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Petit-Goaves (Haiti), 16. August 1906.
Lieber Herr!
Also halte ich mein Versprechen; ich werde alles schreiben, wie Sie es wünschen, von Anfang an. Machen Sie damit, was Sie wollen, nur verschweigen Sie meinen Namen um meiner Verwandten in Deutschland willen. Ich möchte ihnen einen neuen Skandal ersparen; der andere ist ihnen schon übel genug an die Nerven gegangen.
Hier haben Sie zuerst, auf Ihren Wunsch, meine ganze bescheidene Lebensgeschichte. Ich kam mit zwanzig Jahren herüber, als junger Mann, in ein deutsches Geschäft in Jérémie; Sie wissen ja, daß die Deutschen in diesem Lande fast den ganzen Handel in ihren Händen haben. Das Gehalt verlockte mich – 150 Dollars im Monat –, ich sah mich schon als Millionär. Na, ich machte die Karriere von allen jungen Leuten, die in dies schönste und verdorbenste Land der Erde kommen: Pferde, Weiber, Saufen und Spielen. Nur wenige reißen sich da heraus und auch mich rettete nur meine besonders kräftige Konstitution. An Vorankommen war nicht zu denken; im deutschen Spital zu Port-au-Prince habe ich halbe Jahre herumgelegen. – Einmal machte ich ein vorzügliches Geschäft mit der Regierung, drüben würden sie's freilich einen unerhört frechen Betrug nennen. Da hätten sie mich dafür drei Jahre ins Zuchthaus gesteckt, hier stieg ich zu hohen Ehren. Ueberhaupt, wenn ich für all das, was hier jeder Mensch macht, und das sie drüben Verbrechen zu nennen belieben, die festgesetzten Strafen des R. St. G. B. bekommen hätte, so müßte ich wenigstens 500 Jahre alt werden, um aus dem Zuchthaus wieder heraus zu kommen! Aber ich will sie gerne abbrummen, wenn Sie mir einen Menschen meines Alters hier im Lande bezeichnen können, dessen Konto ein kleineres wäre! Freilich müßte auch bei Ihnen ein moderner Richter uns stets allesamt freisprechen, denn es fehlt uns durchaus das Bewußtsein der Strafbarkeit unserer Handlungen: im Gegenteil, wir halten diese Handlungen für ganz und gar erlaubt und höchst honett.
Also gut, ich legte mit dem Bau der Mole zu Port-de-Paix – von der natürlich nicht ein Stein gebaut wurde – den Grundstein zu meinem Vermögen; ich teilte mich mit ein paar Ministern in den Raub. Heute habe ich eines der blühendsten Geschäfte auf der Insel und bin ein schwer reicher Mann. Ich handle – oder schwindle, wie Sie sagen – mit allem, was es überhaupt gibt, wohne in meiner schönen Villa, spaziere in meinen herrlichen Gärten und trinke mit den Offizieren der Hapagsschiffe, wenn sie unsern Hafen anlaufen. Ich habe Gott sei Dank weder Weib noch Kind – – Sie freilich mögen die Mulattenrangen, die in meinen Höfen herumlaufen, als meine Kinder ansehen, bloß weil ich sie gezeugt habe – der Herr erhalte Ihnen Ihre Moral! – Ich tu's nicht. Kurz, ich fühle mich außerordentlich wohl.
Jahrelang hatte ich freilich ein elendes Heimweh. Vierzig Jahre war ich von Deutschland fort gewesen – Sie verstehen. Ich nahm mir vor, meinen ganzen Kram schlecht und recht loszuschlagen und meine alten Tage in der Heimat zu verbringen. Als ich mich dazu entschlossen hatte, wurde die Sehnsucht plötzlich so stark, daß ich die Abfahrt gar nicht mehr erwarten konnte; ich verschob also den endgültigen Abbruch meines Geschäftes und fuhr Hals über Kopf mit einem tüchtigen Batzen Geld im Sack vorläufig zu einem halbjährigen Besuche herüber.
Na, drei Wochen bin ich dort gewesen, und hätte ich einen Tag noch gezögert, so würde mich der Staatsanwalt gleich auf fünf Jahre dabehalten haben. Das war der Skandal, auf den ich eben anspielte, » Ein neuer Fall Sternberg« schrieb man in den Berliner Blättern, und meine hochanständige Familie sah darunter fett ihren ehrenwerten Namen gedruckt. Ich werde nie die letzte Unterredung mit meinem Bruder vergessen – der arme Mensch ist Oberkonsistorialrat. Das Gesicht, das er machte, als ich ihm ganz harmlos versicherte, daß die Mädchen wenigstens 11 oder gar 12 Jahre alt gewesen seien! Je mehr ich mich vor ihm reinzuwaschen suchte, um so mehr rannte ich mich herein. Als ich ihm sagte, daß es doch wirklich nicht so schlimm sei, und daß wir hierzulande alle mit Vorliebe Mädchen von acht Jahren nehmen, da wir sonst fast nur kranke und Jungfrauen überhaupt nicht mehr bekämen – griff er sich an die Stirne und sagte: »Schweige, unglückseliger Bruder, schweige! Mein Auge blickt in einen Pfuhl ruchloser Fäulnis!« – Drei Jahre hat er mir gegrollt, und nur dadurch habe ich seine Versöhnung wiedererlangt, daß ich jedes seiner elf Kinder mit 50000 Mark im Testament bedacht habe und ihm außerdem einen sehr anständigen Monatszuschuß für seine Söhne sende. Dafür schließt er mich allsonntäglich in sein Gebet ein. Wenn ich ihm schreibe, verfehle ich nie, ihm mitzuteilen, daß wieder eine junge Dame meines Ortes in das passende Alter von acht Jahren getreten sei und sich meiner Gunst erfreut habe. Er möge für mich alten Sünder beten. Hoffentlich nutzt das! Einmal schrieb er mir, er habe stets mit seinem Gewissen gekämpft, ob er das Geld eines so unverbesserlichen Menschen annehmen dürfe, oftmals sei er nahe daran gewesen, es zurückzuweisen; nur die Rücksicht und das christliche Mitleid für seinen einzigen Bruder habe ihn immer wieder veranlaßt, das Geld zu nehmen. Nun aber sei es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen gefallen, und jetzt wisse er: daß ich immer nur gescherzt habe. Denn ich sei ja jetzt 69 Jahre alt und daher zu solchen Schandtaten gottlob nicht mehr fähig. Aber er bäte mich recht sehr, auch diese frivolen Scherze in Zukunft zu unterlassen.
Ich antwortete ihm – die Kopie, die ich als guter Kaufmann aufbewahrt habe – will ich hierher setzen:
»Mein lieber Bruder!
Dein Brief hat mich sehr in meiner Ehre gekränkt. Ich sende Dir beifolgend ein Paket mit Rinde und Blättern des Toluwangabaumes, die mir allwöchentlich ein alter Nigger besorgt. Der Kerl behauptet 160 Jahre alt zu sein – na, 110 ist er wenigstens. Dabei ist er – dank des ausgezeichneten Absudes aus dieser Rinde – der größte Don Juan unserer ganzen Gegend, neben Deinem lieben Bruder. Letzterer ist übrigens seiner Sache von Natur aus noch recht sicher und bedient sich nur in außergewöhnlichen Fällen des köstlichen Trankes. Deshalb kann ich Dir ruhig einiges von meinem Reichtum abgeben und garantiere für prompte Wirkung. Uebermorgen, zur Feier Deines Geburtstages, will ich ein kleines Gelage veranstalten und zu diesem Ehrentage zwei siebenjährige Nüßlein knacken, wie das bei uns zur Erhöhung der Freude eines Festtages üblich ist. Dabei will ich auf Dein Wohl trinken!
Einliegend zum nahen Weihnachtfest einen kleinen Extrascheck über 3000 Mk. (dreitausend Mark). Mit herzlichen Grüßen für Dich und all die Deinen
Dein treuer Bruder.
P.S. Ich bitte mir mitzuteilen, ob Du auch Weihnachten in Deinem Gebete meiner gedacht hast.
D.O.«
Wahrscheinlich hat mein guter Bruder auch diesmal wieder schwer mit seinem Gewissen zu kämpfen gehabt, aber schließlich hat dann das christliche Mitleid mit mir armem Sünder in seinem guten Herzen doch gesiegt, wenigstens hat er den Scheck behalten.
Ich wüßte wirklich nicht, was ich Ihnen sonst noch von meinem Leben mitteilen sollte, lieber Herr. Ich könnte Ihnen hundert kleine Abenteuer und Scherze erzählen, aber sie werden alle derselben Art sein, wie Sie sie auf Ihren Streifzügen durch unser Land von allen Weißen überall gehört haben. Beim Durchlesen dieses Schreibens fällt mir auf, daß drei Vierteile des Briefes, der doch ein » curriculum vitae« sein sollte, auf das Thema »Weib« fallen – na, das ist gewiß charakteristisch für den Schreiber. Uebrigens: was hätte ich Interessantes sagen sollen über meine Gäule, über meine Waren und meine Weine! Und dem Poker bin ich untreu geworden; in meinem Ort bin ich der einzige Weiße, außer dem Hapagagenten, und der spielt ebensowenig wie die Offiziere seiner Linie, die mich gelegentlich besuchen.
Bleibt das Weib – was wollen Sie!
So, nun werde ich diesen Brief in das Heft legen, in das die merkwürdigen Aufzeichnungen kommen sollen, die Sie von mir wünschen und von denen ich selbst noch keine leise Ahnung habe. Wer weiß also, wann Sie den Brief erhalten – und – vielleicht mit einem ganz leeren Hefte!
Ich grüße Sie, lieber Herr, und bin
Ihr ergebener
F.X.
Diesem Briefe folgten anschließend folgende Aufzeichnungen:
18. August.
Wie ich dies leere Heft aufschlage, habe ich das Gefühl, als trete etwas Neues in mein Leben. Was denn? Der junge Doktor, der mich drei Tage besuchte, hat mir das Versprechen abgenommen, ein Geheimnis zu erforschen und ein seltsames Abenteuer anzufangen. Ein Geheimnis, das vielleicht gar nicht existiert, und ein Abenteuer, das nur in seiner Phantasie lebt! Und ich habe ihm das so leichthin versprochen – – ich denke, er wird recht enttäuscht sein.
Freilich, er hat mich verblüfft. Fünf Monate streift er in diesem Lande herum und kennt es viel besser als ich, der ich nun fünfzig Jahre hier hause. Tausend Dinge hat er mir erzählt, die ich nie vernommen, oder die ich wohl einmal gehört, aber stets ungläubig beiseite geschoben habe. Wahrscheinlich hätte ich es auch mit seinen Erzählungen so gemacht, wenn er nicht aus mir selbst durch Fragen alles mögliche herausgeholt hätte, über das ich nie recht klar geworden bin und das mir nun in einem ganz anderen Lichte erscheint. Und doch würde ich das alles bald genug vergessen haben, wenn nicht der kleine Vorfall mit Adelaide gewesen wäre.
Wie war es doch! Das Negermädchen – sie ist die schönste und kräftigste von meinen Dienerinnen und eigentlich meine Favoritin, seitdem sie im Hause ist – deckte uns den Teetisch. Der Doktor unterbrach plötzlich das Gespräch und sah sie aufmerksam an. Als sie hinausging, fragte er mich, ob ich den kleinen Silberreif mit dem schwarzen Steine am Daumen ihrer rechten Hand bemerkt habe. Ich hatte den Ring tausendmal gesehen, aber nie darauf geachtet. Ob ich bei einer anderen schon einmal einen solchen Ring gesehen habe! Nun, das sei möglich, freilich erinnere ich mich nicht. Er schüttelte nachdenklich den Kopf.
Als das Mädchen wieder auf die Veranda kam, um den Tee zu servieren, sang der Doktor, ohne sie anzusehen, halblaut ein paar Töne. Eine absurde Melodie mit blöden Niggerworten, die ich nicht verstand:
Leh! Eh! Bomba, hen, hen!
Cango bafio tè
Cango moune dè lé
Cango do ki la
Cango li!
Krach! Das Teebrett lag auf den Steinen, die Kanne und Tassen in Scherben. Mit einem Schrei rannte das Mädchen ins Haus. Der Doktor sah ihr nach, dann lachte er und sagte:
»Ich gebe Ihnen mein Wort: sie ist eine Mamaloi!«
Wir plauderten bis Mitternacht, bis die Dampfpfeife ihn auf das abfahrende Schiff zurückrief. Als ich ihn in meinem Boot an Bord brachte, hatte er mich beinahe überzeugt, daß ich wie ein Blinder in einer höchst wunderbaren Schreckenswelt lebe, von deren Existenz ich bisher keine Ahnung hatte.
Nun, ich habe Augen und Ohren geschärft. – Bisher ist mir noch gar nichts Sonderbares aufgefallen. Ich bin sehr neugierig auf die Bücher, die mir der Doktor von New York aus senden will; übrigens will ich ihm gerne zugeben, daß es ein Skandal ist, daß ich in all der Zeit noch nicht ein einziges Werk über dies Land gelesen habe. Immerhin – ich wußte ja gar nicht, daß es solche Bücher gäbe – ich habe nie bei einem Bekannten eines gesehen.
* * *
27. August.
Adelaide ist wieder einmal für acht Tage fort, zu ihren Eltern ins Innere. Sie ist eigentlich das einzige Negermädchen, bei dem ich je eine so große Liebe zu ihrer Familie bemerkt habe; ich glaube, sie würde weglaufen, wenn ich ihr nicht den Urlaub bewilligte. Tagelang vorher ist sie dann ganz närrisch und wenn sie zurückkehrt, hat sie der Trennungsschmerz jedesmal so angegriffen, daß sie mir schon während der Arbeit zusammengefallen ist. Man denke: ein Negermädchen! Uebrigens habe ich während ihrer Abwesenheit in ihrem Zimmer Haussuchung gehalten; ganz rationell, ich habe mir zu dem Zwecke vorher das betreffende Kapitel in einem Detektivroman durchgelesen. Ich habe gar nichts Verdächtiges, aber auch nicht das allergeringste, gefunden. Die einzige ihrer Habseligkeiten, deren Bedeutung mir nicht sofort klar war, war ein schwarzer länglich runder Stein, der auf einem Teller in Oel lag. Ich denke mir, sie wird ihn zum Massieren gebrauchen, alle diese Mädchen massieren sich ja.
* * *
4. September.
Die Bücher sind aus New York angekommen; ich will mich gleich an die Lektüre machen. Es sind drei deutsche, drei englische und fünf französische Werke, zum Teil illustriert. Adelaide ist zurückgekommen, sie ist so elend, daß sie sich gleich zu Bett legen mußte. Na, ich kenne das, in ein paar Tagen ist sie wieder kreuzfidel.
* * *
17. September.
Wenn nur der zehnte Teil von dem wahr ist, was in diesen Büchern steht, so verlohnt es sich allerdings, dem Geheimnis nachzugehen, das der Doktor in meiner nächsten Nähe vermutet. Aber diese Reisenden wollen sich interessant machen daheim, und dann schreibt immer der eine von dem andern den größten Blödsinn ab. Bin ich denn wirklich ein solch blinder Esel, daß ich von dem ganzen Vaudouxkult mit seiner Schlangenanbetung und seinen Tausenden von Menschenopfern jahraus jahrein kaum etwas bemerkt haben sollte! Einzelne Kleinigkeiten sind mir ja aufgefallen, ich habe sie nie beachtet. Ich will versuchen, aus meiner Erinnerung das herauszusuchen, was etwa mit dem Vaudouxkult in Zusammenhang zu bringen wäre.
Einmal weigerte sich meine alte Haushälterin, – ich wohnte damals in Gonaives – auf dem Markte Schweinefleisch einzukaufen. Es könnte Menschenfleisch sein, behauptete sie. Ich lachte sie aus und hielt ihr vor, daß sie doch das ganze Jahr über Schweinefleisch einkaufe. »Ja, aber nie zur Osterzeit!« – Sie ließ sich von ihrer fixen Idee nicht abbringen, und ich mußte eine andere auf den Markt schicken. Ich habe auch oft diese Caprelatas gesehen – Hougons nennt man sie in unserer Gegend – gebrechliche Greise, die »Wanges« verkaufen. Das sind kleine Säckchen mit Muscheln und bunten Steinchen, die als Amulette getragen werden. Sie unterscheiden zwei Sorten, die »Points«, die unverwundbar machen, für Männer, und die »Chances«, für Frauen, die den Besitz des nackten Geliebten sichern. Aber ich habe nie gewußt, daß diese Schwindler – nein, diese Kaufleute – eine Art niederer Priester des Vaudouxkult seien. Ebensowenig habe ich damit in Verbindung gebracht, daß so viele Speisen für manche Neger Tabu sind; so rührt zum Beispiel Adelaide weder Tomaten noch Auberginen an, sie ißt kein Ziegen- und kein Schildkrötenfleisch. Dagegen hat sie oft gesagt, daß Bockfleisch gesegnet sei und auch das »Maiskassan«, ihr geliebtes Maisbrot. Ich weiß auch, daß die Zwillinge überall mit Jubel begrüßt werden; dann feiert die Familie ein Fest, wenn eine Frau, oder gar eine Eselin »Marassas« bekommen hat.
Aber, du lieber Gott, die Geschichte mit dem Menschenfleisch auf dem Markt ist gewiß eine Fabel und die andern Sachen erscheinen mir alle ungeheuer harmlos. Kleiner Aberglauben – – in welchem Lande der Welt fände man nicht Aehnliches!
* * *
19. September.
Was Adelaide betrifft, so scheint der Doktor wirklich recht zu haben, wenn eben seine Weisheit nicht auch allzusehr aus den Büchern geschöpft ist. Einen solchen Ring erwähnt der Engländer Spencer St. John; ihn soll die »Mamaloi«, die Priesterin des Vaudoux, tragen. Uebrigens muß ich sagen, daß in dieser Bezeichnung und in der analogen des Oberpriesters mehr Geschmack steckt, als ich diesen Niggern zugetraut habe: »Papaloi«, »Mamaloi« – das »loi« steht in ihrem korrumpierten Französisch natürlich für »roi« – kann man sich einen schönern Titel denken? Mutter und Königin – Vater und König, das klingt doch besser wie Oberkonsistorialrat, wie mein gottesfürchtiger Herr Bruder sich betitelt?! – Auch ihren Stein, von dem ich annahm, daß er zum Massieren diene, habe ich in den Büchern gefunden, sowohl Tippenhauer wie Moreau de St. Méry kennen ihn. Fabelhaft, ich habe einen leibhaftigen Gott in meiner Villa, der Kerl heißt Damtala! Ich habe mir das Ding in ihrer Abwesenheit noch einmal genau betrachtet, die Beschreibung stimmt durchaus. Es ist zweifellos ein altes, vorzüglich geschliffenes Steinbeil aus der Karaibenzeit. Die Neger finden solche im Walde, können sich ihren Ursprung nicht erklären und halten sie für göttlich. Sie legen ihn auf einen Teller; er kennt die Zukunft und spricht durch Klappern. Um ihn bei guter Laune zu erhalten, erhält er alle Freitage ein Bad in Olivenöl. Ich finde das ganz köstlich und meine Geheimpriesterin gefällt mir alle Tage besser. Freilich, Geheimnisse sind schon zu erforschen, da hat der Doktor recht – – aber etwas Schauriges ist nicht dabei!
* * *
23. September.
Jetzt in meinem siebzigsten Lebensjahre muß ich einsehen, wie gut es ist, sich auf allen Gebieten zu bilden! Nie würde ich die köstliche Geschichte von gestern erlebt haben, wenn ich nicht in den Büchern studiert hätte!
Ich trank meinen Tee auf der Veranda und rief nach Adelaide, die den Zucker vergessen hatte. Sie kam nicht. Ich ging in mein Zimmer, in die Küche, sie war nicht dort, auch die andern Mädchen nicht; den Zucker konnte ich auch nicht finden. Wie ich über den Flur ging, hörte ich ein halblautes Sprechen in ihrem Zimmer. Ich eilte also in den Garten – der Raum liegt zu ebener Erde – und schaute hinein. Da saß meine hübsche, schwarze Priesterin, wischte mit ihrem besten seidenen Tuche den Stein ab, legte ihn auf den Teller und goß vorsichtig frisches Oel darüber. Sie war sehr erregt, die Augen standen ihr voll Tränen. Vorsichtig nahm sie den Teller zwischen zwei Fingerspitzen und streckte den Arm aus. Das dauerte eine Weile, dann begann ihr Arm zu zittern, leise erst, dann immer stärker. Und natürlich klapperte der Stein. Adelaide sprach mit ihm, leider konnte ich nichts verstehen.
Aber ich habe es herausgebracht, fein, der Doktor kann mit mir zufrieden sein. Ich auch, denn im Grunde ist die Sache nur schmeichelhaft für mich, Also am Abend nach dem Essen ging ich in ihr Zimmer, nahm den Klapperstein und setzte mich in meinen Lehnstuhl. Als sie hineinkam, um den Tisch abzuräumen, legte ich schnell die Zeitung weg, nahm den Teller zur Hand und goß frisches Oel auf den Stein. Der Effekt war großartig, sie ließ, bums! das Tablett fallen, das scheint ihre Spezialität zu sein in solchen Augenblicken. Gott sei Dank war es leer diesmal. Ich winkte ihr, still zu sein und sagte ruhig: »Freitag! Er muß heute ein frisches Bad haben!« – »Sie wollen ihn fragen!« flüsterte sie. »Natürlich!« – »Ueber mich?« – »Gewiß!« – Das kam mir sehr gelegen, jetzt würde ich schon ihr Geheimnis herausbekommen. Ich winkte ihr hinauszugehen und die Tür hinter sich zu schließen. Das tat sie, aber ich hörte wohl, daß sie draußen stehen blieb und lauschte. Nun ließ ich meinen Gott nach Herzenslust klappern, er sprang auf seinem Oelteller herum, daß es eine Freude war. Das Klapp! Klapp! mischte sich mit den langen Seufzern Adelaides, die von der Türe herkamen.
Im Augenblick, als ich dem Donnergott Ruhe gab und den Teller auf den Tisch setzte, schlüpfte sie herein.
»Was hat er gesagt?«
Ja, zum Kuckuck, was hatte er gesagt? Geklappert hatte er, weiter nichts. Ich schwieg also.
»Was hat er gesagt!« drängte sie. »Ja? oder Nein?«
»Ja!« sagte ich auf gut Glück.
Sie jubelte: » Petit moune? Kreolisch, das Patois der Haitineger, für »Petit monde« = Kleines Kind. Petit moune?«
»Natürlich: Petit moune!« wiederholte ich.
Sie hüpfte im Zimmer herum, sprang von einem Bein aufs andere.
»Oh, er ist gut, so gut, der liebe Donnergott! Mir hat er's auch gesagt! Und nun muß er's halten, da er's zweimal versprochen hat an einem Tage!«
Plötzlich wurde sie wieder ganz ernst: »Was hat er gesagt, ein Junge oder ein Mädchen!«
»Ein Junge,« antwortete ich.
Da fiel sie auf die Knie vor mir, weinte und heulte und schluchzte immer wieder, ganz aufgelöst vor Wonne: »Ach endlich! Endlich!«
* * *
28. September.
Ich weiß, daß Adelaide mich liebt seit langer Zeit, und daß sie sich nichts sehnlicher wünscht, als von mir ein » petit moune« zu haben. Neidisch ist sie auf die andern Mädchen, die im Hofe ihre Rangen herumlaufen haben, obwohl ich mich weiß Gott nicht darum kümmere. Ich glaube, sie möchte ihnen am liebsten die Augen auskratzen. Deshalb also die gute Behandlung des Donnergottes. – Uebrigens war sie heute abend ganz reizend, ich meine, ich hätte nie ein so liebes Negermädchen gehabt. Ich glaube, ich habe sie wirklich gern und was mich anlangt, soll gewiß alles geschehen, ihren kleinen Wunsch zu erfüllen.
* * *
6. Oktober.
Es ist skandalös, daß ich als guter Kaufmann nie darüber Buch geführt habe, inwieweit ich zur Verbesserung der niederträchtigen Rasse dieses schönen Landes beigetragen habe. Ich habe augenscheinlich meine kulturellen Verdienste immer viel zu niedrig eingeschätzt. Heute habe ich also die Statistik nachgeholt; es war nicht schwer. Ich habe nämlich auch am Daumen drei Gelenke und die scheinen erblich zu sein. Was also in der Stadt mit drei Gelenken am Daumen herumläuft, ist gewiß von mir. Eine lustige Entdeckung habe ich bei dem kleinen Léon gemacht. Ich habe den Mulattenjungen immer für meinen Sprößling gehalten und auch die Mama schwört darauf. Aber: der Bengel hat nur zwei Gelenke am Daumen. Da stimmt etwas nicht. Ich habe den schönen Christian im Verdacht, einen der Hapagoffiziere, der hat mir gewiß ins Handwerk gepfuscht. – Uebrigens fehlen nicht weniger wie vier von meinen Rangen. Es heißt, daß sie weggelaufen sind, seit Jahren schon; niemand konnte mir irgendwelche Anhaltspunkte geben. Ist ja auch so gleichgültig.
* * *
24. Oktober.
Der Klappergott hat recht prophezeit. Adelaide ist selig und zu mir von einer Flitterwochenzärtlichkeir, die fast beunruhigend ist. Ihr Stolz und ihre Freude wirken beinahe ansteckend, noch nie im Leben habe ich mich um das Gedeihen eines zukünftigen Erdenbürgers bekümmert, und jetzt – ich kann's nicht leugnen – habe ich ein augenscheinliches Interesse daran. Dazu kommt das immer nähere Verhältnis, in das ich zu Adelaide getreten bin. Freilich hat es manches Sträuben und Zögern, manches Tränchen, manche Zärtlichkeit gekostet, bis ich ihr ganzes Vertrauen errungen habe. Diese Schwarzen können ja schweigen, wenn sie wollen; das, was sie nicht sagen wollen, holt man nicht aus ihnen heraus und wenn man sie mit glühenden Zangen kneipen würde.
Auch hier war es wieder ein besonders glücklicher Umstand, der mir das Mittel in die Hand gab, sie zu zwingen, auch die letzte Maske abzulegen.
Adelaide hat nämlich gar keine Eltern mehr! Ich erfuhr das von einem uralten Mütterchen, das Phylloxera heißt und seit vielen Jahren in meinen Gärten Unkraut jätet. Es ist ein verhutzeltes Weibchen, das mit ihrem Urenkel, einem schmutzigen, verlausten Buben, in einer elenden Hütte in der Nähe haust. Der nichtsnutzige Junge hatte wieder einmal Eier bei mir gestohlen und sollte diesmal gründlich die Peitsche bekommen; da kam die Alte, um ihn loszubitten. Als Gegenleistung bot sie mir Mitteilungen über Adelaide an, natürlich war auch ihr nicht entgangen, in welcher Gunst die jetzt bei mir steht. Und diese Mitteilungen – ich habe der Alten bei allen Heiligen schwören müssen, sie nicht zu verraten – sind wirklich so interessant, daß ich ihr noch einen amerikanischen Dollar obendrein gab. Adelaide hat gar keine Eltern und also hat sie sie auch nie besucht. Sie ist eine Mamaloi, eine Priesterinkönigin des Vaudoux-Kultes. Wenn sie von mir Urlaub nahm, so geschah es, um zu dem »Honfoû« zu eilen, dem Tempel, der menschenfern auf einer Lichtung im Wald liegt. Und meine kleine zärtliche Adelaide spielt da die grausame Priesterin, beschwört die Schlange, erwürgt Kinder, trinkt Rum wie ein alter Schiffskapitän und feiert unerhörte Orgien! Kein Wunder, daß sie immer völlig erschöpft nach Hause kam! – Na, warte, du kleine schwarze Kanaille!
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26. Oktober.
Ich sagte, daß ich nach Sâle-Trou reiten müsse, und ließ mein Pferd satteln. Die Alte hatte mir so ungefähr den Weg beschrieben, so gut wie ein Negerweib eben einen Weg beschreiben kann. Natürlich verritt ich mich und hatte das Vergnügen, im Urwald übernachten zu können; zum Glück hatte ich eine Hängematte mit. Erst am nächsten Morgen fand ich den Honfoûtempel, nämlich eine sehr große aber elende Strohhütte auf einer Lichtung, die gestampft und geglättet war wie ein Tanzplatz. Eine Art Pfad führte auf den Tempel zu, zu beiden Seiten sah ich in die Erde gesteckte Pflöcke, auf denen abwechselnd die Kadaver schwarzer und weißer Hühner steckten. Zwischen den Pflöcken lagen ausgeblasene Truthahneier und grotesk geformte Steine und Wurzeln. Ein großer Erdbeerbaum, den die Gläubigen Loco nennen und als göttlich verehren, stand am Eingang des Tempels, rund herum hatte man, ihm zu Ehren, viele Gläser, Teller und Flaschen zu Scherben zerschlagen.
Ich trat in den Raum. Ein paar Löcher im Dach gaben genügend Licht, unter einem davon stak an einem Pfeiler eine herabgebrannte Kienfackel. Die Tempeleinrichtung war äußerst lustig. An den Wänden sah ich die Bildnisse Bismarcks aus der »Woche« und König Eduards aus den »Illustr. London News«. Beide stammen ganz gewiß von mir, wer hätte sonst die Blätter hier halten sollen? Wahrscheinlich hatte sie Adelaide großmütig gestiftet. Da waren weiter ein paar Heiligenbilder, gräßliche Oeldrucke, die den heiligen Sebastian, den heiligen Franziskus und die Madonna darstellten, daneben Blätter aus dem »Simplicissimus« (auch von mir!) und der »Asiette au Beurre«. Zwischendurch hingen ein paar alte Fahnenlappen, Muschelketten und bunte Bänder aus Papierschnitzeln. Hinten, etwas erhöht, bemerkte ich einen starken Korb. Aha, dachte ich, darin steckt er also, Hougonbadagri, der große Vaudouxgott! Sehr vorsichtig öffnete ich den Deckel und sprang zurück, ich hatte durchaus keine Lust, mich von irgendeinem giftigen Vieh beißen zu lassen. Aber ach! Eine Schlange war wohl im Korbe, aber es war eine harmlose Ringelnatter und sie war elend verhungert. Das ist echt Negerart, etwas als Gott anbeten, um sich dann, nach den Festen, nicht mehr darum zu bekümmern! Freilich, ein Ersatzgott ist ja im Handumdrehen im Walde zu fangen! Jedenfalls hat es Damtala, der brave Klappergott, entschieden besser, als der allmächtige Hougonbadagri, der da elend zusammengeschrumpft tot vor mir lag; jener bekommt doch Oel jeden Freitag, während dieser, der doch in diesem verrückten heidnisch-christlichen Vaudouxkult Johannes der Täufer selber ist, nicht einmal ein Fröschlein oder Mäuslein erhält!
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29. Oktober.
Als ich am nächsten Tage Adelaide mit meiner neuen Wissenschaft auftrumpfte – ich tat so, als ob mir alles längst bekannt sei –, machte sie gar keinen Versuch mehr zu leugnen. Ich sagte ihr, daß mich der Doktor eingeweiht habe, der ein Abgesandter Cimbi-Ritas, des Oberteufels sei und zeigte ihr eine Axt, über die ich etwas rote Tinte gegossen hatte. Die in Blut getränkte Axt ist nämlich das Symbol dieses bösen Dämons.
Das Mädchen zitterte, schluchzte und war kaum zu beruhigen.
»Ich wußte es,« schrie sie, »ich wußte es und habe es auch dem Papaloi gesagt! Er ist Dom Pèdre selbst!«
Das bejahte ich – warum sollte der gute Doktor nicht Dom Pèdre selbst sein! Nun erfuhr ich, daß gerade unser Ort, Petit Goaves, der Hauptsitz der Teufelssekte Dom Pèdres ist. Das war ein Mann – ein schöner Schwindler mag er gewesen sein –, der vor langer Zeit aus dem spanischen Teil der Insel herüberkam und hier den Kult Cimbi-Ritas, des großen Teufels, und seines Knechtes Azilit begründete. Ein gutes Stück Geld muß er damit verdient haben. Aber er selbst und alle seine Ober- und Unterteufel mögen mich lebendig holen, wenn ich nicht auch aus der ganzen Geschichte ein gutes Geschäft mache! Ich habe schon meine Idee.
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18. November.
Heute hörte ich das Néklésin, das eiserne Triangel, durch die Straßen schallen. Wie oft habe ich diese kindische Musik gehört und habe mir nie etwas dabei gedacht; jetzt erst weiß ich, daß es das unheimliche Zeichen ist, das die Gläubigen zum Tempel ruft. Ich habe sofort meine kleine Mamaloi kommen lassen und ihr mitgeteilt, daß ich diesmal an dem Opferdienste teilnehmen würde. Sie war außer sich, bat und flehte, jammerte und schrie. Aber ich gab nicht nach; ich zeigte ihr wieder das alte Holzbeil mit der roten Tinte, das sie vor Schrecken fast zu Stein erstarren ließ. Ich sagte ihr, daß ich besondern Auftrag von Dom Pèdre habe und daß alles genau so zugehen müsse wie gewöhnlich. Sie ging fort, um mit ihren Houcibossales zu reden, den tätowierten Vaudouxleuten; ich denke mir, sie wird den Papaloi selbst aufsuchen.
Ich habe ihre Abwesenheit benutzt, um noch ein paar Kapitel in meinen Büchern durchzulesen, hier habe ich mir einige Daten zusammengestellt, die wohl ihre Richtigkeit haben. Danach war der Befreier Haitis, Toussaint Louverture, selbst ein Papaloi, ebenso der Kaiser Dessalines und der König Christophe. Auch Kaiser Soulouque war ein Vaudouxpriester, ich sah ihn noch, den schwarzen Schuft, als ich 1858 nach Port-au-Prince kam. Und der Präsident Salnave, mein guter Freund Salnave, brachte 1868 selbst das Menschenopfer, das Opfer des »ungehörnten Bockes«. Salnave, wer hätte das gedacht! Der Spitzbube, mit dem ich – genau in demselben Jahre – die wundervolle Mole von Port-de-Paix – nicht baute, womit ich mir mein erstes Vermögen verdiente. Kommt Präsident Salomon, der uralte Trottel, der auch ein eifriger Förderer des Vaudoux war. Daß Hippolyte, sein Nachfolger, nicht viel anders war, habe ich oft gehört, aber daß er sich die Skelette der von ihm geschlachteten Opfer zur Erinnerung aufbewahrte, ist doch ein netter Zug von ihm. Als er vor zehn Jahren starb, fand man in seinen Räumen eine ganze Reihe solcher Skelette; er hätte mir wirklich ein paar davon vermachen sollen, ich habe so manches gute Geschäft mit ihm gemacht. Immer Halbpart und dabei hat er alle Uniformen umsonst von mir bekommen, mit soviel goldenen Litzen, als er nur wünschte! Und alle »Kalypsos« gingen aus meiner Tasche, nie hat er einen Centime ausgegeben als kleines Trinkgeld für die Herren Deputierten.
Also die zwei Präsidenten aus den sechziger und siebziger Jahren Geffrard und Boisrond-Canal traten dem Vaudoux entgegen? Ausgerechnet die beiden, mit denen am schwersten Geschäfte zu machen war! In ihre Zeit fallen auch die Prozesse gegen die Vaudouxleute. Da wurden 1864 zu Port-au-Prince acht Leute erschossen, weil sie ein zwölfjähriges Mädchen geopfert und aufgegessen hatten, eben deshalb wurde 1876 ein Papaloi zum Tode verurteilt und zwei Jahre später ein paar Weiber. Viel ist das gerade nicht, wenn wirklich, wie Texier meint, alljährlich ein paar tausend Kinder – cabrits sans comes – geschlachtet und verzehrt werden.
– Adelaide ist noch immer nicht zurückgekehrt. Aber ich werde meinen Willen unter allen Umständen durchsetzen. Ich gehöre diesem Lande an und habe ein Recht, es in seinen Eigenarten kennen zu lernen.
* * *
Abends zehn Uhr.
Der Papaloi hat einen Abgesandten geschickt, einen Avalou, so eine Art Küster, der für seinen Herrn eine Unterredung mit mir erbat. Ich habe ihn weggeschickt und mich auf nichts eingelassen. Vorher habe ich dem Kerl noch meine Tintenaxt gezeigt, die auch diesmal ihre Wirkung nicht verfehlte. Ich habe dem Papaloi sagen lassen, daß ich ihn niederschießen würde, wenn meine Wünsche nicht erfüllt würden.
Um neun Uhr kam der Kerl noch einmal zurück, um zu parlamentieren; er hatte übrigens einen Heidenrespekt und traute sich nicht mehr in mein Zimmer. Ich fluchte fürchterlich im Namen Cimbi-Ritas, des Oberteufels. Der Mann wenigstens ist von meiner teuflischen Mission ebenso fest überzeugt wie Adelaide! Sie ist noch immer nicht zurück, ich bin gewiß, daß sie festgehalten wird. Ich habe dem Avalou gesagt, daß ich, zusammen mit Dom Pèdre selbst, sie holen würde, wenn sie in einer Stunde nicht zu Hause sei.
* * *
Nachts zwölf Uhr.
Alles ist geordnet, die Expedition kann morgen vor sich gehen. Der Papaloi sah wohl ein, daß ich von meinem Willen nicht abzubringen sei, deshalb fügte er sich meinen Wünschen. Als echter Pfaffe suchte er schließlich noch etwas für sich zu retten und stellte durch Adelaide die Bedingung, daß ich zwanzig Dollars für die Armen der Gemeinde stifte. »Die Armen« – das ist er natürlich selber, ich habe ihm also gleich das Geld zugesandt. Nun wird der schwarze Oberkonsistorialrat wohl zufrieden sein.
Dafür schickte er mir eine Handvoll verfaulter Pflanzen, davon solle ich mir ein Bad machen lassen, um Canzou zu werden, das heißt die Weihe zu erhalten. Eigentlich muß man vierzig Tage in solchem Dreckbade hocken, bis es ganz verdunstet ist, doch wurde für mich ein abgekürztes Verfahren gestattet. Ich warf den Kram gleich in den Kehricht, dagegen aß ich Adelaide zuliebe die zweite Gabe, Verver, ein Gemisch aus Mais und Blut. Es schmeckte scheußlich. Nun bin ich vorbereitet genug, um morgen nacht unter die Teufelspriester, die Bizangos und Quinbindingues aufgenommen zu werden.
* * *
22. November.
Ich muß mir Mühe geben, die Feder zu halten, der Arm zittert und die Hand will nicht gehorchen. Zwei Tage habe ich auf dem Diwan gelegen und noch heute laufe ich im Fieber herum; alle meine Knochen sind wie zerschlagen. Adelaide liegt immer noch im Bette. Kein Wunder nach dieser Nacht! Wenn ich die Geschehnisse meinem Bruder mitteilen würde, ich glaube, der fromme Herr würde vielleicht doch einen beiliegenden Scheck zurückweisen.
Kreuzelement, wie mich der Rücken schmerzt! Jede leiseste Bewegung macht mich schreien. Ich höre Adelaide aus ihrem Bette wimmern. Vorhin war ich bei ihr, sie sprach kein Wort, sie weinte nur leise vor sich hin und küßte meine Hand. Und ich konnte gar nicht begreifen, daß dieses arme Tierchen dieselbe grausame Priesterin sei, die mit verzerrten blutgierigen Händen – –
Ich will alles ruhig erzählen. Adelaide ging schon am Morgen weg, ich stieg am Nachmittag auf meinen Falben, meine guten Brownings staken in der Satteltasche. Diesmal kannte ich den Weg zum Honfoû, bei Sonnenuntergang war ich schon dort. Schon von weitem vernahm ich durch den Wald das Gelärme aufgeregter Stimmen, dazwischen die schrillen Laute des Néklésin. Die große Lichtung war voll von schwarzen Leibern, sie hatten alle Gewänder abgelegt, nur ein paar zusammengeknüpfte rote Taschentücher um den Leib gewunden. Sie tranken aus ihren weitbäuchigen Tafiaflaschen, liefen durch den Weg, auf dessen spitze Pfähle man schwarze und weiße Hühner lebend aufgespießt hatte und zerschmetterten schreiend die Flaschen unter dem göttlichen Erdbeerbaume. Augenscheinlich erwartete man mich, ein paar Männer kamen auf mich zu, banden meinen Gaul an einen Baum und führten mich über den Weg, wobei sie aus irdenen Krügen die jämmerlich gackernden und flatternden Hennen auf den Pfählen mit Blut begossen, wie Blumen in Töpfen. Am Eingange des Tempels drückte mir einer eine leere Flasche in die Hand, ich zerschmetterte sie unter dem Erdbeerbaum. Wir schritten in den weiten Raum hinein, alles drängte im Augenblick nach; geschoben von nackten Körpern gelangte ich in die Nähe des Schlangenkorbes. Mächtige Kienfackeln staken an den Balken und rußten durch die offenen Dachlöcher in die Nacht hinaus. Mir gefiel dieser rote Feuerschein auf den schwarzen glänzenden Leibern; ich muß sagen, ich kam in Stimmung dadurch.
Neben dem Schlangenkorb brannte ein Feuer unter einem mächtigen Kessel, dabei hockten die Schläger auf ihren Trommeln, Houn, Hountor und Hountorgri, die den drei Aposteln Petrus, Paulus und Johannes geweiht sind. Hinter ihnen stand ein baumlanger Kerl, der die riesige Assauntortrommel rührte, die mit der Haut eines verstorbenen Papaloi überzogen ist. Immer schneller und schneller gingen die Wirbel, immer lauter dröhnten sie in dem überfüllten Raum.
Die dienenden Avalous drängten die Menge nach den Seiten zurück und schufen einen freien Platz in der Mitte. Trockenes Holz und Reisig warfen sie hin und stießen Fackeln hinein – im Nu brannte ein helles Feuer auf dem festgestampften Boden. Dann führten sie fünf Adepten in den Kreis, drei Weiber und zwei Männer; die hatten gerade die vierzigtägigen Weihen in dem Schmutzbade durchgemacht, die mir glücklicherweise erspart geblieben waren. Die Trommeln schwiegen und der Papaloi trat hervor.
Es war ein alter magerer Nigger; wie die andern nur mit roten, zusammengeknüpften Taschentüchern bekleidet. Dazu trug er ein blaues Band um die Stirne, unter dem die langen, ekelhaft verfilzten Haarsträhne hervorquollen. Seine Unterpriester, die Djions, gaben ihm ein großes Büschel von Haaren, Hornstücken und Kräutern in die Hand, das er langsam in die Flamme streute. Dabei rief er die himmlischen Zwillinge, Saugo den Blitzgott und Bado den Windgott an, daß sie die heilige Flamme schüren möchten. Dann gab er den zitternden Adepten den Befehl, in das Feuer zu springen. Die Djions trieben und zerrten die Zögernden in die Flammen, es sah prächtig aus, wie sie da zappelnd hin- und hersprangen. Endlich durften sie heraustreten und nun führte sie der Papaloi an den dampfenden Kessel neben dem Schlangenkorbe. Opété, den göttlichen Truthahn, rief er jetzt an und Assouguté, den himmlischen Schwätzer. Ihnen zu Ehren mußten die Adepten in das kochende Wasser greifen, Fleischstücke herausreißen und den Gläubigen auf großen Kohlblättern reichen. Immer wieder tauchten die gräßlich verbrannten Hände in die siedende Brühe, bis auch der letzte sein Kohlblatt bekommen hatte. Dann erst nahm sie der magere Greis als gleichberechtigte Mitglieder in seine Gemeinde auf – im Namen Attaschollôs, des großen Weltengeistes – und überließ sie endlich ihren Verwandten und Freunden, die ihnen Salben auf die elend verbrannten Glieder schmierten.
Ich war neugierig, ob dieser menschenfreundliche Priester auch von mir eine solche Zeremonie verlangen würde, aber niemand bekümmerte sich um mich. Wohl reichte man auch mir ein Stück Fleisch auf dem Kohlblatt, und ich aß es wie alle übrigen.
Die Djions warfen neue Nahrung in das Feuer und richteten einen Spieß darüber. Dann zogen sie an den Hörnern drei Böcke herein, zwei schwarze und einen weißen, brachten sie vor den Papaloi. Der stach ihnen mit einem mächtigen Messer in die Kehle, zog durch, und trennte mit einem einzigen langen Schnitte den Kopf ab. Mit beiden Armen riß er die Köpfe in die Höhe, zeigte sie erst den Trommelschlägern, dann den Gläubigen und warf sie, die er dem Herrn des Chaos Agaou Kata Badagri weihte, in den dampfenden Kessel. Während dessen fingen die Djions in großen Gefäßen das Blut auf, mischten es mit Rum und reichten es zum Trunke herum. Dann häuteten sie die Tiere und steckten sie an die Spieße.
Auch ich trank, einen Schluck erst, dann mehr und mehr. Ich fühlte eine seltene Trunkenheit in mir aufsteigen, eine wilde, gierige Trunkenheit, wie ich sie nie gekannt hatte. Ich verlor ganz das Bewußtsein meiner Rolle als unbefangener Zuschauer, ich wuchs immer mehr wie ein Zugehöriger in diese wilde Umgebung hinein.
Die Djions zogen mit Holzkohlenstückchen neben dem Feuer einen schwarzen Kreis, da hinein trat der Papaloi. Und während die Braten schmorten, die er segnete, rief er mit lauter Stimme Allégra Vadra an, den Gott, der alles weiß. Er bat ihn, seinen Priester zu erleuchten, ihn und die gläubige Gemeinde. Und der Gott antwortete durch ihn, daß die Erleuchtung kommen werde, wenn das Bockfleisch genossen sei. Da sprangen die schwarzen Gestalten zu den Spießen hin, rissen mit den Händen das Fleisch herab und verschlangen es, heiß und halb roh. Sie brachen die Knochen und benagten sie mit den großen Zähnen, warfen sie dann hoch durch die Dachluken hinaus in die Nacht, zu Ehren Allégra Vadras, des großen Gottes.
Und wieder dröhnten die Trommeln. Houn, die kleinste begann, dann Hountor und Hountorgri. Und endlich brüllte die gewaltige Assauntortrommel ihr scheußliches Lied. Immer stärker wurde die Erregung, immer heißer und enger drängten sich um mich die schwarzen Leiber. Die Avalous räumten die Spieße weg und zertraten das Feuer, die ganze Menge schob sich nach vorne.
Da stand plötzlich, ich weiß nicht, woher sie gekommen, Adelaide, die Mamaloi, auf dem Schlangenkorbe. Sie trug, wie die übrigen, nur ein paar rote Taschentücher, die über die Lenden und die linke Schulter hingen. Die Stirn zierte das blaue Priestertuch, ihre herrlichen weißen Zähne leuchteten im roten Scheine der Fackeln. Sie war prachtvoll, ganz prachtvoll. Der Papaloi reichte ihr mit gesenktem Haupte einen gewaltigen Krug voll Rum und Blut, sie leerte ihn auf einen Zug. Die Trommeln schwiegen und sie begann, leise erst, dann immer mehr anschwellend das große Lied der göttlichen Schlange:
»Leh! Eh! Bomba, hen, hen!
Cango bafio té,
Cango moune dè lé
Cango do ki la
Cango li! «
Zwei-, dreimal sang sie die wilden Worte, bis aus ein paar hundert trunkenen Lippen es ihr wieder entgegen schallte:
»Leh! Eh! Bomba, hen, hen!
Cango bafio té,
Cango moune dè lé
Cango do ki la
Cango li!«
Die kleine Trommel begleitete ihren Gesang, der wieder leiser wurde und fast zu ersterben schien. Sie wiegte sich in den Hüften hin und her, senkte das Haupt und hob es, zog seltsame Schlangenlinien mit den Armen in der Luft. Und die Menge schwieg, atemlos in Erwartung. Leise flüsterte einer: »Sie sei gesegnet, Manho, unsere Priesterin!« Und ein anderer: »Johannes der Täufer küsse dich, dich, Houangan, seinen Liebling!« Die Augen der Neger traten aus den Höhlen, alles starrte auf die leise summende Mamaloi.
Da sagte sie, still, mit fast verzagender Stimme: »Kommt her! Houedo hört euch, die große Schlange!«
Alle drängten sich heran, mühsam vermochten die Diener und Priester Ordnung zu halten.
»Bekomme ich einen neuen Esel diesen Sommer?« – »Wird mein Rind gesund werden?« – »Wird er zurückkehren, mein Geliebter, den sie zu den Soldaten nehmen?« – Jeder hatte eine Frage, einen Wunsch. Die schwarze Pythia antwortete, mit geschlossenen Augen, den Kopf tief auf die Brust gesenkt, die Arme nach unten gestreckt, steif, die Finger krampfhaft gespreizt. Richtige Orakelantworten, die nicht ›ja‹, und nicht ›nein‹ sagten, und aus denen doch ein jeder das entnehmen konnte, das er zu hören wünschte. Befriedigt gingen sie zur Seite, warfen Kupferstücke in den alten Filzhut, den der Papeloi hinhielt. Aber auch Silber fiel hinein.
Die Trommeln schlugen wieder, langsam schien die Mamaloi aus ihrem Traume zu erwachen. Sie sprang herab von dem Korbe, riß die Schlange heraus und stieg wieder hinauf. Es war eine lange, gelbschwarze Natter; verwirrt von dem Feuerschein züngelte sie und wand sich lang um den ausgestreckten Arm der Priesterin. Die Gläubigen fielen zu Boden, berührten die Erde mit der Stirne. »Lange lebe die Mamaloi, unsere Mutter und Königin, sie, Houdja-Nikon, unsere Gebieterin!« Und sie beteten zu der großen Schlange und die Priesterin nahm ihnen den Schwur ewiger Treue ab. »So soll euer Hirn verfaulen und in euch eure Eingeweide, wenn ihr je das brecht, was ihr schwurt!« Da riefen sie: »Wir schwören drei starke Eide, dir Hougon-badagri, Johannes dem Täufer, der du zu uns kommst als Sobagui, als Houedo, der große Vaudouxgott!«
Jetzt öffnete die Mamaloi einen andern Korb, der hinter ihr stand. Hühner griff sie heraus, schwarze und weiße und warf sie hoch in die Luft. Die Gläubigen sprangen vom Boden auf, griffen nach den flatternden Tieren und rissen ihnen die Köpfe ab. Tranken gierig aus den Leibern das frisch strömende Blut, warfen sie dann zum Dach durch die Luken hinaus: »Für dich, Houedo, für dich Hougon-badagri, zum Zeichen, daß wir unsern Eid halten!«
Von hinten her drängten sich sechs Männer um die Mamaloi. Sie trugen Teufelsmasken, Ziegenfelle hingen von den Schultern und die Leiber waren rot mit Blut bemalt.
»Furcht, Furcht vor Cimbi-Kita!« heulten sie. Die Menge drängte zurück, schaffte einen freien Raum, in den sie traten. Ein Mädchen von zehn Jahren führten sie an einem Strick um den Hals. Das Kind sah verwundert um sich, ängstlich, furchtsam, aber es schrie nicht. Es schwankte, vermochte sich kaum zu halten auf den Füßen, völlig trunken von Rum. Der Papaloi trat zu ihm hin: »Azilit gebe ich dich und Dom Pèdre, sie mögen dich hintragen zu ihm, aller Teufel größten, zu Timbi-Kita!« Er streute dem Kinde Kräuter in das krause Wollhaar, Hornstückchen und Haarflecken, legte einen brennenden Scheit darauf. Aber ehe das entsetzte Kind noch mit seinen Händen in die brennenden Haare greifen konnte, warf sich die Mamaloi wie eine Rasende mit einem gräßlichen Schrei von ihrem Korbe herunter. Ihre Finger krampften sich um den schmalen Hals, sie hob das Kind hoch in die Luft und erwürgte es.
»Aa-bo-bo!« schrie sie.
Sie schien ihr Opfer gar nicht mehr freigeben zu wollen. Endlich entriß ihr der Oberpriester das leblose Kind und trennte ihm, wie den Böcken mit einem einzigen Schnitt den Kopf vom Rumpfe. Und dazu sangen die Teufelspriester mit gewaltiger Stimme ihren entsetzlichen Triumphgesang:
»Interrogez le cimetière,
il vous dira
de nous ou de la mort,
qui des deux fournit
les plus d'hôtes.«
Wieder zeigte der Papaloi mit erhobenen Armen das Haupt den Trommelschlägern, wieder warf er es in den dampfenden Kessel. Starr, teilnahmslos stand die Mamaloi dabei, während die Teufelspriester das Blut in den Rumkrügen auffingen und den Leib zerhackten. Wie Tiere warfen sie den Gläubigen die rohen Fleischstücke hin, die sich darauf stürzten, sich balgten und rissen um die Fetzen.
»Aa-bo-bo! Le cabrit sans cornes!« heulten sie.
Und alle tranken das frische Blut, vermischt mit dem starken Rum. Ein gräßliches Getränk, aber man trinkt es, muß es trinken, mehr und immer mehr – –
Nun stellte sich einer der Teufelspriester in die Mitte, neben die Priesterin. Er riß die Maske ab, warf das Fell herunter. Nackt stand der schwarze Kerl da, den Leib wunderlich mit Blutzeichen bemalt, die Hände tief rot von Blut. Alles schwieg, nirgends hörte man einen Laut. Nur die kleine Hountrommel wirbelte leise zu dem Teufelstanz, dem Tanz Dom Pèdres, der nun beginnen sollte.
Unbeweglich stand der Tänzer da, ohne sich zu rühren, minutenlang. Langsam wiegte er sich hin und her, den Kopf erst, dann den Leib leise wiegend. Alle seine Muskeln spannten sich, eine seltsame Erregung bemächtigte sich seiner, schien wie ein magnetisches Fluidum allen sich mitzuteilen.
Man betrachtet einander, noch regt man sich nicht, aber man fühlt, wie die Nerven zucken. Nun tanzt der Priester, dreht sich langsam erst, dann schnell und schneller, lauter tönt die Hountrommel und die Hountortrommel fällt ein. Da kommt Bewegung in die schwarzen Leiber, den Fuß hebt eines, das andere den Arm. Sie verschlingen einander mit den Blicken; schon fassen sich zwei und drehen sich im Tanze. Nun brüllt auch die Hountorgri und die mächtige Assauntortrommel, ihr Fell aus Menschenhaut heult einen wütenden aufreizenden Wollustschrei. Alle springen auf, drehen sich im Tanze, stoßen, treten einander, machen gewaltige Bocksprünge, werfen sich zu Boden, schlagen den Kopf auf die Erde, springen wieder auf, schleudern Arme und Beine und rasen und schreien in dem wilden Rhythmus, den die Priesterin singt. Stolz steht sie in der Mitte, hebt die göttliche Schlange hoch in die Luft und singt ihren Sang:
»Leh! Eh! Bomba, hen! hen! «
Neben sie drängt sich der Papaloi, aus großen Kübeln spritzt er Blut über die schwarzen Gestalten, die immer wilder springen, immer wütender das Lied der Königin heulen.
Sie fassen einander, reißen sich die roten Lappen vom Leibe. Die Glieder verrenken sich, heißer Schweiß rieselt von den nackten Körpern. Trunken von Rum und Blut, aufgepeitscht zu maßloser Wollust, springen sie aufeinander wie Tiere, werfen sich zu Boden, schleudern sich in die Höhe, schlagen die gierigen Zähne dem andern in das schwarze Fleisch. Und ich fühle, daß ich mit hinein muß in diesen Teufelstanz rasender Menschen. Eine wahnsinnige Lust jauchzt durch den Saal, ein blutgieriger Liebestaumel, der über alles Irdische hinauswächst. Längst singen sie nicht mehr, aus ihren Konvulsionen und Delirien schallt nur der gräßliche Teufelsschrei: »Aa-bo-bo!«
Ich sehe Männer und Weiber sich ineinander beißen, in allen Stellungen und Lagen nehmen sie sich. Blutrünstig, wild, schlagen sie die Nägel ins Fleisch und reißen sich tiefe Kratzwunden. Und das Blut trübt ihre Sinne, ich sehe Männer auf Männer, Weiber auf Weiber kriechen. Da wälzen sich fünf in einem schwarzen Knäuel ineinander, da steigt einer, wie ein Hund, über den Schlangenkorb. Ihre rasende Wollust kennt keine Geschlechter mehr, unterscheidet nicht einmal mehr lebende Wesen und tote Gegenstände.
Zwei Negerdirnen stürzen auf mich zu, zerren an meinen Kleidern. Und ich greife sie an den Brüsten, reiße sie zu Boden. Wälze mich herum, heule, beiße – tue wie alle andern. Ich sehe wie Adelaide ohne Wahl einen Mann nach dem andern nimmt, aber auch Weiber, immer andere, immer neue, unersättlich in dieser teuflischen Wollust. Sie springt auf mich zu, nackt, nackt, rotes Blut sickert von ihren Armen und Brüsten. Nur die blaue Priesterbinde schmückt noch die Stirne, wie schwarze Nattern kriechen die dicken Haarlocken darunter. Sie reißt mich zu Boden, nimmt mich mit Gewalt, springt wieder auf und stößt mir ein anderes Weib in die Arme. Und sie taumelt fort, umfangend und umfangen, immer von andern schwarzen Armen – –
Und, ohne Widerstand nun, werfe ich mich in den wildesten Taumel, in die unerhörtesten Umarmungen, springe, rase und schreie, wilder und wahnsinniger als einer, das entsetzliche: »Aa-bo-bo!«
* * *
Ich fand mich draußen auf dem Tanzplatze liegen, in einem Haufen schwarzer Weiber und Männer. Die Sonne war schon aufgegangen, ringsum lagen schlafend, im Traume stöhnend und zuckend, die schwarzen Körper. Mit einer ungeheuren Willensanstrengung stand ich auf; mein Anzug hing mir in blutigen Fetzen vom Leibe. Ich sah Adelaide in der Nähe liegen, blutrünstig von oben bis unten. Ich nahm sie auf, trug sie zu meinem Pferde. Woher ich die Kraft nahm, weiß ich nicht; doch gelang es, ich hob sie aufs Pferd und ritt nach Hause, die Ohnmächtige in meinen Armen vor mir im Sattel. Ich ließ sie zu Bett bringen und ging selbst zu Bett – – –
– – – Ich höre sie wieder wimmern, ich will hingehen, ihr ein Glas Limonade bringen.
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7. März 1907.
Nun sind Monate vergangen. Wie ich diese letzten Seiten durchlese, kommt es mir vor, als habe ein anderer, nicht ich, das alles erlebt. So fern ist es mir, und so fremd. Und erst, wenn ich mit Adelaide zusammen bin, muß ich mich zwingen, daran zu glauben, daß sie dabei war. Sie, eine Mamaloi – – sie, dieses zärtliche, hingebende, glückliche Geschöpfchen! Nur einen Gedanken hat sie, ihr Kindchen. Wird es auch wirklich ein Junge werden! Ganz und ganz gewiß ein Junge! Hundertmal fragt sie das. Und ist jedesmal selig, wenn ich ihr sage, daß es ganz bestimmt ein Junge sein würde. Es ist zu komisch: dieses Kind, das noch gar nicht da ist, nimmt einen großen Platz in meinen Gedanken ein. Schon haben wir seinen Namen ausgemacht, schon liegt all die kleine Wäsche für es bereit. Und ich bin beinahe so besorgt um das Würmchen wie Adelaide selbst.
Uebrigens habe ich neue hervorragende Eigenschaften in ihr entdeckt. Sie ist jetzt mit vollem Gehalt angestellter Abteilungschef in meinem Geschäft und bewährt sich ausgezeichnet. Ich habe nämlich eine neue Branche eingeführt, die mir ungeheuren Spaß macht. Ich fabriziere ein Wunderwasser, das für alle möglichen Sachen gut ist. Die Herstellung ist sehr einfach: Regenwasser, das mit ein wenig Tomatensaft rosa gefärbt ist. Das wird in kleine bauchige Fläschchen gefüllt, die ich gleich etikettiert aus New-York beziehe. Die Etikette ist nach meinen Angaben ausgeführt, sie zeigt die blutige Axt Cimbi-Ritas und dazu die Inschrift: Eau de Dom Pèdre. Das Fläschchen kostet mich drei Cent das Stück und ich verkaufe es zu einem Dollar. Dabei ist der Absatz ein glänzender, die Nigger reißen sich darum; seit letzter Woche versende ich auch ins Innere. Uebrigens sind die Käufer sehr zufrieden, sie behaupten, daß das Wunderwasser in der Tat außerordentliche Erfolge bei allen möglichen Krankheiten erziele. Wenn sie schreiben könnten, würde ich schon eine Menge von Dankschreiben haben. Adelaide ist natürlich auch von der Heilkraft überzeugt, sie handelt mit wahrem Feuereifer. Ihr Gehalt und ihre Prozente – sie bekommt auch Prozente vom Verkauf – überbringt sie mir stets, daß ich sie für »ihren Jungen« aufbewahren soll. Sie ist wirklich entzückend, dieses schwarze Kind; ich glaube beinahe, ich bin ganz verliebt in sie.
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26. August 1907.
Adelaide ist außer sich vor Glück: sie hat ihren Jungen. Aber das ist noch nicht alles, der Junge ist weiß, und darüber kennt ihr Stolz keine Grenzen. Alle Negerkinder kommen bekanntlich nicht schwarz, sondern, wie die Kinder der Weißen, ziemlich krebsrot zur Welt. – Aber wie diese weiß, so werden die Negerkindlein sehr bald kohlrabenschwarz oder wenigstens braun in Mischfällen. Das wußte natürlich Adelaide, mit Tränen in den Augen wartete sie darauf, daß ihr Kindlein schwarz werden sollte. Sie ließ es nicht aus den Armen, nicht eine Sekunde lang, als könnte sie es so davor bewahren, seine Naturfarbe zu bekommen. Aber Stunde auf Stunde verging und ein Tag nach dem andern, und ihr Kind wurde weiß und blieb weiß, schneeweiß, wahrhaftig weißer als ich. Wenn es nicht die kleinen schwarzen Krollhärchen hätte, sollte man nicht glauben, daß es Negerblut habe. Erst nach drei Wochen erlaubte mir Adelaide, es einmal auf den Arm zu nehmen. Ich habe nie im Leben ein Kind auf dem Arm gehabt, es war ein komisches Gefühl, wie der kleine Kerl mich anlachte und mit den Aermchen um sich schlug. Eine solche Kraft hat er schon in seinen Fingerchen, besonders in den Daumen – drei Gelenke hat er natürlich – wirklich ein prächtiger Bursche!
Es ist ein Vergnügen, die Mutter zu sehen, wenn sie im Laden hinter ihrer Theke steht, die roten Wunderfläschchen vor sich aufgebaut. Die kräftige schwarze Brust leuchtet aus der roten Taille heraus und der gesunde weiße Bengel trinkt aus Leibeskräften. Wahrhaftig, ich fühle mich wohl auf meine alten Tage und so jung wie nie zuvor. Ich habe aus Freude über den Geburtstag meines Sohnes meinem lieben Bruder eine tüchtige Extrasendung geschickt; ich kann mir's ja leisten, es bleibt doch mehr wie genug für den Jungen.
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4. September.
Ich hatte mir das Wort gegeben, daß ich nichts mehr mit den Vaudouxleuten zu tun haben wollte – es sei denn wegen meines Wunderwasserbetriebes. Nun habe ich mich doch noch einmal mit der Bande befassen müssen, freilich diesmal nicht in teilnehmender, sondern in angreifender Form. Gestern kam heulend das alte Hutzelweibchen zu mir, die Phylloxera, die im Garten jätet. Ihr Urenkel sei verschwunden. Ich tröstete sie, er sei wohl in den Wald gelaufen. Das habe sie auch erst geglaubt, sie habe tagelang nachgeforscht und nun wisse sie: die Bidangos hätten ihn gefaßt. Nun würde er festgehalten in einer Hütte vor dem Dorfe, und nächste Woche solle er geopfert werden zu Ehren Cimbi-Ritas, Azilits und Dom Pèdres. Ich versprach ihr meine Hilfe und machte mich auf den Weg. Vor der Strohhütte kam mir ein schwarzer Kerl entgegen, ich erkannte ihn, es war der Vortänzer der Teufelspriester. Ich stieß ihn zur Seite und drang in den Raum. Da fand ich den Jungen, er kauerte in einer großen Kiste, festgebunden an Händen und Füßen. Große Stücke von Maisbrot, das mit Rum getränkt war, lagen neben ihm, mit blöden, tierischen Augen starrte er mich an. Ich schnitt ihm los und nahm ihn mit, der Priester wagte nicht die kleinste Einwendung. Ich ließ den Jungen gleich auf den Hapagdampfer bringen, der heute abend abfährt; dem Kapitän gab ich ein Schreiben an einen Geschäftsfreund in St. Thomas mit, der soll sich des Jungen annehmen. So ist er in Sicherheit; wäre er hier geblieben, so wäre er doch über kurz oder lang dem Schlachtmesser verfallen: die Vaudouxleute lassen so leicht keinen aus, dem einmal der Todesstoß bestimmt ist. Das alte Mütterchen schluchzte vor Freude, als sie ihr einziges Glück – das übrigens eine ganz niederträchtige Range ist – sicher an Bord wußte. Nun braucht sie nichts mehr zu fürchten; wenn er wiederkommt, ist er längst ein Mann, der selbst schlachten kann.
Uebrigens bin ich auch froh über meine Tat. Es ist eine Art Rache für die Mulattenrangen, die von meinem Hofe verschwunden sind. Das Hutzelweibchen hat mir's gesagt: sie sind denselben Weg gegangen, den ihr Urenkel gehen sollte.
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10. September.
Seit langen Monaten habe ich zum erstenmal wieder einen Zwist mit Adelaide gehabt. Sie hatte erfahren, daß ich Phylloxeras Urenkel gerettet hatte und stellte mich deshalb zur Rede. Die Priester Cimbi-Ritas hätten das Kind zum Tode bestimmt, wie hätte ich wagen können, es ihrer Hand zu entreißen!
In all der Zeit hatten wir nicht mehr über das Vaudoux gesprochen, seit dem Tage, als sie, kurz nach der Opferfeier, mir aus freien Stücken erklärt hatte, daß sie ihrer Würde als Mamaloi entsagt habe. Sie könne nicht mehr Priesterin sein, sagte sie, weil sie mich zu sehr liebe. Ich hatte damals gelacht, aber es war mir doch lieb gewesen.
Nun fing sie wieder mit diesem gräßlichen Aberglauben an. Ich versuchte zuerst, sie zu widerlegen, schwieg aber bald, da ich sah, daß ich ihr nicht einen Glauben entreißen konnte, den sie mit der Muttermilch eingesogen hatte. Außerdem bemerkte ich wohl, daß ihre Vorwürfe nur aus ihrer Liebe zu mir, aus ihrer großen Angst um mich herauswuchsen. Sie weinte und schluchzte, ich konnte sie durch nichts beruhigen.
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15. September.
Adelaide ist unerträglich. Ueberall sieht sie Gespenster. Sie bleibt dicht an meiner Seite, wie ein Hund, der mich beschützen will. Das ist zwar sehr rührend, aber auch arg lästig, zumal der Junge, den sie nicht aus den Armen gibt, eine ungeheuer kräftige Stimme hat. Alles, was ich esse, bereitet sie selbst, damit nicht zufrieden, kostet sie erst jede Speise, ehe sie mir erlaubt, sie zu berühren. Nun weiß ich zwar, daß die Nigger große Giftmischer sind, die sich famos auf die Botanik verstehen, aber ich glaube nicht, daß einer es wagen würde, bei mir seine Kenntnisse zu versuchen. Ich lache also Adelaide aus, aber mir ist nicht recht wohl dabei.
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24. September.
Also die »Seele« haben sie mir schon genommen! Ich weiß das von Phylloxera, das alte Weib ist nicht weniger aufgeregt und besorgt um mich wie Adelaide. Sie kam heute zu mir, um mich zu warnen. Ich wollte Adelaide aus dem Zimmer schicken, aber sie bestand darauf, zuhören zu dürfen. Die Priester haben demnach das Gerücht ausgestreut, daß ich Cimbi-Rita, dem ich geschworen, verraten habe; ich sei ein Loup-Garou, ein Werwolf, der den Rindern im Schlafe das Blut aussauge. Darauf haben einige der Djions mir »die Seele geraubt«, indem sie aus Ton ein Bildchen von mir formten und im Tempel aufhingen. Das ist ja an und für sich ein ganz harmloses Verfahren, aber es hat eine sehr unangenehme Seite: nun bin ich ein Mensch »ohne Seele«, und den darf jeder umbringen. Ja, er tut sogar ein gutes Werk damit.
Trotzdem lege ich der Geschichte keine übertriebene Bedeutung bei und denke nicht daran, die Befürchtungen der Weiber zu teilen. Solange meine Bluthunde vor meiner Türe und meine Brownings neben meinem Bette liegen, solange Adelaide mein Essen bereitet, fürchte ich die schwarzen Kerle gewiß nicht.
»Seit Menschengedenken hat es kein Nigger gewagt, sich an einem Weißen zu vergreifen!« tröstete ich Adelaide.
Aber sie antwortete: »Sie betrachten dich nicht mehr als Weißen! Sie nehmen dich als einen der Ihren, seit du Cimbi-Rita« geschworen hast.«
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2. Oktober.
Die arme Frau tut mir so leid. Wie mein Schatten folgt sie mir, nicht eine Sekunde läßt sie mich aus dem Auge. Sie schlummert kaum mehr in der Nacht, sitzt an meinem Bett auf dem Sessel und bewacht meinen Schlaf.
Sie weint nicht mehr, still, schweigsam geht sie neben mir, es ist, als ob sie mit irgendeinem großen Entschluß ringe.
– – Wie wäre es, wenn ich nun doch mein Geschäft hier aufgeben würde! Nach Deutschland mag ich nicht gehen, nicht weil ich fürchtete, wieder mit den dummen Gesetzen in Konflikt zu kommen, – ich kümmere mich ja längst nicht mehr um andere Weiber, seit ich Adelaide und den Jungen habe. Aber ich kann doch unmöglich eine Schwarze als meine Frau hinüberbringen.
Ich könnte mich nach St. Thomas zurückziehen. Adelaide würde sich gewiß dort wohl fühlen. Ich würde mir eine schöne Villa bauen und irgendein neues Geschäft anfangen – eine Arbeit muß ich haben. Wenn ich nur meinen Kram hier zu halbwegs günstigen Bedingungen losschlagen konnte.
Ich schreibe in meinem Arbeitszimmer, das wie eine Festung aussieht. Adelaide ist nämlich ausgegangen; sie hat mir nicht gesagt, wohin, aber ich bin überzeugt, daß sie mit den Vaudouxleuten parlamentieren will. Die drei Hunde liegen im Zimmer vor der verschlossenen Türe, meine Revolver vor mir auf dem Schreibtisch. Es ist geradezu lächerlich – – als ob ein Nigger es wagen würde, bei hellem Tage mir auch nur ein Härchen zu krümmen! Aber ich mußte mich den Wünschen Adelaides fügen. Sie ist allein fort, der Junge liegt neben mir auf dem Diwan und schläft. Hoffentlich bringt sie gute Nachricht zurück.
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30. Oktober.
Ich glaube, Adelaide ist verrückt geworden. Sie schrie und hieb gegen die Türe; ich konnte nicht rasch genug hinlaufen, um zu öffnen. Sie stürzte sofort zu ihrem Jungen, faßte ihn und erdrückte ihn beinahe mit ihren Liebkosungen. Der kleine Kerl fing jämmerlich an zu heulen. Aber sie ließ ihn nicht los, küßte ihn, umarmte ihn, ich fürchtete, sie möchte ihn ersticken mit ihren Küssen.
Ihr Wesen ist ganz erschreckend. Sie sagte kein Wort, aber augenscheinlich hat sie Erfolg gehabt. Sie kostet nicht mehr von meinen Speisen, ihre Angst um mich scheint verschwunden. Und das bedeutet ganz sicher, daß jede Gefahr gehoben ist. Aber sie folgt mir nach wie vor wie ein Hündchen. Beim Nachtmahle saß sie schweigend neben mir, ohne einen Bissen zu berühren; aber nicht eine Sekunde ließ sie die Augen von mir.
Irgend etwas Schreckliches scheint in ihr vorzugehen, aber sie spricht nicht, kein kleines Wort vermag ich aus ihr herauszubringen. Ich will sie nicht quälen, ich sehe ja, wie das arme Weib sich in Liebe zu mir verzehrt.
Ich werde alle Schritte tun, um so bald wie möglich von hier fortzukommen. Ich habe schon mit dem Hamburg-Amerika-Agenten gesprochen. Er ist im Prinzip nicht abgeneigt, aber er will kaum den vierten Teil von dem geben, was die Sache wert ist, und auch das nur auf Abzahlungen. Und doch werde ich darauf eingehen, ich habe ja längst mein Schäfchen im Trocknen und kann schließlich auch einmal ein Geschäft mit Verlust machen. Herrgott, wird sich Adelaide freuen, wenn ich ihr das sagen werde. Ich will sie dann auch heiraten, des Jungen wegen; sie hat es wirklich um mich verdient. Erst wenn alles fix und fertig ist, werde ich ihr die Mitteilung machen: »So, Kind, nun kannst du packen – –« Sie wird ja rasend werden vor Freude!
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11. November.
Meine Verhandlungen nehmen einen guten Verlauf; nun ist auch das Telegramm der deutschen Bank eingetroffen, daß sie meinem künftigen Nachfolger die nötige Barsumme vorstrecken wird. Damit ist die Hauptschwierigkeit gelöst, über die Einzelheiten kommen wir rasch weg, da ich ja das Entgegenkommen selbst bin. Der Kerl merkt das, und nennt mich stets recht ostentativ »seinen Freund und Wohltäter«; na, ich nehm's ihm nicht übel, daß er über ein so fabelhaftes Geschäft seine Freude nicht verheimlichen kann.
Ich muß mir ordentlich Mühe geben, mein Geheimnis vor Adelaide zu verbergen. Ihr Zustand wird immer bedenklicher. Nun, diese Woche wird sie es schon noch aushalten, und dann ist ihre Freude um so großer. Sie war noch ein paarmal bei ihren Vaudouxleuten, jedesmal kehrte sie in einem entsetzlichen Zustande zurück. Ich verstehe nichts davon, es scheint doch jede Gefahr vorüber zu sein. Alle Türen bleiben nachts wie früher offen, und selbst das Kochen überläßt sie den Mädchen. Was hat sie also?
Sie spricht kaum ein Wort mehr. Aber ihre Liebe zu mir und dem Jungen wird mit jedem Tage größer, wächst schier ins Ungemessene. Diese Liebe hat etwas Unheimliches, das mir fast den Atem benimmt. Wenn ich den Jungen auf das Knie nehme und mit ihm spiele, schreit sie auf, stürzt aus dem Zimmer, wirft sich auf ihr Bett und weint und schluchzt zum Herzbrechen.
Gewiß ist sie krank, und steckt mich an mit ihrer seltsamen Krankheit. Ich werde den Augenblick segnen, in dem wir dieses Unglücksnest verlassen können.
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15. November.
Heute morgen war sie ganz aus dem Häuschen. Sie wollte eine kleine Besorgung machen und ihr Kind mitnehmen. Zu diesem Zwecke nahm sie einen Abschied von mir, der nichts Natürliches mehr hatte. Ihre Augen sind längst von dem vielen Weinen rot und entzündet, aber heute morgen stürzten ganze Wasserfälle heraus. Sie konnte sich nicht losreißen aus meinen Armen, immer wieder hielt sie mir den Jungen zum küssen hin. – – Ich war ganz erschüttert von dieser Szene. Gott sei Dank kam bald darauf der Hapagagent, um mir die Verträge zur Unterschrift zu bringen. Nun stehen die Namen drauf, und der Scheck auf die Bank ist in meiner Hand. Dies Haus gehört nicht mehr mir, ich bat den Käufer, mich noch einige Tage hier wohnen zu lassen. »Ein halbes Jahr, wenn Sie wollen!« sagte er. Aber ich verspreche ihm, daß ich kaum eine Woche mehr bleiben werde. Am Samstag geht der Dampfer nach St. Thomas, da muß alles gepackt sein.
Jetzt werde ich Blumen auf den Tisch stellen: wenn Adelaide zurückkommt, soll sie die Freudenbotschaft hören!
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Abends 5 Uhr.
Das ist furchtbar. Adelaide kam nicht, kam nicht. Sie kam nicht. Ich lief in die Stadt, niemand hatte sie gesehen. Ich ging wieder nach Hause, sie war nicht zurück. Im Garten suchte ich nach dem Hutzelweibchen; es war nicht da. Ich lief hinaus zu ihrer Hütte – da fand ich sie – –an den Pfeiler gebunden. »Endlich kommen Sie, endlich! Eilen Sie, ehe es zu spät ist!« Ich schnitt sie los, es kostete Mühe, aus der verstörten Frau vernünftiges herauszubringen. »Sie ist zum Honfoû, die Mamaloi,« stotterte die Alte. »Zum Honfoû mit ihrem Kinde. Man hat mich gebunden, daß ich Ihnen nicht Bescheid sagen könne.« Ich lief wieder nach Hause, meine Pistolen zu holen. Ich schreibe das, während man mein Pferd sattelt. – Herrgott, was mag – – –
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16. November.
Ich ritt durch den Wald.
Ich glaube nicht, daß ich an etwas dachte. Nur daran: du mußt noch zur Zeit ankommen, du mußt noch zur Zeit ankommen.
Die Sonne war schon herunter, als ich über die Lichtung ritt. Zwei Kerle fielen mir in die Zügel, ich hieb ihnen die Peitsche durchs Gesicht. Ich sprang ab, warf die Zügel über den Erdbeerbaum. Dann drang ich in den Honfoû, stieß rechts und links die Menschen zurück.
Ich weiß, daß ich schrie. Da stand im roten Scheine die Mamaloi auf dem Korbe, die Schlange wand sich über die blaue Binde. Und hoch ausgestreckt hielt sie am Halse mein Kind. Mein Kind und ihr Kind. Und würgte es, würgte es, würgte es.
Ich weiß, daß ich schrie. Ich riß die Brownings aus der Tasche und schoß. Zwei Schüsse, ins Gesicht einen, den andern in die Brust. Sie stürzte herab vom Korbe. Ich sprang hin und hob das Kind auf; ich sah gleich, daß es tot war. Und war noch so warm, so glühend warm.
Nach allen Seiten schoß ich hinein in die schwarzen Leiber. Das drängte und stob auseinander, das heulte, bellte und schrie. Ich riß die Fackeln von den Balken und warf sie in die Strohwände. Wie Zunder flammte es auf.
Ich stieg zu Pferde und ritt nach Hause, brachte mein totes Kind heim. Gerettet habe ich mein Kind: nicht vor dem Tode, aber doch vor den Zähnen der schwarzen Teufel.
– Auf meinem Schreibtische fand ich diesen Brief – ich weiß nicht, wie er dahin kam.
»Herrn F. X.«
Du hast Cimbi-Kita verraten und sie wollten Dich töten. Doch wollen sie es nicht tun, wenn ich mein Kind opfere. Ich liebe es so, aber ich liebe Dich noch mehr. Darum will ich tun, was Cimbi-Kita verlangt. Ich weiß, daß Du mich wegjagen wirst, wenn Du hörst, was ich getan habe. Darum werde ich Gift nehmen und Du wirst mich nicht mehr sehen. Aber Du wirst wissen, wie sehr ich Dich liebe. Denn nun bist Du ja ganz gerettet.
Ich liebe Dich sehr.
Adelaide.«
* * *
Nun liegt mein Leben in Stücken da. – Was soll ich tun! Nichts weiß ich mehr. Ich werde diese Blätter in ein Kuvert geben und absenden. Das ist noch eine Arbeit.
Und dann!
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– – Ich beantwortete den Brief sofort. Mein Schreiben trug die Unteradresse des Hapagagenten und den Vermerk: »Ev. bitte nachsenden.« Ich erhielt zurück mit dem andern Vermerk: »Adressat tot.«