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Illustration: Paul Haase

IX. Das Seeräuber-Schiff

Es war wirklich wahr, Jupps Großmutter kannte wundervolle Geschichten! Die beiden Jungen kauerten sich zu ihren Füßen auf niedrige Schemel und hörten mit offenem Munde zu. Die Großmutter begann:

Vor manchen hundert Jahren fuhr ein großes spanisches Schiff durch das Meer. Damals hatte man noch keine Dampfschiffe mit Rädern und Schrauben wie heute, die Schiffe hatten nur große Segel, auf die der Wind blies. Das Schiff kam von Mexiko und hatte als Ladung Gold, Silber, Edelsteine und Sklaven, die sollte es dem Könige bringen. Eine Menge der Reichtümer gehörte aber dem Kapitän selbst, und man sagte, daß er sie auf Piratenzügen zusammengeraubt habe. Der Kapitän war ein strenger, bitterböser Mann mit einem schwarzen Spitzbarte, der seine Matrosen immer schalt und schlug. Zu essen gab er ihnen nur sehr wenig und schlechtes Essen dazu: trockene Schiffszwiebäcke und weiße Bohnen, die so hart wie Kieselsteine waren, denn er meinte, daß ein voller Bauch nicht gut zum Arbeiten wäre. Wenn die Matrosen aber murrten, dann ließ er sie in schwere Ketten legen und mit der neunschwänzigen Katze schlagen. Das war eine kurze Hundepeitsche mit neun Riemen, an denen eiserne Kugeln hingen.

Die Sklaven aber hatten es noch schlechter; sie lagen Tag und Nacht unten im dunklen Schiffsräume in Ketten und bekamen zur Nahrung nur das Essen, das so verfault war, daß selbst die Matrosen es nicht mehr essen konnten. Krank waren die Sklaven alle, und täglich starben ein halbes Dutzend. Dann wurden sie einfach auf Deck getragen, ins Wasser geworfen und dort von den mächtigen Haifischen verschlungen. Diese gräßlichen, gierigen Tiere mit den riesigen, mit spitzen Zähnen versehenen Rachen folgten dem schwarzen Schiffe schon seit der Küste; sie schwammen immer darum herum und warteten gefräßig auf die Leichen. Der harte Kapitän und sein grausamer Schiffsarzt vergnügten sich jedesmal, wenn sie den Bestien zum Frühstück und zum Abendbrote die Leichen herunterwarfen.

Neben der Kajüte des Kapitäns befand sich noch ein kleines, schmales Zimmerchen; darin wohnte eine wunderschöne bleiche Frau mit langen schwarzen Haaren. Sie hieß Maria und war die Tochter eines alten spanischen Schiffskapitäns, dessen Schiff vor einigen Jahren mit Mann und Maus untergegangen war. Sie allein war gerettet worden, und der Kapitän hatte ihr versprochen, sie in ihre Heimat zu bringen. – Das fiel ihm aber gar nicht ein; er hielt sie fest, und wenn das Schiff in irgendeinem Hafen landete, so verschloß der Kapitän selbst ihr Zimmer mit schweren Riegeln und Schlössern, so daß sie nicht von Bord kommen konnte. – Einmal hatten ein paar Matrosen im Hafen von Havanna versucht, sie zu befreien; aber der Kapitän hatte es gemerkt und hatte die Matrosen mit der neunschwänzigen Katze totschlagen lassen und dann den Haifischen zum Fraße vorgeworfen. Seitdem wagte niemand mehr, sie zu retten.

Maria war der gute Geist im Schiffe. Sie stieg herunter in die Kasematten und brachte den armen Sklaven Wasser und Brot und was sie nur an Speisen finden konnte. Für die Matrosen aber hatte sie immer gute, freundliche Worte, so daß sie von allen verehrt wurde. – Der böse Kapitän verfolgte sie mit Liebesanträgen; aber Maria wollte nichts von ihm wissen, sie wies ihn ab, ohne weder auf sein Bitten noch auf sein Fluchen zu hören.

Da geschah es, daß eines Tages ein Schiffsjunge ein Gespräch zwischen dem Kapitän und seinem Schiffsarzte, einem graubärtigen, dickbäuchigen Halunken, der den Kapitän schon auf seinen Seeräuberfahrten begleitet hatte, belauschte.

»Also abgemacht!« sagte der Kapitän. – »Noch zehn Tage haben wir zu segeln, bis wir zur spanischen Küste kommen. Ehe wir in den Hafen einlaufen, schüttest du dein Pülverchen in das Essen für die Leute!«

»Verlaßt Euch darauf, Kapitän!« antwortete der Schiffsarzt, »sie sollen so gut zu essen bekommen, daß sie nie wieder etwas anderes brauchen!«

»Wenn sie tot sind, werfen wir die ganze Bande über Bord!« fuhr der Kapitän fort.

»Da werden sich die Haifische freuen!« lachte der Schiffsarzt.

»Im Hafen nehmen wir neue Matrosen an Bord, von denen keiner weiß, daß die Reichtümer für den König bestimmt sind. – Wir fahren nach Frankreich und teilen dort die Schätze!«

»Gut, Kapitän, auf mich könnt Ihr Euch verlassen!« rief der Schiffsarzt und ging hinunter, um nach den Sklaven zu sehen.

Als der Schiffsjunge sich von seinem Schrecken ein wenig erholt hatte, lief er in die Matrosenkajüte und erzählte, was er eben gehört hatte. Alle steckten die Köpfe zusammen und überlegten, was zu tun sei. Die meisten meinten, man solle die beiden alten Seeräuber gleich totschlagen; aber der Steuermann riet, zu warten, bis das Land in Sicht käme, dann den Kapitän und den Schiffsarzt in Ketten zu legen und sie den Gerichten auszuliefern. Das beschloß man denn auch.

Es kam aber anders, als sie gedacht hatten. Am folgenden Tage herrschte eine drückende Windstille; alle Segel hingen schlaff herab, und das Schiff rührte sich nicht vom Flecke. Dann aber setzte ein heftiger Wind ein, der bald zum Orkane anschwoll. Der Kapitän ließ alle Segel einziehen; turmhohe Wellen fielen über das Schiff. Der Regen goß in Strömen, und der Donner rollte mit den Wogen um die Wette. Auf Augenblicke erhellten mächtige Blitze die stockfinstere Nacht.

Plötzlich gab es einen gewaltigen Stoß; das Schiff war auf einen unterseeischen Felsen gestoßen; das Wasser drang durch das Leck ein und stieg rasch höher. Der Kapitän befahl, sofort alle Boote hinabzulassen und das Gold und Silber hineinzuschaffen. Da aber brach die Mannschaft los. Sie wußte, daß, wenn man alle Schätze in die Boote schaffte, für sie selbst kein Platz mehr sei; so wollte also der schlechte Kapitän sich mit den Reichtümern retten und sie elendiglich ertrinken lassen! – Die Matrosen schrien vor Wut und drangen auf den hinterlistigen Kapitän ein. Einige liefen in die Provianträume, um alles Eßbare in die Boote zu schaffen; andere eilten in die Verließe hinunter und nahmen den armen Sklaven, die schon halb im Wasser lagen, die Ketten ab; diese stürmten mit wildem Geheule die Treppen hinauf und sprangen mit den Matrosen in die Boote. Der Schiffsarzt wollte sie abwehren; doch einer von ihnen schlug ihm mit einer Kette den Schädel ein. Als der Kapitän sah, daß alles nichts mehr nutzte, zog er seine Pistolen heraus, um sich mit Gewalt den Weg zu einem Boote zu bahnen; aber ein Matrose kam ihm zuvor; er riß ihm eine der Pistolen weg und schoß ihm eine Kugel durch den Kopf.

Dann sprang er den anderen nach, in ein Boot hinein. Man stieß ab und ruderte so rasch als möglich durch die hochgehenden Wogen, von dem sinkenden Schiffe fort. Schon waren die Boote wohl hundert Meter entfernt; da schrie plötzlich der Schiffsjunge: »Allmächtiger Gott! Die Maria ist noch auf dem Schiffe!«

Wahrhaftig, man hatte die milde schöne Frau in der schrecklichen Aufregung in ihrer Kabine vergessen, wo sie von dem Kapitän eingeschlossen war! Ein einziger Schrei entrang sich den Kehlen der Matrosen sowohl wie der Sklaven, und ohne daß einer ein Kommando gegeben hätte, drehten alle Boote um, um die unglückliche Frau vom Schiffe zu holen.

Es war zu spät! Kaum hatte man ein paar Ruderschläge getan, als das Schiff vor ihren Augen in die Tiefe sank. –

Die Boote trieben ein paar Tage umher; dann wurden die Schiffbrüchigen von einem vorüberfahrenden Dreimaster aufgenommen und in ihre Heimat gebracht. Das Schiff aber lag mit allen seinen Schätzen unten auf dem Meeresgrunde.

 

* * *

 

Ein paar hundert Jahre später, zur Zeit, als der große Kaiser Napoleon ganz Europa beherrschte, fuhr einmal ein französisches Kriegsschiff nach Amerika. – Ein junger Kadett, Paul Leroy mit Namen, kletterte an einem frühen Morgen mit nackten Füßen den Mastbaum hinauf, um oben Lugaus zu halten. Er war sehr gewandt und ging so sicher auf den Seilen, als ob er auf ebener Erde wäre. Er mochte wohl eine Viertelstunde schon im Mastkorbe gesessen haben, als er in der Ferne durch den Morgennebel etwas schimmern sah, das ihm wie eine Frauengestalt vorkam. Das Schiff kam näher heran, aber trotzdem vermochte Paul nichts Genaues zu erkennen; er vernahm leise Hilferufe, sah aber weder ein Schiff noch ein Boot, sondern nur die Nebelgestalt, die jetzt kaum fünfzig Meter vom Schiffe entfernt zu sein schien. – Paul stieg vom Maste herab und ging auf Deck, da er dort besser zu sehen hoffte. Er lehnte sich weit über das Geländer, verlor das Gleichgewicht und fiel ins Wasser. Da er gut schwimmen konnte, fürchtete er sich nicht, sondern schwamm auf die Nebelgestalt zu; aber je näher er kam, um so mehr verschwand sie. Er schwamm ein paarmal über den Fleck, wo er sie gesehen zu haben glaubte, hin und her; vergebens, er konnte nichts entdecken. So beschloß er, rasch zum Schiffe zurückzuschwimmen; doch siehe da! das Schiff war schon weit voraus. Er arbeitete, so sehr er konnte; aber es war unmöglich, den großen Vorsprung wieder einzuholen. Nun schrie er laut; jedoch war außer der Schiffswache niemand an Deck, und niemand hörte ihn. Bald waren die Segel in der Ferne verschwunden, und Paul war ganz allein im weiten Meere. Noch gab er die Hoffnung auf Rettung nicht auf; es war ja möglich, daß bald ein anderes Schiff vorbeikam, das ihn auffischte. Er fand einen Balken; daran klammerte er sich fest. Aber die Stunden vergingen; es wurde Mittag; die Sonne stand strahlend am Himmel, und kein Segel war zu sehen. Es wurde später und später; der Abend senkte sich herab; noch keine Rettung! Immer noch harrte er aus und spähte umher, immer vergebens. Der Mond ging auf und warf seine bleichen Strahlen über das Meer; da schloß der zu Tode ermüdete Paul die Augen.

Er verlor das Bewußtsein; seine Hände ließen den Balken los; er sank in die Tiefe.

Etwas stieß an seine Fußsohlen an; davon erwachte er. Er glaubte, er wäre noch in seiner Kabine und einer seiner Kameraden mache sich einen Scherz. So rief er:

»Marsch, weg da! Ich kann das Kitzeln unter den Füßen durchaus nicht vertragen!«

Dann wurde er ganz wach und blickte um sich. Da sah er, daß er unten auf dem Meeresgrunde lag, mitten zwischen Seepflanzen und Muscheln. Vor sich aber bemerkte er einen gewaltigen Fisch mit riesigem Maule, der an seinen Füßen herumschnupperte. Paul sprang rasch auf die Füße und gab dem großen Fische eine tüchtige Ohrfeige. Das war dem wohl bisher noch nicht vorgekommen, denn er machte ein schrecklich dummes Gesicht, so daß Paul ordentlich lachen mußte; dann schwamm er rasch fort.

»Das ist ja noch gut abgegangen,« dachte Paul; »nun wollen wir mal sehen, wie es hier unten aussieht!«

Er mußte wohl die ganze Nacht hindurch geschlafen haben, denn die Sonne schien hell durch das grüne Meerwasser und beleuchtete die Landschaft dort unten am Meeresgrunde. Paul schritt rüstig einher durch diese unbekannte Welt. Da standen große Austernbäume, von denen sich Paul ein paar Dutzend Austern abbrach, die er zum Frühstücke verzehrte. Dann kam er durch tiefe Korallenwälder, die ganz rot waren und so dicht, daß er kaum hindurch konnte. Dazwischen krochen Langusten und Hummer mit mächtigen Scheren, die ihn gerne in die Beine gezwickt hätten, wenn er nicht immer geschickt ausgewichen wäre. Auch viele Fische von seltsamer Form schwammen zwischendurch. Da waren Hammerfische, die genau aussahen wie ein großer Hammer, und dann wieder andere, die keinen Leib, sondern nur einen Kopf hatten und aussahen wie ein Kürbis. Er sah meterlange Aale, die so dünn waren wie Würmer und einen Kopf wie eine Mondsichel hatten, oder kleine Würmer, die wie Vögel aussahen und durch das Wasser hinflogen. Zu seinen Füßen krabbelten kugelrunde dicke Seeigel mit großen Stacheln; er mußte sich sehr in acht nehmen, um mit seinen nackten Füßen nicht hineinzutreten. Als er aus dem roten Korallenwalde herauskam, schien das Meer plötzlich ganz tiefblau; er sah in die Höhe und bemerkte über sich eine dichte Wolke von schönen blauen Quallen.

Bei all diesen seltsamen Anblicken wurde ihm die Zeit nicht lang; er merkte kaum, daß es wieder Abend wurde. Als die Nacht hereinbrach, suchte er sich eine bequeme Sandbank aus und streckte sich der Länge lang darauf aus. Er hatte noch nicht die Augen zugemacht, als er in einiger Entfernung die Nebelgestalt von gestern zu erblicken glaubte. Er blieb ruhig liegen, während die Gestalt langsam näher kam. Er erkannte bald eine wunderbar schöne, bleiche Frau, die in lange weiße Gewänder gehüllt war. Sie schritt auf ihn zu, setzte sich zu ihm auf die Sandbank und frug mit weicher melodischer Stimme:

»Wie heißt du und wer bist du?«

Er gab ihr genaue Auskunft; sie antwortete ihm:

»Ich heiße Maria.«

Dann erzählte sie ihm ihre Geschichte. Sie fügte hinzu, daß sie all die lange Zeit hindurch auf einen Retter gehofft habe, daß aber niemand in die Tiefe hinabgestiegen sei, um sie zu befreien. Der böse Kapitän und der hinterlistige Schiffsarzt bewachten sie und die Schätze noch immer. Den ganzen Tag über sei sie in ihrer Kabine eingeschlossen, nur nachts dürfe sie bis zum frühen Morgen herauskommen. Sie sah Paul tief mit ihren blauen Augen an und fragte ihn:

»Willst du mich befreien?«

Paul drückte ihr herzhaft die Hand.

»Gewiß will ich!« rief er freudig. »Ich will doch sehen, ob ich nicht mit zwei toten alten Seeräubern fertig werden kann!«

»Es ist nicht so leicht, wie du denkst,« antwortete Maria. »Jede Nacht verwandeln sich die beiden, um mich besser bewachen zu können, – der Kapitän in einen schrecklichen Polyp und der Doktor in einen Riesenhai mit fünf Reihen Zähnen! – Nun lebe wohl, Paul, ich muß gleich wieder fort, sonst finden uns die schrecklichen Ungeheuer, und dann ists um dich geschehen.«

Sie drückte einen leichten Kuß auf seine Augenlider und verschwand. Paul schlief ein.

Am nächsten Morgen machte er sich wieder auf die Wanderschaft. Er durchschritt einen dunklen Wald von Algen und Seetang, durch den er sich mühsam mit seinem Messer einen Weg bahnen mußte. Als er glücklich herauskam, sah er einen mächtigen schwarzen Schiffsrumpf vor sich liegen, mit Masten, Segeln und Takelwerk. Er schlich vorsichtig um das Schiff herum, um nicht bemerkt zu werden. Auf der Kommandobrücke sah er zwei Leute in alter spanischer Tracht stehen, die miteinander sprachen. Er erkannte sie sofort; der eine war der Kapitän mit einem schwarzen Spitzbarte und einem kleinen Loche an der Schläfe, aus dem ein Blutstropfen sickerte. Der andere war kleiner und dicker und hatte ein bartloses Gesicht. Es war augenscheinlich der Schiffsarzt. Als er seinen mächtigen Panamahut ein wenig aufhob, konnte Paul auf seinem Kopfe einen breiten blutigen Streifen sehen, der sich bis zur Stirne hinabzog. Was die beiden sprachen, konnte Paul nicht verstehen, doch hörte er aus dem Innern des Schiffes ein trauriges Lied, das gewiß die schöne Maria sang.

Paul ging wieder in den Tangwald hinein, um zu überlegen, was zu tun sei. Aber wie er auch grübelte und nachsann, es wollte ihm nichts einfallen, wie er wohl die arme schöne Frau befreien könnte. Die beiden alten Seeräuber waren bis an die Zähne bewaffnet, während er nur ein einfaches Messer bei sich trug. Als es Abend war, schlich er wieder an das Schiff heran; er sah Maria auf dem Verdecke auf und ab gehen, konnte aber nicht näher herankommen, da ein Haifisch von riesiger Größe fortwährend das Schiff umkreiste. Außerdem sah er vor dem Schiffe eine mächtige schwarze Masse liegen, die sich kaum bewegte. Es war ein gewaltiger Polyp, der mit seinen giftigen Augen das Dunkel durchdrang.

Paul wartete noch ein paar Stunden, da er hoffte, Maria werde ihn in seinem Verstecke noch einmal aufsuchen. Sie kam aber nicht, und so zog er sich tiefer in den Algenwald zurück und legte sich schlafen. Am anderen Morgen wiederholte sich dasselbe Spiel; Paul schlich um das Schiff herum, ohne doch irgend etwas zur Rettung Marias unternehmen zu können.

Er seufzte tief auf; da glaubte er plötzlich neben sich auch einen Seufzer zu vernehmen. Er blickte zur Seite und sah einen großen, schönen Delphin, der gleich ihm starr auf das schwarze Schiff hinblickte. Und wirklich, Paul hatte sich nicht getäuscht, der Delphin seufzte, ganz laut, zweimal hintereinander; dabei liefen ihm zwei dicke Tränen aus den Augen. Das kam Paul so absonderlich vor, daß er auf den Fisch zuging, – er wußte, daß die Delphine trotz ihrer Größe sehr gutmütige Tiere sind – ihm mit der Hand auf den Rücken schlug und ihn fragte, was ihm fehle und was er hier suche?

Wie erstaunte er aber, als der Delphin anfing zu sprechen und ihn frug, was denn er hier mache?

Paul gab genaue Auskunft, wobei der Fisch aufmerksam zuhörte. Als er erfuhr, was Paul vorhabe, leuchteten seine treuen Augen:

»Nun denn!« rief er, »dann sind wir Bundesgenossen! Auch ich wünsche nichts sehnlicher, als mich an den beiden Seeräubern zu rächen, die vor einigen Tagen erst meine Frau und vier meiner Kinder nachts überfallen, getötet und aufgefressen haben. Nur das Jüngste ist mir noch geblieben.«

»Wenn ich nur Waffen hätte!« sagte Paul, »da wollte ich mit den Hallunken schon fertig werden!«

»Waffen?« antwortete der Delphin. »Da weiß ich Rat. Nicht allzuweit von hier liegen die Trümmer eines anderen untergegangenen Schiffes; da sind Waffen in Hülle und Fülle!«

Paul winkte ihm, still zu sein, da er von weitem den Kapitän und seinen dicken Arzt ankommen sah. Die beiden schritten Arm in Arm beratschlagend daher, während sich Paul und der Delphin, um nicht gesehen zu werden, rasch in den Schatten des Algenwaldes versteckten. Sie konnten ganz gut das Gespräch der beiden Seeräuber belauschen.

»Du hast recht, Doktor!« sagte der Kapitän. »Und wenn ich noch tausend Jahre auf sie warten wollte, Maria wird mich doch nicht erhören! – Es ist das beste, wir machen der Sache ein Ende und töten sie heute nacht.«

»Und fressen sie zusammen auf, wenn wir als Polyp und Haifisch herumschwimmen,« grinste der häßliche Schiffsarzt.

– – »Es ist die höchste Zeit, daß Rettung kommt!« rief der Delphin, als die beiden Ungetüme fort waren. »Spring auf meinen Rücken und halte dich gut fest!«

Paul tat, wie ihm geheißen, und der Delphin schoß wie ein Pfeil durch das Meer; Paul mußte sich ordentlich am Halse festhalten, um nicht herunterzufallen. Endlich waren sie am Ziele angelangt; Paul sprang ab und sah den Meeresgrund rings mit Schiffsplanken und Trümmern bedeckt. Er suchte in dem Wirrwarr umher und fand endlich einen langen, spitzen Degen; außerdem steckte er noch ein großes, scharfes Messer zu sich. Das Suchen hatte eine gute Spanne Zeit in Anspruch genommen, und der Delphin drängte zur Rückkehr.

»Rasch, rasch!« rief er, »wir haben keine Zeit zu verlieren, sonst kommen wir zu spät.«

Paul setzte sich wieder auf den Rücken des braven Tieres, und mit Windeseile ging es zurück. Die Sonne war schon untergegangen, und der Mond schien hell durch das Wasser. Plötzlich hörten sie in der Ferne Hilferufe.

»Es ist Maria!« rief Paul. »Vorwärts, vorwärts!«

Der Delphin schlug mit den starken Flossen das Wasser so schnell er konnte. Sie kamen gerade noch zur rechten Zeit; einen Augenblick später und alles wäre vergebens gewesen!

Vor sich sahen sie das schöne Mädchen, wie es von dem Riesenhai, in den sich der Schiffsarzt verwandelt hatte, verfolgt wurde. Der Haifisch riß sein gewaltiges Maul auf, in dem unzählige lange, spitze Zähne starrten, um Maria zu verschlingen, als Paul von seinem schwimmenden Rosse absprang und die zu Tode erschreckte Schöne schnell zur Seite riß. Der Haifisch stutzte einen Augenblick, und diesen Moment benutzte Paul, um gewandt unter dem Haifische herzutauchen. Als er gerade unter ihm war, stieß er ihm von unten den langen spanischen Degen bis zum Heft in den Bauch, riß ihn wieder heraus, stieß ihn nochmal hinein, und noch einmal, und noch einmal. Beim letzten Stoße brach die Klinge mitten im Leibe ab; aber es war auch der Todesstoß: Paul hatte das Ungeheuer mitten ins Herz getroffen. Mächtige Blutströme quollen aus den Wunden und färbten im weiten Umkreise das Wasser rot. Das gräßliche Untier schlug noch ein paarmal mit dem mächtigen Schwänze, ohne jedoch jemanden zu treffen, da der Delphin das halbohnmächtige Mädchen geschickt ein wenig zur Seite gebracht hatte. – Dann verschied die greuliche Bestie.

Paul wollte sich gerade nach Maria umsehen, als der Delphin ihm zurief:

»Nimm dich in acht! Sieh hinter dich!«

Paul drehte sich um und sah, wie sich in einiger Entfernung eine ungeheure dunkle Masse, aus der ein Paar große Augen funkelten, auf ihn zuschob. Er erkannte den ekelhaften Polypen, der seine langen, mit scheußlichen Saugnäpfen versehenen Fangarme nach ihm ausstreckte. Einer dieser schlangenartigen Arme ringelte sich schon von unten um seine Beine. Paul griff rasch nach dem Gürtel, zog das Messer heraus und hieb damit den Arm ab. Aber im nächsten Augenblicke fühlte er sich schon von vielen anderen Fangarmen umstrickt, die ihn mit unheimlicher Gewalt an das furchtbare offene Trichtermaul des Polypen heranzogen. Obwohl er wie wahnsinnig mit dem Messer um sich schlug und mehr als ein Stück von den schauerlichen Schlangenarmen herunterhieb, konnte er sich doch nicht aus der unheimlichen Umarmung befreien. Schon glaubte er sich verloren, als der Delphin, der dem furchtbaren Kampfe aufmerksam gefolgt war, plötzlich mit einem wohlgezielten Schwanzschlage das eine Auge des gräßlichen Tieres traf. Der Riesenpolyp, auf der einen Seite geblendet, wendete sich sofort seinem neuen Feinde zu, und diesen Augenblick benutzte Paul, um mit seinem Messer dem Untiere auch das andere Auge auszuschlagen. – In blinder Wut griff der Polyp mit seinen Fangarmen nach allen Seiten herum, um einen der Gegner zu erwischen; aber Paul schlug ihm geschickt einen Arm nach dem anderen ab. Das rote Blut des häßlichen Haifisches vermischte sich mit dem schwarzen giftigen Saft, der den Wunden des sterbenden Polypen entquoll, und Paul verlor beinahe das Bewußtsein in dem entsetzlichen Geruche. Er klammerte sich an die Schwanzflosse des Delphins, der ihn rasch wegzog, während sich der armlose Rumpf des ekelhaften Tieres in Todeszuckungen wälzte.

Maria sank ihrem Retter mit einem Freudenschrei um den Hals; dann aber brach sie bewußtlos zusammen, Paul trug sie vorsichtig auf das Schiff in ihre Kabine und legte sie ins Bett, während er selbst mit dem Delphine auf dem Verdecke schlief. Am anderen Morgen bot ihm der Delphin, der sehr froh über den Tod der Unholde war, an, sie beide zur französischen Küste zu bringen. Sie weckten Maria, die über diese Mitteilung so erfreut war, daß sie erst ihrem Paul und dann dem Delphine einen tüchtigen Kuß auf sein rundes Maul gab. Dann zeigte sie Paul das Versteck mit den Schätzen; sie füllten vier schwere Säcke voll mit Gold und Edelsteinen, so viel als der Delphin erklärte tragen zu können. Sie legten die Säcke auf den Rücken des guten Tieres und setzten sich obendrauf. Dann ging es hinauf zur Oberfläche des Meeres; vorher aber schwamm der Delphin noch einmal zu seinem Neste, um seinen kleinen Sohn zu holen, der letzte, der ihm übriggeblieben war. Es war ein lustiges kleines Kerlchen, nicht größer wie ein Arm, das immer fidel hinterherschwamm. Wenn es ihm zu schnell ging, biß es sich einfach bei seinem Papa im Schwanze fest und ließ sich mitziehen.

So ging die Reise oben auf der Oberfläche der Küste zu. Die Sonne strahlte am Himmel, als ob sie sich auch darüber freue, daß das schöne Mädchen endlich gerettet sei. Ringsumher aber plätscherten vergnügt eine Menge kleiner Fische, die sich dem seltsamen Zuge angeschlossen hatten. Zuweilen bat der Delphin, der wie alle Delphine die Musik leidenschaftlich liebte, Maria, ein Lied zu singen, das weithin über das Meer schallte. Wenn Paul aber einen lustigen Tanz pfiff, dann sprangen alle die kleinen Fische lustig im Wasser herum; der kleine Delphin aber trieb es am tollsten, er schoß Kobolz und schlug Purzelbäume.

Als sie an der französischen Küste ankamen, setzte der treue Fisch die beiden jungen Menschen ab, und man verabschiedete sich tränenden Auges voneinander.

Maria und Paul aber nahmen ihre Säcke über die Schulter und gingen ans Land. – Bald darauf verheirateten sie sich und ließen sich eine herrliche Villa dicht am Meeresufer bauen. Dort wohnten sie, und noch viele, viele Jahre hindurch konnte man von dem hellerleuchteten Balkon Gesang und Musik hören, die Paul und Maria in treuer Dankbarkeit ihren treuen Freunden machten, dem Delphine und den anderen Fischen, die draußen im Meere herumschwammen und lauschten.


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