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Auch ein Ingenieur hat das Recht, manchmal – etwa einmal in der Woche – Mensch zu sein; zum mindesten in der Nähe des Berges, auf dem dies schon seit dreitausend Jahren für männiglich ein heiliges Gesetz geworden war. Mit dem Ingrimm, der uns in der fröhlichsten Arbeit packen kann, wenn sie zu viel wird, hatte ich diese Betrachtung angestellt, bestieg meinen Esel und ritt nach Kairo.
Am unteren Ende der Muski, vor dem ersten Eckhaus links, blieb trotz des wogenden Gedränges das kluge Tierchen, das die fünf Kilometer lange Sykomorenallee von Schubra in trippelndem Eifer zurückgelegt hatte, von selbst stehen, zog den Schwanz ein, in Erwartung eines Hiebes und weiterer Anweisung, drehte den Kopf, um zu sehen, ob Mustapha, der Eseljunge, Klee mitgebracht hatte, nickte befriedigt und ließ mich absteigen.
In jenem Eckhaus, zu ebener Erde, befand sich ums Jahr 1864 eine kleine Kneipe: eine Oase in den Wüsten des Morgenlandes. Der Wirt war ein Deutscher aus San Franzisko, den ein gütiges Schicksal bis hierher verschlagen hatte. Eine seltene Verbindung von amerikanischem Unternehmungsgeist und deutschem Gemütsleben hatte ihm den Gedanken eingegeben, allwöchentlich mit dem Triester Lloydboot ein Fäßchen bayrisches Bier kommen zu lassen, das seit drei Monaten regelmäßig am Freitagnachmittag in Alexandrien ankam und ohne Verzug mit der Bahn nach Kairo weiterbefördert wurde. Es war dies zu jener Zeit das einzige bayrische Bier vom Faß, das die Stadt des Kalifen erreichte. Pünktlich um sieben Uhr Samstag abends wurde angezapft. Schon von vier Uhr an stieg von Zeit zu Zeit ein Reiter von unverkennbar deutschem Gepräge vor dem Kneipchen ab, hob den Moskitovorhang, der die Stelle der Türe vertrat, und blinzelte aus der grellen Straßenhelle in das tiefe Dunkel der Höhle. Dort hinten lag es auf einer Schicht Eis, rund behäbig; ach, nur klein! Doch es war wenigstens da; der Forscher ritt befriedigt weiter. Er wußte, was er um sieben Uhr zu tun hatte.
Es war leider erst halb, doch lag schon ein zwei Meter breiter Schatten vor dem Haus. Meier, der energische Wirt, stellte zwei runde Tischchen auf die Straße, pflanzte vier Gartenstühle ins Volksgedränge und lud mich ein, Platz zu nehmen. Es ist eine der unterhaltendsten Straßenecken Kairos, an der Abend- und Morgenland zusammenstoßen wie ein mächtiger Strom mit der brandenden See. Heutzutage hat wohl die Sturmflut des Abendlandes den Sieg davongetragen. Damals flutete noch das echte, unverfälschte Morgenland in heißen, dampfenden Wogen aus der engen Gasse. Die Muski ist eine der Hauptverkehrsadern, die Königs- und Kalifenstraße der orientalischen Weltstadt. Hohe graubraune Häuser mit spärlichen Fenstern, da und dort noch mit reichgeschnitzten, echt arabischen Harimserkern geschmückt, bildeten einen düsteren Tunnel, durch dessen Decke aus zerrissenen Matten und in Fetzen herabhängenden Teppichen, die von Haus zu Haus gezogen waren, in weiten Zwischenräumen ein gelbflimmernder Lichtstrahl in das schwüle, bläuliche Dunkel herabschoß. Im Erdgeschoß der Gebäude sind Kaufläden, an diesem, dem westlichen Ende der Straße, von Europäern gemietet und schon halb europäisch eingerichtet, doch noch immer kleine staubige, heiße Löcher, ohne Luft und Licht. Ein englischer Schneider, ein österreichischer Sattler, ein italienischer Apotheker, ein griechischer Delikatessenhändler – und welche Delikatessen! – alle in Pantoffeln und Hemdärmeln, gehen halb im Freien ihren Geschäften nach. Die Straße selbst füllt ein wimmelndes Gewirr von Gestalten, farbig trotz des dunstigen Halbdunkels, ein brausender Lärm, obwohl in dem fußtiefen Staube kein Wagenrollen und kein Fußtritt hörbar ist. Aber alles schreit, stößt und drängt, ohne dabei die innere Seelenruhe des wahren Orients im mindesten zu verlieren. Die Eseljungen mit ihrem »Yemenak! Schimala!« (»Rechts! Links!«) »Aufgepaßt, ihr Gläubigen! Aus dem Weg, ihr Hunde!«, die Wasserverkäufer mit ihren schwabbelnden Ziegenhäuten auf dem Rücken, die kleinen, emsigen Esel, die sich rücksichtslos durch die Menge bohren, unförmlich verhüllte Säcke tragend, vielleicht die größten Schönheiten des Morgenlandes, schwarzbraune, halbnackte Bettler, von Kindern geführt, blind umhertastend, ein paar Kamele, die, bedrohlich über der siedenden Menge schwankend, langsam die Gasse herunterkommen, Dann wohl auch auf dem elendesten und eigensinnigsten der Tierchen ein europäischer Gelehrter, mit blauen, staunenden Brillengläsern unter dem ungewohnten Korkhelm, mit dem Regenschirm hilflos seine Eselin bearbeitend, die darauf zu bestehen scheint, ihre kostbare Last zwischen den Beinen eines nahenden Kamels hindurchzuziehen. Jetzt verdoppeltes Geschrei, wilder Aufruhr: eine vizekönigliche Harimskutsche, die sich im Trab durch das Gedränge Bahn bricht, von zwei bunten, im Galopp rennenden Saisen mit langen Stöcken geleitet. Schreiend kugeln Menschen und Tiere übereinander, um Rädern und Stöcken auszuweichen, und schließen sich lachend hinter dem Wagen wieder zusammen, wie lustig spritzendes Wasser hinter einer Dampfbarkasse. Niemand beachtet den braunen Jungen, der, die Zehen des linken Beines in beiden Händen, in eine Ecke hüpft und sich heulend in den Staub wirft.
Halbträumend saß ich da und starrte in das mir nicht mehr ungewohnte Kaleidoskop. So flink mein Esel gewesen war, den jetzt Mustapha im nächsten Winkel mit einem Bündel heimischen Klees belohnte, meinen Sorgen lief er nicht davon, die in Schubra mit aufgesessen waren und jetzt breit auf zwei von Meiers Stühlen Platz nahmen. Auf dem vierten saß schon ein kleiner bleicher Mann, unpassend schwarz gekleidet, der sichtlich für die seinen auch einen Stuhl hätte brauchen können. Es mochte ein Missionar sein, der vielleicht seit Wochen nichts zu bekehren gefunden hatte oder dem sein einziger Christ rückfällig geworden war. Das ging ihm ohne Zweifel zu Herzen. Er sah krank aus, krank und lebenssatt.
Ich hatte eigentlich kein Recht, mich zu beklagen. Wie eine echt orientalische Schicksalsfügung und dem Anfang eines Märchens aus Tausendundeiner Nacht ähnelnd war mir vor dreiviertel Jahren meine Stellung als »Baschmahandi«, als erster Ingenieur Halim Paschas, in den Schoß gefallen. Das Märchen hatte rasch greifbare Gestalt angenommen, und ich begann zu ahnen, wozu ich in der Welt war, wenigstens in dieser Welt. Der übergroße Grundbesitz meines Paschas, die noch größeren Pläne und Projekte in seinem kleinen regen Kopfe hatten aller ägyptischen Träumerei, die mir von Deutschland her noch anhaften mochte, ein rasches Ende gemacht. Ich wohnte fast im Schatten des Obelisken von Heliopolis und dachte an nichts anderes, als morgen meinen zweiten Dampfpflug probeweise um denselben herumpflügen zu lassen. Aus der altehrwürdigen Sonnenstadt waren hundert Hektar erträglichen Baumwollbodens geworden, und der geheiligte Baum der Jungfrau Maria, der etwas ungeschickt für die Handhabung der Drahtseile fast mitten drin stand, machte mir aus diesem und keinem andern Grunde ernstliche Bedenken.
Der zweite Dampfpflug! Dem Laien bleibt es für immer verschlossen, was in diesen drei Worten lag zu jener Zeit, in der die Dampfkultur noch um ihr Dasein kämpfte. Wohl hatte auch sie schon ihre Priester; ja ich darf ohne Übertreibung sagen, ich war einer ihrer kleinen Propheten: begeistert, fanatisch, wie es die kleinen meistens sind; himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt, wie es die wechselnden Tage einer ersten – auch einer technischen – Liebe mit sich bringen. Und, in der Tat, ich hatte augenblicklich keinen vernünftigen Grund, so betrübt zu sein wie der stille, kranke Nachbar an meiner Seite, und hoffte nur, auch in seinem Interesse, daß es endlich sieben Uhr würde.
Der erste Pflug war ein halbes Jahr vor mir nach Ägypten gekommen. Ich traf ihn sozusagen in den letzten Zügen und denke nur ungern an jene ersten Monate, trotz der Rettung aus scheinbar unvermeidlichem Schiffbruch, die mir, nicht ohne den Beistand des am Nil ewig lächelnden Himmels, gelang. Heiße Kämpfe mit allen vier Elementen (älterer Rechnung) und heißeres Streiten mit etlichen Menschen, die zu spät einsahen, daß sie klüger und besser hätten sein können; das war unvermeidlich. Doch die Rettung glückte, wenn auch mit knapper Not, und Halim Pascha, der sein Land und seine Leute kannte, besser als ich, wußte, was dies zu bedeuten hatte. Ich sah ihn seitdem täglich, den fürstlichen Sohn der Beduinen, den künftigen Vizekönig von Ägypten, wie wir damals alle glaubten; denn sein Recht hierzu war unzweifelhaft und allgemein anerkannt. Vorerst war er jedoch noch der jüngere Onkel des Vizekönigs, der zweitgrößte Grundbesitzer am Nil und bereit zu zeigen, daß er die Pflichten eines künftigen Herrschers nicht leicht nehme, der sein Recht und seinen Glauben dem Koran und sein Wissen der Ecole Polytechnique zu Paris verdankte. Täglich war er auf den prächtigen Feldern von Schubra, dem früheren Lieblingsgute Mohammed Alis, seines großen Vaters, um Sä- und Mähmaschinen zu probieren, Pumpen und Dampfpflüge laufen zu sehen; vor allem aber, um Baumwolle zu pflanzen, die damals, während des Bürgerkriegs in Amerika, dem glücklichen Ägypten einen wahren Goldregen versprach.
So kam's, daß ich schon drei Monate später den zweiten, den ägyptischen Verhältnissen besser angepaßten Dampfpflug zusammenstellen und triumphierend ins Feld führen konnte. Damit waren zunächst die fünfzehnhundert Hektar von Schubra versorgt. Der dritte wurde vor wenigen Wochen für das dreißig Kilometer nilabwärts gelegene Thalia bestellt und sollte dort von den arabischen Dampfpflügern, die ich jetzt in Schubra heranzog, in Betrieb gesetzt werden: ein Wölkchen am Horizont, wie eines Mannes Hand, aus dem noch manches schwere Donnerwetter sich entwickeln konnte. Aber es ging doch vorwärts, über alles Erwarten; meine alten englischen Freunde, die Fowlers, die die Dampfpflüge, das Stück zu rund fünfzigtausend Mark, zu liefern hatten, schrieben Briefe voll aufmunternder Dankbarkeit, und das alte Ägypten begann seine kleinen, klugen, aber etwas blöde gewordenen Sperberaugen zu reiben, wie wenn es erwachen wollte.
Ägypten war in diesem Sinne der neue Vizekönig Ismail Pascha, Halims ältester Neffe. Als er vor einem Jahr die Regierung antrat, war er einer der kleineren Großgrundbesitzer am Nil und mochte vielleicht fünfzigtausend Hektar sein eigen nennen. So genau konnte man dies in jenen Tagen vom Besitz der vizeköniglichen Familienmitglieder nicht sagen. Da kam in demselben Jahre die Baumwollsperre in den Vereinigten Staaten, wo man begonnen hatte, sich die Köpfe blutig zu schlagen, die Baumwollhungersnot in Lancashire und die Baumwollsegenszeit für Ägypten und andre warme Länder. Der Preis der Wolle stieg rasch auf das Zwei-, Drei- und schließlich das Fünffache dessen, was in früheren Tagen bezahlt wurde. Jedes kleine Gut, das leidlichen Boden und Wasser besaß, war plötzlich Millionen wert, und die vizeköniglichen Besitzungen wuchsen und mehrten sich, wie es nur in dem alten Lande der Zauberei und der Pharaonen möglich war. Und da in Ägypten zum Lande auch die Leute gehörten, die, so gut sie konnten und nicht viel besser als die Feldmäuse, von seinem Korn und seinem Klee lebten, so war es anfänglich nicht schwierig, die vizeköniglichen Fluren in Baumwolle zu kleiden. Die Dorfscheichs erhielten von den Nasirs und Mufetischen Seiner Hoheit den nötigen Samen, die nötigen Befehle und, so oft es sein mußte, die nötigen Prügel, und schwarze Büffel und tausendjährige Pflüge setzten sich emsig in Bewegung, um das verhungernde Lancashire wenigstens notdürftig zu erhalten, die Taschen des Vizekönigs und die Taschen seiner höheren Beamten aber überreichlich mit englischem Golde zu füllen. Auch für Wasser mußte gesorgt werden, wie seit der alten Glanzzeit der zwölften Dynastie nicht mehr gesorgt worden war, wenn auch auf andere Weise. Von Damiette bis Assuan hinauf begannen statt der Obelisken Schornsteine emporzuwachsen und gewaltige Dampfpumpen den heiligen Strom anzuzapfen. Auch ich hatte schon drei dieser modernen Monumente im Bau begriffen: in Thalia bei Caliub, in Terranis bei Damiette und zu El Mutana bei Edfu. Und das alles war nur der Anfang. Es regte und rührte sich mächtig in den Gräbern der heiligen Stiere und entschlafenen Krokodile.
Da kam ein böser Zwischenfall. Seit einigen Monaten war die Rinderpest im Lande ausgebrochen. Anfänglich achtete man kaum darauf. Tiere und Menschen sterben nicht schwer in diesem Land der großen Toten und mit einer Ergebung in den Willen »des Einzigen, des Erbarmers«, von der die Christen nichts wissen. Man warf die toten Tiere in den Fluß, und da sie wenige Stunden später schwammen wie gasgefüllte Luftballons, so zog nach einigen Wochen ein langsamer, ununterbrochener Leichenzug auf den braunen Wasserfluten an Kairo und Schubra vorüber dem Meere zu. Zehn, zwanzig schwarze mächtige Rücken waren stets in Sicht. Nicht selten saß ein Geier auf dem kleinen schwimmenden Eiland und verzehrte nachdenklich so viel von seinem davonsegelnden Frühstück, als er vermochte. Das war eine Zeit für die Geier! – Und schön war es, wenn der eine oder der andere Ochse sich plötzlich, wie in unpassendem Scherze, umdrehte und den aufgedunsenen Bauch und vier bocksteife Beine gen Himmel streckte. Oder war es der stumme Jammer der Kreatur, der sich in dieser taktlosen Weise äußerte? Aber auch er zog vorüber und machte neuen stillen Schwimmern Platz, die sich weniger unanständig betrugen. Das schlimmste war, daß auf diese Weise die Gespanne der vizeköniglichen Pflüge wie die der Fellahs ins Meer zogen. Man spannte Kamele an, Esel, arme Männer und Frauen. Selbst ein paar kostbare englische Rennpferde hatte ich heute in einem Feld an der Schubraallee vor einem Pfluge sich bäumen sehen. Schließlich bildeten sie aus dem Pflug, dem klugen Effendi, der den Versuch leitete, zwei Kawassen, einem Sais und drei Fellachen einen heulenden Knäuel, an dem ich mit innigster Befriedigung vorüberritt. Denn unbeirrt von all dem Lärm und Geschrei keuchten noch hörbar meine zwei Dampfpflüge auf den Feldern von Schubra, und das ferne regelmäßige Pfeifen der sich antwortenden Maschinen sagte mir, daß sie allein die Lage der Dinge begriffen. Sie pfiffen auf die Rinderpest.
Doch völlig ungetrübte Freuden sind selten auf dieser Welt: Ist es denn noch immer nicht sieben Uhr, zum Beispiel?
Andre englische Fabriken hatten mittlerweile in Erfahrung gebracht, was mir für meine alten Freunde in Leeds zu tun geglückt war, und seit vierzehn Tagen befand sich, wie mir von guten Bekannten eifrigst mitgeteilt wurde, ein Vertreter der Firma Howard, namens Bridledrum, in Alexandrien und hatte im Hotel de l'Europe daselbst begonnen, seine Trompete zu blasen. Die Gebrüder Howard waren die ersten Konkurrenten von Fowler; die beiden Firmen hatten schon seit mehreren Jahren einen erbitterten Kampf um den besten Dampfpflug geführt, an dem wir jungen heißen Anteil nahmen. Fowler und sein System waren von Anfang an Sieger gewesen und geblieben, aber Howard besaß eine altberühmte Pflugfabrik, einen großen landwirtschaftlichen Ruf und die bewährte Eigenschaft, nie zu wissen, wenn er geschlagen war. Dies ärgerte mich, als Deutschen, ganz besonders, während ich in technischen Fragen wohl ruhiger und vorurteilsloser urteilte als mancher meiner Freunde und Gegner, vollends jetzt, wo mich nur alte Anhänglichkeit, sonst aber keinerlei weitere Bande an Fowlers Fabrik knüpften. Wenn Howard einen für die Erfordernisse des Niltals geeigneteren Pflug aussenden sollte – um so besser! Meine Aufgabe war, Ägypten zu pflügen. Wer mir hierzu das beste Werkzeug bot, sollte mein Freund sein. Doch das bloße Trompeten in Alexandrien durfte nicht zu weit gehen. Vorläufig waren meine Maschinen in Schubra auf Kosten manchen Schweißtropfens noch Herr im Lande und Verbalinjurien in Alexandrien eben nur Geschwätz.
»Herr Meier, jetzt könnten Sie aber wahrhaftig anzapfen; es ist kaum noch neun Minuten bis sieben Uhr!«
So ganz nur Geschwätz war übrigens vielleicht doch nicht, was ich von dort vernahm. Die Gebrüder Howard gehörten zu den kaufmännisch rührigsten Ingenieuren Englands, und ihr Agent schien ihrer würdig zu sein. Man brauchte keine feine Spürnase zu haben, um zu vermuten, daß Ägypten in den nächsten Jahren der landwirtschaftlichen Technik ein glänzendes Feld der Tätigkeit bieten muß, und Bridledrum schien Feuer und Flamme zu sein. Er befand sich seit zwei Tagen in Kairo und hatte sich schon eine Audienz beim Vizekönig zu verschaffen gewußt. Schüchtern war der Mann offenbar nicht. Auch war das Publikum in Shepheards Hotel, wo er wohnte, bereits unterrichtet, daß der beste Dampfpflug, der eigentliche Dampfpflug für Ägypten, der einzige für Baumwolle geeignete Dampfpflug, endlich im Begriff sei, in Alexandrien anzukommen. Bridledrum wolle nichts sagen, er hasse leere Worte, wenn es sich um ernste, praktische Fragen handle. Aber daß der Humbug mit den teuern Fowlerschen Doppelmaschinen in ein paar Monaten explodiert sein werde, darauf könne jedermann Gift nehmen, der Lust habe, eine harmlose Probe zu nehmen. Diese Neuigkeiten hatte mir mein Freund O'Donald, der Prokurist von Briggs & Co., damals Halim Paschas und aller Welt Bankiers, schon gestern mitgeteilt. Er war expreß nach Schubra geritten, um mir ein Vergnügen zu machen. Der Bridledrum sei ein Teufelskerlchen, und was den Pflug betreffe, so sei die Sache doch schwer zu beurteilen. Hinter einem solchen Mundwerk könne am Ende auch ein guter Pflug stecken.
Derlei Dinge ärgern uns bei dreißig Grad Réaumur mehr als bei fünfzehn, so daß es mir vorkam, als ob die Sorgen auf den scheinbar leeren Gartenstühlen neben mir sich ungebührlich reckten und dehnten. Doch drei kräftige Schläge im Dunkel von Meiers Höhle verkündeten jetzt, daß es sieben Uhr war, und zwei liebe Bekannte schüttelten mir, von ihren Eseln springend, die Hände. Sie hatten das Ereignis der Woche auf die Minute erraten. Bald hörte man deutsche Klänge von allen Seiten. Der dumpfe, enge Raum füllte sich. Alles nahm Platz, dem Fäßchen so nahe als möglich: Schneider und Bäcker, Gelehrte und Konsuln, Kaufleute, Missionare, Afrikareisende, Weltenbummler; ein einig Volk von Brüdern, trotz aller Dialekte unseres großen Vaterlandes, das in der Heimat ums Jahr 1864 ferner von seiner Einheit schien als je.
Der eine meiner Freunde war ein baumlanger Mann mit tiefer Baßstimme und einem blonden, struppigen Bart; nach oben hin bereits etwas kahl; eine Teutonengestalt in entsprechend mangelhaftem Anzug. Er hieß Beinhaus. Doktor Beinhaus. Im Jahre 1848 hatte er in Hessen versucht, an der Erhebung des Vaterlandes mitzuarbeiten, und keine günstigen Ergebnisse erzielt. Seit der Zeit war er auf Reisen, wozu ihn das Vermögen eines Onkels befähigte, der in und an den Schreckensjahren gestorben war, welche ihm das Erwachen Deutschlands bereitete. Neben einem humorvollen Haß gegen seinen Landesfürsten, der ihn wegen eines Duells zu Ehren einer Dame, für die sich Seine Durchlaucht interessierte, um ein Haar zum Hofrat ernannt hätte, und einer unbegrenzten Verehrung für preußische Politik und Schneidigkeit, denen er seinerzeit mit knapper Not und dem nackten Leben entwischt war, beseelte ihn das Streben, diejenigen Punkte der Erde aufzusuchen, wo Blut vergossen wurde, und womöglich daran teilzunehmen. Nicht aus Menschenhaß und ohne eine Spur von bösartigen Hintergedanken; er schien diesen seinen Lebenszweck als eine berechtigte Leibesübung zu betrachten; oder wenn wir tiefer gehen wollen, als ein subjektives Seelenbedürfnis. Hätte Nietzsche schon damals seine blonde Bestie gemalt, Beinhaus hätte ihm als das gutartigste Modell der Spezies dienen können. Drei mächtige Schrammen zierten sein Gesicht und fünf weitere Narben den zerhauenen Leib, die man anstandshalber auf Treu und Glauben hinnehmen mußte. Er war nicht übermäßig bereit, die Geschichte seiner ehrenvollen Wunden mitzuteilen; um so unerschöpflicher war er, wenn jemand die Unvorsichtigkeit hatte, eine philosophisch klingende Bemerkung zu machen. Daß das Ich allein in einer Welt war, die nicht existierte, war für ihn eine unumstößliche Tatsache. Dabei kam er aus Tunis, wo er gehofft hatte, zum Ausbruch einer Palastrevolution zu kommen, die zu seinem Bedauern nicht losging. Jetzt war er auf dem Wege nach Jedda, wo ein Aufstand der Wachabiten von einer ägyptischen Expedition unterdrückt werden sollte. Ursprünglich hatte er sich den Wachabiten anschließen wollen. Er war nämlich selbst Protestant und teilte im allgemeinen die Ansichten dieser Protestanten des Islams. Allein es ging doch nicht, denn er fand bei näherem Studium ihrer Glaubenslehre, daß die Sekte das Rauchen aufs strengste verbietet. So mußte er sich an die Ägypter halten und hoffte durch die Verwendung des österreichischen Konsuls in Kairo, mit dem er zu diesem Zweck eifrig Tarock spielte, eine Offiziersstelle in dem ägyptischen Expeditionskorps zu erhalten. Darauf wartete er vorläufig in Shepheards Hotel, wo sich die beiden Herren zusammengefunden hatten, die seitdem fast unzertrennlich waren.
Wenn wir damals arme Deutsche schon ein Feld für wilde Kolonialmenschen besessen hätten, hätte er ein berühmter Mann werden können. Sein Freund und Begleiter war es schon: Heuglin, auch ein Deutscher, auch ein Doktor; ein kleiner schwäbischer Bär, Limpurger Rasse, der Größe nach zu urteilen, etwas trotzig und einsilbig, solange er sich nicht zu Hause fühlte, wozu er Zeit brauchte, unstet und flüchtig wie jener. Er war vor drei Wochen mit den Resten der Tinneschen Reisegesellschaft zur Erforschung der Nilquellen aus der entgegengesetzten Richtung das Rote Meer heraufgekommen. Diese Reste bestanden aus Fräulein Tinne, Schlangen und Affen, teils lebendig, teils in Spiritus, zahllosen Vogelbälgen und drei Särgen. In einem lag Frau Tinne, die Mutter und das Haupt dieser wundersamen Karawane, in den zwei andern die armen Kammerjungfern von Mutter und Tochter, die sämtlich schon in Kartum die Mitwirkung an der Entdeckung der Nilquellen aufgegeben hatten und dort eine Zeitlang begraben waren. Nun, fast ein Jahr später, sollten sie auf dem Christenkirchhof bei Alt-Kairo ihre endliche Ruhe finden. Miß Tinne, eine Mischung englischer Ungebundenheit, deutscher Romantik, holländischer Gemütstiefe und international-weiblichen Eigensinns, wollte sich einen alten halbzerfallenen Mameluckenpalast in der Nähe des Friedhofs kaufen und als halb mohammedanische Fürstin in orientalischer Abgeschiedenheit weiterleben. Heuglin, der das Konservieren von Vögeln aus dem Grunde verstand, hatte sich in der Zeit jenes tragischen Rückzugs unentbehrlich gemacht und war noch immer ihr Majordomus und Großwesir. ›Vorläufig,‹ dachte er, was er seinen Freunden nur mangelhaft verbarg.
»Alles auf sich beruhen lassen – nein! Das geht schlechterdings nicht!« sagte Doktor Beinhaus, nachdem wir, in andächtiger Erinnerung an die ferne, kühle Heimat, den ersten lechzenden Durst gestillt hatten, und klopfte zornig mit dem leeren Glas auf den Blechtisch, der ihm als lauttönender Kriegsschild diente. »Sie sind natürlich der gutmütige Deutsche, wie er aus den Büchern gekrochen kommt, quälen sich da unten auf ihren Baumwollfeldern wie ein Nigger und bringen wirklich etwas zustande, was seit sechstausend Jahren noch niemand am heiligen Nil gesehen hat – Sie müssen das sehen, Heuglin! Ein Dampfpflug! Ein Dampfpflug in Fellahhänden ist sehenswert. Das läuft wie ein verrückt gewordenes Schiff übers Feld, wirft Schollen herum wie Wasserwogen, und an den beiden Feldenden pustet und pfeift und rasselt eine mammutartige Eisenmasse und läuft von Zeit zu Zeit vorwärts, als ob sie die ganze Geschichte satt hätte und durchbrennen wollte. Ich verstehe nichts davon, aber es soll etwas dabei herauskommen, habe ich mir sagen lassen. Wenigstens schwitzt sich dieser Eyth die Seele aus und würde ein paar Millionen hinterlassen, die ich gerade brauchen könnte, wenn er kein Landsmann von uns wäre. Und nun kommt ein kleiner englischer Schwadroneur und trompetet in alle Welt hinaus, das sei alles Kinderei und Krimskrams! Der wahre Dampfpflug komme erst, wenn er erscheine. Ich ließe mir's nicht gefallen!«
Und Beinhaus trank zornig sein zweites Glas aus.
»Ich lass' mir's auch nicht gefallen!« sagte ich, »aber ich kann warten. Wenn er kommt, werden wir ja sehen.«
»Wenn er klug ist«, meinte Heuglin, mit dem schlauen Blinzeln eines echten Schwaben, der die Welt kennt, ohne daß man es ihm ansieht, »wenn er klug ist, kommt er gar nicht. Sie pflügen ihm gut genug. Machen Sie nur so weiter. Mehr braucht er nicht, um den Feldzug zu beginnen. Sie wissen noch nicht, daß Sie in Ägypten sind, lieber Eyth. Ein paar tüchtige Bakschischs am richtigen Fleck tun Wunder, einen guten Dragoman, der schwatzen kann wie er selbst, findet der Mann. Wenn dann Ihre Fellachen ihm den Gefallen tun, den Fowlerschen Pflug in den nächsten Wochen ein- oder zweimal zusammenzubrechen, wozu sie ganz besonderes Talent haben sollen, wie ich im Hotel höre, dann hat er für die nächste Zukunft gewonnen und Sie das Nachsehen.«
»Ich ließe mir's nicht gefallen,« rief Beinhaus in wachsendem Grimm. »In diesen Ländern muß sich der Mensch seiner Haut wehren, wenn er sie nicht über die Ohren gezogen haben will. Vollends ein Deutscher. Aber wir Deutsche sind nicht wahrhaft glücklich, wenn uns nicht jemand die Haut über die Ohren zieht.«
»In dieser Hitze! Es hat alles seine Berechtigung!« suchte ich ihn zu beruhigen. »Übrigens zieht in unserem Fall ein Engländer dem andern das Fell über die Ohren, wenn es zum Schlimmsten käme. Fowler und Howard gehören beide unsern entfernteren Vettern teutonischer Rasse an. Das sollte ihnen eigentlich Spaß machen, Beinhaus!«
»Na nu!« berlinisierte mein zorngemuter Freund, der mich durchschaute und wohl wußte, daß ich keineswegs so kaltblütig war, als ich mich stellte. Beide erzählten mir dann des näheren, wie Bridledrum unter der Veranda des Hotels Shepheard, in den Kontoren der Kaufleute von Kairo und in den Diwans der Regierung und der Paschas das kommende Glück Ägyptens besang, das dem Lande der Howardsche Dampfpflug bringen mußte, und wie man bereits da und dort Schubra und den armen Halim Pascha bemitleidete, der sich abquälte, das unglückselige System Fowlers einzuschleppen, wo doch so viel Besseres vor der Türe stehe. »Ich will nicht aufhetzen«, sagte Beinhaus zu Heuglin, indem er seine furchtbaren Schnurrbartspitzen nach oben drehte und mich seitwärts ansah, »aber ich halte es für unsre Aufgabe, diesen einfachen Landbewohner zu witzigen, soweit es möglich ist. – Barmherziger Wodan! Der Meier muß das Fäßchen schon schief stellen! – Ich halte es für meine nationale Pflicht, dem armen Eyth beizustehen.«
Das in jenen Tagen noch so gut wie vaterlandslose Trio stieß die Gläser zusammen und trank seine Reste. Man mußte sich beeilen, wollte man nicht zu kurz kommen, und beobachtete die heimischen Sitten im fremden Land treuer als im eignen. Wir wissen heute kaum mehr, wie es dem Deutschen draußen in der Welt zumute war damals, als unser Nationallied Vers für Vers aus einer fortgesetzten Frage bestand und uns die andern, wenn sie in guter Stimmung waren, freundlich und mitleidig auf die Schultern klopften; wir waren so völlig harmlos.
In diesem Augenblick trat mein Freund O'Donald ein und setzte sich ohne Umstände zu uns; ein junger Kaufmann irischer Herkunft und zugleich Sportsmann mit Leib und Seele. Als solchen hatten ihn auch Beinhaus und Heuglin schon kennengelernt. Dem letzteren hatte er für seine Vogeljagden in Fayum zwei englische Hunde geliehen, wodurch eine innige Freundschaft zwischen den beiden entstanden war. Auch mir war O'Donald ein guter Kamerad, abgesehen davon, daß er meine kleinen Bankgeschäfte besorgte und als Prokurist von Briggs & Co. der Hauptagent für einige der größten englischen Geschäfte war. In der Form von englischem »Chaff«, diesem seiner Nation eigentümlichen Austausch von Wahrheiten in Gestalt von gutartig-derben Witzen, konnte man ihm die größten deutschen Grobheiten sagen und sich mit ihm an seiner Freude darüber freuen.
Er kam von Shepheards Hotel in fröhlicher Aufregung und hatte mich gesucht. Allerdings hatte ich ihm bereits Sinn und Verständnis für deutsche Biere beigebracht, so daß er die Bedeutung der Samstagabende bei Meier kannte. Dies hatte ihm das Suchen erleichtert. In das Sprachgemenge des schwülen Stübchens, in dem Deutsch, Französisch, Italienisch, Griechisch und von außen etwas Arabisch und Türkisch zusammenklangen, mischten sich jetzt auch die Wohllaute des Englischen.
»Wissen Sie schon, daß es aus mit Ihnen ist?« rief er seelenvergnügt und klatschte nach indisch-ägyptischer Art in die Hände, um seinen Schoppen zu bekommen. »Drüben bei Shepheard sollten Sie Mister Bridledrum hören! Das ist ein Mann! Fred George ist ganz weg! (Fred George war der englische Telegraphendirektor der ägyptischen Regierung und einer meiner zweitbesten Freunde.) – Ich bin es noch!« fuhr O'Donald. fort. »Da fiel mir ein, daß Sie hier sitzen könnten. Kommen Sie mit! Vielleicht predigt er noch!«
»Er soll kommen und pflügen, das ist gescheiter als predigen,« sagte ich, ohne mich aufregen zu lassen. »Ich gebe ihm Land in Schubra, soviel er haben will.«
»Passen Sie nur auf, er wird schon kommen,« meinte mein englischer Freund. »Aber schwatzen sollten Sie ihn hören; einfach großartig! Außer Howard gibt es nichts auf der Welt. Howard ist der Einzige, der Große, und Bridledrum ist sein Prophet. Er versteht, wie man in diesen Gegenden eine neue Religion gründet. Überdies ist er mein Landsmann. Darauf hat jedermann nur gewartet; natürlich. Wie Fowler einen Deutschen hierherschicken konnte, war mir von jeher unbegreiflich; einen Schwaben, made in Germany! Aber Sie können jetzt getrost einpacken!«
Wir stießen an! Auch diesen schönen germanischen Brauch hatte er schon gelernt und übte ihn fleißig.
»Hergeschickt hat mich Fowler überhaupt nicht«, sagte ich. »Das war ein unverdienter Segen von oben für Sie und für ihn. Aber was blies dieser neue Trompeter bei Shepheard weiter?«
»Vor acht Tagen war er beim Vizekönig und gestern bei Ihrem Pascha und hat ihm Pläne und Zeichnungen vorgelegt.«
»Papier!« warf ich ein.
»Papier,« gab O'Donald zu, »aber mit Erläuterungen, daß dem Vizekönig die Schweinsäuglein funkelten. Er möchte schon lange gerne schlauer sein als sein Onkel in Schubra. Mein Haus in Alexandrien schreibt mir heute, wir müssen uns vorsehen und, unbeschadet der Interessen von Fowler & Co., wenn möglich auch die Agentur von Howards Pflügen in die Hand bekommen. Der alte Briggs in Alexandrien weiß, wie der Wind weht, und ich habe heute nicht umsonst unserem Freund Bridledrum eine Stunde lang zugehört. Es war keine Kleinigkeit. Der Mann hat wirklich eine unnatürlich bewegliche Zunge.«
»Commercial honesty!« brummte Beinhaus und schien bösartig werden zu wollen. Ich kannte O'Donald und seine Sprache besser und wußte, daß es keine ehrlichere Haut am Nil gab, was allerdings nicht viel sagen wollte.
»Kaufmännische Ehrlichkeit hole der Kuckuck,« rief er warm und vergnügt. »Wer uns die größte Kommission verspricht, dem müssen wir glauben. Das scheint vernünftig, nicht? – Von dem technischen Kram verstehen wir nichts und brauchen nichts zu verstehen; das verwirrt nur. Glaubt ein Fabrikant an sein eignes Fabrikat, so kann er eine saftige Kommission wagen. Sie kommt ihm zehnfältig zurück. Deshalb ist die Höhe der Kommission auch ein Maßstab für die Vortrefflichkeit der Sache, so gut als ein andrer. Hiervon verstehen die Gelehrten nichts. Brummen Sie nur weiter, Herr Doktor! – Prosit!«
Er trank Beinhaus ein Viertel vor. Auch das hatte er in unsrer Gesellschaft bereits gelernt. Deutsches Bier und deutsche Sitte begannen, wenn auch schüchtern, schon damals ihren Eroberungszug durch die Welt.
»Der Abschied von Eyth wird mir sauer fallen, ich will's gern gestehen,« fuhr er fort, sich mir wieder zuwendend, »denn im großen ganzen gehörten Sie zu einer ganz erträglichen Varietät der teutonischen Abzweigung der englischen Rasse. Aber wir müssen uns alle ins Unvermeidliche fügen, und Sie werden einpacken, sobald Bridledrum in Wirklichkeit hereinbricht. Er wartet nämlich bloß auf die Ankunft seiner Maschinen, die mit vier englischen Arbeitern erster Klasse, Schlossern, Schmieden, Pflügern – was weiß ich! – schon zwischen hier und Malta schwimmen sollen. Vier Engländer! Lieber Eyth, Sie waren in England. Sie wissen, was das heißt. Vierzig Deutsche und vierhundert Fellachen könnten vier Engländer in ihrem Siegeszug nicht aufhalten, von Bridledrums Mundwerk gar nicht zu sprechen, das wir, billig gerechnet, auf fünfundzwanzig Deutsche anschlagen müssen.«
»Er hat wirklich einen Pflug unterwegs?« fragte ich gespannt und hoffnungsvoll.
»Glauben Sie, die Howards schwatzen nur?« entgegnete O'Donald. »Sobald Bridledrum sah, wie hier das Land lag, und daß es ein Deutscher in Schubra ein wenig verpfuscht hatte, telegraphierte er nach Bedford, und mit dem nächsten Schiff war die Zukunft Ägyptens unterwegs. Hören müssen Sie den Mann. Ich gebe zu, er ist mehr als englisch. Seine Mutter sei eine Französin gewesen, wurde mir gesagt. Der Schwung, die Figarogewandtheit, mit der er die ganze Hotelveranda einseift, ist nicht englisch. Nein, glauben Sie mir, mit dem armen Fowler ist es aus. Dabei schimpft er nicht über Sie, bleibt durchaus anständig, zeigt sogar ein herzliches Mitleid mit Ihnen. – Prosit! – Es ist hart, packen zu müssen. Aber wir sehen uns wohl in einer besseren Welt wieder, bei Simson im Strand zum Beispiel. Wenn wir daran denken, in diesem heißen, dumpfen Kellerloch!«
Das Fäßchen stand jetzt auf dem Kopf. Ein paar hallende Schläge gegen seinen hohlen Bauch teilten der bewegten Gemeinde mit, daß es aussichtslos war, noch einen Tropfen aus der heimatlichen Quelle zu erwarten. Auf acht Tage war sie wieder versiegt, und zögernd entfernte sich eine Gruppe nach der andern, die einen etwas laut und glücklich, daß wieder einmal deutsches Naß ihre lechzenden Kehlen und deutsche Gemütlichkeit die vertrocknenden Seelen erquickt hatte, die andern, und sie waren leider weitaus die Mehrzahl, murrend, daß dieser Narr, der Meier, sich nicht überreden lassen wollte, drei statt eines Fäßchens kommen zu lassen. »Abstehen! – Unsinn!«
Auch wir verließen das Kneipchen. Es war rasch Nacht und plötzlich stille in der Muski geworden. Der ägyptische Mond schien uns voll und hell entgegen. Von der damals noch wild verwachsenen Esbekieh herüber tönte der schrille Lärm der erwachenden Grillen und die unterbrochenen Paukenschläge einer böhmischen Musik. Hunde schlichen lautlos unter dem Schatten der Häuser hin. Noch immer saß der bleiche Missionar vor der Türe und starrte mit seinen großen wasserblauen Augen in die volle Mondscheibe, auf jeder Wange einen Fleck hellen, krankhaften Rotes, das einzige halbgeleerte Glas wohl seit einer Stunde unberührt neben sich. Ein eigentümliches Bild hoffnungsloser Entsagung, hoffnungsvoller Ergebung. Man sieht so manches am Rande der großen Heer- und Wasserstraße des Lebens, das nicht auf den ersten Blick zu entziffern ist. Und nicht jeder schwimmt lustig im Strome mit, und auch nicht jeder, der lustig mitschwimmt, erreicht das Ziel, nach dem er die Arme ausstreckt. Wir nickten dem Manne zu ohne eigentlichen Grund, denn keiner von uns kannte ihn. Er war aber jedenfalls ein Landsmann, und man wurde damals mit Landsleuten rasch und ohne viele Umstände gut Freund in der Muski zu Kairo.