Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil V
Henry Fielding

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.

In welchem den armen Jones mancherlei Unglück betrifft.

So standen die Sachen als Mamsell Honour in dem Hause der Mad. Miller erschien und Jones, wie wir früher gesehen haben, aus der Gesellschaft herausrufen ließ. Als sie mit ihm allein war, begann sie:

90 »Ach, mein werther Herr! Wie soll ich den Muth finden, Ihnen Alles zu sagen? Sie sind verloren und mein armes Fräulein ist verloren und ich bin verloren!«

»Ist Sophien etwas zugestoßen?« fragte Jones in größter Angst.

»Alles, was schlecht ist«, entgegnete Honour. »Ach, eine solche Herrschaft finde ich nicht wieder! Ach, daß ich das erleben mußte!« Bei diesen Worten ward Jones leichenblaß, zitterte und stammelte, Mamsell Honour aber fuhr fort: »ach, Herr Jones, ich habe mein Fräulein für immer verloren!«

»Wie! Was? Um des Himmels willen reden Sie! Ach, meine theure Sophie!«

»So können Sie sie mit Recht nennen. Ich werde nie wieder einen solchen Dienst finden.«

»Zum Teufel mit Ihrem Dienst!« rief Jones; »wo ist meine Sophie? Was ist aus ihr geworden?«

»Ja freilich«, jammerte sie, » Dienstleute schickt man zum Teufel. Was aus ihnen wird, kümmert Niemanden. Sie sind ja nicht von Fleisch und Blut wie andere Leute. Nein, es kommt gar nicht darauf an, was aus ihnen wird.«

»Wenn Sie irgend Mitleiden fühlen«, fiel Jones ein, »so sagen Sie mir auf der Stelle, was Sophien begegnet ist.«

»Ich habe vielleicht mehr Mitleiden mit Ihnen als Sie mit mir«, antwortete Honour; »ich wünsche Sie nicht zum Teufel, weil Sie das liebenswürdigste Mädchen von der Welt verloren haben. Sie verdienen gewiß bemitleidet zu werden, aber ich verdiene es auch, denn wirklich, wenn es eine gute Herrschaft gab . . .«

»Was aber ist geschehen?« rief Jones der Verzweiflung nahe.

91 »Was? was?« antwortete Honour; »das Schlimmste, was geschehen konnte, für Sie und für mich. Ihr Vater ist in die Stadt gekommen und hat sie uns Beiden entrissen.«

Jones sank auf seine Knie und dankte Gott, daß es nichts Schlimmeres sei.

»Nichts Schlimmeres?« wiederholte Honour, »und konnte uns etwas Schlimmeres begegnen? Er nahm sie mit sich und schwur, sie solle den Herrn Blifil heirathen; das ist Ihr Theil; mich Arme jagte er aus dem Dienste.«

»Sie erschreckten mich, Honour«, antwortete Jones; »ich fürchtete, es sei Sophien irgend ein gräßliches Unglück begegnet, gegen welches selbst das, sie mit Blifil verheirathet zu sehen, eine Kleinigkeit wäre; da sie aber noch lebt, so giebt es auch noch Hoffnung, liebe Honour. Man kann in unserm freien Vaterlande die Mädchen nicht mit Gewalt zu einer Heirath zwingen.«

»Das ist wohl wahr und Sie mögen vielleicht noch hoffen dürfen, aber welche Hoffnung bleibt mir Armen? Und das werden Sie wohl einsehen, daß ich alles dies nur um Ihretwillen leide. Der Squire war nur deshalb erzürnt gegen mich, weil ich Ihre Partie nahm gegen Blifil.«

»Ich erkenne meine Verpflichtungen gegen Sie, Honour«, antwortete Jones, » und werde alles aufbieten, um Sie zu entschädigen.«

»Ach, guter Herr, was kann ein Dienstmädchen für den Verlust eines Dienstes entschädigen als ein andrer ebenso guter?«

»Verzweifeln Sie nicht, Honour, ich hoffe, Sie wieder in Ihren frühern zurückzubringen.«

»Ach!« entgegnete sie, » wie kann ich mir mit solchen Hoffnungen schmeicheln, da ich weiß, daß es unmöglich ist? 92 Der Squire ist so aufgebracht gegen mich, und doch, wenn Sie mein Fräulein noch bekommen sollten, und ich hoffe, Sie werden sie bekommen, denn Sie sind ein edeler guter Mann und Sie lieben das Fräulein gewiß, wie das Fräulein Sie von ganzem Herzen liebt, das kann man nicht leugnen, weil es Jedermann sehen muß, der das Fräulein nur einigermaßen kennt, denn sie kann sich nicht verstellen, und wenn zwei Menschen nicht glücklich sind, die einander lieben, wer soll es sonst sein? Das Glück hängt nicht immer davon ab, was die Leute haben und übrigens hat mein Fräulein genug für zwei. Man kann also sagen, es wäre jammerschade, wenn man zwei solche Liebende auseinanderreißen wollte, und ich glaube auch, Sie werden einander am Ende noch bekommen, denn was sein soll, kann Niemand ändern. Wenn eine Heirath im Himmel beschlossen ist, können sie alle Friedensrichter auf Erden nicht verhindern. Wenn nur der Pfarrer Supple mehr Herz hätte, um dem Squire vorzustellen, wie schlecht es ist, seine Tochter gegen ihren Willen zu zwingen; aber er hängt freilich ganz von dem Squire ab und so wagt er dem Alten nicht alles gerade herauszusagen, wenn er gleich ein recht frommer Mann ist und über das Unrecht des Squire stark sich ausdrückt. So herzhaft habe ich ihn noch nie gesehen als bei dieser Gelegenheit; ich dachte wirklich, der Squire würde ihn prügeln. Aber Sie dürfen nicht traurig sein, Herr Jones, Sie dürfen nicht verzweifeln; es kann alles besser werden so lange Sie des Fräuleins sicher sind, und das sind Sie gewiß, denn man wird sie niemals bewegen, daß sie ihre Einwilligung zur Heirath mit einem Andern giebt. Ich fürchte freilich sehr, der Squire thut ihr in seinem Zorn ein Leids an, denn er ist ein grausam hitziger Mann und ich fürchte auch, das arme Fräulein wird sich zu Tode grämen, denn sie ist so zart 93 wie ein Täubchen; es ist jammerschade, daß sie nicht etwas von meiner Courage hat. Wenn ich einen jungen Herrn liebte und mein Vater wollte mich einsperren, so kratzte ich ihm bei der ersten Gelegenheit die Augen aus; aber freilich hier ist ein großes Vermögen dabei, das ihr Vater ihr geben kann oder nicht, wie er will; das macht allerdings einen Unterschied.«

Ob Jones auf die ganze vorstehende Rede zu aufmerksam achtete, oder ob er keine Gelegenheit dazu fand, weiß ich nicht, soviel aber ist gewiß, daß er nicht einmal zu antworten versuchte, auch hielt Honour nicht eher inne bis Partridge in das Zimmer stürzte und meldete, die vornehme Dame sei auf der Treppe.

Nichts läßt sich mit dem Dilemma vergleichen, in welchem sich Jones jetzt befand. Honour wußte nichts von einer Bekanntschaft zwischen ihm und Lady Bellaston und war auch die Person, die er am allerwenigsten davon unterrichten mochte. In der Angst und Eile schlug er (wie das gewöhnlich geschieht) das verkehrte Verfahren ein und statt sie von der Dame sehen zu lassen, was von keiner Bedeutung gewesen sein würde, entschloß er sich, Honour zu verstecken. Er hatte gerade noch soviel Zeit, sie hinter das Bett zu führen und die Gardine zuzuziehen.

Die Thätigkeit für seine arme Wirthin und deren Familie, die Jones den ganzen Tag über gezeigt hatte, der Schrecken, in welchen ihn Honour versetzt hatte und die Verlegenheit, in die ihn die unerwartete Ankunft der Lady Bellaston brachte, hatten frühere Gedanken ganz aus seinem Kopfe entfernt, so daß es ihm nicht im mindesten einfiel, den Kranken zu spielen. Auch würde ihn, hätte er es versucht, sein Anzug und sein Aussehen Lügen gestraft haben.

Er empfing deshalb die Lady mehr wie sie es wünschte 94 als erwartete, mit aller guten Laune, deren er für den Augenblick fähig war und ohne einen Schein von irgend einer Krankheit.

Sobald die Lady Bellaston in das Zimmer gekommen war, setzte sie sich auf das Bett und sagte: »Sie sehen, mein lieber Jones, daß mich nichts länger von Ihnen fern halten kann. Ich sollte Ihnen vielleicht zürnen, daß ich den ganzen Tag über von Ihnen nichts gesehen und gehört habe, denn, wie ich bemerke, würde Sie Ihre Krankheit an dem Ausgehen nicht gehindert haben; ja Sie scheinen den ganzen Tag in Ihrem Zimmer gesessen zu haben, geputzt wie eine vornehme Dame, die nach der Niederkunft Besuche erwartet, doch glauben Sie nicht, daß ich schelten will, denn ich werde Ihnen nie die Entschuldigung für das kalte Benehmen eines Ehemannes dadurch an die Hand geben, daß ich mich wie eine Frau übellaunig zeige.«

»Ja, Lady Bellaston,« entgegnete Jones, »ich bin überzeugt, daß Sie mir nicht eine Pflichtverletzung vorhalten werden, da ich blos auf Ihre Befehle wartete. Wer hat wohl, Theure, Ursache zur Klage? Wer blieb bei der verabredeten Zusammenkunft gestern Abend aus und ließ einen Unglücklichen warten und wünschen, seufzen und schmachten?«

»Erwähnen Sie dies nicht, mein lieber Jones«, erwiederte sie. »Wenn Sie die Ursache kennten, würden Sie mich bemitleiden. Sie können nicht begreifen, was Frauen von Stande durch die Impertinenz von Narren leiden müssen, um die Posse der Welt im Gange zu erhalten. Ich freue mich indeß, daß Ihnen das Seufzen und Schmachten keinen Schaden gebracht hat, denn Sie sahen wirklich niemals hübscher aus als jetzt. Wahrhaftig, Jones, Sie könnten in diesem Augenblicke zu einem Bilde des Adonis sitzen.«

95 Es giebt gewisse herausfordernde Worte, auf die geziemender Weise nur mit Degen geantwortet werden kann. Unter Liebenden giebt es dagegen Ausdrücke, auf die sich nur durch einen Kuß antworten läßt. Das Compliment, welches Lady Bellaston jetzt unserm Jones machte, scheint zu dieser Art zu gehören, besonders da es von einem Blicke begleitet war, in welchen die Dame größere Zärtlichkeit legte, als sich durch Worte ausdrücken ließ.

Jones befand sich in diesem Augenblicke sicherlich in einer der denkbar unangenehmsten Lagen, denn, um in dem oben gebrauchten Vergleiche zu bleiben, obgleich die Dame die Ausforderung gethan hatte, so konnte doch Jones weder die Genugthuung erhalten noch selbst verlangen in Gegenwart einer dritten Person, da Secundanten bei solchen »Zweikämpfen« gegen den Comment sind. Da dieses Hinderniß der Lady Bellaston nicht in den Sinn kam, die von der Anwesenheit eines andern Frauenzimmers nichts wußte, so wartete sie eine Zeit lang sehr verwundert auf eine Antwort von Jones, der sich der lächerlichen Figur, welche er spielte, wohl bewußt war, in der Entfernung blieb und gar keine Antwort gab, weil er nicht wagte, die passende Antwort zu geben. Man kann sich nichts Komischeres und zugleich Tragischeres denken als diese Scene, wenn sie länger gedauert hätte. Die Dame hatte bereits ein Paarmal die Farbe gewechselt, war von dem Bette aufgestanden und hatte sich wieder gesetzt, während Jones wünschte, der Boden möchte unter ihm einsinken oder das Haus über ihm zusammenbrechen. Endlich befreite ihn ein seltsamer Zufall aus einer Verlegenheit, aus der ihn ohne Schimpf weder die Beredsamkeit Ciceros noch die Politik Macchiavels würde haben erlösen können.

Dieser Zufall war die Ankunft des jungen Nightingale in dem Zustande völliger Betrunkenheit, welcher den 96 Menschen den Gebrauch ihrer Vernunft, nicht aber den Gebrauch ihrer Glieder benimmt.

Mad. Miller und deren Tochter schliefen, Partridge rauchte seine Pfeife in der Küche, so daß Nightingale ohne Aufenthalt an die Thüre unsres Jones gelangte. Diese riß er mit Gewalt auf und er trat sodann ohne Umstände ein; Jones aber sprang von seinem Stuhle auf, eilte ihm entgegen und brachte ihn glücklich heraus, ehe er so weit hereingetreten war, um sehen zu können, wer auf dem Bette saß.

Nightingale hatte sich wirklich nur in der Thüre geirrt und verlangte nach seinem Bette. Jones übergab ihn endlich an Partridge, der bei dem Geräusch herbeikam.

Ungern kehrte Jones jetzt in sein Zimmer zurück, wo er gleich beim Eintreten Lady Bellaston, wenn auch nicht sehr laut, aufschreien hörte und in gewaltiger Aufregung nach einem Stuhle eilen sah.

Geängstiget durch den Kampf zwischen beiden Männern, dessen Ausgang sie nicht vorher sehen konnte, wollte die Lady sich in das ihr wohlbekannte Versteck flüchten, wo sie zu ihrem größten Schrecken schon ein andres Frauenzimmer fand.

»Ist dies ein Betragen, das man ertragen kann, Herr Jones?« rief sie. »Abscheulichster der Männer! Welchem Mensch haben Sie mich blosgestellt?«

»Ein Mensch!« rief Honour, die wüthend aus ihrem Versteck hervorkam. »Ein Mensch! Man höre; ich bin ein ehrliches Mädchen und das ist mehr, als manche Leute sich rühmen können, die reicher sind.«

Statt den Unwillen Honours über sich allein ergehen zu lassen, wie es ein erfahrenerer Mann gethan haben würde, verwünschte Jones sein Geschick und beklagte sich als den unglücklichsten Sterblichen, worauf er gegen Lady Bellaston sehr ungeschickt seine Unschuld vertheidigte. 97 Die Dame, welche bis dahin sich völlig wieder gesammelt hatte, was die Frauen, besonders bei solchen Gelegenheiten, sehr bald können, antwortete ganz ruhig: »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, ich sehe jetzt, wer die Person ist, ich erkannte die Mamsell Honour nicht sogleich. Ich bin überzeugt, daß zwischen ihr und Ihnen nichts Unrechtes geschehen ist und halte mich auch überzeugt, daß sie meinem Besuche bei Ihnen keinen falschen Beweggrund unterlegen wird. Ich bin immer freundlich gegen sie gesinnt gewesen und vielleicht steht es in meiner Macht, dies in Zukunft noch mehr zu bethätigen.«

Mamsell Honour ließ sich so leicht besänftigen als sie in Zorn gerieth. Als sie sah, daß Lady Bellaston milder sprach, so zog auch sie gelindere Saiten auf: »ich bin immer bereit gewesen«, sagte sie, »die freundliche Gesinnung der Lady gegen mich anzuerkennen. Da ich sehe, daß ich mit Ihnen spreche, würde ich mir lieber die Zunge abbeißen, als etwas Uebeles sagen. Ich Ihnen einen falschen Beweggrund unterlegen! Es schickt sich für eine dienende Person nicht, wie ich es bin, über das Benehmen einer vornehmen Dame nachzudenken, – ich meine, ich war eine dienende Person, denn jetzt habe ich leider Niemanden mehr zu bedienen, da ich die beste Gebieterin verloren.« Sie hielt es für passend, hierüber einen Strom von Thränen zu vergießen. »Weine nicht, Kind«, sagte die gute Dame, »es lassen sich vielleicht Mittel und Wege finden, Dir zu helfen. Komm morgen früh zu mir.« Sie hob darauf ihren Fächer auf, der an die Erde gefallen war und schritt, ohne Jones nur anzusehen, majestätisch aus dem Zimmer hinaus.

Jones folgte ihr die Treppe hinunter und bot ihr öfters die Hand, die sie ihm aber hartnäckig verweigerte. Endlich 98 stieg sie in ihren Tragsessel, ohne Notiz von ihm zu nehmen, während er sich verbeugend vor ihr stand.

Oben in seinem Zimmer fand noch ein Gespräch zwischen ihm und Mamsell Honour statt, während diese ihren Anzug wieder in Ordnung brachte. Der Gegenstand dieses Gesprächs war seine Untreue gegen ihre junge Gebieterin, über die sie sich mit großer Bitterkeit ausließ; Jones fand indeß Mittel, sie wieder zu versöhnen, ja ein Versprechen unverbrüchlichen Schweigens von ihr zu erlangen. Auch machte sie sich verbindlich, den nächsten Morgen einen Versuch zu machen, Sophien ausfindig zu machen und ihm weitern Bericht abzustatten.

So endete dieses unglückliche Abenteuer nur zur Zufriedenheit der Mamsell Honour, denn ein Geheimniß (wie einige meiner Leser vielleicht aus Erfahrung wissen werden) ist oft ein sehr werthvoller Besitz, nicht blos für die, welche dasselbe treu bewahren, sondern bisweilen auch für solche, die so lange davon flüstern, bis es Allen zu Ohren kommt, ausgenommen der Person, welche für das gehoffte Geheimhalten dessen zahlt, was allgemein bekannt ist.


 << zurück weiter >>