Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Joseph Auermann
oder
Tadelloser Mensch und Bürger und zuletzt doch ein Mörder

Der Mensch, der von dem Hofgerichte Neuburg zur Strafe des Schwerts verurteilt worden ist, gehört in die Reihe derjenigen Verbrecher, die wegen ihrer Tat mehr als Unglückliche zu bemitleiden denn als Missetäter zu verabscheuen sind. Unser moralisches Gefühl will sie in Schutz nehmen, wenngleich die strenge Gerechtigkeit sie als schuldige Opfer fordert.

Die Akten zeigen hier einen rechtlichen und allgemein geachteten Bürger, der im Drange zusammentreffender Umstände unerwartet in ein grausames Verbrechen fällt, das mit seinem erprobten Charakter, mit seinem ganzen bisher geführten Leben, mit allen seinen Neigungen, Leidenschaften und Gesinnungen in grellem Widerspruch zu stehen scheint.

Joseph Auermann ist katholischer Religion, 36 Jahre alt, in dem Städtchen Beilngries gebürtig, wo sein schon vor acht Jahren verstorbener Vater als Bäckermeister lebte. Auch er selbst nährte sich anfangs vom Bäckerhandwerk, gab es aber nachher auf und übernahm eine Ziegelhütte, die mit den dazugehörigen Grundstücken sein Vermögen ausmacht, das an Wert ungefähr 4000 Gulden beträgt, worauf aber 2000 Gulden Schulden haften. Seit zehn Jahren ist er verheiratet, und in dieser Ehe erzeugte er vier Kinder, wovon noch zwei am Leben sind. Ein Mädchen von zehn Jahren und ein Knabe von einem Jahr. Auermann, weit entfernt, je von der Obrigkeit eine Strafe erlitten oder verdient zu haben, stand wegen seiner unbedingten Rechtlichkeit in allgemeiner Achtung. Alle abgehörten Zeugen, Mitbürger, Nachbarn, das Hausgesinde stimmen in folgender Charakterschilderung miteinander überein: Er war ein durch und durch ehrlicher und rechtlicher Bürger. Mit rastlosem Fleiß suchte er seine Familie redlich zu ernähren und seine Geschäfte vorwärtszubringen. Er spielte nicht, trank wenig, war guttätig gegen Arme, bezeigte sich freundlich, zuvorkommend und dienstfertig gegen jedermann. Der Religion war er treu ergeben. Nicht bloß ihren Gebräuchen, sondern ihr selbst in Gesinnung und Tat. Nie suchte er Händel. Er war durchaus friedfertig, nachgebend und zu aufbrausendem Zorne nicht im mindesten geneigt. Beleidigungen wußte er zu ertragen und zu verzeihen. Spöttische Neckereien über sich pflegte er mit gutmütiger Laune anzuhören und wohl selbst zu belachen. Es war das gewöhnliche Zeichen seines höchsten Zorns, wenn er zu sprechen aufhörte. Sein Gesinde lobte ihn wegen seiner Gutherzigkeit und Milde. Mit dem Knechte Pögel, eben dem Menschen, an welchem er zuletzt zum Mörder wurde, lebte er nach Aussage eines Zeugen wie ein Vater mit seinem Kinde. Als ihm einst dieser Pögel einige Sachen veruntreut hatte, blieb er dennoch friedfertig und liebreich gegen ihn, wie zuvor. Auch als Ehemann war er musterhaft. Seine Ehefrau gibt ihm, nach zehnjähriger Ehe das Zeugnis, nie einen Streit mit ihm gehabt zu haben. Bei solchen Eigenschaften durfte ein Zeuge, der ihn neunzehn Jahre lang als Nachbar kannte, mit Recht von ihm sagen: »Ich habe in meinem Leben keinen braveren Mann gekannt.« Seinem Knechte Pögel war er teils an rückständigem Gesindelohn, teils an Geld, das er von ihm geliehen, die Summe von 400 Gulden schuldig. Pögel kam aus seinem Dienste, kaufte in Dietfurt ein bürgerliches Anwesen und brauchte zur Bezahlung des Kaufschillings diese Summe. Da Pögel auf Bezahlung klagte, wurde dem Auermann durch richterliches Dekret vom 29. November 1806 auferlegt, dem Konrad Pögel das schuldige Kapital nebst Zinsen binnen vier Wochen bei Vermeidung der Exekution zu zahlen.

Auermann machte sogleich Anstalten, diese Summe, die er nicht vorrätig hatte, als Darlehen aufzubringen. Er ging an vielen Orten zu manchen Personen. Er sparte weder Versprechungen noch Bitten. Aber seine Mühe war umsonst. Ein Stadtpfarrer wies ihn mit Hohnlächeln und beißenden Reden ab. Viele wollten, andere konnten ihm nicht helfen. Zu einer gewissen Johanna Baur kam er in diesem Anliegen zu verschiedenen Zeiten dreimal. Als auch beim dritten Male wieder dieselbe Absage ihm zuteil wurde, schlug er die Hände mit dem Ausruf zusammen: »Um Gotteswillen! Was fang ich an? Ich bekomme die Exekution. Ich bin doch ein angesehener Mann. Ich schäme mich.« Dennoch ermüdete er nicht. Am 18. Dezember begab er sich zu einem gewissen Schermer, bat auch bei diesem wehmütig dringend um Hilfe. Er mußte aber, wie bei den übrigen, ohne Geld und ohne sicheres Versprechen, mit Tränen in den Augen, fortgehen. Seine Schwiegermutter hatte an vielen Orten Geld ausstehen. Sie erlaubte ihm, durch Einforderung der rückständigen Zinsen oder Aufkündigung einzelner Kapitalien die nötige Summe zusammenzubringen. Er lief bei mehr als zwölf Personen umher und brachte auch von diesen nur leere Hände oder unsichere Versprechungen zurück.

Am 19. Dezember, vierzehn Tage vor Ablauf der Frist, kam endlich Pögel von Dietfurt zu ihm in das Haus. Mit Ungestüm forderte er das schuldige Geld und erklärte, nicht eher aus dem Hause zu weichen, bis er die Schuldsumme erhalten habe. Wirklich quartierte er sich gleichsam zur Exekution ein, drängte sich an den Tisch der Auermannschen Eheleute und blieb eigenmächtig selbst über Nacht im Hause, wo er in der Ziegelstube sein Nachtlager nahm. Sein Betragen gegen den unglücklichen Schuldner war nun eine ununterbrochene grobe Beleidigung. Bei jeder Gelegenheit nannte er ihn einen Betrüger oder Spitzbuben. Durch die friedlichsten Gegenreden, es sei ja der Termin noch nicht gekommen, er werde sein Geld schon erhalten, ließ er sich nicht zum Schweigen bringen. Selbst das Gesinde wurde über Pögel erbittert und bemitleidete den Herrn. Die Dienstmagd Mentl sagt aus: Pögel habe sein Geld nie anders, als mit beleidigenden Vorwürfen gefordert und immer wiederholt: »Alle Leute sagen, ich bekäme mein Geld nicht. Du kommst auf die Gant. Du kommst dein Lebtag nicht mehr auf! Alle Leute sagen es.« So habe er sich fast bei jeder Mahlzeit betragen und sooft er des Herrn ansichtig geworden. Der habe sich fast nicht mehr getraut, in seine eigene Stube zu gehen. Dieselbe Zeugin erklärte an einem andern Ort, sie habe während dem dreitägigen Aufenthalt des Pögel oft gesehen und gehört, wie dieser ihren Dienstherrn um das schuldige Geld gepeiniget und mit so tief schneidenden Worten beleidigt habe, daß mancher jähzornige Mensch vielleicht schon auf eine einzige solche Rede ihn erschlagen haben würde. Über dieses unverschämte Benehmen des Pögel ist unter allen Zeugen nur ein und dieselbe Stimme.

Am 21. Dezember, an einem Sonntag, setzte Pögel fast mit noch größerem Ungestüm als zuvor sein Unwesen fort. Er drang bei Tisch und nach dem Essen mit mancherlei zudringlichen und beleidigenden Reden von neuem in den unglücklichen Schuldner, nannte ihn einen schlechten Mann und Spitzbuben, der ihm sein Geld nicht schaffe und schrie, indem er mit den Händen auf seine Beinkleider schlug: »Das Geld muß herbei! Und solle es vom Firmament herunterkommen!« Da brach dem Auermann die Geduld. Er eilte mit weinenden Augen aus dem Hause fort, weil er die Qual dieser Vorwürfe nicht länger auszuhalten vermochte, und um nochmals zu versuchen, ob er nicht durch Herbeischaffen des Geldes sich von seinem Quälgeiste befreien könnte. »Jetzt kann ich aber nicht mehr bleiben, wie der Sakrament mich plagt!« sprach er im Vorübergehen zu seiner Magd, als er zum Hause hinausging.

Von seinem Fenster aus hatte er beim Weggehen einen seiner Brüder, der auf einer benachbarten Ortschaft ansässig ist, in das Städtchen hineinreiten sehen. Auch andere seiner Bekannten waren aus der umliegenden Gegend an diesem Nachmittag in Beilngries anzutreffen. Er hoffte daher noch von dem einen oder dem andern Hilfe oder wenigstens hilfreichen Rat zu erlangen. Den ganzen Nachmittag brachte er auch wieder damit hin, zu finden, was er bisher vergebens gesucht hatte. Allein sein Bruder war nicht imstande, ihn zu unterstützen. Die Bekannten, welche er ansprach, oder andere, an die ihn seine Bekannten empfahlen, waren es ebensowenig oder behaupteten, es zu sein.

Da die Personen, von denen er seine Rettung erwartete, in verschiedenen Schenken aufgesucht werden mußten und er immer von dem einen zu dem andern gewiesen wurde, so brachte er diesen ganzen Nachmittag und einen Teil des Abends in Wirtshäusern zu und nahm über die Grenzen seiner bisherigen Gewohnheit vielerlei Getränke zu sich. In der Regel pflegte er nur zwei bis drei und höchstens fünf halbe Maß Bier zu trinken. An diesem Nachmittage bis ungefähr halb acht Uhr hatte er, nach seiner Berechnung, bei verschiedenen Bräuern im ganzen vierzehn halbe Maß zu sich genommen. Mag von dieser Zahl einiges abgerechnet werden müssen, so darf man sie gemäß den Aussagen der Wirte selbst und anderer Zeugen wohl nicht geringer als auf zehn halbe Maß oder Seidel herabsetzen. Wenn man nun bedenkt, daß Auermann so viel zu trinken gar nicht gewohnt war, daß er vielerlei Bier durcheinander zu sich genommen, daß gerade damals sein Gemüt von frischem Ärger gereizt, von ängstlichen Sorgen, von Furcht und Hoffnung leidenschaftlich bewegt und zerrüttet war, so hat seine Behauptung, daß er zuletzt berauscht geworden, allerdings sehr hohe Wahrscheinlichkeit für sich, wenngleich von allen abgehörten Zeugen kein einziger Trunkenheit an ihm bemerkt haben will. Dieser Zustand äußert sich nicht bei allen Menschen auf gleiche Weise und ist bei vielen, zumal bei Temperamenten, wie das des Inquisiten, kaum bemerkbar.

Abends um halb acht Uhr begab er sich endlich aus dem Wirtshaus des sogenannten Walthierer, dem letzten, der an diesem unglücklichen Nachmittag von ihm besuchten Wirtshäuser, auf den Weg nach Hause. Und dieses war der Weg zu seinem Verbrechen.

Sein Bekenntnis ist folgendes: Im Nachhausegehen beschäftigte ihn der traurige Gedanke an seine unglückliche Lage, an die Beleidigungen, die er von Pögel schon ertragen und an die neuen Kränkungen, denen er entgegengehe.

»Da ergriff mich der Groll«, sagte er, »und ich dachte, wenn der Pögel noch zu Hause ist und mich wieder um das Geld quält, wozu er in meinem Hause kein Recht hat, zumal die Zahlungszeit noch nicht vorüber ist, so erschlage ich ihn. Er ist nicht mehr wert.«

Mit diesem Gedanken kam er vor sein Haus. Er sah Licht und merkte, daß seine Leute noch wach seien. Er bedachte, wenn er jetzt schon hineingehe und an Pögel allenfalls seinen Vorsatz ausführe, so würde der Lärm und das Getöse seine Tat entdecken. Er stieg also auf seinen Ziegelboden, legte sich auf das Stroh und schlief ungefähr bis um halb zehn Uhr. Beim Erwachen stand ihm sein Elend wieder vor der Seele mit allen Leidenschaften und Empfindungen, die sein Herz wider den unerträglichen Gläubiger empört hatten. Mit ihm selbst war auch sein Entschluß aus dem Schlaf erwacht. »Ich stieg jetzt«, dieses sind seine eignen Worte, »mit dem vollen Vorsatz in das Haus hinunter, den Pögel, wenn er noch da sei und mich wieder tribuliere und schikaniere, zu schlagen, wenn ich ihn auch totschlage.« Doch setzte er gleich erläuternd hinzu: »Ich habe den vollen Vorsatz gehabt, ihn zu erschlagen.«

Als er an seinem Haus anpochte, wurde ihm die Tür von diesem Pögel geöffnet. Der war schon halb ausgezogen und hatte sich in der Ziegelstube in seine Bettstatt auf das Stroh zum Schlaf hingelegt. Auermann ging mit ihm hinein, nahm aus der Ofenröhre die Suppe, die ihm seine Frau übriggelassen hatte und setzte sich zum Essen nieder. Kaum war dies geschehen, so fing Pögel wieder zu mahnen und zu drängen an. Auermann vergalt diese Reden mit dem Vorwurf der in seinem Dienst begangenen Treulosigkeiten und Diebereien. Daraus entstand ein Wortwechsel, der damit endigte, daß jener ein bei der Hand liegendes Spanscheit in die Rechte nahm, den Pögel mit der Linken zu Boden warf und ihm hierauf durch wiederholte gewaltige Schläge den Hirnschädel zerschmetterte, bis er unter den Streichen den Geist aufgab.

Als dies vollbracht war, legte er den Leichnam in die mit Stroh gefüllte Bettstatt, steckte ihn mit dem Kopf bis an den Unterteil des Leibes in einen Sack, um die Verblutung in die Stube zu verhindern, und schleppte ihn dann auf den Ziegelboden hinaus, wo er ihn mit dessen Kleidern unter das Stroh verbarg. Nun vertilgte er emsig die Blutspuren. Um zwölf Uhr ging er zu seiner Frau in das Bett hinauf.

Am folgenden Morgen ließ er seinen Bruder Johann Auermann zu sich kommen. Ihm entdeckte er unter Wehklagen die unglückliche Tat und beredete ihn, in der Ziegelhütte ein Grab zu machen. Beide Brüder begruben hier die Leiche.

Am selben Morgen entdeckte er auch seiner Frau den begangenen Mord. Auch dem Gesinde blieb er nicht lange verborgen. Das plötzliche Verschwinden des Pögel, verschiedene Blutspuren im Stroh, widersprechende, verdächtige Reden und Handlungen ihres Herrn verrieten ihnen bald sein schreckliches Geheimnis. Die Dienstmagd Mentl rief ihn endlich am 26. Dezember, das war fünf Tage nach der Tat, mit seinem Knechte Eckerlein in eine Stube auf die Seite. Sie hielt ihm ihren Verdacht wegen der Ermordung des Pögel vor. Er gestand beiden sein Verbrechen. Doch schwiegen diese anfangs, um nicht an ihrem Herren zu Verrätern zu werden.

Von Gewissensangst getrieben und auf den Rat seiner Dienstboten, beschloß er endlich, sich selbst dem Gericht anzugeben. Er ging in dieser Absicht am 28. Dezember in das Haus des Landrichters. Beim Eintreten stand die Braut des Erschlagenen vor ihm. Ein unerwarteter Anblick, der so tief in sein Gewissen schlug, daß er bestürzt, ohne ein Wort zu reden, mit wild herumirrendem Blick, schnell wieder umkehrte und zur Tür hinauseilte. Diese Tatsache gründet sich teils auf sein eigenes Bekenntnis, teils auf das Zeugnis der Katharina Kind, der Braut des Erschlagenen.

Am gleichen Tag kam die gerichtliche Angabe des Knechts Eckerlein seiner Selbstanzeige zuvor. Daraufhin wurde die Untersuchung beschlossen und der Inquisist noch in derselben Nacht in Haft genommen. Gleich in seinem ersten Verhör gestand er den Todschlag. Er behauptete nur, daß erst bei dem Wortwechsel in der Ziegelstube der Gedanke einer Mißhandlung des Pögel in ihm aufgestiegen sei, und daß er ihn in Notwehr, weil er mit einem Messer auf ihn zugekommen sei, erschlagen habe. Allein beim dritten Verhör widerrief er dies Vorgeben als Unwahrheit und bekannte die Tat, wie sie oben erzählt worden ist, wobei er auch in den folgenden Verhören beharrte. Am 30. Dezember wurde die Leiche an dem von dem Inquisiten bezeichneten Orte ausgegraben. Alle Anwesenden erkannten in dem Leichnam den Pögel. Die gerichtliche Besichtigung und die Sektion wurden am folgenden Tag vorgenommen. Alle Verwundungen zeigten sich am Kopf. Das Hinterhaupt war ganz zerschmettert, so daß an einigen Stellen selbst das Gehirn vordrang. Das Gutachten des Landgerichtsphysikus fiel dahin aus, daß diese Wunden absolut tödlich gewesen seien.

Die Tatsachen selbst sind in allen wesentlichen Punkten so klar und unbezweifelt hergestellt, daß alle weitere Erörterung überflüssig sein würde. Ebensowenig ist an der Zurechnung zur Strafe überhaupt oder an dem Vorsatz zur Tötung zu zweifeln. Der letztere ist wiederholt eingestanden, die erstere leuchtet aus dem ganzen Vorgang hervor. Denn die Trunkenheit des Delinquenten war bei weitem nicht in dem Grad, daß sie die Zurechnung ausschließt. Auermann überlegte, urteilte richtig, handelte verständig und den Umständen ganz gemäß. Er wußte sich fast aller Einzelheiten, Tatsachen, selbst seiner Gedanken, Gefühle und Entschlüsse klar und bestimmt zu erinnern.

Die Bestimmung der Strafe mußte aus dem gemeinen Recht geschöpft werden, weil in dem ehemals eichstättischen Ort Beilngries der bayerische Kriminalkodex keine Gültigkeit hatte.

Die peinliche Gerichtsordnung Karls V. macht eine wesentliche Unterscheidung zwischen Mord und Todschlag. Unter Todschlag wird eine Entleibung verstanden, die ohne vorhergehende Überlegung, in plötzlicher Aufwallung des Zorns beschlossen und auf der Stelle ausgeführt worden ist. Unter Mord hingegen versteht man eine Entleibung, die mit Überlegung beschlossen oder im Zustand der Überlegung ausgeführt wurde. Dem Todschlag wird die Strafe des Schwerts, dem Mord die Strafe des Rads angedroht.

Erwägt man, daß die unmittelbare Veranlassung zur tödlichen Handlung des Auermann die vorhergegangenen Beleidigungen des Pögel gewesen sind, daß im Zank und unter wechselseitigen bitteren Vorwürfen das erste beste Holzscheit ergriffen und damit die Entleibung ausgeführt wurde, so scheint allerdings der leichtere Fall eines Todschlags vorhanden zu sein. Allein eine im Affekt ausgeführte Tötung ist darum noch kein Totschlag »aus Jäheit und Hitze des Zorns«. Auermann hatte auf den Fall, wenn ihn Pögel wegen der Schuld von neuem ängstige, dessen Tötung schon vorher beschlossen. Auf dem Weg nach Haus stand schon dieser Vorsatz in ihm fest. Damit er bei dessen Ausführung nicht gestört oder entdeckt werde, begab er sich, als er noch Licht bemerkte, nicht gleich in seine Wohnung, er wollte erst den Schlaf seiner Hausgenossen abwarten. Bei seinem Erwachen auf der Ziegelscheune wurde der Vorsatz, mit dem er sich niedergelegt hatte, von neuem gefaßt und bestätigt. Mit diesem Vorsatz, den Pögel in dem vorausgesetzten, wahrscheinlichen Falle zu töten, stieg er von der Ziegelscheune zur Wohnung hinab. Dieses alles bezeichnet deutlich genug die überlegte Tötung, also den Mord. Dürfte man annehmen, daß diese Entleibung in der Absicht beschlossen worden sei, um sich dadurch von der Schuld selbst zu befreien, so wäre Inquisit sogar ein Raubmörder zu nennen. Allein dafür liefert weder das Bekenntnis des Inquisiten noch sonst eine Quelle die erforderlichen Tatsachen. Auermann, sonst ein verständiger Mensch, mußte auch wissen, daß dieser Absicht der Erfolg nicht entsprechen könne, weil die Summe, die dem Pögel nicht bezahlt werden konnte, dessen Erben bezahlt werden mußte. Als eigentliche Triebfeder zu diesem Entschluß gibt er den erwachenden Groll gegen den Ermordeten an. Eine Behauptung, die höchste psychologische Wahrscheinlichkeit für sich hat. Schon drei Tage lang hatte er unausgesetzt die gröbsten Beleidigungen von Pögel ertragen. Geängstigt und verfolgt von dessen beschimpfenden Kränkungen konnte er nur mit Angst seine Wohnstube betreten, nicht ohne Furcht und Ärger an seinen eignen Tisch sich niedersetzen. Der Schmerz neuer Kränkungen trieb ihn am Nachmittag des 21. Dezembers aus seiner Wohnung und zu neuen Versuchen, Geld aufzubringen. Und nun, als er abends vom Bier erhitzt, durch neues Mißlingen seiner Geldbewerbungen gefoltert, in dem Nachgefühl der frischen Beleidigungen, mit leeren Händen, der Qual neuer Beleidigungen entgegenging, was ist begreiflicher, als daß die ganze Erbitterung seines zerrütteten Gemüts sich auf den Urheber aller dieser Leiden wälzte. Der lang verhaltene Groll, verbunden mit der angstvollen Verlegenheit über den herannahenden Zahlungstermin, vereinigte sich schnell in dem Entschluß, den unbarmherzigen Gläubiger, wenn er von neuem seine Martern anfange, aus dem Wege zu räumen. Fassen wir dieses in deutliche Begriffe zusammen, so waren teils Rache, teils die Absicht, sich durch den Tod des Pögel von dem peinigenden Gefühl seiner Gegenwart, seiner beleidigenden Vorwürfe und seines stürmischen Andringens zu befreien, die nächsten Beweggründe seiner Tat.

Das Urteil des Hofgerichts ist dem strengen Rechte gemäß. Die zuerkannte Strafe des Schwertes ist sogar gelinder als die gesetzliche, weil auf Mord die Strafe des Rades steht und keine Milderungsgründe vorhanden sind, die den Richter bemächtigen, von der Strafe des Gesetzes abzuweichen. Allein, wenngleich ein Richter, der Mund des Gesetzes, die Todesstrafe nicht abzuwenden vermochte, so waren doch die erheblichsten Gründe vorhanden, die die Gnade des Oberherrn bestimmen konnten, das Schwert der Gerechtigkeit zurückzuhalten.

Den Unvollkommenheiten der Gesetze in ihrer Anwendung nachzuhelfen, das Mißverständnis zwischen der gesetzlichen Strafe und der Strafbarkeit eines einzelnen Übertreters, zwischen der unbeugsamen Strenge des unwandelbaren, allgemeinen Gesetzes und der wandelbaren Veränderlichkeit des individuellen Verschuldens, mit Weisheit auszugleichen und so die Gerechtigkeit mit der Billigkeit zu versöhnen, diese Macht ist mit dem Rechte der Begnadigung in die Hände des Oberherrn gelegt. Die Strafbarkeit Auermanns erscheint wegen des Zusammentreffens mannigfaltiger ungewöhnlicher Umstände tief herabgesetzt, so daß sie außer allem Verhältnisse mit der Todesstrafe zu stehen scheint. Auermann gehört nicht in die Klasse solcher Verbrecher, deren verderbtes Gemüt aus innerem Antrieb, aus innen wohnenden gefährlichen Neigungen und Leidenschaften das Verbrechen sucht. Er wurde durch den heftigen Drang unverschuldeter Zufälle bei einem zerrütteten Gemütszustand aus dem rechtlichsten Mann zu einem Übeltäter. Dieses alles geht aus dem Zusammenhange folgender Gründe klar hervor: Sein ganzes Leben stellt ihn nicht nur tadellos, sondern selbst achtungswürdig dar, als einen Mann, der allen Bürgern an Rechtlichkeit als Muster vorgehalten werden durfte. Keine einzige schlechte oder gefahrdrohende Neigung und Leidenschaft offenbarte sein früheres Leben, weder in Worten noch in Taten. Nicht Jähzorn noch Rachsucht, nicht Habsucht und Eigennutz, Leichtfertigkeit oder Trägheit beflecken das Bild seines Charakters, soweit der durch die einstimmigen Aussagen bewährter Zeugen dargestellt worden ist. Nur die Weichheit seines Gemüts, zuwenig Kraft im Wollen, zuwenig Mut im Entschließen, das sind die Quellen seines Verbrechens und seines eigenen Verderbens. Der Erschlagene hatte sich auf die unrechtmäßigste Weise gegen ihn benommen, hat sich in sein Haus und an seinen Tisch gedrängt und durch die schnödesten Beleidigungen eine Forderung zu erpressen gesucht, deren Zahlungstermin noch nicht einmal gekommen war. Der Haß und die Erbitterung Auermanns war daher durch Pögels eigne Schuld, durch die ihm zur Last fallende Verletzung des Hausrechts, durch widerrechtliche Ehrenkränkungen veranlaßt. Haß und Erbitterung waren also gerecht oder doch menschlich zu entschuldigen.

Versetzt man sich anschaulich in die Lage, worin dieser Mann, der schon am 11. Dezember halb verzweifelnd die Hände rang, sich am 21. befunden hat, und hält man sie mit seinem Charakter, sowie seine Tat mit allem, was ihr vorausging, vergleichend zusammen, so darf mit höchster Wahrscheinlichkeit behauptet werden, daß sein Verbrechen in der Verwirrung eines an Verzweiflung grenzenden Gemütszustandes beschlossen und vollzogen worden ist. An diesem unglücklichen Tag stürmte alles auf ihn zusammen, was selbst das festeste Gemüt erschüttern, das seinige aber, worin Weichheit und Schwäche am wenigsten zu verkennen sind, völlig zusammendrücken und in kleinmütiger Verzweiflung gleichsam auflösen mußte. An diesem Tage hatten die Kränkungen des Pögel das Äußerste erreicht. Die unerträgliche Schmach, die ihn aus seinem Hause fortgetrieben, immer wiederholte und immer von neuem vereitelte Hoffnungen, Geld zu bekommen, das empörte Gefühl der Ehre, die an der unbarmherzigen Härte seines Gläubigers auf einmal scheitern sollte, die Furcht vor neuen Beleidigungen und die Verbitterung über die vergangenen, das alles gährte und kämpfte in seiner zerrütteten Seele durcheinander, als sie den Gedanken ergriff, ihre Schmerzen an deren verhaßtem Urheber blutig zu rächen.

Hierzu kam Erhitzung durch Trunk, welche ihm zwar nicht Überlegung und Bewußtsein entzog, aber jenen zerrüttenden Gedanken und Gefühlen nur um so größere Lebendigkeit, Klarheit und Kraft verleihen mußte. Er beharrt darauf, daß er nach dem Erwachen aus dem kurzen, anderthalbstündigen Schlaf sich noch berauscht gefühlt und sogar noch die mörderische Handlung im Taumel des Rausches vollbracht hat. Erst mit dem Augenblick, da Pögel als Leiche vor ihm gelegen, sei der Rausch verflogen. Eine Behauptung, die zuviel psychologische Wahrheit für sich hat, als daß sie ganz erdichtet sein könnte.

Auf dem Rückweg nach seiner Wohnung, wo der Vorsatz der Entleibung des Pögels zuerst in ihm entstand, kam auch ein Vorfall ihm in das Gedächtnis, der sein Verbrechen sogar mit der Meinung des Rechts zu begünstigen schien. Er erinnerte sich, wie einst ein Mensch, der wegen verletztem Hausrecht von dem Hausherrn derb geschlagen worden war, auf seine Klage nicht nur keine Genugtuung bekam, sondern auch von einem öffentlichen Beamten mit der Erläuterung beschieden worden ist, daß er es hätte haben müssen, wenn ihn der andere totgeschlagen hätte. Auermann nahm diese Äußerung in zu buchstäblichem oder zu ausgedehntem Sinne und suchte sich die Meinung aufzureden, sich mit Pögel in gleichem Falle zu befinden. Jener Schluß war allerdings ein sophistisches Kunststück der Eigenliebe, die sein Herz zu bestechen und dessen edlere Neigungen für sich zu gewinnen suchte. Aber dieser Umstand, der um so glaubwürdiger ist, da er mit verschiedenen ähnlichen Äußerungen, die dem Inquisiten bald nach der Tat gegen sein Gesinde entfielen, sehr zusammenstimmt, beweist wenigstens so viel, wie sehr dieser Auermann ein Neuling in verbrecherischen Gedanken war. Er konnte dem Verbrechen gleichsam noch nicht ins Auge sehen und vermochte es noch nicht in seiner wahren Gestalt zu ertragen. Er mußte es erst mit dem Mantel des scheinbaren Rechts umhüllen, ehe er sich ihm zu ergeben den Mut finden konnte.

Und selbst da noch hielt sein Vorsatz das Verbrechen in einer gewissen Entfernung von sich ab. Er beschloß nicht geradezu die Entleibung des Pögel. Er schob die Wirksamkeit und die Ausführung seines Vorsatzes zögernd auf die Bedingung hinaus, wenn Pögel seine Forderungen auf kränkende Art wiederholen würde. Die Tat wäre wahrscheinlich unterblieben, hätte nicht Pögel sogleich diese Bedingung wahr gemacht und den Willen zur Ausführung jenes Entschlusses gleichsam herausgefordert.

Mit allem Vorhergehenden stimmt das Benehmen des Auermann nach vollbrachter Tat zusammen. Die Gewissensangst, die ihn sogleich ergriff, das Geständnis, das er seinem Gesinde ablegte, der schwere Gang in des Landrichters Haus, um sich selbst der Gerechtigkeit zu überliefern, sein umständliches, reumütiges Bekenntnis, in dem er gleich im ersten Verhör sich der Tat schuldig gab.

Nach diesen Erwägungen wurde vom Staatsministerium der Antrag gestellt, »daß seine Königliche Majestät geruhen möchten, gegen Auermann Gnade für Recht ergehen zu lassen, denselben mit der Todesstrafe zu verschonen, und zu gestatten, daß eine außerordentliche Strafe wider ihn erkannt werde«.


 << zurück weiter >>