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Liebe?

Meine liebe Lili,

erinnerst du dich, daß du mich einmal auslachtest, als ich dich bat, deine Füße küssen zu dürfen! Da sagtest du mir: »Geh, Hanns, du mußt auch immer was Besonderes haben!«

Nun hab ich wieder mal was Besonderes gehabt – und das will ich dir erzählen.

Im Sommer, weißt du, war ich in Wiesbaden. Dort lernte ich Palomita kennen; auch du kennst sie ja aus meinen Liedern.

Sie war das Kind deutscher Eltern aus Buenos Ayres, war nach Deutschland gekommen, ihre Verwandten zu besuchen. Ihr Vetter war Landrichter in Wiesbaden, dort traf ich sie. Achtzehn Jahre war sie und war schlank und blond – so blond, wie du bist, Lili.

Eines Tages trug ich Blumen zu der Frau Landrichter. Palomita war dort; sie trug ein helles, langschleppendes Morgenkleid, mit bunten Blumen gemustert. Frau Klara ließ Sekt bringen, und wir tranken und futterten Erdbeeren und rauchten Zigaretten. Frau Klara schwatzte und lachte, sie huschte herum, saß am Flügel, blickte durchs Fenster – o so geschäftig und lebhaft! Aber Palomita rührte sich nicht, sprach kaum ein Wort. Sie hatte die Füßchen auf die Chaiselongue heraufgezogen, da saß sie, stippte ein Cake in das spitze Glas und sah mich groß an mit den blauen Augen. Als Frau Klara hinausging auf einen Augenblick, ging ich zu Palomita, nahm ihre Hände und küßte sie. – Sie ließ mich ruhig gewähren.

Ich weiß nicht mehr, wann es uns zum Bewußtsein kam, daß wir zwei uns lieb hatten. – Jeden Nachmittag gegen vier Uhr ging ich zu ihr. Dann war der Landrichter weg, aufs Gericht, von da ging er stets zum Abendschoppen. So waren wir ungestört bis gegen acht. – Erst tranken wir Tee zu dreien; dann ging Frau Klara aus, ließ uns allein.

Und immer dieselbe Phrase: »Entschuldigt mich – aber ich muß wirklich zur Schneiderin!« – »verzeiht, Kinder, heut muß ich die Probebilder vom Photographen holen«–ich weiß nicht, was sie alles holen mußte – ein leichtes Lächeln, dann war sie zur Türe hinaus.

Meist standen wir am Fenster und nickten ihr noch einmal zu.

»Seid artig, Kinder,« rief sie, »Mama kommt gleich wieder!«

Aber sie kam nie vor acht Uhr.

– Wir sprachen so wenig, Palomita und ich. Sie war so faul und langsam in jeder Bewegung, diese deutsche Südländerin, aber ihre Faulheit hatte etwas Göttliches, Souveränes. Oft kniete sie vor mir, stützte ihre Ellenbogen auf meine Knie, starrte mich an; dann streichelte ich ihre Wangen oder las ihr meine Lieder vor.

Oder sie saß am Klavier und spielte. Ein weiches, duftendes, zitterndes Spielen. – Dann kauerte ich an ihrer Seite.– Nahm auch wohl ihren Fuß, zog Schuh aus und Strumpf und bedeckte den süßen, weißen Fuß mit glühenden Küssen.

Sie fand das ganz natürlich, fand gar nichts »Besonderes« dabei, wie du, Lili!

– Wir beide liebten uns ja, Palomita und ich! Und ihre junge, entzückende, erste Liebe schläferte mich ein, ließ mich alles da draußen vergessen, in diesem roten Paradies, dessen schwere türkische Vorhänge kaum einen kleinen Sonnenstrahl einließen.

Das war das Glück, das mich wieder lachend in seine Arme schloß. Ich schrieb dir nichts davon, Lili?! – Hab ich dir jemals geschrieben, wenn ich glücklich war? –

Aber meinem Spezi erzählte ich davon, weißt du, dem hübschen, kleinen Charles. Einem mußte ich's sagen! Ich nahm ihn auch einmal mit in die Schloßstraße. Da stießen wir vier an. Frau Klara, Charles und wir beide – auf unsere Liebe! Und Palomita legte ihren Arm um meinen Hals:

»O mein Hanns, wie ich dich lieb habe!«

– – Nur zwei Monate – dann mußte sie zurück übers Wasser. Und so bewog sie ihre Kusine, daß sie nichts »mitzumachen« brauchte, keine Tennispartie, kein Wettrennen, weder Konzerte noch Theater. Sie blieb zu Hause, – allein – –

Der Landrichter wunderte sich; meinte wohl schließlich, sie habe wohl eine unglückliche Liebe.

Aber sie hatte eine glückliche.

– So ging ich wieder einmal hinauf, am 18. Juni war es. Frau Klara war schon fort und Palomita lag, wie gewöhnlich, lang gestreckt auf dem Sofa. Wir sagten uns guten Tag, küßten uns. Plötzlich, wie meine Hand über ihre Schläfen fuhr, seufzte sie; sie schien einzuschlafen. Ich strich ihr noch ein paarmal über die Stirne – wirklich sie schlief. Seit mehr als zwei Jahren hatte ich nicht mehr hypnotisiert, seit München nicht. Du erinnerst dich, Lili, dort war es ja unser tägliches Spiel!

Palomita schlief. Leise löste ich ihre Haare, grub meinen Kopf ein in die weichen Locken meiner blonden Herrin –

Dann schellte es. Frau Klara kam zurück, sie blieb heute bei uns. Und nun hypnotisierte ich Palomita wieder und wieder; sie war ein prachtvolles Medium. Jeden Befehl führte sie sofort aus, deklamierte, sang, spielte – wir hätten so auf die Bühne gehen können. Frau Klara war begeistert – –

Den folgenden Tag kam ich wieder; und als wir allein waren – ein leichter Druck der Hand – »Schlafe Liebchen!« und sie lehnte sich zurück, schlummerte. Es war mir ein unbekanntes, unbeschreiblich süßes Gefühl, sie so schlafend in meinen Armen zu wissen.

Atemlos, unbeweglich lag sie da. Ich küßte ihre Locken, ihre Augen, den Mund, die Hände. Und dann – o ich wußte kaum, was ich tat – riß ich ihr Kleid auf und bedeckte mit Küssen ihre weißen Brüste.

Und jeden Tag nun ließ ich sie einschlafen; wenn wir eben allein waren, jeden Tag.

Am 24. Juni glühte die Sonne am Himmel, o sie glühte. Und an dem Tage jagte und pulste mein Blut, wie es nie getan. Ich kam zu Palomita. Frau Klara ging, und sie schlief in meinen Armen. Da geschah es. Ich zog sie aus, Röcke und Hemd, alles nahm ich ihr weg. Sie rührte sich nicht. Und dann nahm ich ihre süße Unschuld –

Sie wehrte sich nicht, ihre Augen blieben geschlossen. Nur ein kleiner Schrei drang aus ihren Lippen. Ein Schrei, wie ihn das Reh ausstieß, das meine Kugel einst traf im Kottenforste.

Seitdem habe ich Palomita kaum mehr wachend gesehen; war ich bei ihr, schläferte ich sie ein. Ein paar Tage später befahl ich ihr:

»Hörst du mich, Liebchen! Ich will, daß du heut nacht mich zu dir läßt. Du sollst trachten, den Hausschlüssel zu bekommen, ehe du auf dein Zimmer gehst. Hörst du? – Heute nacht um zwölf Uhr nimmst du den Schlüssel, bindest ihn an eine lange Schnur, die läßt du zum Fenster hinaushängen. Du wirst deine Türe nicht verschließen. Du wirst Licht brennen lassen, damit ich sehe, daß du mich erwartest. Hörst du, was ich dir befehle? – Du wirst – das – alles – tun!«

Palomita zitterte, ihr nackter Leib bebte in meinen Armen.

»Hast du mich gehört? – wirst du das tun?«

Ihr »Ja!« klang widerwillig gezwungen.

Aber ich achtete nicht darauf. – Um zwölf Uhr eilte ich die Schloßstraße hinauf. Ich sah nach oben – ihre Fenster waren erleuchtet. Ich kletterte über das Gitter, sprang durch den Vorgarten. Von ihrem Zimmer hinab hing der Schlüssel. Ich riß die Leine herunter, öffnete die Haustür, eilte die Treppen hinauf bis zum zweiten Stock. Ihre Türe war nicht verschlossen; sie saß halb angekleidet auf dem Bette.

Ihr Blick war seltsam, erschreckt und ungläubig. Sie schien zu glauben, daß sie träume mit offenen Augen.

Und wohl um den Traum festzuhalten, schloß sie die Augen. Rasch sprang ich auf sie zu, ein Wort, ein Hauch: sie schlief.

Ich aber hielt sie in meinen Armen, die ganze herrliche Nacht über.

Und die nächste Nacht und die übernächste – elf wunderbare, märchenschöne Nächte – – –

Am 10. August sollte sie abreisen. Sie sollte in Baden-Baden Onkel und Tante treffen, die auch zurückfuhren. Dann nach Genua und von dort in die Heimat mit der »Alster«. – Sie wollte nicht, daß ich mitfuhr nach Baden-Baden, wo sie noch zwei Tage bleiben sollte. So bat ich sie, flehte sie an, von dort noch einmal zurückzukommen, auf einen Tag nur, auf ein paar Stunden. Schließlich befahl ich es ihr in der Hypnose. Sie versprach es.

– Oh, ich fürchtete mich so vor ihrer Abreise. Dann war ich allein, mit mir selbst, mit meinen – entsetzlichen Gedanken!

Bis sieben Uhr morgens war ich bei ihr. Dann eilte ich nach Hause, badete, kleidete mich um. Um neun Uhr fuhr sie, ich brachte ihr Blumen zum Bahnhof.

»Auf Wiedersehn morgen abend!« rief sie.

Dann war sie fort. Ich verabschiedete mich von dem Landrichter und seiner Frau, schlenderte durch die Straßen.

Und nun gleich fing es an. Es kletterte mir die Brust hinauf, schnürte mir die Kehle zu. Es krampfte sich mit glühenden Fingern in meinem Hirn und ließ mir die Augen in den Höhlen brennen. Es quälte, marterte mich unglaublich.

»Mein Gott! mein Gott!«

Ich versuchte mich zu beruhigen. – »Pah – du – und Gewissen!«

Aber es ging nicht.

Ich mußte jemand haben, der mich vor mir selbst in Schutz nahm. Ich sprang in die nächste Droschke, fuhr zu Charles.

Der Spezi war zu Hause, Gott sei Dank! – Er lag noch im Bett; ich setzte mich auf die Kante.

»Nun, Junge,« rief er mich an, »du siehst ja gottsjämmerlich aus! Was ist denn los?«

»Werd dir's schon sagen, Spezi, laß mich nur! – Du weißt doch, daß ich sie liebe?«

»Wen denn?«

»Schafskopf! –Palomita!«

»Hm – ja, – es scheint so!«

»Und du weißt auch, daß sie mich liebt!«

»Hm – ja – schon möglich!«

Und nun erzählte ich ihm alles, alles, keinen kleinen Punkt verschwieg ich ihm. Sagte, wie ich sie hypnotisierte; wie ich sie im Schlafe verführte; wie ich Nacht für Nacht bei ihr gewesen.

Als ich zu Ende war, stierte ich ihn an. Es war mir, als müßte mir von ihm mein Urteilsspruch kommen.

Er räusperte sich. Dann – langsam –: »Darauf steht – Zuchthaus!«

»Pah – Zuchthaus– das schert mich den Teufel! Aber eins hast du vergessen, Spezi, ich tat das alles, und ich – liebe sie! Und deshalb steht darauf – für mich – Wahnsinn!«

– Dann sprang ich auf, aus dem Zimmer, nach Hause! Und nun verlebte ich ein paar Stunden, o Lili, so fürchterlich, so entsetzlich – – – – weißt du, Lili, ich lernte da kennen, wie dem Mörder zumute ist, wenn ihm zum Bewußtsein kommt, was er getan!

Um zwei Uhr kam Charles. Ich bemerkte ihn erst, als er mir die Hände auf die Schultern legte.

»Komm mit,« sagte er, »wir wollen ausfahren.«

Er schleppte mich förmlich hinaus. Den Nachmittag nahm er mich aufs Land, den Abend irgendwo ins Tingeltangel, dann in die Kneipe.

Kein Wort sprach er »davon«.

Er brachte mich nach Hause, blieb, bis ich zu Bett ging. Dann gab er mir ein starkes Schlafpulver. Ging erst, als ich schon eingeschlafen.

Als ich aufwachte, saß er auf meinem Bett.

»Endlich,« rief er, »ich warte schon eine geschlagene Stunde, ob du aufwachen willst! Höre,« fuhr er fort, »ich hab mir die Geschichte überlegt, für dich gibt's nur ein Mittel! Heute abend kommt sie zurück, sagst du! – Also gehe hin und sage ihr alles!«

Ich bebte zurück vor diesem Gedanken. Aber ich fühlte, daß er recht hatte.

»Willst du es tun?« fragte er.

Ich versprach es ihm.

– Um sechs Uhr war ich in der Schloßstraße; sie war schon zurück und empfing mich mit heißen, glühenden Küssen; kaum konnte ich mich losmachen aus ihren Umarmungen.

»Palomita, laß mich, ich muß dir was sagen!«

»So sprich!«

Aber es ging nicht. Ich lief wie verrückt im Zimmer herum, ich konnte es nicht sagen, konnte nicht. Meine Hände zitterten, wühlten in den Taschen herum. Auf dem Schreibtisch lag ein Brief, ich nahm ihn, riß ihn in viele Fetzen, steckte sie in die Tasche. Nahm Bleistifte, Federhalter – brach alles in kleine Stücke.

Palomita trat zu mir:

»Mein lieber Junge!«

Die Tränen stürzten mir aus den Augen, sie küßte sie von der Wange weg, einzeln, Träne für Träne. Als sie auch meinen Mund küssen wollte, stieß ich sie weg.

»Laß mich, du weißt nicht, wen du küßt! – Laß mich – ich will dir's sagen – – alles!«

Und ich erzählte ihr, was ich getan, mit zusammengebissenen Lippen, die Augen auf dem Boden.

Ich war fertig, aber ich wagte nicht, sie anzusehen.

Schließlich hob ich doch den Blick –

Und da sah ich auf ihren Lippen ein Lächeln, so seltsam, so wunderlich – – oh, ein Lächeln – so teuflisch – so kokottenhaft – – –

Keine Sekunde blieb ich im Zimmer. Sie rief mir nach: »Hanns! Liebster! Hanns!« aber ich achtete es kaum.

Zu Hause erwartete mich Charles.

»Nun?« fragte er.

»Ich tat alles, wie du gewollt, sagte ihr alles, alles! Als ich zu Ende war – – – lächelte sie!«

»Und –?«

»Sie lächelte, sag ich dir! – Und in diesem Lächeln sagte sie mir, daß sie alles gewußt, daß sie mich betrogen, so infam belogen und betrogen, wie nie ein Weib einen Mann betrogen hat!«

Ich ballte die Fäuste in den Taschen ... – Da zog ich einen Papierfetzen heraus; las darauf ihre Schrift. – Ich setzte mich hin und legte sorgfältig die Fetzen zusammen, Kuvert und Bogen.

Es war ein Brief Palomitas an Frau Klara, den sie von Baden-Baden gestern abend geschrieben.

»Du sollst mitlesen, Spezi.«

Wir lasen:

Liebes Klärchen,

ich muß Dir rasch eine freudige Mitteilung machen. Es ist endlich da! Als ich heute morgen Tante und Onkel eben begrüßt hatte und so rasch die Treppen hinauflief, fühlte ich plötzlich einen heftigen Schmerz. Auf meinem Zimmer bemerkte ich, daß ich ganz voll Blut war. So sind die Befürchtungen der letzten acht Tage gottlob unnütz gewesen! – Hoffentlich wird heute morgen dein Mann nichts gemerkt haben; Hanns ging erst um sieben Uhr fort und dabei knarrte, die eine Treppenstufe noch so gräßlich!

Wenn ich jetzt weggehe, Klärchen, so behalte mich nicht in zu schlechtem Andenken. Du hast mir ja so treu geholfen, wenn du mich auch oft genug ausschimpftest, Klärchen! Sieh, ich war ja bodenlos leichtsinnig und habe mein Mädchentum und meine Jugend verschenkt für das kurze Glück weniger Wochen! Aber ich liebte ihn doch so grenzenlos, so unaussprechlich! – Sei nicht allzu böse, liebes Klärchen!

Bis morgen abend

Deine Palomita.

P. S. Wenn Du Hanns siehst, so küsse seine lieben Augen!

»Sie hat dich sehr geliebt!« sagte der Spezi.

Ich weiß nicht, was ich sagte.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Leb wohl, Lili!


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