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Chacun a son goût.
Es mochte sieben Uhr morgens sein als ich in die Passagierstube trat und klingelte. Eine Köchin mit einer Nase von so beispielloser Länge, daß selbst der Ruhm der Wahlschen verdunkelt würde, sollte sich's ein neuvorpommerscher Epigrammendichter angelegen sein lassen, ihr die Unsterblichkeit zu verleihn. Ich forderte Kaffe; ich kann es beschwören, daß ich weder Zichorien, noch Mohrrüben, noch gebrannte Gerste mit einer Silbe verlangt habe, dennoch bekam ich ein Gebräu von allen dreien, und sollte das als Kaffe trinken, ich – der ich an den Mokka des Herrn Stehely so gewöhnt hin, wie das Kind an die Mutterbrust, oder ein Sekondeleutnant an Billet-doux' und Mahnbriefe. Ich hasse jenes Gesetz der vornehmen Welt, das von allen nur zu kosten erlaubt, nein, die Kellner in einem halben Dutzend Speisehäusern wissen es, daß ich »eine gute Klinge schlage«, und nichts weniger als ein Kostverächter bin; aber diesem Kaffe gegenüber war ich zum ersten Mal in meinem Leben fein, sehr fein; denn ich nippte nur und setze freilich voraus, daß niemand den Fluch gehört hat, den ich wie einen Bannstrahl gegen die Zichorienfabriken und die Küchenprinzessin mit der langen Nase schleuderte. Ich rief sie herein, ich tadelte ihr Gebräu aufs Erbittertste, und sie wäre unzweifelhaft mit »einer langen Nase« abgezogen, auch wenn ihr der Himmel eine solche versagt hätte; so aber war jedes Wachstum eine bare Unmöglichkeit.
Mich fror; ich stellte mich an den Ofen, der mich nur nach homöopathischen Grundsätzen erwärmen konnte, denn er war eiskalt. Ich hatte nicht Lust den Versuch zu wagen; hüllte mich daher fester in meinen Mantel und begann aus Langerweile (man verzeihe dies Motiv) die Kunstschätze des Zimmers zu mustern. O, Himmel, da hing die Loyalität, und vor allen der Patriotismus in ganzen Schubkarren-Ladungen an der Wand. Da breitete die Königin Luise ihren Reifrock segnend über alle Hohenzollern aus, da drohte der alte Fritz mit dem Krückstock, und überall zeigten die Franzosen den Rücken, als hätten sie niemals anders wie bei Roßbach gelochten. Auf dem Ofen standen die Büsten dreier Majestäten, so daß er mir wie der Monarchen-Hügel bei Leipzig erschien, von wo aus die Scharen befehligt wurden, die sich an den Wänden auf so und so viel Bildern umhertummelten.
Vor allen aber fesselte mich die Ankunft des Feldmarschalls Blücher im Elysium. Dies Bild ist die Krone der Geschmacklosigkeit. Etwas verlegen scheint der alte Held, der niemals der Mann der bleichen Furcht gewesen ist, in den Kreis der Seligen einzutreten. Auf himmlischen Frieden muß er nicht gerechnet haben, denn der Säbel hängt lang und breit an seiner Linken. Dicht hinter seinem Kopf erglänzen vier Sterne, die so etwas wie Himmelsglorie bedeuten sollen, aber wie Verdienstmedaillen und Adlerorden aussehen, die er auf Erden vergessen hat und durch einen Expressen nachgeschickt erhält. Der alte Fritz, den Krückstock, just als wär' er ein Polizei-Diener, unter dem Arm, empfangt ihn und schüttelt ihm so kräftig die Rechte, daß sich der Zopf zu bewegen scheint, der, wie ein Rattenschwänzchen, auch im Elysium den Rücken des großen Königs ziert. Die elysäischen Gefilde scheinen übrigens ihr bestimmtes Publikum zu haben, wie Pera, oder die Judengasse zu Frankfurt, oder das Quartier-latin zu Paris, denn man gewahrt darinnen nichts wie Preußen, was mir die vorteilhafteste Meinung von der göttlichen Gerechtigkeit beibrachte.
Man würde mich verkennen, mutete man mir die Absicht zu, die Liebe zu König und Vaterland ins Lächerliche ziehn zu wollen; nein, nur der Kunstentweihung erklär' ich den Krieg, und jener entsetzlichen Geschmacklosigkeit, die vor einiger Zeit den königlichen Befehl durchaus rechtfertigte: »man möge darauf achten, daß die Bildnisse der Allerhöchsten, Höchsten u. s. w. Herrschaften, den Anforderungen der Kunst einigermaßen entsprächen.«
Kaum weiß ich, ob mich der Anblick dieser Bilder-Galerie, die als vollständigster Kontrast der Versailler gelten konnte, mehr ärgerte, oder ergötzte. Jedenfalls war mir etwas wärmer geworden, und das war die Hauptsache. Eine Stunde meiner Leidenszeit mochte vorüber sein; ich warf mich auf eine Art Sofa, und wollte zu schlafen versuchen. Eben befand ich mich in jener Übergangsstufe, die man mit »Dusel« zu bezeichnen pflegt, als die Giftmischerin erschien, die mich vorher mit ihrem Kaffe vergeben wollte. War es Chikane gegen mich, oder geschah es auf höhren Befehl, gleichviel; – sie öffnete die Fenster und begann mit Lederlappen und warmen Wasser, die Säuberung der allerdings fast undurchsichtig gewordenen Scheiben. Ich liebe die Reinlichkeit; hier aber brachte sie mich zur Verzweiflung. Mich fror schon wie einen Schneider; zudem hat mich der Himmel mit hohlen Zähnen reichlich gesegnet, und jede Erkältung muß ich büßen. Zahnweh oder rheumatische Zufälle, sind stets die unmittelbare Folge jedes Zugwindes, der mich trifft, und mit Fug und Recht murmelte ich traurig in den Bart: »auch das noch!« Ich zog mein Recht eines »Veto« in Zweifel, und sann deshalb auf List. Die Mahnungen meines Magens, die immer dringender wurden, ließen mich ohne Mühe ein Rettungsmittel finden. »Kann ich eine Tasse Bouillon bekommen?« fragt' ich. »O, ja!« war die Antwort. Das Mädchen verschwand, und auf einige Zeit glaubt' ich mich außer Gefahr. Schleunigst schloß ich die Fenster; doch nach wenigen Minuten schon, kehrte mein Quälgeist mit der verlangten Bouillon zurück. Ich kostete; weh mir, ein neues Leiden harrte meiner. Ganz abgesehn davon, daß sie aus viel, viel weniger Rindfleisch bereitet war, als die Nase der Überbringerin aufzuweisen hatte, wurde sie mir durch einen reichlichen Gehalt an Muskatenblüte vollends ungenießbar. Ich bin durchaus kein Gastronom; ich esse mein Beefsteak mit demselben Appetit, gleichviel oh ich's mit Blut à l'anglais, oder trocken wie Leder à l'allemand bekomme, ich ess' es sogar mit Bollen, mehr brauch' ich nicht zu sagen, um mich vom Verdacht der »Kiesätigkeit« zu reinigen; – aber man könnte mich zum Könige sämtlicher Gewürzinseln machen wollen, ich müßte für die Ehre danken, wenn irgend ein Paragraph der Gesetzgebung lautete: »Sr Majestät verpflichten sich, alltäglich eine Tasse Lama-Bouillon mit Muskatenblüte zu genießen.« Nein, so etwas konnte mir nur in O... passieren, in O..., wo sich alles verschworen hatte, mich zum Eisenbahn-Enthusiasten, und zum unversöhnlichen Feinde aller deutschen Postschnecken nebst Zubehör, (wohin vor allen die Passagierstuben gehören) zu machen. Ich verließ das Zimmer, – nein, nein, – der Ausdruck ist zu schwach, zu ruhig, – ich floh, floh – nun wie denn gleich? – floh, wie Orestes vor den Eumeniden, oder die Franzosen vor Jochen dem Postillon. Aber o, O... ist gepflastert, in einer Weise, daß jeder Stein zum Stein des Anstoßes werden muß, und wäre jeder Bürger in O... ein Tanzmeister, und jede Köchin eine Sylphide. Das Pflaster in O... ist ein Pasquill auf die Lütticher Pflastermethode, und der Antipode des Trottoir. Ich begreif' es nicht, wie ich überhaupt noch Menschen mit graden Beinen begegnen konnte, und wundre mich, daß nicht an jedem Klingelschilde zu lesen war: »zum praktischen Wundarzt, Operateur und Beinbruchhelfer N. N.« Ich bog um eine Ecke; hier kam, veränderungshalber, das Geschlecht der spitzen Steine, und während ich die Gasse passierte, dacht' ich unaufhörlich an die mit Nägeln wattierte Tonne, in welcher der arme Regulus sterben mußte. Wollte man zu den Barbareien des Altertums zurückkehren, so würde die Verurteilung: »dreimal barfuß diese Gasse zu passieren« mit jener Todesstrafe gleichzustellen sein.
Hinkend kehrt' ich nach einiger Zeit zur Post zurück. Die Fenster der Passagierstube waren geschlossen, ich schöpfte Mut und trat näher. Vor mir auf den Knien lag die unglückselige Kochkünstlerin, die ihre Studien unter keinem Jagor gemacht hatte. Einen Augenblick beseelte mich der Gedanke: »die edle Seele! sie ist reuig vor Dir niedergesunken, um Deine Verzeihung zu erbitten.« Doch ich sollte enttäuscht werden; mit Schrubber und Waschlappen lag sie in friedlichster Gemeinschaft am Boden und – scheuerte. Ich wußte nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Schweigend schloß ich die Tür, und hinkte in ein nah gelegenes Gasthaus.