge lichte Holz, das lieb ich, Das junge lichte Holz, das lieb ich, |
Weißt du, was mich so seltsam ergreift, das ist, wenn du lachst; dann hast du Augen wie ein kleiner Matrosenjunge. 215
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Du verstehst so vieles, von dem ich gar nichts weiß, vieles, was mir wohl immer fremd bleiben muß, wie Sprachen, die man zu spät erlernt; was tut das, du und ich, wir freuen uns an denselben Dingen und empören uns über dieselben Dinge, und das ist doch das eine, worauf es ankommt . . .
Das geht so ruhig seinen Weg; das sing ich mir vor, und die Tage gehn dahin . . .
Als sie dich nannten damals, zum erstenmal dein Name vor mir genannt wurde, ging ein Schauer durch meine Glieder, so wie früh, vor dem Erwachen, wenn die Sonne über die schlafenden Augen geht . . .
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Ja, ich weiß es, du könntest auch ohne mich leben. Was tut's? Wenn nur ich nicht ohne dich leben kann!
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Und jene beschenken uns doch am reichsten, die wir mehr lieben, als sie uns geliebt . . . 217
Der Vogel mit dem Ringelrot Singt Leide – Leide – Er singt dem Täubchen seinen Tod . . . Ziküth! |
Aber dem Täubchen war gewiß sehr wohl dabei.
Siebenundzwanzigster Februar.
In London war's, im Sommer, die Hitze zum verschmachten; und ich saß am Fenster und sehnte mich nach der Nacht. Die Straße war vereinsamt, die Kutscher schliefen hoch oben auf ihren Sitzen, es kam niemand vorbei.
Bei der großen Schneiderin gegenüber war noch immer Leben; Schatten glitten an den weißen Rouleaus entlang. Nun kam ein junger Mensch mit einem Korb in die Straße; er hatte Lavendel drin, den er mit einem melancholischen Singsang feilbot, immer die zwei gleichen Takte.
Der Geruch blieb stehn wie eine Schleierwand – es war kein Wind da, ihn weiterzutreiben; und dann wurde es dunkel. Man brachte Essen, aber ich mochte bei der Hitze nichts anrühren, und wie ich plötzlich Musik hörte, ging ich zurück an meinen Platz am Fenster.
Es war ein kleines Pianino auf Rädern; zwei Kerzen brannten hinter roten Schirmen. Ein Mann im Frack mit übergeworfnem Abendmantel spielte; er hatte eine Maske vor dem Gesicht – nur sein Kinn und seine schlanken Hände waren unbedeckt.
Neben ihm, etwas weiter vorn, standen zwei andere Masken, in seidenen Mänteln und Kapuzen und sangen: eine Frauenstimme und ein Tenor. Die weibliche Stimme verschleiert, dunkel, nur ab und zu schwang sie sich wie eine Glocke über die anderen hinaus. Die Stimme des Mannes furchtlos, beweglich, von großem Wohlklang. Sie sangen wertlose Musik, gefühlvollen Kitsch, wie er in jeder Season auftaucht und verschwindet, um wieder andern süßen Überschwenglichkeiten Platz zu machen. Aber diese Vermummten sangen, als ob sie nur so, verkleidet in Alltagsmelodien, sich ihr schmerzhaftes Glück von der Seele singen konnten. 219
Wer mochten sie sein? Ihre Bewegungen waren zwanglos: sie gingen sehr ruhig und höflich miteinander um. Der Sänger flüsterte der Sängerin etwas zu. Sie nickte und wandte sich nach dem Begleiter; der nickte auch und spielte das Ritornell. Und dann setzten die Stimmen wieder ein, leise, plötzlich, wie sich zwei Nachtvögel ins Dunkel schwingen.
Aus den Fenstern blickten Menschen. Die hübschen Mädchen bei der berühmten Schneiderin tuschelten und beugten sich vor; Geldstücke, in Papier gewickelt, regneten herab, auch zwei weiße Rosen. Der Sänger sammelte ein, aber langsam, als sei's ihm ungewohnt; dabei sah ich, daß er schmale Füße hatte, in feinen Abendschuhen. Die Sängerin hielt ihm einen glitzernden Beutel hin, er lachte, sie lachte, er warf alles langsam hinein, es war wie ein Spiel. Sie gab ihm eine der Rosen, roch an der andern, dankte hinauf mit weicher Grazie. Dann nahm sie den Beutel und schwang ihn hin und her, ein wenig gedankenvoll; war er nicht voll genug? Und wandte sich um. Ein Dienstmann kam eilig heran, er führte das Eselchen vor dem winzigen Klavier, die Lichter flackerten, die Masken gingen hinterher, schlank und schwarz und schweigend. 220
Heute nacht denk' ich daran. Ist es, weil ich durch die Fensterläden ein paar Gitarren vorüberklimpern hörte, abgerissene Melodien? Junge Leute, die von einem Tingeltangel heimkehren und das Ritornell zusammensuchen? Übernächtige junge Menschen, den Hut im Genick, die Haare in der Stirn, mit schweren Augen und weichem, schläfrigem Mund . . . Und die Mädchen mit ihnen, weiß bemalt, welk und verknittert, wie die Gardenien, die in den Straßen verkauft werden und in heißen Sälen, verdorben, aber immer noch süß, an der Erde liegen.
Doch über Donna Anna waren keine Menschenfüße gegangen. Stolz und zart war sie sicherlich, wie die weißen Sterne der Nicotianen, die sich erst am Abend auftun und ihre ganze Süße aussenden in die Dunkelheit. War es Qual, war es Glück, was ihre Stimme verschleierte, woher kam der Glockenton, der sich hinausschwang über die andern? Da war Stolz und bebende Scheu, aber auch Ruhe und Weltvergessen:
»Setze mich wie ein Siegel auf dein Herz und wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod. 221
»Daß auch viele Wasser nicht mögen die Liebe auslöschen, noch die Ströme sie ersäufen.
»Wenn einer alles Gut seines Hauses geben wollte um die Liebe, so gälte es doch alles nichts.«
*
(Dies ist das letzte beschriebene Blatt.)
Ende