Theodor Fontane
Unwiederbringlich
Theodor Fontane

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Achtes Kapitel

Holk, als er sich an dem Kricketplatz von Asta getrennt hatte, hatte sich nach dem nächstgelegenen Treibhause begeben, in dessen Front er seinen Gärtner emsig bei der Arbeit sah. Und hier, nach kurzer Begrüßung, riß er zwei Blätter aus seinem Notizbuch und schrieb ein paar Telegrammzeilen an Pentz und die Witwe Hansen, in denen er beiden sein Eintreffen in Kopenhagen für den andern Abend anzeigte. »Diese Telegramme, lieber Ohlsen, müssen nach Glücksburg oder meinetwegen auch nach Arnewiek; es gilt mir gleich, wo Sie's aufgeben wollen. Nehmen Sie den Jagdwagen.«

Der Gärtner, ein Muffel, wie die meisten seines Zeichens, war augenscheinlich verdrießlich, weshalb Holk hinzusetzte: »Tut mir übrigens leid, Ohlsen, Sie bei der Arbeit stören zu müssen; aber ich brauche Philipp beim Packen, und Ihrer Frau Bruder, der sich ja gut anläßt, weiß noch nicht recht Bescheid und ist mir auch nicht zuverlässig genug.«

Der Gärtner fand sich nun wieder zurecht und sagte, daß er, wenn, es dem Grafen recht wäre, lieber nach Glücksburg wolle; seine Frau habe nämlich wieder solch Jucken über den ganzen Körper, was gewiß von der Galle käme, sie ärgere sich so leicht, und da möcht er denn wohl mit zu Doktor Eschke heran und ein Rezept holen.

»Mir recht«, sagte Holk. »Und wenn Sie mal da sind, so sorgen Sie auch gleich dafür, daß das Schiff morgen früh mit Sicherheit hier anlegt; es ist schon vorgekommen, daß es vorbeifährt, und fragen Sie auch, ob der König schon da ist, ich meine in Glücksburg, und wie lange er wohl bleibt.«

Damit ging der Graf wieder auf das Schloß zu, wo Philipp, im Ankleidezimmer seines Herrn, nicht bloß die Koffer bereits zurechtgestellt, sondern auch schon mit dem Packen begonnen hatte.

»Das ist recht, Philipp; ich sehe, die Gräfin hat dir gesagt, daß ich fortmuß. Nun, du weißt ja, was ich brauche; aber nicht zuviel, je mehr man mitnimmt, je mehr fehlt einem. Nicht wahr? Ist der Koffer voll, so verlangt man zuletzt alles, als wäre man zu Hause. Nur eines vergiß nicht, die Pelzstiefel und die hohen Gummischuhe. Man tapst drin herum wie ein Elefant, aber das Herz bleibt warm und gesund, und das ist doch immer die Hauptsache. Meinst du nicht auch?«

Philipp bestätigte den Ausspruch, worauf sich der Graf in sichtlichem Behagen an seinen Schreibtisch setzte und einige Briefe schrieb, auch einen an seinen Schwager Arne, während der alte Diener mit dem Packen der Koffer fortfuhr.

»Welche Bücher befehlen der Herr Graf?«

»Keine. Was wir hier haben, paßt nicht nach Kopenhagen. Oder nimm ein paar Bände Walter Scott mit; man kann nicht wissen, und der paßt immer.«

In der Mittagsstunde, Asta war noch unten im Dorf, kam Baron Arne von Arnewiek herüber, und Holk, als man plaudernd mit den Damen unter der Halle saß, gab ihm lachend den Brief, den er am Vormittag geschrieben hatte. »Da, Alfred; aber lies ihn erst zu Haus, es eilt nicht damit, und eigentlich weißt du ja doch, was darin steht. Es ist das alte Lied. Ich empfehle dir Schloß Holkenäs und die Wirtschaft wie schon manch liebes Mal und setze dich für die Tage meiner Abwesenheit zum Majordomus ein. Sei deiner Schwester ein Berater, besprich mit ihr« (dies sprach er halb leise) »den Bau einer neuen Kapelle mit Gruft oder was sie sonst will, und lasse Pläne machen wegen der Ställe. Mit dem für die Shorthorns wird angefangen. Zieh den homöopathischen Doktor zu Rate, von dem du mir neulich soviel Wunderdinge erzählt hast, und schicke dann die Zeichnungen hinüber nach Kopenhagen. Pentz versteht auch was davon und Bille, der soviel gereist ist, noch mehr, und seine Masern« (und damit wandt er sich wieder an die Damen) »können doch am Ende nicht ewig dauern. Ist er erst abgeschülbert, ich muß lachen, wenn ich ihn mir in der Mauserung denke, so such ich ihn auf und leg ihm die Pläne vor. Kranke sind immer froh, wenn sie was andres hören als den Medizinlöffel oder den Doktorstock.«

Holk sprach noch weiter in diesem Tone, was keinen Zweifel darüber ließ, daß er sich eigentlich freute, Holkenäs auf ein Vierteljahr verlassen zu können. Es war fast verletzend für die Gräfin, und sie würde diesem Gefühl auch Ausdruck gegeben haben, wenn sie sich nicht auf einer ganz ähnlichen Empfindung ertappt hätte. Wie bei vielen Eheleuten, so stand es auch bei den Holkschen. Wenn sie getrennt waren, waren sie sich innerlich am nächsten, denn es fielen dann nicht bloß die Meinungsverschiedenheiten und Schraubereien fort, sondern sie fanden sich auch wieder zu früherer Liebe zurück und schrieben sich zärtliche Briefe. Das wußte keiner besser als der Schwager drüben in Arnewiek. Arne stellte denn auch heute wieder seine Betrachtungen über dies Thema an und gab ihnen in ein paar Scherzworten Ausdruck. Aber das war nicht wohlgetan; sosehr es zutraf, was er sagte, sowenig lag es im Wunsche seiner Schwester, diese Dinge berührt zu sehen. Vielleicht war es denn auch dieser Gang der Unterhaltung, was den die leise Verstimmung seiner Frau beobachtenden Holk veranlaßte, die Dobschütz zu einem Spaziergang in den Park aufzufordern, »er habe noch dies und das mit ihr zu besprechen«.

Als sie fort waren, sagte Christine zu ihrem Bruder, mit dem sie allein geblieben: »Du mußtest das nicht sagen, Alfred, nicht in seiner Gegenwart. Er hat, wie du weißt, ohnehin die Neigung, ernste Dinge leichtzunehmen, und wenn du ihm darin mit gutem Beispiel vorangehst, so weiß er sich noch was damit und gefällt sich darin, den Freigeist zu spielen.«

Arne lächelte.

»Du lächelst. Aber ganz mit Unrecht. Denn ich sage nicht, ein Freigeist zu sein. Ein Freigeist sein, das kann er nicht, dazu reichen seine Gaben nicht aus, auch nicht die seines Charakters. Und das ist eben das Schlimme. Mit einem Atheisten könnte ich leben, wenigstens halte ich es für möglich, ja, mehr, es könnte einen Reiz für mich haben, ernste Kämpfe mit ihm zu bestehen. Aber davon ist Helmuth weit ab. Ernste Kämpfe! Das kennt er nicht. Mit allem, was du da sagtest, zu mir kannst du so sprechen, verwirrst du ihn bloß und bestärkst ihn nur in allem, was schwach und eitel an ihm ist.«

Arne begnügte sich, etlichen Buchfinken, die während des Gesprächs bis unter die Halle gekommen waren, ein paar kleine Krumen hinzuwerfen, schwieg aber.

»Warum schweigst du? Bin ich dir wieder zu kirchlich? Ich habe kein Wort von Kirche gesprochen. Oder bin ich dir wieder zu streng?«

Arne nickte.

»Zu streng. Sonderbar. Du findest dich nicht mehr in mir zurecht, Alfred, und wenn das ein Vorwurf ist, und du meinst es so, so muß ich dir den Vorwurf zurückgeben. Ich finde mich nicht mehr in dir zurecht. Du weißt, wie mein Herz an dir hängt, wie ich, aus meiner Kindheit Tagen her, voller Dank gegen dich bin, und dies Dankesgefühl habe ich noch. Aber ich kann dir das Wort nicht ersparen, du bist ein anderer geworden in deinen Anschauungen und Prinzipien, nicht ich. An dem einen Tage bin ich dir zu sittenstreng, am anderen Tage zu starr in meinem Bekenntnis, am dritten Tage zu preußisch und am vierten zu wenig dänisch. Ich treff es in nichts mehr. Und doch, Alfred, all das, was ich bin, oder doch das meiste davon, bin ich durch dich. Du hast mir diese Richtung gegeben. Du warst schon dreißig, als ich bei der Eltern Tode zurückblieb, und nach deinen Anschauungen, nicht nach denen der Eltern, bin ich erzogen worden; du hast die Herrnhuterpension für mich ausgesucht, du hast mich bei den Reckes und den Reuß und den frommen Familien eingeführt, und nun, wo ich das geworden bin, wozu du mich damals bestimmtest, nun ist es nicht recht. Und warum nicht? Weil du mittlerweile die Fahne gewechselt hast. Ich will es respektieren, daß du, der du mit dreißig an der Grenze des äußersten Aristokratismus warst, jetzt, wo du beinah sechzig bist, die Welt mit einem Male durch liberalgeschliffene Gläser siehst; aber darfst du mir Vorwürfe machen, wenn ich da blieb, wo du früher auch standest und wo du mich selber hingestellt?«

Arne nahm zärtlich der Schwester Hand. »Ach, Christine, stehe, wo du willst. Ich habe nicht den Mut mehr, Standpunkte zu verwerfen. Das ist eben das eine, was ich in meinen zweiten dreißig Jahren gelernt habe. Der Standpunkt macht es nicht, die Art macht es, wie man ihn vertritt. Und da muß ich dir sagen, du überspannst den Bogen, du tust des Guten zuviel.«

»Kann man des Guten zuviel tun?«

»Gewiß kann man das. Jedes Zuviel ist vom Übel. Es hat mir, solang ich den Satz kenne, den größten Eindruck gemacht, daß die Alten nichts so schätzten wie das Maß der Dinge.«

Holk und die Dobschütz kehrten in diesem Augenblicke von ihrem Spaziergange zurück, und von der andern Seite her kam Asta die Strandterrasse herauf und eilte sofort auf Arne zu, dessen Liebling sie war und an dem sie jederzeit den besten Zuhörer hatte. Der Mama gegenüber zeigte sie sich meist zurückhaltend; aber wenn Onkel Alfred da war, mußte alles herunter, was ihr auf der Seele lag.

»Ich habe heute früh schon an Pastor Petersens Arbeitstisch gesessen, und rechts lag die Bibel, und links stand der Kasten mit Altertümern, und war eigentlich kein Zollbreit Platz mehr da, um mir zu zeigen, was in den Pappschachteln alles lag. Meistens waren es Steine. Zuletzt aber, als er die Bibel zurückgeschoben hatte...«

»Da hattet ihr Platz«, lachte die Gräfin. »Mein alter, lieber Petersen, er schiebt immer die Bibel zurück und ist immer bei seinen Steinen und hat auch sonst eine Neigung, die Steine für Brot zu geben.«

Arne wollte widersprechen, als er aber des eben gehabten Gesprächs gedachte, besann er sich rasch wieder und war froh, als Asta fortfuhr: »Und dann hab ich draußen auf dem Kirchhofe mit Elisabeth an dem Grab ihrer Mutter gestanden und habe bei der Gelegenheit gesehen, daß Elisabeth eigentlich Elisabeth Kruse heißt und daß bloß ihre Mutter eine Petersen war und daß wir sie eigentlich gar nicht Elisabeth Petersen nennen dürfen. Aber, so sagte sie mir, sie habe ihren Vater gar nicht mehr gekannt, und die Mutter, wenn man im Dorf von ihr gesprochen hätte, sei für die Leute nur immer des alten Petersen Tochter gewesen, und so heiße sie denn auch Elisabeth Petersen, und sei eigentlich recht gut so.

Und dann«, fuhr Asta fort, »gingen wir den Kirchhofssteig weiter hinauf bis an die Kirche und kletterten auf einen schräg daliegenden Grabstein und wollten eben durch das Gitterfenster in unsere Gruft sehen, da fiel ein Stein hinein und schlug auf und war mir, als hätt ich wen erschlagen. Ach, ich kann gar nicht sagen, wie ich mich erschrocken habe. Da mag ich nicht hinein, und wenn ich sterbe, das müßt ihr mir alle versprechen, will ich den Himmel über meinem Grabe haben.«

Der Gräfin Blick traf den Grafen, der sichtlich bewegt war und seiner Frau freundlich zunickte. »Soll anders werden, Christine. Habe schon mit Alfred gesprochen und auch eben mit der Dobschütz. Es wird eine offene gotische Halle werden, die den Begräbnisplatz umschließt, und was sonst noch werden soll, das wirst du selber angeben.«

Arne, während Graf und Gräfin noch eine kleine Weile so weitersprachen, unterhielt sich mit Asta und leitete dann, als das Gespräch wieder ein allgemeines wurde, zu anderen Dingen über, was sich leicht machte, da Gärtner Ohlsen eben von Glücksburg zurückkam und die Nachricht brachte, der König komme morgen und die Gräfin Danner auch und er wolle vier Wochen bleiben und auf dem Braruper Moor ein Hünengrab ausnehmen. Und das Billet habe er bei Reeder Kirkegard gleich gelöst, und um zehn Uhr früh oder so herum werd das Dampfschiff an dem Steg unten anlegen. Es sei das beste Schiff auf der Linie: »König Christian«, Kapitän Brödstedt.

Ehe Ohlsen noch seinen Rapport beendet, kam Axel mit dem Hauslehrer und holte die von ihm geschossenen Rebhühner aus der Jagdtasche hervor.

»Mir lieb, Axel«, sagte Holk, »das gibt ein Frühstück für unterwegs. Du wirst doch noch ein richtiger Holkscher Jäger werden, und offen gestanden, das wäre mir das liebste. Das Lernen ist für andere.«

Und dabei streifte Holks Blick, ohne recht zu wollen, den armen Strehlke, der sich, während sein Zögling die Rebhühner geschossen, damit begnügt hatte, ein Dutzend Krammetsvögel aus den Dohnen zu nehmen.


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