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Dieser hatte seine Vogelzugsstudien im europäischen und asiatischen Rußland angestellt und auf Grund derselben den Begriff der Isepiptesen in die ornithologische Wissenschaft eingeführt. Es sind das Linien, welche die Orte gleicher Ankunftsdaten derselben Vogelart miteinander verbinden, ähnlich wie wir aus der Erdkunde schon längst den Begriff der Isothermen kannten, also Verbindungslinien von Orten mit gleicher Durchschnittswärme. Daß beide in einem gewissen Zusammenhang miteinander stehen, läßt sich schon daraus entnehmen, daß sie vielfach parallel zueinander verlaufen. In der Tat sind die Isepiptesen, die man sehr mit Unrecht in den letzten Jahrzehnten ganz vernachlässigt hat, eines der ausgezeichnetsten Mittel zur Erforschung des Vogelzugs. Klarer als irgendein anderes lassen sie dessen Abhängigkeit von der Witterung und namentlich vom Fortschreiten der Wärme sowie vom Erwachen der Pflanzen- und Kerbtierwelt im Frühjahr erkennen, deutlicher als irgendein anderes die tägliche Flugleistung der Zugvögel verfolgen, unverkennbar das Vordrängen der westlichen Front und das Zurückbleiben des Ostflügels feststellen. Dies gilt ganz besonders von solchen Vogelarten, die nicht auf mehr oder minder schmalen Zugstraßen, sondern in breiter Front ziehen und deren Weg über große, ebene, von Gebirgen, Wüsten, Meeren und andern schwer zu überwindenden Querriegeln freie Landmassen hinwegführt, wie dies ja in Rußland und Sibirien der Fall ist. Wo freilich das Gelände sehr wechselvoll sich gestaltet und insbesondere von höheren Gebirgszügen durchsetzt wird, die von den Vögeln erfahrungsgemäß erst erheblich später besiedelt werden als die umliegenden Ebenen und Hügellandschaften, da verwirren sich die Isepiptesen zu sehr, als daß man noch ein klares Bild aus ihnen gewinnen könnte.
Fassen wir alles zusammen, was wir nach dem heutigen Standpunkte der Zugsforschung über das gegenseitige Verhältnis zwischen Vogelzug und Witterung wissen, so können wir etwa sagen: die einzelnen Witterungsfaktoren (z.B. Wind) üben an sich keinen sehr starken Einfluß auf den Vogelzug aus, wohl aber ist ihre Gesamtheit, also das, was wir gewöhnlich »Wetter« nennen, für dessen Verlauf vielfach maßgebend, oft sogar entscheidend.
Nicht selten kommt es vor, daß im Frühjahr schon eingetroffene Zugvögel oder die gerade durchziehenden Arten von einem Wettersturz überrascht und womöglich noch in alle Unbilden eines Nachwinters verwickelt werden. Was tun sie dann, um dieser Not zu entgehen? Auch diese Frage läßt sich so im allgemeinen nicht beantworten, und sichere Beobachtungen liegen überhaupt nur wenige vor. Der Laie wird sich ohne weiteres sagen: nun, die Vögel können ja gut fliegen, sie werden sich also einfach, wenn die Sache zu ungemütlich wird, wieder der Kraft ihrer Schwingen anvertrauen und wieder ein Stück südwärts ziehen, wo sie bessere Verhältnisse vorfinden, um hier abzuwarten, bis sich auch in ihrer Brutheimat die Wetterlage wieder günstiger gestaltet hat. Das ist nun aber keineswegs der Fall; im Gegenteil sind solche Rückzüge verhältnismäßig selten. Am häufigsten werden sie noch bei Schwalben beobachtet, namentlich bei den zuerst eintreffenden Rauchschwalben, die bei einem Wettersturz oft plötzlich wieder verschwunden sind, um erst nach Wochen wiederzukehren, so daß kaum etwas anderes übrig bleibt, als anzunehmen, daß sie sich vor dem schlechten Wetter wieder nach Süden geflüchtet haben. Einen großartigen Rückzug in allen Einzelheiten konnte ich Ende März 1922 im Welzheimer Wald (Württemberg) beobachten, und diese Beobachtung vermittelte so nachhaltige Eindrücke, daß ich hier etwas näher darauf eingehen möchte. Mitte März gab es dort bis zum 18. einige schöne und sonnige, wenn auch kalte Tage. Aber dann setzte ein wahrer Hexensabbat ein. Mehrere Tage hindurch tobte ein abscheuliches Schlackwetter, das am 23. in dichten Schneefall überging. Dem Auge bot sich eine vollständige Winterlandschaft, ebenso am 24., wodurch die schon eingetroffenen Vögel in die größte Not gerieten. Diese steigerte sich zur Katastrophe, als am 25. früh zu allem Ungemach auch noch starkes Glatteis einsetzte. Es war ein großes Glück, daß die nächste Nacht wieder Tauwetter brachte, denn sonst wäre von den Beständen gewisser Vogelarten wohl nur wenig übrig geblieben. Übel mitgespielt wurden namentlich denjenigen Arten, die ihre Nahrung auf dem Boden zu suchen gewohnt sind, also Finken, Lerchen, Piepern, Bachstelzen, Rotkehlchen, Drosseln usw., während diejenigen, die, wie Meisen, ihre Nahrung in den Baumwipfeln suchen, viel besser daran waren, ebenso die Gimpel, die an den schwellenden Obstknospen genügend Nahrung fanden. Wie bös das Unwetter in der Vogelwelt gehaust hat, möge der Umstand beweisen, daß ich allein auf der kaum drei Gehminuten langen Strecke vom Bahnhof bis zum Wirtshaus im nahen Schlechtbach am 25. bei einer einzigen Begehung und ohne sonderlich zu suchen, tot aufgefunden habe: 7 Buchfinken, 2 Bergfinken, 7 Rotkehlchen, 1 Zilpzalp, 1 Feldlerche, 1 Heidelerche, 5 Bachstelzen, 1 Baumpieper und 8 Singdrosseln. Meine Sekretärin hatte in diesen Tagen alle Hände voll zu tun mit dem Abbalgen der aufgesammelten Vögel, obgleich nur die allerschönsten zum Präparieren bestimmt wurden. Ein wahrhaft herzzerreißender Anblick bot sich mir, als ich am Nachmittag des 24. März von Rudersberg nach dem nur 10 Minuten entfernten Oberndorf ging. Zu seiten der Fahrstraße ziehen sich hier kleine Abzugsgräben hin, und in diesen wimmelte es buchstäblich von halbverhungerten Vögeln. Auf Schritt und Tritt scheuchte man sie auf, wobei die noch kräftigeren auf den nächsten Baum flatterten, die schwächeren aber gleichgültig sitzen blieben und sich fast mit Händen greifen ließen. Hauptsächlich handelte es sich um Stare, Drosseln, Rotkehlchen, Goldammern und Bergfinken, aber auch einige Heckenbraunellen waren dazwischen. Es war ein wahrer Jammer! Natürlich hatten die Hauskatzen und die zahlreichen Fixköter gute Zeit und schwelgten in Mordlust und Vogelbraten, und auch die Krähen fanden einen gedeckten Tisch. Bedenkt man, daß doch nur ein ganz geringer Prozentsatz der umgekommenen Vögel auch aufgefunden und von diesen wiederum nur ein geringer Teil mir eingeliefert wurde, so müssen die Verheerungen, die dieser verhängnisvolle Wettersturz dem Bestand bestimmter Arten zugefügt hat, als ganz entsetzlich bezeichnet werden, was namentlich von den lieblichen Rotkehlchen und Bachstelzen gilt, sehr arg mitgenommen wurden die Buchfinken: stellenweise lag ein Dutzend Leichen beisammen, und alle hatten Kropf und Magen völlig leer bei stark abgemagertem Körper, seltsam aber muß es erscheinen, daß ebenso stark auch die Bergfinken litten, die man als ausgesprochene Nordländer eigentlich für härter hätte halten sollen. Den ganzen Winter über war diese Vogelart nur in mäßiger Zahl vertreten gewesen, aber zur Zeit der Wetterkatastrophe war sie plötzlich in Unmassen da. Allem Anschein nach ist ein riesiges Bergfinkenheer durch das westliche Deutschland auf der Rückkehr nach seiner nordischen Heimat begriffen gewesen, als es von dem Unwetter überrascht wurde und sich unter dessen grausamem Druck in eine Anzahl kleinerer, aber noch immer sehr vielköpfiger Abteilungen zersplitterte. Hiermit stimmen auch die mir zugegangenen Meldungen aus anderen Teilen des Landes gut überein. Als Tauwetter eintrat, zogen die Trümmer des Bergfinkenheeres sofort weiter, nur Versprengte und Nachzügler blieben zurück. Noch weit über unser Neckarland hinaus hat sich die gleiche Erscheinung geltend gemacht, wie mir z. B. aus Westfalen berichtet wurde. – Ähnlich wie bei den Finken verhielt es sich bei den Drosseln, indem auch hier eine nordische Art, nämlich die Weindrossel, eine fast ebenso umfangreiche Verlustliste aufzuweisen hatte wie die Singdrossel. Diese Vögel bekunden merkwürdigerweise wenig Widerstandsfähigkeit, seltener wurden Feld- und Heidelerchen aufgefunden, und Rauchschwalben, Wendehälse und Hausrotschwänzchen sowie Laubsänger waren während des Wettersturzes plötzlich verschwunden, haben also offenbar einen Rückzug angetreten. Schon am 22. März sah ich große Vogelscharen, anscheinend hauptsächlich Feldlerchen, das Wieslauftal abwärts nach Süden ziehen, um bei Schorndorf das Remstal zu erreichen und durch dieses dann den Anschluß an das Neckartal zu gewinnen. Es war, als hätten diese flüchtenden Vögel eine Vorahnung von dem am nächsten Tage einsetzenden Schneesturm. Vom Neckartal strebten sie nach dem Bodenseegebiet, und wunderbar paßt hierzu ein Bericht meines damaligen Assistenten, Herrn Bernhoft-Osa, den ich zu gleicher Zeit in Langenargen am Bodensee stationiert hatte. Während die Zugverhältnisse dort im allgemeinen enttäuschten, zog doch am 22. März ein ununterbrochener Schwarm von Kleinvögeln längs der Küste, und mitten im Dorf suchten sich nicht nur solche Singvögel, sondern auch Bekassinen, Kiebitze und Rotschenkel ihre Nahrung. Am 24. war dieser flüchtende Rückzug beendigt, und man fand viele matte und umgekommene Vögel. Die Zugrichtung war nach Westen, ging also nach dem Rheinknie bei Basel, von wo dann längs des Jura die bekannte große Zugstraße nach dem Rhonetal führt. In großartiger Weise werden diese Mitteilungen weiter ergänzt durch einen Bericht aus Basel, wo am 24. März ein Massenrückzug beobachtet wurde, der sich gleichfalls Hals über Kopf und ausgesprochen fluchtartig vollzog. Die Vogelmengen waren so groß, wie sie selbst an dem Vogelzugsknotenpunkt Basel bisher nie beobachtet wurden. Sogar ausgesprochene Nichtwanderer, wie Amseln, hatten sich der allgemeinen Flucht angeschlossen, woraus wieder einmal hervorgeht, wie fortreißend das Beispiel in der Vogelwelt wirkt, die ja sehr auf Nachahmung eingestellt ist. Die sonst gewahrte Zugsordnung wurde bei der Hast dieser Flucht völlig außer acht gelassen, und alle eilten stumm dahin, ohne daß die sonst üblichen Lockrufe hörbar wurden. In langen, oft viele hundert Meter messenden Ketten und in umfangreichen Wolken, die von einer Unmenge regellos flüchtender Einzelreisender durchflogen und begleitet waren, enteilten die sonst so daseinsfrohen Sänger der dem Winter zurückgegebenen Heimat. Ein Zug folgte ununterbrochen dem andern, und so weit der Blick in die Ferne reichte, war überall dieses außergewöhnliche und großartige Schauspiel festzustellen. Unzählige Flüchtlinge werden unterwegs zugrunde gegangen sein, da sie mit leerem Magen die Reise antreten mußten. Die Zusammenstellung Welzheimer Wald – Bodensee – Basel deckt nicht nur in interessanter Weise den Verlauf einer wichtigen südwestdeutschen Zugstraße auf, sondern sie beweist vor allem schlagend, daß es in der Tat im Frühjahr unter besonderen Verhältnissen zu großen Rückzügen der schon eingetroffenen Zugvögel kommen kann, eine Tatsache, die bisher von manchen Vogelforschern lebhaft bestritten wurde. Zugleich sehen wir, daß solche Rückzüge einen wesentlich anderen Charakter tragen als die regelrechten Wanderungen.
Warum vertrauten sich nun aber nicht auch die Buchfinken, die Mehrzahl der Rotkehlchen usw. der Kraft ihrer Schwingen an, sondern harrten lieber aus, um teilweise elend zu verhungern? Diese Frage ist schwer zu beantworten, aber vielleicht kommt man der Lösung des Rätsels näher, wenn man sich vergegenwärtigt, daß es sich bei den ausharrenden Arten um solche handelt, die zu den frühesten Ankömmlingen zählen und deren Zugzeit schon beendigt, deren Zuginstinkt also bereits im Erlöschen begriffen war, bei den zurückziehenden dagegen um solche, die eben erst eingetroffen waren oder noch weiter ziehen wollten, die also noch von lebhaftem Zugtrieb besessen waren und bei denen die Wetterkatastrophe mitten in die gewohnte Zugzeit hineinfiel. Daß Bergfinken und Weindrosseln zwar nicht weiter nach Norden zogen, aber auch nicht nach Süden, sondern bei der Raststation dem Winter trotzen wollten, ist wohl auf ihren besonders lebhaften Drang nach Norden zu den noch weit entfernten heimischen Brutgefilden zurückzuführen.
Nicht nur die Launen des Wetters und die Grausamkeit der Natur bedrohen den Vogel auf seiner weiten Reise mit unzähligen Gefahren, sondern vor allem auch der Erzfeind alles Tierlebens, der unersättliche Mensch. Auf Schritt und Tritt umlauert die gefiederten Reisenden der Tod, auf jeder Haltestelle erwartet sie dräuendes Verderben. Schon in Mitteleuropa locken stellenweise noch immer die verführerischen roten Ebereschenbeeren neben den tückischen Roßhaarschlingen, kracht die Schrotspritze des Jägers an der von Ebereschen eingerahmten Landstraße, denen man absichtlich ihren Beerenschmuck noch beließ, sind die Disteln auf den kahl gewordenen Feldflächen mit Leimruten besteckt, geraten die Tauchenten an der Küste und auf Seen in die unter dem Wasser errichteten Netze der Fischer, macht der Auchjäger rücksichtslos Dampf auf alles, was groß oder auffallend oder schön oder ungewöhnlich oder auch nur überhaupt ihm fremd ist. Jenseits der Alpenkette sitzt an den beflogensten Paßstraßen der mordgierige Italiener neben seinem übel berüchtigten Vogelherd, dessen Netze gleich Dutzende von Vögeln auf einmal decken, werden die fröhlichen Sänger korbweise in gerupftem Zustand zu Markt gebracht. In allen Mittelmeerländern, die ja so arm sind an Wald und Wild, ist die Vogeljagd der beliebteste Sport, und an allen Ecken und Enden, wo überhaupt nur ein armseliges Vögelchen sich blicken läßt, knattern die Flinten. An den Küsten von Neapel, Sizilien, Dalmatien, Südfrankreich, Spanien, Nordafrika und Syrien steigert sich dies Gewehrfeuer namentlich beim Eintreffen der großen Wachtel-, Schnepfen-, Lerchen- und Turteltaubenzüge derart, daß man glaubt, einem lebhaften Gefecht beizuwohnen, und sogar weit ins Meer hinaus fahren zahllose Boote, angefüllt mit schießlustigen Jägern, den armen Wanderern entgegen. Am Strande selbst sind auf viele Meilen lange Strecken hin große Doppelnetze ausgespannt, in denen sich die ermüdeten Vögel verfangen, und was auch hier noch durchkam, wird von der hoffnungsvollen Jugend mit sicher gezielten Steinwürfen und rohen Knüppelhieben zur Strecke gebracht. Die afrikanischen Winterquartiere selbst bergen neue Gefahren in Gestalt unbekannter Raubtiere und Schlangen, und der Pfeil des Buschmanns oder Negers bringt manchem größeren Vogel den Tod. Wohl locken Massen von hüpfenden Heuschrecken zu leckerem Schmause, aber diese Mahlzeit ist oft zugleich die letzte, denn sie birgt qualvollen Tod, wenn die Heuschreckenschwärme vom Menschen mit Arsenik vergiftet wurden, wie es jetzt zur wirksamen Bekämpfung der Heuschreckenplagen fast überall geschieht. In den Kulturländern verunglücken unzählige Wandervögel an den die ganze Landschaft überspinnenden Telegraphendrähten oder rennen sich an den Scheiben der verwirrend durch die finstere Nacht blitzenden Leuchttürme den Schädel ein. Wahrlich, vergegenwärtigt man sich das alles, so kann man sich eigentlich nur darüber wundern, daß überhaupt noch so viele Vögel im Frühjahr in die alte Brutheimat zurückkehren.
Über Höhe und Schnelligkeit des Vogelzuges hat man sich früher sehr übertriebenen Vorstellungen hingegeben. Astronomen wollen bei Fernrohrbeobachtungen vor der Sonnenscheibe oder vor dem Monde ziehende Vögel gesehen haben, die sich mindestens in einer Entfernung von einer geographischen Meile von der Erdoberfläche befanden. Ich halte alle solche Beobachtungen aus den gleich zu entwickelnden Gründen für optische oder sonstige Selbsttäuschungen. Namentlich hat Gätke mit großem Nachdruck die Meinung verfochten, daß der eigentliche Vogelzug sich in unermeßlichen Lufthöhen vollziehe, so daß wir Menschen fast nichts von ihm gewahr werden. Hier ist die Einbildungskraft des Künstlers (Gätke war von Beruf Maler) offenbar mit der nüchternen Beobachtungsgabe des Naturforschers durchgegangen. Seine Schilderungen von dem in Höhen von 10-12 000 Meter sich mit rasender Geschwindigkeit vollziehenden Vogelzug lesen sich in ihrer dichterischen Verklärung wunderschön, aber der Wahrheit entsprechen sie nicht. Wenn wir uns vergegenwärtigen, welch dünne Luft und welch eisige Kälte in solchen Höhen herrschen, dann werden wir von vornherein sehr daran zweifeln, daß selbst die fluggewandtesten Vögel unter solchen Umständen die gewaltige Arbeit des Wanderfluges leisten können. Als Paradestück wird ja immer der Kondor angeführt, den Alexander v. Humboldt hoch über dem Gipfel des Chimborasso kreisen sah, aber dabei vergißt man eben, daß der Kondor ein ausgesprochener Hochgebirgsvogel und den Verhältnissen in den höheren Luftschichten besonders angepaßt ist. In neuerer Zeit hat das Experiment ziemliche Klarheit in diese Frage gebracht. So hat der französische Physiologe Paul Bert Vögel unter die Luftpumpe gesetzt, um zu sehen, inwieweit sie sich der Verminderung des Luftdruckes, wie sie in großer Höhe zutage tritt, anzupassen verstehen bzw. ihr gewachsen sind. Es stellte sich heraus, daß z.B. Sperlinge bei einem Luftdruck von 388 Millimeter, der einer Höhe von 5000 Meter entspricht, bereits Erbrechen bekamen. Bei 7500 Meter waren sie sehr matt und bei 9800 Meter, d. i. 203 Millimeter Luftdruck, lagen sie im Sterben. Bei Lachmöwen setzte das Erbrechen ein bei 348 Millimeter Luftdruck = 5800 Meter. Bei 6450 Meter wurden die Möwen bereits taumelig, bei 9800 Meter schlossen sie erschöpft die Augen, und bei 10 400 Meter waren sie dem Tode nahe. Sogar ein Turmfalke, also einer der gewandtesten Flieger, erbrach bei einem Luftdruck, der einer Höhe von 7500 Meter entsprach, war bei 9800 Meter völlig erschöpft und wäre bei 10 800 Meter verendet, wenn nicht die Luftpumpe im letzten Augenblick wieder geöffnet worden wäre. Der Versuch zeigt auch, daß das Verhalten verschiedener Vogelarten gegenüber vermindertem Luftdruck nicht allzu abweichend ist, und daß eine Höhe von mehr als 10 000 Meter von keinem Vogel erreicht werden kann, schon eine Höhe von 5-7000 Meter ruft Störungen im Befinden der Vögel hervor. – Nun kommt aber zu der Luftverdünnung in großer Höhe noch eine sehr rasche Temperaturabnahme hinzu, und auch diese wurde von Bert in ihrer Einwirkung auf den Vogel durch Versuche nachgeprüft. Es zeigte sich, daß die Temperaturabnahme die Widerstandsfähigkeit des Vogels gegen verminderten Luftdruck stark herabsetzt. Das ließ sich schon bei einem Temperaturunterschied von plus 6,5 und minus 4 Grad Celsius nachweisen, und wenn wir nun bedenken, daß über Europa in 3000 Meter Höhe eine Mitteltemperatur von minus 7 Grad herrscht, bei 4000 Meter eine solche von minus 13 Grad und bei 5000 Meter gar von minus 18 Grad, so kann man sich leicht vorstellen, wie ungemütlich dem Vogel in solcher Höhe zumute sein muß. Dazu kommt als weiteres erschwerendes Moment die Arbeitsleistung des Vogels während des Fluges. Von Fliegern und Ballonfahrern wissen wir, daß jede körperliche Anstrengung unter geringem Luftdruck unmöglich wird: bei 10 000 Meter gelingt es kaum noch, die Hand zum Ventil zu erheben, und die allergrößte Tatkraft ist nötig, um auch nur die einfachste Bewegung auszuführen. Wie soll nun da ein Vogel in solchen Höhen seine großen Brustmuskeln beim Fluge in ständiger anstrengender Tätigkeit erhalten können? Die Vögel sind also keineswegs die unbeschränkten freien Segler der Lüfte und Beherrscher des freien Raumes, wie sie sich unsere Einbildungskraft gerne vorstellt. Ein Vogelzug in so hohen Lagen, wie Gätke sie angab, ist schon aus rein physischen Gründen unmöglich.
Gätke hat aber auch bei seinen Entfernungsschätzungen fliegender Vögel aus mangelnder Schulung sehr stark geirrt, wenn er z.B. einen noch als winziges Staubkörnchen über Helgoland sichtbaren Sperber in 3000 Meter Höhe fliegen läßt oder einen als Punkt im Wolkenmeer verschwimmenden Mäusebussard auf 3600 Meter, Kraniche unter gleicher Bedingung gar auf 4500-6000 Meter. Hier hat F. v. Lucanus, der als Offizier selbst viele Ballonfahrten mitgemacht hat, gleichfalls durch unanfechtbare Versuche die Unhaltbarkeit der Gätkeschen Ansicht bewiesen. Lucanus verfuhr so, daß er in fliegender Stellung ausgestopfte Vögel von einem Ballon mit hochnehmen ließ, wobei die Vögel an einer 10 Meter langen Schnur unter dem Ballon aufgehängt wurden. Auf dem Erdboden stand ein scharfsichtiger Beobachter und gab an, wenn die Flugbilder der einzelnen Vögel gerade noch als solche sichtbar waren, wenn sie nur noch als Punkt erschienen und wenn sie dem Auge vollständig entschwanden. Der Ballon war mit Einrichtungen versehen, um in diesen Augenblicken die Höhe genau feststellen Zu können. Das Flugbild des Sperbers war auf diese Weise bei 250 Meter noch deutlich sichtbar, bei 650 Meter erschien es als Punkt und schon bei 850 Meter war die Sichtbarkeitsgrenze erreicht, während Gätke beim sichtbaren Sperber 3000 Meter Höhe annahm. Ähnlich verhielt es sich bei der Saatkrähe (Sichtbarkeitsgrenze 1000 Meter, als Punkt erkennbar 800 Meter, als Flugbild erkennbar 300 Meter) und bei allen anderen geprüften Vögeln. Ferner wissen wir aus den Angaben von Ballonfahrern und Fliegern, daß sie in großer Höhe, insbesondere über der Wolkendecke, so gut wie niemals Vögel angetroffen haben, sondern stets nur in sehr mäßiger Höhe unter der Wolkendecke. Auch diese Erscheinung hat Lucanus nachgeprüft, indem er Vögel von Ballonfahrern möglichst hoch, jedenfalls über die Wolkendecke, mitnehmen ließ. Dort ließ man sie fliegen, und es zeigte sich, daß sie zunächst planlos herumirrten und den Ballon aufgeregt und verschüchtert umflogen. Wenn dann aber ein Loch in die Wolkendecke gerissen wurde, so daß unter ihr die Erdoberfläche zum Vorschein kam, dann stürzten sich die Vögel sofort durch dieses Wolkenloch erdabwärts, wo sie die Umgebung sehen konnten. Da die Vögel oder wenigstens die Tagwanderer auf ihrem Zug hauptsächlich vom Gesicht geleitet werden, so liegt es ja auf der Hand, daß sie die Erdoberfläche möglichst gut überschauen wollen, daß es also für sie nicht den geringsten Vorteil hätte, sondern nur von großem Nachteil wäre, wenn sie die Wolkendecke übersteigen und sich dadurch jeder Aussicht nach unten berauben würden.
Im großen und ganzen wird man sagen dürfen, daß ziehende Vögel eine Höhe von 1000 Meter nur selten überschreiten, und daß die Höchstgrenze schon bei 2000 Meter liegt. Gewöhnlich vollzieht sich der Zug in einer Höhe von nur wenigen hundert Metern, und ganz besonders niedrig, sogar unter 100 Meter und selbst auf Schrotschußentfernung geht er bei trübem, verschleiertem und diesigem Wetter herab, weil dieses das Sehen auf größere Entfernung behindert und der Vogel das Landschaftsbild unbedingt überblicken will und muß. Die über die Kurische Nehrung ziehenden Vögel fliegen dann das Dünen- und Kupsengelände mit all seinen Hebungen und Lenkungen ganz gewissenhaft aus. Senken sich die Wolken tiefer, so geht auch der Vogelzug sofort weiter zur Erde herab, wie ich dies unzähligemal beobachten konnte. Am höchsten fliegen die Vögel jedenfalls bei wolkenlosem und klarem Wetter, namentlich wenn dabei in den höheren Luftschichten eine für sie günstige Windrichtung herrscht. Treffend sagt Lucanus: »Nicht in unermeßlichen Höhen, wo Sauerstoffmangel, niedriger Luftdruck, gewaltige Windstärke und eisige Kälte jedem Lebewesen den Aufenthalt unmöglich machen, liegen die Zugwege der Vögel, sondern unweit der Erde, an welche die Vögel trotz ihres Flugvermögens ebenso gefesselt sind, wie alle anderen Lebewesen.«
Ebenso arg wie bei der Zughöhe hat Gätke in seinem schönen Buch »Die Vogelwarte Helgoland« bei der Zugschnelligkeit daneben geschossen. Er stützte sich dabei vor allem auf seine Erfahrungen mit dem Rotsternigen Blaukehlchen, das an gewissen Frühlingsmorgen plötzlich zu Hunderten in Helgoland herumzuwimmeln pflegt. Da nun in Ägypten viele Vögel dieser Art überwintern, sie aber auf dem Durchzug auf dem europäischen Festlande nur wenig beobachtet werden, nahm Gätke etwas willkürlich an, daß diese kleinen Vögelchen, die durchaus nicht zu den hervorragenden Fliegern gehören, in einer einzigen neunstündigen Frühlingsnacht die ganze ungeheure Strecke von Ägypten bis Helgoland zurücklegen, da die rote Felsinsel offenbar ihre erste regelmäßige Raststation sei; das wären also fast 3000 Kilometer Luftlinie innerhalb 9 Stunden, wozu eine Fluggeschwindigkeit von 9l,5 Sekundenmetern erforderlich wäre, etwa viermal soviel wie bei einem Schnellzug. Das klang allerdings ganz unglaublich und märchenhaft und mußte Zweifel an der Richtigkeit der Gätkeschen Berechnung hervorrufen, zumal man wußte, daß bei einem großen Wettflug von Berlin nach Köln die schnellste Brieftaube immerhin 5 Stunden und 27 Minuten zur Bewältigung der 474 Kilometer langen Flugstrecke nötig hatte, also in der Minute nur 1445 Meter zurücklegte. Aber ein Gegenbeweis fehlte zunächst. Ich konnte ihn auf meiner Marokkoreise erbringen, indem ich feststellte, daß auch an der Westküste Marokkos massenhaft Blaukehlchen durchziehen, und daß diese mit den Helgoländern identisch sind, nicht aber die am Nil überwinternden. Dieser Beweis ließ sich lückenlos gestalten, weil wir in Skandinavien zwei verschiedene und gut zu unterscheidende Blaukehlchenrassen haben, nämlich eine östlich-schwedische ( Erithacus svecicus svecicus) und eine westlich-norwegische ( Erithacus svecicus gaetkei). Nur jene finden mir im Winter am Nil, während die Norweger über Helgoland, Holland, Frankreich und Spanien nach Nordwestafrika ziehen. Da also die Ägypter unmöglich mit den Helgoländern identisch sein können, bricht Gätkes kühne Hypothese von der wunderbaren Flugleistung der Blaukehlchen vollständig in sich zusammen. Seine Auffassung von der fabelhaften Fluggeschwindigkeit der Zugvögel ist dann aber später auch durch genaue Beobachtungen und Messungen widerlegt worden. So ermittelte I. Thienemann, der auf der kahlen Kurischen Nehrung die beste Gelegenheit dazu hatte, die Zeiträume, die die beobachteten Zugvögel nötig hatten, um eine gut zu überblickende Nehrungsstrecke von 500 Meter zu überfliegen, und stellte daraufhin für einige Vogelarten weitere Berechnungen an. Es ergab sich dabei für Nebelkrähen, die ja ziemlich schwerfällige Flieger sind, eine durchschnittliche Eigengeschwindigkeit von 13,9 Sekundenmetern, was also für die Minute 834 Meter und für die Stunde 50,04 Kilometer ausmachen würde. Bei Dohlen stellten sich diese Zahlen mit 17,1 Sekundenmeter, 1062-1236 Meter, sowie 61,56-74,16 Kilometer schon erheblich höher. Stare brachten es gar auf 74,16 Kilometer und selbst Kreuzschnäbel auf 59,76 Kilometer in der Stunde, während für den Wanderfalken auch nur 59,22 Kilometer angegeben werden, für den Sperber sogar nur 41,4 Kilometer, wobei ich aber fast an einen Beobachtungsfehler glauben möchte. Die Thienemannschen Tabellen kranken allerdings für ihre Auswertung daran, daß sie gerade für die besten Flieger wie Segler, Schwalben und Regenpfeifer keinerlei Daten enthalten. Man würde zwar bei solchen Vogelarten aller Wahrscheinlichkeit nach auf erheblich höhere Zahlen kommen, aber so viel steht doch heute schon fest, daß die Stundengeschwindigkeit der Zugvögel über 90 oder höchstens 100 Kilometer kaum jemals hinausgeht, also im Durchschnitt bestenfalls die eines guten Schnellzugs nur ausnahmsweise überschreitet, sehr häufig aber stark hinter ihr zurückbleibt. Man kann sich davon oft vom Fenster des Eisenbahnwagens aus überzeugen, wenn z.B. ziehende Krähen parallel zum dahinbrausenden Schnellzug fliegen: sie werden bald überholt. Auch vom Kraftwagen aus, dessen Geschwindigkeit man ja jederzeit ablesen kann, lassen sich mitunter sehr lehrreiche Beobachtungen über die Schnelligkeit, fast hätte ich gesagt Langsamkeit des Vogelzuges machen. Bei alledem ist freilich fest im Auge zu behalten, daß es sich nur um Flugleistungen eben beim regelrechten Zug handelt, der stundenlang ununterbrochen andauert, denn in Einzelfällen und für kürzere Zeit können die Vögel auch sehr viel höhere Geschwindigkeiten entwickeln, so etwa beim blitzschnellen Stoßen eines Wanderfalken nach seiner Beute.
Wir dürfen uns den Vogelzug und namentlich den Herbstzug keineswegs so vorstellen, als ob die Vögel mit Aufgebot aller Kräfte jählings durch die Lüfte stürmten, um ihr Endziel so rasch wie möglich zu erreichen. Er gleicht vielmehr einem ganz gemütlichen Bummeln, bei dem man sich weder überanstrengt, noch übereilt. Weder wird der Flug bis zur Grenze des Möglichen beschleunigt, noch wird er bis zur Erschöpfung ausgedehnt. Es ist ja für gewöhnlich auch gar kein besonderer Grund zur Eile vorhanden, denn der Aufbruch erfolgte so frühzeitig, daß auf den zahlreichen Raststationen überall noch Futter in Hülle und Fülle vorhanden ist, das gefiederte Völkchen also durch die Ernährungsfrage kaum in Schwierigkeiten geraten kann.
Flugleistungen einiger Zugvögel
Sagt ihm eine Raststation aus irgendwelchen Gründen besonders zu und bietet sie einen recht reichlich und gut gedeckten Tisch, so bleibt es tage- und wochenlang dort, freut sich ungestört seines lustigen Wanderlebens und läßt sich's gut sein, bis endlich die ersten ernstlichen Nachtfröste zur Weiterreise mahnen und ein etwas beschleunigteres Tempo erzwingen. Widrige Winde, Stürme und Nebel verursachen auch unfreiwillige Anstauungen und Ruhepausen, die dann besonders im Frühjahr durch größere Eile einigermaßen wieder ausgeglichen werden müssen. Die Tagwanderer brechen in der Regel gleich nach Sonnenaufgang auf und fliegen bis gegen Mittag, worauf sie an einem geeigneten Platze haltmachen, um den Nachmittag z ur Nahrungssuche und die Nacht zum Ausruhen und Schlafen zu verwenden. Die Nachtwanderer beginnen ihre Reise in der Abenddämmerung und beenden sie beim ersten Morgengrauen, fressen und rasten also umgekehrt am Tage.
Flugleistungen einiger Zugvögel II
Zu jenen gehören z. B. Kraniche, Störche, Gänse, Raubvögel, Finken, Segler, Schwalben und Wachteln, zu diesen Reiher, Eulen, Schnepfen, Erdsänger, Rotschwänzchen, Grasmücken, Drosseln, Rohrsänger, Rallen und Taucher, und im allgemeinen kann man sagen, daß die Tagwanderer geselliger ziehen als die nächtlichen Reisenden. Jeder aufmerksame Jäger weiß ja, daß der Schnepfenzug erst nach dem Aufgang des Abendsterns einsetzt, und daß die Drosseln bei Tagesanbruch hungrig im Dohnenstieg einfallen. Es wird nur sehr wenige Vogelarten geben, die bei der Wanderung länger als 6-8 Stunden in der Luft bleiben, aber viele, die sich die Sache noch bequemer machen und sich, wenigstens im Herbst, mit etwa 4 Stunden täglicher Flugleistung begnügen. So beschränkt sich der Storch, dessen Zugverhältnisse ja besonders gut erforscht sind, auf eine tägliche Durchschnittsleistung von etwa 200 Kilometer, wozu er, wenn wir seine Fluggeschwindigkeit mit nur 50 Kilometer in der Stunde annehmen, höchstens 4 Stunden gebrauchen würde.
Flugleistungen einiger Zugvögel III
Zu seinem ganzen Bummel von Norddeutschland bis Südafrika benötigt er rund 80 Tage. Zweifellos könnte Freund Adebar auch viel schneller reisen, wenn er nur wollte, aber er verspürt gar keine Lust dazu, denn er ist ein bequemer Herr und durchaus kein Freund überflüssiger Anstrengungen, und schließlich schmecken die fetten Frösche am Nil ebenso gut wie die dürren Heuschrecken im Burenlande. Der Frühlingszug spielt sich allerdings bedeutend rascher und hastiger ab als der Herbstzug, denn dann werden die Vögel von der süßen Peitsche des Paarungstriebes unablässig und unwiderstehlich vorwärts getrieben. Der Storch macht dann seinen Rückweg in nur 25 Tagen, muß also täglich mindestens 400-500 Kilometer bewältigen, das Doppelte wie im Herbst.
Schlechte Flieger müssen sich freilich auch schon bei geringen Entfernungen gewaltig anstrengen und kommen deshalb in oft stark erschöpftem Zustande an den jeweiligen Rastplätzen an. An der marokkanischen Küste konnte ich mehrfach die Ankunft großer Wachtelzüge beobachten. Man merkte den Vögeln, die ganz niedrig und mit hastigen Schlägen der kurzen Flügel über das ruhige Meer strichen, die Übermüdung schon von weitem an. Am Strande angelangt, fielen sie wie Steine aus der Luft herunter und blieben eine ganze Weile unbeweglich liegen, eine leichte Beute für die sich bald ansammelnden Araberjungen. Stücke, die ich abbalgte, hatten eine von der Überanstrengung ganz entzündete Brustmuskulatur. Wer dächte da nicht an den biblischen Wachtelregen im Lager der Kinder Israels? Als sich die Vögel endlich von ihrer Betäubung etwas erholt hatten, suchten sie bessere Deckung weiter landeinwärts, aber nur laufend, nicht fliegend. Auch bei ziehenden Wasserhühnern und Tauchern versagen manchmal die überanstrengten Brustmuskeln den Dienst, und die Vögel suchen dann in den sonderbarsten Schlupfwinkeln eine augenblickliche Zuflucht.
Dies bringt uns auf die Frage, ob nicht vielleicht schwache Flieger, die aber hervorragende Läufer oder gute Schwimmer sind, wenigstens einen Teil ihres Reiseweges laufend oder schwimmend zurücklegen. Für hochnordische Entenarten und andere Schwimmvögel, die nur langsam und zögernd vor dem andrängenden Eise gen Süden weichen, ist das Schwimmen wohl ohne weiteres zu bejahen. Erst wenn sie durch allzu ungute Verhältnisse gezwungen werden, die noch offenen Binnengewässer aufzusuchen, nehmen sie in größerem Maßstab zum Flugvermögen ihre Zuflucht und verstreichen dann vielleicht in einem Tag von der deutschen Küste bis zum Boden- oder Züricher See. Ich habe aber zur Zugzeit auf den schlesischen Teichplatten auch Sumpfhühnchen beobachtet, die schnurstracks von einem Teich zum andern liefen und dann über die Wasserblänken in der Zugrichtung eilig davonschwammen, obwohl sie sich doch sonst tagsüber möglichst verborgen halten und eigentlich zu den Nachtwanderern gehören. Es erscheint mir deshalb durchaus nicht ausgeschlossen, daß solche Vögel, namentlich wenn sie es eilig haben und vom Fluge schon etwas übermüdet sind, gelegentlich auch ihre flinken Beine und ihr Schwimmvermögen zu Hilfe nehmen. So ausgezeichnete Beobachter wie die beiden Brehms haben diese Ansicht sehr nachdrücklich vertreten. Natürlich kann es sich dabei immer nur um räumlich geringe Teilstrecken des großen Gesamtweges handeln.
Die »Stationen« des Vogelzuges wurden schon kurz erwähnt, und es ist nötig, auch diesen Begriff einer etwas näheren Betrachtung zu unterziehen. Wir müssen verschiedene Arten von Stationen unterscheiden, nämlich Sammel-, Rast- oder Futter- und Paarungsstationen. Die ersten kennt jeder Spaziergänger, denn wer hätte nicht schon im Hochsommer ganze Perlenschnüre von Schwalben auf dem Telegraphendrahte sitzen sehen oder Massen von ihnen auf den Kirchendächern, von wo aus sie dann Übungsflüge unternehmen, um aber immer wieder zu ihren Sammelplätzen zurückzukehren, bis dann endlich eines schönen Tages die ganze Schar plötzlich verschwunden ist? Ebenso auffallend sind förmliche Wolken von Staren, die sich im Herbst über die Fluren wälzen und dann zum Übernachten im Schilf und Röhricht eines großen Teiches einfallen, auch wenn sie weit danach fliegen müssen. Unendliches Stimmengewirr und Geschwätz ertönt dann an einem solchen Platze, wo ein Starenschwarm nach dem andern aus weiter Umgegend anlangt, erst einige elegante Schwenkungen vollführt, die wie Schwadronsschwenkungen eines wohlgeübten Reiterregiments aussehen, um dann endlich einzufallen, von den schon vorhandenen Kameraden mit lautem Geschrei empfangen. Und noch bis zum völligen Eintritt der Dunkelheit setzt sich dieser Lärm fort, hier und da auch in Zank um die besten Schlafplätze ausartend. Bachstelzen und Rauchschwalben finden sich oft an den gleichen Örtlichkeiten ein, gleichfalls zu großen Massen sich zusammenballend, aber mit den Staren im allgemeinen gute Freundschaft haltend. Oft wachsen die Vogelmassen derart an, daß die Rohrstengel unter der Last umknicken. Die Krähen dagegen sammeln sich an bevorzugten Schlafplätzen auf den Wipfeln hoher Bäume in den stillsten Waldesteilen, und kommen hier gleichfalls truppweise aus der ganzen Umgegend zusammen. – Bekannt sind auch die großen Storchenansammlungen auf feuchten Wiesen, die mit fleißigen Flugübungen verbunden sind und die Anlaß gegeben haben zu dem noch immer von vielen Menschen geglaubten Märchen, daß die Störche bei dieser Gelegenheit auch eine Art Gerichtssitzung abhalten, wobei Schwächlinge, die den strengen Anforderungen des Zuges nicht gewachsen erscheinen, zum Tode verurteilt und von ihren Kameraden durch Schnabelhiebe ins Jenseits befördert werden, damit sie nicht unterwegs dem Ganzen durch Verzögerungen schaden.