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Johann Pürner
oder
Beispiel einer Tötung in höchster Trunkenheit

Andreas Schweiger, ein Mann von einigen 30 Jahren, lebte zu Erlangen als kleiner Grundbesitzer und nährte sich mit seiner 54jährigen Frau Johanna vom Landbau. Neben dem Häuschen, das er bewohnte, befindet sich ein Stall und über diesem ein Heuboden, in welchen man, von der Straße aus, mittels einer elf Sprossen hohen Leiter gelangt. Hier schlief sein Knecht Johann Pürner und, wenn seine alte Ehefrau Johanna ihre Zanksucht ihn allzuhart empfinden ließ, pflegte er wohl auch selbst in diesem Winkel den häuslichen Frieden, wenigstens bei Nacht, aufzusuchen und auf dem Heu neben seinem Knecht zu schlafen. Aus solcher Veranlassung hatte er sich denn, wie am Samstag, so am Sonntag, den 3. August 1828 auf seinen Stallboden zurückgezogen und zum Schlafen gebettet.

An diesem Sonntag, nachts zwischen zehn und elf Uhr, stürzte Johanna Schweiger laut schreiend auf die Straße und rief die Nachbarn mit der Nachricht herbei: ihr Mann sei tot! Soeben sei er von dem Knecht auf dem Heuboden erstochen worden!

Es entstand alsbald ein großer Zusammenlauf und mehrere Männer stiegen eiligst zu dem Heuboden hinauf. Sie fanden hier, wie sie späterhin eidlich bezeugten, den Andreas Schweiger in seinem Blute tot auf dem Rücken liegen. Dicht neben dem Leichnam, Gesicht gegen Gesicht gekehrt, bewegungslos, mit Blut befleckt, fanden sie den Drescherknecht Johann Pürner, den sie anfänglich ebenfalls für tot hielten. Doch es zeigte sich bald, daß er nur in tiefem Schlaf lag.

Man versuchte ihn durch Rütteln aufzuwecken, allein vergebens. Bei Gelegenheit dieser Erweckungsversuche wurde man auf ein Messer aufmerksam, das aus der Hosentasche des Schlafenden hervorsah. Als man das Messer hervorzog, war es von der Spitze bis zum Heft dick mit Blut überzogen. Pürner blieb, der ihn umlärmenden Menschen ungeachtet, in derselben Lage neben dem Leichnam in seinem Todesschlafe bis mittags zwölf Uhr, als die Polizeikommission erschien. Durch vieles Rütteln und Schütteln und Stoßen wurde er nun einigermaßen, wo nicht ermuntert, doch erweckt. Er gähnte, stieß unverständliche Töne aus, dehnte und streckte sich, spreizte die Arme auseinander, ballte die Faust und gab auf alle Fragen nichts weiter zur Antwort, als: »Lassen Sie mich oder...!«

Zwei Gendarmen gelang es endlich, ihn von seinem Lager aufzurichten. Doch er konnte auf keine Weise zum ordentlichen Gehen oder Stehen gebracht werden. Um ihn vom Boden herabzuschaffen, war man genötigt, ihn bei den Füßen auf die Leiter zu ziehen, von der er herabgeschleift wurde. Einer der Anwesenden hatte ihn von hinten beim Rockkragen gepackt, ein anderer hielt ihn bei den Füßen, andere faßten ihn an beiden Armen. Am Fuße der Leiter wurde er nochmals genau besichtigt. Man leuchtete ihm mit einem Licht unter die Augen. Aber sie blieben geschlossen. Als man seine beiden Hände zu besichtigen verlangte, zeigte er sie freiwillig vor. Sie waren voll Blut. Die beiden Gendarmen, die ihn nun in das Polizeigefängnis zu bringen hatten, bezeugen, daß er sehr betrunken gewesen und daß er zusammengestürzt sein würde, wenn sie ihn nicht gehalten hätten. Unterwegs habe er kein Wort gesprochen und sich mehrmals übergeben. Die Stiege des Gefängnisses mußte er hinaufgetragen werden, weil er unvermögend gewesen sei, die Stufen zu gehen. Im Gefängnis wurde er auf Stroh gelegt. Dann regte er sich nicht mehr. »Er lag«, so sagt ein Zeuge, »wie tot da.«

Bei der weiteren Besichtigung fand man nicht bloß die Hände blutig, sondern auch seinen ganzen Kittel, unten wie am oberen Teil, den rechten Ärmel, die Weste und das Hemd. Alles war stark mit Blut befleckt.

An dem entkleideten Leichnam fielen fünf Verletzungen in die Augen. Vor allem aber eine etwas schräg laufende Wunde mit scharfen, auseinanderklaffenden Rändern auf der linken Seite der Brust, die, wie sich nach Öffnung der Brusthöhle ergab, in die rechte Herzkammer eingedrungen war und überdies den Hohlvenensack durchbohrt hatte. In diese Wunde, die sich als allgemein und unmittelbar tödlich darstellte, paßte genau das dem Pürner abgenommene Messer, das von diesem selbst späterhin als sein Eigentum anerkannt wurde. Außerdem zeigten sich noch eine zwei Zoll lange, sieben Linien tiefe Schnittwunde am Kinn, eine drei Zoll lange Schnittwunde am linken Vorderarm, eine vier Linien lange, die Hautbedeckung nicht durchdringende Querstichwunde an der linken Seite des Unterleibs und eine oberflächliche Stichwunde am linken Oberschenkel, die aber als nicht gefährlich erkannt wurden.

Die fast allgemeine Stimme des Volkes war sogleich mit einem Endurteil zur Hand. Pürner wäre ganz unschuldig; denn wie hätte er, der so schwer betrunken in tiefem Schlaf neben dem Leichnam gefunden wurde, solche Tat begehen können? Alle Schuld fiel allein auf die alte, bösartige Ehefrau des Getöteten, die, eine zweite Lady Macbeth im Kleinen, nur die Szene mit den Kämmerlingen an jenem Bauernburschen nachgespielt hatte. Sie, in der Absicht ihren Ehemann zu ermorden, hatte die Zeit abgewartet, bis der, betrunken wie sein Knecht, den Rausch ausschlief. Nun erstieg die Furie den Heuboden, nahm dem schlafenden Knecht das Messer aus der Tasche, erstach damit ihren Gatten, besudelte den daneben Schlafenden mit des Ermordeten Blut, steckte tückisch das blutige Messer wieder in die Tasche des Knechtes zurück und hatte jetzt nicht bloß einen Gattenmord vollbracht, sondern auch den Verdacht von sich hinweg auf einen Unschuldigen gewälzt. So lautete das Urteil des Publikums, samt dessen wesentlichen Entscheidungsgründen.

Wirklich ergab die Untersuchung verschiedenes, was dieses Urteil wenigstens im allgemeinen zu bekräftigen schien. Alle Zeugen schilderten die Johanna Schweiger als eine bösartige Frau, die ihren ungemein sanften, gutmütigen und fleißigen Mann vielfältig mißhandelt habe. Polizeiakten bewiesen, daß sie voriges Jahr wegen tätlicher, verletzender Mißhandlungen, die sie in Verbindung mit ihren beiden Töchtern aus früheren Ehen an ihrem Ehemann verübt, mit zweitägigem Polizeigefängnis bestraft worden sei. Gerade in der Woche vor der Tat hatte sie mit den gröbsten Vorwürfen und Schimpfworten ihren Mann aus dem Hause gejagt. Er sah sich veranlaßt, anderswo als Taglöhner zu arbeiten. Sie soll damals zu ihm gesagt haben: »Wenn er nur hin, tot wäre. Es sind schon drei andere Männer für mich da!« Noch am Tag vor seinem Tod klagte Schweiger bitterlich einem Polizeisoldaten sein häusliches Unglück. Er sagte ihm unter anderem: »Ich kann nicht mehr dort hausen. Ich werde auf die Polizei gehen und meine Frau verklagen, daß sie mir mein Eingebrachtes herausgebe. Sie schneidet mir täglich das Brot vor und gibt mir nur wöchentlich fünf Kreuzer zum Tabak. An ein Biergeld darf ich gar nicht denken. Das muß ich mir besonders verdienen. Ich gehe jetzt nach Haus und schlafe auf dem Boden.«

Was den Verdacht noch verstärkte, war die gegen ihren Charakter und ihr früheres Betragen seltsam abstechende Zärtlichkeit, die dieses Weib bei der Rekognition des Leichnams zu erkennen gab. Weinend und schluchzend stürzte sie über ihn her, küßte ihn und rief: »Ja! Das ist mein Mann! Ach Gott, das ist mein guter Mann! Wer hat denn das getan? Er hat ja gar eine Schnittwunde am Kinn! Habe ich doch immer so gut mit ihm gehaust! Wir haben so fleißig miteinander gearbeitet!« Bei dieser Gelegenheit bemerkte das Gericht an ihrem linken Hemdärmel einen bereits vertrockneten Blutflecken. Auf Befragen behauptete sie, er sei durch das Bluten ihrer Nase entstanden. In dem summarischen Verhör änderte sie diese Aussage. Nunmehr behauptete sie, ein gewisser Rausch, welcher in ihrem Stadel gedroschen, habe am verwichenen Donnerstag aus der Nase geblutet. Sie habe Wasser herbeigeholt, damit er davon schnupfe. Bei dieser Gelegenheit sei er ihr nahe gekommen und habe sie mit seinem Blute besudelt. Diese Erklärung stimmte aber mit der Aussage des Rausch nicht überein. Der gab zwar zu, daß er häufig an Nasenbluten leide, auch zu der bemerkten Zeit war er von diesem Übel befallen worden, er widersprach aber, daß ihm die Schweiger Wasser gebracht habe. Durch sein Nasenbluten, setzte er hinzu, seien die im Stadel gelegenen Strohbänder blutig geworden, bei deren Hinwegtragen sich die Schweiger möglicherweise befleckt haben könne. Das sei jedoch nicht von ihm bemerkt worden.

Den Vorfall selbst erzählt die Johanna Schweiger folgendermaßen:

»Mein Ehemann ist am 3. August abends um sechs Uhr ziemlich betrunken nach Hause gekommen. Er hat sich, obgleich ich ihn hierzu aufgefordert, nicht in das Bett legen wollen, sondern ist, ungefähr um sieben Uhr auf den Heuboden gegangen, um dort die Nacht zuzubringen. Nach acht Uhr habe ich mich zu Bette gelegt. Ich bin auch bald eingeschlafen. Gegen zehn Uhr ist die Magd in die Stube gekommen, hat mich aus dem Schlafe geweckt und gesagt: ›Über dem Stall ist ein gewaltiger Lärm. Da schlagen sie einander tot! Der Stimme nach zu urteilen ist Johann Pürner auf dem Stallboden.‹

Ich bin nun sogleich aufgestanden und mit der Magd auf die Straße gesprungen. Dann bin ich auf die Leiter gestiegen, bin aber kaum über zwei oder drei Stufen hinaufgekommen. Pürner hat auf mein Schreien: was es da gäbe? vom Boden herab mir entgegengeschrien: ›Kanaille! Wenn du heraufgehst, ersteche ich dich!‹ Auf diese Drohung bin ich gleich wieder zurück, habe nach einer Laterne gesucht und Lärm gemacht. Darauf kamen mehrere Leute. Die stiegen zum Boden hinauf. Ich selbst bin weder die Leiter ganz hinaufgestiegen noch bin ich in den Boden hineingekommen. Meinen Mann hab ich nur von der Leiter aus noch röcheln hören. Gesehen habe ich ihn nicht. Den Drescher auch nicht.«

In dieser Erzählung zeigt sich Johanna Schweiger auf ziemlich bedenkliche Weise mit der Wahrheit in offenem Widerspruch. Sie behauptet wiederholt, zwar auf die Leiter gestiegen, nicht aber in den Boden selbst hineingekommen zu sein. Dagegen liegen Zeugnisse vor, die das Gegenteil, wenn nicht vollkommen juridisch erweisen, doch zur höchsten Wahrscheinlichkeit bringen. Indessen sind dies eben die Zeugnisse, die ihr in der Hauptsache zum Vorteil sprechen und allen Verdacht von ihr hinweg ganz allein auf den Drescher Pürner hinüberwenden.

Die Magd der Schweiger, Barbara Sämann, noch nicht volle 17 Jahre alt, daher nicht eidesfähig, übrigens in jeder anderen Beziehung vollkommen glaubwürdig, erzählt: »Mein Dienstherr kam am Sonntag abends um fünf Uhr betrunken nach Haus. Er ist auf der Leiter in den Stallboden gestiegen, um zu schlafen. Um halb neun Uhr legten auch wir, ich und meine Dienstfrau, uns schlafen. Nachdem ich ein paar Stunden mochte geschlafen haben, wurde ich plötzlich durch Lärm auf dem Boden über dem Stall aufgeschreckt. Da ich gerade unten neben dem Stall schlafe, so konnte ich alles deutlich vernehmen. Da hörte ich nun den Drescher Johann Pürner deutlich sprechen und vernahm, wie er zum Schweiger sagte: ›Von meiner Ecke gehst du weg, oder ich ersteche dich!‹ Worauf Schweiger antwortete: ›Stich immer zu!‹ Das Geschrei zwischen beiden wurde immer stärker. Ich stand daher auf und weckte die Dienstfrau. Wir beide sprangen alsdann auf die Straße, und die Frau stieg geschwind die Leiter hinauf und rief ihrem Manne zu: ›Andres! Andres! Gib mir doch Antwort!‹ Alsbald tat sie einen Schrei und rief aus: ›Herr Jesus! Du hast mir ja meinen Mann erstochen!‹ Der Drescher Pürner antwortete aber: ›Nein! Nein! Es ist nicht der Herr, sondern der Wörlein!‹ Jetzt eilte die Frau wieder die Leiter herunter und befahl mir, ein Licht zu machen. Dieses tat ich und nun liefen wir beide zum Schlosser Bauer. Meine Dienstfrau sagte ihm, daß ihr Mann erstochen worden sei. Auf ihr entsetzliches Schreien und Wehklagen eilten denn auch viele Leute herbei und bestiegen den Stallboden.«

Mit diesem Zeugnis stimmt die eidliche Aussage der Friseursfrau Christine Arnold, die in einem Seitenstübchen des Schweigerschen Hauses wohnt, sehr genau zusammen. Sie sagt: »Sonntag, den 3. August, abends gegen sechs Uhr, sah ich den Schweiger nach Hause kommen und hörte ihn mit seiner Frau sprechen. Um zehn Uhr legte ich mich zu Bett und mochte kaum eine Viertelstunde geschlafen haben, als ich an meiner Tür ein Klopfen hörte. Ich stand auf, sah auf die Straße. Da war die Schweiger und ihre Magd. Die erste machte ein großes Geschrei und stieg auf die in den Boden über den Stall führende Leiter. Als sie auf dem Boden war, schrie sie: ›Herr Jesus! Er wird doch meinen Mann nicht erstochen haben!‹ Zugleich aber rief eine Mannesstimme: ›Still doch, sonst steche ich Sie tot!‹ Nun stieg die Schweiger wieder die Leiter herab und rief mit lauter Stimme: ›Er ist tot!‹ Worauf bald mehrere Leute herbeigekommen sind. Die von mir gehörte Mannesstimme schien mir die des Bauernburschen gewesen zu sein, der bei den Schweigerschen Eheleuten gearbeitet hat. Für gewiß kann ich es jedoch nicht behaupten.« In einer weiteren Vernehmung fügte sie noch bei: »Als ich, nach geöffnetem Fensterladen, die Schweigerin und ihre Magd sah, hörte ich zugleich vom Stallboden herab eine klägliche Stimme, wie wenn ein Mann um Hilfe gerufen hätte. Nun sah ich die Schweiger auf die Leiter steigen, weiß aber nicht, ob sie ganz hinauf und in den Boden hineingekommen ist. Doch glaube ich es, weil ich von ihr die Worte gehört habe: ›Was gibt's denn? Er wird doch meinen Mann nicht erstochen haben?‹«

Nach diesen beiden übereinstimmenden Zeugenaussagen war wohl nicht mehr zu bezweifeln, daß die Johanna Schweiger weder die Tötung ihres Mannes könne vollbracht haben noch bei der Vollbringung zugegen gewesen sei. Alle Anzeigungen und Zeugnisse gingen nunmehr wider den Drescher Johann Pürner als alleinigen Urheber der Tat. Außer ihm und Schweiger schlief in jener Nacht niemand auf dem Boden. Ein gewisser liederlicher Bursche, namens Wörlein, hatte zwar seit mehreren Wochen ebenfalls in einem Winkel des Heubodens seine Schlafstelle. Allein in der Nacht des 3. August war er nicht hinaufgekommen, wie in den Akten auf das vollkommenste erwiesen vorliegt. Die junge Sämann hatte deutlich Pürners Stimme erkannt, als dem Schweiger mit dem Erstechen gedroht und dessen Ehefrau, auf ihren Jammerschrei: »Herr Jesus! Du hast mir ja meinen Mann erstochen!« mit der Antwort begegnet wurde: »Nein! Nein! Es ist nicht der Herr, sondern der Wörlein!« Auch die zweite Zeugin, Christine Arnold, glaubte Pürners Stimme zu hören. Und nun endlich die wie in Blut gebadeten Hände, die mit Blut bedeckten Kleider, das in Blut getauchte Messer! Diese starken, übereinstimmenden Spuren konnten doch nur an demjenigen sich zeigen, der mit eigner Hand das Blutwerk verrichtet hatte. Zu all dem kam noch das Zeugnis des Polizeigefangenenwärters Schuster über eine Äußerung Pürners am zweiten Tag nach seiner Verhaftung, die gewissermaßen für ein außergerichtliches Geständnis gelten kann und worin, wie sich späterhin bis zur Evidenz zeigen wird, die Lösung des Rätsels enthalten ist, wie Pürner, obgleich Täter, neben der noch frischen Leiche, in aller Ruhe der Unschuld, fest eingeschlafen gefunden werden konnte. Jener Gefangenenwärter traf nämlich am 5. August seinen Gefangenen in Tränen und tiefer Betrübnis. Er fragte ihn um die Ursache. Da erwiderte Pürner: »Wie bin ich denn in dieses Unglück gekommen? Der Wörlein hat mich in den Felsenkeller mitgenommen. Da habe ich einen Rausch bekommen. Ich glaubte, er läge auf dem Schweigerschen Boden an meinem Platze und, weil er lausig ist, wollte ich ihn weghaben. Und weil er nicht hinweg ging, drohte ich, ihn zu erstechen. Ich wußte nicht, daß es der Schweiger war, sondern glaubte, es wäre der Wörlein.« Pürner meint hier denselben Wörlein, der, wie wir oben bemerkten, auf dem gleichen Boden, jedoch entfernt von jenem, zu schlafen pflegte. Das Untersuchungsgericht wurde übrigens durch den Augenschein überzeugt, daß der Wörlein allerdings viel Ungeziefer mit sich trug.

Johann Pürner, zur Zeit der Tat 29 Jahre alt, evangelischer Religion, ist der Sohn eines armen Tagelöhners, ohne Erziehung und nährt sich als Dienstknecht bei Bauersleuten. Sein Ruf ist nicht der beste. Er wird von den Leumundszeugen als faul und dem Trunke ergeben geschildert. Doch von strafbaren Handlungen ist nichts gegen ihn bekannt, nur daß er im Jahre 1826 eines Diebstahls verdächtig wurde. Erst seit acht Tagen vor der Tötung Schweigers war er in dessen Dienst als Drescherknecht aufgenommen, ohne daß, während dieser Zeit, irgend etwas sich ereignet hätte, was in ihm eine feindselige Leidenschaft oder Stimmung gegen seinen Dienstherrn hätte erwecken können.

Am Sonntag, den 3. August, nachmittags gegen vier Uhr, ging er zum Bier in einem sogenannten Felsenkeller. Dort traf er mit dem Wörlein zusammen und blieb dort mit diesem bis nachts zwischen neun und zehn Uhr. Er trank während dieser Zeit, nach Aussage eines aufwartenden Brauknechts, mehr Bier als Wörlein. Der hatte zwei bis drei Maß getrunken. Pürner war diesen ganzen Nachmittag sehr lustig. Er schrie und sang und verließ endlich, wie sich Wörlein ausdrückte, mit »einem ziemlich starken Rausch«, nach Aussage von drei anderen Zeugen, »etwas betrunken«, das Wirtshaus.

Auf dem Weg nach Haus verließ ihn Wörlein. Um zehn Uhr fanden die Polizeisoldaten, Schuster und Weber, als sie durch die Stadt Patrouille machten, den Pürner vor dem Stadtgerichtsgebäude auf einem Stein sitzen. Auf ihre Frage, was er da mache, erfolgte keine Antwort. Er schlief. Man rüttelte ihn, und nun sagte er schlaftrunken: »Ich muß nur noch mein Bier austrinken, dann gehe ich fort.« Als ihm klar gemacht wurde, daß er hier nicht im Wirtshaus, sondern auf der Straße sitze, und daß er sich nach Hause begeben müsse, fragte er: »Wo ist denn mein Bruder Meisel?« So hieß sein voriger Dienstherr. Man sagte ihm, daß Bruder Meisel auch nicht da sei. Da rief er: »So hat der Kerl mich sitzen lassen!« Auf die Fragen, wo er her sei, wie er heiße, gab er eine richtige Antwort. Er wäre vielleicht sitzen geblieben und von neuem eingeschlafen, wenn ihn nicht beide Polizeidiener bei den Armen vom Steine aufgehoben und ihm befohlen hätten, nach Hause zu gehen. Er taumelte hierauf eine Weile und wankte dann seines Wegs dahin. Beide Zeugen bemerken: »Pürner war betrunken. Doch er konnte noch fortgehen. An der Sprache hat man ihm nichts angemerkt.«

Eine Viertelstunde nach zehn Uhr treffen wir ihn wieder im Wirtshause »Zum goldenen Brunnen.« Ob er aber daselbst nochmals Bier getrunken, konnte nicht ausgemittelt werden. Er scheint nicht in die Wirtsstube gekommen zu sein, sondern nur in der Haustenne sich aufgehalten zu haben, um zu fragen, wo er die Wohnung seines Herrn zu suchen habe. Einer der Anwesenden, bei denen er sich nach der Schweigerschen Wohnung erkundigte, sagt von ihm, er sei in der Haustenne hin und hergewankt und ziemlich betrunken gewesen. Ein anderer Zeuge, welcher ihn damals sah, nennt ihn sehr betrunken.

Kurz darauf finden wir ihn abermals auf der Straße, um nach Hause zu gehen. Aber er hat die Richtung verloren. Er weiß nicht, wo das Haus seines Dienstherrn zu finden ist und sieht sich genötigt, die ihm Begegnenden von neuem zu fragen, wo die Schweigersche Wohnung sei. Einer begleitete ihn eine Strecke, bis an das Eck der Straße, an deren Ende sich das Schweigersche Haus befindet. Diese Zeugen bemerkten übereinstimmend, Pürner habe einen unsichern Schritt geführt, sei von einer Seite auf die andere getaumelt und habe die Füße nicht mehr aufheben können. Doch an der Sprache habe man ihm den Rausch nicht angemerkt.

Nachdem er so durch Fragen und Zurechtweisungen endlich das Schweigersche Haus gefunden hatte, stieg er auf der Leiter in den Stallboden, um sich schlafen zu legen. Hier auf seinem Platz fand er schon einen Menschen liegen. Unmittelbar nachher geschah die Tat.

Pürner selbst leugnet sie in allen seinen Verhören. Er benimmt sich aber bei diesem Leugnen derartig und gesteht am Ende wieder so viel zu, daß man, zumal bei so vielen andern zusammentreffenden, höchstdringenden Verdachtsgründen, über ihn als Täter keinen Augenblick mehr im Zweifel sein kann. Ehe wir uns aber eine gründliche Beantwortung der Frage zutrauen dürfen, wie die Tat wohl geschehen sein möge, aus welchen Veranlassungen oder Beweggründen, ob Pürner in zurechnungsfähigem oder nicht zurechnungsfähigem Zustande gehandelt habe, müssen wir zuvörderst den Inquisiten selbst hören.

Im summarischen Verhör antwortet er auf die Frage, ob ihm die Ursache seiner Verhaftung bekannt sei: »Die Leute sagen halt, ich hätte den Schweiger erstochen. Aber davon weiß ich nichts. Ich bin gestern betrunken gewesen und kann gar nicht sagen, was gestern geschehen ist.« Auf eine folgende Frage, will er sich nur noch erinnern, daß er mit Wörlein im Keller gewesen, sich betrunken und seine Zeche bezahlt habe.

Im ersten ordentlichen Verhör weiß er schon mehr zu sagen und traut sich bis zu einem gewissen Punkt eine so klare Erinnerung des Vorgefallenen zu, daß er nunmehr bestimmt zu behaupten wagt, den Schweiger nicht erstochen zu haben. »Ich habe«, sagt er, »am Nachmittag und Abend des 3. August zuerst außerhalb des Kellers eine Maß, dann in demselben noch zwei Maß braunes Bier getrunken. Man war da sehr vergnügt. Es wurde gesungen, und ich habe mitgesungen. Gegen zehn Uhr entfernte ich mich mit Wörlein, der mich auf der Straße verließ. Daraufhin ich allein nach Haus gegangen. Unterwegs aber habe ich mehrere Leute um den Weg nach dem Schweigerschen Hause fragen müssen, und um zehn Uhr habe ich es erreicht. Ich bin sogleich auf die am Stallboden angelehnte Leiter gestiegen, um mich auf dem Boden an dem nämlichen Platz aufs Stroh zu legen, wo ich immer geschlafen habe. Gleich beim Hineinsteigen stieß ich plötzlich an einen Menschen, der schon dalag. Ich mußte doch wissen, wer das sei. Ich fragte ihn darum, erhielt aber keine Antwort. Da fing ich an, an ihm herumzureißen. Er gab noch keine Antwort. Ich fragte nun noch einmal, wer da sei? Endlich erhielt er mit dumpfer Stimme zur Antwort: ›Ich!‹ Jetzt erkannte ich meinen Herrn. Ich sagte zu ihm: ›Er ist es, Andres?‹. Da erhielt ich ganz leise die Antwort: ›Ja!‹ Hierauf legte ich mich neben ihn hin. Kaum lag ich einige Minuten da, so hörte ich die Schweigerin vor mir sprechen: ›Herr Jesus! Was ist denn mit meinem Mann geschehen! Der ist ja ganz kalt!‹ Es überwältigte mich aber der Schlaf. Es fielen mir die Augen zu, und ich weiß nicht mehr, was hierauf geschehen ist. Dem Schweiger habe ich nichts getan. Ich weiß wohl, daß meine Hände und Kleider blutig gewesen, aber dies war ganz natürlich, weil ich neben dem Schweiger gelegen bin. Einen Rausch habe ich damals gehabt, und deswegen bin ich so geschwind eingeschlafen. Aber einen so starken Rausch hatte ich nicht, daß ich nicht wissen könnte, was ich getan. Ich war damals so gescheit wie jetzt. Aber es sind mir denn doch sogleich die Augen zugefallen. Die Schweigerin habe ich, da es finster war, nicht gesehen, sondern nur sprechen hören. Ich weiß nicht, wie sie so plötzlich auf den Boden gekommen. Möglich ist es, daß sie schon vor mir dagewesen. Als sie fragte: ›Ist denn mein Mann tot?‹ antwortete ich: ›Ei, beileibe nicht!‹ Es war mir aber gerade so, als wenn ich nicht hätte reden können.« Das zweite ordentliche Verhör lieferte kein anderes Ergebnis als das erste, außer daß er nunmehr seinem Herrn eine ganz andere Antwort in den Mund legte: »Ich fragte den Unbekannten: ›Wer ist da? Wer liegt auf meinem Platz?‹ Er gab mir keine Antwort. Ich sagte darauf: ›Gehst weg von meiner Ecken!‹« Inquisit schrie die Sätze sehr heftig und laut und zuckte dabei mit seiner rechten geballten Faust, gleichsam als vergegenwärtige er sich die Handlung. »Auf jene Anrede hin sagte der andere: ›Ich mag nicht.‹ Worauf ich mich, weil ich nun den Schweiger erkannte, neben ihn hinlegte. Ich glaubte anfangs, es möchte der Wörlein auf meinem Platze liegen. Getan habe ich dem Schweiger nichts.«

Im dritten Verhör beharrte er nicht nur hartnäckig bei seinem Leugnen, sondern versuchte auch den Verdacht der Tat auf die Ehefrau des Getöteten zu wälzen. Es ist merkwürdig zu sehen, wie behutsame Schritte er macht, um fast ganz allmählich diese Beschuldigung herbeizuführen. Über seinen Zustand in der Nacht vom 3. August befragt, antwortete er: »Noch nie war mir so wie damals. Wenn ich sonst einen Rausch gehabt habe und habe zwei Stunden geruht, so habe ich wieder mit jedem um die Wette laufen können. Aber diesmal war mir halt so närrisch, als wenn ich tot gewesen wäre. Ich weiß übrigens alles, was mit mir geschehen ist. Nur hab' ich nicht recht sehen können. Im Kopfe hat es mir gefehlt. Die Augen hat's mir immer zugedrückt. Die Leiter habe ich nicht selbst herabsteigen können. Sie haben mich von dem Platz, wo ich gelegen, hinweggezogen und über die Leiter hinabgeschleift. Es war mir gerade so, wie wenn ich selbst tot gewesen wäre.« Auf die Frage, warum er gerade damals in einen solchen Zustand verfallen sei, antwortete er: »Das weiß ich halt auch nicht. Hat die Schweiger mich schon so abgerackert oder wie es gegangen ist, ich weiß es nicht.« »Hat dir denn die Schweiger etwas getan?« »Das weiß ich halt auch nicht. Sie ist halt ein böses Luder und kann einem allerlei angetan haben. Wie sie auf den Boden kam, habe ich schon nicht mehr reden können. Sie ist halt eine Hexe. Sie muß ihrem Manne etwas angetan haben, weil er nicht mehr geredet hat, als ich auf den Boden kam. Ich habe ihm nichts getan.« Der Richter fragte ihn: »Wer soll dem Schweiger die Wunde zugefügt haben, wenn nicht du?« Hierauf erklärte Pürner in verschiedenen Antworten: »Es muß halt die Schweigerin ihren Mann verwundet haben. Daß sie es getan hat, kann ich nicht beweisen. Ich aber habe es nicht getan; denn wenn ich es getan hätte, so müßte ich es doch wissen. Die Schweigerin ist auf dem Boden gewesen und kann mir das Messer aus meiner Tasche herausgezogen haben. Sie konnte mir es auch nachher wieder in die Tasche hineinstecken. Wenn ich es getan hätte, so müßte ich es ja wissen. Denn ich habe ja den Schweiger und auch seine Frau sprechen hören.«

Das vierte und letzte Verhör ergab anfangs nichts als eine vielfach in verschiedenen Redensarten und Beteuerungen ausgeprägte Wiederholung des Satzes: ich habe dem Schweiger nichts getan; denn sonst müßte ich es ja wissen. Endlich aber gelang es doch dem Untersuchungsrichter, wiewohl mit Mühe, ihm wenigstens noch folgendes Zugeständnis abzugewinnen. »Ich muß gestehen, daß ich auch noch zu dem Schweiger gesagt habe: ›Wenn du nicht hinweggehst, so ersteche ich dich.‹ Ich glaubte anfangs, es läge der Wörlein auf meinem Platz. Auf den war die Drohung gemünzt; denn es hat mich geärgert, daß er sich auf meinen Platz gelegt und im Nachhausegehen vom Keller sich von mir entfernt hatte. Hätte ich gleich anfangs gewußt, daß es der Schweiger sei, so hätte ich ihn ruhig liegen lassen. Sobald ich aber zur Antwort erhalten hatte: ›Ich mag nicht!‹ erkannte ich an der Stimme den Schweiger und legte mich nun gleich ruhig neben ihn nieder.« Mehr war nicht aus ihm herauszubringen. Die bündigsten Vorhaltungen hatten keinen andern Erfolg als die wiederholte Versicherung, er habe den Schweiger zwar mit dem Erstechen bedroht, aber die Drohung nicht ausgeführt. Wie der demungeachtet erstochen worden, das wisse er nicht. Nur davon sei er überzeugt, daß er es nicht getan, weil er dieses sonst wissen müßte.

Nach eingeholtem ärztlichem Gutachten über den Gemütszustand des Inquisiten und nach geführter schriftlicher Verteidigung wurden die Akten am 22. Oktober zum Spruch eingesandt.

Daß der Inquisit von dem Vorfall in der Nacht des 3. August allerdings noch Erinnerung gehabt habe, daß er folglich auch bei der Tat selbst nicht im bewußtlosen Zustand gewesen sein konnte, geht aus der Vergleichung seiner ordentlichen Verhöre deutlich genug hervor. Er weiß, wie er nach Hause gekommen, wie er die Leiter hinaufgestiegen, wie er einen Menschen, von dem er geglaubt, daß es der mit Ungeziefer bedeckte Wörlein sei, schon auf seinem Platze gefunden und demselben geboten habe, sich zu entfernen, wie er an demselben herumgerissen, als er keine Antwort erhalten, ihn mit Erstechen bedroht habe; hierauf endlich die Ehefrau des Getöteten auf den Boden gekommen sei, welche ausgerufen: »Herr Jesus! Mein Mann ist erstochen!« Wer sich alles dessen erinnert, wer von dem, was der Tötung Schweigers unmittelbar vorausging und was ihr unmittelbar folgte, das Bewußtsein hat, der muß auch wissen, was zwischen diesen beiden einander so naheliegenden Momenten vorgefallen ist, weil es ganz unmöglich ist anzunehmen, Pürner sei während des ganzen Ereignisses bis zur Drohung mit dem Erstechen bei Bewußtsein, dann aber während der Ausführung der Tat ohne Bewußtsein und demungeachtet sogleich nach vollbrachter Tat wieder bei Bewußtsein gewesen.

Selbst das ist nicht zu bezweifeln, daß sich Pürner seinem Richter gegenüber als ein schuldbewußter Verbrecher zeigt. Sein Zurückhalten mit der Wahrheit, seine Lügen und Widersprüche, seine erst nach und nach ihm abgewonnenen Zugeständnisse über vorausgehende und nachfolgende Umstände, endlich sein beharrliches Leugnen der Haupthandlung, hinsichtlich welcher er gleichwohl, zwar keinen juridischen, doch den vollständigen historischen Beweis gegen sich hat und deren er sich so gewiß erinnern muß, als er des übrigen sich erinnert, all dieses verrät ganz deutlich einen Menschen, der versucht, der Strafe für eine verschuldete, böse Tat zu entgehen.

Alles dessen ungeachtet sind wir der scheinbar höchst paradoxen Überzeugung, daß Pürner, wie auch von seinen Richtern erkannt worden, im unzurechnungsfähigen Zustand des Rausches getötet habe.

Wie stark Pürner schon bei seinem Weggehen aus dieser Wirtschaft berauscht war, können wir dahingestellt sein lassen. Daß aber dieser Rausch zunehmen mußte, als Inquisit aus den Dünsten des Bierkellers in die freie Luft und vom Sitzen zum Gehen gekommen war, hat die bekanntesten Erfahrungen für sich. Sein Erinnerungsvermögen war bis zu dem Grade geschwächt, daß er seine Wohnung nicht mehr zu finden wußte, und von Besinnung hatte er nur noch so viel, als er brauchte, um sich mit Hilfe anderer Menschen endlich zurechtzufinden. Daß man an seiner Sprache die Trunkenheit nicht bemerkte, steht damit nicht im Widerspruch. Die Berauschung, selbst einen und desselben Grades, äußert sich nach Verschiedenheit der Personen und Umstände, in sehr verschiedenen Wirkungen. Um auf der Bühne einen Betrunkenen vollkommen zu klarer Anschauung darzustellen, werden nicht bloß Füße, sondern auch Hände, Arme, Kopf und Zunge des Schauspielers trunken erscheinen müssen. In der Wirklichkeit aber werden gewiß schon jedem Menschenbeobachter Betrunkene vorgekommen sein, deren Sprachorgane noch geläufig fortgingen, während schon längst die Füße und Augen ihren ordentlichen Dienst versagten. Oder man sah solche, die noch ziemlich rüstig einherschritten, während ihre schwere Zunge nur noch unverständliche Töne lallte.

Daß der arg betrunkene Pürner über die elf Sprossen hohe Leiter in den Stallboden hineinsteigen konnte, ist ebenfalls nicht zu verwundern. Das Aufsteigen auf einer bekannten Leiter, wo der Körper sich vorwärts bequem anlehnt und die Hände den Füßen forthelfen, ist eine noch bei weitem leichtere Verrichtung als das Gehen, zu der es ebensowenig einer besonderen körperlichen Gewandtheit als vorzüglicher Geistesgegenwart und Umsicht, sondern nur der auf den einzelnen Gegenstand beschränkten, durch das bloße Fühlen und Tasten geleiteten Besinnung bedarf. Mancher, dessen Rausch sich in gänzliche Bewußtlosigkeit auflöst, hat noch einige Augenblicke zuvor seine Kleider ausgezogen und an den rechten Ort gehörig zusammengelegt oder sonst eine ihm gewohnte Verrichtung getan. Unsern Pürner, den wir unmittelbar vor der Tat im Zustande des Rausches sehen, finden wir nun nach der Tat, neben der kaum erkalteten Leiche in tiefem Todesschlaf versunken, aus dem er weder durch Lärmen noch durch Rütteln zu erwecken ist. Er blieb in starrer Unbewegtheit wenigstens anderthalb Stunden liegen, als wäre er selbst zur Leiche geworden, bis es den, gewiß nicht sanften, Ermunterungsversuchen zweier Gendarmen gelingt, ihn einigermaßen zu sich selbst und auf die Füße zu bringen. Aber da stellt er sich sogleich allen Anwesenden als ein viehisch Besoffener dar. Ehe er seinen Rausch ausgeschlafen, war nichts mit ihm anzufangen.

Um den Beweis uns leicht zu machen, daß Pürner im nichtzurechnungsfähigen Zustand des Rausches die Tötung Schweigers vollbracht habe, hätten wir bloß die Lehre Hoffbauers von der »Trunkenheit und deren Einfluß auf den menschlichen Körper« auf den vorliegenden Fall in Anwendung zu bringen. Nach dieser Lehre folgt der sogenannte Todesschlaf unmittelbar auf den dritten höchsten Grad des Rausches. Das ist ein Zustand, der, wie sich Hoffbauer ausdrückt, »als eine mit Wahnsinn verbundene Tollheit zu betrachten ist«. Hiermit stimmt auch Henke in seinen »Abhandlungen aus dem Gebiet der gerichtlichen Medizin« überein. Nur daß er den Todesschlaf als den dritten Grad des Rausches bezeichnet, der einer vollendeten Trunkenheit als zweitem Grad unmittelbar nachfolgt. »In diesen Zuständen der vollendeten Trunkenheit«, sagt Henke, »ist Selbstbewußtsein, Freiheit und Vernunft durchaus gestört und aufgehoben, wenn auch der Mensch noch so weit seiner Sinne Meister ist, um eine gewaltsame Tat zu vollbringen und dazu die sich darbietenden Mittel zweckmäßig zu gebrauchen weiß. Wo aber das Selbstbewußtsein aufgehoben ist, Vernunftgebrauch und Freiheit der Selbstbestimmung fehlen, da kann von Zurechnung gesetzwidriger Handlungen nicht die Rede sein.« Da nun Pürner in dem völlig sinn- und bewußtlosen Zustande gefunden wurde, der als Nachwirkung der vollendeten Trunkenheit eintritt, so würde, die allgemeine Richtigkeit dieser Lehre vorausgesetzt, ohne weiteres folgen, daß er sich während der Tötung Schweigers in dem alle Zurechnung aufhebenden Grade der Trunkenheit müsse befunden haben.

Allein, die Hoffbauersche Lehre dürfte, sofern sie allgemeine Regeln aufzustellen unternimmt, wie in vielen andern Punkten, so auch in diesem, sehr oft mit der Erfahrung in offenem Widerspruche sich befinden. Nicht immer geht dem todähnlichen Schlaf, in dem die durch Überreizung erschöpfte Natur ausruht, um neue Kräfte zu sammeln, der von Hoffbauer bezeichnete dritte Grad der Trunkenheit voraus. Unrichtig ist insbesondere die im allgemeinen hingesprochene Behauptung, daß die Trunkenheit, selbst wenn sie den höchsten Punkt erreicht hat, von dem herab ein Mensch unmittelbar, oft augenblicklich in Bewußtlosigkeit und starre Bewegungslosigkeit versinkt, sich als Wahnsinn oder wahnsinnige Tollheit oder als sonst ein Zustand aufgehobener Zurechnungsfähigkeit darstellte. Es gibt, wie die Erfahrung beweist, Menschen, die, langsamer oder schneller, alle Grade des Rausches durchmachen, ohne auch nur einen Augenblick vom Verstand zu kommen. Während ihre Sinne betrunken sind, ihr Körper alle Folgen des höchsten Rausches empfindet, bleiben sie bei vollem Bewußtsein ihres Zustandes, ihrer selbst noch in dem Grade mächtig, daß sie sich mit ängstlicher Vorsicht innerhalb der Grenzlinie der Sittlichkeit und des Anstoßes halten. Sie wissen sogar mit übermächtiger Seelenstärke selbst noch ihren Körper zu bemeistern. Aber, sobald der Zwang äußerer Rücksichten aufhört, können sie in demselben Augenblick, wie vom Blitze getroffen, bewußtlos dem Todesschlaf in die Arme stürzen.

Es wäre daher möglich, obwohl bei einem so rohen, ungebildeten Menschen äußerst unwahrscheinlich, daß Pürner, im höchsten Grade betrunken, noch bis nahe an die Grenze der Bewußtlosigkeit seines Geistes so weit mächtig geblieben wäre, daß er wohl gewußt hätte, von welcher rechtlichen und sittlichen Eigenschaft die Handlung sei, die er an Schweiger verübe, und daß erst nach vollbrachter Tat, vielleicht infolge der gewaltigen Aufregung und Erschöpfung aller seiner Kräfte, plötzlich der Schlaf ihn überwältigt habe. Allein die nähere Betrachtung des Falles gibt die Gewißheit des Gegenteils. Daß ein Mensch, von dem erwiesen, daß er wenige Minuten vor einer Tat schwer berauscht gewesen und kurz nach derselben im Zustand vollkommener Bewußtlosigkeit schlafend gefunden worden sei, schon an und für sich sehr starke Gründe der Wahrscheinlichkeit eines nicht zurechnungsfähigen Zustandes für sich habe, ist wohl von selbst einleuchtend. Das wird aber im gegenwärtigen Fall noch im besondern dadurch bestärkt, daß sich durchaus keine Veranlassung, kein Beweggrund auffinden läßt, wodurch sonst unser Inquisit zur Tötung seines Herrn hätte bestimmt werden können. Daß Pürner, schon ehe er nachts auf den Stallboden gekommen, an ein solches Verbrechen gedacht habe, dazu ist auch nicht der entfernteste Schein vorhanden. Ein Ereignis auf dem Stallboden, welches erst hier einen Menschen von gesunder Seele hätte zu einem Mord oder Totschlag verleiten können, ist ebenfalls nicht zu ersinnen. Schweiger, mit dem Pürner ohnehin in bestem Vernehmen lebte, lag selbst betrunken schon auf seinem Heu im Schlaf. Er gab also seinem heimkehrenden Knechte gewiß keinen Anlaß zu einem Streit. Wenn aber Inquisit den ruhig Liegenden bloß darum mit dem Messer überfiel, weil er nach seinem Verlangen nicht vom Platze wich, und wenn er dann, nach vollbrachtem Werk, sich gleichwohl neben denselben Menschen zum Schlaf niederlegte, den er, um nicht neben ihm liegen zu müssen, getötet hatte, so erscheint die ganze Handlung als eine Ungereimtheit, dergleichen weder dem Verstande noch einem Affekt oder einer Leidenschaft in ihrem regelmäßigen Verlauf für sich allein zugetraut werden kann.

Pürner war freilich, als er den Schweiger tötete, nicht nur seiner selbst, sondern seiner Handlung als einer Tötung sich bewußt. Das beweisen seine Reden gegen die Ehefrau des Getöteten, und das beweist insbesondere der Umstand, daß er dem Ausrufe der letzten: »Herr Jesus! Er hat ja meinen Mann erstochen!« mit der Antwort begegnete: »Nein! Es ist nicht der Herr, sondern der Wörlein!« Dadurch allein ist noch nicht die Hauptfrage beantwortet, ob sich auch der Inquisit dieser Tötung als eines Verbrechens bewußt gewesen sei? Ob er dieser Eigenschaft seiner Handlung sich habe bewußt werden können?

Daß Inquisit, als er tötete, sich der rechtlichen und sittlichen Eigenschaft seiner Tat zu jener Zeit nicht bewußt gewesen, daß er etwas Gleichgültiges verrichtet zu haben glaubte, das entweder ganz in der Ordnung geschehen oder wenigstens nicht viel mehr auf sich habe als allenfalls eine Ohrfeige, ein Rippenstoß oder ein Fußtritt, hat schon darum hohe Wahrscheinlichkeit für sich, weil er sich unmittelbar nach vollbrachtem Werk neben den Leichnam schlafen legte, so daß er kurz nachher mit allen sichtbaren Zeichen der verübten Tötung neben der Leiche gefunden werden mußte. Wußte Inquisit, was er tat, das »was« auf die rechtliche Natur der Handlung bezogen, so wußte er auch, daß er als Mörder oder Totschläger die schwersten Strafen verwirkt habe. Bei solchem Bewußtsein, verbunden mit der Gewißheit, daß man bereits entdeckt ist, legt man sich nicht ruhig auf das Lager, um, wie vorauszusehen ist, in der nächsten Viertelstunde von der Obrigkeit als Täter, zugleich mit den augenscheinlichen Beweisen der Tat ergriffen zu werden. Dagegen ist auch nicht einzuwenden, Pürner könne ja, nach solcher erschöpfenden Anstrengung, plötzlich vom Trunkschlaf übermannt und dadurch an dem Versuch zur Flucht verhindert worden sein. Nach der Analogie anderer Erfahrungen ist vielmehr als höchstwahrscheinlich anzunehmen, daß die Schrecknisse der vollbrachten, blutigen Tat, die Furcht vor der dadurch verwirkten Strafe, die Angst über die ganz nahe bevorstehende Ergreifung seiner Person, den Taumel des Rausches überwunden und den Täter, wenn nicht ganz ernüchtert, doch so weit bei wachem Bewußtsein erhalten haben würden, daß er wenigstens irgendeinen Versuch zur Flucht oder zur Entfernung der Spuren des begangenen Verbrechens zu unternehmen imstande gewesen wäre. Den sprechendsten Beweis seiner Unbefangenheit gibt endlich noch der Umstand, daß er der Ehefrau des Getöteten, die ihn fast noch bei der Tat selbst überrascht, ganz unbedenklich die geschehene Tötung zugesteht, ihr aber treuherzig die Beruhigung gibt, nicht ihr Mann sei es, sondern nur der Wörlein. Denn daß Tötung Tötung sei, sie möge den Wörlein oder den Schweiger betroffen haben und ein Irrtum in der Person weder einem Mörder noch einem Totschläger zur Entschuldigung gereiche, das hätte diesem rohen Bauernburschen ganz gewiß eingeleuchtet, wenn er überhaupt einer rechtlichen Beurteilung seines Handelns fähig gewesen wäre.

Die herrschende Lehre, wenn sie in ihrer Anwendung sich getreu bleiben will, hat unser Pürner offenbar gegen sich. Gibt es keine andere Art des die Zurechnung aufhebenden Rausches, außer derjenigen, welche die bisherige Psychologie und psychische medicina forensis kennt, muß der höchste Grad des Rausches entweder das Selbstbewußtsein ausgelöscht oder vorübergehenden Wahnsinn und Tollheit erzeugt haben, um den Betrunkenen zu entschuldigen, so hätte unser Inquisit wohl unstreitig verurteilt werden müssen. Denn er hatte nicht nur, wie gezeigt worden, nebst dem Bewußtsein seiner physischen Handlung, das Bewußtsein seiner selbst, sondern es fehlt auch an allen bestimmten Tatsachen, aus denen auf das Dasein von Delirien geschlossen werden könne. Es ist jedoch weder ein Sinnenwahn noch ein Phantasma der fiebernden Einbildungskraft zu entdecken. Es ist weiter nichts als ein Irrtum, der in der Dunkelheit selbst dem vernünftigsten, nüchternsten Menschen hätte begegnen können und dem von Bierdünsten benebelten Pürner um so leichter begegnen mußte, da er weit mehr Gründe hatte, den Wörlein an seinem Platz zu vermuten als seinen Herrn. Jener Wörlein hatte ihm überdies kurz vorher einen bösen Streich gespielt. Er hatte, anstatt den Trunkenen nach Hause zu begleiten, ihn auf freier Straße sich selbst überlassen. Nichts war daher natürlicher, als daß Pürner, da er einen Menschen schon auf seiner Schlafstelle fand, an niemand andern dachte als an Wörlein. Er mußte glauben, daß der sich von seiner Seite hinweggeschlichen habe, um früher nach Hause zu kommen und seinen Platz einzunehmen. In der Verwechslung Schweigers mit Wörlein ist daher ebenfalls keine Anzeige von eigentlicher Geistesverwirrung zu erkennen.

Allein die folgende Betrachtung wird uns leicht das Rätsel lösen, wie ein Betrunkener, ohne Wahnsinn oder Tollheit, mit Bewußtsein, sogar in gewisser Beziehung mit Verstand handeln und gleichwohl in einem nicht zurechnungsfähigen Zustande sich befinden könne.

Die nächste Wirkung, in der sich gleich bei ihrem Beginn die Trunkenheit äußert, ist eine eigentümliche Erregung und Erhöhung des Sinnenlebens. Der Mensch wird von dem Gefühl allgemeiner Behaglichkeit umfangen. Für sinnliche Eindrücke wird er besonders empfänglich. Von den ihn umgebenden Erscheinungen mächtiger als sonst angezogen, gibt er sich der äußeren Gegenwart hin, der sich seine Seele mit allen ihren Vorstellungen, Empfindungen und Gefühlen zuwendet. Der Trunkselige lebt für heute. Vergangenheit und Zukunft treten ihm in neblige Ferne zurück. Wenn er sie herbeizieht, um sich mit ihnen zu beschäftigen, so geschieht es nur, um sie in die Farben der Gegenwart zu kleiden. Was ihn nicht von außen anregt, ist seinem Geist fern. Wenn etwas anderes vorübergehend seine Teilnahme auf sich zieht, so steht es entweder mit dem nun eben gegenwärtig Vorhandenen in naher Verbindung oder wurde ihm auf irgend andere Weise nahegebracht. Im Anschaulichen sich bewegend, vom Einzelnen und Besonderen, wie der Moment es bringt, ergriffen und fortgezogen, wird er immer weniger empfänglich für alles, was er in der Allgemeinheit des Gedankens fassen und mit dem Begriffe festhalten soll. Soweit ihn das Gegenwärtige, Vorhandene dazu anregt, wird wohl auch sogar dasjenige, was ganz allein der unsichtbaren Welt der Vernunft oder des Verstandes angehört, seine Seele teilnehmend berühren, vielleicht auch lebendig erfüllen, jedoch nur insofern, als er es zugleich mit sich in den Kreis seines Sinneslebens herabziehen, das Geistige verkörpern, die Gedanken in Anschauungen, die Begriffe in Bilder verwandeln kann. Daß der Trunkene sich gewöhnlich heiteren Vorstellungen überläßt und selbst seine bekümmerte Brust ihre Last nicht fühlt, daß er, nach dem bekannten Wort: in vino veritas, sonst behutsam und verschlossen, nunmehr im Handeln unverstellt und unbesorgt, sein Inneres hingibt, daß der sonst Feige bis zur Kühnheit sich erhebt, der feierlich Ernste, seiner sonst ängstlich bewahrten Würde nicht achtend, in leichtfertigem Mutwillen oder gemeiner Lustigkeit sich vielleicht dem Gespötte preisgibt, daß der vorsichtig berechnende, verständige Mann sich in Unbesonnenheiten verirrt, die er, sobald die Dünste verflogen, nach Jahren noch bereut, all diese und viele andere alltägliche Erscheinungen haben ihren Grund einzig in der vorherrschenden, anziehenden Macht des sinnlich Gegenwärtigen. Das Gemüt wird von der Erinnerung des Vergangenen wie von der Erwägung des Zukünftigen abgezogen. Zugleich wird es aber von dem eindringenden Farbenschimmer der Außenwelt alles dasjenige, was über oder unter der Oberfläche der angeschauten, empfundenen Wirklichkeit liegt und nicht mit den Sinnen wahrgenommen, sondern nur mit Begriffen erfaßt werden kann, nicht der sinnlichen Natur zu dienen, sondern sie zu regeln und zu beherrschen bestimmt ist, mehr und mehr überstrahlt. Mit allem diesem ist nun freilich bei weitem noch nicht die Zurechnung ausgeschlossen.

Aber je mehr die Trunkenheit zunimmt, desto mehr wird der Geist von der Gegenwart und den Erscheinungen, die sie ihm von außen bietet, angezogen. In desto weiterer Ferne treten Vergangenheit und Zukunft vor ihm zurück. Desto enger wird der Zeitraum, den er mit einem Blick zu umspannen vermag. Um so beschränkter wird sein Gesichtskreis zur gleichzeitigen Auffassung verschiedener vor seinen eigenen Sinnen, selbst innerhalb kurzer Zeit nach einander vorübergegangener Erscheinungen, bis er endlich, von dem Wirbel der Gegenwart verschlungen, gleichsam nur noch als Teil eines Zeittropfens lebt. Mit der Erinnerung ist die Vorstellung von dem Vergangenen wie von dem Zukünftigen erloschen. In seinem Bewußtsein findet er weder ein »Ehemals« noch ein »Dereinst«, weder ein »Heute« noch ein »Morgen«, nur noch ein kleines dürftiges »Jetzt«. Er weiß nicht, daß er kurz vorher schon war. Er ahnt nicht, daß er bald nachher noch sein wird. Er fühlt sein Dasein, wie ein Tier, das nur noch in dem gegenwärtigen Augenblick, der schon im nächstfolgenden wieder der Vergangenheit angehört. Während er ganz den Sinnen, ihren Vorstellungen, Eindrücken und Anregungen anheimgefallen ist, sind zugleich die Sterne sittlicher und rechtlicher Ordnung tief unter seinem engen Horizonte untergegangen. Kein Strahl von ihnen kann seine Seele mehr erreichen. Pflicht und Recht sind daher nunmehr nicht etwa bloß aus seiner Achtung, sondern ganz aus seinem Bewußtsein gekommen. Er kann sie nicht achten, weil er sie nicht mehr hat. Er hat sie nicht mehr, weil er sie nirgendwo mehr in seinem Innern findet. Er findet sie hier nicht mehr, weil er der Welt, der sie angehören, entrückt und in einen Kreis gebannt ist, in dem nichts ihn erreicht, als nur dasjenige, womit die nächste Gegenwart von außen seine Sinne berührt. In diesem Zustand, in der der Mensch mit den Tieren so ziemlich auf einer Linie steht, ist das Bewußtsein keineswegs aufgehoben. Es ist aber beschränkt auf das wenige, das in dem engen Raume einer, um mich so auszudrücken, kaum spannenlangen Gegenwart Platz findet, auf ein Zeitpünktchen, das, während alles, was außerhalb desselben der Vergangenheit oder der Zukunft angehört, in dicker Finsternis vergraben liegt, noch ganz allein mehr oder minder erleuchtet vor seiner Seele steht. Innerhalb dieses Kreises hat er Wahrnehmungen, Vorstellungen und Empfindungen. Aber was er wahrnimmt und sich vorstellt, ist jedesmal nur ein aus dem Zusammenhang der Dinge losgerissenes Bruchstück. Was er empfindet, ist nur der Eindruck einer ihn berührenden, augenblicklichen, einzelnen Erscheinung. Und was jene Vorstellungen, diese Empfindungen in ihm aufregen, das allein wird Bestimmungsgrund seines Begehrens und Wollens. Sein Wollen und Handeln ein blindes, tierisches, weil sein Geist nichts mehr auffaßt, als das, was ihm vor den Füßen liegt, in die Augen fällt oder in die Ohren schallt, weil nicht nur die sittliche Welt mit ihren Geboten, sondern auch die sinnliche, bis auf das kleine, abgeschlossene Fleckchen, welches noch von ihr in seinen Gesichtskreis fällt, in ihm untergegangen ist. Er stellt sich daher, wenn er handelt, zwar sein Tun als dasjenige vor, was es bezogen auf dessen nächsten Zweck sein soll und ist, allein nicht nur ohne alle mögliche Beziehung auf Begriffe der Sittlichkeit und des Rechts, sondern auch außer allem Zusammenhang mit ihren Folgen, soweit diese nur einigermaßen über die nächste, unmittelbare Wirkung der Tat hinausgehen. Ohne wirklicher Blödsinn zu sein, hat doch ein solcher Zustand wenigstens in seinen Äußerungen und Folgen die allerengste Verwandtschaft damit.

So läßt sich nun vollkommen erklären, wie Pürner, ohne sich in Wahnsinn oder Tollheit zu befinden, den vermeintlichen Wörlein, der nicht von seinem Platze wich, diesen hartnäckig behauptete und verteidigte, endlich in tierischem Zorn mit seinem Messer tödlich überfallen. Er konnte das mit Bewußtsein, wenngleich ohne alles Schuldbewußtsein begehen. Am folgenden Tag erinnerte er sich dann, zumal er sich selbst im Gefängnis, seine Hände und Kleider voll Blut, seinen Herrn ermordet sah, des wachenden Traums der vorigen Nacht. Und jetzt, doch jetzt erst machte er mit Schrecken die Entdeckung, daß seine Hände eine Tat vollbracht, für die man sein Blut fordern werde, und die er leugnen müsse, um nicht eine Strafe zu erleiden, die er wenigstens mit seinem Willen nicht verdient habe.

Der wesentliche Inhalt des gerichtsärztlichen Gutachtens war folgender: »Pürner ist, gemäß der mit ihm vorgenommenen Untersuchung, ohne äußere Gebrechen und bis auf einen Hautausschlag vollkommen gesund. Seiner Äußerung nach habe er öfters einen Rausch, wozu es bei ihm keiner großen Menge Bieres bedürfe. Er sei während der Trunkenheit immer lustig und nicht zum Zorn geneigt, verfalle hinterher jedesmal in einen totenähnlichen Schlaf, sei sich aber in seiner letzten Trunkenheit alles Vorgefallenen deutlich bewußt gewesen. Aus der Unterredung mit ihm hat sich ergeben, daß er zwar nicht dumm sei, vielmehr einen gesunden natürlichen Verstand besitzt, aber gleich andern seines Standes, auf einer sehr niedrigen Stufe geistiger und sittlicher Bildung steht. Unter den vorwaltenden Umständen hat Pürner von den drei Maß Bier, das er an jenem Sonntag getrunken, gar wohl berauscht werden können. Im Kellerhaus hat sich derselbe noch im ersten Grade der Trunkenheit befunden, in dem der Mensch noch vollkommen bei Verstand, aber in aufgereizterem Zustand als gewöhnlich ist. Auf seinem Weg in die Stadt hat jedoch die Berauschung zugenommen und ist bald in den zweiten Grad übergegangen. In diesem Zustand mag Pürner wahrscheinlich auf dem Stallboden mit dem Schweiger, den er für Wörlein gehalten, in das Handgemenge geraten sein und nun, in blindem Jähzorn, demselben zuerst mehrere nicht tödliche Stiche, dann aber, durch dessen mutmaßliche Gegenwehr noch mehr gereizt, ihm den Stich in das Herz versetzt haben. Nach diesem Vorfalle ist die dritte Periode der Berauschung eingetreten, in der als Nachwirkung Schlafsucht, Betäubung, zuweilen selbst Schlagfluß folgt. Hiernach ist mit Gewißheit anzunehmen, daß Pürner außerstande war, die Folgen seiner Handlung einzusehen und wegen des hohen Grades seiner Verstandesverwirrung, seiner Willensfreiheit und Selbstbestimmung nicht mächtig gewesen sei.«

Wenngleich diese Darstellung der Sache den höheren wissenschaftlichen Forderungen nicht eben genügte und gar manche Fragen unbeantwortet ließ, so konnte wenigstens das Ergebnis des Gutachtens keinem erheblichen Zweifel unterliegen. Und da der Artikel 334, Teil II des Strafgesetzbuches die Lossprechung eines Angeschuldigten schon dann befiehlt »wenn eine die Strafbarkeit aufhebende Einrede, obgleich nicht vollständig erwiesen, jedoch bis zur Wahrscheinlichkeit gebracht ist«, im gegenwärtigen Falle aber viele übereinstimmende Tatsachen erwiesen vorlagen, die, selbst abgesehen von dem gerichtsärztlichen Gutachten, zum allerwenigsten die hohe Wahrscheinlichkeit begründeten, daß Pürner infolge höchster Trunkenheit sich gemäß Artikel 121, Teil I des Strafgesetzbuches, in einem Gemütszustande befunden, worin er sich, wenngleich seiner Handlung, doch nicht »ihrer Strafbarkeit« bewußt gewesen, so mußte Inquisit durch Erkenntnis vom 18. November 1828 für nicht schuldig erklärt und von der Strafe freigesprochen werden.


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