Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil IV
Henry Fielding

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142 Dreizehntes Kapitel.

Ein Zwiegespräch zwischen Jones und Partridge.

Die aufrichtigen Verehrer der Freiheit werden uns ohne Zweifel die lange Abschweifung, die wir am Schlusse des vorigen Kapitels machten, um uns gegen den Verdacht zu bewahren, als huldigen wir der höchst gefährlichen Lehre, welche Pfaffentrug schlechter oder unkluger Weise jederzeit gepredigt hat, zu gute halten.

Wir wollen jetzt zu Jones zurückkehren, der, sobald der Sturm vorüber war und er Seiner ägyptischen Majestät für die zuvorkommende Aufnahme und angenehme Unterhaltung gedankt hatte, Abschied nahm und nach Coventry aufbrach, wohin ihm (denn es war noch immer finster) ein Zigeuner als Führer mitgegeben wurde.

Jones hatte, in Folge seines Umwegs, eilf Meilen statt sechs zurückgelegt und war meistentheils über abscheuliche Wege gekommen, auf denen an schnelles Reisen nicht zu denken war; daher er denn auch nicht eher als um zwölf Uhr in Coventry eintraf. Von hier konnte er wiederum nicht eher als nach zwei Uhr aufbrechen, weil Postpferde nicht leicht zu erlangen und Wirth oder Postknecht nicht halb so eilig waren als er, sondern vielmehr den ruhigen Gang Partridge's nachahmten, der, weil ihm der Genuß des Schlafs versagt war, jede Gelegenheit ergriff, dessen Stelle durch andere Genüsse zu ersetzen, und der nie vergnügter war, als wenn er in einen Gasthof kam und nie mißvergnügter, als wenn er ihn wieder verlassen mußte.

Jones reiste jetzt schnell; wir wollen ihm daher nach unserer Gewohnheit und den Regeln des Longinus in derselben Weise folgen. Von Coventry kam er nach Daventry, von Daventry nach Stratford und von Stratford nach 143 Dunstable, das er am nächsten Tage kurz nach neun Uhr und wenige Stunden nachdem Sophie es wieder verlassen hatte, erreichte, und obgleich er hier länger verweilen mußte, als ihm lieb war, weil ein Schmied mit großer Ueberlegung die für ihn bestimmten Pferde beschlug, so zweifelte er dennoch nicht, daß er seine Sophie einholen würde, ehe sie von St. Albans wieder aufbräche; denn dort, schloß er, und zwar mit gutem Grunde, werde der Lord anhalten und speisen.

Wäre nun diese Vermuthung richtig gewesen, so würde er höchst wahrscheinlich seinen Engel an vorgenanntem Orte eingeholt haben; aber unglücklicher Weise hatte der Lord ein Mahl in seinem eigenen Hause zu London vorzurichten befohlen und, um zu rechter Zeit dort einzutreffen, zu St. Albans frische Pferde bestellt. Wie Jones also dort ankam, erfuhr er, daß der Wagen mit Sechsen seit zwei Stunden wieder fort war.

Wenn jetzt auch frische Postpferde bereit gewesen wären, wie es nicht der Fall war, so würde es doch allem Anschein nach so gar unmöglich gewesen sein, den Wagen noch vor London zu erreichen, daß Partridge jetzt eine gute Gelegenheit gefunden zu haben glaubte, seinen Freund an etwas zu erinnern, das er ganz vergessen zu haben schien; was dies war, wird der Leser errathen, wenn wir ihm sagen, daß Jones, seit er das Wirthshaus verlassen, wo er zuerst mit dem von Sophien zurückkehrenden Führer zusammen traf, nichts weiter als ein weiches Ei gegessen hatte; denn bei den Zigeunern hatte er blos seinen Geist genährt.

Der Wirth harmonirte so vollkommen mit Herrn Partridge's Meinung, daß er, sobald er den Wunsch des letztern, daß sein Freund verweilen und etwas essen möchte, vernommen hatte, sogleich auch sein Wort drein gab und, indem er sein vorhin gegebenes Versprechen, die Pferde 144 unverzüglich zu stellen, zurücknahm, Herrn Jones die Versicherung gab, daß er ohne Zeitverlust ein Mahl zurichten lassen wolle, das, wie er sagte, eher fertig sein könnte, als die Pferde, die erst von der Weide geholt, und um sie zu einer Reise vorzubereiten, mit Körnern gefüttert werden müßten.

Jones ließ sich endlich bewegen, wozu das letzte Argument des Wirthes hauptsächlich beitrug; und nun ward eine Hammelkeule über das Feuer gesetzt. Während diese zubereitet wurde, redete Partridge, der sich in einem und demselben Zimmer mit seinem Freunde oder Herrn befand, so zu ihm:

»Wahrhaftig, wenn jemals ein Mann eine junge Dame verdiente, so verdienen Sie das junge Fräulein Western; denn wie groß muß die Liebe sein, wenn ein Mann ohne alle andere Nahrung davon leben kann, wie Sie es thun! Ich bin gewiß, ich habe in den letzten vier und zwanzig Stunden dreißig mal mehr gegessen, als Ew. Gnaden, und bin dennoch fast verhungert; denn nichts macht einen Menschen so hungrig als Reisen, vorzüglich in diesem kalten rauhen Wetter. Und dennoch, ich begreife das nicht, befinden sich Ew. Gnaden allem Anschein nach vollkommen wohl, Sie haben in Ihrem Leben nie besser und frischer ausgesehen. Es kann nicht anders sein, Sie müssen von der Liebe leben.«

»Und von einer sehr reichhaltigen Kost obendrein, Partridge,« antwortete Jones. »Hat mir das Schicksal nicht gestern einen köstlichen Leckerbissen zugeführt? Meinst Du, ich könne nicht länger als vier und zwanzig Stunden von dieser theuern Brieftasche zehren?«

»Ohne Zweifel,« rief Partridge, »die Brieftasche enthält genug, um manche gute Mahlzeit zu bezahlen. Das Schicksal führte sie Ew. Gnaden gerade zu rechter Zeit in 145 die Hände, denn Ew. Gnaden Geld muß so ziemlich auf die Neige gehen.«

»Was meinst Du damit?« entgegnete Jones; »ich hoffe doch, Du hältst mich nicht für so unredlich, selbst wenn das Geld Jemandem anders als Fräulein Western gehörte – –«

»Unredlich!« unterbrach ihn Partridge, »verhüte der Himmel, daß ich Ew. Gnaden ein solches Unrecht anthun sollte; aber wo ist denn da eine Unredlichkeit, wenn Sie für den augenblicklichen Bedarf eine Kleinigkeit borgen, da Sie ja im Stande sein werden, sie dem Fräulein späterhin wieder zu bezahlen? Nein, bei Leibe, ich meinte, daß Ew. Gnaden es sobald als thunlich wieder bezahlen sollen, das meine ich durchaus; aber was kann es schaden, wenn Sie es jetzt, wo Sie es brauchen, benutzen? Ja, wenn es einem armen Teufel gehörte, da wäre es etwas anders; aber eine so große Dame kann es sicher entbehren, zumal da sie bei einem Lord ist, der, wie sich nicht bezweifeln läßt, für alles sorgen wird, was sie nur bedarf. Uebrigens, wenn Sie ja eine Kleinigkeit brauchen sollte, so kann sie nicht das Ganze brauchen, darum würde ich ihr etwas zurückgeben; aber eher ließe ich mich aufhängen, ehe ich erwähnte, daß ich es gefunden hätte und ehe ich von meinem eignen Gelde bezahlte; denn ich habe gehört, London sei einer der schlimmsten Orte für einen, der kein Geld hat. Ja, hätte ich nicht gewußt, wem es gehörte, so hätte ich vielleicht geglaubt, es komme vom Teufel, und würde mich gescheut haben, es anzurühren; aber da Sie wissen, wie sich die Sache verhält und da Sie auf ehrliche Weise dazu gekommen sind, so würden Sie sich an Ihrem Glücke versündigen, wenn Sie es wieder weggeben wollten, und gerade zu einer Zeit, wo Sie es am meisten bedürfen; Sie können lange warten, ehe das Glück Ihnen einmal 146 wieder so günstig ist; fortuna nunquam perpetuo est bona. Thun Sie meinetwegen was Sie wollen; aber ich für meinen Theil würde mich eher hängen lassen, als daß ich ein Wort von der Sache erwähnte.«

»Daraus ersehe ich, Partridge«, rief Jones, »das Hängen ist ein Ding non longe alienum a Scaevolae studiis.« – »Alienus wollten Sie sagen,« bemerkte Partridge. »Ich erinnere mich der Stelle; es ist ein Beispiel zu communis, alienus, immunis, variis casibus serviunt.« – »Du magst Dich dessen erinnern,« rief Jones, »aber ich finde, daß Du es nicht verstehst; doch ich will Dir auf gut Englisch sagen, daß derjenige, welcher eines andern Eigenthum findet und es vorsätzlich dem bekannten Eigenthümer vorenthält, in foro conscientiae nicht minder gehangen zu werden verdient, als wenn er es gestohlen hätte. Und was nun diese Banknote anlangt, die das Eigenthum meines Engels ist, und einst in dessen Besitze war, so werde ich diese, mögen die Umstände kommen wie sie wollen, nur allein in seine Hände geben; nein, wäre ich auch so hungrig wie Du und hätte ich kein anderes Mittel diesen drängenden Mahner zu befriedigen; und das hoffe ich noch vor Abends zu bewerkstelligen; sollte es sich jedoch anders fügen, so mache ich es Dir zur Pflicht, wenn Du Dir meine Freundschaft nicht für immer verscherzen willst, mich nie wieder eine solche abscheuliche Gemeinheit hören zu lassen.«

»Wäre es mir als eine solche erschienen,« rief Partridge, »so würde ich nichts davon erwähnt haben; denn ich verabscheue jede Niederträchtigkeit so gut wie ein anderer; aber vielleicht kennen Sie das besser; gleichwohl hätte ich mir eingebildet, ich wäre alt genug geworden und lange genug in die Schule gegangen, um zwischen fas et nefas unterscheiden zu können; aber er scheint, daß wir, so lange 147 wir leben, alle Tage noch lernen müssen. Ich erinnere mich, daß mein alter Schulmeister, der ein ungeheuer gelehrter Mann war, immer in griechischer Sprache etwas sagte, was, wie er uns erklärte, so viel hieß, als, daß eine Großmutter manchmal von einem Kinde noch etwas lernen könne. Mein Leben hat mir viel genützt, wahrlich, wenn ich jetzt noch an meiner Grammatik lernen muß. Vielleicht ändert sich Ihre Meinung, junger Mann, wenn Sie in meine Jahre kommen werden; denn ich erinnere mich, daß ich mich als ein Bürschchen von ein oder zwei und zwanzig Jahren für eben so klug hielt, als ich jetzt bin. Ich weiß gewiß, ich habe stets gelernt alienus, und mein Lehrer las es mir so vor.«

Es war ein seltener Fall, daß Partridge Jones gegen sich aufbringen konnte, und ein eben so seltener, daß Partridge seinen Respect vergaß. Unglücklicherweise trafen indessen zwei solcher seltener Fälle hier zusammen. Wir haben bereits gesehen, daß Partridge nicht ertragen konnte, daß seine Gelehrsamkeit angegriffen wurde, und daß Jones eine oder die andere Stelle im obigen Gespräch mißbilligte. Und jetzt, indem er seinen Begleiter mit einer Verachtung und Abscheu ausdrückenden Miene ansah (was etwas ungewöhnliches bei ihm war), rief er aus: »Partridge, ich sehe, Du bist ein eingebildeter alter Narr, und ich wünsche, daß Du nicht auch ein alter Schurke bist. Wahrhaftig, wäre ich des letztern so gewiß als des erstern, Du solltest nicht länger in meiner Gesellschaft reisen.«

Der kluge Pädagog hatte seinem Unwillen Luft gemacht und war nun zufrieden; aber er zog auch, wie man zu sagen pflegt, seine Hörner sogleich wieder ein. Er meinte, es thäte ihm leid, etwas ausgesprochen zu haben, was ihn irgend beleidigen könnte, denn er hätte nie die 148 Absicht dazu gehabt; »aber,« setzte er hinzu, »nemo omnibus horis sapit

Da Jones die Fehler eines feurigen Temperaments hatte, so war er vollkommen frei von denen eines kalten, phlegmatischen; und wenn seine Freunde bekennen mußten, daß sein Gemüth ein wenig zu leicht in Aufruhr kam, so müssen seine Feinde gleichzeitig zugeben, daß er sich eben so bald beruhigte; es glich auch durchaus der See, deren Anschwellen heftiger und gefährlicher nach einem Sturme ist als während desselben. Er nahm Partridge's Unterwerfung sogleich an, schüttelte ihn bei der Hand und sagte ihm, die freundlichste Miene annehmend, zwanzig artige Dinge, zugleich tadelte er sich sehr streng, obgleich nicht halb so streng, als er vielleicht von manchem unserer guten Leser getadelt werden dürfte.

Partridge fühlte sich sehr getröstet, da seine Befürchtung, beleidigt zu haben, auf einmal gehoben wurde und sein Stolz in Jones' Erklärung, Unrecht zu haben, volle Befriedigung fand, welche Nachgiebigkeit er sogleich auf das bezog, was ihn vorzüglich erbittert hatte, so daß er mit einem mürrischen Tone wiederholte: »Wahrlich, Ihre Kenntnisse mögen in manchen Stücken größer sein als die meinigen; aber was die Grammatik anlangt, da denke ich, kann ich mich mit einem jeden messen, die weiß ich auswendig . . .«

Konnte irgend etwas die Zufriedenheit, welche der arme Mann empfand, noch erhöhen, so war es der Anblick eines vortrefflichen Schöpsenbratens, der in diesem Augenblicke dampfend auf den Tisch gesetzt wurde; nachdem sie ihm beide tapfer zugesprochen hatten, setzten sie sich wieder zu Pferde und brachen auf nach London.


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