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Ich werde trübsinnig. – Man erweist mir die Ehre, mich den Bruthennen zuzuteilen. – Schreckliche Entdeckung. – Ich werde krank.
Alle Tage sagte ich mir, daß ich in Burbach das herrlichste Leben von der Welt hätte führen können. Auch der schönste Käfig ist ein Gefängnis, und die Spaziergänge am Rande des Baches, die Ruheplätze im Sonnenschein auf den glänzenden Strohhäusern des Pachthofes, das freudige Geschwätz mit meinen Gefährten, die freie Bewegung auf dem Hofe und den daranstoßenden Wiesen gewährten mir alle Süßigkeiten der Freiheit; aber ich sah Kamilla viel seltener, ich lebte nicht mehr mit ihr in der reizenden Vertraulichkeit wie früher, und ihre Stelle sollte die rohe Trine ersetzen, welche mit jedem Worte, mit jeder Gebärde mein Zartgefühl aufs tiefste verletzte.
Ich fand es unklug, daß die Pächterin ihre kleinen Kinder dieses urwüchsige Weib besuchen ließ. Ich hörte, wie dieselben dessen rohe Worte wiederholten, und ich hätte sie mit Schnabelhieben vom Hofe treiben mögen. Diese Trine ist schuld daran, wenn im tiefsten Grunde meines Herzens der Drang der Empörung erwacht ist, von dem ich seither nichts gefühlt; Empörung und Friede aber sind zwei Dinge, welche unmöglich in derselben Brust zusammenwohnen können.
Es begann für mich ein rauhes Leben; in der Gesellschaft dieser Trine blieb ich stets nur so lange, als ich nicht fort konnte. Sobald ich irgendwo durchzuschlüpfen vermochte, war ich fort, und manchmal kam ich dann den ganzen Tag nicht wieder auf den Hof. Ich gewöhnte mich an dieses Herumstreicherleben, und wenn ich auch auf dem Hofe ein viel besseres Futter gefunden hätte, so wollte ich mich doch lieber von den zerstreuten Samenkörnern nähren, die ich da und dort fand, als beständig diese Trine um mich haben. Fett wurde ich bei dieser Lebensweise nicht; das gewohnte Futter mangelte mir, und ich magerte sichtlich ab, mein Kamm verlor seine grelle Farbe, meine Federn hatten nicht mehr den Glanz und die Weichheit, welche mir früher einen vornehmen Anstrich gegeben, und wenn ich manchmal im benachbarten Teiche mein Bild betrachtete, erschrak ich über mein wildes, struppiges Aussehen.
Kamilla und Sansibar konnten die Ursache dieser Umwandlung nicht begreifen; wenn indes der alte Neger mich an der Türschwelle der Küche erblickte, so nahm er mich in die eine Hand und in die andere ein recht appetitliches Futter, das ich dann glucksend verzehrte.
Kamilla ihrerseits hörte nicht auf, mich dieser entsetzlichen Trine zu empfehlen; diese antwortete ihr beständig, daß ich für ein so kleines Hühnchen erstaunlich viel fresse. Sie hatte nämlich auch die abscheuliche Gewohnheit, zu lügen, und das gab ihr in meinen Augen den Rest.
Eines Tages begegnete mir Kamilla, als ich gerade von einem meiner gewöhnlichen Streifzüge heimkam, und sie betrachtete mich mit besorgter Miene. Sie rief Trine, und da sie erfahren, daß sie eben den Bruthennen ihr Futter gebe, lief Kamilla dorthin. Ich folgte ihr so nahe, daß ich gleichzeitig mit ihr in den Raum, wo die Bruthennen saßen, eintrat. »Trine«, sagte sie meiner Feindin, welche mit ihren kräftigen, geröteten Armen einen Teig von Kleie knetete, »findest du nicht, daß Buntscheckchen recht trübselig dreinschaut? Es kommt mir gegen früher ganz anders vor!«
»Nein, Fräulein, wenn's an das Futter geht, ist das Huhn ganz munter; da ist es immer in der vordersten Reihe, um die besten Körner wegzuschnappen.«
Auf diese lügnerische Behauptung hin konnte ich nur mit einem verächtlichen Glucksen antworten. Kamilla neigte sich zu mir und nahm mich in ihre Arme.
»Ach, wie mager!« sagte sie, »wie mager! Es muß irgend etwas haben; Trine, ich sage dir, es hat etwas!«
»Ja, es hat einen ganz eigensinnigen Kopf.«
»Es will vielleicht brüten«, rief Kamilla, als sie den teilnehmenden Blick bemerkte, womit ich die längs der Mauer sitzenden Hennen betrachtete. Ich hob heftig meinen Kopf zum Zeichen meiner Zustimmung. Ich war mir darüber freilich seither nicht ganz klar, aber ich hatte in der letzten Zeit häufig einen inneren Drang gespürt, mich unter die Bruthennen zu mischen.
»Ach, Fräulein, was denken Sie?« rief Trine, die Hände an ihrer Schürze abtrocknend, »es bringt ja keine drei Eier unter seine Flügel.«
»Was liegt mir daran, wieviel Eier es ausbrütet, Trine. Wenn Buntscheckchen brüten will, dann soll man es brüten lassen.«
»Ich habe aber nur noch einen Platz für die schöne paduanische Henne!«
»Setze diese anderswohin.«
»Ihr Buntscheckchen wird sich gar nicht darum kümmern, und es nimmt dann ganz unnützerweise der paduanischen Henne den Platz weg.«
»Das wollen wir sehen! Sei so gut und lege einmal einige Eier dahin.«
Trine holte mit sehr übellaunigem Gesicht einige Eier und legte sie in das Strohnest, worauf dann Kamilla mich laufen ließ. Ich flog sofort zum Neste, kauerte mich auf die Eier, über welche ich meine Flügel ausbreitete, und stieß einige Freudenschreie aus.
Kamilla lachte über diese Freudensausbrüche, aber Trine machte ein sehr ärgerliches Gesicht. Sie hatte dieses Plätzchen einer Lieblingshenne vorbehalten, und es ärgerte sie, daß ich dasselbe bekommen sollte.
»Hier soll Buntscheckchen bleiben«, sagte Kamilla in bestimmtem Tone; »ich will es, es ist da zwischen dem Perlhuhn und meiner alten, schwarzen Henne ganz gut aufgehoben; das sind gute Tiere.«
»Aber, Fräulein, ich kann ihm ja höchstens sechs Eier unterlegen!«
»Das ist vielleicht schon zuviel für das kleine Ding; aber, wie gesagt, mir ist's einerlei, wieviel es ausbrütet.«
Kamilla ging weg, und als Trine sich wieder zu mir wendete, gab sie mir vor allem einen Fußtritt, daß ich zehn Schritte weit aus dem Neste flog.
»So sind doch alle Herrschaften«, brummte sie für sich; »es soll immer alles geschehen, wie sie wollen; das Fräulein nimmt wahrhaftig mehr Rücksichten auf dieses Tier als auf mich. Du willst also brüten; nun warte, warte, ich will dir dazu die Eier unterlegen!«
Sie sagte das in einem so boshaften Tone, daß mir unwillkürlich der Gedanke kam, sie wolle mir damit irgend einen Streich spielen. Ich erwog, ob es nicht besser sei, mich zu Kamilla zu retten; aber mein natürlicher Trieb überwand die Furcht.
Trine verschwand und kam bald mit acht schönen, grünlichen Eiern wieder, welche offenbar für mich viel zu groß waren. Ich dachte, das wäre der Streich, den sie mir spielen wollte; und in der Tat, kaum hatte sie mich mit roher Hand auf die Eier gestoßen, als ich sah, daß die Sache in der Weise unmöglich war. Ich mochte meine Flügel noch so breit machen, ich brachte nicht alle Eier unter. Darüber kam ich nun nicht aus der Fassung; ich wartete bis zum Abend, wo ich keine Überraschung mehr zu befürchten hatte, und warf dann zwei Eier aus dem Neste hinaus, die ich unter das Stroh versteckte. Die übrigen schob ich mir nach Wunsch zurecht und konnte sie nun leicht mit meinen Flügeln bedecken.
Ich kann es nicht verhehlen, die ersten Tage wurden mir bei diesem strengen Leben recht schwer. Ich war gewöhnt, unabhängig umherzuschweifen, und sehnte mich nach Licht und Sonne; aber jetzt war ich gefangen und an das Nest gebannt; die Sonne sah ich nur auf eine Viertelstunde täglich, wenn sie durch das Dachfenster hereinschien. Mehr als einmal trat mir die Versuchung nahe, Eier und Nest im Stiche zu lassen; aber ich weiß nicht, wie das kam, mit unwiderstehlicher Gewalt zog es mich hin, und um meinen Posten nicht zu verlassen, ertrug ich schließlich lieber alles, selbst den Haß der rohen Magd, die regelmäßig die besten Bissen ihren Lieblingshennen hinwarf, während ich die Abfälle bekam und häufig ganz vergessen wurde. Im letzteren Falle machte ich einen eiligen Lauf nach außen, schnäbelte zusammen, was ich auf dem Wege fand, und löschte an dem kleinen, zum Waschen bestimmten Trog meinen Durst.
Kamilla und Sansibar besuchten mich oft und bewunderten dann laut meinen Ernst und meine Hingebung.
So vergingen lange Wochen; die Hennen, welche neben mir saßen, hatten eine nach der andern, umgeben von einer reizenden Schar Küchlein, die Einfriedigung verlassen. Ich war die letzte und wartete mit wachsender Neugier auf das Ausschlüpfen derjenigen, die ich mit so viel Geduld und Ausdauer ausgebrütet hatte.
Endlich, eines Abends machte ein eigentümliches Geräusch mich erbeben; ich hörte leise Stöße mit dem Schnabel gegen die Eierschale, aber sie waren noch zu schwach, um dieselbe zu zerbrechen. Ich blieb regungslos. Auf einmal fühlte ich, daß das Stroh sich bewegte. Die Nacht kam; aber ich konnte nun nicht länger dem Vergnügen widerstehen, mein Küchlein zu betrachten, und ich rückte leise ein wenig auf die Seite. Was sah ich? Ein kleines, lächerliches Ding mit einem großen, platten, gelben Schnabel; nichts von einem Hühnchen war an diesem kleinen Ungeheuer, das kräftig schnatterte.
Ich machte die Augen groß auf und fragte mich ernstlich, ob ich mich nicht täusche; aber es war keine Zeit zum Überlegen. Ich fürchtete, die andern der Luft auszusetzen und so ihrem Ausschlüpfen zu schaden. Ich nahm daher rasch meine frühere Stelle wieder ein. Meine getäuschte Hoffnung hielt mich die ganze Nacht hindurch wach; ich wollte mich überreden, daß ich nicht gut gesehen; ich wünschte einzuschlafen, um diesen lästigen Gedanken los zu werden, aber die Verzweiflung verscheuchte jeden Schlummer. Endlich dämmerte der Tag durch das Dachfenster, und ich sprang aus dem Neste. Dasselbe war voll leerer Eierschalen, und es saßen sechs sehr muntere und lebendige Küchlein darin; aber ach! sie waren alle ebenso häßlich wie das erste.
In meinem Leben war ich nicht so erstaunt wie damals. Ich brüstete mich natürlich nicht mit dieser sonderbaren Familie, sondern blieb den ganzen Tag über in dem besondern Raume für die Bruthennen und betrachtete mit wahrer Bestürzung die kleinen Scheusale. Neugierig fragte ich mich, welcher Rasse denn eigentlich dieselben angehören möchten und durch welche Bosheit ich eine so häßliche Nachkommenschaft erzielt hatte.
Allerdings besaßen sie die den Küchlein eigentümliche Lebhaftigkeit: der Flaum, der sie bedeckte, war weich und glänzend; sie hatten auch ganz liebe Augen. Aber welcher Schnabel! Welch eigentümliche Füße! Und welch watschelnder Gang!
Als Trine mich so dasitzen sah, wie ich nachdenklich die Jungen betrachtete, brach sie in ein unbändiges Gelächter aus, das mir heute noch in den Ohren gellt. Dieses Lachen tat mir wehe, und ich rührte den Kleienteig nicht an, den sie für mich hinstellte; aber kaum war sie fort, so rief ich den Küchlein und scharrte vor ihnen die fette Nahrung auseinander; sie aßen mit gesundem Appetit, aber ihre Art zu essen, ärgerte und verletzte mich; es war nicht die elegante Weise unseres Geschlechtes; sie ergriffen nicht leicht ein Stückchen mit dem Schnabel, nein, sie steckten schnatternd den ganzen Schnabel in den Teig und wühlten darin herum, daß das Zeug über ihre Brust und ihre breiten gelben Füße spritzte.
Ich war zu eitel, um diese Tiere an das Tageslicht zu führen. Ich blieb einige Tage in dem Schuppen, wo sie munter ihre Mahlzeiten zu sich nahmen. Ihre plumpe Entwicklung verminderte indes meine Hingebung nicht; ich fühlte mich bis in die Klauenspitzen hinein Mutter, und allmählich gewöhnte ich mich auch an ihr eigentümliches Aussehen; ja, ich liebte sie, und meine Liebe nahm so zu, daß ich, als Trine mich roh hinausstieß, meine Kleinen, ohne mich zu schämen, mitten unter die Hühner führte, von welchen der Hof wimmelte. Der Morgen ging gut vorüber, wir waren bei der allgemeinen Fütterung, und später führte ich meine lieben Häßlichen in der Richtung fort, wohin Trine uns trieb, ohne daß ich den Grund davon ahnte. Ach, ich sollte es nur zu bald erfahren! Kaum hatten wir die Schwelle des Hofes überschritten, als meine Küchlein, die seither unbekümmert herumgewackelt waren, auf einmal von einem eigentümlichen Feuer ergriffen wurden. Sie liefen vorwärts und stießen dabei ein heiseres Geschrei aus, welches mit dem freudigen Piepen junger Hühner nicht das geringste gemein hatte.
Vergebens rief ich sie mit lauter Stimme zurück, und wie groß war erst mein Schrecken, als ich sie, jung und unerfahren, wie sie waren, auf die Tränkestelle zustürzen und ins Wasser gehen sah! Was ich empfand, als ich dieselben auf dem verräterischen Elemente treiben sah, vor welchem mein Instinkt mich schaudern ließ, läßt sich nicht beschreiben. Arme Kleinen! Ich begriff, wie gern ich sie hatte. Mit emporgesträubtem Gefieder rannte ich um die Tränkestelle herum, rief sie mit der zärtlichsten Stimme und sandte die gebieterischsten Befehle ihnen zu. Umsonst, sie hörten mich nicht! Munter schnatternd schwammen sie herum, man sah ihnen an, wie wohlig es ihnen war; sie befanden sich in ihrem Elemente, – ach, ich hatte Enten ausgebrütet!
Trine wollte vor Lachen bersten, als sie mich wie wahnsinnig um die Tränke rennen sah; sie hatte mir diesen boshaften Streich gespielt, und ihre Rache hatte nur zu genau ihr Ziel erreicht.
Nie gewöhnte ich mich an die Wasserausflüge meiner armen Küchlein; ich konnte sie nicht einmal ruhig aus dem Wasser schwimmen sehen, und doch mußte ich das täglich aushalten. Das war für mich sehr hart, und ich trug eine Art nervösen Zuckens in den Füßen davon, so oft es stark regnete; ja es kam schon, wenn ich nur eine Wasserfläche sah.