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Dreizehntes Kapitel.

Am Brunnenrande. – Das Mittagessen. – Die Weiber.

 

Am folgenden Morgen war ich kaum aufgewacht, so hörte ich schon die Stimme des kleinen Peter. Er kam barhäuptig, barfüßig und mit aufgeschürzten Hemdärmeln an meine Wohnung, nahm die Vergatterung weg und trug mich an einen alten Ziehbrunnen, der von einem ungeheuern Nußbaume beschattet war. Dort setzte er mich auf den Rand der Brüstung.

»Hier, Buntscheckchen, bleib ruhig; ich dachte, es könnte dir angenehm sein, wenn du, während ich mich wasche, ein wenig frische Luft schöpftest.«

Ich blieb auch ganz ruhig, indes er die Kurbel drehte und mit vieler Mühe einen Eimer frischen Wassers heraufwand.

Er begann damit, sich in dem Wasser wie in einem Spiegel zu betrachten, dann spritzte er mich, daß mir die Tropfen wie Perlen über das Gefieder rannen, und endlich machte er es, nur in viel stärkerem Maße, gerade so mit sich selbst. Er rieb sich das Gesicht mit dem frischen Wasser und steckte dann den Kopf in den Eimer; er schüttelte sich hierauf wie ein junger Pudel, dann wusch er seine Hände, und zuletzt goß er das Wasser im Eimer über seine Füße. Damit war er mit seiner Toilette zu Ende; jetzt brauchte er nur noch mich hinter mein Gitterwerk zu setzen, und nachdem er das getan, ging er ins Pfarrhaus.

Die Frische der Luft und des Wassers hatte mir sehr wohlgetan, und nachdem Peter mich verlassen, frühstückte ich mit großem Appetit die Körner und was sonst Kreszenz mir an geeignetem Futter gebracht hatte.

Nach Beendigung meines Frühstückes schlüpfte ich mit leichter Mühe zwischen den Stäben des Holzgitters durch und strich einmal im Hof und Garten herum. Ich hörte die Stimmen der Kreszenz sowie des Fräulein Luise. Ich sah sie auch in der großen Küche, deren Türe offen stand, ab und zu gehen; aber ich hütete mich wohl, ihnen vor die Augen zu kommen. Kurz vor Mittag bemerkte ich den Pfarrer, der in einer buschigen Allee langsam auf und ab ging. Dabei las er in demselben dicken Buche, welches er am Abend vorher in der Hand gehabt hatte. Ich wagte es einmal auf gut Glück, mich ihm anzuschließen, und ging ernst und bedächtig hinter ihm drein.

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Ich ging ernst und bedächtig hinter ihm drein.

Ein- oder zweimal sah er mich erstaunt an, ohne mich indes zu verjagen.

Als die Kirchenglocken den Englischen Gruß läuteten, zog er sein schwarzes Samtkäppchen ab und murmelte mir völlig unverständliche Worte; dann ging er in das Haus zurück. Ich folgte ihm immer und kam mit ihm in ein Zimmer ebener Erde. Auf einem runden Tisch standen zwei einfache Teller, und in der Mitte dampfte eine Suppenschüssel. Der Herr Pfarrer setzte sich, und bald kam auch Peter, der gegenüber seinem Onkel Platz nahm.

Während des Essens wurde viel über mich gesprochen, und dazwischen warfen die beiden mir Brotkrumen zu, die ich gewandt auffing.

»Hast du diesem kleinen Buntscheckchen die Freiheit gelassen, Peter?« fragte der Pfarrer.

»Nein, Onkel; ich habe es heute morgen auf die Brunnenbrüstung gesetzt, damit es ein wenig frische Lust schöpfen könne; dann habe ich es aber wieder in den Kasten zurückgebracht. Wo hast du es denn gefunden?«

»Im Garten.«

»Da wird aber Tante Luise sich sehr ärger».«

»Sie hätte gar keinen Grund dazu! Das Tierchen hat nicht den mindesten Unfug angerichtet; es ging bedächtig in der Allee hinter mir her, ohne irgend etwas zu tun, was sonst seine Art zu einer Plage der Gärten macht.«

»Ach, Onkel, es ist so artig, wir müssen es vor dem Bratspieße retten! Willst du?«

»Mir wäre es schon recht, aber wir müssen bedächtig zu Werke gehen. Kreszenz läßt sich nicht gern ihre Braten nehmen. Da ist sie; daß dich das Mäuschen beiße! Wenn sie Buntscheckchen sieht, werden wir alle beide ausgescholten.«

Die alte Magd trat ein mit einem irdenen Krug in der Hand.

»Du läßt mich ja verdursten, Kreszenz«, sagte der gute Pfarrer lächelnd.

»Ach, Herr Pfarrer, ist's möglich? Aber warum hat mich denn Peter nicht gerufen? ... Nun, was macht denn das Huhn da?«

»Es speist mit uns zu Mittag.«

Kreszenz drohte Peter mit dem Finger.

»Peterchen, du hast gewiß das Gitter weggezogen.«

»Ich habe gar nichts weggezogen; es ist ja so klein, daß es wohl durch das Gitterwerk durchgeschlüpft sein mag.«

»Das ist wahr. Es ist nicht einmal so dick wie eine Faust, und ich fürchte, wir haben einen schlechten Kauf gemacht.«

»Ich finde ihn ganz gut, Kreszenz, und Peter auch.«

»Ach der, der ist um so glücklicher, je mehr Vieh wir haben. Ginge es nach ihm, so würde er alle Tiere ernähren, die Gott erschaffen.«

»Und du willst doch nicht, daß mein Pfarrhaus zur Arche werde?«

»Nein; wenn einmal ein Vieh so weit ist, soll man sich seiner bedienen.«

»Ja, Kreszenz, du hast fürs Umbringen eine wahre Leidenschaft. Aber warum machst du denn die Türe zu und jagst das arme Buntscheckchen im Zimmer herum?«

»Weil ich es wieder dahin tun will, wohin es gehört, Herr Pfarrer«, sagte Kreszenz, indem sie mit geschwungener Schürze mir nachlief. Ich war aber so flink, daß sie mich nicht erhaschen konnte.

»Warte, du brauchst es nicht so zu erschrecken, ich werde es selbst zurückführen. Sieh einmal zu: ich rufe es ganz einfach bei seinem Namen, und es folgt mir.«

»Ja, Herr Pfarrer, wenn es nicht neben hinaus in die Felder geht.«

»Nein, sag' ich dir; mache einmal die Türe auf, Peter. Komm, Buntscheckchen, komm, komm!«

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Er ging hinaus, und ich folgte ihm, so hurtig ich konnte.

Er ging hinaus, und ich folgte ihm, so hurtig ich konnte; Peter, Kreszenz und Tante Luise, die ebenfalls herbeieilte, um zu sehen, wohin wir gingen, kamen hinter uns drein; alle lachten, als sie mich so hastig hinter dem Pfarrer dreinhüpfen sahen, wobei ich ihn in der mir eigentümlichen Weise anblickte.

Als wir bis zum Ziehbrunnen gekommen waren, wollte ich den Leuten eine Probe meiner Fügsamkeit und meiner geistigen Fähigkeiten geben. Ich flog plötzlich bis zu dem Kasten, der mir als Wohnung diente, schlüpfte durch das Gitterwerk durch und schaute sie nun von innen heraus an.

Alle lachten noch viel herzlicher als vorher, und Kreszenz schlug vor Erstaunen die Hände über dem Kopf zusammen. Die beiden Frauen kehrten hierauf wieder in das Haus zurück. Der Pfarrer aber ging mit Peter bis dicht vor mein Gitter.

»Soll ich ihm die Freiheit geben, Onkel?« fragte Peter hastig.

»Durchaus nicht; wenn es frei sein will, schlüpft es so wie so durch das Gitterwerk. Aber je weniger wir uns um das Hühnchen bekümmern, um so besser wird das für es sein wegen der Weiber.«

»Wenn sie Buntscheckchen aber umbringen?«

»Umbringen?« sagte der Pfarrer lächelnd, den Kopf hin und her wiegend; »lerne du mich meine eigene Schwester kennen! In acht Tagen hüpft es in der Küche herum und frißt nur noch Milchbrötchen, welche ihm Tante Luise zuvor in Rahm eingeweicht hat.«

Damit ging er lächelnd fort, und ich blickte wiederum hoffnungsvoll in eine rosige Zukunft.

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