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Ein Mann, der Michel hieß – so erzählte die alte Großmutter – schlief einmal nicht sehr gut. Er stand früh auf und öffnete das Fenster. Er wohnte sehr hoch in einem erbärmlichen Zimmer und seine Fenster schauten tief hinab auf die Pflastersteine. Es war noch dämmerig – viel konnte man nicht sehen auf den Straßen. Eigentlich gar nichts; kein Wagen fuhr und kein Mensch lief herum. Nur die vollen Kehrichteimer standen vor den Häusern und die Abfallkisten und Müllfässer.
Dann sah der Herr Michel etwas, das blinkte. Das blieb stehen, kam etwas näher und blieb wieder stehen. Den Herrn Michel ärgerte das und er wollte gern wissen, was das war, das da blinkte. Er paßte scharf auf, dann sah er, daß es ein uraltes Weib war, das ging von einem Mülleimer zum andern und stocherte darin herum. Manchmal fand sie etwas – das nahm sie und steckte es in ihren Sack. Aber es war gar nicht das alte Weib, das blinkte, sondern was blinkte, das war das Ding, das sie in ihrer Hand hielt und mit dem sie herumstocherte in den alten Kehrichtkisten.
Das ist nicht sehr interessant, dachte Herr Michel. Und er machte das Fenster zu und legte sich wieder schlafen.
– Nun aber kam es, daß am andern Morgen der Herr Michel um eben dieselbe Minute wieder aufwachte. Da dachte er: »Ich muß sehen, ob die alte Lumpenfrau wieder da ist und ob sie wieder das blinkende Ding hat.« Deshalb ging er also an sein Fenster und schaute hinab auf die Straße.
Und richtig, da war sie und stocherte in den Abfallfässern. Und das Ding blinkte.
Herr Michel nickte und ging wieder zu Bett. Dann aber ging es genau so am nächsten Morgen und wieder am übernächsten. Herrn Michel war es schon unangenehm – und das läßt sich wohl begreifen – denn was ist das für eine Sache, wenn man noch müde ist und doch jeden Morgen schrecklich früh aus dem Bett kriechen muß, nur um hinunterzusehen auf die dämmerige Straße und auf eine alte Kehrichtameise und auf ein dummes Ding, das blinkt!?
Am nächsten Tag versuchte Herr Michel, liegen zu bleiben. Er zog die zerrissene Decke recht hoch und vergrub den Kopf in das Kissen und tat, als ob er schliefe. Aber es ging gar nicht. Da schimpfte der Herr Michel und dann stand er doch wieder auf und ging ans Fenster.
Weil das nun so weiter ging und dem Herrn Michel schließlich schon wirklich zu dumm war, so beschloß er endlich, einmal hinunterzugehen und sich das alte Hutzelweib recht ordentlich anzusehen. Und natürlich auch das blinkende Ding.
Er ging also herunter. Und er sah die Müllhexe sehr gut: sie war triefäugig und schrecklich alt, krumm und runzelig, und Zähne hatte sie schon gar nicht mehr. »Sie ist sehr häßlich!« dachte der Herr Michel. – Aber das Ding, das blinkte, sah er nicht, denn das hatte die Alte gerade sehr tief in eine Aschenkiste gestoßen.
Da es ihm nun gerade auf das blinkende Ding ankam, wegen dem er jeden Morgen so früh aufstehen mußte, so fragte er die Lumpenliese, ob sie es ihm nicht zeigen wolle.
Die Alte aber war gar nicht liebenswürdig und freundlich. Sie war ganz böse und grob und sagte, daß sie keine Zeit habe und ihren Geschäften nachgehn müsse – und daß er sie hübsch in Ruhe lassen solle.
Da fragte der Herr Michel, ob sie ihm denn das Ding vielleicht verkaufen wolle. Aber das wollte die alte Kehrichttrine auch nicht.
Herr Michel war nun ganz traurig, denn es war ihm, als müsse er unbedingt das blinkende Ding haben. Sonst, dachte er, könne er überhaupt nicht mehr richtig schlafen. Und er schlief sehr gerne, der Herr Michel. Er meinte, daß Schlafen das Allerbeste sei, das es gäbe. Es ist wohl wahr: tagsüber arbeitete er sehr stramm und sehr lange – aber dann wollte er auch seine Ruhe haben und ordentlich schlafen.
Es ging ihm ja nicht sehr gut. Er wohnte hoch oben in dem alten Hause und hatte sicher das härteste Bett in dem elendesten Zimmer in dem schlechtesten Hause in der jämmerlichen Straße Allen andern Leuten ging's viel besser – das wußte er gut. Und dazu mußte er noch für die andern Leute schuften und wurde recht jämmerlich bezahlt und sehr schäbig behandelt von denen. Der Herr Michel fror und hungerte und auf der Brust tats ihm auch weh. So hatte er eigentlich nichts, als das bißchen Schlaf – da konnte er all sein Elend vergessen – und darum ist es wohl begreiflich, daß er sehr unzufrieden war mit der Lumpenliese, die ihn jeden Morgen störte. Und mit dem blinkenden Ding erst recht.
Dann hatte Herr Michel einen guten Einfall. Er sagte der Alten, daß er ihr seine Kohlenschaufel und sein Stocheisen schenken wolle, wenn sie ihm das Ding gäbe. Denn die konnte er doch nicht gebrauchen, da sein Öfchen längst eingefallen war und er sowieso keine Kohlen hatte. Die runzlige Alte horchte auf, dann sagte sie, daß sie erst die Sachen einmal sehen müßte. Und geben könne sie ihm das Ding doch nicht – aber sie wollte es ihm vielleicht leihen für ein paar Tage.
Also mußte Herr Michel die vielen Treppen wieder hinaufklettern und dann wieder hinuntersteigen. Er zeigte der Lumpenhexe das Stocheisen und die Kohlenschaufel – und die nahm sie – und dafür lieh sie ihm das Ding für eine ganze Woche. Dann aber müsse er es ihr wiedergeben; das versprach er auch. Und er mußte ihr seinen Namen sagen und ihr auch das Fenster zeigen, wo er wohnte.
Herr Michel nahm also das Ding; das hatte die Alte sorgsam in braunes Papier eingeschlagen, das sie gerade in einem Aschenfaß gefunden hatte. Herr Michel stieg wieder die Treppen hinauf und legte sich rasch noch für eine halbe Stunde ins Bett und schlief recht gut. Das blinkende Ding aber tat er auf den zerbrochenen Ofen.
* * *
Nun kam es, daß in dieser Woche Herr Michel stets gut schlief, todmüde von aller Arbeit, und darum bekümmerte er sich nicht um das Ding im Packpapier. Einmal kam er spät abends von der Arbeit nach Hause und verzehrte sein Stück Brot – denn Wurst oder Käse gab es nur sehr selten für den Herrn Michel – aber es schmeckte ihm gar nicht, weil es so hart und schwarz war. So blieb ein Stück übrig und er dachte, das könne er morgen früh essen. Er suchte also nach irgend etwas, um es einzuschlagen und fand nichts Rechtes – und dann sah er das Packpapier, in dem das Ding lag und nahm das und wickelte sein Brot darin ein. So sah er zum erstenmal ganz nah das blinkende Ding – gerade in der letzten Nacht seiner Woche.
Es war ein Bajonett, so ein Seitengewehr, wie es der Soldat am Gürtel trägt. Man kann es als Messer gebrauchen und damit schneiden, aber auch als Säbel und damit schlagen. Und man kann es auch auf einen Flintenlauf stecken und dann kann man damit stechen. Das Ding war ziemlich groß und Herr Michel sah gleich, daß es schon recht alt war, sechzig Jahre und mehr. Es war schartig, und sehr rostig an vielen Stellen – aber es blinkte doch, da es sehr guter Stahl war.
Herr Michel betrachtete es nicht lange, legte es gleich wieder hin. »Dummes Ding!« dachte er. »Und bloß um dich ein paar Tage da zu haben, habe ich meine gute Kohlenschaufel und mein Stocheisen weggegeben.«
Er war sehr unzufrieden mit sich, zog sich aus, legte die Kleider über den Stuhl und kroch in das klapprige Bett. Gewiß, er konnte die beiden Sachen nicht gebrauchen – aber er hätte sie ganz gut verkaufen können und dafür hätte er sich dann was zu essen kaufen können. Er überlegte sich, wieviel er wohl dafür bekommen hätte, und was er sich für den Erlös hätte anschaffen können. –
Aber nun war es nichts damit – und daran war nur das blinkende Ding schuld.
Der Mond fiel durch das Fenster, grade auf den Ofen und auf das Ding – das blinkte heller als es je getan. Er mußte immer wieder hinschauen.
»Dummes Ding,« murmelte Herr Michel, »ich will doch schlafen!«
Endlich stand er auf, legte das Ding auf den Stuhl und deckte seine Hose darüber. Nu, dachte er, würde es doch aufhören zu blinken und endlich Ruh geben.
Aber das Ding gab gar keine Ruh und hörte auch nicht auf zu blinken. Es schien Herrn Michel, als ob es durchblinken könne, durch seine Hosen. Nicht so hell wie zuvor, aber es blinkte doch.
»Was will es denn nur?« dachte er.
Dann plötzlich schien ihm, als ob das blinkende Ding ihm was erzählen wolle. Es hatte gewiß sehr viel erlebt, und das wollte es ihm erzählen.
Aber da mußte Herr Michel doch herzlich lachen.
Was konnte das blinkende Ding ihm schon erzählen?
Ganz sicher gar nichts Neues und nichts, das er nicht längst wußte. Denn Herr Michel wußte sehr genau Bescheid mit solchen Dingen. Er hatte eins umgeschnallt gehabt, als er gedient hatte und dann wieder durch alle die Jahre des großen Krieges. Was man nur damit tun konnte, das hatte er sicher getan – und nicht einmal, sondern viele Male, überall in Europa und weit in Asien hinein. Es hatte eine lange Zeit gegeben, da hatte Herr Michel geglaubt, daß man gar nicht recht leben könne ohne so ein blinkendes Ding an der Seite.
Das war nun lange her – aber Bescheid wußte er, und es kam ihm schon sehr dumm vor, daß das Ding ihm was Neues erzählen wollte – ihm, dem Herrn Michel.
Aber wie er lachte, schien ihm, als ob da unter ferner Hofe etwas seufzte. Das erschien ihm sehr merkwürdig – und mit Recht, denn wer hat schon mal unter seiner alten Hose her, die über einem Stuhl liegt, was seufzen hören?
Wenn es nur einmal geseufzt hätte – aber es seufzte dreimal und ganz laut. Da langte Herr Michel mit der Hand aus dem Bett und zog das Ding unter der Hose hervor und legte es auf die Hose, so daß es wieder ganz hell im Mondschein blinkte.
Er sah es lange an – denn das verstand er gut, daß es eine Bewandtnis haben mußte, mit diesem Ding, das er da bei sich hatte.
»Bist du irgendein Besonderes?« fragte er.
Das Ding blinkte. Aber wie es blinkte, schien es Herrn Michel, als ob dies Blinken eben die Sprache des Dinges sei. Und als ob es gar nicht so schwer sei, sie zu verstehen, wenn man nur scharf hinschaue.
»Was bist du denn?« fragte er noch einmal.
Da blinkte das Ding – und diesmal verstand er es wirklich: »Ich bin kein Besonderes. – Bin nur eines von vielen Millionen.«
Herr Michel nickte; das hatte er sich gleich gedacht. So sagte er: »Und du willst mir was erzählen??! – Hör erst mal zu, was ich dir erzählen kann!«
Nun legte der Herr Michel recht los. Es war ihm ganz angenehm, daß er mal drauf los reden konnte, von all seinen Erlebnissen – denn da, wo er arbeitete, wollte kein Mensch mehr etwas hören, das mit dem großen Kriege zu tun hatte. Da sprachen sie nur von teuren Preisen und schlechtem Essen und von Krankheit und Elend und Not und wie jämmerlich doch die Zeit wäre. – So erzählte also Herr Michel dem blinkenden Ding von andern blinkenden Dingern und alles, was er mit denen gemacht habe. Es war eine sehr lange Geschichte, und es kam viel Tapferes und Wildes und Abenteuerliches darin vor, viel Lustiges und Komisches und auch viel Trübes und Trauriges.
Denn Herr Michel war schon ein Held – oder doch, er war es einmal gewesen. Bloß hatte er es längst wieder vergessen.
Als er fertig war, war er für einen Augenblick ganz stolz und sagte: »Nun siehst du wohl, wie gut ich Bescheid weiß! Na – ich bin bloß neugierig, was du mir Neues erzählen könntest!«
Da seufzte das Ding, wieder und dann blinkte es, sehr bleich und sehr traurig.
Es blinkte: »Herr Michel – gewiß wissen Sie gut Bescheid! Aber haben Sie schon jemals so was gesehen, wie es mir passierte?«
»Was denn?« fragte Herr Michel. Aber dann fiel ihm gleich ein, was das Ding meinte. Daß es nämlich von der alten Kehrichtliese benutzt wurde zum Stochern und Kratzen in Kehrichteimern und Abfallkisten und Müllfässern.
Er sann nach – aber er mußte sich gestehen: das hatte er wirklich seiner Tage noch nicht gehört. Es war schon richtig, das blinkende Ding hatte bessere Zeiten gesehen – gerade wie er, der Herr Michel.
Das Ding blinkte ihn fragend an: »Was bin ich nun?«
Herr Michel antwortete:»Was du bist? – Eine Waffe bist du!«
»Nein,« blinkte das Ding ganz schwermütig, »das war ich einmal. Aber heute bin ich ein Kratzeisen für Kehrichtkisten. Nur die alte Lumpenhexe will mich noch gebrauchen.«
Herr Michel wußte nicht recht warum, aber er schämte sich ein wenig. »Du kannst hier bleiben, wenn du willst,« sagte er. Aber das Ding blinkte traurig: »Nein, das geht nicht. Sie wird mich nicht hergeben, sie hat mich nötig – und ist auch lieb zu mir und gut! Und Sie haben ihr versprochen, Herr Michel, mich zurückzubringen – nach einer Woche. Das ist: morgen früh!«
Er kratzte sich hinter dem linken Ohr. Das war schon wahr, was das Ding sagte. Er hatte das wirklich fest versprochen. Und es war sehr unangenehm, wenn er einmal etwas zugesagt hatte – versprochen aus freiem Willen – dann mußte er es auch halten. Er wußte recht gut, der Herr Michel, daß all die Leute, für die er arbeiten mußte und alle die, mit denen er sonst zu tun hatte, ihm immerzu versprechen und versprachen – und doch nie etwas hielten. Das war gerade der Grund zu all seinem Elend. Sie lachten ihn einfach aus, wenn er sie an ihr Wort erinnerte – und dann versprachen sie ihm wieder was Neues – und das hielten sie auch nicht. Sie hatten ihm längst alles fortgenommen, was er besaß – und manchmal wunderte er sich bloß, daß er überhaupt noch atmen dürfe und ein wenig schlafen. Aber er, der Herr Michel, konnte gar nicht so sein, er mußte immer halten, was er versprach – so war nun einmal seine Natur.
Er seufzte sehr tief – er begriff es nicht recht, wie das alles so gekommen war.
Das Ding aber verstand gleich, was er dachte. Es blinkte: »Wissen Sie nicht? Das mußte so kommen. Und wird noch viel schlimmer kommen.«
Herr Michel erschrak: »Noch schlimmer?! – Und warum mußte es denn so kommen?«
Da lachte das Ding auf – aber es klang still und leise und gar nicht froh. »Es mußte so kommen, Herr Michel, weil Sie mich fortwarfen. Kein Mann kann leben ohne mich.«
»Ich habe dich fortgeworfen?« fragte Herr Michel.
»So schauen Sie mich doch an!« blinkte das Ding.
Da nahm es Herr Michel auf und betrachtete es ganz genau. Er schaute auf den Messinggriff und fand eine Jahreszahl – »1861«. So alt ist es schon, dachte er. Dann war es ja dabei in den sechziger Jahren und Siebzig. Später wurde diese Art abgeschafft – weil es eine neue gab, kürzer und handlicher. Aber die alte wurde doch zuweilen verwendet für die Reserveleute, die Übungen machten. Endlich aber, im großen Kriege, wurde sie wieder hervorgeholt, und viele Landwehrmänner benutzten sie. Herr Michel hatte verschiedene Seitengewehre gehabt – solche und andere – und war mit allen gut Freund geworden.
Da sah er ganz oben auf dem Knauf etwas eingekratzt. Es war ein kleiner Buchstabe – und wie er mit dem Finger drüber wischte, konnte er gut erkennen, daß es ein »M« war.
»Erkennen Sie mich nun, Herr Michel?« blinkte das Ding.
Nun erinnerte er sich. Das hatte er selbst hineingekratzt, sehr mühselig, an langen Winterabenden, im Unterstand.
»Zwei Jahre war ich mit Ihnen,« blinkte das Ding.
Herr Michel nickte. Es fiel ihm ein, wie gute Dienste ihm die Waffe geleistet hatte in all der Zeit. Ohne sie, – ah, ohne sie wäre er längst tot – einmal – nein zweimal hatte sie allein ihm das Leben gerettet.
Das war bei – – – Aber es ist gleichgültig, wo das war.
Und er dachte daran, wie es war, als das kam, was die Leute Frieden nannten. Als er nach Hause zog mit seiner Waffe, nach dem großen Zusammenbruch. Wie überall an den Bahnhöfen ihnen die Waffen abgenommen wurden, alle. Damals mochte er sich nicht gerne trennen von dem Ding; er dachte, daß er es behalten wolle als Andenken. So hatte er es versteckt in den großen Stiefel, unter der Hose.
Keiner hatte es gefunden.
Dann aber zu Hause, war es ganz anders als früher. Das, was sonst Wert hatte, darüber lachte man jetzt, und all die Motte und Gedanken, die bisher galten – die wurden für ganz dumm und schlecht erklärt. Einen kannte er, einen Schneider, der hatte eine große Fahne mitgebracht. Aber aus dem schwarzen Stück hatte er sich eine Jacke gemacht, aus dem weißen eine Hose und aus dem roten einen Unterrock für seine Frau. Alle die schönen Kanonen und Gewehre und Flugmaschinen hatten keinen Wert mehr, und man schlug sie in Stücke. Auch das Geld hatte keinen Wert mehr – es schien, als ob alles seinen Wett verloren habe.
Nur viel reden – das konnten alle, die er kannte. Er, der Herr Michel, konnte gar nicht reden, das war nicht seine Sache. Aber er hörte gut zu, und er glaubte alles, was er hörte in den vielen Reden.
Alles – und auch, daß nur eines an allem Unglück schuld sei – und das sei die Waffe. –
Wenn es die nicht gäbe und nie gegeben hätte– dann hätte es auch nie einen Krieg gegeben. Und dann wäre es eine wundervolle Welt, drin zu leben.
So hatte er denn eines Tages sein Seitengewehr genommen und zum Fenster hinausgeworfen – mitten auf die Straße. –
Seither hatte er es ganz und gar vergessen.
– Das alles brauchte er dem blinkenden Ding nicht zu erzählen – denn das verstand gut, was Herr Michel dachte, auch wenn er nicht sprach. Aber es erregte ihn doch, wie dies ganze seltsame Wiedersehen; es wurde ihm ganz weich ums Herz dabei. Am liebsten hätte er gleich ein wenig losgeheult, nur schämte er sich vor dem Ding. Doch heiß wurde ihm an den Schläfen und überall am Kopfe und seine Hände wurden feucht, wie er nun mit dem Finger den Stuhl berührte, da war es, als ob der knisterte und ganz leise Funken sprühte. Das schien Herrn Michel sehr merkwürdig; er schrak auf, und seine Hand zuckte.
»Wie geht es Ihnen eigentlich?« fragte das Ding.
Da konnte er nun ein schönes Liedchen singen. Scheußlich ginge es ihm, elend, ganz miserabel. Es sei ein Hundeleben – und eigentlich sei er schon gar kein Mensch mehr.
Das Ding blinkte: »Da haben Sie recht, Herr Michel! Ein richtiger Mensch sind Sie nun nicht mehr. Genau so wie ich keine Waffe mehr bin. Kein Mann ist mehr ein ganzer Mensch, wenn er seine Waffe fortwirft! Ich bin jetzt ein Kratzeisen für Mülleimer und Sie – Sie, Herr Michel?«
»Was bin ich denn?« stöhnte Herr Michel.
Da blinkte das Ding: »Ein Sklave, einer, der für andere schuften muß und dafür Fußtritte bekommt. Und wissen Sie – ganz recht ist Ihnen geschehen.«
Da brauste aber Herr Michel auf: »Ganz recht, sagst du? Ganz recht? Gerade darum habe ich dich fortgeworfen, weil ich die Ketten zerbrechen wollte! Gerade darum, weil ich frei sein wollte! Darum!«
Ein leises Glitzern spielte auf dem Ding, als ob es lächeln wollte: » Frei, frei ist der Mann nur, solange er die Waffe in der Hand hat!«
Der Herr Michel sagte gar nichts mehr, aber er grub seinen Kopf in seine Hände und schluchzte bitterlich und sehr, sehr lange. Dann aber plötzlich sprang er aus dem Bett und lief ans Fenster. Da sah er, daß der Mond längst fort war und daß es schon anfing zu dämmern. Er legte das Ding auf das Bett, nahm Hosen und Stiefel und zog sich an.
»Ich weiß, was ich tue!« murmelte er.
»Was denn?« fragte das Ding.
Er sagte: »Hinuntergehen! Mit ihr sprechen, der alten Lumpenhexe! Ich muß dich wieder haben und wenns mein Leben kostet!«
Das Ding blinkte: »Ist das Ihr Ernst, Herr Michel?«
Er zog die Jacke an und setzte die Mütze auf: »Ich weiß gut, daß das nicht viel wert ist! Ihr nicht und keinem. Aber mir ists immer noch was wert!« –
Und dann griff er das blinkende Ding und rannte die Treppen hinunter.
Da flüsterte das Ding: »Ihr Leben will sie nicht haben – gar nicht! Sie müssen etwas andres tun.«
»Was denn?« fragte er.
»Sie müssen sie küssen!« blinkte das Ding. »Und dann müssen Sie sie heiraten!«
»Was?« schrie der Herr Michel. »Küssen soll ich sie? Und noch obendrein heiraten? Was soll ich denn mit dem alten Abfalldrachen anfangen?«
Das Ding meinte: »Das ist das einzige Mittel – sonst gibt sie mich nicht her. Denn sie trennt sich nicht von mir – niemals! Und bilden Sie sich nur nicht etwa ein, Herr Michel, daß es dann so kommen würde wie im Märchen! Daß die alte Runzelhaut abfällt, wenn Sie ihr einen Kuß geben und plötzlich eine wunderschöne, junge Prinzessin vor Ihnen steht!!«
Das war gerade vor der Haustür, und Herr Michel blieb stehen und schnaufte und besann sich. Es war keine schöne Aussicht, die häßliche Lumpenalte zur Frau zu bekommen.
»Gibt es wirklich kein anderes Mittel?« fragte er.
»Nein,« blinkte das Ding, »gar keines!«
Herr Michel biß die Zähne aufeinander, »Nun,« flüsterte er. »Nun –! Haben muß ich dich! Und wenns denn gar nicht anders möglich ist – ich tus!«
Und damit lief er hinaus auf die Straße.
Da stand die alte Kehrichthexe gleich vorne beim ersten Abfallfaß. Sie schien ihm noch krummer und noch triefäugiger und noch älter und noch häßlicher zu sein, als das erstemal; er bekam ordentlich eine Gänsehaut.
»Bringst du das Ding zurück?« fragte die Alte.
»Ja«, sagte Herr Michel. »Aber ich möcht es gern behalten! Wollen Sies wirklich nicht verkaufen?«
»Nein,« krächzte die Lumpenhexe. »Gibs gleich her!« Und sie griff danach mit kralligen Fingern.
»Küß sie! Küß sie!« blinkte das Ding.
Da faßte sich Herr Michel ein Herz. Er hielt das Ding ganz fest in der rechten Hand und schloß beide Augen. Und dann umarmte er ganz rasch die Alte und zog sie an sich und küßte sie.
Langsam ließ er die Arme sinken. Aber er wagte es nicht, sie anzusehen. Wie er die Augen wieder öffnete, schaute er nur hinunter auf die Waffe in seiner Hand.
Die blinkte hinauf: »Schau sie nur an. Schau ihre Augen an!«
Da wagte er den Blick zu heben. Die Lumpenliese war noch genau so alt und so häßlich wie zuvor, aber er sah, daß sie nun sehr schöne, sehr große, blaue Augen hatte.
»Sag ihr, daß du sie heiraten willst!« blinkte das Ding.
»Wollen Sie mich heiraten!« fragte Herr Michel leise.
Die Alte sagte kein Wort, aber sie nickte. Ein tiefer Blick kam aus ihren blauen Augen. Ganz seltsam wurde ihm zumute – da griff er ihren Arm und stützte sie und führte sie.
»Komm, wir wollen hinaufgehen,« sagte er.
Sie anzusehen, wagte er nicht recht, so starrte er nur auf die Waffe in seiner Hand. Die blinkte und schimmerte im Morgengrauen.
Sie blinkte: »Haben Sie es nicht gemerkt, Herr Michel? – Wie Sie sie küßten, da wurden ihre Augen blau und jung und schön. Und ganz schön und ganz jung wird sie wieder werden – – –«
»Was muß ich tun?« flüsterte er.
»Sehr rostig bin ich,« blinkte das Ding. »Du mußt mich putzen, jede Nacht und jeden Tag. Und wie die Rostflecken abfallen von mir – so fällt langsam ihr Alter und ihre Häßlichkeit ab. Wenn ich rein bin und blank wie ein Sonnenstrahl – wenn der letzte Fleck abgewaschen ist – dann wieder erstrahlt sie in ihrer jungen Schönheit. – Dann sollen Sie heiraten, Herr Michel!«
Da hob er die Waffe hoch und sagte: »Ich will es tun, ich will es tun! So blank sollst du sein, daß sie sich spiegeln kann in dir!«
Er preßte die Waffe ganz fest an die Brust.
Und dann fragte er leise: »Sag doch – wie heißt sie denn?«
Da lachte das blinkende Ding: »Oh, wie dumm Sie sind, Herr Michel! daß Sie das nicht wissen! – Aber ich sags Ihnen nicht – sie wirds Ihnen selber sagen in der Hochzeitsnacht!«