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Wer jemals seinen Erholungsurlaub in einem Seebade verbrachte, der wird sich sicherlich ein paar getrocknete Seesterne ( Asteridae) (Abb. 7) mit nach Hause genommen haben. Es sind ja auch ganz nette Reiseandenken, nur müssen sie vor dem Trocknen unbedingt gründlich in Süßwasser ausgelaugt worden sein, denn sonst behalten sie immer Seesalz im Körper, nehmen deshalb leicht Feuchtigkeit auf und zerfallen schließlich vollständig.
Bei den alten Römern galten solche getrockneten Seesterne als ein Glückszeichen. Im übrigen läßt sich mit erbeuteten Seesternen nicht viel anfangen, denn eßbar sind sie beim besten Willen nicht, werden sogar vielfach für giftig gehalten. Wo etwa gelegentlich der Austernfischerei viele Seesterne mit vom Meeresgründe heraufgeholt werden, benutzt man sie zum Düngen der Felder, wozu sie sich ihres hohen Kalkgehaltes halber eignen.
Es ist ungeheuer schwer, dem Laien einen wirklich deutlichen und faßbaren Begriff vom Leibesbau der Seesterne wie der Stachelhäuter überhaupt zu geben, denn diese Tiere sind so ganz anders gebaut, als wir es sonst mit unseren Vorstellungen von Tieren zu verbinden pflegen, nämlich nicht bilateral, sondern radiär. Es gibt bei ihnen kein Vorn und Hinten, kein Links und Rechts, nur ein Oben und Unten. Das dem Körper Halt gebende Skelett liegt nicht im Inneren des Leibes, sondern auf seiner Außenseite, ist dabei aber nicht etwa eine kalkige Ausscheidung der Oberhaut, sondern der Lederhaut, also noch von einem Teile derselben sowie von den Epithelzellen der Oberhaut bedeckt. Deshalb können auf der Außenseite auch noch die beweglichen Zänglein, Stacheln und Saugfüßchen stehen, deshalb hat sie beim lebenden Tier ein so flimmerndes Aussehen. Das Kalkgerüst selbst setzt sich aus einer Unzahl kleiner, sehr verschieden gestalteter, aber mit zierlicher Regelmäßigkeit angeordneter Plättchen zusammen. Diese sind aber bei den Seesternen im Gegensatze zu den Seeigeln nur in der Mittelscheibe fester verbunden, in den Strahlenarmen jedoch lose gegeneinander verschiebbar, die Zwischenräume nur mit weichem Bindegewebe ausgefüllt, wodurch sich die große Biegsamkeit und Beweglichkeit dieser Körperteile erklärt.
Der lebende Seestern ist also keineswegs so hart und hölzern wie der getrocknete. Tiedemann hat sich der Mühe unterzogen, die Zahl der Kalkstückchen beim pomeranzenfarbigen Seestern zu ermitteln und ist auf 12945 gekommen, die alle durch winzige Muskelchen gegeneinander bewegt und verschoben werden können. Vergleichsweise sei erwähnt, daß das Skelett des Menschen unter Einrechnung der Gehörknöchelchen und der 32 Zähne aus nur 245 Knochenstücken besteht. Von dem scheibenförmigen Mittelteil des Tieres gehen in der Regel fünf strahlenförmige Arme aus, die auf ihrer Unterseite mit einer tiefen Längsrinne versehen sind. Auf der Unterseite der Mittelscheibe selbst befindet sich die Mundöffnung, die in einen geschlossenen Darmkanal führt. Die Stachelhäuter haben also im Gegensatz zu den Hohltieren einen richtigen Magen, stehen aber selbst der dummen Auster insofern nach, als sie nicht gleich dieser ein Herz besitzen. Der After fehlt nur bei der Gruppe der Schlangensterne. Zwischen den Stacheln der meist lebhaft, am häufigsten rot gefärbten Oberseite stehen dann noch massenhaft kleine, zangenartige Gebilde, die sog. Pedicellarien. Solange die Tierkunde noch in den Kinderschuhen stak, haben diese Dingerchen, die wie Vogelschnäbel aussehen und an ihrem Innenrande gezähnelt sind, zu den drolligsten Verwechslungen Anlaß gegeben, wenn man sie losgelöst im Meeressande fand und diesen mikroskopisch untersuchte, was ja immer eine lohnende Sache ist. Ein englischer Gelehrter beschrieb sie stolz als das von ihm entdeckte kleinste Wirbeltier der Welt, nämlich als ein Fischchen von kaum 1–½ mm Länge, und andere Forscher deuteten sie als die Scherendaumen einer noch unbekannten Krebsart. Auch über die biologische Bedeutung dieser Greifzängelchen ist viel gestritten worden. Ursprünglich glaubte man allgemein, sie seien dazu da, kleine Nahrungsbrocken, die an der Spitze des Armes aufgefischt wurden, weiter zu reichen, einer zum andern, bis an den Mund. Bei den Seeigeln wäre diese Deutung wohl nicht ganz von der Hand zu weisen, aber bei den Seesternen erscheint sie ausgeschlossen, da hier zwischen Armspitze und Mund auch Strecken sich befinden, auf denen überhaupt keine Greifzängelchen stehen oder doch nur in so weitem Abstande, daß ein Weiterreichen von Nahrungsbrocken von einem zum anderen nicht möglich ist. Deshalb wird wohl Marshall recht haben, der die Greifzängelchen als Reinigungsorgane betrachtet, dazu bestimmt, all den Schmutz und Unrat zu entfernen, der sich auf dem oft stark verdreckten Meeresboden zwischen dem Stachelkleide festsetzt. Es ist in der Tat erstaunlich, wie rein und sauber die Seesterne immer aussehen. Bei genauerem Hinsehen bemerken wir an der Spitze jedes Armes ein kleines, pantoffelförmiges Polster von auffallend roter Farbe: den Sitz des Sehvermögens. In diesem Polster sitzen nämlich Sehzellen, die an ihrem frei ins Epithel ragenden Ende deutlich abgesetzte Stäbchen tragen, an ihrem Grunde aber in eine Nervenfaser ausgezogen sind. Bei manchen Arten erfährt diese Anlage nach Hesse-Doflein dadurch eine Vervollkommnung, daß die Sehzellen nicht gleichmäßig über das Polster verteilt, sondern zu Gruppen angehäuft sind, und zwar so, daß sie eine fingerhutförmige Grube begrenzen, in die die Stäbchen hineinragen, auf diese Weise also eine Pigmentbecherzelle mit gesteigerter Sehfähigkeit zustande kommt. Immerhin können die Seesterne mit diesen urwüchsigen Augen wahrscheinlich nur Hell und Dunkel sowie schattenhafte Umrisse der Gegenstände unterscheiden.
Besonders kennzeichnend für die Stachelhäuter ist das sog. Wassergefäßsystem (Ambulakralsystem), eine großartige Verzweigung von wassergefüllten, kalkwandigen Kanälen, die vom Munde ausgeht und sich bis in die schwellbaren, zylinderförmigen Saugfüßchen ( Ambulakralfüßchen) fortsetzt, die im Dienste der Fortbewegung stehen. Auf der Oberseite der Mittelscheibe befindet sich eine siebartig durchlöcherte Kalkplatte, durch die das Seewasser in einen kurzen Kanal einströmt und von diesem aus in einen zweiten, der den Darm in der Nähe der Mundöffnung ringförmig umgibt und deshalb als Ringkanal bezeichnet wird. Von diesem Ringkanal zweigt sich nach jedem der fünf Arme ein weiterer Hauptkanal ab (Radialkanal), der seinerseits eine Unzahl kleiner Seitenkanäle nach beiden Seiten hin abgibt wie ein Federschaft die einzelnen Strahlen der Federfahne. Die Seitenkanäle laufen schließlich aus in die Saugfüßchen, die in zwei Doppelreihen dicht nebeneinander in den auf der Unterseite vom Mund bis zu den Armspitzen verlaufenden Rinnen sitzen. Da, wo sie in den Kanal übergehen, ist eine bläschenförmige, zusammenziehbare Anschwellung. Zieht sich also ein solches Bläschen durch Muskelkraft zusammen, so treibt es das in ihm enthaltene Wasser in das Füßchen hinein, das sich dadurch versteift, anschwillt und mächtig verlängert, während beim Sichausdehnen des Bläschens natürlich das Umgekehrte der Fall ist. Am schönsten können wir den Vorgang beobachten, wenn wir einen Seestern im Wasser auf den Rücken wälzen. Verärgert über diese unzarte Behandlungsweise hat er zunächst alle Saugfüßchen ängstlich zurückgezogen, aber bald kommen sie wieder zum Vorschein, eines nach dem andern, als ob weiße Würmchen aus dem Sterntier hervorkröchen, verlängern sich bis zur Grenze des Möglichen und suchen tastend nach einem festen Halt. Haben sie ihn endlich gefunden, so saugen sie sich fest, in immer steigender Zahl, bis diese genügt, um das ganze Tier, wie an Hunderten von Tauen gezogen, wieder in die richtige Lage zu bringen. In etwa zehn Minuten ist das Kunststück vollbracht. Ganz ähnlich bei der gewöhnlichen Art der Fortbewegung. Die Füßchen strecken sich vor, dehnen sich aus, heften sich an einem möglichst entfernten Punkte fest, verkürzen sich wieder und ziehen so mit vereinten Kräften den Tierkörper Schrittchen für Schrittchen vorwärts. Schnelläufer sind die Seesterne bei alledem natürlich nicht; immerhin kommt schon die gewöhnliche rote Art auf diese Weise etwa 8 cm in der Minute vorwärts, und andere bringen es gar auf 60 cm und mehr, ganz zu geschweigen von den überhaupt viel flinkeren und beweglicheren Schlangensternen, die etwa 2 m in der Minute zurücklegen. Je nach der zu verrichtenden Arbeit hat es das Tier ganz in seiner Gewalt, ob es gleichzeitig alle Füßchen oder viele oder nur wenige spielen lassen will. Sieht man dieses Gewimmel der Hunderte von Saugfüßchen, wie das lebt, sich regt und sich rührt und durcheinander wogt, so muß man baß erstaunen, daß der Seestern, der doch nur die Andeutung eines Nervensystems besitzt, all diese gleichartigen Gebilde zweckmäßig zu beherrschen und ihre Bewegungen einem bestimmten Ziele zuzuführen vermag. Bei den gewöhnlichen Seesternen sind die Füßchen, die übrigens auch als Tastorgane dienen, zum Ansaugen eingerichtet, und deshalb sind diese Tiere gute Kletterer, vermögen sogar an den Glasscheiben des Aquariums emporzusteigen, eine Fähigkeit, die den Schlangensternen abgeht.
Wie die meisten Seetiere, sind auch die Seesterne trotz ihrer scheinbaren Unbehilflichkeit arge Räuber, und zwar haben sie es hauptsächlich auf die noch langsameren Muscheln abgesehen. Gelingt es ihnen, eine offen stehende Muschel zu überraschen, so schieben sie schleunigst einen ihrer Arme in den klaffenden Schlitz, worauf natürlich die Muschel sofort ihre Schalen schließt und den Sternarm jämmerlich zusammenquetscht, ohne daß sich doch der Räuber viel daraus zu machen scheint. Vielmehr wird gerade durch dieses Zusammenpressen des Armes die Absonderung seines Giftsaftes beschleunigt, so daß die Muschel nach kurzer Zeit betäubt und gelähmt wird und nun widerstandslos ihrem Todfeinde zum Opfer fällt. Trifft der Seestern auf eine geschlossene Muschel, so umarmt er sie, preßt seinen zahnlosen Mund gegen den Schalenrand und bestreicht ihn so mit seinem Giftsaft, bis die ohnmächtig gewordene Muschel das Burgtor öffnet und ihren nackten Leib dem Gegner preisgibt. Der stülpt seinen Magen über das ganze Schalentier und saugt es aus, um die unverdaulichen Reste später durch den Mund wieder auszuspeien. Große Seesterne überwältigen auf diese Weise sogar ihre stacheligen Vettern, die Seeigel, und ihr ungemein dehnbarer Magensack scheint gegen die Stacheln unempfindlich zu sein. So fressen wenigstens die Arten mit enger Mundöffnung, während großmäulige Arten den ganzen Bissen unmittelbar in Mund und Darm einführen. Mit einer Venusmuschel von 4 cm Länge wird ein mittelgroßer Seestern der gewöhnlichen Art auf diese Weise in 15 bis 20 Minuten fertig. Die Tiere fressen sich in ihrer Gier oft derartig an, daß die Rückenhaut buckelig aufgetrieben wird. Nach Hesse-Doflein wurden in einem einzigen Seestern gefunden: 10 Kammuscheln, 6 Tellermuscheln, 5 Zahn- und etliche Kegelschnecken. Leider bekunden die Seesterne eine ausgesprochene Vorliebe für die auch uns Menschen so schmackhaften Austern, und bei ihrer Unersättlichkeit und der Massenhaftigkeit ihres Vorkommens – sind sie doch in manchen Teilen des Ozeans so häufig, daß sie weithin wie ein Teppich den ganzen Meeresboden bedecken – vermögen sie an den Austerbänken recht empfindlichen Schaden anzurichten. Da sie überdies gern die Köder von den Fischangeln abfressen, haßt der Fischer sie von Herzensgrunde und sucht sie zu vernichten, wo immer nur sich Gelegenheit dazu bietet. Nur verfährt er dabei aus Unkenntnis von der Eigenart der Seesterne so ungeschickt als möglich, indem er sie nämlich grimmig in zwei oder drei Stücke zerreißt und dann wieder ins Meer wirft. Das ist aber eigentlich der beste Weg, eine Seesternzucht im großen anzulegen, denn die Regenerationsfähigkeit dieser Tiere ist so erstaunlich, daß jeder abgerissene Arm sich wieder zu einem neuen Seestern auswächst, falls nur ein kleines Stückchen der Mittelscheibe an ihm haften blieb. Auch sonst sehr lebenszäh, sterben die Seesterne doch fast augenblicklich, wenn man sie in Süßwasser wirft. Überhaupt sind sie gegen Schwankungen im Salzgehalt des Wassers ungemein empfindlich; gewisse Arten vertragen es schon nicht, wenn man sie aus der Ostsee plötzlich in die Nordsee überführt. Unter ihren tierischen Feinden stehen merkwürdigerweise gerade weichleibige Schnecken obenan; ihnen gegenüber nutzt den Sterntieren weder ihre Stachelverschanzung noch ihr Kalkpanzer, denn jene Schnecken verfügen über chemische Mittel, mit deren Hilfe sie die Panzerplatten auflösen.
Die Sterntiere sind getrennten Geschlechts und erzeugen aus den Eiern Larven, die mit Wimperhaaren versehen sind, sich frei im Wasser tummeln und eine ziemlich umständliche Verwandlung durchzumachen haben. Dem schwedischen Pastor Sars, der im hohen Norden, jenseits des 60. Breitengrades, fern von allen fachlichen Sammlungen, Büchereien und Gesellschaften mit Eifer und Erfolg sich auf die Tierkunde geworfen hatte und die wissenschaftliche Welt fortwährend mit den merkwürdigsten Entdeckungen über die niederen Seetiere erfreute, verdanken wir die überraschende Kenntnis von einer mütterlichen Brutpflege der Sterntiere, wie man sie diesen Geschöpfen wahrlich nicht zugetraut hätte. Während die Sterntiere ohne Brutpflege zahlreiche, aber kleine Eier haben, legen die Arten mit Brutpflege nur wenige, aber bedeutend größere Eier, und die Zwischenstufe der Wimperlarve kommt bei ihnen ganz in Wegfall. Das Muttertier krümmt seine Mittelscheibe und biegt die Arme so stark einwärts, daß ein geschlossener Sack entsteht, in welchem die Embryonen vor allen Anfechtungen der Außenwelt gut geschützt sind. Hierauf beschränkt sich aber auch die beschirmende Tätigkeit der Mutter; füttern kann sie ihre Nachkommenschaft nicht, sondern diese muß von den reichlichen Dotterresten der Eier zehren.
Die Schlangensterne (Ophinoidae) (Abb. 8) haben sehr lange und dünne, beständig in lebhaft schlängelnder Bewegung begriffene Arme, die nicht unmittelbar aus dem auffallend kleinen Mittelstück herauswachsen, sondern scharf von ihm abgesetzt, gewissermaßen eingelenkt sind. Sie werden bei Gefahr mit solcher Leichtigkeit abgeworfen, daß es fast unmöglich ist, einen völlig unversehrten Schlangenstern zu erwischen. Es ist das zerbrechlichste Geschöpf der Salzflut. Aber seine wunderbare Erneuerungskraft ersetzt immer wieder in überraschend kurzer Zeit alle Verluste. Die Schlangensterne sind nicht so arge Räuber wie die echten Seesterne, sondern leben von allerlei Kleingetier und begnügen sich oft schon mit dem Abweiden der Korallenstöcke.
Ihrerseits bilden sie eine Lieblingsnahrung des Kabeljaus. Es erregte seinerzeit ungeheures Aufsehen in der wissenschaftlichen Welt, als Thompson in der Comatula einen noch lebenden Vertreter der Haarsterne ( Crinoidea) (Abb. 9) entdeckte, ein Verbindungsglied zwischen den frei lebenden Seesternen der Gegenwart und den gestielten, festsitzenden Asterien eines seit Jahrmillionen vorübergerauschten Zeitalters. Weniger groß und kräftig entwickelt als ihre urweltlichen Verwandten besitzt die Comatula noch keinen eigentlichen Stiel, sondern an dessen Stelle nur eine Art Knopf, der von einem Kreise feiner, klauenbewehrter Ranken umgeben ist. Mit dieser Vorrichtung klammert sich das Tier an irgendeinen Gegenstand fest und läßt nun seine fünf Arme im Wasser spielen, die beiderseits mit unzähligen, feinste Taster darstellenden Federchen besetzt sind und sich gleich am Grunde gabeln, so daß man statt fünf Armen deren zehn vor sich zu haben glaubt.
»Die Haarsterne,« ruft Gustav Jäger bewundernd aus, »waren mir immer die wunderbarsten von allen Stachelhäutern. Denke dir einen Farnwald, dessen Stengel und Fiederäste aus Hunderten von steinernen Gliedern zusammengesetzt sind, und füge fünf solcher mehr als handlanger Wedel zu einem Stern Zusammen, so hast du ein Bild dieser merkwürdigen Geschöpfe. Im Wasser bewegt es sich, indem es die Wedel mit peitschenartigen Schwingungen schlägt, mit dem Takt einer riesigen Kreuzspinne; es schwimmt nicht, es segelt nicht, es geht nicht, sondern es ist eine Mischung von all diesen Bewegungsarten, als ob eine toll gewordene Blume durchs Wasser zieht. Hat das Tier einen Platz gefunden, wo es ausruhen kann, so hält es sich mit fünf kurzen Fasern, die am Vereinigungspunkt der fünf Wedel stehen, fest und rollt die Wedel nach einwärts auf, so wiederum das Bild eines im Aufknospen befindlichen Farnwedels darbietend.« Später wurden auch Vertreter der gestielten Gattung Isocrinus (Abb. 10) aufgefunden, die noch viel inniger mit den urweltlichen Vorfahren der heutigen Sterntiere, den ausgestorbenen Cystideen zusammenhängt. Anfangs kannte man nur ganz wenige Stücke, die begehrte Seltenheiten für die Sammlungen bildeten, aber die neuzeitliche Tiefseeforschung hat uns dann mit einer großen Zahl der verschiedensten Arten bekannt gemacht.
In Italien oder Spanien hat schon mancher wandernde deutsche Handwerksbursche bei Ebbe am Seestrande angespülte Seeigel ( Echinoidea) als Nahrungsmittel schätzen gelernt und durch das Verzehren dieser Tiere den ärgsten Hunger beschwichtigt. In der Tat ist der Seeigel selbst für den verwöhnten Feinschmecker ein Leckerbissen, freilich nicht das ganze Tier, sondern nur die großen, appetitlich orangerot gefärbten Geschlechtsschläuche, die man roh verspeist, nachdem man das Tier von der Mundseite aus wie ein Ei geöffnet und die Eingeweide nebst der Kauvorrichtung entfernt hat. In größerem Maßstabe scheinen Seeigel für die menschliche Küche bisher allerdings nur in Korfu und an der südfranzösischen Küste verwendet zu werden; allein in Marseille kommen nach Marshall jährlich etwa 1-1/4 Millionen Stück zum Preise von je 2-5 Centimes auf den Wochenmarkt. Einen sonstigen Nutzen gewähren die Seeigel nicht, richten aber andrerseits auch keinen Schaden an, denn sie sind bei ihrer ausgesprochenen Trägheit zumeist keine Räuber und begnügen sich in der Regel mit Algen und Tangen und dem daran sitzenden Kleingetier. Nach Ansicht der englischen Fischer sind sie gute Wetterpropheten, da sie die Tiefe aufsuchen sollen, sobald Sturm bevorsteht. In unserer Ostsee gibt es keine Seeigel, wohl aber in der Nordsee.
Von dem verzwickten Körperbau eines apfelförmigen Seeigels (Abb. 11) der gewöhnlichen Art können wir uns am besten eine Vorstellung machen, wenn wir uns ihn vergegenwärtigen als einen Seestern, dessen Arme zipfelförmig so nach oben zusammengeschlagen sind, daß ihre Ränder sich gegenseitig berühren und die Endspitzen oben um die Afteröffnung herum zusammentreten. Dann wird uns die enge Verwandtschaft zwischen den beiden, anscheinend so verschiedenen Tiergruppen mit einem Schlage klar. Sogar die roten Augenflecke stehen infolgedessen ganz oben auf dem Scheitel, obwohl sie hier dem Tiere herzlich wenig nützen können. Doch haben die Vettern Sarasin bei indischen Arten auch an anderen Körperstellen schön blau gefärbte Andeutungen von Fazettenaugen gefunden, die dem Seeigel wohl die schattenhaften Umrisse eines sich nahenden Feindes verraten mögen, denn er richtete sofort seine langen Stacheln drohend nach der Richtung, aus der die Hand des Beobachters auf ihn loskam.
Die hauptsächlichsten Eigentümlichkeiten des Seesterns finden wir auch beim Seeigel, insbesondere die Greifzängelchen, die Stacheln und das weitverzweigte Wassergefäßsystem mit Madreporenplatte und Saugfüßchen. Wohl jeder hat schon einmal das zierliche, aber feste Kalkgehäuse eines Seeigels gesehen, das als ein wahres Meisterwerk der Mosaik in 20facher radiärer Anordnung aus Hunderten von fünfeckigen Platten zusammengesetzt ist und eine große Anzahl seiner Löchelchen als Durchgangsöffnungen für die Saugfüßchen sowie warzenförmiger Knöpfchen als Standpunkte für die Stacheln aufweist. Diese sind nicht nur zahlreicher, sondern in ihrer sehr verschiedenen Ausbildung oft auch weit kräftiger, spitziger und länger als bei den Seesternen, so daß sie nicht nur als dräuendes Abwehrmittel, sondern oft auch als Stelzen beim Laufen dienen können. Dann müssen natürlich auch die Saugfüßchen sich entsprechend lang ausziehen lassen, bis zu 5 cm und mehr. Die zahlreichen Kalkplatten des Panzers sind nicht wie bei den Seesternen verschiebbar (mit Ausnahme einer Gattung, bei der sie dachziegelförmig gelagert sind), sondern fest und starr aneinandergefügt. Doch senkt sich die den ganzen Panzer überziehende Oberhaut in die Nähte zwischen den einzelnen Platten ein, und das ist auch unbedingt notwendig, denn diese Oberhaut ist es ja, die beim Wachstum des Tieres den Kalk zur Bildung neuer, sich zwischen die alten einschiebender Platten ausscheiden und so den nötigen Raum schaffen muß. In der Haut verlaufen auch die zahllosen feinen Muskelchen, die die Stacheln heben, senken und nach den verschiedensten Richtungen drehen oder die beständig schnappenden Greifzängelchen leiten. Bewegt wird die ganze Maschine durch etwa 1400 Saugfüßchen. Eigentlich ist also der kleine Seeigel ein rechtes Ungeheuer, das trotz seiner Harmlosigkeit von Waffen nur so starrt. »Denke dir einmal,« sagt Marshall, »einen Seeigel aufgebläht zur Größe eines Elefanten, welch fürchterliche Bestie das sein müßte. Eine wahre wandelnde Festung, ringsum starrend von ellenlangen Lanzen, mit Tausenden von Rüsseln versehen, die beständig nach allen Seiten um sich schnappen. Man entsetzt sich förmlich vor einer solchen Vorstellung!« In den wunderbar farbenprächtigen Korallenwäldern tropischer Meere hausen riesige, violettschwarze Seeigel, deren dünne, nadelscharfe Stacheln 20 cm Länge erreichen sollen, also sehr wirksame Waffen darstellen. Wird man von einem solchen Stachel getroffen, so empfindet man nach Morin starken Schmerz, weil ein ätzender Farbstoff der abbrechenden Spitze folgt, und die Eingeborenen weichen deshalb solchen Seeigeln ängstlich aus. Diese wehrhaften Tiere sollen sogar angriffsweise vorgehen, indem sie von allen Zeiten heranrücken und ihre Bajonette zielbewußt gegen den Störenfried richten. Während die Seesterne einen zahnlosen Mund haben, sind die Seeigel durch den Besitz einer umfangreichen und sehr verwickelt gebauten Kauvorrichtung ausgezeichnet, die man die »Laterne des Aristoteles« (Abb. 12) benannt hat. Fünf kräftige Zähne ragen zum Ergreifen kleiner Beutetiere oder zum Abweiden des Algenrasens aus dem Munde hervor und bilden mit 15 anderen Knochenstücken zusammen einen pyramidenförmigen Bau, der durch starke Bänder und Muskeln verbunden ist. Diese dienen zur Bewegung des ganzen Meisterwerkes, nähern die Kiefer einander oder rücken sie auf und ab, so daß der geschickteste Mechaniker schwerlich ein besseres Zermalmungswerkzeug und eine gründlichere Mahlvorrichtung erfinden könnte. Nur die Herzigel sind zahnlos, aber sie brauchen ja auch nicht zu kauen, da sie in Sandlöchern des Meeresbodens hausen und hier nach Art der Seegurken eigentlich nichts als Sand verschlucken, dessen organische Beimengungen für ihre Ernährung ausreichen müssen. Die in der Tiefsee hausenden Arten haben sehr zerbrechliche Panzer, die zu einer flachen Scheibe zusammenfallen, wenn man die Tiere an die Luft bringt. Die erstaunliche Festigkeit des Seeigelpanzers wird hauptsächlich durch seine hochgewölbte Form bedingt. Wo diese fehlt, wie bei den flachgedrückten Schildigeln ( Clypeastridae), da werden Stütz- und Strebepfeiler nötig, die den Innenraum durchsetzen und die Bauch- und Rückseite der Körperwandung miteinander verbinden, Legt man einen Seeigel in Süßwasser, so lockert sich nach einigen Tagen die Verbindung der Panzerplatten und das ganze Gehäuse fällt in seine einzelnen Bestandteile auseinander. Die Steinigel sind dadurch merkwürdig, daß sie Vertiefungen im Felsgestein bewohnen, die genau zu ihrer jeweiligen Größe passen. Das legt die Vermutung nahe, daß sie sich diese Höhlungen selbst herstellen; so ist es in der Tat, aber über das »Wie?« sind wir noch ganz im unklaren. Vielleicht können die Tiere durch eine scharfe Absonderung das Gestein mürbe machen, so daß die kräftigen Zähne dann leichtere Arbeit haben und die Stacheln die Wandung zum Schlusse glatt ausscheuern. In diesen Sitzen halten sie sich mit ihren Saugfüßchen so fest, daß sie kaum loszumachen sind, zumal man der spitzen Stacheln wegen auch nicht die volle Kraft der Hand wirken lassen kann und die Saugfüßchen oft eher zerreißen als loslassen. An der englischen Kreideküste sieht man stellenweise viele Tausende solcher Seeigel in die Kalkfelsen eingegraben, zu deren leuchtendem Weiß ihre purpurroten Stacheln einen schönen Gegensatz bilden.
Da die Auswurföffnung der Seeigel höchst unpraktisch oben auf dem Scheitelpunkte des apfelförmigen Panzers liegt, so werden die abgestoßenen Kotbällchen zumeist an der äußeren Panzerwand entlang gleiten und sich hier zwischen den vielen Stacheln verfangen, weshalb bei diesen Tieren die Greifzängelchen offenbar erst recht die Rolle von Auskehrbesen zu spielen haben. Daneben dienen sie aber auch zur Ergreifung von Beutetieren, und bei manchen Arten wird ihre Wirkung noch dadurch verstärkt, daß sie am Grunde mit Giftdrüsen in Verbindung stehen, deren Ausführungsgang durch die Zangenspitzen mündet. Horngold hat über die Tätigkeit dieser Giftzangen sehr schöne Beobachtungen gemacht, setzte er z. B. einen kleinen Ringelwurm zu einem solchen Seeigel, so fuhren dessen Stacheln jach auseinander, die darunter versteckten Greifzängelchen kamen zum Vorschein, öffneten sich gierig und bewegten sich gegen den Wurm hin. Waren sie nahe genug herangekommen, so packte eines nach dem andern zu und schlug sich in das Fleisch des Opfers, wobei reichlich eine rote Flüssigkeit den Zangenspitzen entströmte, die offenbar ein heftig wirkendes Gift war, denn der Wurm vollführte nur noch einige krampfhafte Bewegungen und starb dann innerhalb weniger Minuten. Dabei brechen die Greifzängelchen vom Seeigel ab, und zwar an einer genau dazu vorbereiteten Stelle, wie die mikroskopische Untersuchung gezeigt hat, werden aber durch Regeneration bald wieder ersetzt. Man kann das Abbrechen auch künstlich durch Nervenreiz hervorrufen, indem man etwa das Tier mit einer Nadel ärgert oder mit einem Süßwasserstrahl bespritzt. Auch die Saugfüßchen treten bei manchen Arten in den Dienst des Beutefangens. Kommt irgendein verzehrbares Tier in die Nähe, so spannen sich einige Saugfüßchen aus, bis sie es erreichen, und das arme Geschöpf ist verloren, wenn es diese heimtückische Annäherung nicht rechtzeitig bemerkt und ihr aus dem Wege geht, denn weitere Saugfüßchen folgen rasch nach, und so ist das Opfer bald von Hunderten kleiner, aber zäher Fesseln umstrickt, wie einst Gulliver von den Liliputanern, und wird in völlig wehrlosem Zustande dem zahnstarrenden Maule nah und näher gebracht.
Recht absonderliche Geschöpfe sind die frei schwimmenden Larven der Seeigel, die nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihren Erzeugern haben und sich auf höchst merkwürdige Weise später zum fertigen Tier verwandeln. Marshall vergleicht ihre Gestalt nicht übel mit einer preußischen Pickelhaube, deren Schild etwas lang ausgezogen ist und in zwei Spitzen ausläuft, wie auch an der entgegengesetzten Seite des unteren Randes zwei Spitzen stehen. Auf der inneren Seite des Schildes öffnet sich der Mund und führt durch eine kurze Speiseröhre zu dem kegelförmigen Magen, der dann wieder durch einen einfachen Darm zu der auf der entgegengesetzten Seite liegenden Afteröffnung hinüberleitet. Der Hohlraum zwischen Leibeswand und Magen ist anfangs nur mit Flüssigkeit gefüllt, aber in ihm entsteht als eine zunächst kreisförmige Anlage der künftige Seeigel. In dem Maße, wie er die Larve umwächst, schwindet deren deckende Leibeswand, bis schließlich aus ihr der junge Seeigel wie eine Knospe sich erhebt, ihren Magen in sich schließend. Bald ist die Larve nur noch ein unbedeutendes Anhängsel des jungen Seeigels, und sobald dieser eine Mundöffnung erhalten hat und selbständig Nahrung aufzunehmen vermag, fallen auch diese letzten Reste der Jugendzeit von ihm ab und verschwinden im Meer.