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Zweites Abenteuer

Der Flohbändiger. Trauriges Schicksal der Prinzessin Gameheh in Famagusta. Ungeschicklichkeit des Genius Thetel und merkwürdige mikroskopische Versuche und Belustigungen. Die schöne Holländerin und seltsames Abenteuer des jungen Herrn George Pepusch, eines gewesenen Jenensers.

 

Es befand sich zu der Zeit ein Mann in Frankfurt, der die seltsamste Kunst betrieb. Man nannte ihn den Flohbändiger und das darum, weil es ihm, gewiß nicht ohne die größeste Mühe und Anstrengung, gelungen, Kultur in diese kleinen Tierchen zu bringen und sie zu allerlei artigen Kunststückchen abzurichten.

Zum größten Erstaunen sah man auf einer Tischplatte von dem schönsten weißen, glänzend polierten Marmor Flöhe, welche kleine Kanonen, Pulverkarren, Rüstwagen zogen, andre sprangen daneben her mit Flinten im Arm, Patronentaschen auf dem Rücken, Säbeln an der Seite.

Auf das Kommandowort des Künstlers führten sie die schwierigsten Evolutionen aus, und alles schien lustiger und lebendiger wie bei wirklichen großen Soldaten, weil das Marschieren in den zierlichsten Entrechats und Luftsprüngen, das Linksum und Rechtsum aber in anmutigen Pirouetten bestand. Die ganze Mannschaft hatte ein erstaunliches Aplomb, und der Feldherr schien zugleich ein tüchtiger Ballettmeister. Noch beinahe hübscher und wunderbarer waren aber die kleinen goldnen Kutschen, die von vier, sechs, acht Flöhen gezogen wurden. Kutscher und Diener waren Goldkäferlein der kleinsten, kaum sichtbaren Art, was aber drin saß, war nicht recht zu erkennen.

Unwillkürlich wurde man an die Equipage der Fee Mab erinnert, die der wackre Merkutio in Shakespeares »Romeo und Julie« so schön beschreibt, daß man wohl merkt, wie oft sie ihm selbst über die Nase gefahren.

Erst wenn man den ganzen Tisch mit einem guten Vergrößerungsglase überschaute, entwickelte sich aber die Kunst des Flohbändigers in vollem Maße. Denn nun erst zeigte sich die Pracht, die Zierlichkeit der Geschirre, die feine Arbeit der Waffen, der Glanz, die Nettigkeit der Uniformen, und erregte die tiefste Bewunderung. Gar nicht zu begreifen schien es, welcher Instrumente sich der Flohbändiger bedient haben mußte, um gewisse kleine Nebensachen, z.B. Sporn, Rockknöpfe usw. sauber und proportionierlich anzufertigen, und jene Arbeit, die sonst für das Meisterstück des Schneiders galt und die in nichts Geringerem bestand, als einem Floh ein Paar völlig anschließende Reithosen zu liefern, wobei freilich das Anmessen das schwierigste, schien dagegen als etwas ganz Leichtes und Geringes.

Der Flohbändiger hatte unendlichen Zuspruch. Den ganzen Tag wurde der Saal nicht leer von Neugierigen, die den hohen Eintrittspreis nicht scheuten. Auch zur Abendzeit war der Besuch zahlreich, ja beinahe noch zahlreicher, da alsdann auch solche Personen kamen, denen an derlei possierlichen Künsteleien eben nicht viel gelegen, um ein Werk zu bewundern, das dem Flohbändiger ein ganz anderes Ansehen und die wahre Achtung der Naturforscher erwarb. Dies Werk war ein Nachtmikroskop, das wie das Sonnenmikroskop am Tage, einer magischen Laterne ähnlich, den Gegenstand hell erleuchtet mit einer Schärfe und Deutlichkeit auf die weiße Wand warf, die nichts zu wünschen übrig ließ. Dabei trieb der Flohbändiger auch noch Handel mit den schönsten Mikroskopen, die man nur finden konnte und die man gern sehr teuer bezahlte. –

Es begab sich, daß ein junger Mensch, George Pepusch geheißen – der geneigte Leser wird ihn bald näher kennen lernen – Verlangen trug, noch am späten Abend den Flohbändiger zu besuchen. Schon auf der Treppe vernahm er Gezänk, das immer heftiger und heftiger wurde und endlich überging in tolles Schreien und Toben. Sowie nun Pepusch eintreten wollte, sprang die Türe des Saals auf mit Ungestüm, und in wildem Gedränge stürzten die Menschen ihm entgegen, totenbleiches Entsetzen in den Gesichtern.

»Der verfluchte Hexenmeister! der Satanskerl! beim hohen Rat will ich ihn angeben! aus der Stadt soll er, der betrügerische Taschenspieler!« – So schrieen die Leute durcheinander und suchten, von Furcht und Angst gehetzt, so schnell als möglich aus dem Hause zu kommen. Ein Blick in den Saal verriet dem jungen Pepusch sogleich die Ursache des fürchterlichen Entsetzens, das die Leute fortgetrieben. Alles lebte darin, ein ekelhaftes Gewirr der scheußlichsten Kreaturen erfüllte den ganzen Raum. Das Geschlecht der Pucerons, der Käfer, der Spinnen, der Schlammtiere, bis zum Übermaß vergrößert, streckte seine Rüssel aus, schritt daher auf hohen, haarichten Beinen, und die greulichen Ameisenräuber faßten, zerquetschten mit ihren zackichten Zangen die Schnacken, die sich wehrten und um sich schlugen mit den langen Flügeln, und dazwischen wanden sich Essigschlangen, Kleisteraale, hundertarmichte Polypen durcheinander, und aus allen Zwischenräumen kuckten Infusionstiere mit verzerrten menschlichen Gesichtern. Abscheulicheres hatte Pepusch nie geschaut. Er wollte eben ein tiefes Grauen verspüren, als ihm etwas Rauhes ins Gesicht flog und er sich eingehüllt sah in eine Wolke dicken Mehlstaubs. Darüber verging ihm aber das Grauen, denn er wußte sogleich, das das rauhe Ding nichts anders sein konnte als die runde gepuderte Perücke des Flohbändigers, und das war es auch in der Tat. Als Pepusch sich den Puder aus den Augen gewischt, war das tolle widrige Insektenvolk verschwunden. Der Flohbändiger saß ganz erschöpft im Lehnstuhl. »Leuwenhoek«, so rief ihm Pepusch entgegen, »Leuwenhoek, seht Ihr nun wohl, was bei Eurem Treiben herauskommt? – Da habt Ihr wieder zu Euern Vasallen Zuflucht nehmen müssen, um Euch die Leute vom Leibe zu halten! – Ist's nicht so?«

»Seid Ihr's«, sprach der Flohbändiger mit matter Stimme, »seid Ihr's, guter Pepusch? – Ach! mit mir ist es aus, rein aus, ich bin ein verlorener Mann! Pepusch, ich fange an zu glauben, daß Ihr es wirklich gut mit mir gemeint habt und daß ich nicht gut getan, auf Eure Warnungen nichts zu geben.« Als nun Pepusch ruhig fragte, was sich denn begeben, drehte sich der Flohbändiger mit seinem Lehnstuhl nach der Wand, hielt beide Hände vors Gesicht und rief weinerlich dem Pepusch zu, er möge nur eine Lupe zur Hand nehmen und die Marmortafel des Tisches anschauen. Schon mit unbewaffnetem Auge gewahrte Pepusch, daß die kleinen Kutschen, die Soldaten usw. tot da standen und lagen, daß sich nichts mehr regte und bewegte. Die kunstfertigen Flöhe schienen auch eine ganz andre Gestalt angenommen zu haben. Mittelst der Lupe entdeckte nun aber Pepusch sehr bald, daß kein einziger Floh mehr vorhanden, sondern daß das, was er dafür gehalten, schwarze Pfefferkörner und Obstkerne waren, die in den Geschirren, in den Uniformen steckten.

»Ich weiß«, begann nun der Flohbändiger ganz wehmütig und zerknirscht, »ich weiß gar nicht, welcher böse Geist mich mit Blindheit schlug, daß ich die Desertion meiner Mannschaft nicht eher bemerkte, als bis alle Leute an den Tisch getreten waren und sich gerüstet hatten zum Schauen. – Ihr könnet denken, Pepusch, wie die Leute, als sie sich getäuscht sahen, erst murrten und dann ausbrachen in lichterlohen Zorn. Sie beschuldigten mich des schnödesten Betruges und wollten mir, da sie sich immer mehr erhitzten und keine Entschuldigung mehr hörten, zu Leibe, um selbst Rache zu nehmen. Was konnt' ich, um einer Tracht Schläge zu entgehen, Besseres tun, als sogleich das große Mikroskop in Bewegung setzen und die Leute ganz einhüllen in Kreaturen, vor denen sie sich entsetzten, wie das dem Pöbel eigen.« »Aber«, fragte Pepusch, »aber sagt mir nur, Leuwenhoek, wie es geschehen konnte, daß Euch Eure wohlexerzierte Mannschaft, die so viel Treue bewiesen, plötzlich auf und davon gehen konnte, ohne daß Ihr es sogleich gewahr wurdet?«

»Oh«, jammerte der Flohbändiger, »o Pepusch! er hat mich verlassen, er, durch den allein ich Herrscher war, und er ist es, dessen bösem Verrat ich meine Blindheit, all mein Unglück zuschreibe!« »Hab' ich«, erwiderte Pepusch, »hab' ich Euch nicht schon längst gewarnt, Eure Sache nicht auf Künsteleien zu stellen, die Ihr, ich weiß es, ohne den Besitz des Meisters nicht vollbringen könnet, und wie dieser Besitz aller Mühe unerachtet doch auf dem Spiele steht, habt Ihr eben jetzt erfahren.« – Pepusch gab nun ferner dem Flohbändiger zu erkennen, wie er ganz und gar nicht begreife, daß, müsse er jene Künsteleien aufgeben, dies sein Leben so verstören könne, da die Erfindung des Nachtmikroskops sowie überhaupt seine Geschicklichkeit im Verfertigen mikroskopischer Gläser ihn längstens festgestellt. Der Flohbändiger versicherte aber dagegen, daß ganz andre Dinge in jenen Künsteleien lägen und daß er sie nicht aufgeben könne. ohne sich selbst, seine Existenz aufzugeben.

»Wo ist aber Dörtje Elverdink?« – So fragte Pepusch, den Flohbändiger unterbrechend. »Wo sie ist«, kreischte der Flohbändiger, indem er die Hände rang, »wo Dörtje Elverdink ist? – Fort ist sie, fort in alle Welt – verschwunden. – Schlagt mich nur gleich tot, Pepusch, denn ich sehe schon, wie Euch immer mehr der Zorn kommt und die Wut. – Macht es kurz mit mir!« »Da seht«, sprach Pepusch mit finsterm Blick, »da seht Ihr nun, was aus Eurer Torheit, aus Eurem albernen Treiben herauskommt. – Wer gab Euch das Recht, die arme Dörtje einzusperren wie eine Sklavin und dann wieder, um nur Leute anzulocken, sie im Prunk auszustellen, wie ein naturhistorisches Wunder? – Warum tatet Ihr Gewalt an ihrer Neigung und ließet es nicht zu, daß sie mir die Hand gab, da Ihr doch bemerken mußtet, wie innig wir uns liebten? – Entflohen ist sie? – Nun gut, so ist sie wenigstens nicht mehr in Eurer Gewalt, und weiß ich auch in diesem Augenblick nicht, wo ich sie suchen soll, so bin ich doch überzeugt, daß ich sie finden werde. Da, Leuwenhoek, setzt die Perücke auf und ergebt Euch in Euer Geschick; das ist das Beste und Geratenste, was Ihr jetzt tun könnet.«

Der Flohbändiger stutzte mit der linken Hand die Perücke auf das kahle Haupt, während er mit der rechten Pepusch beim Arm ergriff. »Pepusch«, sprach er, »Pepusch, Ihr seid mein wahrer Freund; denn Ihr seid der einzige Mensch in der ganzen Stadt Frankfurt, welcher weiß, daß ich begraben liege in der alten Kirche zu Delft seit dem Jahre Eintausendsiebenhundertundfünfundzwanzig, und habt es doch noch niemanden verraten, selbst wenn Ihr auf mich zürntet wegen der Dörtje Elverdink. Will es mir auch zuweilen nicht recht in den Kopf, daß ich wirklich jener Anton van Leuwenhoek bin, den man in Delft begraben, so muß ich es denn doch, betrachte ich meine Arbeiten und bedenke ich mein Leben, wiederum glauben, und es ist mir deshalb sehr angenehm, daß man davon überhaupt gar nicht spricht. – Ich sehe jetzt ein, liebster Pepusch, daß ich, was die Dörtje Elverdink betrifft, nicht recht gehandelt habe, wiewohl auf ganz andere Weise, als Ihr wohl meinen möget. Recht tat ich nämlich daran, daß ich Eure Bewerbungen für ein törichtes zweckloses Streben erklärte, unrecht aber, daß ich nicht ganz offenherzig gegen Euch war, daß ich Euch nicht sagte, was es mit der Dörtje Elverdink eigentlich für eine Bewandtnis hat. Eingesehen hättet Ihr dann, wie löblich es war, Euch Wünsche aus dem Sinn zu reden, deren Erfüllung nicht anders als verderblich sein konnte. – Pepusch! setzt Euch zu mir und vernehmt eine wunderbare Historie!«

»Das kann ich wohl tun«, erwiderte Pepusch mit giftigem Blick, indem er Platz nahm auf einem gepolsterten Lehnstuhl, dem Flohbändiger gegenüber. »Da«, begann der Flohbändiger, »da Ihr, mein lieber Freund Pepusch, in der Geschichte wohl bewandert seid, so wißt Ihr ohne Zweifel, daß der König Sekakis viele Jahre hindurch mit der Blumenkönigin im vertraulichen Verhältnis lebte und daß die schöne, anmutige Prinzessin Gamaheh die Frucht dieser Liebe war. Weniger bekannt dürft' es sein, und auch ich kann es Euch nicht sagen, auf welche Weise Prinzessin Gamaheh nach Famagusta kam. Manche behaupten, und nicht ohne Grund, daß die Prinzessin in Famagusta sich verbergen sollte vor dem widerlichen Egelprinzen, dem geschwornen Feinde der Blumenkönigin. Genug! – in Famagusta begab es sich, daß die Prinzessin einst in der erfrischenden Kühle des Abends lustwandelte und in ein dunkles anmutiges Zypressenwäldchen geriet. Verlockt von dem lieblichen Säuseln des Abendwindes, dem Murmeln des Bachs, dem melodischen Gezwitscher der Vögel, streckte die Prinzessin sich hin in das weiche duftige Moos und fiel bald in tiefen Schlaf. Gerade der Feind, dem sie hatte entgehen wollen, der häßliche Egelprinz streckte aber sein Haupt empor aus dem Schlammwasser, erblickte die Prinzessin und verliebte sich in die schöne Schläferin dermaßen, daß er dem Verlangen, sie zu küssen, nicht widerstehen konnte. Leise kroch er heran und küßte sie hinter das linke Ohr. Nun wißt Ihr aber wohl, Freund Pepusch, daß die Dame, die der Egelprinz zu küssen sich unterfängt, verloren, denn er ist der ärgste Blutsauger von der Welt. So geschah es denn auch, daß der Egelprinz die arme Prinzessin so lange küßte, bis alles Leben aus ihr geflohen war. Da fiel er ganz übersättigt und trunken ins Moos und mußte von seinen Dienern, die sich schnell aus dem Schlamm hinanwälzten, nach Hause gebracht werden. – Vergebens arbeitete sich die Wurzel Mandragora aus der Erde hervor, legte sich auf die Wunde, die der heimtückische Egelprinz der Prinzessin geküßt, vergebens erhoben sich auf das Wehgeschrei der Wurzel alle Blumen und stimmten ein in die trostlose Klage! Da geschah es, daß der Genius Thetel gerade des Weges kam; auch er wurde tief gerührt von Gamahehs Schönheit und ihrem unglücklichen Tode. Er nahm die Prinzessin in die Arme, drückte sie an seine Brust, mühte sich, ihr Leben einzuhauchen mit seinem Atem, aber sie erwachte nicht aus dem Todesschlaf. Da erblickte der Genius Thetel den abscheulichen Egelprinzen, den (so schwerfällig und trunken war er) die Diener nicht hatten hinunterschaffen können in den Palast, entbrannte in Zorn und warf eine ganze Faust voll Kristallsalz dem häßlichen Feinde auf den Leib, so daß er sogleich allen purpurnen Ichor, den er der Prinzessin Gamaheh ausgezogen, ausströmte und dann seinen Geist aufgab unter vielen Zuckungen und Grimassen, auf elendigliche Weise. Alle Blumen, die ringsum standen, tauchten aber ihre Kleider in diesen lchor und färbten sie zum ewigen Andenken der ermordeten Prinzessin in ein solches herrliches Rot, wie es kein Maler auf Erden herauszubringen vermag. – Ihr wißt, Pepusch, daß die schönsten dunkelroten Nelken, Amaryllen und Cheiranthen eben aus jenem Zypressenwäldchen, wo der Egelprinz die schöne Gamaheh totküßte, herstammen. Der Genius Thetel wollte forteilen, da er noch vor Einbruch der Nacht in Samarkand viel zu tun hatte, noch einen Blick warf er aber auf die Prinzessin, blieb festgezaubert stehen und betrachtete sie mit der innigsten Wehmut. Da kam ihm plötzlich ein Gedanke. Statt weiter zu gehen, nahm er die Prinzessin in die Arme und schwang sich mit ihr hoch auf in die Lüfte. – Zu derselben Zeit beobachteten zwei weise Männer, von denen einer, nicht verschwiegen sei es, ich selbst war, auf der Galerie eines hohen Turmes den Lauf der Gestirne. Diese gewahrten hoch über sich den Genius Thetel mit der Prinzessin Gamaheh, und in demselben Augenblick fiel auch dem einen – doch! das gehört für jetzt nicht zur Sache! – Beide Magier hatten zwar den Genius Thetel erkannt, nicht aber die Prinzessin und erschöpften sich in allerlei Vermutungen, was die Erscheinung wohl zu bedeuten, ohne irgend etwas Gewisses oder auch nur Wahrscheinliches ergrübeln zu können. Bald darauf wurde aber das unglückliche Schicksal der Prinzessin Gamaheh in Famagusta allgemein bekannt, und nun wußten auch die Magier sich die Erscheinung des Genius Thetel mit dem Mädchen im Arm zu erklären.

Beide vermuteten, daß der Genius Thetel gewiß noch ein Mittel gefunden haben müsse, die Prinzessin ins Leben zurückzurufen, und beschlossen in Samarkand Nachfrage zu halten, wohin er, ihrer Beobachtung nach, offenbar seinen Flug gerichtet hatte. In Samarkand war aber von der Prinzessin alles stille, niemand wußte ein Wort.

Viele Jahre waren vergangen, die beiden Magier hatten sich entzweit, wie es wohl unter gelehrten Männern desto öfter zu geschehen pflegt, je gelehrter sie sind, und nur noch die wichtigsten Entdeckungen teilten sie sich aus alter eiserner Gewohnheit einander mit. – Ihr habt nicht vergessen, Pepusch, daß ich selbst einer dieser Magier bin. – Also, nichtwenig erstaunte ich über eine Mitteilung meines Kollegen, die über die Prinzessin Gamaheh das Wunderbarste und zugleich Glückseligste enthielt, was man nur hätte ahnen können. Die Sache verhielt sich folgendergestalt: Mein Kollege hatte durch einen wissenschaftlichen Freund aus Samarkand die schönsten und seltensten Tulpen und so vollkommen frisch erhalten, als seien sie eben vom Stengel geschnitten. Es war ihm unverzüglich um die mikroskopische Untersuchung der innern Teile und zwar des Blumenstaubes zu tun. Er zergliederte deshalb eine schöne lila und gelb gefärbte Tulpe und entdeckte mitten in dem Kelch ein kleines fremdartiges Körnlein, welches ihm auffiel in ganz besonderer Weise. Wie groß war aber die Verwunderung, als er mittelst Anwendung des Suchglases deutlich gewahrte, daß das kleine Körnlein nichts anders als die Prinzessin Gamaheh, die, in den Blumenstaub des Tulpenkelchs gebettet, ruhig und süß zu schlummern schien.

Solch eine weite Strecke mich auch von meinem Kollegen trennen mochte, dennoch setzte ich mich augenblicklich auf und eilte zu ihm hin. Er hatte indessen alle Operationen beiseite gestellt, um mir das Vergnügen des ersten Anblicks zu gönnen, wohl auch aus Furcht, ganz nach eignem Kopf handelnd, etwas zu verderben. Ich überzeugte mich bald von der vollkommnen Richtigkeit der Beobachtung meines Kollegen und war auch ebenso wie er des festen Glaubens, daß es möglich sein müsse, die Prinzessin dem Schlummer zu entreißen und ihr die vorige Gestalt wiederzugeben. Der uns inwohnende sublime Geist ließ uns bald die richtigen Mittel finden. – Da Ihr, Freund Pepusch, sehr wenig, eigentlich gar nichts von unserer Kunst verstehet, so würde es höchst überflüssig sein, Euch die verschiedenen Operationen zu beschreiben, die wir nun vornahmen, um zu unserm Zweck zu gelangen. Es genügt, wenn ich Euch sage, daß es uns mittelst des geschickten Gebrauchs verschiedener Gläser, die ich meistenteils selbst präparierte, glückte, nicht allein die Prinzessin unversehrt aus dem Blumenstaub hervorzuziehen, sondern auch ihr Wachstum in der Art zu fördern, daß sie bald zu ihrer natürlichen Größe gelangt war. – Nun fehlte freilich noch das Leben, und ob ihr dieses zu verschaffen möglich, das hing von der letzten und schwürigsten Operation ab. – Wir reflektierten ihr Bild mittelst eines herrlichen Kuffischen Sonnenmikroskops und lösten dieses Bild geschickt los von der weißen Wand, welches ohne allen Schaden vonstatten ging. Sowie das Bild frei schwebte, fuhr es wie ein Blitz in das Glas hinein, welches in tausend Stücken zersplitterte. Die Prinzessin stand frisch und lebendig vor uns. Wir jauchzten vor Freude, aber auch um so größer war unser Entsetzen, als wir bemerkten, daß der Umlauf des Blutes gerade da stockte, wo der Egelprinz sich angeküßt hatte. Schon wollte sie ohnmächtig hinsinken, als wir eben an der Stelle hinter dem linken Ohr einen kleinen schwarzen Punkt erscheinen und ebenso schnell wieder verschwinden sahen. Die Stockung des Bluts hörte sogleich auf, die Prinzessin erholte sich wieder, und unser Werk war gelungen.

Jeder von uns, ich und mein Kollege, wußte recht gut, welch unschätzbaren Wert der Besitz der Prinzessin für ihn haben mußte, und jeder strebte darnach, indem er größeres Recht zu haben glaubte als der andere. Mein Kollege führte an, daß die Tulpe, in deren Kelch er die Prinzessin gefunden, sein Eigentum gewesen, und daß er die erste Entdeckung gemacht, die er mir mitgeteilt, so daß ich nur als Hülfeleistender zu betrachten, der das Werk selbst, bei dem er geholfen, nicht als Lohn der Arbeit verlangen könne. Ich dagegen berief mich darauf, daß ich die letzte, schwürigste Operation, wodurch die Prinzessin zum Leben gelangt, erfunden und bei der Ausführung mein Kollege nur geholfen, weshalb, habe er auch Eigentumsansprüche auf den Embryo im Blumenstaub gehabt, mir doch die lebendige Person gehöre. Wir zankten uns mehrere Stunden, bis endlich, als wir uns die Kehlen heiser geschrieen hatten, ein Vergleich zustande kam. Der Kollege überließ mir die Prinzessin, wogegen ich ihm ein sehr wichtiges, geheimnisvolles Glas einhändigte. Eben dieses Glas ist aber die Ursache unserer jetzigen gänzlichen Verfeindung. Mein Kollege behauptet nämlich, ich habe das Glas betrügerischerweise unterschlagen; dies ist aber eine grobe, unverschämte Lüge, und wenn ich auch wirklich weiß, daß ihm das Glas bei der Aushändigung abhandengekommen ist, so kann ich doch auf Ehre und Gewissen beteuern, daß ich nicht daran schuld bin, auch durchaus nicht begreife, wie das hat geschehen können. Das Glas ist nämlich gar nicht so klein, da ein Pulverkorn nur höchstens achtmal größer sein mag. – Seht, Freund Pepusch, nun habe ich Euch mein ganzes Vertrauen geschenkt, nun wißt Ihr, daß Dörtje Elverdink keine andere ist als eben die ins Leben zurückgerufene Prinzessin Gamaheh, nun seht Ihr ein, daß ein schlichter junger Mann wie Ihr wohl auf solch eine hohe mystische Verbindung keinen –«

»Halt«, unterbrach George Pepusch den Flohbändiger, indem er ihn etwas satanisch anlächelte, »halt, ein Vertrauen ist des andern wert, und so will ich Euch meinerseits denn vertrauen, daß ich das alles, was Ihr mir da erzählt habt, schon viel früher und besser wußte als Ihr. Nicht genug kann ich mich über Eure Beschränktheit, über Eure alberne Anmaßung verwundern. – Vernehmt, was Ihr längst erkennen müßtet, wäre es, außer dem was die Glasschleiferei betrifft, mit Eurer Wissenschaft nicht so schlecht bestellt, vernehmt, daß ich selbst die Distel Zeherit bin, welche dort stand, wo die Prinzessin Gamaheh ihr Haupt niedergelegt hatte, und von der Ihr gänzlich zu schweigen für gut gefunden habt.«

»Pepusch«, rief der Flohbändiger, »seid Ihr bei Sinnen? Die Distel Zeherit blüht im fernen Indien und zwar in dem schönen, von hohen Bergen umschlossenen Tale, wo sich zuweilen die weisesten Magier der Erde zu versammeln pflegen. Der Archivarius Lindhorst kann Euch darüber am besten belehren. Und Ihr, den ich hier im Polröckchen zum Schulmeister laufen gesehen, den ich als vor lauter Studieren und Hungern vermagerten, vergelbten Jenenser gekannt, Ihr wollt die Distel Zeherit sein? Das macht einem andern weis, aber mich laßt damit in Ruhe.«

»Was Ihr«, sprach Pepusch lachend, »was Ihr doch für ein weiser Mann seid, Leuwenhoek. Nun! haltet von meiner Person, was Ihr wollt, aber seid nicht albern genug, zu leugnen, daß die Distel Zeherit in dem Augenblick, da sie Gamahehs süßer Atem traf, in glühender Liebe und Sehnsucht erblühte und daß, als sie die Schläfe der holden Prinzessin berührte, diese auch süß träumend in Liebe kam. Zu spät gewahrte die Distel den Egelprinzen, den sie sonst mit ihren Stacheln augenblicklich getötet hätte. Doch wär' es ihr mit Hülfe der Wurzel Mandragora gelungen, die Prinzessin wieder in das Leben zurückzubringen, kam nicht der tölpische Genius Thetel dazwischen mit seinen ungeschickten Rettungsversuchen. Wahr ist es, daß Thetel im Zorn in die Salzmeste griff, die er auf Reisen gewöhnlich am Gürtel zu tragen pflegt, wie Pantagruel seine Gewürzbarke, und eine tüchtige Handvoll Salz nach dem Egelprinzen warf, ganz falsch aber, daß er ihn dadurch getötet haben sollte. Alles Salz fiel in den Schlamm, nicht ein einziges Körnlein traf den Egelprinzen, den die Distel Zeherit mit ihren Stacheln tötete, so den Tod der Prinzessin rächte und sich dann selbst dem Tode weihte. Bloß der Genius Thetel, der sich in Dinge mischte, die ihn nichts angingen, ist schuld daran, daß die Prinzessin so lange im Blumenschlaf liegen mußte; die Distel Zeherit erwachte viel früher. Denn beider Tod war nur die Betäubung des Blumenschlafs, aus der sie ins Leben zurückkehren durften, wiewohl in anderer Gestalt. Das Maß Eures gröblichen Irrtums würdet Ihr nämlich vollmachen, wenn ihr glauben solltet, daß die Prinzessin Gamaheh völlig so gestaltet war, als es jetzt Dörtje Elverdink ist, und daß Ihr es waret, der ihr das Leben wiedergab. Es ging Euch so, mein guter Leuwenhoek, wie dem ungeschickten Diener in der wahrhaft merkwürdigen Geschichte von den drei Pomeranzen, der zwei Jungfrauen aus den Pomeranzen befreite, ohne sich vorher des Mittels versichert zu haben, sie am Leben zu erhalten, und die dann vor seinen Augen elendiglich umkamen. – Nicht Ihr, nein jener, der Euch entlaufen, dessen Verlust Ihr so hart fühlt und bejammert, der war es, der das Werk vollendete, welches Ihr ungeschickt genug begonnen.«

»Ha«, schrie der Flohbändiger ganz außer sich, »ha, meine Ahnung! – Aber Ihr, Pepusch, Ihr, dem ich so viel Gutes erzeigt, Ihr seid mein ärgster, schlimmster Feind, das sehe ich nun wohl ein. Statt mir zu raten, statt mir beizustehen in meinem Unglück, tischt Ihr mir allerlei unziemliche Narrenspossen auf.« – »Die Narrenspossen auf Euern Kopf«, schrie Pepusch ganz erbost, »zu spät werdet Ihr Eure Torheit bereuen, einbildischer Charlatan! – Ich gehe, Dörtje Elverdink aufzusuchen. – Doch damit Ihr nicht mehr ehrliche Leute vexiert –«

Pepusch faßte nach der Schraube, die das ganze mikroskopische Maschinenwerk in Bewegung setzte. »Bringt mich nur gleich ums Leben!« kreischte der Flohbändiger; doch in dem Augenblick krachte auch alles zusammen, und ohnmächtig stürzte der Flohbändiger zu Boden.

»Wie mag es«, sprach George Pepusch zu sich selbst, als er auf der Straße war, »wie mag es geschehen, daß einer, der über ein hübsches warmes Zimmer, über ein wohlaufgeklopftes Bette gebietet, sich zur Nachtzeit in dem ärgsten Sturm und Regen auf den Straßen herumtreibt?« – »Wenn er den Hausschlüssel vergessen, und wenn überdem Liebe, törichtes Verlangen ihn jagt.« So mußte er sich selbst antworten. – Töricht kam ihm nämlich jetzt sein ganzes Beginnen vor. – Er erinnerte sich des Augenblicks, als er Dörtje Elverdink zum erstenmal gesehen. – Vor mehreren Jahren zeigte nämlich der Flohbändiger seine Kunststückchen in Berlin und hatte nicht geringen Zuspruch, solange die Sache neu blieb. Bald hatte man sich aber an den kultivierten und exerzierten Flöhen satt gesehen, man hielt nun nicht einmal die Schneider-, Riemer-, Sattler-, Waffenarbeiten zum Gebrauch der kleinen Personen für so gar bewundrungswürdig, unerachtet man erst von Unbegreiflichkeit, zauberischem Wesen gesprochen, und der Flohbändiger schien ganz in Vergessenheit zu geraten. Bald hieß es aber, daß eine Nichte des Flohbändigers, die sonst noch gar nicht zum Vorschein gekommen, jetzt den Vorstellungen beiwohne. Diese Nichte sei aber solch ein schönes, anmutiges Mädchen und dabei so allerliebst geputzt, daß es gar nicht zu sagen. Die bewegliche Welt der jungen und modernen Herren, welche als tüchtige Konzertmeister in der Sozietät Ton und Takt anzugeben pflegen, strömte hin, und weil in dieser Welt nur die Extreme gelten, so weckte des Flohbändigers Nichte ein nie gesehenes Wunder. – Bald war es Ton, den Flohbändiger zu besuchen, wer seine Nichte nicht gesehen, durfte nicht mitsprechen, und so war dem Manne geholfen. Kein Mensch konnte sich übrigens in den Vornamen »Dörtje« finden, und da gerade zu der Zeit die herrliche Bethmann in der Rolle der Königin von Golkonda alle hohe Liebenswürdigkeit, alle hinreißende Anmut, alle weibliche Zartheit entwickelte, die dem Geschlecht nur eigen, und ein Ideal des unnennbaren Zaubers schien, mit dem ein weibliches Wesen alles zu entzücken vermag, so nannte man die Holländerin »Aline«.

Zu der Zeit kam George Pepusch nach Berlin, Leuwenhoeks schöne Nichte war das Gespräch des Tages, und so wurde auch an der Wirtstafel des Hotels, in dem Pepusch sich einlogiert, beinahe von nichts anderem gesprochen als von dem kleinen reizenden Wunder, das alle Männer, jung oder alt, ja selbst die Weiber entzücke. Man drang in Pepusch, sich nur gleich auf die höchste Spitze alles jetzigen Treibens in Berlin zu stellen und die schöne Holländerin zu sehen. – Pepusch hatte ein reizbares melancholisches Temperament; in jedem Genuß spürte er zu sehr den bittern Beigeschmack, der freilich aus dem schwarzen stygischen Bächlein kommt, das durch unser ganzes Leben rinnt, und das machte ihn finster, in sich gekehrt, ja oft ungerecht gegen alles, was ihn umgab. Man kann denken, daß auf diese Weise Pepusch wenig aufgelegt war, hübschen Mädchen nachzulaufen, er ging aber dennoch zu dem Flohbändiger, mehr um seine vorgefaßte Meinung, daß auch hier, wie so oft im Leben, nur ein seltsamer Wahn spuke, bewährt zu sehen, als des gefährlichen Wunders halber. Er fand die Holländerin gar hübsch, anmutig, angenehm, indem er sie aber betrachtete, mußte er selbstgefällig seine Sagazität belächeln, vermöge der er schon erraten, daß die Köpfe, welche die Kleine vollends verdreht hatte, schon von Haus aus ziemlich wackelicht gewesen sein mußten.

Die Schöne hatte den leichten, ungezwungenen Ton, der von der feinsten sozialen Bildung zeugt, ganz in ihrer Gewalt; mit jener liebenswürdigen Koketterie, die dem, dem sie vertraulich die Fingerspitze hinreicht, zugleich den Mut benimmt, sie zu erfassen, wußte das kleine holde Ding die sie von allen Seiten Bestürmenden ebenso anzuziehen als in den Grenzen des zartesten Anstandes zu erhalten.

Niemand kümmerte sich um den fremden Pepusch, der Muße genug empfand, die Schöne in ihrem ganzen Tun und Wesen zu beobachten. Indem er aber länger und länger ihr in das holde Gesichtchen kuckte, regte sich in dem tiefsten Hintergrunde des innern Sinnes eine dumpfe Erinnerung, als habe er die Holländerin irgendwo einmal gesehen, wiewohl in ganz andern Umgebungen und anders gekleidet, so wie es ihm war, als sei er auch damals ganz anders gestaltet gewesen. Vergebens quälte er sich ab, diese Erinnerung zu irgendeiner Deutlichkeit zu bringen; wiewohl der Gedanke, daß er die Kleine wirklich schon gesehen, immer mehr an Festigkeit gewann. Das Blut stieg ihm ins Gesicht, als ihn endlich jemand leise anstieß und ihm ins Ohr lispelte: »Nicht wahr, Herr Philosoph, auch Sie hat der Blitzstrahl getroffen?« Es war sein Nachbar von der Wirtstafel her, dem er geäußert hatte, daß er die Ekstase, in die alles versetzt sei, für einen seltsamen Wahnsinn halte, der ebenso schnell dahinschwinde, als er entstehe. – Pepusch bemerkte, daß, während er die Kleine unverwandten Auges angestarrt, der Saal leer geworden, so daß eben die letzten Personen davonschritten. Erst jetzt schien die Holländerin ihn zu gewahren; sie grüßte ihn mit anmutiger Freundlichkeit. –

Pepusch wurde die Holländerin nicht los; er marterte sich ab in der schlaflosen Nacht, um nur auf die Spur jener Erinnerung zu kommen, indessen vergebens. Der Anblick der Schönen konnte allein ihn nicht auf jene Spur bringen, so dachte er ganz richtig und unterließ nicht, gleich andern Tages und dann alle folgenden Tage zum Flohbändiger zu wandern und zwei – drei Stunden die hübsche Dörtje Elverdink anzustarren. –

Kann der Mann den Gedanken an ein liebenswürdiges Frauenzimmer, das seine Aufmerksamkeit erregte auf diese, jene Weise, nicht los werden, so ist das für ihn der erste Schritt zur Liebe, und so kam es denn auch, daß Pepusch in dem Augenblick, als er bloß jener dunklen Erinnerung nachzugrübeln glaubte, in die schöne Holländerin schon ganz verliebt war.

Wer wollte sich jetzt noch um die Flöhe kümmern, über die die Holländerin, alles an sich ziehend, den glänzendsten Sieg davongetragen hatte. Der Flohbändiger fühlte selbst, daß er mit seinen Flöhen eine etwas alberne Rolle spiele, er sperrte daher seine Mannschaft bis auf andere Zeiten ein und gab mit vielem Geschick seinem Schauspiel eine andere Gestalt, der schönen Nichte aber die Hauptrolle.

Der Flohbändiger hatte nämlich den glücklichen Gedanken gefaßt, Abendunterhaltungen anzuordnen, auf die man sich mit einer ziemlich hohen Summe abonnierte und in denen, nachdem er einige artige optische Kunststücke gezeigt, die fernere Unterhaltung der Gesellschaft seiner Nichte oblag. – In vollem Maß ließ die Schöne ihr soziales Talent glänzen, dann nützte sie aber die kleinste Stockung, um durch Gesang, den sie selbst auf der Guitarre begleitete, der Gesellschaft einen neuen Schwung zu geben. Ihre Stimme war nicht stark, ihre Methode nicht grandios, oft wider die Regel, aber der süße Ton, die Klarheit, Nettigkeit ihres Gesangs entsprach ganz ihrem holden Wesen, und vollends wenn sie unter den schwarzen seidnen Wimpern den schmachtenden Blick wie feuchten Mondesstrahl hineinleuchten ließ unter die Zuhörer, da wurde jedem die Brust enge, und selbst der Tadel des eigensinnigsten Pedanten mußte verstummen. – Pepusch setzte in diesen Abendunterhaltungen sein Studium eifrig fort, das heißt, er starrte zwei Stunden lang die Holländerin an und verließ dann mit den übrigen den Saal.

Einmal stand er der Holländerin näher als gewöhnlich und hörte deutlich, was sie zu einem jungen Manne sprach: »Sagen Sie mir, wer ist dieses leblose Gespenst, das mich jeden Abend stundenlang anstarrt und dann lautlos verschwindet?«

Pepusch fühlte sich tief verletzt, tobte und lärmte auf seinem Zimmer, stellte sich so ungebärdig, daß kein Freund ihn in diesem tollen Wesen wiedererkannt haben würde. Er schwur hoch und teuer, die boshafte Holländerin niemals wiederzusehen, unterließ aber nicht, gleich am andern Abend sich zur gewöhnlichen Stunde bei Leuwenhoek einzufinden und womöglich die schöne Dörtje mit noch erstarrterem Blick anzugaffen. Schon auf der Treppe war er freilich darüber sehr erschrocken, daß er eben die Treppe hinaufstieg, und hatte in aller Schnelligkeit den weisen Vorsatz gefaßt, sich wenigstens von dem verführerischen Wesen ganz entfernt zu halten. Diesen Vorsatz führte er auch wirklich aus, indem er sich in einen Winkel des Saals verkroch; der Versuch, die Augen niederzuschlagen, mißglückte aber durchaus, und wie gesagt, noch starrer als sonst schaute er der Holländerin in die Augen.

Selbst wußte er nicht, wie es geschah, daß Dörtje Elverdink plötzlich in seinem Winkel dicht neben ihm stand.

Mit einem Stimmlein, das süßlispelnde Melodie war, sprach die Holde: »Ich erinnere mich nicht, mein Herr, Sie schon anderwärts gesehen zu haben als hier in Berlin, und doch finde ich in den Zügen Ihres Antlitzes, in Ihrem ganzen Wesen so viel Bekanntes. Ja, es ist mir, als wären wir vor gar langer Zeit einander ganz befreundet gewesen, jedoch in einem sehr fernen Lande und unter ganz andern seltsamen Umständen. Ich bitte Sie, mein Herr, reißen Sie mich aus der Ungewißheit, und täuscht mich nicht vielleicht eine Ähnlichkeit, so lassen Sie uns das freundschaftliche Verhältnis erneuern, das in dunkler Erinnerung ruht, wie ein schöner Traum.«

Dem Herrn George Pepusch wurde bei diesen anmutigen Worten der schönen Holländerin gar sonderbar zumute. Die Brust war enge, und indem ihm die Stirn brannte, fröstelte es ihm durch alle Glieder, als läg' er im stärksten Fieber. Wollte das nun auch nichts anders bedeuten, als daß Herr Pepusch in die Holländerin bis über den Kopf verliebt war, so gab es doch noch eine andere Ursache des durchaus verwirrten Zustandes, der ihm alle Sprache, ja beinahe alle Besinnung raubte. Sowie nämlich Dörtje Elverdink davon sprach, daß sie glaube, vor langer Zeit ihn schon gekannt zu haben, war es ihm, als würde in seinem Innern wie in einer Laterna magica plötzlich ein anderes Bild vorgeschoben und er erblickte ein weit entferntes Sonst, das lange zurückliege hinter der Zeit, als er zum erstenmal Muttermilch gekostet, und in dem er selbst doch ebensogut als Dörtje Elverdink sich rege und bewege. Genug! – der Gedanke, der sich eben durch vieles Denken erst recht klar und fest gestaltete, blitzte in diesem Augenblick auf, und dieser Gedanke war nicht Geringeres, als daß Dörtje Elverdink die Prinzessin Gamaheh, Tochter des Königs Sekakis sei, die er schon in der grünen Zeit geliebt, da er noch die Distel Zeherit gewesen. Gut war es, daß er diesen Gedanken andern Leuten nicht sonderlich mitteilte; man hätte ihn sonst vielleicht für wahnsinnig gehalten und eingesperrt, wiewohl die fixe Idee eines Partiell-Wahnsinnigen oft nichts anders sein mag, als die Ironie eines Seins, welches dem jetzigen vorausging.

»Aber mein Himmel, Sie scheinen ja stumm, mein Herr!« So sprach die Kleine, indem sie mit den niedlichsten Fingerchen Georges Brust berührte. Doch aus den Spitzen dieser Finger fuhr ein elektrischer Strahl dem George bis ins Herz hinein, und er erwachte aus seiner Betäubung. In voller Ekstase ergriff er die Hand der Kleinen, bedeckte sie mit glühenden Küssen und rief: »Himmlisches, göttliches Wesen« – usw. Der geneigte Leser wird sich wohl denken können, was Herr George Pepusch in diesem Augenblick noch alles gerufen. –

Es genügt zu sagen, daß die Kleine Georges Liebesbeteuerungen so aufnahm, wie er es nur wünschen konnte, und daß die verhängnisvolle Minute im Winkel des Leuwenhoekschen Saals ein Liebesverhältnis gebar, das den guten Herrn George Pepusch erst in den Himmel, dann aber der Abwechslung wegen in die Hölle versetzte. War nämlich Pepusch melancholischen Temperaments und dabei mürrisch und argwöhnisch, so konnt' es nicht fehlen, daß Dörtjes Betragen ihm Anlaß gab zu mancher Eifersüchtelei. Gerade diese Eifersüchtelei reizte aber Dörtjes etwas schalkischen Humor, und es war ihre Lust, den armen Herrn George Pepusch auf die sinnreichste Weise zu quälen. Da nun aber jedes Ding nur bis zu einer gewissen Spitze getrieben werden kann, so kam es denn auch zuletzt bei Pepusch zum Ausbruch des lang verhaltenen Ingrimms. Er sprach nämlich einmal gerade von jener wunderbaren Zeit, da er als Distel Zeherit die schöne Holländerin, die damals die Tochter des Königs Sekakis gewesen, so innig geliebt, und gedachte mit aller Begeisterung der innigsten Liebe, daß eben jenes Verhältnis, der Kampf mit dem Egelkönig ihm schon das unbestrittenste Recht auf Dörtjes Hand gegeben. Dörtje Elverdink versicherte, wie sie sich jener Zeit, jenes Verhältnisses gar wohl erinnere und die Ahnung davon zuerst wieder in ihre Seele gekommen, als Pepusch sie mit dem Distelblick angeschaut. Die Kleine wußte so anmutig von diesen wunderbaren Dingen zu reden, sie tat so begeistert von der Liebe zu der Distel Zeherit, die dazu bestimmt gewesen, in Jena zu studieren und dann in Berlin die Prinzessin Gamaheh wiederzufinden, daß Herr George Pepusch im Eldorado alles Entzückens zu sein glaubte. – Das Liebespaar stand am Fenster, und die Kleine litt es, daß der verliebte George den Arm um sie schlug. In dieser vertraulichen Stellung kosten sie miteinander, denn zum Gekose wurde das träumerische Reden von den Wundern in Famagusta. Da begab es sich, daß ein sehr hübscher Offizier von den Garde-Husaren in funkelnagelneuer Uniform vorüberging und die Kleine, die er aus den Abendgesellschaften kannte, sehr freundlich grüßte. Dörtje hatte die Augen halb geschlossen und das Köpfchen abgewendet von der Straße; man hätte denken sollen, daß es ihr unmöglich sein müßte, den Offizier zu gewahren, aber mächtig ist der Zauber einer neuen glänzenden Uniform! Die Kleine, vielleicht schon erregt durch das bedeutungsvolle Klappern des Säbels auf dem Steinpflaster, öffnete die Äuglein hell und klar, wand sich aus Georges Arm, riß das Fenster auf, warf dem Offizier ein Kußhändchen zu und schaute ihm nach, bis er um die Ecke verschwunden.

»Gamaheh«, schrie die Distel Zeherit ganz außer sich, »Gamaheh, was ist das? – spottest du meiner? Ist das die Treue, die du deiner Distel angelobt?« – Die Kleine drehte sich auf dem Absatz herum, schlug ein helles Gelächter auf und rief: »Geht, geht, George! Bin ich die Tochter des würdigen alten Königs Sekakis, seid Ihr die Distel Zeherit, so ist jener allerliebste Offizier der Genius Thetel, der mir eigentlich viel besser gefällt wie die traurige stachlichte Distel.« – Damit sprang die Holländerin fort durch die Türe, George Pepusch geriet aber, wie man denken kann, sofort in Wut und Verzweiflung und rannte wild die Treppe hinab, zum Hause hinaus, als hetzten ihn tausend Teufel. Das Geschick wollt' es, daß George einem Freunde begegnete, der in einer Postkalesche saß und fort wollte. »Halt, ich reise mit Euch!« So rief die Distel Zeherit, flog schnell nach Hause, zog einen Überrock an, steckte Geld ein, gab den Stubenschlüssel der Wirtin, setzte sich in die Kalesche hinein und fuhr mit dem Freunde von dannen.

Unerachtet dieser feindseligen Trennung war aber die Liebe zur schönen Holländerin in Georges Brust ganz und gar nicht erloschen, und ebensowenig konnte er sich entschließen, die gerechten Ansprüche aufzugeben, die er als Distel Zeherit auf Gamahehs Hand und Herz zu haben glaubte. Er erneuerte daher diese Ansprüche, als er nach etlichen Jahren wiederum im Haag mit Leuwenhoek zusammentraf, und wie eifrig er sie auch in Frankfurt verfolgte, hat der geneigte Leser bereits erfahren. – –

Ganz trostlos rannte Herr George Pepusch in der Nacht durch die Gassen, als der flackernde, ungewöhnlich helle Schein eines Lichts, der durch die Spalte eines Fensterladens im untern Stock eines ansehnlichen Hauses auf die Straße fiel, seine Aufmerksamkeit erregte. Er glaubte, es müsse in der Stube brennen, und schwang sich daher am Gitterwerk hinauf, um in die Stube zu schauen. Grenzenlos war aber sein Erstaunen über das, was er erblickte.

Ein helles, lustiges Feuer loderte im Kamin, der dem Fenster geradeüber gelegen; vor diesem Kamin saß oder lag vielmehr in einem breiten altväterischen Lehnstuhl die kleine Holländerin, geputzt wie ein Engel. Sie schien zu schlummern, während ein sehr alter ausgetrockneter Mann vor dem Feuer kniete und, Brill' auf der Nase, in einen Topf kuckte, in dem wahrscheinlich irgendein Getränk kochte. Pepusch wollte sich noch höher hinaufschwingen, um besser die Gruppe ins Auge zu fassen, fühlte sich indessen bei den Beinen gepackt und mit Gewalt heruntergezogen. Eine barsche Stimme rief: »Seht mal den Spitzbuben, das wäre mir recht. – Fort, Patron, ins Hundeloch!« – Es war der Nachtwächter, der Georgen bemerkt hatte, wie er an das Fenster hinanklimmte, und nichts anders vermuten konnte, als daß er einbrechen wolle ins Haus. Aller Protestationen unerachtet wurde Herr George Pepusch von dem Wächter, dem die herbeieilende Patrouille zu Hülfe geeilt war, fortgeschleppt, und auf diese Weise endete seine nächtliche Wanderung fröhlich in der Wachtstube. –


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