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Wahrheit und Glück erscheinen unter menschlichen Verhältnissen oft als unversöhnliche Gegner. Im Streben nach Wahrheit findet der Mensch sein unmittelbares Dasein zu eng und zu klein, er möchte solcher Enge entrinnen und ein Leben mit der ganzen Weite der Unendlichkeit führen; hier scheint die größte aller Befreiungen zu winken: die Befreiung von allen Niederungen der Selbstsucht und von der Zufälligkeit einer besonderen Art; ein reineres, edleres, unendliches Leben steigt damit auf, ein Leben, das selbst ein so maßvoller Denker wie Aristoteles für mehr göttlich als menschlich erklären konnte. Von so hohem Streben ergriffen, scheint der Mensch sein eigenes Befinden gänzlich zurückstellen, ja es willig aufopfern zu müssen, wenn es der Dienst der Wahrheit verlangt. Völlig anders steht es beim Glücksverlangen. Hier wird alles, was den Menschen angeht und trifft, was ihn bewegt und zum Handeln treibt, auf einen Mittelpunkt bezogen, in dem sich das eigne Leben in ein Ganzes zusammenfaßt; danach wird alles Erlebnis gemessen und bewertet, von da aus strömt Liebe und Haß, strömt Glut und Leidenschaft in alle Unendlichkeit ein; was hierfür nichts leisten kann, das gilt als eine unnütze Zutat und darf uns nicht weiter bemühen; was immer hingegen bleibt, das muß sich von hier aus verstärken. So steht beim Glück das Subjekt, bei der Wahrheit das Objekt voran, dort eine energische Konzentration, hier eine unbegrenzte Weite, dort ein Hervorkehren, hier ein Zurückdrängen des Lebenswillens. Das Wahrheitsstreben mag leicht vom Glücksverlangen aus als kalt und matt, dieses aber von jenem aus als eng und selbstisch erscheinen.
Dieser Gegensatz liegt nicht außer der Philosophie, so daß jede Wendung zu ihr gegen das Glück und für die Wahrheit entschiede, er erstreckt sich in sie hinein und erzeugt auch im Denken zwei grundverschiedene Typen. In greifbarer Verkörperung stellen uns diesen Gegensatz Augustin und Spinoza vor Augen. Ein glühendes Glücksverlangen treibt und beseelt wie alles Streben so auch das Denken Augustins; nur dieses Verlangen, nur ein überwältigendes »Ich will« leitet ihn durch alle Zweifel hindurch und macht ihn allen Widerständen gewachsen; was er ergreift, das will er bezwingen und in eignes Leben verwandeln, auch in dem scheinbar Fernsten sieht er nur die Beziehung auf das Befinden des Subjekts und umklammert es danach mit seinen Gefühlen; so scheidet sich ihm alles in ein Entweder – Oder, in Gut oder Böse, in Tag oder Nacht, in Seligkeit oder Verdammnis; alle Vermittlung wird hier zu einer unerträglichen Mattheit. Spinoza dagegen bekämpft alles Hineintragen menschlicher Empfindungen und Affekte in das All als eine gröbliche Entstellung, ja gänzliche Verfälschung, er möchte das übliche Weltbild davon befreien und unser Denken und Leben ganz und gar mit dem Gehalt der Dinge erfüllen. Die willen- und wunschlose Betrachtung wird hier zum Gipfel des Lebens, sie lehrt, die Dinge »unter der Form der Ewigkeit« zu schauen, alles Einzelne umfassenden Zusammenhängen einzufügen, die Geschehnisse nicht zu beweinen oder zu belachen, sondern sie zu verstehen. Alle wahrhafte Größe wird hier darin gefunden, nichts Besonderes für sich sein zu wollen, sondern ganz und gar in die Unendlichkeit aufzugehen; »wer Gott wahrhaft liebt, kann nicht verlangen, daß Gott ihn wieder liebe.«
Wer hat nun Recht, und wessen Ziel muß als das höhere gelten? Denn unmöglich läßt sich beides bei so schroffem Gegensatz der Hauptrichtung einfach zusammenfügen, eine Entscheidung ist nicht zu umgehen. Aber zugleich scheint sich auf keines völlig verzichten zu lassen, vielmehr scheint jedwedes eine gewisse Ergänzung durch die andere Seite zu fordern, die schroffe Spaltung muß sich irgendwie in eine Ausgleichung umwandeln lassen. Denn die Wahrheit, von der wir uns so viel versprechen und die so viel Arbeit und Eifer verlangt, muß doch unserem eignen Wesen irgendwie verbunden sein und irgendwie unserer Selbsterhaltung dienen; wie könnte sie sonst uns so stark beschäftigen und tief bewegen? Umgekehrt könnte ein Glück, das den Zustand des bloßen Subjekts nicht überschritte, das unsern Lebenskreis nicht irgend erweiterte und mehr aus uns machte, einem Vernunftwesen schwerlich genügen, es würde die Mühe nicht lohnen, die es kostet. So scheint im Wahrheitsstreben ein, wenn auch gedämpftes, Glücksverlangen zu wirken, dies Verlangen selbst aber der inneren Läuterung nicht entbehren zu können, die der Kampf um die Wahrheit verheißt. So drängt es zu untersuchen, wie weit eine Annäherung möglich ist, und ob sich die beiden Ziele in Gegenpole eines einzigen Lebens verwandeln lassen. Es wird dafür aber jede Bewegung für sich zu betrachten sein.
Der Begriff der Wahrheit gehört zu den Begriffen, die der erste Anblick einfach, ja beinahe selbstverständlich darstellt, die sich aber in dem Maße verwickeln, je mehr eine genauere Fassung versucht wird. Wenn das Alltagsleben von Wahrheit redet, so will es nur ein Bild, eine Meinung, eine Behauptung mit dem Tatbestande vergleichen, auf den sie sich bezieht; soweit dieser Tatbestand dem Bereich der Erfahrung angehört, ist solche Vergleichung leicht; es kann hier Wahrheit unbedenklich als eine Übereinstimmung unserer Vorstellung mit dem Gegenstande (adaequatio intellectus et rei) gelten. Aber dieser Wahrheitsbegriff kann schon deshalb dem Menschen nicht genügen, weil es ihn treibt, die natürliche Verkettung der Erscheinungen zu durchbrechen, die Welt zu überdenken und sein Verhältnis zu ihr abzuwägen. Er entwickelt einen eignen Gedankenkreis, unterscheidet ihn von der Welt der Dinge und muß nun fragen, wie sich das Ganze zum Ganzen verhält, wie weit sein Denken den Dingen entspricht. Es scheint damit dem Menschen eine große Aufgabe gestellt, er soll, so scheint es, durch einen dichten Nebel hindurchdringen, der ihm die Dinge verhüllt. Zugleich scheint damit das Leben den schwankenden Meinungen der Individuen überlegen zu werden und eine innere Festigkeit zu erlangen. Aber so viel jene Forderung verheißt, ist sie erfüllbar, enthält sie nicht einen Widerspruch? Die Dinge lassen sich nicht zugleich von uns entfernen und zu uns zurückziehen, der Begriff der Wahrheit als eines Abbildes der Wirklichkeit, als einer Übereinstimmung unseres Vorstellens mit einer daneben befindlichen Welt, braucht nur genauer durchdacht zu werden, um sich als unhaltbar zu erweisen. Denn nehmen wir an, der Mensch stünde neben den Dingen und die Dinge teilten sich ihm mit, würden sie sich seiner Natur nicht anpassen müssen und damit etwas anderes werden als sie bei sich selber sind? Eine Kluft und zugleich die Unmöglichkeit einer unmittelbaren Überbrückung muß um so mehr empfunden werden, je mehr der Fortgang der Kultur das Innenleben selbständig macht. Unmöglich können wir uns auf einen dritten Standpunkt versetzen und von ihm aus unser Bild der Dinge mit den Dingen selbst vergleichen. Erhält sich trotz solcher augenscheinlichen Unmöglichkeit dieser Lösung ein Verlangen nach Wahrheit, drängt es zwingend den Menschen zum Suchen eines Denkens und Lebens aus dem All, so wird eine gründliche Umwandlung unseres Verhältnisses zur Wirklichkeit nötig; nur eine solche kann uns das scheinbar Unmögliche irgendwie möglich erscheinen lassen. So war um die Entdeckung und Entwicklung eines solchen dem Widerspruch überlegenen Verhältnisses von alters her die Arbeit der Philosophie bemüht, alle Hauptepochen haben diese Frage in eigentümlicher Weise behandelt, es gab keinen großen Denker, der hier nicht eigne Wege versuchte, ja über die Möglichkeit einer Philosophie wie über ihren Grundcharakter wurde nirgends härter als an dieser Stelle gestritten. Das Streben der Gegenwart steht aber unter starker Einwirkung dieser geschichtlichen Arbeit; so werden wir diese in ihren Hauptzügen aufrollen müssen, um uns über die eigne Lage aufzuklären.
Das griechische Altertum hat wie oft so auch bei diesem Problem mit der naiven Ansicht nicht schroff gebrochen, aber es hat sie weitergebildet und ins Gedankenmäßige gehoben. Daß ein All vorhanden ist, und daß es den Menschen mit sicherem Wirken umfängt, das wird durchgängig vorausgesetzt und durch alle sonstige Verschiebung der Überzeugungen nicht angetastet; so findet die geistige Arbeit ihre Hauptaufgabe darin, das Verhältnis des Menschen zur Welt zu voller Klarheit herauszuarbeiten; zum Ziel des Wahrheitsstrebens wird hier das Welterkennen, die Aneignung der Welt. Diese herzustellen haben die Hauptepochen in verschiedener Weise versucht, und es zeigt der Verlauf dieser Versuche ein typisches Gepräge, so daß er sich ähnlich auch später findet. Zunächst herrscht der Gedanke einer Wesensverwandtschaft zwischen dem All und dem denkenden Menschen, dann tritt beides auseinander und das Subjekt muß bei sich selbst untrügliche Kennzeichen der Wahrheit zu ermitteln suchen, endlich erhält das Denken das Vermögen zugesprochen, sich selbst zur allumfassenden Welt zu gestalten und den Gegensatz von Subjekt und Objekt zu umspannen.
In der klassischen Zeit eines Plato und eines Aristoteles wirkt die Beseelung der Weltumgebung noch nach, die der naiven Denkweise angehört, und die dem Menschen das Verhältnis zur Welt als einen Verkehr mit seinesgleichen gestaltet. Denn wohl ist die anthropomorphe Form verblaßt, welche die Dinge wie kleine oder große Menschen behandelt, aber ein inneres Leben und Streben ist ihnen verblieben, und es scheinen dieselben Kräfte, die unser Leben bewegen, auch das All zu beherrschen, sie scheinen nicht vom Menschen in das All hineingetragen, sondern vielmehr vom All, das den Menschen umfängt, ihm mitgeteilt. Nur wegen solcher inneren Verwandtschaft oder vielmehr Zugehörigkeit darf er hoffen, das All in seine Gedanken zu fassen. Der Erkenntnisvorgang wird die Herstellung einer Berührung zwischen einem Hier und Dort, das von Haus aus aufeinander angewiesen ist, das aber zur vollen Einigung sich erst zusammenzufinden hat; diese Einigung erfolgt in der Anschauung, die hier der Liebe nahe verwandt ist. Für diese Stufe vornehmlich gilt das Wort des Dichters:
»Wär' nicht das Auge sonnenhaft,
Die Sonne könnt' es nie erblicken,
Läg' nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
Wie könnt' uns Göttliches entzücken!«
Wohl ist die Wahrheit hier noch eine Übereinstimmung des Subjekts mit dem Objekt, des Denkens mit dem Sein, aber da das Erkennen nichts anderes ist als die Entwicklung der Wesensverwandtschaft des Geistes mit dem All, so ergibt jene Fassung keine Verwicklung; so darf hier die freudige Zuversicht walten, die volle Wahrheit der Dinge zu ergreifen und das Leben des Alls unverfälscht mitzuleben. Hier darf man hoffen, die Tiefe der Dinge sich anzueignen, da sich noch keinerlei Spalt zwischen einem Wirken und Wesen der Dinge aufgetan hat, im Wirken vielmehr das ganze Sein gegenwärtig ist. Bei solcher Fassung ist das Denken deutlich genug von aller bloßsinnlichen Anschauung geschieden, aber es nimmt in sich selbst eine gewisse Gegenständlichkeit, eine plastische Gestaltung auf und erhält damit eine Verwandtschaft mit jener; die wissenschaftliche Arbeit ist selbst eine Art von künstlerischem Bilden, ein Ansichziehen und inneres Beleben der Dinge, ein Zusammenschauen der Mannigfaltigkeit zu einer Einheit, ein Verwandeln des Chaos des sinnlichen Eindrucks in einen wohlgeordneten Kosmos; sie ist mit dem allen eine freudige Erhöhung des ganzen menschlichen Wesens.
Wie bei Plato dies alles mit dem Ganzen der Persönlichkeit unmittelbar zusammenhängt, so ist hier der künstlerisch-plastische Charakter des Denkens besonders ausgeprägt; das Selbständigwerden der wissenschaftlichen Forschung bei Aristoteles läßt diese künstlerische Art mehr verblassen, aber sie gibt sie keineswegs gänzlich auf. Es verbleibt ein enger Zusammenhang des menschlichen Lebens mit dem All, und es wird ein unermüdliches Wirken dahin gerichtet, die Welt in ein Gewebe von inneren Einheiten, Zwecken, Kräften zu verwandeln und sie damit dem Menschen geistig näherzurücken, sie ihm intellektuell durchsichtig zu machen. Zahllose Fäden spinnen sich damit zwischen ihm und seiner Umgebung, ja es wird eine energische Durchgliederung, eine systematische Anordnung der ganzen Wirklichkeit erreicht. Bei wachsender Scheidung und Klärung konnte jedoch der Anthropomorphismus nicht verborgen bleiben, den das Ganze bei aller Größe der Leistung enthält, er mußte wegen seiner Verstecktheit besonders gefährlich dünken; unmöglich konnte für die Dauer entgehen, daß vielfach das, was hier als Erklärung geboten wird, nicht mehr als ein Bild und Gleichnis bedeutet; zugleich konnte das Ganze als eine unerträgliche Vermengung von Bild und Sache, sowie als ein Hineinspielen vom Subjektiven ins Objektive empfunden und abgelehnt werden. So geschah es namentlich zu Beginn der Neuzeit der Scholastik gegenüber, um so mehr, da diese die Formen des Aristoteles festhielt, ohne seinen Geist und die inneren Zusammenhänge seines Denkens zu bewahren. Aber auch schon im Altertum drängte die fortschreitende Ablösung des Menschen von der Welt das Wahrheitsstreben über die klassische Lösung hinaus und trieb es auf neue Wege.
Einen solchen neuen Weg versuchte die Stoa. Auch sie zweifelt nicht an der Welt und an der Zugehörigkeit des Menschen zu ihr, aber jene enge Verbindung hat sich ihr gelockert; so nimmt sie den Ausgangspunkt beim Subjekt und sucht sich von ihm aus darüber klar zu werden, was als wirklich und wahr gelten dürfe. Viel Eifer wird daran gesetzt, bestimmte Kennzeichen zu ermitteln, welche echte Mitteilungen der Dinge von Einbildungen unterscheiden. Die Forschung versetzt dabei weniger in das eigne Leben und Wirken der Dinge, als sie gewisse Grundlinien des Ganzen entwirft und sie dem Menschen zur Überzeugung macht. Zugleich fällt das enge Bündnis zwischen der Philosophie und den Einzelwissenschaften, das die Forschung eines Aristoteles auszeichnet, jene Wissenschaften werden selbständig. Dafür wird der menschliche Lebenskreis genauer durchforscht und mehr in sich selbst vertieft, namentlich ist es die deutliche Heraushebung der ethischen Aufgabe, worin der Mensch einen innern Zusammenhang mit der Wirklichkeit und eine sichere Wahrheit zu gewinnen glaubt. Was hier an Wahrheit erscheint, das erhält eine Bekräftigung durch das Einsetzen der ganzen Persönlichkeit; die Aufrechterhaltung des Wissens wird selbst zu einer moralischen Tat, zu einer Denkhandlung. Aber dies Wissen mit dem Ganzen des Alls voll auszugleichen, ist hier nicht gelungen, die Welt, welche neben dem Menschen steht, ist vorwiegend logischer und physischer Art, bei Aufsteigen eines Zweifels kann der ethische Lebenskreis leicht vereinsamt und unsicher scheinen; damit gerät aber auch der Wahrheitsglaube ins Wanken. Was an Problemen und Widersprüchen in der stoischen Lehre lag, das hat die Skepsis mit ihrer von den Modernen viel zu wenig gewürdigten Leistung mit voller Schärfe hervorgekehrt; indem sich eine starre Kluft zwischen Subjekt und Objekt auftat, mußte der Zweifel weiter und weiter um sich greifen und aller Zugang zur Wahrheit als dem Menschen versperrt erscheinen.
Jener Spaltung aber hat nicht erst die Neuzeit, es hat ihr schon das Griechentum Widerstand entgegengesetzt; es geschah das vornehmlich in der weltumspannenden Spekulation des Plotin. Hier waltet kein Zweifel darüber, daß außer dem Denken befindliche Dinge unmöglich erkennbar sind; soll also nicht alles echte Erkennen aufgegeben werden, so sind die Dinge in das Denken hineinzuziehen; dies aber kann nicht anders geschehen, als indem das Denken sich selbst zum Gegenstand des Erkennens macht und damit die Scheidung überwindet, wenn das Erkennen nichts anderes ist als ein Sichselbsterkennen des Denkens. Die Forschung hatte dann nur diese Denktätigkeit kräftig herauszustellen und allen Befund der Erfahrung in sie umzusetzen; indem Plotin das in großem Zuge unternahm, hat er im Denken ein Beisichselbstsein des Lebens aufgedeckt und dies zur Seele der gesamten Wirklichkeit gemacht. Hier entfaltet sich ein Sehen der Dinge von innen nach außen, vom Ganzen zum Einzelnen, die ganze Wirklichkeit gerät hier in Fluß, ihre verschiedenen Reiche werden zu Stufen einer allumfassenden Bewegung. Wie eine wesenhafte Einheit alle Mannigfaltigkeit trägt, so hat das Erkennen vornehmlich mit dem Erfassen der Einheit zu tun, an jeder Stelle will es vor allem die Einheit sehen. In diesem Zusammenhange entspringt der Gedanke der Unendlichkeit, der alle Gegensätze umspannt, ja sie in eins zusammenfallen läßt. So wird in großartiger Weise die Welt vereinigt und mit innerem Leben erfüllt, das Hangen des einen am anderen, der durchgehende Strom des Lebens, die Notwendigkeit und die Wucht des Einheitsgedankens, sie werden hier in klassischer Weise zur Wirkung gebracht. Aber es geschieht das unter Aufopferung aller anschaulichen Welt, unter strenger Verwandlung der Wirklichkeit in ein Reich von logischen Beziehungen, das ein Gewebe bloßer Formen und Formeln gebildet hätte, wenn nicht eine Tiefe des Gemütes das Ganze mit religiöser Stimmung erfüllt und dadurch beseelt hätte. Aber dabei wird das Erkennen eben auf seiner höchsten Höhe aus wissenschaftlicher Einsicht ein dunkles Gefühl, eine freischwebende Stimmung. Mag auch darin ein Wahrheitselement verbleiben, den näheren Inhalt der Welt hat diese Art des Erkennens aufgegeben.
So finden wir eine reiche Bewegung auch innerhalb des Altertums und erkennen eine grobe Irrung darin, die besondere Art der klassischen Zeit auf das ganze Altertum auszudehnen. Darin aber verblieb durch alle Phasen eine Gemeinschaft, daß das Dasein einer Welt nicht erschüttert wurde, und daß das Verhältnis des Menschen zu ihr die Hauptsache war; in engem Zusammenhang damit behielt das Denken mit seinem Erkennen die Führung des Lebens. Wenn demgegenüber das Christentum das Verhältnis zu Gott, und zwar zu einem der Welt nicht sowohl innewohnenden als ihr überlegenen Gott, zum Kern des Lebens machte, so mußte das sowohl das Ziel als die Art des Wahrheitsstrebens aufs wesentlichste verändern. Das, woran nun an erster Stelle dem Erkennen lag, war die Gestaltung des Verhältnisses von Gottheit und Mensch; über sie aber konnte nicht wohl die Arbeit der Wissenschaft und überhaupt nicht das Vermögen des Menschen aufklären, sondern es bedurfte dazu einer Erschließung seitens der Gottheit selbst, einer göttlichen Offenbarung, »über Gott läßt sich nur von Gott lernen« (Athenagoras). Vom Menschen wird ein willfähriges Annehmen dessen, wird unbedingter Glaube gefordert; so gilt nur der Glaube, nicht das Wissen, als der Weg zu der Wahrheit, die über die Rettung des Menschen entscheidet. Dem Glauben wird als Vorzug vor dem Wissen nicht nur seine größere Sicherheit, sondern auch seine leichtere Verständlichkeit nachgerühmt, an ihm kann auch der einfachste Handwerker teilhaben, während zum Wissen immer nur wenige kommen. Den Inhalt der auf diesem Wege gewonnenen Wahrheit bilden aber große Weltgeschehnisse moralischer Art, namentlich bewegt sich alles um das Problem von Abfall und Rettung, alles andere wird zur bloßen Umgebung, nur von Gott und von der Seele brauchen wir nach Augustin etwas zu wissen. Damit wird der menschliche Gedankenkreis stark verengt, aber es besagt eine erhebliche Umwandlung des Gesamtanblicks der Wirklichkeit, wenn nun das Ganze der Welt von einem freien persönlichen Wesen getragen und von ethischen Aufgaben beherrscht wird. So darf hier der Mensch mit seinem Streben sich den tiefsten Gründen der Wirklichkeit verbunden wissen, er steht im Mittelpunkt der Welt und darf von der Wahrheit des Glaubensinhaltes felsenfest überzeugt sein. In dieser ethisch-religiösen Richtung schließt die ganze Welt sich ihm auf; denn darin scheinen die Dinge ihr tiefstes Wesen zu eröffnen, was sie für die innere Behandlung und Erhöhung der Menschheit leisten; selbst die Gestalten und Vorgänge der Natur werden zu Gleichnissen der heiligen Geschichte.
Aber der Begriff des Glaubens, der hier alle Gewißheit begründet, enthält Schwierigkeiten, die zunächst innerhalb des christlichen Gedankenkreises manche Verwicklung erzeugen, ihn schließlich aber selbst zu erschüttern drohen. Ein Gebiet des Wissens neben dem des Glaubens läßt sich nicht leugnen; damit wird zur Frage, wie beide sich zu einander verhalten; diese Frage kann verschieden beantwortet werden und ist verschieden beantwortet worden. Namentlich erscheint hier ein durchgehender Gegensatz einer universalistischen und einer positivistischen Denkart: die einen suchen Glauben und Wissen einander freundlich zu verbinden, die anderen sie möglichst scharf auseinander zu halten; danach wird jedes der Gebiete sich verschieden gestalten. Eine Verbindung wird einmal in der Weise erstrebt, daß das Wissen als eine Vorbereitung und als eine niedere Stufe dessen gilt, was im Glauben vollendet wird; aber trotz solcher Unterordnung wird durch die Verkettung mit einer in Gott begründeten Wahrheit dem Wissen eine Richtung auf große Probleme und ein spekulativer Charakter gegeben; der Glaubensinhalt wird hier vom Denken ergriffen, bearbeitet und durchleuchtet, der Glaube erscheint dabei als eine andere, höhere, erst durch göttliche Mitteilung mögliche Art des Wissens, aber er bleibt eine Art des Wissens. Diese Denkweise ist es, welche in der römisch-katholischen Kirche zur Oberhand gelangt ist und dort heute in sicherer Herrschaft steht. Im Mittelalter aber hatte sie hart mit dem anderen Typus zu kämpfen, der den kirchlichen Protestantismus überwiegend gewonnen hat. Diesem scheint jene Ausgleichung mit dem Denken die besondere Art des Glaubens, die Eigentümlichkeit der Tatsachen und die Unmittelbarkeit der Überzeugung zu gefährden; zu ihrer Wahrung dünkt eine möglichst scharfe Scheidung geboten, ein Entweder-Oder tritt jenem Sowohl-Als Auch entgegen. Damit entfallt alle spekulative Durchdringung des Glaubens; je weniger er aber als beweisbar gilt, desto mehr wird er zu einer Sache freier Entscheidung, er gilt als ein Akt des Willens, er wird zum Beispiel von Duns Skotus für ein »praktisches Verhalten« (habitus practicus) erklärt; die Tatsachen, auf die er sich gründet, kehren namentlich ihren geschichtlichen Charakter hervor und wollen als solche angenommen sein; das Wissen aber wird von jenen Grundfragen möglichst ferngehalten und auf die natürliche Welt gewiesen, es wird dabei mehr an die Erfahrung gebunden und mit ihr beschäftigt. Dieser Gegensatz einer universalistischen und einer positivistischen, einer dem Erkennen und dem Wollen folgenden Denkweise scheidet die Geister bis zum heutigen Tag; man sieht nicht, wie diese Gedankenwelt ihn überwinden könnte. Seine tiefste Wurzel liegt darin, daß das Christentum zugleich eine unvergleichliche geschichtliche Tatsache sein und eine universale Gültigkeit haben will; je nachdem dieses oder jenes vorantritt, wird sich die Denkweise so oder so gestalten.
Schwerer noch als dies Problem des Verhältnisses von Glauben und Wissen ist die Verwicklung im Begriff des Glaubens selbst. Von Anfang an wollte der Glaube mehr als das Wissen sein; rechtfertigen konnte er diesen Anspruch nur, wenn er einen Ursprung in einer größeren Tiefe der Seele erwies; er tat das oder versuchte es doch zu tun, indem er sich als eine Aufbietung und einen Ausdruck des ganzen Wesens, als eine Sache reinster Gesinnung und freier Entscheidung gab. Aber die Bereitwilligkeit, eine von Gott eröffnete Wahrheit anzunehmen und sich in ihrer Festhaltung durch alle Bedenken der Vernunft nicht beirren zu lassen, hat eine unerläßliche Voraussetzung: der göttliche Ursprung jener Lehre muß allem Zweifel enthoben sein, untrügliche Zeugnisse müssen uns seiner versichern. Ob aber in Wahrheit solche Zeugnisse vorliegen, das kann nur die Wissenschaft prüfen; so scheint dem Glauben ein Akt des Wissens vorangehen zu müssen. Das Bedenken, das damit erwächst, wäre leichter zu heben, wenn etwas in Frage stünde, das im Leben des Einzelnen entspringt und sich hier unmittelbar erweisen könnte; nun aber handelt es sich hier um weltgeschichtliche Tatsachen, die jenseits jenes Lebenskreises liegen und dem Einzelnen erst mitzuteilen sind. Wie kann ein Glaube an solche Tatsachen sein untrügliches Recht erweisen? Der römische Katholizismus hat diese Schwierigkeit mit der Behauptung eines der Kirche von Gott übertragenen unfehlbaren Lehramts zu überwinden geglaubt, aber diese Behauptung hat er erst zu erweisen, er kann das aber nicht ohne die Hilfe der Wissenschaft, welche sich mit den Einwendungen der historischen Forschung auseinanderzusetzen hat; so wird das Fundament des Glaubens abhängig von derselben Wissenschaft, über welche der Glaube den Menschen hinausheben wollte. Im Durchschnitt des Lebens ist hier der Glaube nicht mehr als ein willfahriges Annehmen dessen, was die Gemeinschaft als Wahrheit entgegenbringt, Tradition und Autorität werden hier die Bürgen der Wahrheit. Der Protestantismus konnte aber den Glauben nicht unmittelbar im Einzelnen entstehen lassen ohne vorauszusetzen, daß die begründenden Tatsachen jedem Einzelnen nahe sind und ihm unmittelbar einleuchten müssen; daß die Sache keineswegs so einfach steht, daran können wir heute nicht zweifeln. Neuerdings wird eine Gewißheit des Glaubens vornehmlich durch eine Verbindung von seelischen Erlebnissen und geschichtlichen Tatsachen gesucht, Psychologie und Geschichte sollen zum selben Ziele zusammenwirken. Nun aber ist jedes von beiden durch die moderne Forschung in seiner Glaubwürdigkeit bei diesen Fragen erschüttert, die Verbindung zweier unsicherer Größen kann aber nun und nimmer volle Gewißheit bringen, zwei Hälften ergeben hier kein volles Ganzes. So ist heute der Glaube, der den Menschen allem Zweifel entheben sollte, selbst ein Gegenstand des Zweifels geworden; seine Überzeugungskraft gilt nur so weit, als eine geschlossene religiöse Welt den Menschen als selbstverständlich umfängt und ihm das Dasein wie die Nähe der Gottheit ebenso einleuchtend macht wie seine eigne Existenz. Gerät jene Welt ins Wanken, ja verliert sie nur irgendwie an der vollen Gewißheit, die sie für den mittelalterlichen Menschen besaß, so wird der Glaube aus einer sicheren Grundlage der Wahrheit zu einem schweren Problem.
Je mehr die Neuzeit eine selbständige Art entwickelt hat, desto mehr ist ihr die spezifisch religiöse Denkweise zurückgetreten und bis in ihre Grundlagen erschüttert. Dem Wahrheitsproblem erwächst daraus zunächst eine große Unsicherheit. Aus den Zusammenhängen der Welt, die im Altertum den Menschen sicher umfingen, hat ihn das Christentum herausgerissen, auch das gesteigerte Innenleben der Seele verbietet ihm eine einfache Rückkehr zur Welt. Aber auch der Gottheit weiß der moderne Mensch sich nicht mehr sicher, jedenfalls beherrscht das Verhältnis zu ihr nicht mehr das Ganze seines Lebens. Wohin kann er sich bei solcher Lage noch wenden, um volle Wahrheit zu finden, und welchen Sinn kann dieser Begriff noch haben? Nirgend anders kann der Mensch nach jenen Erfahrungen Wahrheit suchen als bei sich selbst: sein eignes Leben muß eine Tiefe haben, die für ihn selbst zunächst wie eine schwer zugängliche Ferne zurückliegt, mit deren Hilfe er aber in sich eine Welt zu entdecken oder vielmehr sich selbst zu einer Welt zu erweitern hoffen mag; es gilt dann eine Verlegung des Lebens nicht in etwas, das sich außer oder über uns befindet, sondern in etwas, das uns selbst angehört, das aber nur durch ein energisches Vordringen, ja durch eine Umkehrung unser volles und eignes Leben werden kann. Eine Wirklichkeit wird hier nicht vorgefunden, sondern sie ist von innen her aufzubauen; die Wahrheit ist hier ein Streben des Lebens zu sich selbst, ein Suchen des eignen Wesens; so kann sie nicht die Übereinstimmung mit einer gegebenen Wirklichkeit sein, sie wird eine Übereinstimmung mit sich selbst, ein Sichzusammenschließen, Unabhängigwerden und Selbsterhöhen des sonst zerstreuten und gebundenen Lebens. Ihre Bestätigung kann nur darin liegen, daß mit der Wendung zu ihr das ganze Dasein in ein ursprüngliches Leben verwandelt, wesentlich erhöht und zugleich zu einem Ganzen wirklichkeitsbildenden Schaffens verbunden wird.
So wird hier zum Hauptproblem, den Punkt zu finden, wo im Menschen ein ursprüngliches und schöpferisches Leben als die Tiefe seines eignen Wesens hervorbricht; je nach dem er sich gestaltet, wird sich auch die Wirklichkeit und die Wahrheit verschieden gestalten; daß aber irgendwie ein solches Leben erreichbar sei, das ist die gemeinsame Voraussetzung jenes Vernunftglaubens, der das Schaffen der Neuzeit durchdringt und bei ihren leitenden Denkern zu deutlicher Aussprache kommt. Diese dem Menschenwesen innewohnende Vernunft muß jetzt beim Wahrheitsproblem die Stelle des Alls und der Gottheit vertreten. Auch das ist allen Versuchen gemeinsam, daß hier die Bewegung nicht von einer vorgefundenen Welt zum Menschen, sondern vom Menschen zu einer erst aufzubauenden Welt geht; diese Bewegung zieht alles an sich, was anfänglich draußen liegt, sie duldet nichts, was nicht den Forderungen entspricht, die ihr innewohnen, alles Vorgefundene muß sich ihnen fügen und anpassen, um überhaupt bestehen zu können. Es leuchtet ein, wie sehr das menschliche Wirken sich damit gegen die ältere Art verändert, wie sehr es an Selbständigkeit gewinnt, wie viel aktiver und produktiver, aber zugleich auch wie viel unruhiger und kritischer es wird; es wird im Bilden der Welt darauf bestehen, die Dinge von ihren ersten Ursprüngen her zu entwickeln und zugleich eine Herrschaft über sie zu gewinnen; das bestimmt vornehmlich den Charakter der modernen Wissenschaft, das treibt aber weiter zu einer völligen Erneuerung des menschlichen Daseins.
Die Frage, wo im Menschen ein solches Leben aufsteigt, berührt sich eng mit dem schon früher erörterten Unternehmen, im Denken die überlegene Macht zu finden, die das sonst auseinanderstrebende Dasein zusammenhält und geistig bewältigt. Denn es überwiegt zunächst ganz und gar die Neigung, das Denken für jenes ursprüngliche Schaffen zu erklären, da es den Menschen bei sich selbst über das Kleinmenschliche hinaushebt und ihn durch die Verwandlung in ein Weltleben zur Wahrheit führt. Das Denken vornehmlich war es, was durch die Jahrhunderte hindurch die Herausarbeitung sachlicher Notwendigkeiten und weiter Zusammenhänge unternommen und sie gegen die Enge und Gebundenheit kleinmenschlicher Art durchgesetzt hat; es hat sich in solcher Bewegung immer freier über das unmittelbare Dasein des Menschen erhoben, sich fester bei sich selbst zusammengeschlossen und immer mehr alles, was ihm wie eine eigne Welt gegenüberlag, in sich hineingezogen. In solchem Vordringen des Denkens lassen sich drei Hauptstufen unterscheiden, die der Aufklärung (Descartes, Spinoza und Leibniz), die der kritischen Philosophie (Kant), die der konstruktiven Spekulation (Fichte, Schelling und Hegel).
Wenn die Aufklärung das Wahrheitsstreben beim denkenden Subjekte begann, so mußte sie in ihm einen bestimmten Inhalt und eine bewegende Kraft entdecken, sie fand diese in den »eingebornen Ideen«, den »ewigen Wahrheiten«, die einen völlig sicheren Stammbesitz des Menschengeistes zu bilden schienen. Indem diese ewigen Wahrheiten sich entwickeln, die umgebende Welt ergreifen und sie ihren Forderungen unterwerfen, entsteht ein Reich der Vernunft und gewährt dem Menschen eine, wie es scheint, allgemeingültige und unantastbare Wahrheit. Aber in den Stand der Wahrheit zu bringen ist wie das Bild der Natur so auch der Kreis des Menschen erst durch mühsame Denkarbeit; es gilt eine durchgehende Klärung und Sichtung, die alles ausscheidet, was der Durchleuchtung widersteht; was aber die Probe besteht, das wird kräftiger belebt und fester verbunden. So entspringt die exaktmechanische Naturwissenschaft, so entsteht eine Vernunftkultur, die alle überlieferten Befunde prüft und nichts duldet, was sein Recht nicht klar und deutlich vor der Vernunft zu begründen vermag. Dies Unternehmen zieht sein Selbstvertrauen und seine Kraft vornehmlich aus der Überzeugung, daß die Vernunft nicht eine Sache des bloßen Menschen ist, sondern daß sie das All beherrscht; nur so kann, was er als Wahrheit erkennt, über ihn hinaus eine schrankenlose Gültigkeit haben; er selbst aber gewinnt durch das Teilnehmen an einer solchen allgemeingültigen Wahrheit und am Aufbau eines Reiches der Vernunft eine hohe Lebensaufgabe und ein vollbefriedigendes Glück. So meint Leibniz, die ganze Erde könne »unserer wahren Vollkommenheit nicht dienen, es sei denn, daß sie uns Gelegenheit gibt, ewige und allgemeine Wahrheiten zu finden, so in allen Weltkugeln, ja in allen Zeiten und, mit einem Wort, bei Gott selbst gelten müssen, von dem sie auch beständig herfließen«. Wie aber bei Leibniz, so ruht überhaupt der Glaube der Aufklärung an den Besitz allgemeingültiger Wahrheit auf der Überzeugung, daß die menschliche Vernunft in einer göttlichen, weltumspannenden begründet sei; diese Überzeugung wird zunächst in engem Anschluß an die überkommene transzendente Fassung des Gottesbegriffes zu begründen gesucht; der Glaube an die Wahrhaftigkeit Gottes darf uns unserer eignen Vernunft zuversichtlich vertrauen lassen, wenn sie die ihr gesetzten Ordnungen gewissenhaft befolgt. Die immanente Denkweise Spinozas gestaltet aber die Sache dahin, daß ein Weltdenken in uns selbst unmittelbar gegenwärtig ist, daß nicht sowohl wir denken, als es in uns denkt; es gilt also nur uns eines solchen Denkens zu versichern; das aber können wir nach Spinoza, wenn wir unsere intellektuelle Arbeit von aller Einwirkung menschlicher Zustände und Zwecke befreien und sie lediglich durch die innere Notwendigkeit des Denkens selbst bestimmen lassen. Denn das ist es, was das gewöhnliche Weltbild unzulänglich und irrig macht, daß hier der Mensch als der Mittel- und Zielpunkt aller Wirklichkeit behandelt wird, daß namentlich die Gegensätze menschlicher Empfindungsweise, wie gut und böse, schön und häßlich in das All hineingetragen sind und sein Bild aufs ärgste entstellt haben; die erste Bedingung der Wahrheit ist daher eine bescheidene Zurückhaltung des Menschen, eine willige Unterordnung unter die Notwendigkeiten der Sache, wie das Denken sie enthüllt; der Mensch muß den Schwerpunkt seines eignen Wesens verlegen, verlegen aus dem wirren Getriebe der Affekte in ein affektloses Denken, in eine willen- und wunschlose Betrachtung der Dinge. Ein solches reines Denken aber kann ihn in ein Weltleben versetzen, ihn von allem Kleinmenschlichen befreien, ihm ein ewiges und unendliches Leben erschließen und dadurch volle Ruhe und Seligkeit gewähren.
Aber so hoch damit Spinoza das Denken stellt und so sehr er es sich ganz aus sich selbst bewegen, aus eigner Notwendigkeit fortschreiten läßt, er nimmt ihm nicht alle Beziehung zu draußen befindlichen Gegenständen, er hält daran fest, daß das Denken unter Entfaltung seiner eignen Art und Notwendigkeit zugleich einem neben ihm befindlichen Sein entspricht; an die Stelle der Übereinstimmung tritt hier ein Parallelismus von Denken und Sein; er scheint dadurch möglich zu werden, daß ein und dasselbe Grundgeschehen des Alls beide Reihen umspannt und in ihnen zum Ausdruck kommt. Aber bei dieser Lösung ist nicht nur jene Voraussetzung eines allumfassenden Weltgrundes anfechtbar, auch das Verhältnis der beiden Reihen bereitet schwerste Verwicklung. Schon dies muß Bedenken erregen, daß jene beiden bei Spinoza nirgends zu gleicher Schätzung gelangen, sondern daß immer die eine der andern untergeordnet wird: entweder wird das Denken eine bloße Spiegelung der Natur, deren Gesetze sich damit zu Gesetzen des Alls erweitern, oder das Denken bildet den Kern der Wirklichkeit, und die Natur kann nicht mehr als seine Erscheinung und Umgebung bedeuten. Auch darüber hinaus ist der Zweifel nicht zu unterdrücken, ob bei der Unvergleichlichkeit beiden Seiten der Gedanke eines Parallelismus nicht ein völlig unmöglicher Gedanke sei, ob er nicht in sich selbst einen Widerspruch enthalte. Aber alle solche Zweifel können nicht die Größe des Strebens Spinozas verdunkeln, im Menschen selbst eine Weltnatur aufzudecken, in seinem eignen Bereiche Bloßmenschliches und Kosmisches zu scheiden; wenigstens sehen wir nicht, wie der moderne Mensch sich in anderer Weise zur Wahrheit finden könnte. Aber war es richtig, daß er jene Weltnatur lediglich und allein in die intellektuelle Tätigkeit setzte und alles übrige Leben als eine niedere Stufe behandelte? So kam er nur zu einer Welt logischer Formen und Formeln, deren Kälte und Seelenlosigkeit hätte sofort erhellen müssen, wenn nicht eine völlig andersgeartete mystisch-religiöse Denkweise das Ganze belebt und erwärmt hätte. Es gibt keinen Philosophen, der bei gewaltiger Energie des Denkens im Grundgewebe so sehr aus Widersprüchen zusammengesetzt ist wie der Denker, den manche als den Gipfel des Einheitsstrebens preisen. Eine neue Stufe erreicht das Wahrheitsstreben bei Kant. Hier erst gelangt zur vollen Klarheit, daß Wahrheit im Sinne einer Übereinstimmung des Denkens mit einem draußen befindlichen Sein ein völliges Unding ist; da aber zugleich mit größter Entschiedenheit auf irgendwelcher Wahrheit bestanden wird, so müssen sich wesentliche Verschiebungen im Wahrheitsbegriffe vollziehen; in der Tat erfolgt hier eine Umkehrung im Verhältnis von Denken und Sein. Es hat sich, so wird nun gelehrt, nicht das Denken nach dem Sein, sondern das Sein nach dem Denken zu richten, das heißt nur so weit wissen wir von einer Wirklichkeit, als Dinge in die Formen unserer geistigen Organisation eingehen; die Wahrheit wird damit für uns aus einem Erkennen der Dinge ein Selbsterkennen des Menschengeistes, der sich – allerdings auf einen von ihm unabhängigen Anstoß hin – eine eigne Welt bereitet. Diese Selbsterkenntnis übertrifft alles, was frühere Zeiten davon hatten, und gewinnt einen unvergleichlich reicheren Inhalt, indem in jenem Weltaufbau eine innere Struktur, ein weitverzweigtes Gewebe des Geisteslebens ersichtlich wird; in ihrer Ermittlung entsteht eine neue Art der Betrachtung, die transzendentale, welche sich mit der inneren Möglichkeit der Erkenntnisse beschäftigt, gegenüber der empirisch-psychologischen, die sich auf das Werden und Wachsen beim einzelnen Menschen beschränkt. Der Anblick der Wirklichkeit wird dadurch völlig umgewandelt, daß nunmehr alles, was er an Zusammenhängen bietet, alles was er im besonderen an Behauptungen über letzte Gründe enthält, als nicht der Wirklichkeit selbst angehörig, sondern als vom Menschen in sie hineingelegt gilt. So kommt der Mensch beim Wahrheitsstreben nicht über sich selbst hinaus, er erreicht im Erkennen keinen Punkt, wo ein Alleben in ihm hervorbricht, sondern er bleibt stets an den eignen Gedankenkreis gebannt, der unter besonderen Bedingungen entstanden ist, der daher nicht allgemeingültig sein kann. Daß das Denken des Menschen kein Schaffen ist, das steht für Kant außer Frage.
Aber wenn so die kantische Wendung vom Objekt zum Subjekt das Erkennen des Menschen tief herabsetzt und die Wahrheit zu einer bloß relativen zu machen droht, so bringt sie uns in eine unvergleichlich bessere Lage auf dem Gebiet der praktischen Vernunft, in der Moral. Denn hier vermag sich nach Kant das Subjekt zu schaffender Tätigkeit zu erheben, alles spezifisch Menschliche auszuscheiden und damit zu einer vollen Wahrheit vorzudringen. So hat der Denker keinen Zweifel daran, daß der letzte Sinn der Welt ein moralischer ist, und daß der Mensch durch die Teilnahme daran eine allgemeingültige Wahrheit, ein Leben übermenschlicher Art und zugleich eine unvergleichliche Größe und Würde erreicht. Das alles freilich nur in dieser besonderen Richtung, und nicht sowohl durch ein wissenschaftliches Erkennen, als durch eine innere Aneignung in der Art des Glaubens, die nicht aufgezwungen werden kann, sondern die eine freie Anerkennung, ein inneres Aufklimmen des Lebens verlangt. So fehlt es hier keineswegs an einer Umkehrung der vorgefundenen Wirklichkeit, am Ergreifen einer Weltnatur im Menschen und damit an einer Metaphysik, nur ist diese völlig anderer Art als alle früheren.
Mit der kantischen Leistung beginnt für das Wahrheitsstreben in Nein und Ja eine neue Epoche. Die Unmöglichkeit des alten Wahrheitsbegriffes wird einleuchtend, und es wird zugleich die philosophische Behandlung des Wahrheitsproblems von der naiven endgültig geschieden, es fällt aller unmittelbare Zusammenhang des Denkens mit den Dingen, es fällt zugleich das Vermögen des Denkens, durch freischwebende Spekulation dem Menschen ein Reich allgemeingültiger Wahrheit zu eröffnen. Aber wenn so der Mensch die Verbindung mit einer ihn umgebenden Welt verliert, so gewinnt er dafür im eignen Wesen eine neue Welt; eben die Begrenzung des Wissens scheint es möglich zu machen, das Wahrheitsstreben mit der Wendung zur Moral auf eine neue Grundlage zu stellen, die einfacher, sicherer und fruchtbarer ist als alle frühere Gestaltung. Es wird hier eine gründliche Befreiung des Wahrheitsstrebens von allem bloßen Intellektualismus erstrebt und damit auch der Begriff der Wahrheit vertieft, es wird im besonderen eine schärfere Scheidung von Subjektivem und Objektivem im Erkennen vollzogen.
Aber daß diese Wandlungen keinen Abschluß brachten, sondern neue Probleme erzeugten, das bekundet schon der harte Streit über die Deutung Kants, das bekundet auch die Tatsache, daß die philosophische Bewegung so rasch über Kant hinausgegangen ist. Läßt sich das Subjekt, wie es hier verstanden wird, zu einem inneren Gewebe des Lebens erhöhen und zugleich beim Erkennen einer undurchsichtigen Welt verketten? Ist es möglich, in der Moral ein besonderes Gebiet über das übrige Leben zu voller Selbständigkeit, schöpferischem Wirken, absoluter Wahrheit hinauszuheben? Wird nicht entweder dies Neue auch das andere zu sich emporheben, oder aber zu seiner Gebundenheit und seiner bloßmenschlichen Art herabsinken? Wird die Spaltung zwischen theoretischer und praktischer Vernunft mit den entgegengesetzten Lebensbewegungen, unter die sie den Menschen stellt, für die Dauer zu ertragen sein? So viel ist gewiß: Kant hat nicht einen Abschluß gebracht, der die Gemüter friedlich verband, sondern er hat eine gewaltige Unruhe und viel Streit erzeugt.
Wir wissen, daß zunächst das Verlangen nach mehr Einheit der Gedankenwelt das Streben auf neue Bahnen trieb. Das erkennende Denken, das Kant so scharf von der Welt geschieden hatte, wird nun zur schöpferischen Werkstätte der ganzen Wirklichkeit, es wächst unter energischer Abhebung vom bloßmenschlichen Befinden zu einem Weltprozesse, der durch seine eigne Bewegung alles Sein hervortreibt, alles scheinbar Fremde sich zu eignem Besitz gestaltet und durch die innere Bewältigung des Ganzen sein Recht erweist, ohne einer Bestätigung von draußen zu bedürfen. Diese Bewegung, die in Fichte mit führender Kraft und feurigem Eifer einsetzt, erreicht in Hegel ihre vollendete Höhe und ihre reifste Durchbildung. Das Denken ist hier gänzlich über das bloße Subjekt hinausgehoben, es hat zum Träger die geschichtlich-gesellschaftliche Arbeit, die selbst dadurch eine Zusammenfassung und Vergeistigung erfährt. Die treibende Kraft des Prozesses liegt hier darin, daß das Denken aus sich selbst Widersprüche erzeugt und überwindet, daß es dadurch weiter und weiter geführt wird, bis es schließlich den ganzen Umkreis des Daseins in sich verwandelt und zugleich seiner eignen Wahrheit zugeführt hat. Da der Mensch bei gründlicher Abstoßung alles beschränkten Meinens und eigenwilligen Strebens sich ganz und gar in jene Bewegung, in jenes Sichselbstentfalten des Geisteslebens zu versetzen vermag, so scheint er hier ganze und volle Wahrheit zu erreichen; im ganzen Lauf der Geschichte ist kein so freudiges und stolzes Gefühl des Wahrheitsbesitzes anzutreffen. Unsere Gedankenwelt erfährt aber bei diesem Unternehmen eine eingreifende Umwandlung dahin, daß alle Mannigfaltigkeit zu einem einzigen Gewebe verbunden, scheinbar Getrenntes zueinander in Beziehung gesetzt, alles Ruhende in lebendigen Fluß gebracht, alles bloß Tatsächliche logisch durchleuchtet und rationalisiert wird.
Das Ganze dieser Leistung hat unser Vermögen sehr gesteigert, es kann nicht einfach verschwinden. Aber als abschließendes Ganzes mußte diese Lösung des Wahrheitsproblems bald Widerspruch finden. Sie schloß die Annahme in sich, daß das geistige Leben der Menschheit Geistesleben schlechthin, absolutes Geistesleben bedeute, sie überspannte damit das menschliche Vermögen, was gerade dem Verlauf des 19. Jahrhunderts mit seiner wachsenden Erkenntnis der Gebundenheit des Menschen unerträglich wurde; sie konnte ferner jene Umsetzung der Wirklichkeit in einen Denkprozeß nicht vollziehen, ohne sie entweder in ein Reich bloßer Schatten und Schemen zu verwandeln oder sie aus einer reicheren Gedankenwelt zu ergänzen, damit aber die eingeschlagene Bahn zu verlassen. Wir wissen, wie viel Widerstand das Ganze dieser Denkart gefunden hat, wie es namentlich daran scheiterte, weil der Denkprozeß seine Überlegenheit gegen den Menschen nicht zu behaupten vermochte, weil das Subjekt die gesteigerte Beweglichkeit des Denkens ungestüm an sich riß und damit einen unbegrenzten Subjektivismus erzeugte, dem alle überlegene und gemeinsame Wahrheit entschwindet.
So befinden wir uns jetzt dem Wahrheitsproblem gegenüber in einer höchst unsicheren und verworrenen Lage. Die geschichtliche Bewegung hat einen Bruch mit der naiven Fassung der Wahrheit vollzogen, der sich nicht wieder zurücknehmen läßt; sie hat Ansprüche erweckt, denen unser Vermögen nicht gewachsen scheint, und die wir doch nicht aufgeben können. Freilich fehlt es in der Neuzeit nicht an Versuchen, diese Ansprüche herabzumindern und ohne Metaphysik irgendwelche Wahrheit zu gewinnen. So verwandelt der Positivismus das Erkennen in ein bloßes Feststellen und Beschreiben der Beziehungen von Dingen, deren Wesen uns schlechthin unzugänglich ist, so verwandelt der Pragmatismus das Erkennen in ein Mittel und Werkzeug menschlichen Wohlseins. Aber über derartige Begrenzungen drängt nicht bloß ein Eigensinn der Theorie hinaus, die zu einem gegebenen Dasein irgendwelche »Metaphysik« ersinnen möchte, sondern es drängt dazu die geistige Art des Menschen mit unwiderstehlicher Macht. Daß wir nicht einem bloßen Gewebe von Beziehungen der Dinge angehören, das bekundet zur Genüge schon die Tatsache, daß wir unser Verhältnis zur Umgebung abzuwägen, in ein Ganzes zu fassen und die Beziehungen als Beziehungen zu erkennen vermögen; sobald wir uns aber überzeugen, daß hinter dem Bereich unseres Erkennens noch eine uns unerreichbare Welt liegt, können wir nicht umhin, unsere Leistung, als der bloßen Oberfläche der Dinge angehörig, ungenügend zu finden. Was dabei als Schranke des Denkens leidlich zu ertragen wäre, das wird unerträglich als Schranke des Lebens. Denn hier, wo es alle Kraft zu erwecken und zusammenzufassen gilt, ist auf letzte Ziele nicht zu verzichten und muß daher das Bewußtsein, mit aller Mühe und Arbeit nie über die Oberfläche hinaus zu einem Grundbestande durchzudringen, eine unsägliche Leere ergeben, bei welcher keine kraftvolle Natur endgültig abschließen kann. War es ein Zufall, daß Comte selbst schließlich mit Aufbietung seiner ganzen Seele sich neue Ideale schuf, zufällig, daß Mill wie Spencer am Ende ihres arbeitsreichen Lebens die Schranken der von ihnen dargebotenen Lösung schmerzlich empfanden, daß also alle Führer des Positivismus durch ihre eigne Natur über jene Denkweise hinausgedrängt wurden? Zur Natur mag der Mensch sich wie zu etwas Äußerlichem stellen, obwohl auch das seine Grenze hat, zu den anderen Menschen und namentlich zu sich selbst kann er nicht in einem solchen Verhältnis verbleiben. Damit aber fällt der Positivismus, der nur äußere Beziehungen kennt und die eigne Seele als etwas Fremdes betrachtet.
Was aber den Pragmatismus betrifft, der zeitweilig auch in Deutschland mehr Beachtung gefunden hat, so sei seinem Streben, das Wahrheitsproblem dem Ganzen des Lebens enger zu verbinden, volle Anerkennung gezollt; nur eine solche Verbindung kann die Wahrheit sicher begründen und fruchtbar gestalten. Aber es kommt darauf an, was unter jenem Ganzen des Lebens verstanden wird. Besagt es nicht mehr als das geschichtlich-gesellschaftliche Zusammensein, wie es sich in der Breite der Erfahrung darstellt, so unterläge damit das Wahrheitsstreben all der Zersplitterung, dem Gegeneinanderwirken der Kräfte, dem selbstischen Glücksstreben des bloßen Menschen, der geringen geistigen Regung des bloßen Durchschnitts, so würde die Wahrheit der Nützlichkeit aufgeopfert, vermenschlicht und damit zerstört. Solcher Mißstand muß uns aber nach all den Bewegungen und Erfahrungen der weltgeschichtlichen Arbeit zur deutlichen Empfindung kommen; wie über die bloße Natur so sind wir auch über das bloßsoziale Dasein hinausgewachsen, wir können nicht umhin, dieses Dasein an den Forderungen unserer geistigen Existenz zu messen, wir können nicht umgekehrt diese Forderungen von jenem abhängig machen. Man muß den Durchschnittsstand aufs stärkste idealisieren, um ihm das Streben nach echter Wahrheit ohne schwerste Schädigung einfügen zu können. Oder man muß ein anderes Leben als das jener gesellschaftlichen Sphäre anerkennen. Wo das aber klar und mit folgerichtiger Ausführung geschieht, da wird eine gründliche Wandlung der ersten Weltlage nötig, da gerät man doch wieder in die Bahn der Metaphysik, da wird auch das Wahrheitsstreben in dem alten Sinne einer Befreiung des Menschen vom bloßen Menschen und der Gewinnung eines neuen, wesenhafteren Lebens wieder aufsteigen. So verbleibt es bei dem Worte Hegels, daß ein hochgebildetes Volk ohne Metaphysik wie ein Tempel ohne Allerheiligstes sei. Nur sei unter Metaphysik nicht etwas verstanden, was zu einer geschlossenen Welt müßigerweise hinzugedacht wird, sondern etwas, das durch energische Umkehrung des Daseins allererst zu einer festen und wesenhaften Wirklichkeit führt.
So ist ein endgültiger Verzicht ohne eine schwere, eine unerträgliche Erniedrigung des Lebens unmöglich, wir werden das Streben nach Wahrheit in jenem höheren Sinne wiederaufnehmen müssen. Nun kann das freilich nicht in einfachem Anschluß an eine frühere Leistung geschehen, die Erfahrung der Geschichte zeigt uns aber die Richtung, in der wir das Ziel zu suchen haben. Nach ihr dürfen wir nicht daran zweifeln, daß wir weder von der Welt noch von einer jenseitigen Gottheit her, sondern nur aus dem der Menschheit gegenwärtigen Leben jenes Streben aufnehmen können. Zugleich ist gewiß, daß es nicht vom unmittelbaren Befunde des Seelenlebens ausgehen kann, wie die empirische Psychologie ihn ermittelt, sondern daß es eine Umkehrung, eine Versetzung in ein ursprüngliches, selbsttätiges, schöpferisches Leben verlangt; nur ein solches kann den Menschen ein wesenbildendes Weltleben und damit Wahrheit gewinnen lassen.
Das Ergebnis unserer geschichtlichen Betrachtung läßt sich in der Hauptsache kurz zusammenfassen. Das Altertum und die Neuzeit verfolgten verschiedene Wege, aber die Verschiedenheit schließt keineswegs gewisse typische Züge aus, welche durch alle Zeiten gehen. Zunächst verblieb das Erkennen noch in enger Verwandtschaft mit dem naiven Weltbilde, so herrschte der Gedanke einer Wesensverwandtschaft zwischen dem Menschen und dem All; dann schieden sich Subjekt und Objekt deutlicher, und es entstand die Aufgabe vom Subjekt her eine feste Richtschnur zu finden; endlich schien das Denken selbständig genug, alle Wirklichkeit aus sich selbst hervorzubringen und damit den Gegensatz von Subjekt und Objekt umzuspannen. Diese Unterschiede wirken auch in die Neuzeit hinein.
Im Ganzen der Neuzeit vollzieht sich aber eine tiefgehende Wendung, indem nun nicht die Welt, sondern der Mensch oder vielmehr das bei ihm hervorbrechende Leben den Ausgangspunkt der Forschung bildet. Eine Wirklichkeit wird hier nicht unabhängig von uns vorgefunden, sondern der Mensch hat sie erst zu ermitteln, ja er hat sie durch sein geistiges Vermögen aufzubauen. Dabei traten hier drei Hauptstufen deutlich auseinander, die Stufen der Aufklärung, der kritischen Philosophie, der spekulativen Philosophie. Allen Arten der alten und der neuen Philosophie war aber gemeinsam das Streben nach einer rationalen Deutung der Wirklichkeit, das Christentum dagegen vollzog einen Bruch mit solcher Deutung und bekannte sich zu einem irrationalen Bilde von Leben und Welt. Hier klafft eine schroffe Kluft.
Weiter gaben die Hauptepochen des Erkennens dem Denken selbst eine verschiedene Färbung: die Höhe des Altertums verficht ein gestaltendes, das Christentum ein persönliches, die Neuzeit ein schaffendes Denken; so gewiß ein gemeinsames Denken diese einzelnen Arten umspannt, so besteht nirgends ein farbloses Denken, jedem schaffenden Geist ist ein charakteristisches Denken zuzuerkennen; diese charakteristische Art gilt es durchgängig deutlich herauszuarbeiten. Bloß ein schulmäßiges Denken hat keinen Anteil an dieser schöpferischen Entwicklung.
Im Fortlauf der modernen Bewegung hat das Erkenntnisproblem seinen bedeutendsten Ausdruck bei Kant und bei Hegel gefunden; mit diesen beiden Denkern muß jedes weitere Streben sich auseinandersetzen. Dort schied sich von der empirischen Betrachtung eine transzendentale und gab der Wirklichkeit mehr Tiefe, mehr Zusammenhang, mehr Belebung. Das Weltbild aber wird in allen seinen Teilen aufs gründlichste umgewandelt, wenn alles, was es an Verbindung aufweist, nicht auf die Dinge selbst, sondern auf den Menschen kommt. So wird die Wirklichkeit vom Objekt zum Subjekt verschoben. Über alle Bedenken und Zweifel aber hebt die Tatsache einer weltbildenden Tätigkeit im Reich der Moral; damit erst erreicht das Wahrheitsstreben einen festen Abschluß, damit erst wird es volle Wahrheit. Auch Hegel hat eine selbständige Tätigkeit weltschaffender Art aufgedeckt und damit eine innere Verbindung des Menschen mit der Wirklichkeit gewonnen. Aber hier besteht jene Tätigkeit im Denken selbst, in einem Denken, das sich sowohl über die bloße Vorstellung als über alle menschlichen Zwecke zu souveräner Stellung emporhebt, das in sich selbst ein Gesetz und eine Kraft fortschreitender Bewegung trägt, und das dadurch alles Dasein in ein Gedankenreich verwandelt. So gefaßt, steht das Denken nicht neben den Dingen, sondern erzeugt es die Dinge, die in ihm ihr eignes Wesen und ihre volle Wahrheit finden. Wie bei Kant, so bildet auch bei Hegel die Freiheit den höchsten Wert, aber die Freiheit ist hier aus dem Moralischen ins Intellektuelle, aus der Gesinnung in die Kraft verlegt. Da damit die Freiheit aus dem Persönlichen ins Unpersönliche fällt, so entsteht ein intellektuelles Kraftsystem, das den Gipfel des modernen Intellektualismus bildet.
So erwächst ein grundverschiedenes Bild der Wirklichkeit und zugleich des Erkennens, aber der Gegensatz verbleibt innerhalb einer gemeinsamen Art. Beide Denker suchen und entwickeln ein Leben, das über den bloßen Menschen hinaushebt, das sich als einen völligen Selbstzweck gibt und durch eigene Kraft bewegt, das ein Reich der Innerlichkeit als eine Tatwelt dem Dasein entgegensetzt; hier ist die Kluft zwischen dem Menschen und der Welt überwunden und damit der Mensch einer Wahrheit teilhaftig geworden. Daß diese Lösungen des Hauptproblems nicht zufällige Versuche, sondern die einzigen Hauptmöglichkeiten sind, das bezeugt der Hintergrund, den ihnen das gemeinsame Leben der Menschheit gibt. Sie bilden nämlich die Höhepunkte der beiden Hauptrichtungen dieses Lebens. Beide Richtungen wollen den Menschen über die bloße Natur erheben, aber die eine sucht das auf dem Wege der Umwandlung der Gesinnung, in der Bildung einer Innenwelt des Gemütes und des Glaubens; diese Bewegung behandelt als ihren Grundbegriff die moralische Persönlichkeit, sie verkörpert sich in den Religionen und den moralischen Ordnungen des Lebens; ihre philosophische Höhe bildet Kant. Hinter der hegelischen Gedankenwelt steht dagegen die unpersönliche Gestaltung der Wirklichkeit, steht die Kulturbewegung mit ihrem Streben nach einer Unterwerfung und Beherrschung der Wirklichkeit durch geistige, insbesondere durch intellektuelle Kraft. So erkennen wir deutlich hier die beiden Hauptpole des Lebens und Schaffens, so wird hier dem Wahrheitsstreben mit seinem Verbinden des menschlichen Lebens mit den tiefsten Grundlagen der Wirklichkeit eine deutliche Richtung gewiesen; der Hauptkampf entbrennt hier bei der Frage, was den Schwerpunkt des Lebens bildet. Das völlige Auseinandergehen jener beiden Denker zeigt, daß hier ein schroffer Zwiespalt bis in den Grund des Lebens zurückreicht, es zeigt auch dieses, daß zwischen Moral und Kultur ein oft sehr gespanntes Verhältnis besteht. Die Kraft und das Selbstgefühl, welche die Kultur erzeugt, erscheinen der Moral leicht als eine ungebührliche Überspannung menschlicher Kraft; die von der Moral aber besonders gepflegte Gesinnung erscheint der Kulturarbeit leicht als matt und schwach, ja als eine Hemmung unbegrenzten Lebens. So läuft in der modernen Wendung wie das Ganze des Lebens so auch das Wahrheitsstreben in einen unversöhnlichen Gegensatz aus; aufs dringendste bedürfen wir einer überlegenen Lebenseinheit, welche dem Zwiespalt von Handeln und Denken, von persönlichem und unpersönlichem Leben entgegenwirkt; wenn uns das Wahrheitsstreben in Unsicherheit geraten ist, so trägt die Hauptschuld daran, daß uns das Ganze des Lebens auseinanderzufallen droht. Uns muß es an dieser Stelle genügen, das Hauptproblem zu bezeichnen; ob seine Lösung der modernen Menschheit in leidlicher Weise gelingen kann und wird, das entscheidet sowohl über den Sinn unseres Lebens als über die Möglichkeit eines vollen Wahrheitsstrebens, eines Wahrheitsstrebens, das sich nicht mit einzelnen Teilen begnügt, sondern das die Menschheit als Ganzes zu einem mutigen Vordringen aufruft.
Ruht so das Streben nach Wahrheit auf einem Verlangen nach Einheit und Wesenhaftigkeit des Lebens, so läßt es sich unmöglich aller kräftigen Affekte entkleiden und in eine Sache gelassener Betrachtung und affektloser Resignation verwandeln. Denn jene Fassung läßt deutlich erkennen, daß in ihr als bewegende Kraft der Trieb der geistigen Selbsterhaltung wirkt; ohne seine elementare Kraft würde es nun und nimmer gelingen, den Druck der vorhandenen Welt zu überwinden und ihr gegenüber eine neue Welt der Selbsttätigkeit aufzubauen. Nur insofern hat auch die Resignation ein Recht, als jene geistige Selbsterhaltung, wie sie von der natürlichen grundverschieden ist, so auch viel Verneinung und Entsagung verlangt; aber diese Verneinung muß die Kehrseite einer Bejahung sein, wenn sie nicht matt und unfruchtbar bleiben soll. Leicht wäre zu zeigen, daß es auch bei Spinoza an einem positiven und freudigen Lebensaffekte in der Tiefe des Wesens keineswegs fehlt. Steht es aber so, dann fällt die unversöhnliche Feindschaft zwischen Wahrheit und Glück, dann wird das Wahrheitsstreben zur Läuterung und Veredelung des Glücksverlangens, nicht zu seiner Unterdrückung, wirken, dann wird es ihm helfen können, die Verwicklungen zu überwinden, denen es zu unterliegen droht.