Theodor Fontane
Frau Jenny Treibel
Theodor Fontane

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»Nun, Marcell, was giebt es? Rauchen wirst Du nicht, Du siehst mir viel zu bewölkt aus; aber verzeih', ich muß mir erst eine Pfeife stopfen.« Und dabei ließ er sich, den Tabakskasten vor sich herschiebend, in eine Sophaecke nieder. »So! Marcell... Und nun nimm einen Stuhl und setz' Dich und schieße los. Was giebt es?«

»Das alte Lied.«

»Corinna?«

»Ja.«

»Ja, Marcell, nimm mir's nicht übel, aber das ist ein schlechter Liebhaber, der immer väterlichen Vorspann braucht, um von der Stelle zu kommen. Du weißt, ich bin dafür. Ihr seid wie geschaffen für einander. Sie übersieht Dich und uns alle; das Schmidt'sche strebt in ihr nicht blos der Vollendung zu, sondern, ich muß das sagen, trotzdem ich ihr Vater bin, kommt auch ganz nah' ans Ziel. Nicht jede Familie kann das ertragen. Aber das Schmidt'sche setzt sich aus solchen Ingredienzien zusammen, daß die Vollendung, von der ich spreche, nie bedrücklich wird. Und warum nicht? Weil die Selbstironie, in der wir, glaube ich, groß sind, immer wieder ein Fragezeichen hinter der Vollendung macht. Das ist recht eigentlich das, was ich das Schmidt'sche nenne. Folgst Du?«

»Gewiß, Onkel. Sprich nur weiter.«

»Nun, sieh, Marcell, Ihr paßt ganz vorzüglich zusammen. Sie hat die genialere Natur, hat so den letzten Knips von der Sache weg, aber das giebt keineswegs das Übergewicht im Leben. Fast im Gegenteil. Die Genialen bleiben immer halbe Kinder, in Eitelkeit befangen, und verlassen sich immer auf Intuition und bon sens und Sentiment und wie all die französischen Worte heißen mögen. Oder wir können auch auf gut Deutsch sagen, sie verlassen sich auf ihre guten Einfälle. Damit ist es nun aber so so; manchmal wetterleuchtet es freilich eine halbe Stunde lang oder auch noch länger, gewiß, das kommt vor; aber mit einem Mal ist das Elektrische wie verblitzt, und nun bleibt nicht blos der Esprit aus wie Röhrwasser, sondern auch der gesunde Menschenverstand. Ja, der erst recht. Und so ist es auch mit Corinna. Sie bedarf einer verständigen Leitung, d. h. sie bedarf eines Mannes von Bildung und Charakter. Das bist Du, das hast Du. Du hast also meinen Segen; alles andere mußt Du Dir selber besorgen.«

»Ja, Onkel, das sagst Du immer. Aber wie soll ich das anfangen? Eine lichterlohe Leidenschaft kann ich in ihr nicht entzünden. Vielleicht ist sie solcher Leidenschaft nicht einmal fähig; aber wenn auch, wie soll ein Vetter seine Cousine zur Leidenschaft anstacheln? Das kommt gar nicht vor. Die Leidenschaft ist etwas plötzliches, und wenn man von seinem fünften Jahr an immer zusammen gespielt und sich, sagen wir, hinter den Sauerkrauttonnen eines Budikers oder in einem Torf- und Holzkeller unzählige Male stundenlang versteckt hat, immer gemeinschaftlich und immer glückselig, daß Richard oder Arthur, trotzdem sie dicht um einen herum waren, einen doch nicht finden konnten, ja, Onkel, da ist von Plötzlichkeit, dieser Vorbedingung der Leidenschaft keine Rede mehr.«

Schmidt lachte. »Das hast Du gut gesagt, Marcell, eigentlich über Deine Mittel. Aber es steigert nur meine Liebe zu Dir. Das Schmidt'sche steckt doch auch in Dir und ist nur unter dem steifen Wedderkopp'schen etwas vergraben. Und das kann ich Dir sagen, wenn Du diesen Ton Corinna gegenüber festhältst, dann bist Du durch, dann hast Du sie sicher.«

»Ach, Onkel, glaube doch das nicht. Du verkennst Corinna. Nach der einen Seite hin kennst Du sie ganz genau, aber nach der anderen Seite hin kennst Du sie gar nicht. Alles, was klug und tüchtig und, vor allem, was espritvoll an ihr ist, das siehst Du mit beiden Augen, aber was äußerlich und modern an ihr ist, das siehst Du nicht. ich kann nicht sagen, daß sie jene niedrigstehende Gefallsucht hat, die jeden erobern will, er sei wer er sei; von dieser Koketterie hat sie nichts. Aber sie nimmt sich erbarmungslos einen aufs Korn, einen, an dessen Spezialeroberung ihr gelegen ist, und Du glaubst gar nicht, mit welcher grausamen Konsequenz, mit welcher infernalen Virtuosität sie dies von ihr erwählte Opfer in ihre Fäden einzuspinnen weiß.«

»Meinst Du?«

»Ja, Onkel. Heute bei Treibel's hatten wir wieder ein Musterbeispiel davon. Sie saß zwischen Leopold Treibel und einem Engländer, dessen Namen sie Dir ja schon genannt hat, einen Mr. Nelson, der, wie die meisten Engländer aus guten Häusern, einen gewissen Naivitäts-Charme hatte, sonst aber herzlich wenig bedeutete. Nun hättest Du Corinna sehen sollen. Sie beschäftigte sich anscheinend mit niemand anderem, als diesem Sohn Albion's, und es gelang ihr auch, ihn in Staunen zu setzen. Aber glaube nur ja nicht, daß ihr an dem flachsblonden Mr. Nelson im geringsten gelegen gewesen wäre; gelegen war ihr blos an Leopold Treibel, an den sie kein einziges Wort, oder wenigstens nicht viele, direkt richtete, und dem zu Ehren sie doch eine Art von französischem Proverbe aufführte, kleine Komödie, dramatische Scene. Und wie ich Dir versichern kann, Onkel, mit vollständigstem Erfolg. Dieser unglückliche Leopold hängt schon lange an ihren Lippen und saugt das süße Gift ein, aber so wie heute habe ich ihn doch noch nicht gesehen. Er war von Kopf bis zu Fuß die helle Bewunderung, und jede Miene schien ausdrücken zu wollen: »Ach, wie langweilig ist Helene« (das ist, wie Du Dich vielleicht erinnerst, die Frau seines Bruders), »und wie wundervoll ist diese Corinna.«

»Nun gut, Marcell, aber das alles kann ich so schlimm nicht finden. Warum soll sie nicht ihren Nachbar zur Rechten unterhalten, um auf ihren Nachbar zur Linken einen Eindruck zu machen? Das kommt alle Tage vor, das sind so kleine Capricen, an denen die Frauennatur reich ist.«

»Du nennst es Capricen, Onkel. Ja, wenn die Dinge so lägen! Es liegt aber anders. Alles ist Berechnung: sie will den Leopold heiraten.«

»Unsinn, Leopold ist ein Junge.«

»Nein, er ist fünfundzwanzig, gerade so alt wie Corinna selbst. Aber wenn er auch noch ein bloßer Junge wäre, Corinna hat sich's in den Kopf gesetzt und wird es durch führen.«

»Nicht möglich.«

»Doch, doch. Und nicht blos möglich, sondern ganz gewiß. Sie hat es mir, als ich sie zur Rede stellte, selber gesagt. Sie will Leopold Treibel's Frau werden, und wenn der Alte das Zeitliche segnet, was doch, wie sie mir versicherte, höchstens noch zehn Jahre dauern könne, und wenn er in seinem Zossener Wahlkreise gewählt würde, keine fünfe mehr, so will sie die Villa beziehen, und wenn ich sie recht taxiere, so wird sie zu dem grauen Kakadu noch einen Pfauhahn anschaffen.«

»Ach, Marcell, das sind Visionen.«

»Vielleicht von ihr, wer will's sagen? aber sicherlich nicht von mir. Denn all das waren ihre eigensten Worte. Du hättest sie hören sollen, Onkel, mit welcher Suffisance sie von »kleinen Verhältnissen« sprach, und wie sie das dürftige Kleinleben ausmalte, für das sie nun 'mal nicht geschaffen sei; sie sei nicht für Speck und Wruken und all dergleichen und Du hättest nur hören sollen, wie sie das sagte, nicht blos so drüber hin, nein, es klang gerade zu was von Bitterkeit mit durch, und ich sah zu meinem Schmerz, wie veräußerlicht sie ist, und wie die verdammte neue Zeit sie ganz in Banden hält.«

»Hm,« sagte Schmidt, »das gefällt mir nicht, namentlich das mit den Wruken. Das ist blos ein dummes Vornehmthun und ist auch kulinarisch eine Thorheit; denn alle Gerichte, die Friedrich Wilhelm I. liebte, so zum Beispiel Weißkohl mit Hammelfleisch oder Schlei mit Dill – ja, lieber Marcell, was will dagegen aufkommen? Und dagegen Front zu machen, ist einfach Unverstand. Aber glaube mir, Corinna macht auch nicht Front dagegen, dazu ist sie viel zu sehr ihres Vaters Tochter, und wenn sie sich darin gefallen hat, Dir von Modernität zu sprechen und Dir vielleicht eine Pariser Hutnadel oder eine Sommerjacke, dran alles chic und wieder chic ist, zu beschreiben und so zu thun, als ob es in der ganzen Welt nichts gäbe, was an Wert und Schönheit damit verglichen werden könnte, so ist das alles blos Feuerwerk, Phantasiethätigkeit, jeu d'Esprit, und wenn es ihr morgen paßt, Dir einen Pfarramtskandidaten in der Jasminlaube zu beschreiben, der selig in Lottchens Armen ruht, so leistet sie das mit demselben Aplomb und mit derselben Virtuosität. Das ist, was ich das Schmidt'sche nenne. Nein, Marcell, darüber darfst Du Dir keine grauen Haare wachsen lassen; das ist alles nicht ernstlich gemeint ...«

»Es ist ernstlich gemeint ...«

»Und wenn es ernstlich gemeint ist – was ich vorläufig noch nicht glaube, denn Corinna ist eine sonderbare Person – so nutzt ihr dieser Ernst nichts, gar nichts, und es wird doch nichts draus. Darauf verlaß Dich, Marcell. Denn zum heiraten gehören zwei.«

»Gewiß, Onkel. Aber Leopold will womöglich noch mehr als Corinna ...«

»Was gar keine Bedeutung hat. Denn laß Dir sagen, und damit sprech' ich ein großes Wort gelassen aus: die Commerzienrätin will nicht

»Bist Du dessen so sicher?«

»Ganz sicher.«

»Und hast auch Zeichen dafür?«

»Zeichen und Beweise, Marcell. Und zwar Zeichen und Beweise, die Du in Deinem alten Onkel Wilibald Schmidt hier leibhaftig vor Dir siehst ...«

»Das wäre.«

»Ja, Freund, leibhaftig vor Dir siehst. Denn ich habe das Glück gehabt, an mir selbst, und zwar als Objekt und Opfer, das Wesen meiner Freundin Jenny studieren zu können. Jenny Bürstenbinder, das ist ihr Vatersname, wie Du vielleicht schon weißt, ist der Typus einer Bourgeoise. Sie war talentiert dafür, von Kindesbeinen an, und in jenen Zeiten, wo sie noch drüben in ihres Vaters Laden, wenn der Alte gerade nicht hinsah, von den Traubenrosinen naschte, da war sie schon gerade so wie heut' und deklamierte den »Taucher« und den »Gang nach dem Eisenhammer« und auch allerlei kleine Lieder, und wenn es recht was Rührendes war, so war ihr Auge schon damals immer in Thränen, und als ich eines Tages mein berühmtes Gedicht gedichtet hatte, Du weißt schon, das Unglücksding, das sie seitdem immer singt und vielleicht auch heute wieder gesungen hat, da warf sie sich mir an die Brust und sagte: »Wilibald, Einziger, das kommt von Gott.« Ich sagte halb verlegen etwas von meinem Gefühl und meiner Liebe, sie blieb aber dabei, es sei von Gott, und dabei schluchzte sie dermaßen, daß ich, so glücklich ich einerseits in meiner Eitelkeit war, doch auch wieder einen Schreck kriegte vor der Macht dieser Gefühle. Ja, Marcell, das war so unsere stille Verlobung, ganz still, aber doch immerhin eine Verlobung; wenigstens nahm ich's dafür und strengte mich riesig an, um so rasch wie möglich mit meinem Studium am Ende zu sein und mein Examen zu machen. Und ging auch alles vortrefflich. Als ich nun aber kam, um die Verlobung perfekt zu machen, da hielt sie mich hin, war abwechselnd vertraulich und dann wieder fremd, und während sie nach wie vor das Lied sang, mein Lied, liebäugelte sie mit jedem, der ins Haus kam, bis endlich Treibel erschien und dem Zauber ihrer kastanienbraunen Locken und mehr noch ihrer Sentimentalitäten erlag. Denn der Treibel von damals war noch nicht der Treibel von heut, und am andern Tag kriegte ich die Verlobungskarten. Alles in allem eine sonderbare Geschichte, daran, das glaub' ich sagen zu dürfen, andere Freundschaften gescheitert wären; aber ich bin kein Übelnehmer und Spielverderber, und in dem Liede, drin sich, wie Du weißt, »die Herzen finden« – beiläufig eine himmlische Trivialität und ganz wie geschaffen für Jenny Treibel – in dem Liede lebt unsre Freundschaft fort bis diesen Tag, ganz so, als sei nichts vorgefallen. Und am Ende, warum auch nicht? Ich persönlich bin drüber weg, und Jenny Treibel hat ein Talent, alles zu vergessen, was sie vergessen will. Es ist eine gefährliche Person und um so gefährlicher, als sie's selbst nicht recht weiß, und sich aufrichtig einbildet, ein gefühlvolles Herz und vor allem ein Herz »für das Höhere« zu haben. Aber sie hat nur ein Herz für das Ponderable, für alles, was ins Gewicht fällt und Zins trägt, und für viel weniger als eine halbe Million giebt sie den Leopold nicht fort, die halbe Million mag herkommen, woher sie will. Und dieser arme Leopold selbst. So viel weißt Du doch, der ist nicht der Mensch des Aufbäumens oder der Escapade nach Gretna Green. Ich sage Dir, Marcell, unter Brückner thun es Treibels nicht, und Koegel ist ihnen noch lieber. Denn je mehr es nach Hof schmeckt, desto besser. Sie liberalisieren und sentimentalisieren beständig, aber das alles ist Farce; wenn es gilt Farbe zu bekennen, dann heißt es: Gold ist Trumpf und weiter nichts.«

»Ich glaube, daß Du Leopold unterschätzest.«

»Ich fürchte, daß ich ihn noch überschätze. ich kenn' ihn noch aus der Untersekunda her. Weiter kam er nicht; wozu auch? Guter Mensch, Mittelgut, und als Charakter noch unter Mittel.«

»Wenn Du mit Corinna sprechen könntest.«

»Nicht nötig, Marcell. Durch Dreinreden stört man nur den natürlichen Gang der Dinge. Mag übrigens alles schwanken und unsicher sein, eines steht fest: der Charakter meiner Freundin Jenny. Da ruhen die Wurzeln Deiner Kraft. Und wenn Corinna sich in Tollheiten überschlägt, laß sie; den Ausgang der Sache kenn' ich. Du sollst sie haben, und Du wirst sie haben, und vielleicht eher, als Du denkst.«


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