Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wanderlebensregeln

Willst du hinaus in die weite Welt,
So laß das Sorgen dahinten.
Nimm nicht zu viel, doch ein wenig Geld,
Das weitere solltest du finden.

Ein flinker Fuß, eine stetige Hand,
Und das Herz am richtigen Flecke,
So kommst du sicher im fernsten Land
Auch um die gefährlichste Ecke.

Und den Schulsack – vergiß den Schulsack nicht,
Um den uns der Erdkreis beneidet.
Erfreu dich an seinem schönen Gewicht,
Solange dein Rücken es leidet.

Doch hab' er ein Loch, hübsch lang und weit,
Wenn nötig, gebrauche die Schere,
Damit er beim Wandern, im Laufe der Zeit,
Sich heimlich und schmerzlos entleere.

Was alles du siehst, ist dein Wandersold,
Den magst in die Tasche du rammen;
Vielleicht ist es Plunder, vielleicht ist es Gold,
So lag's auch im Schulsack beisammen.

Dann: – fährt dich niemand, und du mußt gehn,
Greif aus, kein Weg mach' dir bange.
Und siehst du das Glück auf der Straße stehn:
Greif zu, besinn dich nicht lange.

Doch wendet den Rücken es manches Mal
Und zeigt dir boshaft die Kralle,
Geh weiter! Bleib treu deinem Eisen und Stahl,
Und pfeif auf die Edelmetalle.

So ziehe getrost bergauf, bergab,
Und trage und schaffe und scherze;
Bringst du nur zurück, was Gott dir gab,
Dein altes, fröhliches Herze.

Der blinde Passagier

Es war kein Hotel erster Klasse, auch keins der zweiten. Für beides hatte ich meine Gründe. Ein erfahrenerer Weltreisender, als ich es damals war, hätte behaupten können, der »Schwarze Anker« zu Antwerpen grenze bedenklich nahe an eine anständige Matrosenkneipe. Aber seine Lage behagte mir, seine Preislage hatte selbst für mich nichts Erschreckendes, wenigstens im zweiten und letzten Stock. Seit zwei Tagen bewohnte ich dort ein Stübchen von holländischer Größe und Sauberkeit. So lange blieben die Gäste im »Schwarzen Anker« selten; die runde flämische Kellnerin zeigte bereits die ersten Spuren mütterlicher Zuneigung, wenn sie mir ein frisches, schneeweißes Handtuch brachte, fast so groß wie ein Taschentuch. Alles schien für die niedlichste Zwergwirtschaft eingerichtet zu sein, in der gute, pausbackige Menschen hausten, groß wie Riesen, namentlich in der Breitenrichtung. Man konnte kaum begreifen, wie sie ein und aus gingen. Mein Fensterchen sah nach der Schelde auf eins der großen Wassertore des Kontinents, die in die weite Welt hinausführen. Als ich vorgestern zum erstenmal die glänzende Fläche im Licht der untergehenden Sonne schimmern sah, mit ihren Masten und Segeln, ihren behaglich rauchenden Dampfschiffen, den plätschernden, hin und her schießenden Schleppbooten, die in der größten Eile schienen, heute noch fortzukommen, und immer wieder da waren, klopfte mir das Herz fühlbar. Ich selbst – soll ich oder soll ich nicht?

Etwas müde und nicht so hoffnungsfroh wie gestern und vorgestern war ich nach Hause zurückgekehrt. Das Wetter hatte sich geändert. Ein schwerer Aprilhimmel hing in schwarzen Wolkenfetzen über der Stadt. Bleigrau starrte die Schelde zu ihm empor. Von Zeit zu Zeit fegte ein Windstoß über den Strom und kräuselte ein silbernes Band in die tote Fläche. Die Masten der Schiffe wackelten nachdenklich hin und her, scheinbar ohne Ursache: doch schien es ihnen mit jeder Viertelstunde unbehaglicher zu werden. Jetzt, als ich eintrat, klatschten sogar schwere Regentropfen an die Fensterscheiben. In einer solchen Nacht hinaus in die weite, nasse, fremde Welt? Keines der Schiffe entlang dem dämmerigen Staden, das nicht den Kopf schüttelte!

Ein höflicher, unermüdlich schwatzhafter kleiner Zeichner aus Lüttich hatte mir den ganzen Nachmittag lang die Werften gezeigt, welche die große Fabrik von Seraing hier im Betrieb hält. Es war die erste Schiffswerft, die ich als rassenreine schwäbische Landratte zu sehen bekam. Sie war im Jahre 1861 nicht sehr groß; aber für den Maßstab, mit dem ich mich auf die Wanderschaft gemacht hatte, doch gewaltig genug. Ein halbes Dutzend großer Schleppkähne für die Wolga und ein kleiner Küstendampfer waren im Bau begriffen. Vor einer Woche hatte man angefangen, den Kiel für ein Dampfschiff von 800 Pferdekraft zu legen. Alles rohe Arbeit, wie mir schien. Und niederdrückend war es, daß es so viel rohe Arbeit in der Welt gab, von der man nichts verstand, trotz eines Bildungsganges, an dem die alten Griechen und Römer nicht ohne Anstrengung mitgeholfen hatten. Diese Werft zu sehen, war der eine, unwesentlichere Zweck meines Hierherkommens gewesen, auf einen Brief zu warten der andere. Der Brief sollte mein Schicksal für die nächste Zeit entscheiden. Ich hatte in den letzten Wochen mehrmals ähnlichen Schreiben entgegengesehen, in Köln, in Essen, in Brüssel, und fing an, mich an die Spannung zu gewöhnen, die einer milden Neugier – wie es wohl weitergehen werde? – Platz gemacht hatte. Doch heute handelte es sich um das letzte Wort aus Belgien. Klang es wie alle andern, so stand ich ziemlich ratlos vor einer ernsten Lebensfrage.

In der Mauer von Schiffen, die dem Staden entlang lagen, war die helle Lücke, die quer über der Straße gestern einen herrlichen Blick auf den munteren Strom gestattet hatte, plötzlich verschwunden. Ein schwarzes Ungetüm von Dampfer füllte sie aus, stieß träge Wolken Rauchs in die tiefhängenden Regenwolken und rasselte an vier Stellen zugleich mit Ketten und Dampfwinden, von denen jede ihre eigne schnarrende Tonart aufdringlich zur Geltung brachte. Unten im feuchten Halbdunkel verwirrte sich ein Dutzend Wagen und Karren, die Waren aller Art herbeischleppten. Fässer, Kisten und Ballen flogen zuckend in die Luft, um mit einem behaglichen Grunzen im Bauch des Schiffs zu versinken. Peitschenknallen und Fluchen kam stoßweise zu mir herüber. Immer neue Karren kamen angerumpelt. Das Ungeheuer fraß mit Appetit, schwarz und schweigend. Frißt es wohl auch Menschen?

Ich fragte die runde Kellnerin, die in diesem Augenblick eintrat. »Erst morgen nachmittag, gegen vier Uhr«, antwortete sie in ihrem pausbackigen Flämisch und hielt mir Briefe entgegen, die ich ihr mit befremdender Lebhaftigkeit entriß. Nicht bloß den einen, den ich erwartete; es waren drei. Mein zwei Wochen altes Flämisch sprudelte stürmisch über meine Lippen. Kein Sprachlehrer der besten deutschen Gymnasien hat je ähnliche Erfolge erzielt. In zwei Minuten stand ein Petroleumlämpchen auf dem runden Tisch, ein Stühlchen war unter mir zusammengebrochen, ich saß auf dem krachenden Sofa und riß meine Briefe auf.

Der erste war in der Tat von Seraing, im höflichsten Französisch.

»Mein Herr! Wir bedauern aufs lebhafteste, daß die gegenwärtige Besetzung unseres Zeichenbureaus uns der Möglichkeit beraubt, von Ihren Talenten Gebrauch zu machen, für die uns ebensosehr Ihre vortrefflichen Zeugnisse (die wir dankend beilegen) als die Empfehlung unsers sehr verehrten Mitglieds des Verwaltungsrats, Dr. Orban, bürgen. Wir sind überzeugt, daß andre Etablissements, namentlich in Ihrem eignen Vaterlande, mit Ungeduld den Augenblick erwarten, in dem sie von Ihren vielseitigen Fähigkeiten Gebrauch zu machen Gelegenheit finden werden, und wünschen denselben Glück zu den ihnen hieraus erwachsenden außerordentlichen Vorteilen. Genehmigen Sie den Ausdruck unsrer sehr distinguierten Hochachtung. Die Administration der Societé anonyme de Seraing«, würdig vertreten von zwei unlesbaren Namen, von denen der eine in Keilschrift ausgeführt war, der andre die Anfänge der später beliebt gewordenen Spritzmalerei andeutete.

Es bleibt etwas Schönes um Stil und Höflichkeit. Ich faltete das Schreiben liebevoll zusammen und legte es auf ein Häuflein zumeist minder liebevoll stilisierter Briefe, die sich in den letzten Wochen angesammelt hatten und fast als Tagebuch einer Forschungsreise von Mainz bis Antwerpen dienen konnten, mit Kreuz- und Querzügen in allen Seitentälern des Rheins und der Maas, in denen Gott Eisen wachsen ließ. Vorgestern noch hatte mich ein Schreiben aus dem Ruhrgebiet erreicht, das mir von Stadt zu Stadt, von Gasthof zu Gasthof nachgelaufen war. Ein alter Spartaner schien es mit Streichhölzchen, mit denen er noch nicht umzugehen wußte, angefertigt zu haben. Mühsam entziffert lautete es: »Unser Bureau ist besetzt. Wir können Sie nicht brauchen. Hochachtend R. R.« – Selbst nützlich kann Stil und Höflichkeit manchmal sein. Dieser Brief mußte sich eine geringschätzige, ja grobe Behandlung gefallen lassen.

Mit Belgien war es also auch aus. Seraing war meine letzte Hoffnung gewesen. Die kleineren Fabriken hatte ich schon von Brüssel aus durchgekostet. Verzweiflung gibt Mut. Ich hatte als letzte Möglichkeit die größte, die ersehnteste versucht: die weltberühmten Werke von Cockerill. Nun sah ich durch die trüben Scheiben in die Dämmerung hinaus. Das Schiffsungetüm fraß noch immer an seinem Abendbrot; etwas langsamer, mit widerwärtigem Räuspern. Eben schien ein besonders fetter Bissen an die Reihe zu kommen: ein Riesensarkophag dem Aussehen nach, in Wirklichkeit ein Eisenbahnwagen. Er hing schwarz und viereckig gegen den schmutzigroten Abendhimmel und drehte sich langsam an der Kette des Schiffskranes in der Luft. Dann versank er plötzlich mit wütendem Gerassel in dem nicht zu füllenden Bauch. Der dicke, kurze Schornstein machte eine ganz kleine, behagliche Bewegung. Diesmal hatte es dem Ungetüm sichtlich geschmeckt. Und morgen, um vier Uhr, frißt es auch Menschen!

Ich wandte mich meinem Tischchen zu. Die beiden andern Briefe waren mir von meinem Brüsseler Gasthof nachgesandt worden. Der eine kam von England, von einem Freund und Schulkameraden, der schon ein halbes Jahr vor mir den Sprung in die weite Welt gewagt hatte. »Lieber Eyth«, schrieb er unter manchem andern, das nicht hierher und kaum in seinen Brief gehörte, »wenn Dich meine Epistel noch in Berg trifft und Dir Dein Leben lieb ist, namentlich Dein Seelenleben, so bleibe dort. Ein Waldhorn-Minele findest Du hier nie und Dein tägliches Brot in den ersten sechs Monaten schwerlich. Solltest Du jedoch inkurabel verrückt und dies Deinem Fortkommen in Belgien und am Rhein hinderlich gewesen sein, so komme immerhin. Ich habe seit vier Wochen zwanzig Schilling die Woche und ein Reißbrett in der ersten Fabrik der Welt. Ein Hundeloch und Hundelöcher ringsumher. Whitworth. Aber es soll jetzt alles neu gebaut werden, und geleistet wird Gewaltiges, und interessant ist es, daß man beinahe den Mangel des Kneipens verschmerzt. Es ist noch ein Deutscher hier, oder vielmehr ein Schweizer, dem dies saurer fällt als mir. Wir zwei pausen zu Hause die ganze Nacht Bohrmaschinen und Drehbänke, Hobel- und Fräsmaschinen, mit dem Schwert des Damokles über unseren Köpfen. Den Tag über wird für unsern Herrn und Meister – ein famoser Kerl von trockener Energie – redlich gearbeitet; nachts wird er bestohlen. Und dabei erfreuen wir uns des Gefühls tugendhaftester Pflichterfüllung und eines wachsenden Haufens der wertvollsten Werkzeugmaschinenzeichnungen. Findest Du sonst nichts, so stellen wir Dich als Mitpauser an. Werden wir ertappt, so haben wir wenigstens jemand, den man hängen kann. Man muß übrigens auch dem Teufel Gerechtigkeit widerfahren lassen. Sie halten hier nicht jeden alten Bolzen für ein Fabrikgeheimnis, wie bei uns. Und mein Schweizer Associé meint, so oft er allzu durstig wird: In fünf Jahren können wir uns mit all unsern Pausen keine Maß Bier kaufen. Er wird wohl recht haben. Insofern ist die Sache auch vom streng ethischen Standpunkte aus harmlos. Also nochmals: Bleibe zu Hause und nähre Dich redlich: Dein alter Gutbrod.«

Ich trat wieder ans Fenster; diesmal erregter. Das war die Gattung von Briefen, bei denen ich nicht mehr auf einem Stuhl sitzen bleiben konnte. Es war jetzt völlig Nacht geworden, man hatte aber ein paar Pechfackeln um das Ungetüm herum angezündet. Es fraß noch immer, es ging sogar wieder rascher: kleine Bissen, die ihm leicht durch die Zähne schlüpften, immer drei Fässer auf einmal. Ich hatte sie schon nachmittags bereitliegen sehen und wußte, daß es dreitausend westfälische Schinken waren. Alles für England; und da sollte es wirklich so hungrig zugehen, wie dieser Gutbrod mir weismachen will? Unsinn! Wenn man mit dreitausend westfälischen Schinken ankommt, kann es einem nicht allzu schlecht ergehen. Nun aber zum dritten Brief. Er kam aus der Heimat von meinem lieben Zeichen- und Leidensgenossen Braun, der jetzt, an meinem Tisch, das alte Leben fortsetzte.

 

»Lieber Eyth! Zwei Dinge rate ich Dir, von denen Du das eine tun, das andere bleiben lassen sollst, und zwar so bald als möglich. Komm ohne Verzug wieder zurück. Dein alter Zeichentisch ist mir um drei Zentimeter zu hoch, und Dein Reißbrett hat zwei Astlöcher, die mir das Leben zur Last machen. Oder, zum zweiten, mache, daß Du so schnell und so weit als möglich fortkommst; denn der Alte (in dieser vertraulichen Weise sprachen wir von unserem hochgeachteten Herrn und Meister hinter seinem Rücken) ist noch immer wütend über Deine Desertion: ›Da erzieht man die jungen Leute, die völlig unbrauchbar aus ihren polytechnischen Kindergärten kommen, zahlt ihnen noch glänzende sechsunddreißig Kreuzer täglich dafür, und kaum sind sie imstande, sich einigermaßen nützlich zu machen, so laufen sie einem davon, der Kuckuck weiß, weshalb und wohin; bloß um zu laufen.‹ Er ist in der tiefsten Seele, soweit er eine solche hat, überzeugt, daß Du ein Scheusal von Undankbarkeit bist, und läßt es uns fühlen. Wir suchen uns dadurch einigermaßen schadlos zu halten, daß, wenn irgend etwas unten in den Werkstätten schiefgeht, eine Welle zu kurz oder zu lang, ein Zapfen zu dick oder zu dünn geraten ist, wir einstimmig versichern: Das hat Herr Eyth noch gemacht. Die Bemerkung ist ein Sprichwort geworden, das uns vielfach tröstet; auch über Deinen Abgang, den ich anfänglich für ein Unglück hielt, denn wir waren in der ersten Woche wirklich verdrießlich, jetzt geht es schon wieder. – Daß Du am Rhein nichts gefunden hast, freut uns. Hoffentlich geht Dir's in Belgien ebenso gut. Dann wirst Du wohl an die Heimkehr denken und an die Fleischtöpfe im ›Waldhorn‹, und wir werden vielleicht wieder zu Ehren kommen. Mit Blechmusik sollst Du empfangen werden. Der Alte wird Dir sicher auch etwas blasen, glaube ich. Aber er wird Dich wieder aufnehmen wie den verlorenen Sohn, wenn auch ohne eine Kalbschlächterei zu veranstalten; darauf darfst Du bauen. Der Herr sei mit Dir, wenn Du schon bei den Trebern angelangt sein solltest. Dein getreuer Braun.«

Nachschrift: »Das Waldhorn-Minele läuft mit roten Augen herum. Dies dauert zu lange. Ich will ihr morgen Bleiwasser verordnen und dann, wenn's besser wird, sehen, was sich machen läßt. Du kannst meinethalben noch ein Jahr fortbleiben. D. O.«

Dazu klatschte jetzt der Regen ans Fenster, und ein kalter Aprilwind fing ordentlich zu blasen an. Man hörte draußen Rahen und Stangen ächzend aneinanderschlagen, und das Kettengerassel der Dampfwinden hörte trotz allem immer noch nicht auf. Die drei Briefe waren gelesen; zweifelnd, schwankend starrte ich in die dunkle Zukunft. Wenn je einem Menschen zumut war wie dem ungarischen Bauernjungen in Lenaus Werbung, so war ich jetzt der Mann. Mein alter Freund Braun hatte die richtige Saite angeschlagen, ohne es zu wissen.

»Und er sieht das Hüttlein trauern,
Das ihn hegte mit den Seinen,
Hört davor die Linde schauern
Und den Bach vorüberweinen.«

Den Nesenbach, den damals noch nicht einmal überwölbten Nesenbach. Man glaubt es kaum, wie die Entfernung selbst ein solches Gewässer vergeistigt.

In der Tat, warum sollte ich nicht umkehren? Alle vernünftigen Leute schienen dieser Ansicht zu sein, gleichgültige und teilnehmende. Leer käme ich ja nicht nach Hause. Ich hatte seit zwei Monaten alles mögliche gesehen und gelernt. Meine Notizbücher strotzten von halbfertigen Skizzen. Warum sollte ich nicht einen Strich unter meine Studienreise machen, wenn man mir die Tinte dazu förmlich nachspritzt. Es kostet wohl einige Überwindung nach den hoffnungsvollen Plänen, mit denen ich auszog; aber man muß sich auch überwinden können. Die größten Geister fanden dies am schwierigsten und achtbarsten. Und zur Stärkung und Belohnung meines heldenhaften Entschlusses der Selbstüberwindung muß etwas geschehen. Ich werde in dieser wilden Welt mit ihrem ewigen Kettengerassel wenn irgend möglich zum Abend- und Abschiedsmahl eine gute deutsche Schützenwurst bestellen! Marie!!

Die Zimmerglocken im zweiten Stock des ›Schwarzen Ankers‹ waren nämlich nicht immer in Tätigkeit zu sehen. Man war deshalb gezwungen, dem Zimmermädchen bei jeder wichtigeren Veranlassung menschlich näherzutreten. Freilich nicht immer mit Erfolg. Sie ließ mir auch diesmal Zeit, meinen halblauten Monolog fortzusetzen, den die wachsende Erregung wohl entschuldigt. Man hat nicht alle Tage einen Entschluß zu fassen, der das ganze Leben in eine neue Bahn drängt.

Eins aber will ich nicht unterlassen, fuhr ich, noch immer auf meine Belohnung bedacht, eifrig fort: So nahe an England, für das ich seit Jahren als Mensch und Techniker eine stille, beklommene Verehrung pflegte, will ich wenigstens etwas von seinem insularen, weltumspannenden Leben kennenlernen, ehe ich ihm den Rücken kehre! Eine Flasche britisches Ale zu meiner schwäbischen Wurst! Vielleicht sauge ich in dieser Weise kurzerhand die Quintessenz englischer Lebenskraft in mich ein. Ale hatte ich bis heute nur dem Namen nach kennengelernt. Das wenigstens muß anders werden. Ich kann dann jedenfalls die erste Frage, die Braun, wenn wir uns in Bälde wiedersehen, an mich richten wird, prompt beantworten. Eine Flasche Ale unter dem Herzen und den fernen Salzgeruch der See in der Nase, wie ihn in einer solchen Sturmnacht jeder Windstoß bringt: Wozu braucht man eigentlich dann noch nach England zu gehen? Marie! –

Sie geruhte zu erscheinen; ohne Übereilung, mit jener flämischen gemessenen Würde, die dem Süddeutschen Achtung einflößt und gelegentlich ein Donnerwetter auspreßt. Nicht ohne kleine sprachliche Schwierigkeiten erklärten wir uns: »Schützenwurst?« – »Nein!« – »Wurst im allgemeinen?« – »Ja!« – »Das englische Gebräu?« – »Jawohl, Mijnheer!« – Nach zehn Minuten erschien alles auf einem Puppenstubenkaffeebrettchen; nur die große, wohlversiegelte Flasche machte eine imponierende Ausnahme. ›Man mag sagen, was man will, es ist doch etwas an den Engländern; ein großer Zug in allem, was sie berührt‹, dachte ich und streckte mich auf dem kleinen Sofa aus, den Kopf auf der einen, die Beine auf der andern Lehne, um wenigstens eine Stunde lang die englischen Illusionen möglichst aufrechtzuerhalten. Draußen heulte der Sturm. Segel und Rahen klatschten; das Kettengerassel dagegen hatte endlich aufgehört. Und mein Petroleumlämpchen brannte traulich und zutunlich. Ein schweres, goldgelbes Naß winkte mir aus dem Gläschen entgegen, das schlecht zur Flasche paßte. Ich begann; nicht ohne Wehmut.

So wäre denn mein Wanderleben zu Ende! Warum auch nicht? »Das Hüttlein« wird bald wieder vergnügt sein, alter Lenau! Das alte Leben hatte doch wahrhaftig auch sein Schönes, wenn man es im rechten Lichte besah; namentlich im Abendsonnenschein oder noch besser: in der Dämmerung. Die Kinderzeit in dem Waldkloster, in dem ich aufgewachsen bin, mit ihrer unverstandenen Sehnsucht nach der großen Welt, die zwei Stunden hinter dem Wald mit einem Eisenhammer anfing. Und nun hatte ich mir die große Welt ziemlich gründlich angesehen; was war sie anders? Tatsächlich Eisenhämmer, einer hinter dem andern! Sind sie all die Sehnsucht des kleinen klopfenden Herzens wert gewesen? – Dann die lustige Schulzeit mit ihren Freundschaften für eine vierjährige Ewigkeit und der ungeduldigen Ahnung von all dem Großen und Schönen, das der nächste Schritt im Leben unfehlbar bringen mußte, wenn man endlich den Staub und Moder der fürchterlichen Klassiker abschütteln durfte. Darauf die Kneip- und Arbeitsfreudigkeit des jungen Polytechnikers, der mit ganzem Herzen bei der Sache ist, durchdrungen von der Weisheit seiner verehrten Lehrer und der Höhe seines eignen Wissens und jederzeit bereit, mit einer liebenden Gattin von fünfzehn Jahren die Rosenpfade des Daseins zu durchwandeln. Nun aber plötzlich aus all diesen Herrlichkeiten der zermalmende Sturz in das Werkstättenleben, die Vernichtung aller Träume, die zerklopften Finger, die schwarze Nase. Und die ersten selbstverdienten Groschen, die ersten, mit selbstverdientem Geld gekauften Stiefel, in denen man mit bisher ungekannter Vorsicht auftritt. Und dann, trotzig und halb gebrochen, aus der Tiefe der Vernichtung langsam wieder emporsteigend. –

Übrigens ist dieses Ale ein wunderbares Getränk! Süffig wie das kostbarste Olivenöl – darüber habe ich keinen Zweifel mehr; stark wie zwei Männer – aber kaum bitter genug – so ganz anders als ehrliches schwäbisches Bier!

Ja – man ist an dem Sturz in die unerwarteten Tiefen des praktischen Lebens allerdings nicht gestorben, wenn auch beinahe. Mir wurde es vielleicht doppelt sauer, denn in der alten Klosterzeit hatte ich im Träumen eine ganz besondere Fertigkeit erlangt und öfter versucht, die etwas dunstigen Luftgebilde in Reimen festzunageln, so daß ich jetzt noch, sobald es mir wieder etwas besser ging, anhub, meinen Schraubstock zu besingen, und den Fabrikschornstein in Verse brachte. Es schadete niemand; sogar mir selbst nur einmal. Doch das harte Jahr ging vorüber. Aus meiner ersten Fabrik hatte man mich zwar zu meiner unaussprechlichen Verblüffung hinausgeworfen; sechs Wochen nachdem mir von meiner technischen Alma mater der erste Preis in höherer Mathematik und praktischem Maschinenzeichnen zugesprochen worden war. In der zweiten stieg ich jedoch aus den tiefsten Tiefen mit zusammengebissenen Zähnen und verschmierter als der schmierigste Lehrjunge langsam empor und wurde sechsunddreißig Kreuzer, achtundvierzig, ja schließlich einen Gulden täglich wert. Dann holte mich ein Engel vom Himmel – er hieß Wolf und war Bureauchef und erster Konstrukteur – ins Zeichenbureau.

Die Wurst war nicht schlecht, wenn auch himmelweit entfernt von den Idealen, die meine teure schwäbische Heimat erzeugt. Es fehlte ihr die schlichte Treuherzigkeit, die man am Neckar auch in einer Knackwurst findet. Aber das Ale – wie man ein solches Getränke Bier nennen kann! C'est magnifique, mais ce n'est pas la guerre! – und stark! – es lebe Old England!

Das Pausen macht nicht überglücklich, aber man war wieder, gewaschen wie ein Mensch und ahnte die kommenden Freuden, wenn man nach Tisch in dem noch leeren Zeichensaal neugierig an den Reißbrettern der gewiegteren Herren Zeichner vorüberschlich: ernster, bärtiger Männer, denen man die harmlosen Dummheiten nicht ansah, deren sie nach längerem tiefem Nachdenken oder schneidigem Winkel- und Reißschienengeklapper fähig waren. Welch erhebendes Gefühl, den ersten selbstkonstruierten Lagerbock aus dem Nichts entstehen zu lassen; zu wissen, daß auch ich in der Zuckerfabrik zu Böblingen in der Form eines Holzgestells für zehn Zentrifugen weiterleben werde. Von den Sonnenblicken, die Liebe und Freundschaft wieder auf meinen Lebenspfad zu werfen begannen, will ich gar nicht reden. Es war ein zweiter Frühling in sprossendem Ackerfeld nach dem ersten im kindlichen Heidekraut, der schon weit hinter mir lag. – Ein tüchtiger Schluck von solchem Bier war damals nicht nötig, um mir den Lebensmut zu heben, und dies war ein weiteres Glück. Denn das Bier im Waldhorn war um ein beträchtliches schwächer.

Die Tage folgten sich und glichen sich nicht mehr. Schritt für Schritt ging's höher hinauf. Es kamen die kleinen Geschäftsreischen: hier die Aufnahme einer alten Sägemühle, dort der Besuch eines verkehrt aufgebauten Fundaments. Man hatte das fröhliche Gefühl des Entchens, das zum erstenmal halb verwundert, halb selbstbewußt in seiner Pfütze plätschert. Man fühlte die Bedeutung des neunzehnten Jahrhunderts und daß man am Webstuhl einer großen Zeit das eigene Schiffchen hin und her warf. Abends am Wirtstische predigte man dem Pfarrer des Städtchens und wurde vom Bürgermeister den Gemeinderäten als der Herr Ingenieur aus Stuttgart vorgestellt, der uns alles über die Glasfabrik mitzuteilen in der Lage sei, deren Anlage möglicherweise doch in nicht allzu ferner Zeit in Erwägung zu ziehen wäre. Wenn es dann gar gelang, die Bestellung eines unerwarteten Seifenkessels nach Hause zu bringen, zu der sich der Herr Gemeinderat Angele in plötzlich erwachtem Vertrauen entschlossen hatte! Aber auch Lieblicheres als Seifenkessel sproßte frühlingsartig in allen Ecken und Enden des Ländchens, kleine Blumenbeete der Freundschaft und Liebe in buntwechselnder Farbenpracht. Fiducit, du alte Jugendzeit! Prosit, ihr fernen Herzensbrüder, desgleichen ihr Schwestern. In einem besseren Nektar habe ich euch noch nie meine Grüße zugewinkt!

Und das alles wollte ich verlassen? Ist es nicht schnöder Undank, um von positiver Schlechtigkeit in einem oder zwei Fällen nur mit gebührender Zurückhaltung zu sprechen? Ist das Neckartal nicht ein halbes Paradies und das – Waldhorn-Minele eine kleine Eva, ohne Falsch, wie die meisten Schwabenmädchen, an denen wahrhaftig kein Mangel war? Der erste Versuch, all diesen teuern Banden zu entschlüpfen, hatte verdientermaßen kläglich geendet. Zu Immendingen im Schwarzwald war die Stelle eines Zeichenbureauchefs ausgeschrieben. Wer nichts wagt, gewinnt nichts! Ich meldete mich trotz des Jammers meiner guten Mutter: Immendingen sei gar so weit entfernt! Wenn es wenigstens nicht im Ausland läge! Es ist nämlich badisch, und wir schrieben 1859. Und wahrscheinlich hätte ich die Stelle bekommen, wenn mein wackerer Vater, stets auf mein Wohl bedacht, mich nicht unterstützt hätte. Er war ein Mann des Fortschritts, trotz der hervorragenden philologischen Stellung, die er in seiner Welt einnahm. Um meine Bewerbung zu fördern und um mich zugleich später freudig zu überraschen, schickte er hinter meinem Rücken an die Direktion von Immendingen eine Abschrift meiner sechs besten »Lieder am Schraubstock«, überzeugt, wie er beifügte, daß die in den kurzen Gedichten hervortretende ideale Auffassung des praktischen Lebens und die nicht unbeträchtliche sprachliche Gewandtheit, die sich namentlich in dem fünften Gedicht: »Der Schornstein« zeigte, einige Berücksichtigung finden dürfte. Erst zwei Jahre später erfuhr ich von der Sache durch einen Schreiber, der den »Schornstein« und die andern fünf Lieder aus dem direktorialen Papierkorb gerettet hatte. Denn der junge Herr war zufällig beim Empfang des Schreibens im Zimmer anwesend gewesen. »Sehen Sie mal!«, hatte der Direktor zu seinem Prokuristen gesagt, der ihm gegenübersaß, »solches Zeug schickt mir ein alter Professor! Glaubt der Mann, wir machen Gedichte in Immendingen. Muß eine intelligente Familie sein, das!«

Prosit, prosit, liebevollster und besorgtester aller Väter! Ich weiß, du hast es herzlich gut gemeint, wenn wir auch in diesem Falle hineinfielen. Es tat nicht allzu weh; der Papierkorb war geräumig genug für uns beide. – Übrigens ist dieses Bier das Bier aller Biere! Wenn bei den Engländern alles so ist wie ihr Ale – wer weiß, ob es nicht doch meine Pflicht wäre, diesem Volke näherzutreten. Nur zu stark, wirklich zu stark! Ich glaube, drei Flaschen könnte ich beim besten Willen nicht auf mich nehmen. Das hat auch seine Nachteile.

Aber meine Ruh war hin. Der Blick über den Schwarzwald hinaus hatte den Zauber der Heimat vernichtet. Eine geheime Sehnsucht nagte an meinem Herzen. Dazu kam eine kurze Geschäftsreise nach Paris, mit dem Auftrage, Lenoirs Gasmotoren zu studieren und den Franzosen nach Möglichkeit zu bestehlen, von wo ich verwirrten Kopfes nach Hause kam. Meine angeborene deutsche Ehrlichkeit bewährte sich schon bei dieser Gelegenheit. Aber ich ahnte mehr und mehr, wie weit die Welt ist, wie sich's draußen regt, wie die Zeit, unsre Zeit, an ihrem großen Webstuhl die Schiffchen hin und her wirft. Liebe und Freundschaft und die komplizierteste Schiebersteuerung, an der ich viel und emsig herumklügelte, wollten mir den Seelenfrieden nicht wiedergeben. Ich mußte hinaus.

Es lebe der Fortschritt; es lebe die Freiheit! Unbedenklich kann man das Ale das Bier der Befreiung, den Trank der Freiheit nennen: wie ja schon unserm wackern Schiller England als das gelobte Land der Freiheit erschien, weil und obgleich er der beste Deutsche war. Daher wird wohl auch der Unterschied im Geschmack rühren. Man muß sich an das Beste gewöhnen. Es lebe die Freiheit!

Ich hatte mir ein paar hundert Gulden. erspart und besaß eine Großmutter, die mir fünfhundert lieh. Dann – Ehre, dem Ehre gebührt – gibt die Württembergische Zentralstelle für Handel und Gewerbe ihren hoffnungsvollen jungen Schwaben gelegentlich ein paar hundert auf den Weg für Studienzwecke oder um sie mit Ehren loszuwerden. Das machte zusammen etwas über tausend Gulden; damit kann man bequem eine Strecke gleich der Erdbahn durchreisen! Und als sich die ersten Spuren des Frühlings von 1861 zeigten, zog ich den Neckar hinunter in die weite Welt hinaus.

Es lebe die Freiheit! Und nun sollte ich wieder umkehren, weil die Rheinländer nicht merkten, wer vor ihren Türen stand, und die Belgier – konnte man's ihnen verargen? – ebenso blind sind? Unsinn! Ich gehe nach England! Natürlich gehe ich nach England! Vor der Quelle eines solchen Nektars darf eine deutsche Studienreise nicht haltmachen. Ich könnte mir's wahrhaftig in meinen alten Tagen nie verzeihen. Soll ich beschämt vor meinen Enkeln stehen, wenn sie die Jugendgeschichte ihres Großvaters ausgraben? Der Mann muß hinaus ins feindliche Leben. Ich begreife nicht, wie ich, noch mit sechshundert Gulden in der Tasche, auch nur einen Augenblick daran zweifeln konnte. Es war eine schmähliche Schwäche. Alles, was mich zu Hause liebt, soll leben. Aber ich gehe. Mit jedem Augenblick fühle ich einen neuen Zuwachs von Kraft und Mut in mir lebendig werden. Lebendige Kraft von der harten Art, mit der etwas zu machen ist.

Lebe wohl, Kinderzeit! Ernst muß es werden, und das Ungetüm draußen mag mich verschlingen, sobald es Lust hat. Es soll mich als Mann wieder ausspeien an dem fremden Strande. Das ist beschlossene Sache, die deine roten Augen, Waldhorn-Minele, nicht mehr ändern können. Der Mann will hinaus! – jetzt aber zum letztenmal – und ganz gewiß zum letztenmal!

Ich riß ein Blatt aus meinem Notizbuch und schrieb auf die Rückseite einer Kesselschmiede zu Aachen Abschiedsworte an meine armen zurückgebliebenen Freunde, an Mina, an Minas zahlreiche Freundinnen und an meine ganze Jugendzeit, die ich unbarmherzig im Meer versenkte. Dann folgten etliche trotzige Strophen an die Stürme der Zukunft und ein fragwürdiges Schiff, das ich mit großer Zuversicht um brandungumtoste Klippen zu steuern vorgab. Die Reime flogen mir zu. Dagegen weiß ich heute noch nicht genau, wie ich in den Wandschrank kam, in dem sich nach holländischer Weise mein Bett befand. Es ging alles in schönster Ordnung. Aber ein gütiger Himmel mußte mich auch damals geleitet haben, wie später mannigfach, wenn ich, in Freud und Leid, das Steuer nicht mehr allzu fest in der Hand hielt.

Ein sonniger Morgen weckte mich aus wogenden Träumen. Draußen rasselten die Dampfwinden mit einer Lebenslust und Arbeitswut, die fast wehe tat. Mein schwarzer Freund mit seinem unerschöpflichen Appetit war schon am ersten Frühstück. Er verspeiste soeben zehntausend Bretter. Dazu Geschrei und Peitschenknallen, Pfeifen und zischendes Abblasen von Dampf in allen Richtungen.

Auf meinem Tischchen lag mein Gedicht und die Flasche von gestern. Etwas beschämt wendete ich mich von beiden nach dem Bild lebendiger Arbeit, das draußen in der Sonne schimmerte. Wie die Wellen in der Schelde im frischen Morgenwind den Strom heraufjagten! Und mir war fast ebenso wohl. Es war trotz allem ein in jeder Beziehung famoses Getränke, dieses merkwürdige Ale, nur ein wenig zu stark. Es dichtet und bringt unentschlossene Menschen zur Vernunft, zwei Eigenschaften, die man selten in einer Flasche beisammen findet. Denn mein Entschluß stand fest. Ein kleines Schwanken ging mir nur noch zwei- oder dreimal durch den Sinn wie das Nachzittern einer großen, stürmischen Bewegung; aber es hatte keine Gefahr mehr, selbst wenn ich mich mit zusammengebissenen Zähnen für immer vom Liebsten hätte losreißen müssen, das ein junger Mensch auf dieser Erde besitzen – möchte. Mein letzter Tag auf dem alten Kontinent war angebrochen. Ich rief stürmisch nach Marie und meinem Kaffee.

Diesen letzten Tag aber wollte ich noch in vollen Zügen und nach deutscher Art genießen. Bis Marie mit ihrer flämischen Gewandtheit sich aufgeschwungen hatte, mit dem Kaffee zu erscheinen, durfte ich wohl nachsehen, was ich eigentlich gestern besungen hatte. Das sollte in Zukunft ja auch aufhören; das vor allem andern! Ich las:

Leb wohl, du sonnige Jugendzeit,
Ihr Berge und Burgen am Rheine!
Mir ist so wohl, mir ist so weit,
Leb wohl für immer, du Eine!

Es reimte sich zwar ganz hübsch; aber wer – wer ist die Eine?

Ihr habt mich umsponnen, doch nicht gebannt
Mit euerm lieblichen Scheine;
Leb wohl, mein schlummerndes Heimatland,
Leb wohl für immer, du Eine!

Das Gedicht war sehr viel länger; aber die folgenden – schätzungsweise – sieben Verse konnte kein sterbliches Auge mehr entziffern. Der Gott, wie die alten Griechen es nannten, hatte mir in einer Weise die Hand geführt, daß seine geheiligten Hieroglyphen mit menschlichen Schriftzügen nicht mehr verwechselt werden konnten. Auch schien mir, was irgend noch zu entziffern war, gestern unverhältnismäßig tiefer und wärmer gelautet zu haben. Etwas verdrießlich warf ich das Blatt unter den Tisch, hob es aber wieder auf, als sich im Fluge auf seiner Rückseite die Aachener Kesselschmiede zeigte, die ich nicht verlieren wollte. Es konnte nichts schaden, das alles mußte ja aufhören. Noch acht Stunden; dann, um vier Uhr, wird ein neues Leben angefangen.

Ich hatte in den letzten zwei Tagen nur Werkstätten und Werften der geschäftigen Seestadt Belgiens gesehen. Nun wollte ich zum Schluß das alte niederländische Antwerpen durchpilgern und mir's sechs Stunden lang in einem andern Jahrhundert wohl sein lassen. Es war ein Genuß, den ich heute nicht wiederzugeben vermöchte, selbst wenn ich den alten Baedeker von 1861 zu Hilfe nähme: die Kathedrale mit ihrem wundervollen Spitzenwerk aus Stein, die unsterblichen Niederländer im Museum, die alten Häuser aus der Zeit der Hansa und der ganze versteinerte Reichtum eines stolzen freien Bürgertums, das uns die Spanier halb zertreten haben und das wir selbst mitzertraten in unserem dreißigjährigen Ringen um eine Gewißheit, die noch heute niemand besitzt. Als ich im Halbdunkel einer der abgelegensten Kirchen der Stadt nach der Uhr sah, war es halb vier – höchste Zeit, mein deutsches Leben und Träumen abzuschließen.

Im Sturmschritt verirrte ich mich zweimal; im Galopp langte ich im »Schwarzen Anker« an. – Der »›Northern Whale‹, der Nordische Walfisch«, pfiff schon zum erstenmal, während ich in mein Zimmer trat, und spie Dampf und Wasser aus, als ob er es keinen Augenblick länger in der Schelde mehr aushalten könne. Mein kleiner Koffer wurde in wilder Eile gepackt. Marie und das ganze Haus arbeiteten an meiner noch kleineren Rechnung, die ich unter der niederen Gasthoftüre mit Zurücklassung mehrerer Franken bezahlte, da der Herr Oberkellner vergeblich das erforderliche Kleingeld in den Mansarden des Hotels suchte. »Wo bekommt man die Fahrkarten für den Dampfer?« fragte ich im letzten Augenblick, schon auf dem Weg nach dem Schiff. Marie, deren flämische Ruhe durch meine damals noch ungebändigte süddeutsche Hast aus der Fassung gebracht worden war, schrie laut, um mir dadurch ihre Muttersprache verständlicher zu machen, jedoch völlig ohne Erfolg. Ich glaubte, noch etwas von der nächsten Straßenecke zu hören, als der »Walfisch« zum zweitenmal einen heulenden Pfiff ausstieß. ›Es müßte doch des Kuckucks sein‹, dachte ich, ›wenn sie mein gutes Geld nicht auch an Bord nehmen wollten wie auf dem Bodensee!‹ »Adieu Marie! Meine Londoner Adresse liegt auf dem Tisch in Nummer fünf, wenn Briefe kommen sollten! Adieu, Schwabenland. Anders geht es jetzt nicht mehr. Adieu!«

Es waren allerdings nur ein paar Schritte; aber die mächtigen Räder des »Walfisches« drehten sich schon, schläfrig, ein wenig vorwärts, ein wenig rückwärts, wie wenn das Ungetüm am Erwachen wäre und sich gähnend besänne, was vorn und was hinten sei.

Ein jäher Schreck durchfuhr meine Glieder. Wenn es sich plötzlich aufmachte ohne mich. Ich war die steile Landungstreppe hinauf wie der Blitz, trotz Koffer, Reisetasche, Plaid und Schirm. Ein Matrose, der am oberen Ende stand, vermutlich der Kontrolleur der heraufkommenden Reisenden, erhielt von meinem Koffer einen unabsichtlichen schweren Stoß in die Magengegend und sah mir mit einem »Dam these Germans« ärgerlich nach. Es mußte ihm genügend deutlich geworden sein, daß ich mitfahren wolle. Und damit war ich auf englischem Boden und hatte den ersten englischen Gruß gehört.

Ich hätte mich nicht so sehr zu beeilen brauchen. Eine halbe Stunde später wurde die Verbindungsbrücke eingezogen, gerade, als auf dem ruhiger gewordenen Staden in feierlichem Zuge ein wuchtiger Engländer mit fünf flachsblonden Töchtern sich dem Schiffe näherte, ohne sich im geringsten zu überstürzen. Man schob die Landungsbrücke wieder hinaus. Die Töchter erstiegen das Deck. Der Vater schien sie sorgfältig zu zählen. Dann sprach er über fünf Minuten lang mit seinem Kommissionär, der ihn unter lebhaften Dankesbezeigungen die Treppe hinaufzukomplimentieren suchte. Wieder wurde sie zurückgezogen, denn auch die Matrosen fanden die Unterredung etwas zu lang. Ein fünfstimmiges »Papa! Papa!« ertönte vom Schiff. Der Engländer winkte. Die Treppe wurde ihm abermals zugeschoben. Er stellte sich jetzt auf das untere Ende derselben und setzte seine Unterhaltung mit dem Kommissionär fort. So hatte er den Dampfer in seiner Gewalt, ihn sozusagen verankert, zog seinen Murray – den englischen Baedeker – aus der Tasche, entfaltete einen Stadtplan und schien sich noch über den Namen einer Kirche aufklären zu lassen. Als auch dies bereinigt war, drehte er sich langsam um, kam feierlich die Treppe herauf und begrüßte den Kapitän, der ungeduldig an ihrem oberen Ende gestanden hatte, mit Händeschütteln und einem wohlwollenden »All right, Captain!«, als ob das völlig in Ordnung wäre. Zu eignem Gebrauch zitierte ich damals zum erstenmal Goethes inhaltsschwere Worte: »Dem Phlegma gehört die Welt.« Wie oft ich sie in den nächsten dreißig Jahren zitiert habe, weiß ich nicht. Es ist ein nützlicher Satz des großen alten Herrn für jeden kleinen Jungen, der in die weite Welt hinausstürmt, ohne zu wissen, wohin.

Mit dem Gefühl behaglicher Geborgenheit hatte ich jetzt Zeit, mich umzusehen. Zunächst, bescheiden, wie ich war, suchte ich nach der zweiten Kajüte, fand ihren Geruch nicht nach meinem Geschmack, verbarg aber trotzdem, wie ich es andre tun sah, meinen Koffer vorläufig in einer der schmalen Bettstellen, die, zwei Stockwerke hoch, entlang den Kajütenwänden liefen. Hierauf fragte ich ohne Erfolg nach dem Kassier. Daß ein Schiffskassier Purser heißt, wußte ich damals noch nicht. Auch ohne dieses Hindernis verstand man mein bestes, seit vier Jahren wohlabgelagertes Schulenglisch sichtlich höchst mangelhaft und ließ mich stehen. Dann lief ich natürlich nach den Maschinen und versuchte voll Wissensdrang in den Maschinenraum hinabzuklettern. Ein mürrisches Gebrüll aus der schwarzen Tiefe veranlaßte mich zu beschleunigtem Rückzug. Aber es war auch von oben ein erhebender Anblick: die mächtigen Kurbeln und Kurbelstangen, die blinkenden Lager, die kurzen, trutzigen Zylinder, die wuchtigen Gelenke der übrigens sehr unwissenschaftlichen Steuerung. Steuerungen waren von der Schule her mein Steckenpferd: je komplizierter, um so besser. Und als sich das alles zu regen anfing, die riesigen Massen lautlos hin und her schaukelten, das ganze mächtige Schiff zitternd zu leben begann und es draußen rauschte und sprudelte, da vergaß ich, daß jetzt der Augenblick gekommen war, in dem ich dem Lande meiner Väter, wer weiß auf wie lange, wer weiß ob für immer, den Rücken kehrte. In der geistigen Welt, die eine große Maschine umgibt, kann man, wie in jeder andern, versinken. Als ich wieder auftauchte, waren wir in der Mitte der Schelde und schwammen feierlich den großen Strom hinunter dem Meere zu.

Ich hatte keine Lust, Schiffsfreundschaften anzuknüpfen. Alles um mich her war so neu, so interessant, daß es mich völlig gefangennahm: der schimmernde, sonnige Strom, der frische Nordwest, der uns von der fernen See entgegenbläst; jetzt ein Dreimaster mit ausgespannten Segeln, der aus Westindien kommt und zierlich wie ein Schwan an uns vorübergleitet, ein Dampfer, schwärzer als der unsre, mit Kohlen aus Cardiff; kleine Schoner und Fischerboote, die wir hinter uns lassen, andre, die in gefährlicher Nähe an uns vorübersegeln. Dann die flachen grünen Ufer, hinter deren Dämmen die roten Hausdächer und Turmspitzen holländischer Städtchen kaum hervorragen. Auf den Dämmen erscheint hier und da eine Herde schwarzweißer Holländer Rinder, die neugierig nach unserm Dampfer sehen. Über all dem spannt sich der glänzende Himmel mit fliegenden Wölkchen, ein riesiger Dom in diesem flachen Lande voll eignen, sonnigen Lebens, das sich in seiner Frühlingsfreude regt und bewegt wie das plätschernde Wasser um uns her, und die stillvergnügte Erde hinter den Dämmen. Und da draußen muß es ja bald kommen, das große, ersehnte Meer, das ich heute zum erstenmal sehen soll. Drum bleibt es wahr: Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt!

Doch es wollte Abend werden. Ein purpurner Sonnenuntergang spiegelte sich in der gewaltigen Wasserfläche, deren Ufer rechts und links kaum mehr als dünne violette Streifen erschienen, die Himmel und Erde trennten. Ein Kellner, unempfänglich für das weltentrückende Bild und seine einsame Pracht, eine Schüssel Irish Stew in den Händen, benachrichtigte mich, daß das Abendessen in der Kajüte bereitstehe. Ich dankte ihm; ich zöge es vor, den wundervollen Abend zu genießen. Auch ein handlungsbeflissener Landsmann hatte mich entdeckt, der schon zweimal in England gewesen war und deshalb ein unwiderstehliches Bedürfnis empfand, seine Landsleute zu belehren. »Sagen Sie nicht Kellner; das nimmt der Mann übel«, mahnte er. »Die Kellner auf den Schiffen, selbst auf deutschen, heißen Stewards. Nicht, zu verwechseln mit der schottischen Königsfamilie, die längst verstorben ist. Man schreibt sie auch anders.« Ich wiederholte meine Erklärung, daß mich der Sonnenuntergang genügend sättige. Mein wackerer Lehrmeister zog mich jedoch gewaltsam nach der Kajütentreppe. »Genießen Sie etwas. Sie werden es wahrscheinlich heute nacht brauchen können«, sagte er mit einem vielsagenden, nicht harmlosen Lächeln. »Übrigens sagen Sie nicht ›Treppe‹.« Ich hatte überhaupt nichts gesagt und suchte dies festzustellen. »Sagen Sie nicht Treppe!« fuhr mein Mentor sehr entschieden fort. »Eine Schiffstreppe heißt Campanion. Wir blamieren uns sonst.«

In dem niederen, düsteren Raum standen auf einer langen Tafel, die mit einem nicht übermäßig reinen Tischtuch gedeckt war, zwei mächtige Keulen kalten Fleisches, würdige Vertreterinnen der unübertroffenen englischen Rinder- und Schafzucht, Brote, Salzbutter, Pickels, Senf, alles, was ein einfaches Herz begehren konnte, in reichlicher Menge. Jedermann griff zu, die meisten mit einer scheuen, unruhigen Hast, wie wenn es die höchste Zeit wäre. Ein Steward schenkte den Leuten in mächtigen Tassen Tee ein. »Trinken wir eine Flasche Ale!« rief mein Landsmann. »Das verlangt schon die Höflichkeit; diese Bretter sind englischer Boden! Rule Britannia!« Eine eigentümliche Bewegung des Schiffes unterbrach ihn. Die Hängelampen neigten sich höflich nach links zu mir herüber. Die Beefkeule machte eine kaum merkliche, gespenstische Bewegung auf ihrer Platte. Die Teelöffel zitterten hörbar, und der Tee in jeder Tasse kam nachdenklich an den Rand, besann sich eines Besseren, da er keine Lippen fand, und schien verstimmt sein altes Niveau aufzusuchen. Dann war alles wieder wie zuvor; nur statt des dumpfen Gemurmels der Gäste war eine plötzliche Stille eingetreten.

»Ich denke, wir sind draußen!« sagte endlich mein Landsmann erbleichend. »Nehmen Sie nicht noch einen Kognak? Brandy heißt man das an Bord.«

Das »Noch« machte einen eigentümlichen Eindruck. War es wirklich so schlimm – eine Art Abschied aus dem Diesseits? Nein, ich wollte keinen Brandy. Aber ich mußte sehen, wie es aussieht, wenn man »draußen« ist, und brauchte Luft. Die Atmosphäre in der Kajüte konnte jedes weitere Nachtessen ersetzen. Und jetzt machte alles um uns her eine zweite Bewegung, die Lampen, die Teetassen, selbst die Schafskeule; alles noch voller Höflichkeit, die nur das klappernde Umfallen eines Porzellanbeckens im dunkelsten Hintergrunde in unschicklicher Weise unterbrach.

»Ich denke, wir sind draußen«, sagten zwei weitere Herren gleichzeitig, wie auf einem guten Theater; »und eine glatte Überfahrt gibt's heute nicht«, fügte der eine kleinlaut hinzu.

»Ich habe immer das Glück«, jammerte ein vierter, ohne eine Spur von Fassung zu verraten, stand auf, kroch in die nächste Bettstelle, drückte den Kopf in die Kissen, die er verzweiflungsvoll über die Ohren stülpte, und zeigte der Gesellschaft rücksichtslos den breiten Rücken, über den von Zeit zu Zeit ein sichtbares Zucken lief – ein Bild von »Leides Ahnung«, die Schumann bekanntlich um jene Zeit so ergreifend in Musik gesetzt hat.

Ich hatte glücklich die Kajütentreppe erreicht, ehe die Lampen ihre nachgerade zudringlichen Höflichkeitsbezeigungen wiederholen konnten, und arbeitete mich am Geländer hinauf in die frische Luft. Das Klappern eines zweiten Porzellanbeckens tönte mir von unten nach, mahnend, drohend. Aber ich war oben. Ein scharfer Wind blies mir ins Gesicht. Die Sonne war untergegangen. Einsam und schwarz lag die weite Meeresfläche vor uns, besät mit weißen Flöckchen: den Wellenkämmen, die uns die dumpfbrausende Nacht rastlos entgegenjagte. An der Spitze des Schiffes tauchte das kurze Bugspriet auf und nieder, bald über die dunkle Horizontlinie sich in den lichteren Himmel hinaufbäumend, bald unter derselben in tiefem Dunkel versinkend. Manchmal hörte man von dort einen schweren, dumpfen Schlag, wenn das Schiff eine große Welle spaltete. Dann spritzte das Wasser über die Brüstung, weiß, in lustigem Aufbrausen, als ob drunten in dem schwarzen Gischte ein grober Triton seinen Witz mit uns treiben wollte. Zuweilen aber kam es auch ernsthafter, wenn der Kobold ein paar Tonnen soliden Wassers über das ächzende Geländer warf, die dann mit rasender Geschwindigkeit auf dem Deckboden hinjagten, so daß achtbare ältere Herren erster Klasse, die sich zu uns herübergewagt hatten, in unziemlichen Sprüngen Rettung suchten. Doch sah das Ganze eher ernstlich und feierlich als wild und gefährlich aus. Wir hätten keinen Sturm – weit entfernt! lachte ein deutscher Matrose, bei dem ich mich erkundigte. Nur eine steife Brise, die uns in die Zähne blies.

›So also zieht man in die Welt hinaus‹, dachte ich und klammerte mich an die Brüstung auf der weniger feuchten Seite des Schiffs. In Gottes Namen! Etwas bedenklich darf es den Würmchen doch wohl vorkommen, hoffe ich, die der Trockenheit bedürfen und fast hilflos in diesem Urweltselement herumplätschern. Aber bange machen gilt nicht. Es sieht schließlich nur so aus. Sind wir doch dazu da, die Erde zu beherrschen und die Meere zu zähmen, und tun es mit leidlichem Erfolg. Jeder in dem Schiffchen, in das ihn der Herr der Welt gesetzt hat. Bin ich nicht wie ein andrer Mann?

Und das herrliche Bild bekommen wir noch drein in den Kauf: die blauschwarze Nacht, die grauschwarze, weißgefleckte See mit ihrem gespenstischen Leben, das einförmige Brausen der Räder, die dumpfen Wasserschläge am Bug, das fühlbare Zittern, das durch den Riesenleib des Schiffes läuft in seinem rastlosen Kampf mit den Elementen. Es war herrlich; aber es dauerte nicht allzu lange. Auf und ab, auf und ab stieg und senkte sich das brave Schiff, emsig seinen Weg durch die entgegenstürzenden Wogen brechend, ohne sich aufzuregen; ohne zu stocken, gleichgültig für alles, was hinter uns lag; immer vorwärts! Auf und ab, auf und ab.

»Das nennt man auf deutsch stampfen«, meinte mein kaufmännischer Landsmann, der kreidebleich auf mich zukam, ein geisterhaftes Lächeln auf den verzerrten Zügen. Sein lehrhafter Ton war völlig verschwunden, der Menschheit ganzer Jammer hatte ihn sichtlich ergriffen, aber die Macht der Gewohnheit ließ ihn doch nicht versinken. »Jetzt fängt das Schiff auch an zu rollen. Wir bekommen voraussichtlich Seitenwind – Südwest, wenn wir noch etwas draußen sind. Rollen nennt man – « Er unterbrach sich selbst mit erschreckender Plötzlichkeit. »Ich – ich – nehme noch einen Kognak – gehen Sie mit?«

Die Einladung erstarb auf dem Weg. Eine heftige Bewegung des Bootes warf ihn in der gewünschten Richtung nach der Kajütentreppe und polternd, mit etwas Seewasser, die Treppe hinunter. Ich sah ihn nicht wieder.

›So, dies nennt man rollen, ‹ dachte ich noch mit dem Rest von Vergnügen, dessen ich noch fähig war. Es war nicht viel. Auch ich begann die Macht des großen Ozeans zu fühlen, der, man kann die Bemerkung kaum unterdrücken, sich in dieser Hinsicht gegen uns etwas kleinlich benimmt. Liegend soll der Widerstand länger möglich sein, hatte ich wiederholt gelesen, und auch der Tapferste kann mit Ehren der Übermacht weichen. Die nächste Sturzwelle schwemmte auch mich in die Kajüte hinunter.

Vier Hängelampen, wild hin und her schaukelnd, erhellten mit trübem Licht den Tartarus. Stöhnen, Schluchzen, manchmal ein Schrei nach dem Steward von Unglücklichen, die in großer Eile zu sein schienen, geheimnisvolles Porzellangeklapper, Laute, wie sie sonst auf der Erde nicht gehört werden, kamen aus dem dunstigen, säuerlichen Halbdunkel. Dann wohl auch ein kurzes Aufseufzen der Erleichterung – ach, wie kurz – und gleich darauf röchelnde Versuche, Unmögliches zu leisten. Manchmal entrang sich wohl auch ein allgemein verständliches: »O Gott! o Gott!« einer gepreßten Seele oder ein zorniges: »Sind Sie doch endlich still da droben! Ich will schlafen!« und dann die Antwort: »Sie haben gut schimpfen mit ihrem Rhinozerosmagen!«, und die Fortsetzung ein unartikulierter sachlicher Protest.

Mit der letzten Anstrengung meiner Kräfte war es mir gelungen, in meine Koje zu kriechen und mein Handgepäck hinauszuwerfen. Dieses fiel zermalmend einem dicken Herrn auf den Rücken, der zum Glück nicht mehr fähig war, sich zu wehren. Dann drückte ich den Kopf in die hinterste, finsterste Ecke meines Lagers, hielt mich krampfhaft an einem rätselhaften eisernen Ring, der aus der Schiffswand bequem in mein Bett hineinragte, und stemmte die Knie gegen die Kajütendecke, so daß ich, nach allen Seiten wohl versteift, das Auf und Ab, Auf und Ab des wackeren Schiff es halb besinnungslos mitmachen konnte. So konnte man das Weltende, oder was sonst noch kommen mochte, mit einiger Zuversicht erwarten.

Später fühlte ich, daß jemand murrend an mir herumzerrte. Ich widerstand ohne Zorn, halb im Glauben, daß es nur eine neue Art von Schiffsbewegung sei, die mich zu ergreifen versuchte. Dabei schien das Schiff wirklich zu schimpfen, buchstäblich zu schimpfen, und noch dazu auf englisch. Ich verstand einiges. »These blessed Dutchmen!« begrüßte es mich; es sei eine Schande, mit den Stiefeln in einem so feinen Bett zu liegen! Dann machte es ungeschickte Versuche, mir die Stiefel auszuziehen. Es ging nicht. Das hatte ich mir wohl gedacht. Konnte es mich nicht in Ruh lassen – immer noch nicht? Es fragte verdrießlich nach meiner Fahrkarte und suchte, meine Unfähigkeit begreifend, in meinen Westentaschen. Ich ließ es machen. ›Es wird schon nichts finden‹, dachte ich. Und so war es auch. Endlich entfernte es sich murrend, dumpf rauschend. Vielleicht war es doch nicht das Schiff gewesen. Das ging wieder auf und ab, auf und ab, als ob es nie etwas andres getan hätte und so fortmachen wollte – auf und ab, auf und ab – in alle Ewigkeit.

Als ich zur Besinnung kam, dämmerte eine neblige, fröstelnde Helle um mich her. Die vier Lampen hingen schein- und regungslos von der Decke. Ein freudiger Schreck fuhr durch mein zermalmtes Inneres. Ist es möglich? Haben wir – haben einige von uns diese Nacht überlebt?

Ruhig und gemessen rauschten draußen die Räder des Dampfers. Hier innen herrschte tiefe, feierliche Stille. Alles schlief. Ein friedlicher Morgen drückte seine segnende Hand auf die Schrecken der Finsternis, die hinter uns lag. Die übriggebliebenen Menschenreste schlummerten glücklich einem neuen Leben entgegen. Wir waren in der Themse. Die Stewards räumten ab und deckten die Tische für das Frühstück. Einen von außen Kommenden hätte allerdings die Atmosphäre hierzu kaum eingeladen. Wir waren zum Glück daran gewöhnt; sie war sozusagen unser Eigentum; und eine unendliche Leere erfüllte Herz und Magen. Stillvergnügt, mit halbgeschlossenen Augen sah ich die Rindskeule von gestern und den kalten Hammelbraten aufmarschieren und die lange Reihe der Teetassen ihre Löffelchen präsentieren. Schon damals sah man es ihnen an, daß der Obersteward ein Preuße war: alles hübsch in Reih und Glied. Dann sprang ich aus dem obersten Stockwerk, in dem ich gehaust hatte, und nahm beinahe den Kopf meines Untermannes mit, der sich eben erkundigen wollte, ob er denn auch noch lebe.

In der Erwartung baldiger Trinkgelder fragten die Stewards aufmunternd nach unserm Befinden und brachten den schwächeren Leidensbrüdern die dampfenden Teetassen nach den Betten. Es war ein köstliches Getränke unter obwaltenden Umständen. Alles lächelte, jeder suchte damit anzudeuten, daß die andern sich doch noch weit erbärmlicher aufgeführt hätten und sich heute in guter Gesellschaft kaum sehen lassen könnten. Doch schien es ein stillschweigendes Übereinkommen, gesprächsweise auf Einzelheiten nicht einzugehen. Nachdem man sich in dieser Art auch moralisch rehabilitiert hatte, ging es eilig aufs Deck.

Das war also England, der Hort der Freiheit, der Kern der größten Weltmacht unsrer Zeit, das Ideal der jungen Maschinentechniker aller Welt. Es war ein herrlicher Morgen nach englischen Begriffen, wie ich sie später kennenlernte. Es schneite nicht, es regnete nicht, und man sah nichts. Grau in grau lag Wasser und Land vor uns: stahlgrau, silbergrau, blau-, grün- und braungrau, alles merkwürdig fern und groß und wunderbar zart, das gespenstische Bild einer kaum irdischen Welt, über der eine verschwommene rundliche Lichtquelle zu schweben schien, an der Stelle, wo in andern Ländern zu dieser Tages- und Jahreszeit die Sonne steht.

Glatt und munter schwammen wir mit der steigenden Flut den Strom hinauf. Dampfer plätscherten in weiter Ferne, ehe sie aus dem Nebel heraustraten und, selbst Nebelbilder, an uns vorüberglitten. Himmelhohe Segelschiffe, alle Segel ausgespannt, traten plötzlich still und feierlich wie Gespenster aus dem Silbergrau heraus, schwebten lautlos vorüber und waren verschwunden, ehe man sich zweimal umsah. Am Ufer zeigten sich jetzt nackte Masten wie entnadelte Tannenwälder, formlose Wesen mit Sparren und Stangen nach allen Richtungen. Dann hörte man ein leises dumpfes Brausen, das langsam anschwoll und alles in geheimnisvoller Weise durchdrang, selbst das laute Rauschen unsrer Räder; dazwischen manchmal einen scharfen Knall, einen Pfiff, ein lautes Gepolter, weitschallende Rufe von Schiffern aus unsichtbaren Fischerbooten. Alles kühl und feucht und fröstelnd. Bald aber kamen deutlichere Umrisse von Häusern, riesige, schwerfällige Vierecke, himmelhohe Schornsteine. Das Brausen wurde lauter und schwoll zum dumpfen, unablässigen Brüllen der erwachenden Millionenstadt. Jetzt zeigte sich eine bekannte Form über den zackigen Umrissen unzähliger Schornsteine wie ein alter guter Freund: der Tower mit seinen vier Ecktürmchen. Den kannte und liebte ich ja schon seit meinem sechsten Jahre, in einem übel zerrissenen Orbis pictus. Und gleich darauf sperrte uns in dem immer glänzender werdenden Nebel eine gewaltige Geisterbrücke den Weg, welche die glasartig spiegelnde Wasserfläche begrenzte: London-Bridge.

Unser Dampfer macht jetzt unruhige, stockende Bewegungen. Mächtige Schiffe wimmeln um uns her, durch die er sich durcharbeiten muß. Scharfe Kommandoworte, Pfeifen und Schreien scheint hierzu nötig zu sein. Alles drängt sich aufs Deck: Koffer und Mantelsäcke, Kinder und Frauen. Der Kampf ums Dasein erwacht rücksichtslos unter Menschen und Dingen. Ein halbes Dutzend Matrosen drängt sich nach dem einen Radkasten durch. Sie schieben die Landungsbrücke zurecht. Das dröhnende Brausen der Riesenstadt lastet betäubend auf den Ohren. Erdrückende, wirre Häusermassen hängen über uns herein, feindlich, drohend. Jetzt heult unsre Dampfpfeife ein ohrzerreißendes Geheul. Jemand, der halb verrückt sein muß, läutet auf einem benachbarten Schiff eine Glocke, als wolle er den jüngsten Tag einläuten. Unsre Maschine hält still. Zischend und speiend fährt der überschüssige Dampf durch das Rohr am Schornstein, das zitternd wie eine Orgelpfeife im tiefsten Baß in den Lärm einstimmt. Die Landungsbrücke fällt ans Ufer. Wie Schafe, die den Kopf verloren, drängt sich alles zwischen die Geländer des engen Stegs. Wehe dem Regenschirm, der quer zwischen die aufgeregten Beine der sich bildenden Seeschlange aus Menschenleibern gerät.

Ich selbst stak mitten in dem sich langsam durchtrichternden Knäuel und riß an meinem Koffer, der zwischen den Knien eines Herrn stak, der hinter mir drei Kinder zusammenzuhalten suchte. So ging's über die Brücke. »Aber um Himmels willen, wo bezahlt man denn?« rief ich in wirklicher Seelennot. »Ich habe ja noch nicht bezahlt!« Die Leute starrten mich an, große Fragezeichen in den Gesichtern. Zum Glück verstand mich niemand. Ich spürte jetzt festen Boden unter den Füßen. Alles rannte durch die finsteren Gebäude und schwarzen Höfe der Katharinendocks in die Lower-Thames-Straße hinaus, nach Fiakern schreiend, nach Gepäckträgern, nach Gepäck, nach Weib und Kind. Einen Augenblick lang lag mein Koffer auf einem Tisch, der das Zollamt vorstellte; ich suchte nach meinen Schlüsseln. Im nächsten hatte ihn ein Mann ergriffen, auf die Schultern geschleudert und rannte davon. Ich sah, schon ziemlich in der Ferne, das teure, wohlbekannte gelbe Leder über den Köpfen der Menge manchmal auftauchen. Das ging denn doch über den Spaß: mein ganzes Hab und Gut! Ich rannte ihm nach; natürlich.

Draußen im Getümmel einer engen, düsteren Straße, in der das Fuhrwerk ineinandergriff wie die Zähne eines Uhrwerks, stand mein Mann neben einem Handsome, auf dessen Dach sich bereits mein Koffer befand, als ob er dort zu Hause wäre. Es blieb keine Zeit, mich zu besinnen. Das Maul eines Pferdes stieß mir an den Hinterkopf. Der Mann streckte mir eine riesige Hand entgegen. Ich legte einen Franken hinein in der bangen Erwartung einer schwer durchzuführenden Diskussion über die fremde Münze und von etwas Kleingeld englischen Gepräges. Aber ich wurde angenehm enttäuscht. Mit einem gutmütigen Nicken, halb Herablassung, halb Zufriedenheit andeutend, war der Mann verschwunden, ohne seine Ruhe, ohne eine Sekunde seiner Zeit zu verlieren. Einige Augenblicke später sah ich ihn noch einmal unter einer riesigen schwarzen Kiste, von zwei Damen verfolgt, die laut schreiend ihre Regenschirme in der Luft schwangen.

Staunend nahm ich in dem ersten Handsome Platz, das ich in meinem Leben sah. Eine wunderbare Maschine, deren sinnige Konstruktion mir erst nach Wochen ganz einleuchtete. Durch ein Loch in der Decke schien mein Kutscher herunterzuschreien, wo ich hin wolle. Kaum hatte ich Zeit, in meinem besten Gymnasialenglisch »Middleton Square, Islington« zu rufen, als der Deckel, mit dem das Loch geschlossen werden kann, wieder zuflog und sich mein Pferd, scheinbar führerlos – denn der Führer sitzt hinter mir, in einem Kistchen auf dem Dach des Fahrzeugs –, ruhig trabend in dem reißenden Strom von Karren und Wagen, Pferden und Menschen verlor. Seitdem die Landungsbrücke des Dampfers ausgeworfen worden war, konnten kaum fünf Minuten vergangen sein. Welcher Reichtum an Erlebnissen und Eindrücken in dieser Spanne Zeit; welches Volk mit seinem »Zeit ist Geld«! Die Straßen wurden etwas freier, das Getümmel etwas weniger betäubend. Ich war in England, mitten im Lande, dem Norden zutreibend, als verstehe sich all das ganz von selbst.

Aber – gütiger Himmel! Ich wollte ja meine Überfahrt erst bezahlen! »Cabman – Cabman! Kutscher! Fiaker!« – Ich stieß den Deckel in meinem Dach wieder auf und begann zu explizieren. Der Mann schüttelte seine ziegelrote Nase herein – das einzige, was ich von ihm sehen konnte, und fuhr ruhig weiter nach Norden, immer nach Norden, endlose Straßen hinter sich lassend, die nach und nach immer stiller wurden. Es war gut, daß ich einen Kompaß bei mir hatte. Jetzt bogen wir um die dreißigste Ecke, ungefähr. Anfänglich hatte ich im Gewirr der unteren City die Ecken gezählt, aber auch diesen schwarzen Faden bald verloren. Eine grüne, viereckige Oase öffnete sich jetzt vor uns, mit einer kleinen gotischen Kirche in der Mitte, ernst, still, vielleicht etwas pedantisch, ein klein wenig langweilig dreinsehend, aber sauber und sonnig, umgeben von vier Mauern, Häuser vorstellend, die sich glichen wie ein Ei dem andern. Jedes hatte das gleiche eiserne Gitter, das es vom Square trennte, die gleiche blanke Sandsteintreppe, den gleichen glänzenden Klopfring an der braunpolierten Haustüre. Es tat dem Auge ordentlich weh, daß nicht auch die metallenen Hausnummern die gleichen waren. Der Cabman sprang von seinem luftigen Sitz herunter und schlug drei donnernde Schläge gegen ein sorgfältig verschlossenes Tor. Keine fünf Sekunden vergingen, ehe ein liebliches blondes Wesen mit einem wahren Engelskopf und einem kleinen flachen Spitzenteller darauf vorsichtig öffnete und mich mit einem ermutigenden Lächeln begrüßte. Sie sah sofort, daß dies besser war, als mich in ein englisches Zwiegespräch zu verwickeln, nahm meinen Koffer, bezahlte den Cabman, der etwas brummte, denn er hätte sich lieber mit mir direkt verständigt, schob mich durch die Haustüre, klappte sie scharf zu und legte eine Kette davor.

»Missis Bitters Boardinghouse?« sagte ich endlich mit einem Fragezeichen. Es ging mir doch fast etwas zu sehr wie meinem Koffer in den Katharinendocks.

»Yes, Sir!« sagte der Engel mit dem Spitzenteller.

Missis Bitters Adresse hatte mir mein Schwager gegeben, der vor zehn Jahren in diesem Hause gewohnt hatte, um die kirchlichen Verhältnisse Englands zu studieren. Er hatte seiner alten verehrten Freundin gleichzeitig geschrieben, daß ich möglicherweise eines Tages eintreffen werde. Sie selbst stand jetzt unter der Salontüre, den Fremdling freudig, wenn auch etwas gemessen begrüßend: eine würdige, muntere fünfzigjährige Dame, wie mir schien. Sie war zweiundsiebzig, und ich war vorläufig geborgen.

Ein unbeschreiblich stiller Sonntag brachte meine erregten Nerven zur Ruhe, wenigstens äußerlich. Im Innern brauste noch immer die See, die Häuser im Square schwankten ein wenig, wenn ich sie scharf ansah, und ein nagender Gedanke wollte sich nicht verscheuchen lassen. Ich hatte meine Überfahrt noch immer nicht bezahlt! Die Entfernung des stillen Middleton-Square vom Meer, vom »Nordischen Walfisch«, von dem tollen Treiben an der Themse schien mit jeder Stunde um hundert Meilen zu wachsen und damit die Möglichkeit, mein schuldbeladenes Gewissen von seinem Alb zu befreien. Wenn es mir nun recht schlecht ginge in diesem unbegreiflichen Land, mußte ich nicht fortwährend denken: ›Geschieht dir ganz recht! Ein Mensch, der nicht einmal seine Überfahrt bezahlt hat!' Vielleicht war ich wie Missis Bitter jünger, als ich aussah, denn ich konnte das kindliche Gefühl nicht loswerden. Nachmittags ging ich sechs- bis achtmal um die gotische Kirche herum spazieren und besah mir die vier Spitzen des gotischen Turmes von allen Seiten. Das englische Glockengeläute, ein regelmäßiges Anschlagen von drei glockenhellen Tönen – Prim, Quint, Terz, Prim, Quint, Terz –, das dreißig Minuten lang fortdauert und dann wieder von neuem beginnt, kann den hartgesottensten Sünder mürbe machen. Es wurde gegen Abend auch mit mir schlimmer. Ich schüttete endlich der mütterlichen Freundin meines Schwagers das ganze Herz aus; sie schien sofort bereit, auch mir Mutter zu werden, und richtete mich mit heiteren Trostesworten auf, soweit ich sie verstand. Das sei ganz einfach! Ich könne ja morgen meinen ersten Ausflug nach der Unteren Themsestraße machen, das Bureau der Antwerpener Dampfer aufsuchen und alles regeln. So konnte ich mein englisches Leben wenigstens als ehrlicher Mensch beginnen. Ich schlief meine erste Nacht auf englischem Boden, in einem Riesenbett, getröstet, wie ein Sack.

Als wackerer junger Deutscher kaufte ich mir am frühen Morgen einen Stadtplan und machte mich zu Fuß auf den Weg nach den Katharinendocks. Solange ich niemand zu fragen brauchte, ging alles vortrefflich. Die end- und zahllosen Straßen wurden wieder enger, der Lärm lauter, das Gedränge dichter. Gegen zehn Uhr erreichte ich den Platz vor der »Bank«. Hier, wenn irgendwo, ist der Mittelpunkt der Welt dieses Jahrhunderts. Man spürt es ordentlich. Staunend, halb betäubt betrachtete ich das wirre Bild: ein Kaleidoskop, von einer Riesenmaschine gedreht, mit rennenden Menschen aus allen Weltteilen statt der übereinander stürzenden farbigen Steinchen. Und jeder schien genau zu wissen, was er wollte, und rücksichtslos drauf loszugehen. Aber auch ich durfte mich nicht aufhalten. Es waren wohl genug Taschendiebe und sicher auch andre Spitzbuben in diesem Gedränge. Ich mußte mich beeilen, wieder ein ehrlicher Mensch zu werden. Der Weg dazu ging durch Cornhill nach Osten.

Ohne es zu ahnen, ging ich dort an einem Haus vorüber, in dem ich später zwanzig Jahre lang den größeren Teil meiner Arbeit und ein Stückchen meines Glücks finden sollte. Wer wohl die blinden Passagiere alle führt, die in diesem Millionengewimmel umherirren? Auch keine kleine Arbeit, das!

Jetzt wurde das Gedränge schmutziger. Der Themsenebel hing hier noch in den Straßen, und die riesigen Warenhäuser mit ihren Schätzen aus Ceylon und Kuba, aus Hongkong und Callao neigten sich schwarz und schwermütig gegeneinander. Düstere Geldprotzen, die still brütend der Welt Arbeit geben und Bewegung. ›Wer weiß, vielleicht auch mir‹, dachte ich und sah sie etwas scheu an. Sie gefielen mir nur halb.

Nun war's mit dem Stadtplan zu Ende. Dort gähnte mir das schwarze Loch entgegen, durch das ich gestern meinen Einzug in England gehalten hatte. Ich mußte fragen. Ein hastig vorbeirennender Handlungsgehilfe hatte keine Zeit zu antworten. Ein vierschrötiger, gutartiger Packträger rief zwei andre herbei. Zu dritt berieten sie, in welcher Sprache ich mit ihnen zu verkehren suche. Und es war mein bestes Gymnasialenglisch, »made in Germany«, eine allerdings damals noch nicht übliche Bezeichnung! Die Verhältnisse wurden mehr und mehr hoffnungslos, bis uns ein deutscher Indigoagent mit einem riesigen Notizbuch und prächtig blauen Fingern aus einem Kellerloch heraus zu Hilfe kam. Es ergab sich, daß ich nur drei Häuser von dem Bureau entfernt war, das ich suchte: dort, gegenüber der Trinkstube mit der roten Laterne über der Türe.

Das schwarzbraune Haus, dessen blauschwarze Fenster nie einen Lichtstrahl aufgefangen zu haben schienen, war ein Labyrinth von Gängen und engen Treppen. Überall brannte Gas; es wäre sonst nicht bewohnbar gewesen. Zahllose Türen und Türchen gingen auf die Gänge und waren in alle Winkel eingebaut. Auf jeder stand auf Milchglas, in schwarzen, schmucklosen Buchstaben der Name einer Firma, einer Gesellschaft, eines Unternehmens in fernen Ländern – Nevada, Singapore, Neufundland, Mexiko, Sidney, Kairo, Valparaiso – alles, was die glühende Sonne beschien, schien in dem schwarzen Loch zu hausen. In einer Ecke des ersten Stocks fand ich meine Antwerpener Freunde. Es war mir, als fände ich alte, liebe Bekannte. Ich trat ohne weiteres ein, da die Türe fortwährend auf und zu ging.

Eine mit Schaltern versehene Glaswand trennte einen langen schmalen Streifen des niederen Saales ab und schied die Besucher von den Beamten, die hinter den Glasscheiben hausten. Aus dem ersten offenen Schiebfenster winkte mir jemand. Was ich wolle? Ich begann zu erklären. Nach ein paar Worten, die ich mutig und erfolgreich zusammengestellt hatte, unterbrach er mich. »Sie brauchen den Kassier! Dritter Schalter rechts!« Wie der Mensch das wissen konnte? Ich war ja noch gar nicht so weit in meiner Erklärung. Aber er war fertig mit mir und sprach schon mit meinem Hintermann in jenen fürchterlichen endlosen Worten, die mir in diesen ersten Tagen so viel Sorge machten und von denen jedes, wie sich später herausstellte, einen ganzen Satz bedeutete. Wie soll man aber wissen, wo ein Wort aufhört und das nächste anfängt, wenn man sie nicht gedruckt sieht?

Ich übersetzte bereits am dritten Schalter rechts mit Anspannung aller Geisteskräfte und möchte gern für den Gebrauch späterer blinder Passagiere das Gespräch mit dem alten Kassier, der mich mit verwirrender Aufmerksamkeit anstarrte, wörtlich wiedergeben. Allein ich fühle mich, angesichts einer großen literarischen Schwierigkeit, fast ratlos. Meinen deutschen Bericht mit englischen Bruchstücken – und was für Bruchstücken! – zu schmücken, ist geschmacklos. Auch würden sie auf den deutschen Leser nicht entfernt den Eindruck machen, der das mürrische Gesicht des Kassiers nach und nach erheiterte. Am nächsten komme ich wohl meinem Ziele, wenn ich unser beiderseitiges Englisch möglichst wörtlich und wahrheitsgetreu in mein geliebtes Deutsch übertrage.

»Ich komme«, begann ich, »ich tue kommen, bezahlen wollend ein Billett Antwerpen-London, dasselbige nicht bezahlt habend für das Überfahrt am Samstag.« Dies schien mir ziemlich gut, namentlich hatte ich das Gefühl, gewisse charakteristische Sprachfeinheiten mit großem Erfolg angebracht zu haben.

»Was wünschen Sie?« fragte der Kassier brüsk, wie wenn er keine Zeit hätte, Sprachfeinheiten zu würdigen.

»Ich tue wünschen, bezahlt zu haben ein Billett Antwerpen-London, dasselbige nicht habend gekauft zu rechter Zeit und dennoch mich befindend in England, unbezahlt. Samstag – ›Nordischer Walfisch‹ – «, fügte ich noch erklärend bei, ohne weitere Satzbildungen zu versuchen.

Dies war doch, sollte ich meinen, deutlich. Aber anstatt mich zu verstehen, fing der alte Herr an, die Geduld zu verlieren. Wahrscheinlich war er kein Engländer.

»Antwerpen-London – Billett bezahlen!« rief ich meinerseits laut und etwas ärgerlich. Es war unangenehm, wenn man sein möglichstes tat, als ehrlicher Mensch zu handeln, auf solch erschwerende Hindernisse zu stoßen.

»Aha,« rief der Kassier jetzt erfreut. »Welche Klasse?«

»Zweite Klasse!« antwortete ich, ebenfalls zur Versöhnung die Hand bietend.

»Sechzehn Schilling sechs Pence!« sagte er in geschäftsmäßigem Singsang, stempelte mit einem Knall ein Billett und warf es durch den Schalter. In großgedruckten Lettern stand auf dem Papierstreifen: London nach Antwerpen. Zweite Klasse.

»Nein, nein, nein!« rief ich entsetzt. »Ich wollen nicht London nach Antwerpen, ich wollen bezahlen Antwerpen nach London. Ich wollen nur bezahlen, ich wollen nicht reisen; habend schon gereist vom Kontinent nach England. Bezahlen! Antwerpen nach London. Verstehen Sie?«

»Aber der Kuckuck, Sie sind ja in London!« Er sah mich besorgt an. Es ging ihm ein Licht auf; mit mir war es offenbar nicht ganz richtig.

»Das der Fehler, mein Herr«, sagte ich, mich innerlich zur Ruhe ermahnend. »Ich in London, habend nichts bezahlt am andern Ende, und wünschen zu bezahlen Passage, Überfahrt. Verstehen Sie? Antwerpen-London!«

Er streckte jetzt den Kopf aus dem Schalter, um mich deutlicher zu sehen. Solche Leute waren ihm noch nie vorgekommen. Er hatte sichtlich begriffen und wurde freundlich.

»Nanu!« sagte ich fast schmeichelnd, indem ich einundzwanzig Franken auf das Zahlbrett legte.

»Ja, lieber Freund«, sagte er nach einer langen Pause, in der er mich vollständig eingesogen hatte, langsam und sichtlich bemüht, verstanden zu werden. »Wir verkaufen hier keine Billette für die Fahrt von Antwerpen nach London. Da müssen Sie wieder nach Antwerpen fahren, und ich glaube, es wäre für Sie das beste. Oder wenn Sie mit dem Kapitän des Schiffes sprechen wollten; vielleicht nimmt der Ihr Geld. Hier können wir's nicht brauchen.«

»Aber der Teufel! Wo finde ich den Kapitän in dieser großen Stadt?« rief ich erregt.

»Sie brauchen nicht zu fluchen, wackerer junger Mann,« antwortete der Kassier, sanft den Kopf schüttelnd; »Sie sind eine Merkwürdigkeit. Wenn ich Zeit hätte, würde ich Ihnen suchen helfen. Jack, wo ist Kapitän Brown?«

»Er sitzt drüben im ›Goldenen Drachen‹!« piepste eine dünne Jungenstimme aus einer Ecke des Bureaus.

»Haben Sie's gehört? Haben Sie verstanden? Drüben über der Straße! Unmittelbar über der Straße! Im ›Goldenen Drachen‹. Brown wird Ihr Geld schon nehmen, wenn Sie ihm zusprechen. Adieu!«

Ich dankte dem braven Herrn in unartikulierten Lauten und fand mich erfolgreich über die Straße in die düstere Schenkstube des »Goldenen Drachens«. Ein langer Schenktisch trennte auch sie in zwei Hälften. Auf der einen Seite, deren Hintergrund, halb Keller, halb Apotheke, mit einem phantastischen Aufbau von Fässern und Flaschen geziert war, befanden sich sechs elegant gekleidete Damen mit großartigen Chignons, die sich bemühten, vierundzwanzig weniger elegante Gäste auf der andern Seite feucht zu erhalten. Auch hier brannte Gas. Alles stand, alles schwatzte, lachte und trank; schwarze, braune und goldgelbe Biere, wunderliche Weine, heiße und kalte gebrannte Wasser aller Art, aus denen die Damen mit großer Behendigkeit dampfende Gemische brauten. Und alles war für mich neu, fremd, unheimlich. Hier galt es nun, Kapitän Brown zu finden, dessen Bild, wenn ich es je aufgefaßt hatte, mir in den Tiefen der Seekrankheit völlig entschwunden war. Ich beobachtete eine Zeitlang meine Umgebung und entdeckte nichts Ermutigendes; rote Nasen, triefende Augen, scheinbar halb betrunkene Matrosen, ein paar ältere Damen von zweifelhafter sozialer Stellung; aber auch einige anständig aussehende Herren, die hereinhuschten, rasch und stumm ein Glas leerten und wieder in den Mittagsnebel hinausstürzten. Meine Beobachtungen führten zu keinem Ergebnis. Es mußte etwas geschehen. Ich stellte mich an den Schenktisch, sah mich um, wie wenn ich die ganze Gesellschaft freihalten wollte, und rief laut: »Kapitän Brown! Kapitän Brown!«

Mein Nachbar, ein kleiner dicker Mann mit Riesenknöpfen an seiner Jacke, die aus dem Fell eines unbekannten wilden Tieres gemacht zu sein schien, drehte sich langsam um.

»Ich bin Kapitän Brown. Was wollen Sie von mir?«

Viktoria! Aber jetzt galt es wieder, sprachlich zu glänzen. Die ganze Schenke lauschte gespannt.

»Ich bezahlen wollen Billett Antwerpen-London; sechzehn Schilling sechs Pence!« begann ich entschlossen. »Zweite Klasse. Verstehen Sie?«

»Ich bin nicht der Purser!« sagte der kleine Mann mit düster werdender Miene. »Da müssen Sie ins Bureau hinauf. Dort sitzt das Federvolk. Der dritte Schalter rechts! Fragen Sie nach Mister Whitley.«

»Aber ich tue kommen von Mister Whitley,« erklärte ich. »Ich tue wünschen sprechen mit Sie, Kapitän Brown, nicht habend bezahlt meine Passage.«

Nach einer Viertelstunde harter Arbeit, an der sich der größte Teil der Gesellschaft beteiligte, verstanden wir uns; aber der Schweiß stand mir auf der Stirn.

»Well,« sagte der Kapitän, »Sie sind eine Kuriosität. Wenn Sie mit Gewalt wollen: her mit dem Geld! Man muß die Ehrlichkeit bei diesen Ausländern ermutigen.«

Er steckte meine einundzwanzig Franken mit wohlwollendem Lachen und unbesehen in die offene Tasche und schüttelte mir die Hand. »Was wollen Sie nehmen? Ein Glas Ale? Einen Sherry? Hallo, Jungen!« – Der Kapitän schien plötzlich von Freunden umringt zu sein. – »Was wollt ihr nehmen? Brandy? Whisky? Ale, Porter, Stout? Jeder nach Belieben: ich bezahle. Wir trinken auf die Gesundheit dieses Gentleman, meines Freundes, Mister Dingsda. Wie heißen Sie?«

Sie begrüßten mich alle freudig. Der Kapitän erzählte sechsmal hintereinander – eine prächtige sprachliche Übung mit kostenlosen Repetitionen für mich –, wie er seinen neuen Freund gewonnen habe. Sie begrüßten mich aufs neue mit allen Zeichen wohlwollender Herablassung und erzählten sich untereinander, wie Kapitän Brown zu seinem neuen Freund gekommen war. Die feinste der Damen hinter dem Schenktisch wechselte das Zwanzigfrankenstück in ehrliches englisches Geld um. Wer beim ersten Umtrunk Bier genommen hatte, nahm beim zweiten Glas Whisky und umgekehrt. Ich selbst wollte heute nicht schon wieder und so früh am Tag Ale trinken. Es war mir von Antwerpen her noch zu wohl in Erinnerung. Ich wählte Sherry. Es war jedenfalls ein nationales Getränk der Engländer, und die kleinen Weingläschen, die hier üblich sind, ließen ein Experiment leichter ausführen und gefahrloser erscheinen. Der Kapitän zahlte alles aus der Tasche, in der sich mein Überfahrtsgeld befand. Er duldete keine Einrede.

»Also nochmals und zum Schluß, meine Herren,« rief er, »auf die Gesundheit dieses Gentleman. Ein ehrlicher, rarer Dutchman, oder was er sonst sein mag! Hipp hipp hurra!«

Sie wollten mir offenbar alle Ehre antun. Wir tranken, wir schüttelten uns die Hände; es wurde fast eine Völkerverbrüderung daraus; selbst ein Chinese beteiligte sich schmunzelnd. Warum sollte ich mich sträuben? Sie meinten es sichtlich alle herzlich gut. Mein Sherry hatte eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Ale, das mir noch von Antwerpen her in freundlicher Erinnerung lag. Es war nicht ganz dasselbe, aber merkwürdig ähnlich.

Dann trennten wir uns. Der Kapitän begleitete mich bis unter die Türe und versicherte mich wiederholt seiner unbegrenzten Hochachtung. Ich hatte in dieser Stunde einen Freund fürs Leben gewonnen, was ich erst zwölf Jahre später an der Küste von Peru erfahren sollte.

Vergnügt steuerte ich wieder dem stillen Middleton-Square zu. Meine erste englische Expedition war glänzend gelungen und erfüllte mich mit freudiger Hoffnung für die Zukunft. Auch hatte ich jetzt einen Lebensplan für die nächsten Wochen festgelegt. Ich wollte ruhig in der grünen Oase sitzenbleiben und zunächst mein Englisch etwas mehr den Verhältnissen anpassen, die mich hier umgaben. Drei Wochen konnten hierbei nicht wohl nutzlos vergeudet werden. Dann aber hinaus, in bitterem Ernst!

Als ich in mein Zimmer trat, fand ich einen soeben angekommenen Brief auf dem Tisch. Von Belgien. Hat am Ende Cockerill in Seraing seinen Irrtum eingesehen und will mich nun mit Gewalt zurückholen? Zu spät, Verehrtester! Trop tard! um mich Ihnen verständlicher zu machen. Ich erbrach den etwas schmutzigen Umschlag.

Keine kaufmännische Handschrift, wie sie Leute von Seraing schreiben; auch kein ganz musterhaftes Französisch. Aber leserlich und deutlich genug. Es war ein Schreiben des »Schwarzen Ankers« aus Antwerpen.

 

»Monsieur!

Verzeihen Sie, daß wir uns beehren, Sie zu benachrichtigen. Sie haben am 4. April 1861 eine Flasche English Ale bestellt und eine Flasche Sherry vertrunken. Vom feinsten Sherry, zu zehn Franken fünfzig Centimes die Flasche. Unsere Marie hat eine Verwechslung gemacht, und Sie haben den Irrtum ausgetrunken. Dann sind Sie so schnell abgereist, ehe wir es bemerkt haben. Da Sie nicht wollen unglücklich machen unsre Marie, die die Flasche ersetzen muß, bitte ich den Herrn Baron, zu schicken la différence, nämlich neun Franken dreißig Centimes.

Um ferneren Zuspruch bittend

Agréez, Monsieur, l'assurance de nos sentiments les plus distingués.

Jean Pumperlaken

garçon et chef de cuisine de l'Ancre Noire à Anvers.«

 

Nun war mir manches klar: mein wachsender Mut, mein kühner Entschluß, mein stürmisches Abschiedslied, das bis zum heutigen Tage kein Mensch zu lesen vermochte.

Und wenn ich heute, nach bald vierzig Jahren, zurückdenke an den Anfang meines Wanderlebens, an das wunderbare englische Bier und an den blinden Passagier von damals, so kann ich mich nicht enthalten – und will's nicht –, noch eines andern Versleins zu gedenken, aus einer Zeit, die weiter zurückliegt, fast an der Schwelle meiner Kindheit. Es fängt mit den Worten an: »Weg' hast du allerwege« und ist wahr geblieben, bis ich wieder einlief im alten Hafen.


 << zurück weiter >>