Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil IV
Henry Fielding

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Fünftes Kapitel.

Jones' Abenteuer in seiner Wohnung, nebst einigen Bemerkungen über einen jungen Herrn, der mit ihm in demselben Hause wohnte, und über die Wirthin mit ihren beiden Töchtern.

Am nächsten Morgen fand sich Jones, so früh als es sich nur mit der Schicklichkeit vertrug, an der Thür der Madame Fitzpatrick ein, wo er die Nachricht erhielt, daß die Dame nicht zu Hause sei. Dies war ihm um so überraschender, als er seit Anbruch des Tages in der Straße auf- und nieder gegangen war und sie, wenn sie ausgegangen wäre, nothwendig hätte sehen müssen. Nichts desto weniger mußte er sich mit dieser Antwort begnügen, und zwar nicht allein für jetzt, sondern auch noch für fünf andere Besuche, die er ihr diesen Tag über machte.

Um ehrlich gegen den Leser zu sein, so möge er wissen, daß der edle Peer aus irgend einem Grunde, vielleicht aus Rücksichten für die Ehre der Dame, darauf bestanden hatte, daß sie Herrn Jones, den er für einen Lump ansah, nicht mehr sehen sollte; und die Dame hatte ihr Wort darauf gegeben, das sie, wie wir nun sehen, auch getreulich hielt.

Aber da unser freundlicher Leser vielleicht eine bessere 176 Meinung von dem jungen Manne hat als diese Dame und wohl gar einige Theilnahme für ihn hegt, so wollen wir, um der Besorgniß zuvorzukommen, er könnte seit seiner unglücklichen Trennung von Sophien seine Wohnung etwa in einem Wirthshause, oder auf der Straße aufgeschlagen haben, eine Beschreibung von seiner Wohnung geben, die er in der That in einem sehr anständigen Hause und einem sehr guten Stadttheile genommen hatte.

Jones hatte Herrn Allworthy oft die Frau nennen hören, in deren Hause er wohnte, wenn er sich in der Stadt befand. Diese Person lebte, wie Jones gleichfalls wußte, in Bondstreet und war die Wittwe eines Geistlichen, der ihr bei seinem Ableben zwei Töchter und eine vollständige Sammlung von Predigten auf das ganze Jahr im Manuscript hinterlassen hatte.

Von diesen beiden Töchtern hatte Anna, die ältere, gegenwärtig das siebzehnte Lebensjahr angetreten, und Betty, die jüngere, das zehnte.

Hierher war Partridge von Jones gesendet worden und hatte für seinen Herrn ein Zimmer im zweiten Stock und für sich eins im vierten Stock angewiesen bekommen.

Im ersten Stock wohnte einer jener jungen Herren, welche früherhin, und zwar treffend genug, in der Stadt Leute von Witz und Vergnügen heißen; denn da Männer in der Regel nach ihrem Geschäft oder Amt benannt werden, so konnte man das Vergnügen als das einzige Geschäft oder den Beruf jener Herren ansehen, denen ihr Vermögen alle nützliche Beschäftigungen unnöthig gemacht hatte. Schauspiel-, Kaffee- und Weinhäuser waren ihre Tummelplätze; Witz und Humor ihre Unterhaltung in ihren heiteren und Liebe in ihren ernsten Stunden. Der Wein und die Musen verbanden sich, die herrlichsten Flammen in ihren Busen zu entzünden; auch blieben sie nicht blos 177 beim Bewundern stehen, sondern einige waren fähig, die Schönheit, welche sie bewunderten, zu besingen, und alle, den Werth solcher Leistungen zu beurtheilen.

Solche wurden daher füglich die Männer von Witz und Vergnügen genannt; aber ich frage, ob jene jungen Leute unsrer Zeit, welche den nämlichen Ehrgeiz besitzen, durch ihre Talente zu glänzen, wohl mit eben dem Rechte die nämliche Benennung verdienen. Mit dem Witze haben sie jedenfalls nichts zu schaffen. Um ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muß man bekennen, daß sie sich um eine Stufe höher aufschwingen, als ihre Vorfahren. Während die oben erwähnten Herren ihre Zeit damit hinbrachten, daß sie beim Weine die Reize einer Schönen durch Trinksprüche oder Sonnette feierten, daß sie bei Will's oder Button's ihre Ansichten über die Aufführung eines Theaterstücks oder ein Gedicht austauschten, sinnen diese auf Methoden, wie eine Corporation am besten zu bestechen sei, meditiren Reden für das Haus der Gemeinen oder vielmehr für die Journale. Aber die Jagdwissenschaft ist dasjenige, was vor allem andern ihre Gedanken in Anspruch nimmt. Das sind die Beschäftigungen in ihren ernsteren Stunden, für ihre Unterhaltung dienen ihnen die großen Zirkel von Kunstkennern in der Malerei, Musik, Bildhauerei und Naturkunde, oder vielmehr Unnaturkunde, welche von dem Wundervollen handelt und von der Natur nichts kennt als ihre Monstrositäten und Mängel.

Nachdem Jones den ganzen Tag mit vergeblichen Erkundigungen nach Madame Fitzpatrick hingebracht hatte, kehrte er endlich niedergeschlagen in seine Wohnung zurück. Während er nun hier in Zurückgezogenheit seinem Kummer nachhing, entstand unter ihm ein heftiger Tumult und bald darauf wurde er von einer weiblichen Stimme um Gottes willen zu Hülfe gerufen, um einen Mord zu verhüten. Jones, der niemals zurück blieb, wo sich eine Gelegenheit darbot, Bedrängten beizuspringen, eilte sogleich die Treppe hinunter und in das Speisezimmer, woher der Lärm erscholl. Dort erblickte er einen der vorerwähnten jungen Herrn, der von seinem Bedienten fest gegen die Wand gedrückt wurde, und daneben ein junges Mädchen, die unter Händeringen ausrief: »Er wird ihn morden, ach, er wird ihn morden!« Und in der That schien der arme Herr in einiger Gefahr, erwürgt zu werden, als Jones zu seinem Beistande herzuflog und ihn gerade als es die höchste Zeit war, aus den unbarmherzigen Klauen seines Gegners befreite.

Obgleich der Bediente verschiedene Stöße und Püffe von dem kleinen Herrn, der mehr geistige als körperliche Kräfte besaß, bekommen hatte, so hatte ihn doch eine Art Gewissensscrupel abgehalten, seinen Herrn zu schlagen und er würde sich damit begnügt haben, ihn blos zu erwürgen; aber vor Jones hatte er solchen Respekt nicht; denn kaum fühlte er sich von seinem neuen Gegner etwas unsanft berührt, als er ihn mit einem Magenfutter traktirte, das, so überaus groß auch das Ergötzen ist, womit es die Zuschauer in Broughton's Amphitheater ansehen, dem, der es genießt, sehr wenig Vergnügen macht.

Der kräftige Jüngling hatte nicht sobald diesen Schlag empfangen, als er auch auf eine Wiedervergeltung mit Zinsen bedacht war, und so entspann sich zwischen Jones und dem Bedienten ein Kampf, der sehr ungestüm, aber kurz war; denn dieser Bursche war eben so wenig im Stande, es mit Jones aufzunehmen, als sein Herr zuvor mit ihm.

Und nun gab Fortuna, in ihrer gewohnten Weise, der Scene eine andere Gestalt. Der bisherige Sieger lag 179 athemlos am Boden und der Besiegte hatte wieder so viel Athem, daß er Herrn Jones für seinen ihm zu rechter Zeit geleisteten Beistand danken konnte. Auch von dem jungen Mädchen, das dabei stand und niemand anderes als Fräulein Anna, die älteste Tochter vom Hause war, empfing er herzlichen Dank.

Der Bediente, der sich jetzt wieder aufgerafft hatte, schüttelte den Kopf über Jones und rief, indem er eine pfiffige Miene annahm: – »Der Teufel müßte mich plagen, wenn ich wieder mit Ihnen anbände; Sie sind auf den Brettern gewesen, oder ich müßte mich verdammt irren.« Und fürwahr, wir dürfen ihm diese Vermuthung wohl vergeben; denn unser Held besaß eine solche Gewandtheit und Kraft, daß er es vielleicht mit einem der ersten Boxer aufnehmen konnte und alle bemufftenDamit sich die Nachwelt über dieses Epitheton nicht den Kopf zerbreche, will ich es durch eine Anzeige erklären, welche am 1. Febr. 1747 bekannt gemacht wurde.

Der Unterzeichnete giebt sich die Ehre anzuzeigen, daß er, unterstützt von geschickten Assistenten, in seiner Wohnung, Haymarket, für diejenigen, welche sich im Boxen unterrichten wollen, eine Akademie eröffnen wird, worin er das Ganze dieser ächt britischen Kunst theoretisch und praktisch, mit allen möglichen Paraden, Stößen und Finten u. s. w. vollständig lehren wird. Damit sich nun Personen von Stande nicht etwa abschrecken lassen, an einem Cursus dieses Unterrichts Theil zu nehmen, so wird auf einen schwächlichen Körperbau und zarte Constitution des Schülers die sorgfältigste und schonendste Rücksicht genommen werden und aus diesem Grunde für eine hinlängliche Anzahl Müffe gesorgt sein, um durch dieselben gegen die Unannehmlichkeiten blauer Augen, zerbrochener Kinnladen und blutiger Nasen wirksamen Schutz zu finden.

Broughton.

feinen Herrchen aus Broughton's Schule in den Sack gesteckt haben würde.

Der vor Wuth schäumende Herr befahl seinem Diener, 180 augenblicklich abzuziehen, wozu sich der letztere sehr gern bereit erklärte, sofern er seinen Lohn bekäme. Diese Bedingung wurde sogleich erfüllt und der Bursche fortgeschickt.

Und nun lud der junge Mann, dessen Name Nachtigall war, seinen Retter sehr dringend ein, eine Flasche Wein mit ihm zu leeren, worein Jones auch nach vielem Bitten willigte, obgleich er es mehr aus Gefälligkeit, als aus Neigung that; denn seine Gemüthsverstimmung machte ihn damals gerade sehr wenig zur Conversation aufgelegt. Fräulein Anna, welche die einzige weibliche Person im Hause war, weil ihre Mutter und Schwester in das Theater gegangen waren, sagte es ebenfalls zu, sie mit ihrer Gesellschaft zu beehren.

Als Flasche und Gläser auf dem Tische standen, fing Herr Nachtigall an zu erzählen, was die Ursache zu jenem Streite gewesen war.

»Ich hoffe, mein Herr,« sagte er zu Jones, »Sie werden von diesem Falle nicht schließen, daß ich es in der Gewohnheit habe, meine Dienstleute zu schlagen; denn ich versichere Sie, daß dies das erste Mal war, daß ich mich einer solchen Uebereilung schuldig machte, und ich habe diesem Burschen manchen unverzeihlichen Fehler nachgesehen; aber wenn Sie hören, was diesen Abend geschehen ist, so werden Sie mich, glaube ich, entschuldigen. Ich kam zufällig einige Stunden früher nach Hause als ich gewohnt bin, und siehe da, ich fand vier Herren von der Livree bei einer Partie Whist in meinem Zimmer sitzen, – und meinen Hoyle, – meinen besten Hoyle, der mir eine Guinee kostet, offen auf dem Tische liegen und eines der schönsten Blätter im ganzen Buche über und über mit Porter bespritzt. Das war, wie Sie mir zugeben werden, empörend, aber ich sagte nichts, bis die übrigen von der ehrenwerthen Gesellschaft fort waren, und gab dann dem 181 Burschen einen sanften Verweis. Anstatt nun sein Bedauern über das Geschehene auszudrücken, gab er mir eine unverschämte Antwort und sagte, Bediente müßten eben so gut wie andere Leute ihr Vergnügen haben; es thäte ihm leid, was mit dem Buche geschehen sei, aber mehrere seiner Bekannten hätten dasselbe für einen Schilling gekauft, und so viel könnte ich ihm von seinem Lohne zurückhalten, wenn ich wollte. Ich gab ihn nun einen strengeren Verweis, worauf der Schlingel die Unverschämtheit hatte, zu sagen – Kurz er schob die ganze Schuld auf mein frühes Nachhausekommen und – Kurz er machte eine Bemerkung – er nannte den Namen einer jungen Dame, und zwar auf eine Art – auf eine solche Art, daß es um meine ganze Geduld geschehen war, und in meiner Hitze schlug ich ihn.«

Jones entgegnete, daß er glaube, Niemand werde ihn darum tadeln. »Ich für meine Person,« setzte er hinzu, »würde unter den zuletzt erwähnten Umständen das nämliche gethan haben.«

Die Gesellschaft hatte nicht lange gesessen, als sich auch die Mutter und Tochter, welche aus dem Theater zurückgekehrt waren, bei ihnen einfanden. Und so verlebten sie denn alle einen sehr vergnügten Abend mit einander; denn alle außer Jones waren sehr heiter und selbst er zwang sich, es so viel als möglich zu sein. In der That, die Hälfte der natürlichen Lebhaftigkeit seines Geistes, verbunden mit seiner gewinnenden Freundlichkeit, war hinreichend, ihn zu einem der liebenswürdigsten Gesellschafter zu machen; und, wie schwer ihm auch das Herz war, er wußte sich dennoch so angenehm zu machen, daß er bei seinem Aufbruche von dem jungen Herrn dringend um die Fortsetzung seiner Bekanntschaft mit ihm gebeten wurde. Fräulein Anna war sehr wohl mit ihm zufrieden, und die Wittwe, 182 ganz entzückt über ihren neuen Miethsmann, lud ihn mit dem andern auf den nächsten Morgen zum Frühstück ein.

Jones war seinerseits nicht minder zufrieden gestellt. Was Fräulein Anna betrifft, so war sie zwar eine sehr kleine, aber nichts desto weniger allerliebste Person und die Wittwe besaß alle die Reize, die eine Frau nahe an den funfziger Jahren nur besitzen kann. Da sie eines der unschuldigsten Wesen von der Welt war, so war sie auch eines der fröhlichsten. Nie dachte, oder sprach, oder wünschte sie etwas Böses und war unausgesetzt von jenem Wunsche zu gefallen beseelt, den man den glücklichsten aller Wünsche nennen kann, in so fern er kaum je sein Ziel verfehlt, wenn er nicht durch Affectation geschändet wird. Kurz, wie gering auch ihre Kräfte waren, so war sie doch im Herzen eine der wärmsten Freundinnen. Sie war eine liebevolle Gattin und eine gute und zärtliche Mutter.

Da unsere Geschichte nicht, wie eine Zeitung, große Charaktere von Leuten schildert, von denen man nie zuvor etwas gehört hat oder je wieder etwas hören wird, so kann der Leser daraus folgern, daß diese vortreffliche Frau späterhin eine Rolle von Wichtigkeit in unserer Geschichte spielen wird.

Auch hatte Jones der junge Mann nicht wenig gefallen, dessen Wein er getrunken hatte. Er entdeckte in ihm einen gesunden Verstand, obgleich etwas zu sehr hinter Stadtthorheiten versteckt; aber was ihn Jones am meisten empfahl, das waren seine edlen und humanen Gesinnungen, die sich hin und wieder zu erkennen gaben, und namentlich manche Aeußerungen in Bezug auf Liebe, welche auf die größte Uneigennützigkeit deuteten. Ueber diesen Gegenstand sprach sich der junge Mann in einer Art und Weise aus, die einem arkadischen Schäfer des Alterthums sehr wohl angestanden haben würde, die sich aber bei einem modernen 183 feinen Gentleman ganz merkwürdig ausnahm; allein ein solcher war er blos aus Nachahmung, von Natur war ihm ein besserer Charakter zugedacht.


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