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Seltsames Beginnen reisender Gaukler in einem Weinhause nebst hinlänglichen Prügeln. Tragische Geschichte eines Schneiderleins zu Sachsenhausen. Wie George Pepusch ehrsame Leute in Staunen setzt. Das Horoskop. Vergnüglicher Kampf bekannter Leute im Zimmer Leuwenhoeks.
Alle Vorübergehende blieben stehen, reckten die Hälse lang aus und kuckten durch die Fenster in die Weinstube hinein. Immer dichter wälzte sich der Haufe heran, immer ärger stieß und drängte sich alles durcheinander, immer toller wurde das Gewirre, das Gelächter, das Toben, das Jauchzen. Diesen Rumor verursachten zwei Fremde, die sich in der Weinstube eingefunden, und die, außerdem daß ihre Gestalt, ihr Anzug, ihr ganzes Wesen etwas ganz Fremdartiges in sich trug, das widerwärtig war und lächerlich zu gleicher Zeit, solche wunderliche Künste trieben, wie man sie noch niemals gesehen hatte. Der eine, ein alter Mensch von abscheulichem schmutzigem Ansehen, war in einen langen sehr engen Überrock von fahlschwarzem glänzendem Zeuge gekleidet. Er wußte sich bald lang und dünn zu machen, bald schrumpfte er zu einem kurzen dicken Kerl zusammen, und es war seltsam, daß er sich dabei ringelte wie ein glatter Wurm. Der andere, hochfrisiert, im bunten seidnen Rock, ebensolchen Unterkleidern, großen silbernen Schnallen, einem Petit Maitre aus der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gleichend, flog dagegen einmal über das andere hoch hinauf an die Stubendecke und ließ sich sanft wieder herab, indem er mit heiserer Stimme mißtönende Lieder in gänzlich unbekannter Sprache trällerte.
Nach der Aussage des Wirts waren beide, einer kurz auf den andern, als ganz vernünftige bescheidene Leute in die Stube hineingetreten und hatten Wein gefordert. Dann blickten sie sich schärfer und schärfer ins Antlitz und fingen an zu diskurieren. Unerachtet ihre Sprache allen Gästen unverständlich war, so zeigte doch Ton und Gebärde, daß sie in einem Zank begriffen, der immer heftiger wurde.
Plötzlich standen sie in ihre jetzige Gestalt verwandelt da und begannen das tolle Wesen zu treiben, das immer mehr Zuschauer herbeilockte.
»Der Mensch«, rief einer von den Zuschauern, »der Mensch, der so schön auf und niederfliegt, das ist ja wohl der Uhrmacher Degen aus Wien, der die Flugmaschine erfunden hat und damit einmal übers andre aus der Luft hinabpurzelt auf die Nase?« – »Ach nein«, erwiderte ein anderer, »das ist nicht der Vogel Degen. Eher würd' ich glauben, es wäre das Schneiderlein aus Sachsenhausen, wüßt ich nicht, daß das arme Ding verbrannt ist.« –
Ich weiß nicht, ob der geneigte Leser die merkwürdige Geschichte von dem Schneiderlein aus Sachsenhausen kennt? – Hier ist sie:
Geschichte des Schneiderleins aus Sachsenhausen
Es begab sich, daß ein zartes frommes Schneiderlein zu Sachsenhausen an einem Sonntage gar schön geputzt mit seiner Frau Liebsten aus der Kirche kam. Die Luft war rauh, das Schneiderlein hatte zu Nacht nichts genossen als ein halbes weichgesottenes Ei und eine Pfeffergurke, morgens aber ein kleines Schälchen Kaffee. Wollte ihm daher flau und erbärmlich zumute werden, weil er überdem in der Kirche gar heftig gesungen, und ihm nach einem Magenschnäpschen gelüsten. War die Woche über fleißig gewesen und auch artig gegen die Frau Liebste, der er von den Stücken Zeug, die beim Zuschneiden unter die Bank gefallen, einen propren Unterrock gefertigt. Frau Liebste bewilligte also freundlich, daß das Schneiderlein in die Apotheke treten und ein erwärmendes Schnäpschen genießen möge. Trat auch wirklich in die Apotheke und forderte dergleichen. Der ungeschickte Lehrbursche, der allein in der Apotheke zurückgeblieben, da der Rezeptarius, das Subjekt, kurz, alle übrigen klügeren Leute fortgegangen, vergriff sich und holte eine verschlossene Flasche vom Repositorio herab, in der kein Magenelixier befindlich, wohl aber brennbare Luft, womit die Luftbälle gefüllt werden. Davon schenkte der Lehrbursche ein Gläschen voll; das setzte das Schneiderlein stracks an den Mund und schlurfte die Luft begierig hinunter, als ein angenehmes Labsal. Wurde ihm aber alsbald gar possierlich zumute, war ihm, als hätte er ein Paar Flügel an den Achseln oder als spiele jemand mit ihm Fangball. Denn ellenhoch und immer höher mußte er in der Apotheke aufsteigen und niedersinken. »Ei Jemine, Jemine« rief er, »wie bin ich doch solch ein flinker Tänzer geworden!« Aber dem Lehrburschen stand das Maul offen vor lauter Verwunderung. Geschah nun, daß jemand die Türe rasch aufriß, so daß das Fenster gegenüber aufsprang. Strömte alsbald ein starker Luftzug durch die Apotheke, erfaßte das Schneiderlein, und schnell wie der Wind war es fort durch das offene Fenster in alle Lüfte; niemand hat es wieder gesehen. Begab sich nach mehrerer Zeit, daß die Sachsenhäuser zur Abendzeit hoch in den Lüften eine Feuerkugel erblickten, die mit blendendem Glanz die ganz Gegend erleuchtete und dann verlöschend zur Erde hinabfiel. Wollten alle wissen, was zur Erde gefallen, liefen hin an den Ort, fanden aber nichts als ein kleines Klümpchen Asche; dabei aber den Dorn einer Schuhschnalle, ein Stückchen eiergelben Atlas mit bunten Blumen und ein schwarzes Ding, das beinahe anzusehen war wie ein Stockknopf von schwarzem Horn. Haben alle darüber nachgedacht wie solche Sachen in einer Feuerkugel aus dem Himmel fallen mögen. Da ist aber die Frau Liebste des entfahrenen Schneiderleins dazugekommen, und als diese die gefundenen Sachen erblickt, hat sie die Hände gerungen, gar erbärmlich getan und geschrien: »Ach Jammer, das ist meines Liebsten Schnallendorn; ach Jammer, das ist meines Liebsten Sonntagsweste, ach Jammer, das ist meines Liebsten Stockknopf!« Hat aber ein großer Gelehrter erklärt, der Stockknopf sei kein Stockknopf, sondern ein Meteorstein oder ein mißratener Weltkörper. Ist nun aber auf diese Weise den Sachsenhäusern und aller Welt kund worden, daß das arme Schneiderlein, dem der Apothekerbursche brennbare Luft gegeben statt Magenschnaps, in den hohen Lüften verbrannt und heruntergesunken ist zur Erde als Meteorstein oder mißratner Weltkörper.
Ende der Geschichte von dem Schneiderlein aus Sachsenhausen.
Der Kellner wurde endlich ungeduldig, daß der wunderliche Fremde nicht aufhörte, sich groß und klein zu machen, ohne auf ihn zu achten, und hielt ihm die Flasche Burgunder, die er bestellt hatte, dicht unter die Nase. Sogleich sog sich der Fremde an der Flasche fest und ließ nicht nach, bis der letzte Tropfen eingeschlürft war. Dann fiel er wie ohnmächtig in den Lehnsessel und konnte sich nur ganz schwach regen.
Die Gäste hatten mit Erstaunen gesehen, wie er während des Trinkens immer mehr aufgeschwollen und nun ganz dick und unförmlich erschien. Des andern Flugwerk schien nun auch zu stocken, er wollte sich keuchend und ganz außer Atem niederlassen; als er aber gewahrte, daß sein Gegner halb tot dalag, sprang er schnell auf ihn zu und begann ihn mit geballter Faust derb abzubleuen.
Da riß ihn aber der Hauswirt zurück und erklärte, daß er ihn gleich zum Hause hinauswerfen werde, wenn er nicht Ruhe halte. Wollten sie beide ihre Taschenspielerkünste zeigen, so möchten sie das tun, jedoch ohne sich zu zanken und zu prügeln wie gemeines Volk. –
Den Flugbegabten schien es etwas zu verschnupfen, daß der Wirt ihn für einen Taschenspieler hielt. Er versicherte, daß er nichts weniger sei als ein schnöder Gaukler, der lose Künste treibe. Sonst habe er die Ballettmeisterstelle bei dem Theater eines berühmten Königs bekleidet, jetzt privatisiere er als schöner Geist und heiße, wie es sein Metier erfordere, nämlich Legénie. Habe er im gerechten Zorn über den fatalen Menschen dort etwas höher gesprungen als gebührlich, so sei das seine Sache und gehe niemanden etwas an.
Der Wirt meinte, daß das alles noch keine Prügelei rechtfertige; der schöne Geist erwiderte indessen, daß der Wirt den boshaften hinterlistigen Menschen nur nicht kenne, da er ihm sonst einen zerbleuten Rücken recht herzlich gönnen würde. Der Mensch sei nämlich ehemals französischer Douanier gewesen, nähre sich jetzt vom Aderlassen, Schröpfen und Barbieren und heiße Monsieur Egel. Ungeschickt, tölpisch, gefräßig, sei er jedem zur Last. Nicht genug, daß der Taugenichts überall, wo er mit ihm zusammentreffe, so wie es eben jetzt geschehen, ihm den Wein vor dem Maule wegsaufe, so führe er auch, der Verruchte, jetzt nichts Geringeres im Schilde, als ihm die schöne Braut wegzukapern, die er aus Frankfurt heimzuführen gedenke.
Der Douanier hatte alles gehört, was der schöne Geist vorgebracht; er blitzte ihn an mit den kleinen, giftiges Feuer sprühenden Augen und sprach dann zum Wirt: »Glaubt doch, Herr Wirt, nicht von dem allem, was der Galgenschwengel, der unnütz Haselant dort hergeplappert.
Führwahr, ein schöner Ballettmeister. der mit seinen Elefantenfüßen den zarten Tänzerinnen die Beine zerquetscht und bei der Pirouette dem Maitre des Spektakels an der Kulisse einen Backzahn aus dem Kinnbacken und den Opernkucker vom Auge wegschlägt! – Und seine Verse, die haben ebensolche plumpe Füße wie er selbst und taumeln hin und her wie Betrunkene und treten die Gedanken zu Brei. Und da denkt der einbildische Faselhans, weil er zuweilen schwerfällig durch die Lüfte flattert, wie ein verdrossener Gänsericht, müßte die Schönste seine Braut sein.«
Der schöne Geist schrie: »Du tückischer Satanswurm sollst den Schnabel des Gänserichts fühlen!« und wollte von neuem in voller Furie auf den Douanier los; der Wirt erfaßte ihn aber von hinten mit starken Armen und warf ihn unter dem unaussprechlichsten Jubel des versammelten Haufens zum Fenster hinaus.
Sowie nun der schöne Geist von hinnen war, hatte Monsieur Egel sogleich wieder die solide schlichte Gestalt angenommen, in der er hereingetreten war. Die Leute draußen hielten ihn für einen ganz andern, als den, der sich so auseinanderzuschrauben gewußt hatte, und zerstreuten sich. Der Douanier dankte dem Wirt in den verbindlichsten Ausdrücken für die Hülfe, die er ihm gegen den schönen Geist geleistet, und erbot sich, um diese dankbare Gesinnung recht an den Tag zu legen, den Wirt, ohne irgendeine Gratifikation, auf eine solche leichte, angenehme Weise zu rasieren, wie er es in seinem Leben noch nicht empfunden. Der Wirt faßte sich an den Bart, und da es in dem Augenblick ihm vorkam, als wüchsen ihm die Haare lang und stachelicht heraus, so ließ er sich Monsieur Egels Vorschlag gefallen. Der Douanier begann auch das Geschäft mit geschickter leichter Hand zu besorgen, doch plötzlich schnitt er dem Wirt so derb in die Nase, daß die hellen Blutstropfen hervorquollen. Der Wirt, dies für tückische Bosheit haltend, sprang wütend auf, packte den Douanier, und er flog ebenso schnell und behende zur Türe hinaus als der schöne Geist durchs Fenster. Bald darauf entstand auf dem Hausflur ein unziemlicher Lärm, der Wirt nahm sich kaum Zeit, die wunde Nase sattsam mit Feuerschwamm zu mappieren, und rannte hinaus, um nachzusehen, welch ein Satan den neuen Rumor errege.
Da erblickte er zu seiner nicht geringen Verwunderung einen jungen Menschen, der mit einer Faust den schönen Geist, mit der andern aber den Douanier bei der Brust gepackt hatte und, indem seine glühenden Augen wild rollten, wütend schrie: »Ha, satanische Brut, du sollst mir nicht in den Weg treten, du sollst mir meine Gamaheh nicht rauben!« Dazwischen kreischten der schöne Geist und der Douanier: »Ein wahnsinniger Mensch – rettet rettet uns, Herr Wirt! – Er will uns ermorden – er mißkennt uns!« – »Ei«, rief der Wirt, »ei, lieber Herr Pepusch, was fangen Sie denn an? Sind Sie von diesen wunderlichen Leuten beleidigt worden? Irren Sie sich vielleicht in den Personen? Dies ist der Ballettmeister Herr Legénie und dieser der Douanier, Monsieur Egel?« »Ballettmeister Legénie? – Douanier Egel?« wiederholte Pepusch mit dumpfer Stimme. Er schien, aus einem Traum erwachend, sich auf sich selbst besinnen zu müssen. Indessen waren auch zwei ehrsame Bürgersleute aus der Stube getreten, die den Herrn George Pepusch ebenfalls kannten und die ihm auch zuredeten, ruhig zu bleiben und die schnakischen fremden Leute gehen zu lassen.
Noch einmal wiederholte Pepusch: »Ballettmeister Legénie? – Douanier Egel?« und ließ die Arme kraftlos herabsinken. Mit Windeseile waren die Freigelassenen fort, und manchem auf der Straße wollt' es auffallen, daß der schöne Geist über das Dach des gegenüberstehenden Hauses hinwegflog, der Bartscherer sich aber in dem Schlammwasser verlor, das gerade vor der Türe zwischen den Steinen sich gesammelt hatte.
Die Bürgersleute nötigten den ganz verstörten Pepusch, in die Stube zu treten und mit ihnen eine Flasche echten Nierensteiner zu trinken. Pepusch ließ sich das gefallen und schien auch den edlen Wein mit Lust und Appetit hinunterzuschlürfen, wiewohl er ganz stumm und starr dasaß und auf alles Zureden kein Wörtchen erwiderte. Endlich erheiterten sich seine Züge, und er sprach ganz leutselig: »ihr tatet gut, ihr lieben Leute und freundlichen Kumpane, daß ihr mich abhieltet, diese Elenden, die sich in meiner Gewalt befanden, auf der Stelle zu töten. Aber ihr wißt nicht, was für bedrohliche Geschöpfe sich hinter diesen wunderlichen Masken versteckt hatten.« –
Pepusch hielt inne, und man kann denken, mit welcher gespannten Neugier die Bürgersleute aufhorchten, was nun Pepusch entdecken würde. Auch der Wirt hatte sich genähert, und alle drei, die Bürgersleute und der Wirt, steckten nun, indem sie sich mit übereinandergeschlagenen Armen über den Tisch lehnten, die Köpfe dicht zusammen und hielten den Atem an, daß ja kein Laut aus Pepuschens Munde verloren gehen möge.
»Seht«, sprach Herr George Pepusch weiter, ganz leise und feierlich, »seht, ihr guten Männer, der, den ihr den Ballettmeister Legénie nennt, ist kein anderer als der böse, ungeschickte Genius Thetel, der, den ihr für den Douanier Egel haltet, ist aber der abscheuliche Blutsauger, der häßliche Egelprinz. Beide sind in die Prinzessin Gamaheh, die, wie es euch bekannt sein wird, die schöne herrliche Tochter des mächtigen Königs Sekakis ist, verliebt und sind hier, um sie der Distel Zeherit abspenstig zu machen. Das ist nun die albernste Torheit, die nur in einem dummen Gehirn hausen kann, denn außer der Distel Zeherit gibt es in der ganzen Welt nur noch ein einziges Wesen, dem die schöne Gamaheh angehören darf, und dieses Wesen wird vielleicht auch ganz vergeblich in den Kampf treten mit der Distel Zeherit. Denn bald blühet die Distel um Mitternacht auf in voller Pracht und Kraft, und in dem Liebestod dämmert die Morgenröte des höhern Lebens. Ich selbst bin aber die Distel Zeherit, und eben daher könnet ihr mir's nicht verdenken, ihr guten Leute, wenn ich ergrimmt bin auf jene Verräter und mir überhaupt die ganze Geschichte gar sehr zu Herzen nehme.« Die Leute rissen die Augen auf und glotzten den Pepusch sprachlos an mit offnem Munde. Sie waren, wie man zu sagen pflegt, aus den Wolken gefallen, und der Kopf dröhnte ihnen vom jähen Sturz.
Pepusch stürzte einen großen Römer Wein hinunter und sprach dann, sich zum Wirt wendend: »Ja ja, Herr Wirt, bald werdet Ihr's erleben, bald blühe ich als Cactus grandiflorus, und in der ganzen Gegend wird es unmenschlich nach der schönsten Vanille riechen; Ihr könnet mir das glauben.«
Der Wirt konnte nichts herausbringen als ein dummes: »Ei, das wäre der Tausend!« Die andern beiden Männer warfen sich aber bedenkliche Blicke zu, und einer sprach, indem er Georges Hand faßte, mit zweideutigem Lächeln: »Sie scheinen etwas in Unruhe geraten zu sein, lieber Herr Pepusch, wie wär' es, wenn Sie ein Gläschen Wasser«
»Keinen Tropfen«, unterbrach Pepusch den gutgemeinten Rat, »keinen Tropfen; hat man jemals Wasser in siedendes Öl gegossen, ohne die Wut der Flammen zu reizen? In Unruhe sei ich, meint Ihr, geraten? In der Tat, das mag der Fall sein und der Teufel mag ruhig bleiben, wenn er sich, so wie ich es eben getan, mit dem Herzensfreunde herumgeschossen und dann sich selbst eine Kugel durchs Gehirn gejagt! Hier! in Eure Hände liefere ich die Mordwaffen, da nun alles vorbei ist.«
Pepusch riß ein Paar Pistolen aus der Tasche, der Wirt prallte zurück, die beiden Bürgersleute griffen darnach und brachen, sowie sie die Mordwaffen in Händen hatten, aus in ein unmäßiges Gelächter. Die Pistolen waren von Holz, ein Kinderspielzeug vom Christmarkt her.
Pepusch schien gar nicht zu bemerken, was um ihn her vorging; er saß da in tiefen Gedanken und rief dann ein Mal übers andre: »Wenn ich ihn nur finden könnte, wenn ich ihn nur finden könnte!«
Der Wirt faßte Herz und fragte bescheiden: »Wen meinen Sie eigentlich, bester Herr Pepusch, wen können Sie nicht finden?«
»Kennt Ihr«, sprach Pepusch feierlich, indem er den Wirt scharf ins Auge faßte, »kennt Ihr einen, der dem König Sekakis zu vergleichen an Macht und wunderbarer Kraft, so nennt seinen Namen, und ich küsse Euch die Füße! Doch wollt' ich übrigens Euch fragen, ob Ihr jemanden wißt, der den Herrn Peregrinus Tyß kennt und mir sagen kann, wo ich ihn in diesem Augenblick treffen werde?« »Da«, erwiderte freundlich schmunzelnd der Wirt, »da kann ich dienen, verehrtester Herr Pepusch, und Ihnen berichten, daß der gute Herr Tyß sich erst vor einer Stunde hier befand und ein Schöppchen Würzburger zu sich nahm. Er war sehr in Gedanken und rief plötzlich, als ich bloß erwähnte, was die Börsenhalle Neues gebracht: Ja, süße Gamaheh! Ich habe dir entsagt! Sei glücklich in meines Georges Armen! Dann sprach eine feine kuriose Stimme: Laßt uns jetzt zum Leuwenhoek gehen und ins Horoskop kucken! Sogleich leerte Herr Tyß eiligst das Glas und machte sich samt der Stimme ohne Körper von dannen; wahrscheinlich sind beide, die Stimme und Herr Tyß, zum Leuwenhoek gegangen, der sich im Lamento befindet, weil ihm sämtliche abgerichtete Flöhe krepiert sind.«
Da sprang George in voller Furie auf, packte den Wirt bei der Kehle und schrie: »Halunkischer Egelsbote, was sprichst du? Entsagt? ihr entsagt Gamaheh Peregrinus Sekakis?«
Des Wirts Erzählung war ganz der Wahrheit gemäß; den Meister Floh hatte er vernommen, der den Herrn Peregrinus Tyß mit feiner Silberstimme aufforderte, zum Mikroskopisten Leuwenhoek zu gehen, der geneigte Leser weiß bereits, zu welchem Zwecke. Peregrinus begab sich auch wirklich auf den Weg dahin.
Leuwenhoek empfing den Peregrinus mit süßlicher widerwärtiger Freundlichkeit und mit jenem demütigen Komplimentenwesen, in dem sich das lästige, erzwungene Anerkenntnis der Superiorität ausspricht. Da aber Peregrinus das mikroskopische Glas in der Pupille hatte, so half dem Herrn Anton von Leuwenhoek alle Freundlichkeit, alle Demut ganz und gar nichts, vielmehr erkannte Peregrinus alsbald den Mißmut, ja den Haß, der des Mikroskopisten Seele erfüllte.
Während er versicherte, wie sehr ihn des Herrn Tyß Besuch ehre und erfreue, lauteten die Gedanken: »Ich wollte, daß dich der schwarzgefiederte Satan zehntausend Klafter tief in den Abgrund schleudere, aber ich muß freundlich und unterwürfig gegen dich tun, da die verfluchte Konstellation mich unter deine Herrschaft gestellt hat und mein ganzes Sein in gewisser Art von dir abhängig ist. Doch werde ich dich vielleicht überlisten können, denn trotz deiner vornehmen Abkunft bist du doch ein einfältiger Tropf. Du glaubst, daß dich die schöne Dörtje Elverdink liebt, und willst sie vielleicht gar heiraten? Wende dich nur deshalb an mich, dann fällst du doch trotz der Macht, die dir inwohnt, ohne daß du es weißt, in meine Hand, und ich werde alles anwenden, dich zu verderben und der Dörtje sowie des Meisters Floh habhaft zu werden.«
Natürlicherweise richtete Peregrinus sein Betragen nach diesen Gedanken ein und hütete sich wohl, der schönen Dörtje Elverdink auch nur mit einem Wort zu erwähnen, vielmehr gab er vor, gekommen zu sein, Herrn von Leuwenhoeks gesammelte naturhistorische Merkwürdigkeiten in Augenschein zu nehmen.
Während nun Leuwenhoek die großen Schränke öffnete, sagte Meister Floh dem Peregrinus ganz leise ins Ohr, daß auf dem Tische am Fenster sein (des Peregrinus) Horoskop liege. Peregrinus näherte sich behutsam und blickte scharf hin. Da sah er nun zwar allerlei Linien, die sich mystisch durchkreuzten, und andere wunderbare Zeichen; da es ihm indessen an astrologischer Kenntnis gänzlich mangelte, so konnte er so scharf hinblicken, als er nur wollte, alles blieb ihm doch undeutlich und verworren. Seltsam schien es ihm nur, daß er den roten glänzenden Punkt in der Mitte der Tafel, auf der das Horoskop entworfen, ganz deutlich für sein Selbst anerkennen mußte. Je länger er den Punkt anschaute, desto mehr gewann er die Gestalt eines Herzens, desto brennender rötete er sich; doch funkelte er nur wie durch Gespinst, womit er umzogen.
Peregrinus merkte wohl, wie Leuwenhoek sich mühte, ihn von dem Horoskop abzuziehen, und beschloß ganz vernünftig, seinen freundlichen Feind ohne alle weitere Umschweife geradezu um die Bedeutung der geheimnisvollen Tafel zu befragen, da er nicht Gefahr laufe, belogen zu werden.
Leuwenhoek versicherte, hämisch lächelnd, daß ihm nichts größere Freude verursachen könne, als seinem hochverehrtesten Freund die Zeichen auf der Tafel, die er selbst nach seiner geringen Kenntnis von solchen Sachen entworfen, zu erklären.
Die Gedanken lauteten: »Hoho! willst du da hinaus, mein kluger Patron? Fürwahr, Meister Floh hat dir gar nicht übel geraten! Ich selbst soll, die geheimnisvolle Tafel erklärend, dir vielleicht auf die Sprünge helfen, rücksichts der magischen Macht deiner werten Person? Ich könnte dir was vorlügen, doch was könnte das nützen, da du, wenn ich dir auch die Wahrheit sage, doch kein Jota von allem verstehst, sondern dumm bleibst, wie vorher. Aus purer Bequemlichkeit und um mich nicht mit neuer Erfindung in Unkosten zu setzen, will ich daher von den Zeichen der Tafel soviel sagen, als mir gerade gut dünkt.«
Peregrinus wußte nun, daß er zwar nicht alles erfahren, jedoch wenigstens nicht belogen werden würde.
Leuwenhoek brachte die Tafel auf das einer Staffelei ähnliche Gestell, welches er aus einem Winkel in die Mitte des Zimmers hervorgerückt hatte. Beide, Leuwenhoek und Peregrinus, setzten sich vor die Tafel hin und betrachteten sie stillschweigend. »Ihr ahnet«, begann endlich Leuwenhoek mit einiger Feierlichkeit, »Ihr ahnet vielleicht nicht, Peregrinus Tyß, daß jene Züge, jene Zeichen auf der Tafel, die Ihr so aufmerksam betrachtet, Euer eignes Horoskop sind, das ich mit geheimnisvoller astrologischer Kunst, unter günstigem Einfluß der Gestirne, entworfen. Wie kommt Ihr zu solcher Anmaßung, wie mögt Ihr eindringen in die Verschlingungen meines Lebens, wie mein Geschick enthüllen wollen? So könnet Ihr mich fragen, Peregrinus, und hättet vollkommenes Recht dazu, wenn ich Euch nicht sogleich meinen innern Beruf dazu nachzuweisen imstande wäre. Ich weiß nicht, ob Ihr vielleicht den berühmten Rabbi Isaac Ben Harravad gekannt, oder wenigstens von ihm gehört habt. Unter andern tiefen Kenntnissen besaß Rabbi Harravad die seltene Gabe, den Menschen es am Gesicht anzusehen, ob ihre Seele schon früher einen andern Körper bewohnt oder ob solche für gänzlich frisch und neu zu achten. Ich war noch sehr jung, als der alte Rabbi starb an einer Unverdaulichkeit, die er sich durch ein schmackhaftes Knoblauchgericht zugezogen. Die Juden liefen mit der Leiche so schnell von dannen, daß der Selige nicht Zeit hatte, alle seine Kenntnisse und Gaben, die die Krankheit auseinandergestreut, zusammenzuraffen und mitzunehmen. Lachende Erben teilten sich darin, ich aber hatte jene wunderbare Sehergabe in dem Augenblick weggefischt, als sie auf der Spitze des Schwerts schwebte, das der Todesengel auf die Brust des alten Rabbi setzte. So ist aber jene wunderbare Gabe auf mich übergegangen, und auch ich erschaue, wie Rabbi Issac Ben Harravad, aus dem Gesicht des Menschen, ob seine Seele schon einen andern Körper bewohnt hat oder nicht. Euer Antlitz, Peregrinus Tyß, erregte mir, als ich es zum ersten Male sah, die seltsamsten Bedenken und Zweifel. Gewiß wurde mir die lange Vorexistenz Eurer Seele, und doch blieb jede Euerm jetzigen Leben vorausgegangene Gestaltung völlig dunkel. Ich mußte meine Zuflucht zu den Gestirnen nehmen und Euer Horoskop stellen, um das Geheimnis zu lösen.«
»Und«, unterbrach Peregrinus den Flohbändiger, »und habt Ihr etwas herausgebracht, Herr Leuwenhoek?«
»Allerdings«, erwiderte Leuwenhoek, indem er noch einen feierlicheren Ton annahm, »allerdings! Ich habe erkannt, daß das psychische Prinzip, welches jetzt den angenehmeren Körper meines werten Freundes, des Herrn Peregrinus Tyß, belebt, schon lange vorher existierte, wiewohl nur als Gedanke ohne Bewußtsein der Gestaltung. Schaut hin, Herr Peregrinus, betrachtet aufmerksam den roten Punkt in der Mitte der Tafel. Das seid Ihr nicht allein selbst, sondern der Punkt ist auch die Gestalt, deren sich Euer psychisches Prinzip einst nicht bewußt werden konnte. Als strahlender Karfunkel lagt Ihr damals im tiefen Schacht der Erde, aber über Euch hingestreckt, auf die grüne Fläche des Bodens, schlummerte die holde Gamaheh, und nur in jener Bewußtlosigkeit zerrann auch ihre Gestalt. Seltsame Linien, fremde Konstellationen durchschneiden nun Euer Leben von dem Zeitpunkt an, als der Gedanke sich gestaltete und zum Herrn Peregrinus Tyß wurde. Ihr seid im Besitz eines Talismans, ohne es zu wissen. Dieser Talisman ist eben der rote Karfunkel; es kann sein, daß der König Sekakis ihn als Edelstein in der Krone trug oder daß er gewissermaßen selbst der Karfunkel war; genug Ihr besitzt ihn jetzt, aber ein gewisses Ereignis muß hinzutreten, wenn seine schlummernde Kraft erweckt werden soll, und mit diesem Erwachen der Kraft Eures Talismans entscheidet sich das Schicksal einer Unglücklichen, die bis jetzt zwischen Furcht und schwankender Hoffnung ein mühseliges Scheinleben geführt hat. Ach! nur ein Scheinleben konnte die süße Gamaheh durch die tiefste magische Kunst gewinnen, da der wirkende Talisman uns geraubt war! Ihr allein habt sie getötet, Ihr allein könnet ihr Leben einhauchen, wenn der Karfunkel aufgeglüht ist in Eurer Brust!«
»Und«, unterbrach Peregrinus den Flohbändiger aufs neue, »und jenes Ereignis, wodurch die Kraft des Talismans geweckt werden soll, wißt Ihr mir das zu deuten, Herr Leuwenhoek?«
Der Flohbändiger glotzte den Peregrinus an mit weit aufgerissenen Augen, und sah gerade so aus wie einer, den plötzlich große Verlegenheit überrascht und der nicht weiß, was er sagen soll. Die Gedanken lauteten: »Wetter, wie ist es gekommen, daß ich viel mehr gesagt habe, als ich eigentlich sagen wollte? Hätte ich wenigstens nicht von dem Talisman das Maul halten sollen, den der unglückselige Schlingel im Leibe trägt, und der ihm so viel Macht geben kann über uns, daß wir alle nach seiner Pfeife tanzen müssen? Und nun soll ich ihm das Ereignis sagen, von dem das Erwachen der Kraft seines Talismans abhängt! Darf ich ihm denn gestehen, daß ich es selbst nicht weiß, daß alle meine Kunst daran scheitert, den Knoten zu lösen, in den sich alle meine Linien verschlingen, ja, daß, wenn ich dieses siderische Hauptzeichen des Horoskops betrachte, es mir ganz jämmerlich zumute wird, und mein ehrwürdiges Haupt mir selbst vorkommt wie ein bunt bemalter Haubenstock, aus schnöder Pappe gefertigt? Fern sei von mir solch ein Geständnis, das mich ja herabwürdigen und ihm Waffen gegen mich in die Hände geben würde. Ich will dem Pinsel, der sich so klug dünkt, etwas aufheften, das ihm durch alle Glieder fahren und ihm alle Lust benehmen soll, weiter in mich zu dringen.«
»Allerliebster«, sprach nun der Flohbändiger, indem er ein sehr bedenkliches Gesicht zog, »allerliebster Herr Tyß, verlangt nicht, daß ich von diesem Ereignis sprechen soll. Ihr wißt, daß das Horoskop uns zwar über das Eintreten gewisser Umstände klar und vollständig belehrt, daß aber, so will es die Weisheit der ewigen Macht, der Ausgang bedrohlicher Gefahr stets dunkel bleibt und hierüber nur zweifelhafte Deutungen möglich und zulässig sind. Viel zu lieb hab' ich Euch als einen guten vortrefflichen Herzensmann, bester Herr Tyß, um Euch vor der Zeit in Unruhe und Angst zu setzen; sonst würde ich Euch wenigstens so viel sagen, daß das Ereignis, welches Euch das Bewußtsein Eurer Macht geben dürfte, auch in demselben Augenblick die jetzige Gestaltung Eures Seins unter den entsetzlichsten Qualen der Hölle zerstören könnte. Doch nein! Auch das will ich Euch verschweigen, und nun kein Wort weiter von dem Horoskop. Ängstigt Euch nur ja nicht, bester Herr Tyß, unerachtet die Sache sehr schlimm steht und ich, nach aller meiner Wissenschaft, kaum einen guten Ausgang des Abenteuers herausdeuten kann. Vielleicht rettet Euch doch eine ganz unvermutete Konstellation, die noch jetzt außer dem Bereich der Beobachtung liegt, aus der bösen Gefahr.«
Peregrinus erstaunte über Leuwenhoeks tückische Falschheit, indessen kam ihm die ganze Lage der Sache, die Stellung, in der Leuwenhoek, ohne es zu wissen, zu ahnen, ihm gegenüberstand, so ungemein ergötzlich vor, daß er sich nicht enthalten konnte, in ein schallendes Gelächter auszubrechen.
»Worüber«, fragt der Flohbändiger etwas betreten, »worüber lacht Ihr so sehr, mein wertester Herr Tyß?«
»Ihr tut«, erwiderte Peregrinus, noch immer lachend, »Ihr tut sehr klug, Herr Leuwenhoek, daß Ihr mir das bedrohliche Ereignis aus purer Schonung verschweigt. Denn außerdem, daß Ihr viel zu sehr mein Freund seid, um mich in Angst und Schrecken zu setzen, so habt Ihr noch einen andern triftigen Grund dazu, der in nichts anderem besteht, als daß Ihr selbst nicht das mindeste von jenem Ereignisse wißt. Vergebens blieb ja all Euer Mühen, jenen verschlungenen Knoten zu lösen; mit Eurer ganzen Astrologie ist es ja nicht weit her; und wäre Euch Meister Floh nicht ohnmächtig auf die Nase gefallen, so stünde es mit all Euren Künsten herzlich schlecht.«
Wut entflammte Leuwenhoeks Antlitz, er ballte die Fäuste, er knirschte mit den Zähnen, er zitterte und schwankte so sehr, daß er vom Stuhle gefallen, hätte ihn nicht Peregrinus beim Arm so fest gepackt, als George Pepusch den unglücklichen Weinwirt bei der Kehle. Diesem Wirt gelang es, sich durch einen geschickten Seitensprung zu retten. Alsbald flog Pepusch zur Türe hinaus und trat in Leuwenhoeks Zimmer, gerade in dem Augenblick, als Peregrinus ihn auf dem Stuhle festhielt und er grimmig zwischen den Zähnen murmelte: »Verruchter Swammerdamm, hättest du mir das getan!«
Sowie Peregrinus seinen Freund Pepusch erblickte, ließ er den Flohbändiger los, trat dem Freunde entgegen und fragte ängstlich, ob denn die entsetzliche Stimmung vorüber, die ihn mit solcher verderblichen Gewalt ergriffen. Pepusch schien beinahe bis zu Tränen erweicht, er versicherte, daß er zeit seines Lebens nicht so viel abgeschmackte Torheiten begangen als eben heute, wozu er vorzüglich rechne, daß er, nachdem er sich im Walde eine Kugel durch den Kopf geschossen, in einem Weinhause, selbst wisse er nicht mehr, wo es gewesen, ob bei Protzler, im »Schwan«, im »Weidenhof« oder sonst irgendwo, zu gutmütigen Leuten von überschwenglichen Dingen gesprochen und den Wirt meuchelmörderischerweise erwürgen wollen, bloß weil er aus seinen abgebrochenen Reden zu entnehmen geglaubt, daß das Glückseligste geschehen, was ihm (dem Pepusch) nur widerfahren könne. Alle seine Unfälle würden nun bald die höchste Spitze erreichen, denn nur zu gewiß hätten die Leute seine Reden, sein ganzes Benehmen für den stärksten Ausbruch des Wahnsinns gehalten, und er müßte fürchten, statt die Früchte des frohsten Ereignisses zu genießen, in das Irrenhaus gesperrt zu werden. Pepusch deutete hierauf an, was der Weinwirt über Peregrinus' Betragen und Äußerungen fallen lassen, und fragte hocherrötend mit niedergeschlagenen Augen, ob ein solches Opfer, eine solche Entsagung zugunsten eines unglücklichen Freundes, wie er es ahnen wolle, in der jetzigen Zeit, in der der Heroismus von der Erde verschwunden, wohl noch möglich, wohl noch denkbar sein könne.
Peregrinus lebte im Innern ganz auf bei den Äußerungen seines Freundes; er versicherte feurig, daß er seinerseits weit entfernt sei, den bewährten Freund nur im mindesten zu kränken, daß er allen Ansprüchen auf Herz und Hand der schönen Dörtje Elverdink feierlichst entsage und gern auf ein Paradies verzichte, das ihm freilich in glänzendem verführerischem Schimmer entgegengelacht.
»Und dich«, rief Pepusch, indem er an die Brust des Freundes stürzte, »und dich wollte ich ermorden, und weil ich nicht an dich glaubte, darum erschoß ich mich selbst! Oder Raserei, oder wüsten Treibens eines verstörten Gemüts!«
»Ich«, unterbrach Peregrinus den Freund, »ich bitte dich, George, komme zur Besinnung. Du sprichst von Totschießen und stehest frisch und gesund vor mir! Wie reimt sich das zusammen.«
»Du hast recht«, erwiderte Pepusch, »es scheint, als ob ich nicht mit dir so vernünftig reden könnte, wie es wirklich geschieht, wenn ich mir in der Tat eine Kugel durchs Gehirn gejagt hätte. Die Leute behaupteten auch, meine Pistolen wären keine sonderlich ernste Mordwaffen, auch gar nicht von Eisen, sondern von Holz, mithin nur Kinderspielzeug, und so könnte vielleicht der Zweikampf, sowie der Selbstmord nichts gewesen sein als eine vergnügliche Ironie. Hätten wir denn nicht unsere Rollen getauscht und ich begänne mit der Selbstmystifikation und hantierte mit dummen Kindereien in dem Augenblick, da du aus deiner kindischen Fabelwelt heraustrittst in das wirkliche rege Leben. Doch dem sei wie ihm wolle, es ist nötig, daß ich deines Edelmuts und meines Glücks gewiß werde, dann zerstreuen sich wohl bald alle Nebel, die meinen Blick trüben oder die mich vielleicht täuschen mit morganischen Truggebilden. Komm, mein Peregrinus, begleite mich hin zu der holden Dörtje Elverdink, aus deiner Hand empfange ich die süße Braut.«
Pepusch faßte den Freund unter den Arm und wollte mit ihm schnell davoneilen, doch der Gang, den sie zu tun gedachten, sollte ihnen erspart werden. Die Türe öffnete sich nämlich, und hinein trat Dörtje Elverdink, schön und anmutig wie ein Engelskind, hinter ihr her aber der alte Herr Swammer. Leuwenhoek, der so lange stumm und starr dagestanden und nur bald dem Pepusch, bald dem Peregrinus zornfunkelnde Blicke zugeworfen hatte, schien, als er den alten Swammerdamm erblickte, wie von einem elektrischen Schlage getroffen. Er streckte ihm die geballten Fäuste entgegen und schrie mit vor Wut gellender Stimme: »Ha! kommst du mich zu verhöhnen, alter, betrügerischer Unhold? Aber es soll dir nicht gelingen. Verteidige dich, deine letzte Stunde hat geschlagen.«
Swammerdamm prallte einige Schritte zurück und zog, da Leuwenhoek mit dem Fernglas bereits gegen ihn ausfiel, die gleiche Waffe zu seiner Verteidigung. Der Zweikampf, der im Hause des Herrn Peregrinus Tyß sich entzündet, schien aufs neue beginnen zu wollen.
George Pepusch warf sich zwischen die Kämpfenden, und indem er einen mörderischen Blick Leuwenhoeks, der den Gegner zu Boden gestreckt haben würde, geschickt mit der linken Faust wegschlug, drückte er mit der rechten die Waffe, womit der Swammerdamm sich eben blickfertig ausgelegt hatte, hinab, so daß sie den Leuwenhoek nicht verwunden konnte.
Pepusch erklärte dann laut, daß er irgendeinen Streit, irgendeinen gefährlichen Kampf zwischen Leuwenhoek und Swammerdamm nicht eher zulassen werde, bis er die Ursache ihres Zwists von Grund aus erfahren. Peregrinus fand das Beginnen seines Freundes so vernünftig, daß er gar keinen Anstand nahm, ebenfalls zwischen die Kämpfer zu treten und sich ebenso zu erklären wie Pepusch.
Beide, Leuwenhoek und Swammerdamm, waren genötigt, den Fremden nachzugeben. Swammerdamm versicherte überdem, daß er durchaus nicht in feindlicher Absicht, sondern nur deshalb gekommen sei, um rücksichts der Dörtje Elverdink mit Leuwenhoek in gütlichen Vergleich zu treten und so eine Fehde zu enden, die zwei für einander geschaffene Prinzipe, deren gemeinschaftliches Forschen nur den tiefsten Born der Wissenschaft erschöpfen könne, feindlich entzweit und nur zu lange gedauert habe. Er blickte dabei den Herrn Peregrinus Tyß lächelnd an und meinte, Peregrinus werde, wie er zu hoffen sich unterstehe, da Dörtje doch eigentlich in seine Arme geflohen, den Vermittler machen.
Leuwenhoek versicherte dagegen, daß Dörtjes Besitz freilich der Zankapfel sei, indessen habe er soeben eine neue Tücke seines unwürdigen Kollegen entdeckt. Nicht allein, daß er den Besitz eines gewissen Mikroskops leugne, das er bei einer gewissen Gelegenheit als Abfindung erhalten, um seine unrechtmäßige Ansprüche auf Dörtjes Besitz zu erneuern, so habe er noch überdem jenes Mikroskop einem andern überlassen, um ihn, den Leuwenhoek, noch mehr zu quälen und zu ängstigen. Swammerdamm schwur dagegen hoch und teuer, daß er das Mikroskop niemals empfangen und große Ursache habe zu glauben, daß es von Leuwenhoek boshafterweise unterschlagen worden.
»Die Narren«, lispelte Meister Floh dem Peregrinus leise zu, »die Narren, sie sprechen von dem Mikroskop, das Euch im Auge sitzt. Ihr wißt, daß ich bei dem Friedenstrakt, den Swammerdamm und Leuwenhoek über den Besitz der Prinzessin Gamaheh abgeschlossen, zugegen war. Als nun Swammerdamm das mikroskopische Glas, das er in der Tat von Leuwenhoek erhalten, in die Pupille des linken Auges werfen wollte, schnappte ich es weg, weil es nicht Leuwenhoeks, sondern mein rechtmäßiges Eigentum war. Sagt nur gerade heraus, Herr Peregrinus, daß Ihr das Kleinod habt.«
Peregrinus nahm auch gar keinen Anstand, sogleich zu verkündigen, daß er das mikroskopische Glas besitze, welches Swammerdamm von Leuwenhoek erhalten sollte, aber nicht erhalten; mithin sei jener Vergleich noch gar nicht ausgeführt worden, und keiner, weder Leuwenhoek noch Swammerdamm, habe zurzeit das unbedingte Recht, die Dörtje Elverdink für seine Pflegetochter anzusehen.
Nach vielen Hin- und Herreden kamen die beiden Streitenden dahin überein, daß Herr Peregrinus Tyß die Dörtje Elverdink, welche ihn auf das zärtlichste liebe, zu seiner Frau Gemahlin erkiesen und dann nach sieben Monaten selbst entscheiden solle, wer von beiden Mikroskopisten als wünschenswerter Pflege- und Schwiegervater anzusehen.
So anmutig und allerliebst auch Dörtje Elverdink in dem zierlichsten Anzuge, den Amoretten geschneidert zu haben schienen, aussehen, solche süße, schmachtende Liebesblicke sie auch dem Herrn Peregrinus Tyß zuwerfen mochte, doch gedachte Peregrinus seines Schützlings sowie seines Freundes und blieb dem gegebenen Wort getreu und erklärte von neuem, daß er auf Dörtjes Hand verzichte.
Die Mikroskopisten waren nicht wenig betreten, als Peregrinus den George Pepusch für denjenigen erklärte, der die mehrsten und gerechtesten Ansprüche auf Dörtjes Hand habe, und meinten, daß er wenigstens zurzeit gar keine Macht habe, ihren Willen zu bestimmen.
Dörtje Elverdink wankte, indem ein Tränenstrom ihr aus den Augen stürzte, auf Peregrinus zu, der sie in seinen Armen auffing, als sie eben halb ohnmächtig zu Boden sinken wollte. »Undankbarer«, seufzte sie, »du brichst mir das Herz, indem du mich von dir stößest! Doch du willst es! nimm noch diesen Abschiedskuß und laß mich sterben.«
Peregrinus bückte sich hinab, als aber sein Mund den Mund der Kleinen berührte, biß sie ihn so heftig in die Lippen, daß das Blut hervorsprang. »Unart«, rief sie dabei ganz lustig, »so muß man dich züchtigen! Komm zu Verstande, sei artig und nimm mich, mag auch der andere schreien wie er will.« Die beiden Mikroskopisten waren indessen wieder, der Himmel weiß, worüber, in heftigen Zank geraten. George Pepusch warf sich aber ganz trostlos der schönen Dörtje zu Füßen und rief mit einer Stimme, die jämmerlich genug klang, um aus der heiseren Kehle des unglücklichsten Liebhabers zu kommen: »Gamaheh! so ist denn die Flamme in deinem Innern ganz erloschen, so gedenkst du nicht mehr der herrlichen Vorzeit in Famagusta, nicht mehr der schönen Tage in Berlin, nicht mehr«
»Du bist«, fiel die Kleine dem Unglücklichen lachend ins Wort, »du bist ein Hasenfuß, George, mit deiner Gamaheh, mit deiner Distel Zeherit und all dem andern tollen Zeuge, das dir einmal geträumt hat. Ich war dir gut, mein Freund, und bin es noch und nehme dich, unerachtet mir der Große dort besser gefällt, wenn du mir heilig versprichst, ja feierlich schwörst, daß du alle deine Kräfte anwenden willst«
Die Kleine lispelte dem Pepusch etwas ganz leise ins Ohr; Peregrinus glaubte aber zu vernehmen, daß von Meister Floh die Rede.
Immer heftiger war indessen der Zank zwischen den beiden Mikroskopisten geworden, sie hatten aufs neue zu den Waffen gegriffen, und Peregrinus mühte sich eben, die erhitzten Gemüter zu besänftigen, als die Gesellschaft sich wiederum vermehrte.
Unter widerwärtigem Kreischen und häßlichem Geschrei wurde die Türe aufgestoßen, und hinein stürzten der schöne Geist, Monsieur Legénie, und der Bartscherer Egel. Mit wilder entsetzlicher Gebärde sprangen sie los auf die Kleine, und der Bartscherer hatte sie schon bei der Schulter gepackt, als Pepusch den häßlichen Feind mit unwiderstehlicher Gewalt wegdrängte, ihn gleichsam mit dem ganzen biegsamen Körper umwand und dermaßen zusammendrückte, daß er ganz lang und spitz in die Höhe schoß, indem er vor Schmerzen laut brüllte.
Während dies dem Bartscherer geschah, hatten die beiden Mikroskopisten bei der Erscheinung der Feinde sich augenblicklich miteinander versöhnt und den schönen Geist gemeinschaftlich bekämpft mit vielem Glück. Nichts half es nämlich dem schönen Geist, daß er sich, als er unten gehörig abgebleut worden, zur Stubendecke erhob. Denn beide, Leuwenhoek und Swammerdamm, hatten kurze dicke Knittel ergriffen und trieben den schönen Geist, sowie er herabschweben wollte, durch demjenigen Teil des Körpers, der es am besten vertragen kann, geschickt applizierte Schläge immer wieder in die Höhe. Es war ein zierliches Ballonspiel, bei dem freilich der schöne Geist notgedrungen die ermüdendste und zugleich die undankbarste Rolle übernommen, nämlich die des Ballons.
Der Krieg mit den dämonischen Fremden schien der Kleinen großes Entsetzen einzujagen; sie schmiegte sich fest an Peregrinus und flehte ihn an, sie fortzuschaffen aus diesem bedrohlichen Getümmel. Peregrinus konnte das um so weniger ablehnen, als er überzeugt sein mußte, daß es auf dem Kampfplatz seiner Hülfe nicht bedurfte; er brachte daher die Kleine in ihre Wohnung, das heißt, in die Zimmer seines Mietsmanns.
Es genügt zu sagen, daß die Kleine, als sie sich mit Herrn Peregrinus allein befand, aufs neue alle Künste der feinsten Koketterie anwandte, um ihn in ihr Netz zu verlocken. Mocht' er es auch noch so fest im Sinn behalten, daß das alles Falschheit sei und nur dahin ziele, seinen Schützling in Sklaverei zu bringen, so ergriff ihn doch eine solche Verwirrung, daß er sogar nicht an das mikroskopische Glas dachte, welches ihm zum wirksamen Gegengift gedient haben würde.
Meister Floh geriet aufs neue in Gefahr, er wurde jedoch auch diesmal durch Herrn Swammer gerettet, der mit George Pepusch eintrat.
Herr Swammer schien ausnehmend vergnügt, Pepusch hatte dagegen Wut und Eifersucht im glühenden Blick. Peregrinus verließ das Zimmer.
Den tiefsten bittersten Unmut im wunden Herzen, durchstrich er düster und in sich gekehrt die Straßen von Frankfurt, er ging zum Tore hinaus und weiter, bis er endlich zu dem anmutigen Plätzchen kam, wo das seltsame Abenteuer mit seinem Freunde Pepusch sich zugetragen.
Er bedachte aufs neue sein wunderbares Verhängnis, anmutiger, holder, im höheren Liebreiz als jemals ging ihm das Bild der Kleinen auf, sein Blut wallte stärker in den Adern, heftiger schlugen die Pulse, die Brust wollte ihm zerspringen vor brünstiger Sehnsucht. Nur zu schmerzlich fühlte er die Größe des Opfers, das er gebracht und mit dem er alles Glück des Lebens verloren zu haben glaubte.
Die Nacht war eingebrochen, als er zurückkehrte nach der Stadt. Ohne es zu gewahren, vielleicht aus unbewußter Scheu, in sein Haus zurückzukehren, war er in mancherlei Nebenstraßen und zuletzt in die Kalbächer Gasse geraten. Ein Mensch, der ein Felleisen auf dem Rücken trug, fragte ihn, ob hier nicht der Buchbinder Lämmerhirt wohne. Peregrinus schaute auf und gewahrte, daß er wirklich vor dem schmalen hohen Hause stand, in welchem der Buchbinder Lämmerhirt wohnte; er erblickte in luftiger Höhe die hellerleuchteten Fenster des fleißigen Mannes, der die Nacht hindurch arbeitete. Dem Menschen mit dem Felleisen wurde die Türe geöffnet, und er ging ins Haus.
Schwer fiel es dem Peregrinus aufs Herz, daß er in der Verwirrung der letzten Zeit vergessen hatte, dem Buchbinder Lämmerhirt verschiedene Arbeiten zu bezahlen, die er für ihn gefertigt hatte; er beschloß, gleich am folgenden Morgen hinzugehen und seine Schuld zu tilgen.