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Das Jagdergebnis war, wie Tommy Hawking erhofft hatte, schon in den ersten Wochen ein überaus reiches.
Die zahlreichen Bäche, die von den umliegenden Höhen ihren Lauf dem See zuwandten, waren in der Tat voll von sogenannten Burgen und Dämmen, in denen die Biber, hier, in dieser einsamen stillen Wildnis, vielleicht schon seit Jahrhunderten in großen Gesellschaften hausten. – Die höchst eigentümlichen Bauten, die diese geschickten und fleißigen Wasserbaukünstler aufführten, hatten die Flüsse und Bäche mit der Zeit zu einer Kette von größeren und kleineren Teichen gewandelt, in denen das Wasser kaum merklich dahinfloß. Nur zur Zeit der großen Regengüsse und der Schneeschmelze änderte sich das Bild. Dann schwoll die Flut wohl auch hoch an und überbrauste mit wildem Ungestüm die unzähligen Dämme und Burgen.
Das geübte Auge der Wildsteller hatte das Vorhandensein des zahlreichen wertvollen Wildes sofort richtig erkannt, denn wenn auch die Durchquerungsarbeit der Tiere in den Wasserläufen nicht immer völlig sichtbar war, so übte das Vorhandensein der Biber doch einen nicht unwesentlichen, dem Wildsteller leicht erkennbaren Einfluß auch auf die Gestaltung der Ufer aus.
Hier entstehen durch die Nagearbeit der Tiere, womit sie selbst mannsstarke Baumstämme zu Fall bringen, zahlreiche, oft sehr erheblich große Waldblößen, sogenannte Biberwiesen, die sich nicht selten durch irgendwelche Umstände in Teiche wandeln. An den Rändern solcher Gewässer siedelten sich dann gewöhnlich eine große Fülle von Torfpflanzen an, wodurch im Laufe der Zeit, je nachdem diese Teiche wieder austrocknen und die Bodengestaltung es zuläßt, mitten in den dichten Urwaldungen zahlreiche Torfmoore von größerer und geringerer Ausdehnung entstehen.
Auf einer solchen Waldblöße sichteten eines Nachmittags Tommy und Joung Ironfist ihre Beute. Über ein Dutzend der Dickschwänze war entlang eines einzigen Wasserlaufes in die Fallen gegangen, durchweg prächtige ausgewachsene Tiere.
»Wenn das so weiter gehen, dann werden schon bald nach St. Louis fahren können,« meinte Young Ironfist.
»Ja, die Sache macht sich. Mister Bourton wird zufrieden mit uns sein und uns eine Gutschrift machen müssen, die sich sehen läßt.«
»Was verstehen unter Gutschrift? Young Ironfist das nicht wissen.«
»Nun, es ist Euch bekannt, daß jedes Fell einen bestimmten Wert hat, und daß alle Pelze, die wir ergattern, zusammengenommen, je nach dem zeitweisen Marktpreise, eine bestimmte Wertsumme darstellen. Von dieser Summe lassen wir uns aber nur einen Teil ausbezahlen, so viel, als wir an barem Geld für die nächste Fahrt nötig haben. Es wäre Unsinn und lästig, den größeren Rest des Geldes in den Taschen mit sich herum zu schleppen. Was wir erübrigen, wird uns also Mister Bourton in seinen Büchern gutschreiben und uns die Summe obendrein verzinsen. Wir können uns aber auch das ganze Geld auszahlen lassen und den erübrigten Betrag einer sicheren Bank zur Aufbewahrung übergeben.«
»Damit Geld dort holen können, wenn brauchen.«
»Ja, das steht dem Manne, der es eingelegt hat, jederzeit zur Verfügung. Auch Euer Anteil wird deponiert werden, auf die eine oder andere Weise, bis Ihr das Geld zu verwenden gedenket.«
»Wie viel schätzen Tommy, daß in einem Jahr für Young Ironfist herauskommen?«
»Das ist schwer zu sagen. Indessen, ich glaube nach den bisherigen Erfolgen annehmen zu dürfen, Ihr werdet binnen drei Jahren reichlich so viel verdient haben, daß Ihr getrost nach dem fernen Osten reisen könnt. Ihr werdet Euch dort gemächlich umsehen können und dann, wenn es Euch belieben sollte, immer noch Mittel genug in der Hand haben, ein solides Geschäft zu begründen.«
»Wenn bis dahin von Geschäften etwas verstehen.«
»Je nun, das ist Eure Sache, und was nicht ist, das kann sich noch erfüllen. Wir werden übrigens darüber noch manches Wörtlein reden, das Euch später nützen kann. Steht Ihr aber erst festen Fußes in jener anderen Welt, werdet Ihr sowieso manche Wandlung durchmachen; zwingende Umstände werden auftreten, die Euch das Geschäftemachen nach und nach schon lehren werden.«
»Young Ironfist wird eifrig jagen und viele Biber fangen. Er trachten, möglichst viel zu haben von dem, was seine weißen Brüder das Geld nennen; er wollen im fernen Osten, wenn es sein muß, gerne Geschäfte machen; er wollen aber jedenfalls keinen Mangel leiden; er wollen nach Möglichkeit unabhängig sein.«
»Da seid Ihr auf dem einzig richtigen Standpunkte angelangt. Ein beklagenswerter Wicht, der sich unter dem Druck der Verhältnisse ducken und von den Brosamen leben muß, die vom Tische seiner Nebenmenschen fallen.«
»Young Ironfist das niemals tun; er lieber verhungern.«
»Na, das ist leicht gesagt. Übrigens muß man zugeben, Ihr seid, vorläufig wenigstens, ein überaus bedürfnisloser Mensch. Ändert Ihr Euch später einmal nicht wesentlich, kann und wird es Euch nie schwer fallen, Euch auch mit wenigem durch die Welt zu bringen.«
»Bedürfnislosigkeit kommen von dem Aufenthalt unter den roten Kriegern. Dort viel hungern müssen und wenn essen, dann mit allem zufrieden sein.«
»Es ist nicht zu leugnen, es ist oftmals ganz gut, wenn der Mensch das Bessere nicht kennen lernt.«
»Das sehr gut; dann immer zufrieden sein, kein Verlangen nach dem Besseren in sich tragen. Inschen sind sehr glückliche, aber dumme Menschen.«
»Wieso dumm? Wie meint Ihr das?«
»Tommy wissen, daß Odschibwä die Flinten der Blaßgesichter sehr gefallen. Sehen hier die Wälder, Seen und Flüsse; in ihnen sehr viel Geld herumlaufen und umherschwimmen. Wenn Biber fangen und die Felle den Bleichgesichtern bringen, dann der größte Wunsch der roten Krieger sich leicht erfüllen; dann sie sich sehr leicht gute Flinten beschaffen können.«
»Da habt Ihr freilich recht, doch wir wollen vorläufig nicht so unklug sein, den Roten das auf die Nase zu binden. Jeder ist im Kampfe ums Dasein doch zunächst sich selbst der Nächste. Übrigens fällt mir ein, worüber ich Eure Meinung längst schon hören wollte. Findet Ihr es nicht auffällig, daß die Odschibwä sich ganz und gar nicht um uns bekümmern? Ich habe nicht das geringste Verlangen, sie wiederzusehen, im Gegenteil, ich bin froh, wenn sie uns möglichst unbehelligt lassen; aber ihr völliges Verschwundenbleiben muß doch auffallen.«
»Tommy wissen, daß auf Kriegspfad. Weißer Falke das ausdrücklich sagen.«
»Allerdings, aber das ist doch ziemlich viele Wochen her. Man sollte annehmen dürfen, daß das Kriegsbeil mittlerweile wieder begraben liegt.«
»Vielleicht haben große Siegesfeier; dann sich an langen Festen berauschen. Wenn nicht siegen, dann sich schämen und mit Absicht nicht zeigen; dann ihre Toten beweinen.«
»Nun, sei es wie immer, wir wollen sie dabei nicht stören. Früher oder später wird es ihnen doch einmal beifallen, sich nach uns umzusehen.«
»Wenn Verlangen nach den Bleichgesichtern haben, dann ganz sicher kommen. Jetzt Odschibwä genau wissen, daß die weißen Biberjäger den ersten See noch nicht überschritten haben.«
»Glaubt Ihr? Sollten sie uns durch Späher überwachen lassen?«
»Nicht mehrere Späher, aber ein Späher sich stets am Ufer des Sees befinden. Young Ironfist das ganz genau wissen.«
»Ihr Rothäute – ich muß Euch in diesem Falle zu den Roten zählen – ihr seid doch gewaltige Spürnasen. Wie seid Ihr dahinter gekommen?«
»Kommen und sehen, kommen und sich überzeugen – heute noch nicht spät, heute noch genug Zeit haben, bis die Sonne hinter den Wäldern verschwindet.«
Young Ironfist erhob sich. Er trug die mittlerweile ausgeweideten und mit verschränkten Läufen tragfertig zugerichteten Biber zu einem Baumstamme, der in seinem untersten Teile eine gähnende Öffnung aufwies. Da hinein warf er die Tiere und verdeckte den Hohlraum mit Rindenstücken und bereitliegendem dornigen Reisig.
»Jetzt kommen!« sagte Young Ironfist.
»Aber – ist das nicht ein gewagtes Unternehmen, wenn wir, wie Ihr sagt, beobachtet sind?«
»O, keine Gefahr! Späher uns nicht sehen. Er jetzt ganz sicher bei der schwimmenden Hütte am Ufer liegen. Kommen, ehe die Sonne zu tief sich hinabsenken.«
Tommy war bereit.
Rüstig schritten sie das Flüßchen entlang und betraten schon nach kurzer Zeit weichen, moosüberwucherten Boden, auf dem ihre mit indianischen Mokassins bekleideten Füße kaum irgendwelche Eindrücke hinterließen.
Nachdem sie etwa zwei englische Meilen hinter sich gebracht hatten, schlug Young Ironfist gleichwohl vor, das Bett des hier bedeutend schmäler und seichter gewordenen Baches zu betreten, und nun wanderten sie mit bloßen Füßen auf dem sandigen Grunde weiter. Der Bach hatte hier ein ansehnliches Gefälle, das Wasser würde ihre Fußeindrücke rasch wieder verwischen.
Nach einer weiteren etwa einstündigen Wanderung entstiegen sie dem Gewässer und befanden sich auf einem Pfade, der alle Anzeichen trug, daß er von Menschen reichlich begangen wurde.
Die beiden Wildsteller zogen ihre Mokassins wieder über die Füße und folgten dem schmalen Wege, der durch dichtes Gestrüpp über eine ziemlich stark ansteigende Hügellehne auf eine nur schwach bewaldete Höhe führte.
Young Ironfist hatte wiederholt angehalten und sich horchend mit dem Ohr auf die Erde gelegt; doch schien sich seinen Absichten nichts entgegen zu stellen.
Endlich hatten die beiden Wildsteller die Höhe erstiegen und betraten eine schmale, wenig bewaldete Ebene, die von einem größeren Pfade durchschnitten wurde.
Hier oben eröffnete sich ihnen ein prächtiger Ausblick auf ein von dichtbewaldeten Höhen umgürtetes Wiesental, das sich, von dem silberhell leuchtenden Streifen eines schmalen Gewässers durchzogen, ziemlich weit nach Norden erstreckte.
»Hier Odschibwä,« erklärte Young Ironfist. »Nicht sehen, aber dort ganz am Ende des Tales Odschibwä wohnen.«
»Woher wißt Ihr das? Seid Ihr denn auch schon in das Tal niedergestiegen?«
»O, Weg viel zu weit; hierfür keine Zeit haben; müssen Biber fangen. Nur Späher bis hierher nachschleichen.«
»Woher aber wißt Ihr, daß dort unten wirklich ein Dorf der Odschibwä sich befindet?«
»Sehen, wenn Odschibwä ihre Ponny durch das Tal reiten; sehen, wenn früh am Morgen und Abends spät die Feuer rauchen.«
Tommy konnte nicht umhin, der Entdeckung seines Freundes einige Worte der Anerkennung zu zollen.
Young Ironfist drehte sich herum und wies mit dem Finger nach der entgegengesetzten Richtung.
»Auch dort Odschibwä wohnen. Dort weit hinten im Tal ihren Wigwam aufschlagen. Odschibwä großes Volk; müssen in mehreren Dörfern wohnen.«
In südlicher Richtung hatten sie nun zunächst nichts vor sich, als die Fortsetzung der dichter bewaldeten Berghöhe, auf die der Pfad, auf dem sie standen, zuführte. Doch ließ die ganze Form der Landschaft erkennen, daß sich die Höhe dem Süden zu mehr und mehr abflachte und daß hinter ihr ebenfalls ein großes Talgelände liegen mußte.
»Hier Pfad, der die beiden Dörfer verbindet. Hier sehen, daß die Läufer ihren Weg über den Berg nehmen,« erläuterte Young Ironfist und zeigte nieder auf den schmalen Weg, der seinem Aussehen nach zweifellos schon seit langer Zeit als solcher benutzt wurde.
»Nun kommen und sehen, wie Odschibwä Briefe schreiben. Hier oben auf dem Berge Wasserscheide; hier die Gewässer zu beiden Seiten von der Höhe niederfließen.«
Vorsichtig trat Young Ironfist auf das weiche Moos, das in verschwenderischer Fülle den Pfad umsäumte. Er schlich sich, von Tommy gefolgt, auf diesem weichen und elastischen Polster an den Rand des Plateaus, dann an ein kaum zehn Meter tiefer gelegenes Wasserbecken, offenbar der Quelle des Gewässers, das von hier nach dem Tale nördlicher Richtung abfloß.
An dem Rande des Beckens angelangt, legte sich Young Ironfist auf die Erde nieder, tauchte den rechten Arm in das lebhaft sprudelnde Wasser und zog aus diesem einen dem Aussehen nach noch ziemlich frischen, entrindeten Ast hervor, den er triumphierenden Blickes Tommy darreichte.
Dieser war in indianischen Schriftzeichen erfahren genug, um sofort zu erkennen, daß der Ast von seinem oberen Ende nach abwärts mit einer großen Anzahl Kerben bedeckt war, die von einem scharfen Instrumente herrührten.
»Wahrhaftig,« rief Tommy halblaut aus, »das ist in der Tat die reine Briefpost. Und du bist der Meinung, sie soll uns betreffen?«
»Ja, sie Biberjäger betreffen. Der Späher hier von Zeit zu Zeit erscheinen und seine Meldung machen. Sehen Tommy die Schnitte im Holze, sie alle sich gleichen. Stets heißen: ›Späher kann nichts Neues melden.‹«
Tommy betrachtete die Schnitte im Holz geraume Weile mit großem Interesse. Young Ironfist bat sich dann aber den Ast wieder aus und steckte ihn an der gleichen Stelle, wo er ihn dem Wasser entnommen hatte, wieder in den Grund des Tümpels.
»Nun kommen und sehen Speisekammer!«
Young Ironfist ging zu einem nur wenige Schritte entfernten Baumstamm und löste an diesem in etwa halber Mannshöhe mit kundiger Hand ein Rindenstück aus. Der Baum war an dieser Stelle hohl und hier innen hing an einem künstlich eingezwängten Baumast ein indianischer Brotsack.
»Späher nicht jagen dürfen, kein Feuer anzünden, weil Biberfänger es sonst bemerken. Hier die Läufer des Dorfes von Zeit zu Zeit vorüberkommen, den Beutel mit Maisbrot, gebratenem Fleisch, Rüben und Gewürz füllen. Hier Odschibwä, weil Weg sehr weit, für Späher das Essen niederlegen.«
»Das ist ja wunderbar ausgedacht. Der Mann am See holt hier seine Atzung und macht dann gleichzeitig auf dem Aste in dem Tümpel seine Meldung. Die Läufer, die den Brotbeutel hier füllen, nehmen Kenntnis von den Schriftzeichen und berichten darüber ihren Häuptlingen. Wie aber dann, wenn wir plötzlich auskneifen, dann geht doch diese wunderbare Berichterstattung mit einem Male in die Brüche?«
»O, auch an anderen Stellen Holz im Wasser. Späher bleiben Biberfänger stets auf den Fersen. Wenn Meldung hier ausbleiben, dann Läufer schon wissen, wo andere Schrift vorhanden. Dann schnell hinlaufen, nachsehen und Meldung dem Häuptling bringen. So Odschibwä immer wissen, was Biberfänger beginnen und wo Biberfänger finden.«
Young Ironfist drückte mit größter Behutsamkeit das Rindenstück wieder in die Öffnung des Baumstammes. Er prüfte forschenden Auges, ob sie nicht etwa Spuren hinterlassen würden und wies dann stumm nach dem Stande der Sonne, den Genossen darauf aufmerksam zu machen, daß es hohe Zeit sei, heimzukehren.