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Sechstes Kapitel.

Beschluß der Geschichte der unglücklichen Kokette.


»Als Leonore erst einmal die durch Brauch und Sittsamkeit unserm Geschlecht gezogenen Schranken durchbrochen hatte, ließ sie bald ihrer Leidenschaft ganz den Zügel schießen. Ihre Besuche bei Bellarmine waren häufiger und länger, als die des Wundarztes; mit einem Wort, sie wurde ganz und gar seine Wärterin, kochte ihm seine Wassergrütze, gab ihm seine Arzeneien ein, und kam, trotz der Gegenvorstellungen ihrer Tante, fast gar nicht mehr aus dem Zimmer ihres verwundeten Geliebten.

»Die Damen in der Stadt begannen ihr Benehmen in Erwägung zu ziehen; es wurde der Hauptgegenstand ihrer Gespräche am Theetisch, und wurde von den Meisten strenge getadelt, besonders aber von Lindemiren, einer Dame, deren bedachtsames und vorsichtiges Betragen, mit täglich dreimaligem Kirchengehen verbunden, viele boshafte Ausfälle gegen ihren guten Ruf gänzlich entkräftet hatte; denn die Tugend Lindemirens erregte solchen Neid, daß trotz ihres eigenen vorsichtigen Wandels und der strengsten Untersuchung des Lebenswandels Anderer, sie selbst nicht einigen gegen sie gerichteten Pfeilen der Schmähsucht entgehen konnte, welche sie jedoch nicht verletzten, ein Glück, das sie vielleicht den Geistlichen verdankte, aus denen meist ihr männlicher Umgang bestand, und von denen aus diesem Grunde zwei oder drei in ungerechten und grausamen Verdacht gerathen waren.«

»Vielleicht war der Verdacht nicht so ganz ungerecht,« warf die Slipslop ein, »denn die geistlichen Herren sind so gut Menschen wie andere Leute.«

»Die ungemein zarte Tugend Lindemirens,« fuhr die Erzählerin fort, »nahm an den Freiheiten, die Leonore sich gestattete, ein unbeschreibliches Aergerniß. Sie sagte: dies sei eine Beschimpfung des ganzen weiblichen Geschlechtes, sie hoffe nicht, daß ein ehrbares Frauenzimmer sich so weit erniedrigen werde, mit einem solchen Geschöpf noch zu reden oder auch nur sie ihrer Gesellschaft zu würdigen; sie ihrestheils werde sich stets weigern, in einer Kolonne mit der Unwürdigen zu tanzen, man müsse ja fürchten, durch ihre Berührung seine Hand zu beschmutzen. – Doch zurück zu meiner Geschichte! – Sobald Bellarmine etwa vier Wochen, nachdem er seine Wunde erhalten, wiederhergestellt war, trat er, wie verabredet worden, die Reise zu Leonorens Vater an, um seinen Antrag anzubringen, und alle Punkte des Ehecontrakts mit ihm zu besprechen.

»Der alte Herr hatte kurz vor Bellarminens Ankunft von der ganzen Sache vorläufig Kunde erhalten, und zwar durch einen Brief, den ich ebenfalls noch auswendig weiß, und welcher, wie man sagt, weder von Leonorens noch ihrer Tante, aber doch von einer weiblichen Hand geschrieben war. Er lautete wie folgt:

 

›Sir!

Es thut mir leid, Ihnen mittheilen zu müssen, daß Ihre Tochter Leonore an einem jungen Herrn, mit dem sie versprochen war, eben so schlecht als einfältig gehandelt, und ihm um eines andern willen, der trotz des größern Ansehens, das er sich zu geben weiß, an Vermögen ihm nicht gleich steht, bei der Nase (verzeihen Sie den Ausdruck) herumgeführt hat. Ihnen steht es zu, die nöthigen Maßregeln in dieser Sache zu nehmen; ich meinestheils habe gethan, was ich wegen der besonderen Achtung, die ich Ihrer Familie, obgleich ich Ihnen unbekannt bin, gewidmet, für meine Pflicht hielt.‹

 

»Der alte Herr bemühte sich nicht weiter mit einer Antwort auf diese freundschaftliche Mittheilung, nahm auch, nachdem er sie gelesen, von dem Inhalt keine sonderliche Notiz, bis Bellarmine vor ihm erschien. Er war, die Wahrheit zu sagen, einer jener Väter, welche Kinder nur als die unglücklichen Folgen ihrer jugendlichen Vergnügungen ansehen, und da er sie gern entbehrt hätte, so war es ihm keineswegs unangenehm, wenn sich irgend eine Gelegenheit darbot, ihrer los zu werden. Er galt für das, was die Welt ›meinen gar guten lieben Vater‹ zu nennen pflegt, indem er so habsüchtig war, daß er nicht nur Jeden, der ihm in den Weg kam, nach Möglichkeit plünderte und beraubte, sondern auch sich selbst alle Bequemlichkeiten und fast die Bedürfnisse des Lebens entzog, was denn seine Bekannten dem Wunsche zuschrieben, seinen Kindern große Reichthümer zu hinterlassen. Hierin irrten sie sich aber gänzlich, er sparte nur sich zu Liebe Geld zusammen, und sah in seinen Kindern nichts als Nebenbuhler, die sich seiner angebeteten Schönen bemächtigen würden, wenn er sie nicht länger besitzen könne, und die er viel lieber mit sich genommen hätte; auch durften seine Kinder auf keine andere Sicherheit rechnen, seine Erben zu werden, als daß das Gesetz sie als solche ohne Testament anerkennen werde, denn er fühlte nicht Zuneigung genug für irgend ein lebendes Wesen, um sich die Mühe zu geben, einen letzten Willen aufzuschreiben.

»Vor diesem Manne erschien Bellarmine mit seinem Antrag. In des Vaters Augen machten ihn seine Figur, seine Equipage, seine Familien- und Vermögensverhältnisse zu einer so vortheilhaften Parthie für seine Tochter, daß er sehr bereitwillig auf alle Vorschläge einging; als aber Bellarmine die Hauptsache schon für beseitigt hielt, und den Nebenpunkt der Mitgift zu berühren begann, sprach der alte Herr aus einem andern Ton und sagte: Nichts sei offenbar unschicklicher, als die Sitte, einem Mann ein Mädchen zu verkaufen; wer seine Tochter aus Liebe heirathen wolle, werde nach seinem Tode den Antheil ihres Vermögens schon erhalten; er seinerseits habe so viel Beispiele von pflichtvergessenen Kindern erlebt, die der Eltern zu frühe Großmuth nur zum Undank verleitet, daß er ein Gelübde gethan, so lange er lebe, sich von keinem Schilling zu trennen. Hierauf empfahl er den Spruch Salomons: ›Wer die Ruthe schont, schadet dem Kinde;‹ fügte aber hinzu, Salomon hätte seinen Spruch noch so ergänzen können: ›Wer den Geldbeutel zuhält, ist auf das Wohl seines Kindes bedacht.‹ – Dann erging er sich in einer Schmährede gegen die Verschwendungssucht der dermaligen Jugend, ging von da auf eine Abhandlung über die Pferde über, und schloß endlich mit einem Lobe von Bellarminens Equipage. Dieser elegante Herr, der zu einer andern Zeit sich's recht gern hätte gefallen lassen, bei diesem Gegenstand ein wenig zu verweilen, bezeigte sich jetzt sehr ungeduldig, das Gespräch wieder auf die Mitgift zurückzuleiten. Er sagte, er schätze die junge Dame ungemein hoch, und wolle sie mit einer geringeren Aussteuer, als irgend eine andere zur Frau nehmen; aber grade seine Liebe zu ihr mache einige Rücksicht auf weltliche Angelegenheiten zur Pflicht, indem es ihn in Verzweiflung setzen werde, sie, wenn er die Ehre haben wurde, ihr Gemahl zu sein, mit weniger als sechs Pferden fahren sehen zu müssen. Der alte Herr erwiederte: »Vier sind auch genug, mehr als genug!« und kam dann von Pferden auf Verschwendung, und von Verschwendung auf Pferde, bis er wieder bei der Equipage stehen blieb, wo er kaum angelangt war, als Bellarmine ihn abermals zu dem Hauptpunkt zurückzulenken suchte; aber vergebens, schon nach einer Minute hatte der alte Herr sich von diesem Gegenstand abgewendet, und es blieb dem Liebhaber zuletzt nichts übrig, als die Erklärung, bei der gegenwärtigen Lage seiner Angelegenheiten sei es ihm, obgleich er Leonoren mehr als tout le monde liebe, durchaus unmöglich, sie ohne Mitgift zu heirathen. Der alte Herr ließ sich hierauf vernehmen, er bedaure, wenn seine Tochter einer so schätzbaren Parthie entsagen müsse; er seinerseits, gesetzt auch, er wolle seine Grundsätze übertreten, könne es dermalen auch nicht, indem er vor Kurzem große Verluste gehabt, und auf einige Speculationen große Summen verwendet habe, von denen sich zwar große Ausbeute erwarten lasse, die ihm aber bis jetzt noch nichts eingebracht hätten; er könne noch nicht wissen, wozu er sich später entscheiden werde, wie etwa bei der Geburt eines Sohnes, oder einem derartigen Ereigniß; er wolle sich aber zu nichts anheischig machen und auch keine Bedingungen eingehen, denn sein Gelübde möge er um aller Töchter auf der Welt willen nicht brechen. Mit einem Wort, meine Damen, um Sie nicht länger in Ungewißheit zu lassen, als Bellarmine seinen ganzen Scharfsinn vergebens aufgeboten hatte, dem Vater beizukommen, empfahl er sich endlich, aber nicht um zu Leonoren zurückzukehren; er begab sich vielmehr auf seinen eigenen Landsitz, von wo er nach einem Aufenthalt von einigen Tagen wieder nach Paris reiste, zum großen Entzücken der französischen und zur Ehre der englischen Nation.

»Sobald er in seiner Heimath ankam, schickte er jedoch einen Boten mit folgendem Schreiben an Leonore:

 

›Adorable et charmante!

Es thut mir leid, daß ich mir die Ehre geben muß, Ihnen zu melden, wie ich nicht der Glückliche bin, der für Ihre himmlische Umarmung bestimmt ist. Ihr Herr Vater hat mir dies mit einer außerhalb Paris selten üblichen Politesse gesagt. Sie errathen vielleicht die Gründe, weshalb er mich refusirt hat. Ah mon Dieu! Es wird Sie gewiß nicht befremden, daß ich unfähig bin, Ihnen persönlich diese traurige Botschaft mitzutheilen, deren Folgen für meine Gesundheit ich durch den heilsamen Einfluß von Frankreichs Luft zu beseitigen versuchen will. – A jamais! Cœur! Ange! Ah diable, wenn Ihr cher papa Sie zu einer Heirath zwingen sollte, so hoffe ich, Sie in Paris zu sehen; bis dahin wird der Wind, der von dort her weht, der wärmste dans le monde sein, indem er fast nur aus meinen Seufzern bestehen wird. Adieu, ma princesse! Ah l'amour!

Bellarmine.‹

 

»Ich versuche es nicht, meine Damen, Ihnen Leonorens Gefühle beim Empfang dieses Briefes zu schildern. Es würde ein Gemälde des Schreckens sein, dessen Darstellung mir eben so wenig Vergnügen machen würde, als Ihnen, es zu scheuen. Sie verließ sogleich den Ort, an welchem sie der Gegenstand der Unterhaltung und des Spottes war, und zog sich in jenes Haus zurück, das ich Ihnen zeigte, bevor ich meine Geschichte begann. Hier hat sie seitdem ein trostloses Leben geführt, und verdient nun vielleicht mehr unser Mitleid mit ihrem Unglück, als unsern Tadel wegen eines Benehmens, wozu sie wahrscheinlich mit durch die Kunstgriffe ihrer Tante mochte verleitet werden, und wozu sehr junge Mädchen in Folge des tadelnswerthen Leichtsinns in der Erziehung unseres Geschlechts sich leider nicht selten hinneigen.«

»Wenn ich sie bedauern könnte,« sagte eine junge Dame im Wagen, »so wäre es über Horatio's Verlust, denn ich kann kein Unglück darin finden, daß aus ihrer Heirath mit einem Manne wie Bellarminen nichts wurde.« – »Ja,« sagte die Slipslop, »der Herr war allerdings nicht ganz zu entschuldigen, aber hart blieb's doch immer, zwei Liebhaber zu haben, und doch keinen Mann zu bekommen. Aber um Verzeihung, Madame, was wurde aus O'Ration.«

»Er ist noch unverheirathet,« antwortete die Erzählerin, »und hat sich so emsig den Geschäften gewidmet, daß er sich schon ein bedeutendes Vermögen gesammelt haben soll. Merkwürdig ist es übrigens, daß er, wie man sagt, Leonorens Namen nie ohne einen Seufzer nennen hört, und daß er sich nicht ein einziges Mal die mindeste Klage über ihr Benehmen gegen ihn erlaubt hat.«


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