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Ein starkes Klingeln weckte ihn aus der Betäubung. Er war es selbst, der die Glocke gezogen an der Türe des Hauses Nr. 97. Da besann er sich erst ganz und sprach begeistert: »O welch ein herrlicher, ins Innere gepflanzter Trieb der Natur! Er führt mich in dem Augenblick, als ich mich physisch und psychisch etwas wackelicht fühle, zu meinem herzgeliebtem Freunde, dem Doktor H. M., der mir, wie er schon so oft getan, augenblicklich wieder auf die Beine helfen wird.« Hff. erzählte dem Doktor M. ausführlich, was sich soeben ein paar Häuser vorwärts oder rückwärts Schauerliches und Schreckhaftes mit ihm zugetragen, und bat wehmütig, ihm doch nur gleich ein Mittel aufzuschreiben, das den Schreck nebst allen bösen Folgen töte. Der Doktor M., sonst doch gegen Patienten ein ernster Mann, lachte aber dem bestürzten Hff. geradezu ins Gesicht und meinte, bei einem solchen Krankheitsanfall, wie ihn Hff. erlitten oder vielleicht noch erleide, sei keine andere Arzenei dienlich, als ein gewisser brausender, schäumender, in Flaschen hermetisch verschlossener Trank, aus dem sich ganz andere schmucke Geister entwickelten als Doppeltgänger, Schnüspelpolds und anderes wirres Zeug. Vorher müsse aber der Patient erklecklich essen. Damit nahm der Doktor seinen Freund Hff. beim Arm und führte ihn in ein Zimmer, wo mehrere joviale Leute, die soeben von der Whistpartie aufgestanden, versammelt waren und sich alsbald mit dem Doktor und seinem Freunde an den wohlservierten Tisch setzten. Nicht lange dauerte es auch, als der offizielle Trank, der dem Krankheitszustande Hff-s abhelfen sollte, herbeikam. Alle erklärten, daß sie auch davon genießen wollten, um dem armen Hff. Mut zu machen. Der schlürfte aber so, ohne den mindesten Ekel und Abscheu, mit solcher Leichtigkeit und Lebendigkeit, mit solchem Stoizismus, ja mit solcher heroischer Versicherung, der Trank schmecke leidlich, die Arzenei hinunter, daß alle übrigen sich höchlich darüber verwundenen und einstimmig dem Hff., der sichtlich muntrer wurde, ein langes Leben prophezeiten.
Merkwürdig genug war es, daß Hff. sehr ruhig schlief und nichts von allem dem träumte, was ihm am Abende Seltsames begegnet. Er mußte das der heilbringenden Wirkung zuschreiben, die des Doktors wohlschmeckende Medizin hervorgebracht. Erst im Augenblick des Erwachens durchfuhr ihn wie ein Blitz der Gedanke an die geheimnisvolle Brieftasche. Schnell sprang er auf, faßte in die Busentasche des Fracks, den er gestern getragen, und – fand wirklich das wunderbare himmelblaue Kleinod. Man kann denken, mit welchem Gefühl Hff. die Brieftasche öffnete. Er gedachte viel geschickter zu verfahren als der Baron Theodor von S. und wohl hinter die Geheimnisse des Inhalts zu kommen. Doch war eben dieser Inhalt ein ganz anderer als damals, da der Baron Theodor von S. die Brieftasche auf einer Bank im Tiergarten unfern der Statue Apollos fand. Kein chirurgisches Messerchen, kein strohgelbes Band, keine fremdartige Blume, kein Fläschchen Rosenöl, nein, nur ganz kleine, sehr dünne, mit feiner Schrift beschriebene Blättchen und sonst nichts anders enthielt die Brieftasche, die Hff. mit der höchsten Sorglichkeit durchsuchte.
Auf dem ersten Blättchen standen italienische, von zierlicher weiblicher Hand geschriebene Verse, die im Deutschen ungefähr lauteten wie folgt:
»Magische Bande schlingen sich durchs Leben,
Was lose scheint, verworren, festzuhalten;
Sie zu zerreißen ist des Dämons eitles Streben.
Klar wird der höhren Mächte dunkles Walten,
Entstrahlt's der Dichtung hellem Zauberspiegel,
In Farb und Form muß alles sich gestalten.
Nicht scheut der Magus ein hermetisch Siegel,
Der innern Kraft will kühnlich er vertrauen,
Ihm springen auf der Geisterpforte Riegel.
Bist du der Magus, der mich durfte schauen?
Schwang mir dein Geist sich nach durch Himmelsräume?
Wolltst du in heißer Sehnsucht mich erfassen?
Du bist's! – fest bannten mich dir süße Träume,
Erkannt hast du mein Lieben, du mein Hassen,
Nah war ich dir, auf ging ich deinen Blicken.
Der Bann besteht, du kannst von mir nicht lassen,
Dein ist mein Schmerz, dein eigen mein Entzücken,
Du wirst dem Worte leihn, was ich empfunden.
Vermag die Torheit wohl dich zu berücken?
Fühlt sich dein Geist von schwarzer Kunst gebunden?
Hat jemals falsches Spielwerk dich betrogen?
Nein! was der Geist im Innern hat empfangen,
Darf kühn empor aus tiefem Grunde wogen,
Vor eignem Zauber fühlt kein Magus Bangen.
Weit fort von dir in heimatliche Zonen
Reißt mich die Hoffnung, glühendes Verlangen.
Ein hehr Gestirn, glanzvoll beginnt's zu thronen,
Ein teures Pfand (selbst hast du es beschrieben)
Nimm es von mir, den Augenblick zu lohnen,
Als selbst du warst mein Sehnen, warst mein Lieben!
Nur flücht'ger Bilder Zeichnung wirst du finden,
Doch darf die Phantasie nicht Farbe schonen.
Was du erschaut, du magst es keck verkünden!«
Hff. las die Verse einigemal sehr aufmerksam durch, und es wollte ihm bedünken, daß sie von niemanden anders als von Schnüspelpolds pflegebefohlner Griechin verfaßt und an niemanden anders gerichtet sein könnten als an ihn selbst. – Hätte, dachte er, die Gute nur nicht Auf- und Unterschrift vergessen, hätte sie fein in reiner klassischer Prosa gesprochen, statt in mystisch verschlungenen dunklen Versen, so würde alles klar und verständlicher geworden sein, und ich wüßte genau, woran ich wäre, aber nun – So wie es aber geschieht, daß ein gefaßter Gedanke eben in dem Grade immer plausibler wird, als man ihn ausarbeitet, so konnte Hff. auch bald gar nicht mehr begreifen, wie er nur einen einzigen Augenblick daran zweifeln mögen, daß er selbst in den artigen Versen gemeint und das Ganze für nichts anders zu nehmen sei als das poetische Billett, mittelst dessen ihm das himmelblaue Kleinod übersendet worden. Nichts war gewisser, als daß die Unbekannte von dem geistigen Verkehr, in dem Hff. mit ihr stand, als er das Fragment aus dem Leben eines Phantasten aufschrieb, Kunde erhalten, sei es mittelbar oder auf mystische Weise unmittelbar durch eigne Anregung oder vielmehr durch den psychischen Konsensus, von dem der Doppeltgänger gesprochen. Auf welche andere Weise konnten nun die Verse gedeutet werden, als daß die Unbekannte jenen geistigen Verkehr amüsant genug gefunden, daß Hff. furcht- und rücksichtslos ihn wieder anknüpfen und daß ihm dazu als vermittelndes Prinzip die himmelblaue Brieftasche nebst Inhalt dienen solle.
Errötend mußte Hff. sich selbst gestehen, daß er von jeher in jedes weibliche Wesen, mit dem er in solchen geistigen Umgang geraten, verliebter gewesen als recht und billig; ja, daß dieses unbillige Verliebtsein immer höher gestiegen, je länger er das Bild der Schönsten in Herz und Sinn getragen und je mehr er sich bemüht, dieses Bild mittelst der besten Worte, der elegantesten Konstruktionen, wie sie nur die deutsche Sprache darbietet, in das rege Leben treten zu lassen. Vorzüglich in Träumen fühlt Hff. sich sehr von dieser verliebten Komplexion angegriffen, und die eigentliche Seladonsnatur, die er dann annimmt, entschädigt ihn reichlich für den gänzlichen Mangel an liebeschmachtenden, idyllischen Situationen, den er schon seit geraumer Zeit im wirklichen Leben verspürt hat. Eine Frau mag es aber wohl gleichgültig ansehen, wie ein geistiges weibliches Wesen nach dem andern, in das der schriftstellerische Gemahl verliebt gewesen, geschrieben, gedruckt und dann mit behaglicher Beruhigung gestellt wird in den Bücherschrank.
Hff. las das Gedicht der Unbekannten noch einmal, immer besser gefiel es ihm, und bei den Worten:
»Als selbst du warst mein Sehnen,
warst mein Lieben!«
konnte er sich nicht enthalten, laut auszurufen: »O all ihr hohen Himmel und was noch drüber, hätte ich das nur gewußt, nur geahnt!« – Der Gute bedachte nicht, daß die Griechin nur lediglich die Liebe und Sehnsucht meinen konnte, die der Traum in seinem eignen Innern entzündet und die eben deshalb auch ihre Liebe und Sehnsucht zu nennen. Da aber aus ferneren Entwickelungen der Art der Gedanke des Selbst in zweideutige Konfusion geraten könnte, so ist davon abzubrechen.
Hff. war nun, da ihm das nötige Material in reichlichem Maße von zwei Seiten zugekommen, fest entschlossen, sein Versprechen zu erfüllen, und beantwortete auf der Stelle die drei erhaltenen Briefe. Er schrieb zuvörderst an Schnüspelpold:
»Mein verehrter Herr Kanzleiassistent! Unerachtet Sie, wie es der Inhalt Ihres werten, an mich gerichteten Briefes vom 25. d. M. klar und deutlich dartut, ein kleiner ungeschlachter Grobian zu sein belieben, so will ich Ihnen das doch gern verzeihen, da ein Mann, der solche schnöde Kunst treibt wie Sie, gar nicht zurechnungsfähig ist, niemanden beleidigen kann und eigentlich aus dem Lande gejagt werden sollte. – Was ich über Sie geschrieben, ist wahr, so wie alle Nachrichten über Sie, die ich in der Fortsetzung der Begebenheiten des Barons Theodor von S. dem Publikum noch mitzuteilen im Begriff stehe, wahr sein werden. Denn Ihres lächerlichen Grimms unerachtet folgt diese Fortsetzung, die ich längst versprochen und zu der mir das hohe herrliche Wesen, das sich, wie ich weiß, Ihrer aberwitzigen Vormundschaft entzogen, selbst die Materialien geliefert hat. – Was meinen kleinen Teufel auf dem Schreibtische betrifft, so ist er mir viel zu sehr ergeben und fürchtet auch zu sehr meine Macht über ihn, als daß er Ihnen nicht lieber die Nase abbeißen oder die großen Augen auskratzen, als sich dazu verstehn sollte, Ihnen seine Kleider zu borgen, um mich zu necken. Sollten Sie, mein Herr Kanzleiassistent, doch keck genug sein, sich auf meinem Schreibtisch sehen zu lassen oder gar ins Tintenfaß zu springen, so sein Sie überzeugt, daß Sie so lange nicht wieder herauskommen werden, als noch ein Fünkchen Leben in Ihnen ist. Solche Leute wie Sie, mein Herr Kanzleiassistent, fürchtet man ganz und gar nicht und trügen sie auch noch so lange Haarzöpfe. Mit Achtung etc.«
An den Baron Achatius von F.
»Ew. Hoch- und Wohlgeb. danke ich auf das verbindlichste für die mir gütigst mitgeteilte, Ihren Herrn Neffen, den H. Baron Theodor von S. betreffende Notizen. Ich werde davon den gewünschten Gebrauch machen und will hoffen, daß die von Ew. Hoch- und Wohlgeb. davon erwartete heilbringende Wirkung in der Tat erfolgen möge. Mit der vorzüglichsten Hochachtung«
An den Baron Theodor von S.
»Mein Herr Baron! Ihr Schreiben vom 22. d. M. ist in der Tat so höchst wunderseltsam, daß ich, indem es mir Lächeln abnötigte, es ein paarmal durchlesen mußte, um klar darüber zu werden, was Sie wollen. Was ich dagegen will, weiß ich sehr bestimmt, nämlich Ihre ferneren Begebenheiten, insofern sie sich auf das wunderbare Wesen beziehen, mit dem der Ungeschick des Zufalls Sie in Berührung brachte, aufschreiben und einrücken lassen in den Berliner Taschenkalender für das künftige Jahr. Erfahren Sie, daß sie selbst, die Schönste, mich dazu angeregt und selbst die dazu nötigen Nachrichten mitgeteilt hat. Erfahren Sie, daß ich mich jetzt im Besitz der himmelblauen Brieftasche und ihrer Geheimnisse befinde! – Wahrscheinlich werden Sie, mein Herr Baron, nichts mehr gegen mein Vorhaben einzuwenden haben. Sollte dies doch der Fall sein, so bin ich entschlossen, auch nicht die mindeste Rücksicht darauf zu nehmen, da mir das Gebot der holden Unbekannten mehr als alles gilt, sowie Ihnen in jeder Art Rede zu stehen. Übrigens zeichne ich mich mit vieler Achtung etc. etc.«
Sprach Hff. in diesem letzten Schreiben von den Geheimnissen der himmelblauen Brieftasche, so meinte er allerdings das Messerchen, das magische Band etc., und es war ihm in dem Augenblick, als habe er sie wirklich gefunden. Lügen wollte er nicht, auch ebensowenig dem Baron Theodor von S. vielleicht einigen Respekt einflößen für den Besitzer magischen Werkzeuges.
Sowie nun die drei Briefe in fröhlichem Mute weggesendet waren nach der Friedrichsstraße und nach der Post, machte sich Hff. über die Blättlein her, die er von verschiedenen, zum Teil ziemlich unleserlichen Händen beschrieben fand. Er ordnete diese Blättlein, verglich sie mit den ihm von dem Baron Achatius von F. mitgeteilten Notizen und brachte beides, Blättlein und Notizen, soviel möglich in Zusammenhang. Folgendes mag als Resultat dieser Bemühungen gelten.