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Max Eyth.

»Aus dem Taschenbuch eines Ingenieurs« – das klingt vielen gewiß kaum verlockend. Der eine denkt an Tabellen und Formeln, an Logarithmen und ähnliche unfrohe Dinge, mit denen er sich auf der Schulbank so weidlich herumplagen mußte, der andere hört aus der Ferne Maschinen surren, Dampfpfeifen schrillen und Sprengschüsse krachen, sieht mühsam errechnete Eisengerüste zum Himmel steigen und mächtige Brückenbogen sich spannen. Das eine sowohl wie das andere aber bedingt, wie man glaubt, ein gewisses Verständnis, sofern sich die feierlich-kühle Bewunderung in lebendige Teilnahme umwandeln soll.

Man kann sich nicht leicht eine falschere Vorstellung machen von dem, was Max Eyth in sein »Taschenbuch« eintrug. Er liebte das Leben, wie dieses ihn, und er pries bis ans Ende das gütige Schicksal, das ihn von Zeit zu Zeit über Länder und Ozeane hinausschleuderte, als ob er »auf einer Dynamitbombe säße«, und das ihn die Wunder der Welt wie nur wenige Sterbliche schauen ließ. Ach nein, dieser Eyth, wenn er schrieb, war durchaus nicht geneigt, sich die Welt und das Leben durch trockene Formeln und Rechenexempel vergrämen zu lassen. Er war Ingenieur und war Dichter in einem – Ingenieur, wie es viele, und Dichter und Schriftsteller, wie es nur wenige gibt. Als Fachmann war er ein kühler, berechnender Kopf, den ein rastloser Tatendrang spornte, als Dichter dagegen ein Kind seiner sonnigen schwäbischen Heimat: gemütvoll und sinnenfroh wie nur einer, empfänglich für alles, was groß und was schön ist, an Herz und Humor gleich gesund und erfrischend.

Das schriftstellerische Lebenswerk Eyths ist zugleich seine Lebensgeschichte, wie oft darin Wahrheit und Dichtung auch immer verquickt sind. In Briefen und Skizzen, in dunklen und heiteren Erinnerungsbildern, die oft zur Novelle sich runden, erzählt er in seinen drei Bänden »Im Strom unserer Zeit« und in seinem verbreitetsten Buche »Hinter Pflug und Schraubstock« lebendig und fesselnd von Heimat und Fremde, von Kindheit und Jugend, von Lehrjahren, Wander- und Meisterjahren. Der Jüngling, der auszieht, das Glück zu erjagen, und der durch die Welt saust mit Zugvogeleile; der reife, erfahrene Mann, der das Glück in der Hand hält und all das da draußen errungene Gold der Erfahrung dann ausmünzt zum Wohle des Vaterlandes, indem er die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft begründet und leitet; der friedlich-geruhsame Alte in Ulm, der im weißen Haar noch Romane verfaßt, die das Leben ihm eingab (der letzte erschien 1906, in dem Todesjahre Max Eyths) – plastisch und scharf, wie aus Kernholz geschnitten, so stehen sie vor uns in jenen vier Bänden. Die große Zeit, die im Werden war, liefert den Rahmen für seine bewegten, rasch wechselnden Bilder, die warmempfundene Schilderung der Natur und der Menschen in fremden, phantastischen Ländern verleiht ihnen Farbe und Buntheit.

In Kirchheim unter Teck wird Max Eyth am 6. Mai 1836 als einziger Sohn eines Oberpräzeptors geboren; in Schöntal, einem weltabgeschiedenen Nestchen in Württemberg, wächst er heran. Geistlicher sollte er werden, den Weg beschreiten, den Vater und Großvater gegangen waren und den jede fromme Mutter ihrem Erstlinge wünscht. »Die Wahl zwischen Theologie und Philologie stand mir frei. Ich wußte es selbst nicht anders, so sauer es mir fiel, die anfänglich so trockene und steinichte Straße des klassischen Wissens emporzuklettern. Wie alles anders kam, als es die treue Fürsorge meiner Eltern geplant hatte, gehört zu den Geheimnissen von Natur und Leben, die noch kein Forscher zu ergründen vermochte.« Genug: er bezog statt des Schöntaler geistlichen Seminars das Stuttgarter Polytechnikum, arbeitete ein paar Jahre lang »mit zusammengebissenen Zähnen« im Rauch und Ruß einer württembergischen Maschinenfabrik und fuhr dann mit schwieligen Händen, doch frei und erlöst übers Wasser nach England, dem damaligen klassischen Land der Maschinenbauer.

Die nachfolgenden Blätter erzählen dem Leser, wie England ihn aufnahm. Sie erzählen von der ermüdenden Stellungsjagd und dem bangen, erschöpfenden Hasten von einer Fabrik nach der andern, von schwäbischer Schüchternheit und von britischer Zähigkeit, von dem winkenden Glück und dem endlichen Sieg bei John Fowler in Leeds, dem Beherrscher des Dampfpflugs. »Wenn Sie Lust haben, in meine Maschinenfabrik einzutreten, so finden Sie einen Schraubstock. Sobald sich Gelegenheit bietet, sollten Sie dampfpflügen lernen, wofür ich sorgen werde. Das Weitere muß sich finden.« Es fand sich, dies »Weitere«. Früher, als Eyth es sich träumen konnte.

Zwei Jahre später begegnet er uns als Vertreter der Fowlerschen Werke bereits in Ägypten, wo er am Ufer des Nils den erstaunten Fellachen etwas vorpflügt. Abermals eine Spanne, und er ist gleichzeitig Chefingenieur des ägyptischen Thronerben, Prinzen Halim-Pascha, der fünftausend Hektar Wüste zum grünenden Garten verwandeln will. Das lustige Wanderleben mit seinen Dampfpflügen hält ihn von nun an gefangen, und rund zwei Jahrzehnte lang wirbelt es ihn durch die weite Welt. Bald finden wir ihn in Arabien, Syrien und Palästina, bald reist er die Kreuz und die Quer in Geschäften durch die Vereinigten Staaten von Nordamerika, vom Niagara bis an die Mississippimündung, bald zwingen ihn Dampfpflug und Fowler nach Indien, Algier, Peru. Österreich-Ungarn und Rußland, die Türkei und Rumänien nimmt er als Abstecher mit. »Ich war«, sagt er selber von sich und den fröhlichen Wanderjahren, »eine Art von erratischem Block, und ich setzte mich, wo das Treibeis des Lebens mich hingeführt hatte. Manche alten Zünftler haben den Kopf geschüttelt: ich gehöre gar nicht zum Handwerk. Aber sie gaben zu, daß in ungeordneten Zeitläuften, wie die unsern, auch einer von außen der Zunft von Nutzen sein könnte, und ließen mich schließlich gewähren.«

Gelegentlich seines Abschieds von der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft hat er erzählt, was die Zunft und die Technik ihm danken. Er machte die Inventur seiner Leistungen als Konstrukteur und Erfinder auf, und die Liste war lang und bedeutsam. Umsonst hat die Stuttgarter Technische Hochschule ihn nicht geehrt durch Verleihung der Würde des Dr. ing., und umsonst hat der König von Württemberg ihm nicht den Titel Geheimer Hofrat und schließlich den Adel verliehen. Aber selbst wenn die Liste seiner Erfindungen dreimal so lang und sein Anteil am Siege der Dampfpflugkultur auf dem Erdball noch größer gewesen wäre, als faktisch der Fall ist – der Eyth, der uns allen gehört, ist der Schriftsteller Eyth, nicht der Techniker. Seine klugen, gehaltvollen Briefe und Skizzen, seine feinen novellenartigen Lebensausschnitte, von denen dies Buch einen der lebendigsten und packendsten: »Berufstragik« wiedergibt, vor allem aber auch seine großen Romane »Der Kampf um die Cheopspyramide« und »Der Schneider von Ulm« werden Kinder und Enkel noch lesen und lieben, wenn einst der elektrisch betriebene Pflug längst dem Dampfpflug den Garaus gemacht haben wird. Ein bißchen lebendige Liebe aber, die über das Grab hinaus weiterglüht, ist mehr wert als ein ganzes Paket konservierter Hochachtung, das immer eine Generation der andern gelangweilt weiterreicht.

Leipzig, im September  .

Carl W. Neumann.


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