E.T.A. Hoffmann
Die Geheimnisse / Merkwürdige Korrespondenz des Autors mit verschiedenen Personen (1)
E.T.A. Hoffmann

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Blättlein

Auf diesem stehen aphoristische Bemerkungen über des Barons Theodor von S. Tun und Treiben, die von irgend jemanden, der ihn genau beobachtete, aufgeschrieben und zur Mitteilung an Schnüspelpold bestimmt zu sein scheinen. Die Hand ist fremdartig und oft schwer zu entziffern. In bessern Zusammenhang gebracht, ist folgendes daraus zu berichten. – Jener Abend bei Frau von G. hatte, unerachtet die anfängliche allgemeine Äußerung des Mißfallens unheilbringend geschienen, doch für den Baron die ersprießlichsten Folgen. Ein besonderer Glanz umfloß ihn, und er kam mehr in die Mode als jemals. Er blieb in sich gekehrt, zerstreut, führte verwirrte Reden, seufzte, starrte die Leute gedankenlos an, ja, er wagte sogar einigemal das Halstuch nachlässig zu knüpfen und im flachsfarbnen Oberrock zu erscheinen, den er sich, da ihm Farbe und Form solcher Kleidung am besten zu stehn schienen, ausdrücklich hatte machen lassen, der interessanten Unschicklichkeit halber. Man fand das alles allerliebst zum Entzücken. Jede, jeder haschte nach dem Augenblick, ihn unter vier Augen auszufragen über sein vorgebliches Geheimnis, und es war etwas mehr dahinter als bloße Neugierde. Manches junge Mädchen fragte, in der Überzeugung, daß nichts anders als das Geständnis seiner Liebe über des Barons Lippen fließen könne. Andere, die diese Überzeugung nicht hatten, drangen deshalb in den Baron, weil sie wohl wußten, daß ein Mann, der einem jungen Frauenzimmer irgendein Geheimnis entdeckt, und sollte es auch ein sorglich zu verschweigender Liebesbund mit einer andern sein, wenigstens einen Teil seines Herzens mit wegschenkt und daß die Vertraute gewöhnlich den Teil, der für die Glückliche übriggeblieben, nach und nach in Anspruch nimmt und wirklich gewinnt. Alte Damen wollten das Geheimnis wissen, um nachher die gebietende Herrin zu spielen, junge Männer aber, weil sie gar nicht begreifen konnten, wie dem Baron, und nicht ihnen, das Außerordentliche begegnet, und weil sie gern wissen wollten, wie es anzufangen, um ebenso interessant zu erscheinen als er. – Jede Mitteilung dessen, was sich in Schnüspelpolds Wohnung an jenem Tage begeben, war natürlicherweise unmöglich. Der Baron mußte schweigen, weil er nichts zu entdecken hatte, und ebendaher kam es, daß er bald sich selbst einbildete, er trüge ein Geheimnis in sich, das ihm selbst ein Geheimnis. Andre Leute von etwas melancholischem Temperament hätte solch ein Gedanke zum Wahnsinn treiben können, der Baron befand sich aber sehr wohl dabei, ja, er vergaß darüber das eigentliche nicht mitteilbare Geheimnis und Schnüspelpold und die schöne Griechin dazu. In dieser Zeit gelang es denn auch den Künsten der kokettierenden Amalie Simson, den Baron wieder an sich zu ziehen. Sein Hauptgeschäft war, schlechte Verse zu drechseln, noch schlechtere Musik dazu zu machen und die miserablen Erzeugnisse seiner versteckten Muse der Bankierstochter vorzuplärren. Er wurde bewundert und war daher im Himmel. Das sollte aber nicht lange dauern.

Eines Abends, als er, aus einer Abendgesellschaft, die eben bei dem Bankier Nathanael Simson stattgefunden, spät in der Nacht zurückgekehrt, sich entkleiden ließ, faßte er in die Brusttasche des Fracks, um die Börse herauszunehmen. Mit der Börse zog er aber ein kleines Zettelchen hervor, auf dem die Worte standen:

 

»Unglückseliger, Verblendeter! Kannst Du so leicht die vergessen, die Dein Leben, Dein alles sein sollte, mit der Dich höhere Mächte verbanden zum höheren Sein?«

 

Ein elektrischer Schlag durchfuhr sein Innres. – Keine andere als die Griechin hatte diese Worte geschrieben. Das Himmelsbild stand ihm vor Augen, er lag in den Armen der Schönsten, er fühlte ihre Küsse auf seinen Lippen brennen! – »Ha«, rief er begeistert aus, »sie liebt mich, sie kann mich nicht lassen! Verschwinde, schnöder Trug! Geh zurück in dein Nichts, kecke Bankierstochter! Hin zu ihr, der Göttlichen, der hohen, hehren – hin zu ihren Füßen zu stürzen und Verzeihung zu erringen!«

Der Baron wollte fort, der Kammerdiener erinnerte dagegen, ob es nicht besser sein würde, schlafen zu gehen, der Baron packte ihn aber bei der Gurgel, flammte ihn an mit gräßlichem Blick und sprach: »Verräter, was sprichst du von Schlaf, wenn ein ganzer Ätna von Liebesglut im Innern aufgelodert?« – Darauf küßte er, während ihn der Kammerdiener vollends auskleidete, unter allerlei verwirrten unverständigen Redensarten noch einigemal den Zettel, der, er wußte wahrlich nicht wie, in seine Rocktasche gekommen, legte sich ins Bette und verfiel bald in süßen Schlummer.

Man kann denken, mit welcher Hast er andern Morgens, nachdem er sich auf das schönste und geschmackvollste angekleidet, nach der Friedrichsstraße rannte. Hoch klopfte ihm das Herz vor Entzücken, aber noch höher vor innerer Angst und Beklommenheit, als er die Klingelschnur des Hauses fassen wollte. Wenn nur nicht die verdammten Zumutungen wären! So dachte er und zögerte länger und länger vor der Türe, in schwerem Kampf mit sich selbst begriffen, bis er am Ende in einer Art verzweifelten Mutes die Klingel stark anzog.

Man öffnete, leise schlich er die Treppe herauf, lauschte an der wohlbekannten Türe. Da sprach drinnen eine gellende schnatternde Stimme:

»Der Heerführer kommt gewappnet und gerüstet, mit dem Schwert in der Hand, und wird vollbringen, was du gebeutst. Will dich aber ein mutloser Schwächling täuschen, so stoße ihm dein Messer in die Brust.«

Der Baron drehte sich sehr geschwind um, sprang ebenso schnell die Treppe herab und lief, was er konnte, die Friedrichsstraße herab.

Unter den Linden hatte sich ein Haufe Menschen gesammelt, die einem jungen Husarenoffizier zuschauten, der sein wildgewordenes Pferd nicht bändigen zu können schien. Das Pferd sprang, bäumte sich so, daß es jeden Augenblick überzuschlagen drohte. Es war graulich anzusehn. Aber fest, wie angeschmiedet, saß der Offizier, zwang endlich das Pferd zu zierlichen Kurbetten und ritt dann im kurzen Trabe davon.

Ein lautes freudiges: »Ha, welch ein Mut, welche Besonnenheit – o herrlich!«, das aus dem Fenster des ersten Stocks eines Hauses zu kommen schien, zog des Barons Blick in die Höhe, und er gewahrte ein bildschönes Mädchen, die, ganz errötet vor Angst, Tränen im Auge, dem kühnen Reiter nachblickte.

»In der Tat«, sprach der Baron zu dem Rittmeister von B., der sich indessen zu ihm gesellt hatte, »das ist ein kühner mutiger Reiter, die Gefahr war groß.«

»Nichts weniger als das«, erwiderte der Rittmeister lächelnd, »nur gewöhnliche Reiterkünste hat der Herr Lieutenant hier produziert. Sein schönes, kluges Pferd ist zugleich eines der frömmsten, die ich kenne, aber dabei ein vortrefflicher Komödiant, der einzugreifen weiß in das Spiel des Herrn. Die ganze Komödie wurde aufgeführt, um jenem hübschen Mädchen dort Angst einzujagen, die sich auflöst in süße Bewunderung des herrlichen kühnen Pferdebändigers, dem dann forthin ein Tanz und – auch wohl ein verstohlner Kuß nicht abgeschlagen wird.« Der Baron erkundigte sich angelegentlichst, ob es wohl schwer sei, dergleichen Künste zu erlernen, und gestand, als der Rittmeister versicherte, daß der Baron, da er schon sonst ganz passabel reite, sehr bald solches Spiels mächtig werden würde, wie ganz besondere geheimnisvolle Verbindungen ihm es wünschenswert machten, einer gewissen Dame ebenso zu erscheinen, wie der Husarenlieutenant jenem Mädchen. Der Rittmeister, den Schalk im Innern, bot sich selbst zum Lehrer und eins seiner Pferde, das sich auch recht gut auf solches Spiel verstehe, zur Ausführung des Plans an.

Es ist zu merken, daß jener Auftritt in dem Baron die Idee erweckt hatte, sich der Griechin auf eine ganz gefahrlose Weise als einen mutigen Mann zu zeigen, damit sie nur nicht mehr nach seinem Mut frage, das übrige nebst den chimärischen Plänen, wegen Befreiung der miserablen Griechen, werde (so meinte er) dann wohl nach und nach in Vergessenheit geraten.

Die Studien des Barons waren vollendet, selbst auf der Straße hatte er schon gelungene Versuche gemacht, in Gegenwart des Rittmeisters. Da ritt er eines Morgens oder vielmehr Mittags, wenn die Straßen am lebendigsten sind, durch die Friedrichsstraße. – O Himmel! die Griechin stand am Fenster, Schnüspelpold neben ihr. Der Baron begann seine Künste, aber sei es nun, daß er sich übernahm in dem Augenblick der Begeisterung oder daß das Pferd gerade nicht aufgelegt war zu solcher Spielerei, genug – ehe er sich's versah, flog der Baron herab aufs Straßenpflaster, und ruhig blieb das Roß stehen, drehte seitwärts den Kopf und schaute den Gefallnen an mit klugen Augen. Die Leute sprangen herbei, um den Baron, der in tiefer Ohnmacht dalag, aufzuheben und ins Haus zu tragen. Ein alter Regimentschirurgus, der eben vorüberging, drängte sich aber durchs Volk, schaute dem Baron ins Gesicht, faßte seinen Puls, befühlte ihn am ganzen Leibe und brach dann los: »Alle tausend Elemente, mein Herr! was treiben Sie für Narrenstreiche, Sie sind ja gar nicht ohnmächtig, Ihnen fehlt ja nicht das allermindeste, setzen Sie sich doch nur wieder getrost auf!« – Wütend riß sich der Baron von den Leuten los, schwang sich aufs Pferd und ritt davon unter dem schallenden Hohngelächter des versammelten Volks, begleitet von munteren Straßenbuben, die jauchzend neben ihm her Kurier liefen. – Durchaus hatte es dem Baron nicht gelingen wollen, sich der Angebeteten als ein kühner, mutiger Mann zu zeigen, selbst das letzte Mittel, das die Verzweiflung ihm eingab, die verstellte Ohnmacht nämlich, schlug fehl durch die heillose Dazwischenkunft des geraden, keine Schonung kennenden Chirurgus.

Soweit das Blättlein. In den Notizen des Barons Achatius von F. hat sich nichts gefunden, was mit dem Vorhergehenden in Verbindung zu bringen gewesen wäre.


 << zurück weiter >>