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Als ich vor Jahren einige Wochen in dem einsamen Fischerdörfchen La Punta in der Nordostecke der herrlichen Insel Teneriffa zubrachte, war es mir bald zur lieben Gewohnheit geworden, wenigstens einmal täglich bei Ebbe dort den Strand abzugehen, um zu schauen, welch neue Schätze das unerschöpfliche Meer meinem Forscherauge beschert habe. Was gab es da nicht alles zu schauen an märchenhaften Gebilden, zu bewundern an seltsamen Gestalten, die auch der kühnsten Einbildungskraft spotten zu wollen schienen. An solchen Stätten darf man in günstigen Stunden einen ungeahnt tiefen Einblick tun in die geheimnisvolle Werkstätte der Natur und eine Fülle der absonderlichsten Lebewesen beobachten, die man bis dahin lediglich aus Büchern und nach Abbildungen mehr ahnte als kannte. Jeder Tag bringt da neue Überraschungen und stets frische Entdeckerfreuden. Die Steilküste bei La Punta stürzt in unglaublich wild zerklüfteten, zerrissenen und zerfressenen Lavaklippen ab, gegen die das donnernde Meer seine weißgischtigen Schaumkronen schleudert, stellenweise aber bietet sich dazwischen auch Flachstrand; hier hat die Salzflut eine Reihe seichter Mulden wie natürliche Badewannen ausgehöhlt, und in ihnen bleibt beim Verebben der Flut immer Salzwasser mit allerlei dazu gehörigem Getier zurück. So sind eine Menge natürlicher Aquarien von verschiedenster Größe entstanden, und man wird nicht müde, ihren buntscheckigen Inhalt immer und immer wieder zu durchmustern, all diese kribbelnden und krabbelnden, schwimmenden oder ruhenden, farbensprühenden oder durchsichtigen oder in ein bescheidenes Schutzkleid gehüllten Wunderwesen zu belauschen und in ihren so fremdartigen Lebensäußerungen kennenzulernen.
Neben den vielerlei reizvoll geformten oder prächtig gefärbten oder durch ihre Bewegungsart anziehenden Geschöpfen lagen in solchen Flutbecken immer auch häßliche, schwarzbraune Würste von etwa 30 cm Länge, die der Laie kaum für Tiere gehalten hätte. Und doch waren es solche, nämlich Holothurien, die man ihrer gurkenförmigen Gestalt wegen deutsch als Seegurken oder Seewalzen bezeichnet (Abb. 1), Sie bilden mit den Seesternen und Seeigeln den eigenartigen Stamm der Stachelhäuter, verraten aber bei flüchtiger Betrachtung eigentlich nur wenig von ihrer nahen Verwandtschaft zu den genannten beiden Tiergruppen, zumal der für diese so bezeichnende strahlige Körperbau bei ihnen nur leise angedeutet ist, sie vielmehr meist eine bilateral-symmetrische Form haben. Auch die zierlichen Kalkplättchen, die das Gerüst der Seesterne und Seeigel zusammensetzen, sind bei ihnen nicht zu sehen, sondern sind als mikroskopisch kleine Gebilde, die oft die Form von Nadeln, Stacheln, Stühlchen, Schnallen, Rädern oder Ankern haben, in die dicke, lederige Haut eingebettet. Die in Ankerform auftretenden Kalkeinlagerungen sind in der Regel größer und sitzen so dicht unter der Oberhaut, daß sie wie Pusteln hervortreten und ihr die Eigenschaft verleihen, an anstreifenden Gegenständen haften zu bleiben wie Kletten, weshalb man diese ganze Sippe als Klettenholothurien ( Synapta) gesondert hat. Besser belehrt uns das Vorhandensein von winzigen Saugfüßchen, die entweder zu fünf Reihen angeordnet oder regellos über die ganze Körperoberfläche zerstreut sind, über die Zugehörigkeit der Seegurken zu den Stachelhäutern, obwohl sie Stacheln überhaupt nicht besitzen. Während der Mund bei den Seesternen und Seeigeln auf der Mitte der Unterseite liegt, läßt sich bei den Seegurken die von zehn Kalkplatten ringförmig eingefaßte Mundöffnung an dem einen Ende des wurstförmigen Körpers erkennen. Um sie herum befindet sich ein Kranz von Anhangsgebilden (Tentakeln), die zum Tasten und Spüren dienen, nach Marshall vielleicht auch die Atmung unterstützen, jedenfalls aber die Ernährung. Bei der geringsten Störung werden diese Fühler eingezogen, und dann verrät äußerlich kaum nach etwas die tierische Natur des absonderlichen Gebildes.
Es läßt sich kaum ein stumpfsinnigeres und fauleres Vieh denken als eine solche Seegurke, der gegenüber ein Regenwurm als ein äußerst begabter Bursche und eine Schnecke als ein wahres Genie erscheint. Stunden- und tagelang liegt diese lebende Wurst auf dem Meeresboden, ohne sich zu rühren und ohne sich scheinbar irgendwie um die Außenwelt zu kümmern. Man meint, man müsse sozusagen Holz auf ihr hacken können, und ist deshalb nicht wenig überrascht, wenn man bei näherer Untersuchung die Erfahrung macht, daß sie im Gegenteil von einer geradezu krankhaften Reizbarkeit ist und dabei Eigenschaften so wunderbarer und unerhörter Art offenbart, daß wir aus dem Erstaunen gar nicht mehr herauskommen.
Ärgert man nämlich eine Seegurke tüchtig, so übergibt sie sich, aber sie speit nicht etwa nur ihren Mageninhalt aus wie andere Tiere in ähnlicher Lage, sondern sie macht die Sache gleich so gründlich als nur irgend möglich, indem sie auch den Magen selbst nebst dem Speiserohr ausspuckt, ja mehr oder minder sämtliche Eingeweide, die von einer ekelhaften Klebrigkeit sind, so daß es nicht gerade ein Vergnügen ist, mit einer solchen Bescherung bedacht zu werden. Diese fürchterliche Selbstverstümmelung, die für jedes andere Tier qualvollen Tod bedeuten würde, scheint unsere Seegurke gar nicht sonderlich anzufechten, denn die abgerissenen Eingeweide ergänzen sich durch Nachwachsen in erstaunlich kurzer Zeit wieder vollständig, selbst wenn zunächst wenig mehr übrig geblieben war als ein hohler Ledersack mit dem Fühlerkranz am Munde. Der wunderliche Vorgang, der vielleicht ein Verteidigungsmittel darstellt, scheint sich sogar recht häufig abzuspielen, denn man findet eigentlich nur selten Seegurken mit vollständig unversehrten Eingeweiden. Der Fall liegt also wohl ähnlich wie bei dem Schwanzabwerfen der Eidechsen und Blindschleichen. Die leckeren Eingeweide werden dem bedrängenden Raubtier geopfert, für das dagegen die zähe Lederhaut wenig Verlockendes haben mag. Übrigens ist auch diese nervöser Zusammenzuckungen fähig, ja das Tier vermag seine Gestalt bis zur Unkenntlichkeit zu verändern, indem es sich bald auf das Dreifache der ursprünglichen Länge ausdehnt und dann mehr an einen Wurm als an eine Gurke erinnert, bald sich in der Mitte zusammenschnürt und dadurch die Form einer Sanduhr annimmt, bald sich zu einer Kugel aufbläst wie ein mit Schlagsahne gefüllter Windbeutel. In merkwürdigem Gegensatze zu dieser großen Reizbarkeit steht nun aber wieder die Tatsache, daß die Seegurke ohne ersichtliches Unbehagen ruhig die Anwesenheit großer Schmarotzer in ihrem sonst so empfindlichen Leibesinneren duldet. Es handelt sich dabei hauptsächlich um einen kleinen Fisch aus der Gattung Fierasfer, der sich in seiner Jugend lustig an der Meeresoberfläche tummelt und sich schlecht und recht von allerlei Kleingetier ernährt, das er mit einem angelartigen Gebilde auf dem Vorderende seines Kopfes anlockt. Später aber verkümmert diese Angelrute, das Fischchen wird faul, lichtscheu und bewegungsunlustig und sucht schließlich im Darm einer Seegurke Wohnung und Beköstigung. Nach Hartwig wandert er aber auch durch die Mundöffnung ein, durchbricht das ihm zu enge Speiserohr und haust nun zwischen Eingeweiden und Haut, was alles sich die übertölpelte Seegurke in ihrer dummen Gutmütigkeit ohne ein Zeichen des Mißbehagens gefallen läßt, selbst wenn zwei der unverschämten Gesellen sich gleichzeitig in ihrem Inneren ansiedeln. In tropischen Meeren spielt ein kleiner Krebs (Pinnotheres holothuriae) aus der Gruppe der Muschelwächter eine ähnliche Rolle. Er wandert truppweise schon als winzige Larve durch den After der Seegurke ein und gelangt so in die langen, verästelten Schläuche, die man als Wasserlungen bezeichnet, weil sie im Dienste der Atmung stehen. In diesem geschützten Schlupfwinkel bleibt er nun zeitlebens, wächst rasch heran, verliert als echter Schmarotzer die überflüssig gewordenen Augen und ernährt sich lediglich von den Körpersäften seiner geduldigen Wirtin, die aber darunter kaum zu leiden scheint. Manche Seegurken besitzen auch die merkwürdige Eigenschaft, bei unsanfter Berührung einfach in zwei oder mehr Stücke zu zerreißen, worauf das die Mundöffnung tragende Stück sich wieder zu einem vollständigen Tiere auswächst.
Einfach und eintönig wie alle Lebensäußerungen vollzieht sich auch die Ernährung der Seegurken. Mit Hilfe ihrer Tentakeln stopfen sie sich Meeressand, am liebsten zerfallenen Korallensand, ins Maul und lassen ihn durch den Schlund, den muskelkräftigen Drüsenmagen und das Darmrohr hindurchgehen. Solcher Meeresschlick enthält immer genügend organische Bestandteile, um ein so wenig bewegliches Tier wie die Seegurke mit den nötigen Nährstoffen zu versehen. Man hat berechnet, daß eine Seegurke von Durchschnittsgröße täglich etwa 200 g Korallensand in sich hineinwürgt und daß 15–16 solcher Tiere im Jahre etwa eine Tonne Sand verarbeiten, die Seewalzen also auf dem Meeresboden im kleinen eine ähnliche Rolle spielen wie die Regenwürmer auf dem Festlande. Manche Seegurken lieben aber doch eine etwas nahrhaftere Kost, so namentlich die beweglichen Kletterholothurien (Cucumaria), die nicht auf dem Meeresboden ruhen, sondern mit Hilfe ihrer reich verästelten Fühlfäden an Korallenbäumchen emporsteigen und dann auf deren äußerster Spitze sich häuslich einrichten. Hier breiten sie ihre zierlichen Fühler fächerförmig aus, und wenn dann Krebschen, Larven, Infusorien und sonstiges Zwergenvolk sich zum Ausruhen darauf niederlassen, wird langsam ein Fühler nach dem andern in den sich verengenden Mund gesteckt und hier von einem zu einem Besenstummel verkürzten anderen Fühler regelrecht abgebürstet. Die langsame Fortbewegung der Seegurken erfolgt durch Zusammenziehen und Ausdehnen des Körpers, wobei die Saugfüßchen nach Kräften mithelfen. So hurtig wie bei anderen Stachelhäutern geht es freilich nicht, und die Seesterne, namentlich die flinken Schlangensterne, müssen den Seegurken gegenüber als wahre Schnelläufer bezeichnet werden. Die Fortpflanzungsgeschichte ist am besten bei der Kletterholothurie aus der Bai von Triest erforscht. Wir wissen, daß sie eine Verwandlung durchzumachen hat, ähnlich wie ein Schmetterling. Der Raupe entspricht eine bootförmige und zunächst nur millimetergroße Wimperlarve. Sie wird zu einer tönnchenförmigen Puppe, in deren Innerem sich dann die eigentliche Seegurke ausbildet.
Sollte man es für möglich halten, daß diese Tiere trotz ihrer dicken und ledrigen Haut in gewissen Teilen der Erde unter dem Namen Trepang als ein köstlicher Leckerbissen gelten und entsprechend teuer bezahlt werden? Natürlich handelt es sich dabei um China, dessen geheimnisvolle Kochkunst ja von jeher neben der der Römer den absonderlichsten Geschmacksrichtungen gehuldigt hat und für Hundefleisch, Vogelnester, angebrütete Eier, Haifischflossen, Käferlarven und ähnliche schöne Dinge eine uns schwer verständliche Vorliebe hat. Alljährlich ziehen Tausende von kleinen Segelbarken, sog. Prauws, hinaus ins Inselgewirr der Südsee, wo unter schweren Entbehrungen und vielen Gefahren der begehrte Trepang eingesammelt wird. Jede Prauw führt mehrere kleine Boote bei sich, und von diesen aus werden die auf dem Boden des klaren Korallenmeers liegenden Seegurken entweder mit langen Bambusstäben gespießt oder durch Taucher korbweise heraufgeholt. Die tägliche Ausbeute wird frisch an Land gebracht, in großen Kesseln mit kochendem Seewasser umgerührt, dann aufgeschnitten und ausgenommen, innen und außen mit gepulvertem Kalk eingerieben, auf Hürden getrocknet und geräuchert, endlich in Säcke verpackt, aber erst kurz vor Antritt der Heimreise an Bord verstaut, da die feuchte Seeluft ungünstig auf die Güte der Ware einwirkt. Auf eine sorgfältige und sachkundige Behandlung kommt überhaupt sehr viel an, und Güte und Preis des Trepangs sind hiervon noch mehr abhängig als von der Art der Seegurken selbst, die über alledem auf einen Bruchteil des ursprünglichen Umfangs zusammenschrumpfen. Sehr verlockend sieht der so zubereitete Trepang nach unseren Begriffen nicht gerade aus, und Wallace vergleicht ihn mit mißratenen Würsten, die man im Schlamme gewälzt und nachher durch einen rußigen Schornstein gezogen hat. Früher wurde die mühselige Trepangfischerei fast ausschließlich von den genügsamen Malaien betrieben, aber da sie unter Umständen offenbar recht gewinnbringend ist, haben neuerdings vielfach auch findige amerikanische Unternehmer sich ihrer bemächtigt und den Betrieb großzügiger eingerichtet. Die Prauws bringen ihre Last nach bestimmten Sammelhäfen, wo die Aufkäufer ihrer harren, den Trepang sorgfältig sortieren und ihn nach den chinesischen Märkten weiter verfrachten, auf denen die Nachfrage das Angebot in der Regel weit übersteigt. Die sonst so sparsam veranlagten Söhne des Reiches der Mitte geben jährlich etwa 5-6 Millionen Dollars für diesen fragwürdigen Leckerbissen aus, der seine Beliebtheit hauptsächlich dem Rufe verdankt, daß er die männliche Zeugungskraft erhöhen soll. Doch ist der Trepang auch in China keineswegs Volksnahrungsmittel, sondern lediglich eine Leckerei für reiche Schlemmer, die ihn gewöhnlich in fein zerkleinertem Zustande genießen.